Kitabı oku: «Natürlich heilen mit Bakterien - eBook», sayfa 3

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Diese Mischung von Beobachtung, Fehldeutungen, Fantasie, Zeitgeist und Projektion ergab folgende Vorstellung: Es gibt einen abgegrenzten Menschen. Außerhalb des Menschen gibt es Krankheitserreger, die ihn ständig damit bedrohen, in den Körper einzudringen. Zur Abwehr dagegen hat der Körper ein Immunsystem. Bakterien geben angeblich obendrein Gifte ab, »Toxine«[5], die zerstörend wirken.28 Dagegen bildet der Organismus »Antikörper«. Schleim und Speichelfluss, so stellte man sich vor, dienten dazu, innere Oberflächen ständig von aus der Umwelt aufgenommenen Bakterien und deren Gifte »freizuspülen«.29

Gesundheit, so folgte daraus, bestehe darin, zu verhindern, dass krank machende Bakterien in den Körper gelangen können. Wird der Mensch krank und findet man Bakterien, handelt es sich um eine »Infektion«[6]. Krankheit wird also als ein von außen an den Mensch herantretendes Schicksal gedacht, und bei einer »Infektionskrankheit« gilt eine zugehörige Mikrobenart als Verursacher. Dies wird wiederum außerhalb des kranken Menschen diagnostiziert, nämlich durch Bakterienkultur im Labor. Ein von außen einwirkendes Mittel zur Bekämpfung dieser Bakterien in Menschen, das Antibiotikum, wiederum gilt dazu als Therapie. Heilung besteht in der möglichst »vollkommenen Desinfektion des infizierten Organismus«.30

Dieses Denkmodell und Menschenbild ist noch immer weit verbreitet, obwohl es längst überholt ist. Gute Hygiene, so folgte aus dieser Idee, besteht in weitgehender Befreiung des Lebens von Bakterien. Daraufhin setzte sich der Glaubenssatz »Steril ist gesund« in den Köpfen und Handlungen der allermeisten Menschen fest.

Wie widersprüchlich solch eine Vorstellung war, wird einmal mehr daran deutlich, dass man damals sehr wohl beobachtete, dass im gesunden Körper zahlreiche Bakterien leben. Man deutete sie jedoch als Schmarotzer, die sich von abgestorbenen Körperzellen ernährten, dadurch das Leben verkürzten und potenziell zu Krankheitserregern werden konnten. Folglich benannte man sie bei ihrer jeweiligen Entdeckung statt nach ihren typischen Eigenschaften gern nach der Krankheit, mit der man sie in Verbindung beobachtete, zum Beispiel Streptococcus pneumoniae[7].

Dieses im 19. Jahrhundert entstandene Lebensbild von Bakterien ist ein mit großer Tragweite für die Weltgesundheit entstandener Irrtum mit unerfassbaren Folgen für das Leben und die Zukunft der gesamten Erde.

[1] Zum Beispiel das Antimykotikum »Voriconazol«.

[2] Zum Beispiel bei »Ciprofloxacin«.

[3] Vom griechischen mónos für »einzig, allein« und lateinischen cultura zu colere »pflegen, bebauen«.

[4] Auch kurz E. coli. Benannt nach dem Kinderarzt und Bakteriologen Theodor Escherich (1857– 1911) und dem griechischen Wort kõlon für »Darm«.

[5] Als »Toxin« bezeichnet man in diesem Zusammenhang bakterielle Eiweiße, die von lebenden Bakterien an die Umgebung abgegeben (Exotoxin) oder aus zerfallenden Bakterien freigesetzt werden (Endotoxin). Heute weiß man, dass diese Toxine »mikrobielle Vitamine« sind, die als Botenstoffe das Gleichgewicht im Immunsystem aufrechterhalten.

[6] Vom lateinischen inficere, aus facere für »machen« und in für »in, hinein«.

[7] Pneumonie, die Lungenentzündung. Vom griechischen pneũma für »Wind, Atem, Luft«.

Antibiotische Mittel: Ein Missverständnis

Die Suche nach bakterientötenden Mitteln

Nachdem Bakterien zu Krankheits»erregern« von Infektionskrankheiten erklärt worden waren, die nicht nur Wundheilungsstörungen verursachten, wie man bereits länger glaubte, sondern auch Erkrankungen innerer Organe, suchte man nach Wegen, um sie im Körper zu beseitigen. 1877 hatte man die bakterientötende Wirkung von UV-Strahlen und 1892 die von elektrischem Licht entdeckt. Man unternahm mit Körperteilen Versuche zur Bakterienvernichtung durch Röntgenstrahlen und Uran, mit Radium und spezifischen Wellenspektren, mit α- und γ-radioaktiven Strahlen, mit Kurzwellen, Hochfrequenzströmen und mit elektrischem Gleichstrom.31 Sie alle scheiterten daran, dass der Mensch dabei zu große Schäden litt, bis die Bakterien wie gewünscht beseitigt waren.

