Kitabı oku: «Musikeinsatz im Französischunterricht», sayfa 2

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(1) Prozessorientierung als Konzept konstruktivistischen Lernens zur Anregung von Sprach- und Sinnbildung sowie zum ästhetischen Lernen; (2) ganzheitlich-handelndes, schülerzentriertes Lernen (Lernerorientierung), bei dem die Lehrperson Monitor, Beraterin sowie aktiv Beteiligte ist. Handlungsorientierung ist dabei das zentrale verbindende konzeptionell-didaktische Prinzip der Fremdsprachendidaktik und der angrenzenden Musikpädagogik; (3) Öffnung des Lernortes Schule: Projektorientiertes Lernen (z. B. Musikwerkstatt) oder Hörspaziergänge (Lehr- und Lernort, Projektarbeit); (4) interkulturelles Lernen zur Entdeckung fremder akustischer Kulturen.93

Michaela Sambanis untersucht in ihrem 2013 bei Narr erschienenen Buch Fremdsprachenunterricht und Neurowissenschaften94 u. a. die Interaktionen zwischen Musik, Sprache und Bewegung, wobei sie nach einem kurzen historischen Abriss des „bewegten Lernens” auch auf Bewegungslieder eingeht:

Lehrkräfte, die in der Grundschule Englisch oder Französisch unterrichten, verfügen in der Regel über ein Repertoire an bewegungsbasierten Aktivitäten. Sie singen mit ihrer Klasse Bewegungslieder (z. B. Head and shoulders, knees and toes / Tête, épaules et jambes et pieds) oder verbinden Lieder mit Tanzbewegungen.95

Im Basisheft Praxis Fremdsprachenunterricht 3 / 2015 mit dem Titel Musik widmet sich Sambanis unter dem Abschnitt Grundsätzliches der Wirkung von Musik auf das Fremdsprachenlernen.96 Engelbert Thaler untersucht die Ziele eines musikbasierten Fremdsprachenunterrichts (MBF) und orientiert sich in seinem Artikel Musikbasierter Fremdsprachenunterricht97 auf die Bildungsstandards, d. h. die fünf Bereiche der Abiturstandards:

1 Funktionale kommunikative Kompetenz (Hör- / Hörsehverstehen, z. B. Dekodierung eines Popsongs […]; Leseverstehen, z. B. kursorisches Lesen einer Star-Biographie; Sprechen, z. B. kritische Diskussion des Musikbetriebs; Schreiben, z. B. Verfassen einer E-Mail an Band-Mitglieder; Sprachmitteln, z. B. kontrastive Analyse von Originaltext und deutscher Übersetzung; Verfügen über sprachliche Mittel, z. B. Ausspracheschulung und Förderung des Sprachflusses durch Singen oder Einführung einer grammatischen Struktur.

2 Interkulturelle kommunikative Kompetenz (z. B. Perspektivenwechsel durch Rollenspiel mit einem amerikanischen Hip-Hop-Star).

3 Text- und Medienkompetenz (z. B. Analyse typischer Merkmale eines Rap-Musikvideos […].

4 Sprachbewusstheit (z. B. Sensibilisierung für kolloquiale Varianten von Songtexten […].

5 Sprachlernkompetenz (Reflexion und Vertiefung der Sprachlernprozesse durch autonome Nutzung von Online-Musikvideo-Portalen).98

Ludovic Gourvennec bettet den Liedeinsatz in den Kontext des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens ein:

Dans le CECRL, la compétence pragmatique „recouvre l’utilisation fonctionnelle des ressources de la langue (réalisation de fonctions langagières, d’actes de paroles) en s’appuyant sur des scénarios ou des scripts d’échange interactionnels. Elle renvoie également à la maîtrise du discours, à sa cohésion et à sa cohérence, au repérage des types et genres textuels, des effets d’ironie, de parodie.” Elle aborde donc l’au-delà du texte, son inscription dans le contexte, et elle s’avère primordiale dans l’appréhension d’une chanson […]. Et le CECRL apporte une précision importante pour notre étude : „Plus encore pour cette composante que pour la composante linguistique, il n’est guère besoin d’insister sur les incidences fortes des interactions et des environnements culturels dans lesquels s’inscrit la construction de telles capacités.”99 (2001:18).100

