Kitabı oku: «In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber», sayfa 2
Mein Patenkindchen
Was man doch nicht alles erleben kann, sogar mitten im einsamen Walde! Ihr wisst, die letzten Tage war kaltes Wetter eingefallen, und es fror Stein und Bein. Nun, mir hat es nichts getan. Ich habe einen tüchtigen Eichenklotz ans Feuer gelegt und habe es draußen stürmen und schneien lassen nach Herzenslust. Gestern Mittag hatte es sich etwas aufgehellt, und ich hatte einen kurzen Gang gemacht durch das Tannicht, um zu sehen, ob die Meisen noch Hanfsamen in ihrer Vogelglocke haben. Es ist eine richtige Berlepsche Vogelglocke von rundem Glas, in das man Hanfsamen schüttet. Der Samen bleibt schön trocken und fällt langsam durch die untere Öffnung in ein Schälchen, das darunter befestigt ist.
Dann kommen die kleinen Meisen und klammern sich mit ihren geschickten Zehen an das Schälchen und knuspern den fetten Samen. Oh, das tut ihnen so gut in der Winterkälte! Ihr könntet auch eine solche Meisenglocke aufhängen in eurem Garten. Meine Glocke war noch halbvoll, und Herr Meis und Frau Meise haben sich bereits bestens bedankt.
Als ich heimging, kratzte ich mir ein Flöckchen Moos von dem alten, grauen Stein, der neben der Klause liegt. Ich nahm es mit herein und legte es auf den Tisch. Dann holte ich ein dickes, gelehrtes Buch, um den Namen der Moospflänzchen nachzuschlagen. Sie sind nicht leicht zu bestimmen, und gerade die kleinsten Pflänzchen haben die längsten Namen, in die man sie wohl zehnmal einwickeln könnte. Als ich das Moos nun auseinanderzerrte, hörte ich ein ganz leises, feines Stimmchen; ich bin nämlich sehr scharfhörig.
Es rief: »Nun drück mir doch mein armes Bäuchlein nicht platt!« Ich war sehr verwundert, denn ich sah nichts, so genau ich auch durch meine Brille hinschaute. »Wer bist du denn?«, fragte ich.
Da sagte das Ding: »Was? Kennst du mich nicht? Ich bin doch dein Patenkindchen.«
»Ei«, sagte ich, »wie heißt du denn?«
Die Antwort kam ganz feierlich heraus: »Ich heiße Hypsidius Wibbelti.«
Da fiel es mir ein. Es war früher einmal ein ganz gelehrter Pater bei mir gewesen, der immer auf der Jagd ist nach den winzig kleinen Moostierchen. Er kennt sie alle mit Namen, diejenigen ausgenommen, die noch gar keine Namen haben, weil noch kein Mensch sie entdeckt hat. So hat er auch in dem Moose an meiner Kirchenmauer ein unbekanntes Moostierchen gefunden. Weil er ein sehr höflicher Mann ist, hat er mir die Ehre angetan, es nach mir zu taufen. Gesehen hatte ich dies Patenkindchen noch nie, es ist auch nur ein Fünftel von einem Millimeter lang.