Gleichzeitig suchte man nach bakterientötenden chemischen Stoffen. Der Erste, der ein chemisches Mittel gegen körperinnere Lebewesen entwickelte, war der Pathologe Albert Adamkiewicz (1850–1921). Er ging davon aus, dass Krebs von einem Parasiten namens Coccidium sarcolytus hervorgerufen werde, und entwickelte dagegen im Jahr 1890 aus Leichengift das »Cankroin«.32 Sein Werk wurde allerdings kaum gewürdigt.

In einem Arzneimittelbuch von 191633 werden noch vier Wege aufgezählt, Infektionskrankheiten zu behandeln: die vorsorgliche »Abhaltung der Organismen vom Körper«, die »Zustandsverbesserung der befallenen Organe«, eine »Bindung der produzierten Toxine« oder eine »unmittelbare Wirkung auf die Mikroben«. Vier Wege also, Heilung zu bewirken. Im Text behandelt wird jedoch nur der letzte. Dafür unterschied man »Antiseptika«, die bakterielles Leben hemmen, von den »Desinficientia«, die Bakterien töten. Zur Entfernung der »Fäulniserreger« aus dem Darm werden kräftige Abführmittel empfohlen.34 Die anderen drei Heilungsansätze werden nirgends weiter ausgeführt. Damit beschränkte sich die Arzneimittellehre auf die Beseitigung der Bakterien.

Die große Schwierigkeit dabei bereitete die generelle Wirkung der dazu eingesetzten Desinfektionsmittel, die nicht bloß die Einzeller, sondern zugleich auch Körperzellen schädigten. Man überlegte sogar, verschiedene Antiseptika gemischt anzuwenden, die alle zusammenauf Bakterien wirken, aber dabei verschiedene Körperorgane je nur ein bisschen schädigen. Darauf, eine Mischung verschiedener Einzeller als Heilmittel einzusetzen (siehe Seite 242ff.), wäre man im damaligen Denken im Traum nicht gekommen.

Stattdessen entstanden künstliche Stoffe. Paul Ehrlich (1854–1915) änderte im Jahr 1910 das altbekannte Arsen chemisch ab zum Arsphenamin, das den Wunsch nach Abtöten von Einzellern unter Erhalt von Körperzellen erfüllte. Es war gegen die Treponema pallidum wirksam, eine Spirochäte[1], die 1905 als Verursacher der Syphilis identifiziert wurde. Weil es durch eine chemische Strukturänderung einer natürlichen Substanz entstand, nannte man es ein »Chemotherapeutikum«. Mit diesem Mittel, dem »Salvarsan«, verdiente die herstellende Firma, die Farbwerke Höchst, im ersten Geschäftsjahr knapp drei Millionen Mark.35 Der Kampf gegen die Bakterien hatte die Farben- und chemische Industrie damit erstmals im großen Stile zum Partner der Medizin gemacht. Schon damals rief dies heftige Kritik bei den Zeitgenossen hervor. Es war eine Weichenstellung in der Medizin. Allein für die Entwicklung des Streptomycins, das 1947 auf den Markt kam, hatte die chemische Industrie Amerikas den beteiligten Forschungsstellen zuvor eine Million Dollar zur Verfügung gestellt.36

Der Erfolg dieser chemischen Therapie schien die Richtigkeit des eingeschlagenen Wegs zu bestätigen. Die »innere Desinfektion« bei bakteriellen Krankheiten erschien als die zukunftsweisende Medizin, folglich die Entwicklung chemisch-synthetischer Mittel dazu der geeignete Weg – bis heute. Diesem folgend, wurde im Jahr 1932 von Gerhard Domagk (1895–1964), einem medizinischen Forscher bei der I. G. Farbenindustrie in Wuppertal, die bakterienhemmende Wirkung der Sulfonamide entdeckt.[2] Dies galt als die lang ersehnte erste medizinische »Chemotherapie der bakteriellen Infektionen«.37

Der heute übliche Begriff »Antibiotikum« wurde erst ab 1942 benutzt und meinte damals »antimikrobiell wirkende Substanzen von Mikroorganismen«.38 Er entstand aus dem Missverständnis, Mikroben würden sich untereinander genauso verhalten wie die Menschen sich ihnen gegenüber, nämlich einander bekämpfen. Heute wissen wir, dass diese Substanzen Botenstoffe zur Kommunikation sind und Einzellern wie Mehrzellern ein gesundes Miteinander ermöglichen (siehe Seite 63ff.). Es war eine tragische Fehlbezeichnung. Damals unterschied man damit die natürlichen von den chemischen bakterientötenden Mitteln.