Eine weitere wichtige Entwicklungslinie zum Musikeinsatz im Fremdsprachenunterricht der letzten Jahre zeigt sich durch die Europäisierung der bilingualen Sachfachdidaktik und die Entwicklung des europäischen Konzepts des CLIL (Content and Language Integrated Learning) bzw. des EMILE (Enseignement d'une Matière par l’Intégration d'une Langue Étrangère).101 Im Rahmen des bilingualen Unterrichts wird das Schulfach Musik verstärkt in sogenannten CLIL- bzw. EMILE-Musikmodulen als Sachfach eingesetzt.102

Der hier beschriebene Forschungsstand zum Thema Musik im Französischunterricht zeigt, dass vor 1945, ja vor der neusprachlichen Reformbewegung das Thema bisher kaum beachtet und untersucht wurde. Gabriele Blell beginnt zwar ihren o. g. Beitrag zu Musik mit der Feststellung:

Die Idee von Musik im Fremdsprachenunterricht ist seit Wilhelm Viëtor in der neusprachlichen Didaktik gängig und zunehmend auch unterrichtliche Praxis geworden, zuerst im Anfangsunterricht des 5. und 6. Schuljahres (seit ca. 1882), später auch im fortgeschrittenen Fremdsprachenunterricht […].103

Es werden jedoch keine Beispiele angegeben oder Querverweise angeführt. Selbst Herbert Christ als ausgewiesener Experte für den historischen Bereich des Fremdsprachenunterrichts konstatierte im Jahre 2002:

Chansons erhielten erst spät jenes dauerhafte Hausrecht im Französischunterricht, das sie inzwischen zu haben scheinen. […] Ein Blick in die Inhaltsverzeichnisse der neusprachendidaktischen Zeitschriften von den 80er Jahren des 19. bis zu den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts ist aufschlussreich: das Thema Lied wird nur ganz selten angesprochen. In der Zeitschrift Die Neueren Sprachen findet man beispielsweise zwischen 1893 und 1944 zwei (!) Aufsätze zum Thema Chanson.104

Eine Ausnahme bildet nach Christ lediglich der Anfangsunterricht, bei dem er eine Quelle von 1915 zitiert:

In älteren Lehrplänen findet man gelegentlich empfehlende Hinweise zu einer anderen Weise der Beschäftigung mit Liedern im Unterricht. So liest man in einem Lehrplan von 1915, es sollten in der Unterstufe „einzelne Lieder, deren Singweise in der Gesangsstunde eingeübt werden, auch gesungen” werden. Doch dürfte es sich in der Regel um Volks- und Kinderlieder gehandelt haben.105

Diese spärlichen, ja parzellierten Hinweise zum Einsatz von musikalischen Elementen, sowohl in der Primär- als auch in der Sekundärliteratur,106 zeigen, dass eine möglichst lückenlose Aufarbeitung und Darstellung des Musikeinsatzes am Beispiel des Französischunterrichts im deutschsprachigen Raum ein dringliches Desiderat darstellt. Das Thema dieser Arbeit situiert sich an der Schnittstelle mehrerer Forschungsrichtungen, zwischen der Didaktik des Französischen, Literatur- und Sprachwissenschaft, Sprachgeschichte, Sprachphilosophie, politischer Ideengeschichte sowie Kulturwissenschaften. Sie kann damit als Bindeglied zwischen der Geschichte des Methoden- und Medieneinsatzes betrachtet werden.107