»Bist du denn das kleine Krüperchen«, so fragte ich, »das der gute Pater Gilbert entdeckt hat?«
Da wurde das kleine Ding patzig und murrte: »Pater Gilbert hat mich allerdings aufgefunden, aber ein Krüperchen bin ich nicht, wenn ich auch nicht so ein ungeschlachter Riese bin wie du.«
»Wir wollen uns nicht zanken, liebes Patenkindchen«, sagte ich, »aber ich möchte dich gern einmal sehen. Wo bist du denn?«
»Hier«, piepte es ganz fein, »mach deine großen Glotzaugen doch besser auf!«
Da kam die gute Frau Eule mir zu Hilfe. Sie lieh mir ihre grüne Bille, und als ich sie über meine eigene setzte, da sah ich wirklich den klitzekleinen Hypsidius Wibbelti. Ach, du lieber Himmel, wie winzig klein war er doch! Er hatte ein walzenförmiges Körperchen von brauner Farbe, bedeckt mit kleinen Warzen. An den sechs kurzen Beinen sah ich je zwei Krallen. Fünf Gürtel wie kleine Tonnenbänder hatte er sich um den Leib geschlungen. Schön war er gerade nicht, aber das habe ich dem kleinen Ding nicht gesagt, um es nicht verdrießlich zu machen. Auch die allerkleinsten Moostierchen sind ein bisschen eitel, gerade wie kleine Mädchen. Als ich mit dem Finger das Moos glattstrich, fing es an zu schreien: »Nimm doch den dicken Baumstamm weg! Oder willst du mich umbringen?«
Ich sagte: »Das ist kein Baumstamm, das ist mein Zeigefinger.«
»Einerlei«, piepte es, »nimm das wüste Ungetüm weg!«
Ich war nun ganz behutsam und fragte: »Warum hast du mich noch gar nicht besucht? Wohnst doch so nahe vor meiner Klause!«
Da murrte es: »Ich habe dich schon dreimal angerufen, als du vorbeigingst; aber du hast mich nicht gehört! Ihr habt so grobe Ohren!«
Ich sagte: »Nun sei artig, kleiner Hypsidius Wibbelti! Und dann sag‘ mal, ist es dir draußen nicht zu kalt?«
Da lachte er laut auf: »Hier in deiner Klause ist es freilich schön warm. Das gefällt mir wohl besser. Aber das bisschen Frost macht mir gar nichts. Ich ziehe mich zusammen und schlafe. Dem Pater Gilbert bin ich aber böse. Er hat mich einmal in 150 Grad unter null gebracht, und dabei ist mir eine Zehe erfroren am rechten Vorderfuße. Ich bin aber doch lebendig geblieben.«
Ich wunderte mich über diese Zähigkeit und sagte: »Wie kannst du dann die Sommerhitze aushalten, wenn die grelle Sonne auf deinen Stein prellt?«
Da lachte es wieder: »Oh, das tut mir auch nichts. Ich werde staubtrocken und schlafe wieder, bis ein Regen fällt und mich anfeuchtet. Dann werde ich wieder wach und strecke mein Beinchen.«
»Na«, sagte ich, »wenn wir das auch so könnten, dann könnten wir viel Holz und Kleider sparen und Essen dazu.«
»Ihr könnt auch nichts vertragen«, sagte der kleine Wicht verächtlich.
»Was isst du denn?«, fragte ich.
»Ich esse den süßen grünen Brei in den Moospflänzchen. Oh, der schmeckt lecker! Willst du ihn mal probieren?«
Ich bedankte mich und sagte, ich hätte schon gefrühstückt und augenblicklich gar keinen Appetit.
»Dann bringe mich wieder auf meinen Stein zurück«, sagte der Hypsidius, und ich tat ihm seinen Willen.
Ihr müsst das Tierchen aber nicht stören, liebe Kinder! Es schläft jetzt wieder.
Fastnacht
Im Walde geht es oft anders zu als in der Welt, mitunter gerade umgekehrt. In der Welt feiert man Fastnacht vor der Fastenzeit, im Walde ist die Fastenzeit vor Fastnacht. Denn wenn erst Fastnacht ist, wird das Wetter schon besser, und die Tiere und Vögel finden wieder Futter. Vorher aber, um Weihnachten und Neujahr, wenn der Boden hartgefroren ist oder dicker Schnee liegt, dann ist Fastenzeit im Walde. Fastnacht aber feiert man zur richtigen Zeit, wie es sich gehört, und diesmal war die Fastnachtsfeier besonders lustig und endete besonders traurig. Ich muss euch das mal erzählen.
Weil ich noch ein Neuling bin in Waldsachen, so wusste ich nicht, wie es mit der Fastnacht dort gehalten wurde. Ich erkundigte mich gelegentlich bei meinen sieben Zwergen, die mir gerade Holz spalteten und recht fleißig bei der Arbeit waren.