Heute wird die Bezeichnung »Antibiotikum« generalisiert für bakterienhemmende und -tötende Mittel natürlichen, halbsynthetischen oder chemischen Ursprungs verwendet. »Antibiose« meint die medikamentöse Therapie mit diesen Mitteln. Neuerdings wird vorgeschlagen, von »Antiinfektiva« zu sprechen. Wörtlich übersetzt heißt dies »gegen das Hineinmachen«. So ein Begriffswechsel ist jedoch kein Fortschritt, weil sowohl die Idee, gegen Bakterien zu behandeln als auch die, gegen eine Infektion, dem Irrtum unterliegt, Bakterien würden von draußen den Körper bedrohen und müssten beseitigt werden. Wie wir noch sehen werden, hilft erst ein anderes Verständnis von Gesundheit und Krankheit, die passenden Begriffe für wahre Wege in Bezug auf Bakterien und Heilung zu finden. Der Begriff »Chemotherapie« wird heutzutage für chemische Medikamente in der Krebsbehandlung verwendet.

Die Entwicklung des Penicillins

Dass der Londoner Bakteriologe Alexander Fleming (1881–1955) der »Entdecker des Penicillins« sei, wie landläufig behauptet wird, ist eines der Märchen, mit denen in der Bakteriologie zahlreiche angebliche »Helden« hervorgebracht wurden. Ein anderes rankt sich um »Streptomycin«, das erste bei Tuberkulose wirksame Antibiotikum. Es wurde durch Albert Schatz entdeckt, nicht durch Selman Waksman, der dafür 1952 den Nobelpreis erhielt39. Zum einen waren Schimmelpilze, aus denen man Penicillin zunächst zog, seit alters ein bewährtes Heilmittel (siehe Seite 177). Man hatte auch bereits lange beobachtet, wie arabische Stallknechte Pferdesättel in dunklen, feuchten Räumen lagerten, um das Leder zum Schimmeln zu bringen, weil dies die Wundheilung förderte, wenn die Beine der Reiter aufgescheuert waren.

Zum anderen war der »Antagonismus«[3] zwischen Schimmelpilz und Mikrobe längst wissenschaftlich bekannt und wurde bereits in den Lehrbüchern erwähnt.40 Er war bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts Thema zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen gewesen, und man wusste, dass auf einer Kulturplatte nach Pinselpilzen, wie Penicillium damals hieß, keine Bakterien mehr wachsen.41 In England, Deutschland, Italien, Russland sowie den USA hatten Ärzte mit den hemmenden Wirkungen verschiedener Schimmelpilzkulturen der Gattung Penicillium auf Bakterien experimentiert.

Der angehende französische Arzt Ernest Duchesne (1874–1912) schrieb schließlich im Jahr 1897 seine Doktorarbeit über die Wechselwirkungen bei Mikroben. In gemeinsamer Kultur mit Penicillium glaucum blieben je nach Nährstoffmilieu mal die Bakterien, mal die Pinselpilze am Leben. Spritzte er Penicillium jedoch im Tierversuch gleichzeitig mit »giftigen Kulturen pathogener Mikroben« wie Bacillus typhosus oder Bacterium coli in Meerschweinchen, wurde ihre gefährliche »Wirkung in so bemerkenswertem Maß verringert«, dass er vorschlug, diese Ergebnisse wegen ihres Nutzens für Hygiene und Therapie noch einmal zu wiederholen und zu kontrollieren.42 Dazu kam es jedoch nicht. Er starb mit 38 Jahren. Die Forschung interessierte sich derweil mehr für Impfungen mit Serumbestandteilen oder Bakterien in die Haut, um zu heilen (siehe Seite 185ff.).

Man isolierte auch andere Bakterien und Pilze, reicherte sie an und untersuchte, ob sie das Wachstum von »Krankheitserregern« änderten. Dabei stellte man immer wieder fest, dass Bodenpilze das Bakterienwachstum zu hemmen vermochten, allerdings waren die Pilze mit der stärksten Wirkung am seltensten.43 Man deutete dabei die feinen Signalbotenstoffe als Mittel »gegen das Leben« der jeweils anderen Art und übersah, dass sie in isoliert angereicherter Menge natürlich eine andere Wirkung zeigten als in ihrem natürlichen Miteinander. Darüber ging der Erste Weltkrieg ins Land.