Analog zu Marcus Reinfrieds Monographie Das Bild im Fremdsprachenunterricht, die eine Geschichte der visuellen Medien am Beispiel des Französischunterrichts aufzeigt, ist auch die vorliegende Arbeit der historisch-genetischen Methode verpflichtet. Der zeitliche Rahmen der Arbeit umfasst die frühen Formen des Musikeinsatzes im Unterricht der Antike und endet mit dem Ausklingen der neusprachlichen Reformbewegung und dem Sieg der vermittelnden Methode am Vorabend des Ersten Weltkriegs 1914.108

Die Primärquellen sind Liedersammlungen für den Französischunterricht und vor allem Lehrbücher, in denen Liedtexte und gelegentlich auch die dazugehörigen Noten abgedruckt wurden. Die Sekundärquellen umfassen Publikationen zur Geschichte des Fremdsprachenunterrichts, Produkte eines Forschungsgebiets, in der die Zahl der fremdsprachendidaktischen Arbeiten in den vergangenen Jahrzehnten zwar erheblich zugenommen hat: Der Nachweis von Beispielen des Musikeinsatzes vor der neusprachlichen Reformbewegung hat sich jedoch angesichts der mageren Auswahl von (oft verschollenen) Primärquellen und auch Sekundärquellen als äußerst komplex und schwierig erwiesen. In verschiedenen Archiven und Nachlässen konnte ich allerdings wichtige handschriftliche Dokumente sichten, die dazu beigetragen haben, bisher vorhandene thematische Lücken in der Geschichte des Fremdsprachenunterrichts unter besonderer Berücksichtigung des Fachs Französisch zu schließen.109

Die Arbeit bezieht sich vorwiegend auf den deutschsprachigen Raum: zunächst auf Deutschland, da von hier wichtige methodisch-didaktische Neuerungen ausgingen. Weiterhin werden Österreich und die germanophone Schweiz einbezogen. Weitere wichtige Impulse gingen besonders von Frankreich und Italien aus. So werden in der vorliegenden diachronen Evolution auch intermediale und -personale Parallelen, Interdependenzen und Querverbindungen aufgezeigt.

Die vorliegende Arbeit gliedert sich in drei Teile, wobei die neusprachliche Reformbewegung (etwa 1880-1905) im Zentrum der Darstellung steht: Zunächst werden frühe Formen des Musikeinsatzes im Französischunterricht vor der neusprachlichen Reformbewegung untersucht (Kapitel I). Im Mittelpunkt der Arbeit steht der Musikeinsatz im Rahmen der neusprachlichen Reformbewegung (Kapitel II). Die umfangreiche Auseinandersetzung über den Einsatz französischer Lieder – sei es in Form von französischen Kontrafakturen bekannter deutscher Melodien oder original französischer Melodien – bildet den Abschluss dieser Arbeit (Kapitel III).

Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit ist ein dreifaches:110 Zunächst soll untersucht werden, wann, wo, zu welchen Anlässen sowie in welchen Unterrichtssituationen Musik eingesetzt worden ist. Zum zweiten beschäftigt sich die vorliegende Monographie mit der Art des Musikeinsatzes im Französischunterricht, d. h. den methodischen Funktionen: Welche Lieder wurden ausgewählt und warum? Wurden diese neu geschaffen oder adaptiert? Welche spezifische musikalische Formen wurden angewendet? Schließlich widmet sich die Arbeit der Frage, wie verschiedene Musikformen eingesetzt wurden, als Lückenfüller am Ende der Stunde oder als tragendes didaktisches Konzept? Welche personale Faktoren (Ausprägung der Lehrer- und Schülerschaft) sowie sachbezogene Faktoren (Lernziele, Inhalte, Unterrichtsmethoden und Medien) haben den Musikeinsatz gefördert und geformt? Welche Sozialformen und methodische Funktionen wurden durch Musik übernommen? Neben diesen internen Determinanten stellt sich auch die Frage nach externen Einflussfaktoren, die oft stärker sozialgeschichtlich geprägt sind (wie das Selbstbild schulischer Institutionen oder soziale Funktionen des Sprachenlernens): In welchem Bezug stand dabei der Musikeinsatz zu den Schülern und deren Alter? Wie sah der institutionelle Kontext aus: Wurden Lieder schulisch und außerschulisch eingesetzt? In welchen Schulstufen und -formen? Von welchen Lehrenden für welche Lernenden wurden welche Lieder verwendet? Gab es geschlechtsspezifische Unterschiede beim Liedeinsatz und wie spiegelt sich das in den Lehrwerken für Mädchen- bzw. Knabenschulen (z. B. Mittlere Mädchen- bzw. Knabenschulen) oder am Schultyp (Realschule, Oberrealschule, Realgymnasium, Gymnasium) wider? Sollte der Lehrende selbst musikalisch sein, singen können und ein Instrument spielen, um Lieder im Unterricht einzusetzen? Wie manifestieren sich kulturgeschichtliche Einflüsse (d. h. dem historischen Wandel unterworfene Erziehungs-, Lern-, Sprach- und Kulturkonzepte)?