»Ja«, sagte der Erste und strich steinen grauen Bart, »Fastnacht wird gefeiert, aber es ist nicht weit her. Die Eichhörnchen machen sich Hüte aus Nussschalen und Bärte aus Flechten und Moos. Voriges Jahr hat Frau Elster großes Aufsehen erregt. Sie hat nämlich irgendwo einen Pfauenfeder gestohlen und sich in den Schwanz gesteckt. Und wenn Meister Grimbart, der Dachs, guter Laune ist, dann spaziert er wohl durch den Wald und trommelt mit zwei Tannenzapfen auf seinem dicken Bauch. Genug, die Sache ist ziemlich armselig, und die meisten kümmern sich nicht drum.«
»Na«, meinte ich, »es gibt ja auch sonst Pläsier genug im Walde«, und ging in meine Klause.
Die kleinen Knirpse fuhren fort, das Holz zu spalten, aber zwischendurch steckten sie immer die Köpfe zusammen und schwätzten und nickten. Als sie nun abends nach Hause gehen sollten, klopften sie an meine Tür und kamen mir mit einem feinen Plane, den sie unter sich beraten und fix und fertig überlegt hatten. Es sollte diesmal eine schöne Fastnacht gefeiert werden; sie wollten es schon machen, aber ich müsste mittun.
»Das kommt ganz darauf an«, sagte ich, »als Waldbruder kann ich doch nicht den Narren und Gecken spielen.«
Das wollten sie auch nicht verlangen, antworteten sie; es solle vor der Waldklause ein Zirkus gezeigt werden, und ich müsste der Zirkusdirektor sein und alles erklären.
»Und was für Tiere sollen denn auftreten?«, fragte ich.
»Lauter Haustiere«, war die Antwort, »denn das ist etwas Neues im Walde, also Hund und Katze und Ziege und so weiter. Ihr müsst die Tiere erklären, Waldbruder, und hinterher machen wir allerlei Spiel und Ulk.«
Das Ding gefiel mir gar nicht übel. Ich konnte mir nur nicht denken, woher sie die Masken bekommen wollten. Sie sagten, das sei ihre Sache; ich solle nur rechtzeitig einladen zum Besuch. So schickte ich den meinen Vizeküster Häher und unsern Polizeidiener Specht durch den Wald und ließ bekanntmachen, dass am Rosenmontag, morgens um zehn Uhr, eine Zirkusvorstellung vor der Waldklause sein würde, Eintritt frei.
Schon um neun Uhr waren alle Plätze besetzt, vom Boden an bis auf die höchsten Zweige der Bäume. Meine Zwerge erschienen und marschierten in die Hütte. Jeder trug ein Päckchen unter dem Arme, nur der Jüngste nicht. Er hatte es unterwegs verloren und weinte bitterlich.
»Es ist jammerschade«, sagte der Älteste, »er sollte das Lamm sein und kann so schön bäh sagen.«
Ich tröstete ihn und sagte, er könne durch den Türspalt gucken, wenn die anderen spielten.
Nun hätte es bald Streit gegeben. Sie hatten nämlich für mich eine lange Nase mitgebracht, die ich vorbinden sollte, und das wollte ich nicht.
»Waldbruder«, sagte der älteste der Zwerge, »das wird Euch bedeutend verschönern. Seht, die Tiere haben fast alle längere Nasen als Ihr, und dann erst die Vögel mit ihren Schnäbeln! Die sind Euch weit über.«
Ich ließ mich bereden und band die Nase vor, sie war lang wie ein Storchenschnabel. Und richtig, als ich heraustrat, erhob sich ein Schrei der Bewunderung.
»Ach, wie schön! Wie stattlich! Jetzt hat der Waldbruder erst ein Ansehen!« So ging das von allen Seiten, und ich überlegte schon, ob ich die lange Nase nicht alle Tage tragen sollte, oder wenigstens alle Feiertage. Die Vorstellung begann. Einzeln tragen die Zwerge heraus in ihrer Verkleidung, die sehr täuschend war, und ich sprach einige erläuternde Worte. Der Erste kam als Hund, als schwarzer Pudel, wedelte mit dem Schwanz und bellte.
Alles lachte, und Frau Amsel rief: »Ach, singe doch einmal, liebes Tier!« Der Zweite kam als Katze mit krummem Buckel und gesträubtem Schwanze; von seinem Miau hörte man nichts, denn alle Vögel pfiffen ihn aus und schrien und schlugen mit den Flügeln. Dann stolzierte der Hahn herein, schüttelte den feuerroten Kamm und krähte, dass es schallte. Allgemeines Bravo antwortete ihm. Nun kam ein grunzendes Schweinchen angetrottet mit geringeltem Schwänzchen. Es fand Beifall, und Meister Grimbart nannte es »Die Unschuld vom Lande«.