Krieg in den Köpfen führt zum Krieg gegen Bakterien

Es ist interessant zu erkennen, dass die Entwicklung der Antibiotika schon früh mit politischem Gedankengut verflochten war. Bakterien wurden für staatliches menschliches Denken und Handeln vereinnahmt, sei es als Projektionsobjekte oder als unbewusste Rechtfertigung. Eine Zeitlang galt das Leben der Einzeller noch als verschieden deutbar. Die entscheidende Weichenstellung hin zur Antibiose fand interessanterweise genau in der Zeit statt, als auch die Kriege im 20. Jahrhundert durch die Köpfe von Wissenschaftlern, Entscheidungsträgern, Bevölkerung und Europa zogen. Das Prinzip der Ausrottung von Leben galt daraufhin allgemein als berechtigt. Womöglich half das Gefühl, die Bakterien besiegen zu können, über das Empfinden anderer Niederlagen hinweg?

Aus solch einer antibiotischen Perspektive wurden Forschungstexte sogar im Rückblick verfälscht. So legte im Jahr 1966 der leitende Professor für Mikrobiologie in Wien, und Mitentwickler des PenicillinsRichard Brunner (1900–1990), dem Arzt und Botanikprofessor Anton de Bary (1831–1888) in den Mund, er habe im Jahr 1879 den Begriff »Antibiose« geprägt.44 Tatsächlich beschreibt de Bary damals in Die Erscheinung der Symbiose[4] bloß seine Erkenntnisse zum »eigenthümlichen Genossenschaftsverhältnis« ungleicher Pflanzen. Er entdeckte, dass Flechten eine Gemeinschaftsbildung aus Pilzen und Algen sind.45 Da, wo auch er, dem Zeitgeist folgend, einen »Kampf« zwischen Parasiten und Wirt deutet, spricht er von »Antagonismus«, übersetzt: »Wechselwirkungen«. Die Frage, wie denn die Lebewesen zueinander stehen, wurde zu Barys Zeiten erst noch intensiv erforscht. Erst mit und nach den Weltkriegen wurde das Miteinander von Bakterie und Mensch tatsächlich ebenfalls zum Krieg.

Dass man damals die Wahl hatte, einen bakterienfreundlichen Weg zu gehen, kann man daran ablesen, dass de Bary selbst bereits im Jahr 1885 die Bakterien im menschlichen Körper als »unschädliche Gäste, Wohnparasiten«[5] und »selbst nützliche Beschützer gegen die Invasion störender Gährungserreger« beschrieb, also genau so, wie wir es heute neu als hilfreich erkennen.46

Die aus der Bakterie Pseudomonas pyocynea gewonnene und »Pyocyanase« genannte Substanz war die erste antimikrobielle Substanz aus natürlicher Herkunft, deren antibakterielle Wirkung sich therapeutisch bewährte. Sie wurde schließlich ab 1928 durch das sächsische Serumwerk Dresden als Medikament hergestellt. Im selben Jahr zeigte sich dem – später im Rückblick berühmt gemachten – Alexander Fleming beim Züchten von Bakterien im Labor die hemmende Wirkung des Pinselpilzes. Aus dem Filtrat der Pilzkultur gewann er die Substanz, die das Wachstum der Bakterien hemmte, und nannte sie »Penicillin«. Er fand diese Entdeckung bloß »an sich« interessant und verfolgte sie nicht weiter. Erst zehn Jahre später, mit einer seit Kriegsbeginn 1938 aufflammenden Kampfesstimmung einhergehend, griff man diese Forschungsergebnisse wieder auf.

Bis schließlich daraus dann das Medikament Penicillin wurde, vergingen noch Jahre. Zahlreiche Forscher in Europa und Amerika befassten sich mit der Isolierung, Reinigung und Anreicherung des Penicillins, um eine therapeutisch ausreichende Menge reiner Substanz zu erhalten. Diese Forschung geschah während des Zweiten Weltkriegs unter großer Geheimhaltung, da man hoffte, mit Antibiotika Wunden und Infektionen der Soldaten zu kurieren und sich somit militärischeVorteile zu verschaffen. In England und den USA überwachten regierungseigene Agenturen den Wissensaustausch über Produktionsweisen und Neuigkeiten.47 Erst im Jahr 1941 waren die erforderlichen Prozesse so weit entwickelt, dass versuchsweise Patienten mit einer ausreichenden Menge Penicillin behandelt werden konnten. Mit Erfolg. Kaum bewährt, begann die industrielle Produktion. Die Substanz war anfangs so kostbar, dass man den Urin der Behandelten sammelte und, da Antibiotika den Organismus zum größten Teil unverändert wieder verlassen, das darin ausgeschiedene Penicillin wieder daraus extrahierte.48 Im Jahr 1947 zahlte man auf dem Nachkriegsschwarzmarkt in Deutschland für eine einzige Ampulle 5000 Zigaretten, derweil ein Zentner Kohle nur vierzehn Zigaretten kostete und ein Stück Butter 250.49