Nach einem Aphorismus des deutschen Philosophen Odo Marquart „Zukunft braucht Herkunft”111 speist sich ein tiefgründiges Verständnis der Gegenwart, also des modernen Französischunterrichts, aus einer profunden Kenntnis und Analyse der historischen Zusammenhänge in ihrer diachronen Evolution. Deshalb soll abschließend mit der vorliegenden Arbeit auch gezeigt werden, dass heute gängige, verbreitete Konzepte und Unterrichtsformen beim Einsatz von Musik im Französischunterricht keinesfalls Produkte des 21. Jahrhunderts sind, sondern sich bereits in Ansätzen in der über 500-jährigen Geschichte des Fremdsprachenunterrichts manifestieren.112

I. Frühe Formen des Musikeinsatzes im Französischunterricht vor der neusprachlichen Reformbewegung
I. 1 Musik im Unterricht der Antike

Der Musikeinsatz im Unterricht steht in einer sehr langen Tradition weit vor Beginn eines Fremdsprachenunterrichts. In der griechischen Frühzeit gab es eine bewusste Erziehung vorrangig für den Adel und für Knaben. Platon unterscheidet zwei Bereiche: die Gymnastik für den Körper und die Musik für die Seele.1 An erster Stelle stand die „Zucht“ des Körpers und der Seele zum gewandten Kämpfer, wobei der Körper auch durch Wettkämpfe, Spiele und Tanz2 trainiert wurde. Diesem „gymnastischen“ Element war das „musische“ Element nachgeordnet, „die Bildung des ritterlichen Knaben durch Musik und Volkspoesie, durch die Weisheit der überlieferten Sagen […].“3 Musik, vor allem der Gesang, spielte auch eine Rolle in der Erziehung der Mädchen im Rahmen des Ideals der höfischen Gesellschaft, in der „der Frau als der hochgeachteten Hüterin aller edlen Sitten“4 eine spezielle Bedeutung zukam.

Als Leitfigur der antiken Erziehung gilt Homer, den Marrou auch als „Erzieher Griechenlands“ bezeichnet.5 Wie bei der homerischen Erziehung spielten Formen der Musik in der spartanischen Kultur eine entscheidende Rolle. Musik steht im Mittelpunkt der Kultur und sichert die Verbindung zwischen ihren verschiedenen Formen: „im Tanz reicht sie der Gymnastik die Hand, durch den Gesang trägt sie die Dichtung, die einzige archaische Form der Literatur.“6 Sparta war im 7. und zu Beginn des 6. Jahrhunderts v. Chr. sogar die musikalische Hauptstadt Griechenlands. Dort entstanden auch die beiden ersten Schulen der Musikgeschichte.7 In Sparta fanden musikalische Wettkämpfe aller Art statt, die von jeweils zwei Chören, einem von Knaben und dem anderen von verheirateten Männern ausgestaltet wurden.8 Außer dem Chorgesang spielte die Militärmusik in der Antike die Rolle unserer heutigen Trompeten und Trommeln und gab den Rhythmus für die gemeinsame Bewegung an. Marrou kommt zu dem Fazit, dass die gesamte antike Kultur und ihre Erziehung „mehr künstlerisch als wissenschaftlich [waren], und ihre Kunst war musikalisch, bevor sie literarisch und plastisch wurde. […] Derjenige, der (als Sänger und Tänzer zugleich) nicht in einem Chor seinen Platz ausfüllen kann, ist nicht wahrhaft erzogen.9“