Lustig sprang ein Ziegenböcklein herein und meckerte. Frau Elster schrie: »Ach, Jungfer Reh, das ist sicher Euer Vetter.«
Zuletzt kam Frau Gans, schneeweiß und mit vieler Würde; sie hob die Füße sehr hoch und wackelte anmutig hin und her. Man fand sie nobel, und ich bemerkte, sie sei auch von altem Adel und hätte schon vor Christi Geburt die Stadt Rom durch ihr Geschrei gerettet.
»Nun sollte eigentlich das Lamm kommen«, fügte ich hinzu, »aber es ist verlorengegangen.«
»Da kommt es ja«, unterbrach man mich, und richtig kam das Lämmchen herangeschwänzelt, zu meinem großen Erstaunen.
Ich dachte: »Sieh, da hat der Kleine das verlorene Päckchen wohl wiedergefunden.«
Da geschah etwas Furchtbares. Zwei Hasen waren zutraulich herangehüpft. Im Nu hatte das Lamm sein weißes Fell abgeworfen, und Reineke, der Fuchs, sprang heraus, biss die armen Häslein tot und schleppte sie in den Wald. Alles schrie laut auf und stürzte herbei, aber es war zu spät. Der Fuchs hatte das Päckchen mit dem Lammfell gefunden und sich damit verkleidet. Nun wurde aus dem Zirkusspiel nichts. Frau Häsin weinte bittere Tränen, und alle trauerten mit ihr.
Die Entdeckung
Es geht etwas vor im Walde. Wir werden etwas erleben, große Dinge bereiten sich vor. Riecht ihr nichts? Schnüffelt nur einmal mit eurem Näschen in den Wind, dann werdet ihr bald merken, dass ein wunderbarer süßer Duft ganz leicht und leise durch die Luft kommt. Ich habe eine herrliche Entdeckung gemacht. Soll ich es euch verraten? Der junge Herr Frühling ist unterwegs.
Die letzten Tage ging ein gewaltiger Sturm durch den Wald. Er hat die alten Eichen mit ihren strubbeligen Köpfen zusammengestoßen, dass sie laut aufheulten und mit allen Armen um sich schlugen. Meine Waldquelle war auch wie verrückt. Sie sprang in wilden Sätzen zu Tal und zischte und schäumte wie nichts Gutes. Und ist doch sonst so zahm und manierlich.
Als ich einen Augenblick aus meiner Klause trat, hätte der Sturm mich bald umgeworfen. So ungestüm stieß er mich in den Rücken. Ich musste zuerst lachen, denn ich sah zwei Krähen kopfüber, kopfunter über die kahlen Wipfel flattern, indem sie einander zuriefen: »Frau Base, welch ein Wetter, krahkrah! Eine Haube hängt ganz schief auf dem Kopfe!«
Zuletzt wurde ich böse, und da habe ich den Sturm tüchtig ausgeschimpft. Der lachte oben in den Wipfeln, dass es rollte wie Donner und schrie: »Freu dich, alter Waldbruder! Es kommt bessere Zeit; mein Herr, der Frühling, zieht ein!«
Ich sagte: »Es ist merkwürdig, dass feine Herren oft so unfeine Diener haben.«
Da gab er mir einen Stoß, dass ich in meine Klause taumelte und mit Mühe die Tür zurammelte.
Die Nacht war schrecklich. Ich habe einen Rosenkranz extra gebetet, damit mir meine gute Waldklause nicht umgeworfen werde. Es ging immerfort Hoiho, Hoiho, gerade wie die Wilde Jagd. Am Morgen wurde es still. Als ich mein Fensterchen losmachte und hinauslugte, saß der Zaunkönig auf einem Ast und strich sich die zerzausten Federn glatt.
»Guten Morgen, Waldbruder«, rief er mir zu, »weißt du es schon, dass der Frühling kommt?« Dann stellte er sein keckes Schwänzchen steil in die Höhe und schlug einen Triller.