Inzwischen begann ein Wettsuchen um das Auffinden weiterer antibakterieller Substanzen. Die man gefunden hatte, wirkten ja nur gegenüber einem Teil der Bakterien. Nachdem man wusste, dass sie in Pilzen vorkamen, besorgten Forscher sich Erdbodenproben aus aller Welt, isolierten daraus, was sie konnten, fanden Zehntausende von Mikrobenarten in Komposthaufen, Marmeladengläsern, Säften und Früchten, und prüften, welches Bakterienwachstum womit gehemmt werden konnte. Mal wurde man in einer Bodenprobe aus Venezuela fündig,[6] mal in Wundeiter[7] oder in einem Abwasserkanal[8].

Mikrobenjagd macht Menschen blind

Man jagte damals die Mikroben gleich in zweierlei Richtung: Man suchte die einzelnen »Krankheitserreger« der verschiedenen Krankheiten, und man suchte die Mikrobenstämme, aus denen man Substanzen zum Bekämpfen Ersterer isolieren konnte. Mikrobenjäger hieß dann auch das 1926 in Amerika erstmals erschienene und jahrzehntelang in Hunderttausenden Exemplaren und zahlreichen Übersetzungen verbreitete erste für jedermann geschriebene Buch über die Geschichte der Bakteriologie. Der Autor war Professor für Bakteriologie und arbeitete unter anderem am Pasteur-Institut in Paris und am Rockefeller-Institut in New York. Im Vorwort der 13. deutschen Auflage von 1937 heißt es über die Forscher: »Helden …, nicht geringer als die bewunderten Helden der Kriege, werfen doch auch sie ihr Leben in den Kampf, in ein mutiges, verbissenes Ringen gegen heimtückische, unfassbare Menschheitsgeißeln … Sie retten geheimnisvoll Tausende, vielleicht Millionen von Menschenleben, die früher als Opfer würgender Seuchen dem ebenso geheimnisvollen Angriff winziger Mikroben erlagen.« Und: »… die uns auch eine Befreiung und ein Neuland erkämpften: ein gesundes, längeres, schöneres Leben.«50

So kann man sich irren. Interessanterweise fragten die Antibiotika-Forscher sich nicht, welche Aufgabe die von ihnen gefundenen Substanzen natürlicherweise bei Pilzen und Bakterien hatten. Man sah im Labor die erwünschte hemmende Wirkung auf mutmaßliche »Krankheitserreger« und bewertete sie zielgerichtet nach dem selbst erklärten Zweck. Hätte man die Frage nach ihrem eigentlichen Sinn gestellt und wäre man bereits damals auf die Idee gekommen, dass diese »Antibiotika« in Wirklichkeit Signalbotenstoffe der Mikroben untereinander für einen gesunden Dialog zur Verständigung zwischen Zellen sind, hätte man sie vielleicht klüger eingesetzt.

Dann hätte man vielleicht auch schneller bemerkt, dass es schwerwiegende Folgen für einen Lebensraum hat, wenn man sich ungefragt in die Kommunikation der kleinsten dort lebenden Wesen einmischt.

Stattdessen trafen mit dem kriegerischen Propagandavokabular der Weltkriege wiederum martialisches Gedankengut und bakteriologische Forschung zusammen. Die Beziehung, in die der Mensch sich dadurch zu den Bakterien setzte, entsprach den diktatorischen politischen Kräften der damaligen Zeit. Man entnahm sie und ihre Stoffe, laborierte damit nach Gutdünken und versuchte, ihr Dasein zu beherrschen. Statt eines respektvollen Miteinanders, wie man es zwischen dem Menschen und seinem Ursprung erwarten könnte, prägt ein liebloses Dominieren und Manipulieren seither die medizinische Mikrobiologie. Dass Einzelne den Spieß heute umdrehen und die Mikroben als »Herrscher der Welt« bezeichnen,51 macht deutlich, wie weit entfernt man immer noch von der Wahrheit des Miteinanders ist.