Damit wird der Chor als gemeinstiftendes Element und dessen erzieherische Dimension hervorgehoben. Die musikalische Schulung hatte so eine moralische und disziplinierende Komponente, die dazu beitrugen, „die Jugendlichen zur ‚Selbstbeherrschung‘ zu erziehen, sie gesitteter zu machen, indem er [der Unterricht, A. R.] mit Eurhythmie und Harmonie ihre Seele erfüllte.“10 Chorgesang und Tanz gehörten auch zwingend zur Teilnahme von Schülern an Feierlichkeiten sowie Zeremonien; diese nahmen einen wichtigen Rang im Schulkalender ein, sie wurden amtlich festgelegt und ihr Besuch galt als „heilige Pflicht“.11 Gesang, Tanz und Poesie bildeten damit die Grundpfeiler von Lehre und Unterricht. Die jungen Athener lernten zwei Instrumente: Lyra und Oboe. Oft gab es neben dem eigentlichen Schulmeister, der das Schreiben und Lesen vermittelte, einen speziell bestellten Lehrer für das Lyraspiel und Musiktheorie.

Ein systematischer Fremdsprachenunterricht spielte während der Antike eine eher untergeordnete Rolle, da in vielen wohlhabenden Familien die Erziehung ihrer Kinder durch Ammen und Sklavinnen erfolgte. Es handelt sich hierbei um einen Erstspracherwerb und einen begleitenden Muttersprachunterricht in der griechischen Sprache. Marrou verweist auf die sorgfältige Auswahl der Kinderfrauen, „die Reinheit ihres sprachlichen Ausdrucks und ihrer Aussprache sollten dem Kind das Annehmen fehlerhafter Gewohnheiten ersparen, die man ihm später austreiben müßte.“12

Der (Erst-)Spracherwerb wurde beim griechischen Kind musikalisch vor allem durch Wiegenlieder, aber auch Ammengeschichten gefördert (Äsops Tierfabeln, Geschichten von Zauberinnen und Mythen). Obwohl die Ammen eine wichtige Erziehungs- und Lehrfunktion erfüllten, finden wir jedoch „kein Bemühen, all dies in einem regelrechten Unterricht zusammenzufassen.“13 Auch der folgende private Unterricht ist mit der Anwendung der Muttersprache verbunden, in der Elementarschule war hierbei ein einfacher Sklave beauftragt, der das Kind bei seinen täglichen Gängen zur Schule und nach Hause begleitete.14 Der Elementarunterricht bediente sich auch musischer Elemente. So nennt das griechische Kind zunächst die 24 Buchstaben beim Namen (Alpha, Beta, Gamma etc.), ohne die Zeichen vor Augen zu haben. Danach zeigt man den Kindern ein Alphabet aus Großbuchstaben, die in mehreren Spalten geordnet sind. Die Kinder sagen diese Liste her, nach Marrou in einem singenden Ton.15 Hierbei wird Musik als ein mnemotechnisches Hilfsmittel angewendet. Seit dem 5. Jahrhundert hatte man zu diesem Zweck ein Alphabet in vier Trimetern komponiert. Es handelt sich um den Vorläufer der Alphabetlieder bzw. der heute gebräuchlichen grammar songs / chansons grammaticales. Außerdem wurden aus den Buchstaben des Alphabets Entsprechungen mit „kosmischen Elementen“ erstellt: Die sieben Vokale ordnete man den sieben Noten der Tonleiter und den sieben Engeln zu, die den sieben Planeten vorstehen.16 Mit der Lektüre eng verbunden war die Rezitation. Die Stücke wurden nicht nur gelesen, sondern auswendig gelernt.17 Marrou berichtet darüber, dass „wenigstens die Anfänger die Gewohnheit gehabt haben zu psalmodieren, indem sie Silbe für Silbe vor sich hersangen.“18