»Ich kann es so recht noch nicht glauben«, antwortete ich.
Er machte eine zierliche Verbeugung, denn er ist ein höflicher Mann, und sagte: »Geh mal hinaus auf die Lichtung, wo die Haseln stehen; dann wirst du es schon glauben.«
Ich zog meine dicken Nagelschuhe an, denn der Weg war aufgeweicht und voller Pfützen. Dann nahm ich meinen Knotenstock, denn glitschig war es auch, und stapfte durch den Morgennebel zu der Lichtung. Da hat man vor zwei Jahren die alten Buchen gefällt, und nun haben die Nusssträucher sich tüchtig in die Höhe gereckt. Wie ich so durch den Wald patsche, höre ich ein tausendstimmiges Summen und Singen. Erst meinte ich, es sei einen Bienenschwarm, aber wo sollte der herkommen um diese Zeit? Ich horche genauer hin, und da sind es ganz feine, feine Stimmchen, und sie kommen aus den Knospen am Gesträuch. Bei den Eichen war es noch ganz still, aber bei den Erlen und Birken und Buchen ging es lebhaft zu.
Bald verstand ich auch einzelne Worte: »Ich will hinaus, ich will hinaus – es ist mir hier zu enge – ich platze vor Ungeduld – lass los, du dumme Hülle!«
Da merkte ich, dass der Sturm die Knospen aus dem Winterschlafe geweckt hatte und dass sie ans Licht drängten. Das freute mich recht von Herzen, aber helfen konnte ich ihnen nicht.
Ich sagte: »Ihr müsst allein fertigwerden«, und ging weiter. Als ich nun zu den Haseln kam, da machte ich unwillkürlich einen Hopser vor lauter Pläsier. Hingen da an den Zweigen lange, schlanke Kätzchen und schaukelten im Winde und streuten feinen, wehenden Goldstaub umher. Wie ich genauer zusehe, sitzen auch die roten Härchen auf den Knospen, wie zarte Federbüschlein. Ihr kennt sie sicher. Ich war froh wie ein König und faltete die Hände, um dem lieben Gott zu danken, dass er nun wirklich den Frühling schicken wolle. »Guck! Guck!«, rief es da vom nächsten Baum, und Frau Eichhorn schaute listig und lustig hinter dem Stamme hervor.
»Freust dich wohl, alter Waldbruder! Ja, das gibt Nüsse für nächsten Herbst, ich will aber meinen Teil mithaben.«
»Ich auch, ich auch! Hähähä!«, schrie der Häher und schoss quer über die Lichtung, dass die blauen Schwungfedern in der Sonne aufleuchteten. Seht, liebe Kinder, es ist gar kein Zweifel mehr. Der Frühling ist unterwegs, und wenn er kommt, gibt es eine große Revolution, aber eine schöne und lustige! Mich soll bloß wundern, was der alte Winter macht. Tot ist er noch nicht, aber steinalt, und wahrscheinlich schläft er irgendwo in einem dunklen Winkel. Wenn er merkt, dass der junge Frühling nach seiner Krone greift, dann wird er wütend, und wir können noch etwas erleben. Ich weiß es von früheren Jahren her, wie er dann mit Schnee und Hagel und kaltem Wind angestoben kommt und den ersten vorwitzigen Blumen die zarten Hälse umdreht. Aber er hat kurzen Atem und hält es nicht lange aus. Der junge Frühling ist ganz artig gegen ihn. Er macht es nicht wie so viele naseweise junge Leute, die grob und unmanierlich sind gegen die Alten.
Der liebe Herr Frühling tritt sachte zurück, wenn der zornige Winter daher poltert, und lässt ihn ruhig schimpfen. Dann kommt er leise lächelnd näher und streichelt den Alten mit seiner weichen, warmen Hand über den Rücken und summt ihm ein Liedchen ins Ohr. Es wird dem Winter so schwül, dass er den dicken Pelz lüften muss. Er brummt und knurrt dazu, aber er wird schon ruhiger. Bald kann er die buschigen Augen vor lauter Schlaf nicht mehr offenhalten, und die Knie werden ihm müde. Der Frühling fasst ihn unter die Arme, redet ihm zu und führt ihn beiseite in die dunkelste Höhle.