Um eine therapeutische Wirkung zu erzielen, mussten die ausfindig gemachten Substanzen labortechnisch gereinigt und stark angereichert werden. Dazu züchtete man die »Produzenten«stämme im Labor in speziellen Nährlösungen und manipulierte sie auch zwecks größerer Ausbeute. Schließlich konnte man einzelne Substanzen chemisch verändern, woraus die »halbsynthetischen« Antibiotika entstanden. Der Eingriff in das Zwischenzell-Leben wurde dadurch noch entfremdender.

Man merkte zwar sehr deutlich, dass der Einsatz von Mitteln, die im Körper auf Bakterien zielen, für den Patienten von Gefahren begleitetwar, viele Nebenwirkungen hatte und keine echte Stärkung des Kranken bedeutete. Todesfälle unter den so Behandelten und das Auftreten von Bakterienresistenzen riefen früh schon Kritiker wach. Das allein reichte jedoch nicht aus, um die Bakterienbekämpfung an sich zu hinterfragen.

Wie antibiotische Mittel wirken

Antibiotische Medikamente, die gegen Bakterien gerichtet sind, haben unterschiedliche Wirkmechanismen:[9] Sie greifen in Lebensprozesse im Bakterium ein und stören damit ihr Leben, ihre Vermehrung oder ihre Aktivität. Wird dabei die Vermehrung der Bakterien gehemmt, spricht man von »bakteriostatischer«[10], werden sie getötet, von »bakterizider«[11] Wirkung. Manche blockieren den Zellwandaufbau, sodass Bakterien bei der Teilung sterben, weil die neu gebildeten Zellwände missgestaltet und zu durchlässig für den Zellinhalt sind. Andere blockieren die Ablesung der genetischen Information in der Bakterie, sodass Entstehungsschritte für Stoffwechselprodukte unmöglich werden, und der Einzeller stirbt. Wieder andere stören die Eiweißbildung, wodurch in der Bakterie missgebildete Eiweiße entstehen, die einen tödlichen Mangel verursachen. Oder es wird die Bereitstellung von Mikronährstoffen zum Beispiel der Tetrahydrofolsäure innerhalb der Zelle verhindert, woraufhin die Gene der Bakterie nicht mehr abgelesen werden können, was das Weiterleben der Art unterbindet.

Diese Form der »Unterhaltung«, die der Mensch mit den Bakterien eines kranken Körpers mit ursprünglich bakteriellen Botenstoffen pflegt, ist ziemlich barbarisch. Bedenkt man, dass sowohl Einzeller untereinander (siehe Seite 66ff.) als auch mit Körperzellen (siehe Seite 80ff.) ständig über Signale in Kontakt stehen, ist klar, dass dies von den Zellen beantwortet wird.

Mit der Zeit wurde das »Antibiotikum« zum Inbegriff des Beseitigungsmedikaments. Allen Widersprüchen, Nebenwirkungen und Resistenzen zum Trotz erhielt es eine positive Bedeutung und galt bis in die sechziger Jahre hinein als das »Wunder«mittel schlechthin. Keine andere Medikamentengruppe wurde so emotional besetzt. Es erschien wie gesagt als das Mittel zur Rettung der Menschheit. Das erklärt auch, warum ihr Einsatz sich nicht auf die Medizin beschränkte, sondern es zu einer einzigartigen Entwicklung kommt, nämlich dass etwas, was als Medikament für ernsthaft Erkrankte entwickelt wurde, schließlich zu einem Konzept wird, das den gewöhnlichen und gesunden Alltag der Menschen tränkt. »Antimikrobiell« klingt in den Ohren der meisten Menschen gleichlautend mit »gesund«. Wobei bei der Werbung mit »antimikrobieller Wirkung« nicht einmal nachgewiesen werden muss, dass dieser Effekt auch tatsächlich eintritt.52

Massen von Konsumartikeln werden trotzdem antibiotisch präpariert, ob Tennissocke, Computertastatur oder Kühlschrank, von Bettzeug über Handseife bis zu Zimmerfarben. Man muss mittlerweile schon gründlich suchen, um Einlegesohlen zu finden, die nicht antibakteriell imprägniert wurden. Duschschläuche, Schneidebretter, Kinderspielzeug, sogar Besteck und Geschirr gibt es »antimikrobiell«. Kaum ein Lebensbereich wird davon ausgespart. Im Jahr 2016 waren in Deutschland mehr als 30 000 »Biozid«-Produkte zugelassen, im Jahr 2009 waren es noch 18 000.53 Sie werden damit beworben, dass sie »befreien«, »abhalten«, »beseitigen«, »schützen« und »hygienisch« seien und »ein gutes Gefühl« geben. Alles positive Aspekte, die jeder Mensch sich wünscht. Leider am falschen Platz, denn beim pauschalen Beseitigen von Bakterien ist genau das Gegenteil der Fall, wie wir noch sehen werden.