Die römische Erziehung steht nicht nur in der Tradition der hellenistischen Erziehung, sie ist deren Fortsetzung, da Rom und Italien im Bereich der griechischen Kultur aufgingen. „Es gibt nicht hier eine hellenistische, dort eine lateinische Kultur, sondern […] nur eine ‚hellenistisch-römische‘ Kultur.“19 Der römische Adel ermöglichte seinen Söhnen eine allumfassende Bildung und das war für die Römer die griechische Ausbildung und Erziehung, die durch griechische Sklaven als Hauslehrer erfolgte. Es handelt sich hierbei um eine Art kommunikativen Unterricht mit dem griechischen Hauslehrer, um nicht nur die Aussprache, sondern die Kultur zu vertiefen. In den ersten Jahren lernte das römische Kind vom griechischen Hauslehrer oder der griechischen Amme griechisch zu sprechen, es handelt sich um eine Art direkte Methode. Latein wurde als weitere Erstsprache oder bisweilen auch erst als Zweitsprache vermittelt. Im Schulalter herrschte dann eine Diglossie-Situation. Das spiegelt sich in den zweisprachigen Schulbüchern zu Beginn des 3. Jahrhunderts, den Hermeneumata Pseudositheana20 wider. Hierbei handelt es sich um ein praktisches Handbuch zum Erlernen von Vokabeln mit einer Art Interlinearversion, die sowohl von Griechen als auch von Lateinern benutzt werden konnte. Die Texte in Dialogform sind in zwei Spalten aufgeteilt, wobei der griechische (Original-) Text links stand und die lateinische Übersetzung auf der gegenüber liegenden Seite. Die Anwendung von Musik im Unterricht wurde zurückgedrängt. Scipio Aemilianus spricht von Musik- und Tanzschulen nur in einer Kritik der Jugend für die „unanständige und schamlose Kunst,[…], die sich höchstens für Komödianten, aber nicht für Kinder von freier Geburt und erst recht nicht von senatorischem Rang schicke.“21 Somit kam es zu einer Abwertung des Einsatzes von Musik im Unterricht an römischen Schulen, das Studium von Musik wurde nur noch bei den jungen Mädchen als unterhaltende Kunst akzeptiert.22 Die musikalischen Künste gehörten zwar als notwendiger Bestandteil des Luxus und des eleganten Lebens zur Bildung, Musik und Tanz wurden jedoch reduziert oder zumindest vernachlässigt.

In der Antike und im Mittelalter war der Musikunterricht noch in den Schulfächer-Kanon der sieben freien Künste (septem artes liberales) eingebettet. Hierbei bedeutet der Begriff „ars“ nicht „Kunst“ im heutigen Sinne, sondern „Technik, Fähigkeit, Wissenschaft“. Diese Bezeichnung „freie Künste“ geht vermutlich auf Seneca zurück, der diese gegenüber den „praktischen Künsten“ (artes mechanicae) in seinem 88. Brief aufwertet: „Quare liberalia studia dicta sunt vides: quia homine libero digna sunt.“ („Du siehst, warum die freien Künste23 so genannt werden: weil sie eines freien Menschen würdig sind“).24