Das gilt auch für den überflüssigen Ersatz des gründlichen Händewaschens mit Seife durch Handdesinfektion. Der Gesamtverbrauch an Händedesinfektionsmitteln stieg bei tausend Kliniken, die in Deutschland dafür registriert wurden, von 2008 bis 2015 um 81 Prozent, »ein positiver Trend, den es«, so die verantwortliche Professorin, »zu halten und weiter zu steigern gilt«.54 So klafft die Schere zwischen dem Wissen um Bakterien und falsch verstandener Hygiene immer weiter auseinander. Der Einsatz von Desinfektionsmitteln im Haushalt ist völlig überflüssig.55 Hygienisch ist nicht die Beseitigung der Bakterien aus einem Lebensraum. Hygienisch ist die passende Bakterienvielfalt und -mischung mit ihrer gesunden Aktivität und Kommunikation am jeweiligen Ort.

Mittlerweile wird der Begriff »antimikrobiell« derart grob verallgemeinert, dass schier alles damit gemeint ist, was irgendwie die Bakterienzusammensetzung irgendwo in einem Lebensraum verändert. Als sei dies von besonderem Wert, heißt es nun im Zusammenhang mit allem Möglichen stolz, es wirke auch »antimikrobiell«. Küchengewürze, Gartenpflanzen, Edelsteine, Öle, Textilfasern, Schlafanzüge,Schmuck – oft sind es sogar Naturprodukte, die jetzt durch solch eine Brille fokussiert werden. Mit Buchtiteln wie Antibiotika aus der Natur wird unterstellt, in der Natur gäbe es einen Kampf gegen das Leben. Was für ein Unfug angesichts der Tatsache, dass Leben immer aus seinem lebenspendenden Ursprung heraus und im Miteinander lebt! Oft genug findet man in solchen Büchern bloß Auflistungen von allerlei Heilmitteln aus der Natur. Als sei, was heilt, automatisch »keimtötend«, ein Begriff, der dabei meist völlig aus der Luft gegriffen und gänzlich unwissenschaftlich verwendet wird. Vollkommen unbedacht wird dabei der Natur im aktuellen 21. Jahrhundert noch einmal neu das aus der Entfremdung von der Natur im 19. Jahrhundert entstandene Denkkonstrukt übergestülpt.

Vor den Hintergrund, dass in der Natur alles miteinander lebt, kooperiert und es dabei Kommunikation und Regulation gibt, muten solche Bezeichnungen geradezu grotesk an. Nicht jede Fähigkeit eines Stoffes, zu wirken, selbst wenn sie eine Bakterienbesiedelung beeinflusst, ist mit einer »Bekämpfung« gleichzusetzen. Jede Veränderung eines Milieus bringt veränderte Lebensbedingungen mit sich, denen eine gewandelte Bakterienzusammensetzung folgt. Das ist Lebensgesetz. Wenn eine Pfütze austrocknet und da, wo vorher Wasserläufer und Mückenlarven lebten, Gras wächst, auf dem Marienkäfer krabbeln, würde ja auch niemand behaupten, die Marienkäfer hätten die Mückenlarven bekämpft. Oder wenn ein ausgetrockneter Gartenteich, in dem sich Ameisen und Spinnen tummeln, wieder mit Wasser gefüllt wird und sich dann Kaulquappen und Fische darin finden, käme auch niemand auf die Idee zu sagen, die Kaulquappen hätten die Spinnen bekämpft.

Genauso wenig »kämpfen« Heilmittel. Die Verwendung von Heilpflanzen und Heilsteinen unterscheidet sich grundlegend vom Einsatz der »Antibiotika«. Erstere beeinträchtigen die natürliche Bakterienbesiedelung nicht, während sie das Milieu regulieren. Das jedoch ist bei Letzteren in schwerwiegender Weise der Fall.

Was Bakterienbeseitigung für den Menschen bedeutet

Nimmt ein Mensch ein Antibiotikum, verändern sich in seinem ganzen Körper Bakterienzusammensetzung und -aktivität. Es kommt zu einem individuell unterschiedlich stark ausgeprägten Mikrobiomschock. Diese Veränderung ist unwiderruflich. Wissenschaftliche Studien zur Veränderung des Darmmikrobioms nach Antibiotikagabezeigen übereinstimmend, dass direkt nach der Einnahme des Mittels, egal ob örtlich aufgetragen, eingenommen oder intravenös gespritzt, die Anzahl der Bakterien abnimmt, und zwar im gesamten Körper. Nutzt man also an Zähnen ein Antibiotikum, kann dies die Vaginalflora verändern. Antibiotische Vaginalzäpfchen können die Mundflora verändern. Auch die Zahl der verschiedenen Bakterienarten nimmt dabei ab, zum Beispiel um 50 Prozent im Darm.56

Dabei wird die Zusammensetzung der Bakterienarten im Mikrobiom verschoben, und einige Stämme verschwinden. Sie werden vielleicht durch andere ersetzt. Die Verhältnisse der verschiedenen Arten untereinander ändern sich grundlegend. Neu zu finden sind resistenzaktivierte Stämme. Lässt man per Computerbild die als Punkte in einer Tabelle aufgeführten Veränderungsdaten direkt optisch aufeinanderfolgen, zeigt sich ein wilder Zickzackkurs, bis sich das Mikrobiom allmählich mit einer neuen Zusammensetzung woanders stabilisiert als zuvor.57

Folgt auf eine kurze Antibiotika-Einnahme eine Erholungszeit, kann sich in einem gesunden Milieu die Bakterienmenge aus den verbliebenen Bakterien wieder vermehren, und die Funktionsfähigkeit des Mikrobioms wird so gut wie möglich wiederhergestellt. Die verbliebenen Bakterienstämme können ersatzweise Aufgaben der verschwundenen Stämme übernehmen, womöglich aber nicht in der gleichen Aktivität. Abhängig von den persönlichen Lebensumständen, kann nach einigen Wochen oder Monaten ein zwar verändertes, aber funktionsfähiges Mikrobiom wiederhergestellt sein.

In Studien wurde die Zusammensetzung der Darmbakterien bis zu vier Jahren nach einer antibiotischen Therapie beobachtet. Eine vollständige Rückkehr zum ursprünglichen Mikrobiom gibt es dabei nie.58

Nimmt man allerdings in der Erholungsphase, beispielsweise binnen eines halben oder eines Jahres, erneut ein Antibiotikum, kommt es zu keiner Wiederherstellung mehr. Die Verschiebung der Arten sowie die Verminderung in Vielfalt und Fülle bleiben in größerem Maße bestehen und können langfristig Störungen der Gesundheit in allen Organen mit sich bringen, da sie auf die Zusammenarbeit mit den Bakterien angewiesen sind. Bekanntlich folgen daraus Durchfälle und Unverträglichkeiten und schließlich chronische Reizdarmsymptome. Weniger bekannt sind Stoffwechselstörungen wie Übergewicht oder Diabetes. Es kann auch zu einer allgemeinen Infektanfälligkeit, Unverträglichkeiten und zu psychischen Störungen kommen. Typischerweise wiederholen sich Infektionen von da an immer wieder.

Es gibt weltweit mittlerweile achtzig Antibiotikaklassen. Viele weitere sind in Entwicklung.59 Daraus waren im Jahr 2014 beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte 2429 verkehrsfähige Antibiotika zugelassen. Geschätzte 650 Tonnen Antibiotika wurden im Jahr 2011 in Deutschland von Menschen aufgenommen. 1706 Tonnen gebrauchte man in der Tierhaltung, wovon über Lebensmittel immer wieder Spuren auch beim Menschen landen. Vierzig Millionen Antibiotika-Verordnungen wurden im Jahr 2013 bei Krankenkassen abgerechnet, gut ein Drittel der Versicherten erhielt mindestens eine Antibiotika-Behandlung im Jahr, bei den vier- bis sechsjährigen Kindern sind es 41 Prozent, bei den über neunzigjährigen Menschen etwa jeder zweite.60 Dabei ist bei Kindern ein stabiles Mikrobiom für eine gesunde Entwicklung unerlässlich, und alte Menschen haben ohnehin bereits eine verringerte Bakterienvielfalt im Körper, was sie anfälliger sein lässt (siehe Seite 96ff.).61 Ein zusätzlicher Mikrobiomstress bringt im Alter ein geschwächtes Zusammenwirken zwischen Einzellern und Körperzellen womöglich völlig zum Erliegen, mit unter Umständen schwersten Folgen. Gerade dann ist eine mikrobiologische Therapie oft heilsamer, um das Wohlbefinden wiederherzustellen.

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