Martianus Capella bildet eine Brücke zum Mittelalter25 mit seinem um 400 erschienenen Werk De nuptiis Philologiae et Mercurii („Die Hochzeit der Philologie mit Merkur“). Die als Lehrbuch konzipierte Enzyklopädie hatte einen entscheidenden Einfluss auf das abendländische Bildungswesen. Die siebenbändige Enzyklopädie stellte den Kanon der sieben freien Künste dar.26

In der Tradition von Capella wurden die freien Künste oft als weibliche Allegorien mit spezifischen Attributen präsentiert. Die Abbildung Sieben freie Künste27 zeigt einen Auszug aus der Handschrift Tübinger Hausbuch (um 1450). Von links nach rechts erkennt man Geometrie, Logik, Arithmetik, Grammatik (in der Mitte), Musik, Physik (anstatt der Astronomie), Rhetorik (Abb. 1). Die den Allegorien zugeschriebenen Attribute und deren Positionierung sagen etwas über die Wertigkeit und Bedeutung der Künste aus. An der Spitze steht die Gramatica, die als Majestät mit Krone, gewissermaßen als Krönung der scholastischen Künste, dargestellt wird. Anstelle des majestätischen Königsinsigniums Zepter hält sie eine Art Peitsche in der rechten und einen Reichsapfel in der linken Hand.

Auf den spätantiken römischen Schriftsteller, Gelehrten und Staatsmann Cassiodor geht nicht nur der erste christliche mittelalterliche Lehrplan und die administrative Studienordnung (Institutiones28) zurück.29 Er gilt als Schöpfer der Einteilung der septem artes in ein Trivium und Quadrivium. Das Trivium („dreifacher Weg“) umfasste die drei Fächer, die sich auf Sprache und Logik beziehen. Diese bildeten die Grundlage für die lateinische Wissenschaftssprache und wurden selbst auch in der lateinischen Unterrichtssprache vermittelt.

Das Trivium umfasste

1 Grammatik, vor allem die lateinische Sprachlehre und Beispiele lateinischer Autoren und die Analyse bedeutender literarischer Werke;

2 Rhetorik als Redekunst, die Stillehre und Sprachunterricht beinhaltete, ebenfalls mit Beispielen bekannter antiker Autoren;

3 Dialektik als Lehre vom logischen Denken.

Zum Quadrivium („vierfacher Weg“) gehörten als Fortsetzung der sprachlichen Fächer des Triviums folgende Bereiche, die Teile der Mathematik umfassten und die harmonische Ordnung der göttlichen Schöpfung repräsentierten:

1 Arithmetik als Zahlentheorie und praktisches Rechnen;

2 Geometrie, die auch Geographie und Naturgeschichte umfasste;

3 Musik, vor allem Musiktheorie als mathematisches Phänomen und Studium der Kirchentonarten;

4 Astronomie als Lehre der Himmelssphären und ihre Auswirkungen auf den Menschen (Astrologie).30

Cassiodor steht hier in der Tradition von Anicius Manlius Severinus Boethius, einem der ersten Scholastiker. Boethius verfasste mehrere Traktate, Lehrschriften, Übersetzungen und Lehrbücher aller vier Fächer des Quadriviums.

In seinem Werk De institutione arithmetica (um 507) findet man erstmals den Begriff des Quadriviums zur Bezeichnung der oben genannten vier mathematischen Fächer.31 Diese Einteilung wurde für die mittelalterliche Schul- und Universitätsausbildung maßgebend. Hauptgewicht lag in der Schulbildung auf dem Trivium, oft blieb es beim Studium der Gramatica.32 Eine stärkere Einbeziehung der Rhetorik und Dialektik erfolgte dann erst in den Universitäten.33

Abb. 1:

Sieben freie Künste. In: Tübinger Hausbuch (um 1450). Bildnachweis: Tübinger Hausbuch. Handschrift. Universitätsbibliothek Tübingen, Md 2, fol. 320v. www.uni-tuebingen.de/uni/ndm/materialien/index.htmhttp://www.uni-tuebingen.de/uni/ndm/materialien/320v_Freie_Kunste.JPG

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