»Na, na«, sagte der alte Winter dann, »ich muss ein bisschen schlafen. Da, bewahre mir solange meine Krone.«
Und dann ist Herr Frühling König und regiert. So geht das.
Verdruss
Ich habe eine kleine Aufmunterung nötig. Es scheint nicht immer die Sonne, draußen nicht und im Menschenherzen auch nicht. Aufrichtig gesagt, bin ich die letzten Tage etwas trübselig geworden. Ich weiß nicht, ob mir eine Erkältung im Leibe steckt. Allerlei Verdrießlichkeiten habe ich auch gehabt.
So habe ich mich mit Frau Eule ganz überworfen, und sie ist ausgezogen aus meiner Waldklause. Das heißt, eigentlich habe ich sie hinausgeworfen. Es war aber auch zu arg mit ihr. Denkt euch, sie hat eins von meinen weißen Mäuslein aufgefressen mit Haut und Haar, und nun sind die anderen traurig und furchtsam und wollen nicht mehr Komödie spielen. Und dann wollte sie über mein Rotkehlchen her, das jeden Tag in meine Klause kommt und sich Brotkrümchen holt. Es wohnt draußen in einem Astloche über der Tür, denn in der Klause zu wohnen getraute es sich nicht aus Furcht vor Frau Eule. Sie wollte es auch richtig fangen, hat es aber nicht bekommen, denn der Zaunkönig schlug rechtzeitig Lärm. Da habe ich die böse Eule beim Schlafittich genommen und vor die Tür geworfen. Mag sie sehen, wo sie ein Unterkommen findet. Zum Abschied riss sie mir einen Fetzen Haut vom Daumen.
Der zweite Verdruss war noch ärger. Mir war es schon einige Male aufgefallen, dass meine Vorratskammer neben dem Herd sich so schnell leerte. Es war gerade, als wenn das Brot sich selbst verzehrte, und die Äpfel und Nüsse schmolzen wie Schnee in der Sonne. Nur die Kartoffeln hielten sich. Die süßen gelben Möhren aber schienen heimlich davonzulaufen.
Gestern habe ich eine genaue Untersuchung angestellt und ein Loch entdeckt in der Wand meiner Klause. Aha, dachte ich, da geht der Dieb ein und aus! Ich hing eine Schlinge vor das Loch, und als es eben dunkel geworden war, hörte ich es quäken und schreien. Ein fetter Hamster saß in der Schlinge. Ich war so böse, dass ich ihn erst totschlagen wollte, aber ich brachte es nicht übers Herz. Da hättet ihr hören sollen, wie er bat und bettelte! Er sagte, er hätte bloß nachsehen wollen, ob meine Äpfel auch faul würden. Da habe ich ihm eine strenge Strafpredigt gehalten.
»Du bist ein Dieb und Lügner«, habe ich ihm gesagt, »und es ist ganz in der Ordnung, dass die Menschen das Wort ›Hamster‹ als Schimpfwort gebrauchen. Schämst du dich nicht, einem armen Waldbruder das Wenige zu stehlen? Du bist viel fetter als ich und hast deinen Bau sicher ganz voll von guten Sachen.«
Er sagte, er wolle mir alles wiederbringen, und weinte dicke Tränen. Ich glaubte nicht, dass seine Reue ganz echt war, aber ich habe ihn doch mit einem tüchtigen Klaps laufenlassen. Er war sehr eilig und guckte sich gar nicht mehr um. Das Loch habe ich zugemacht. Seht, so hat man auch im Walde allerlei Ärger, und Frau Elster hat mir prophezeit, ich würde noch mehr Verdruss haben. Nun, ein bisschen Kreuz gehört zum Leben, denn wenn es uns immer gut geht, dann werden wir mutwillig. Ich freue mich, dass ihr gekommen seid. Jetzt wollen wir erst ein Lied zusammen singen; es geht nach der Melodie »Ein Männlein steht im Walde« – also eins, zwei, drei – los!
Wenn dich die Grillen plagen!
So sing’ ein Lied!
Soll sehn, der dumme Ärger
Sich schnell verzieht.
Singen ist wie Medizin,
All die bösen Sorgen flieh‘n,
Und die graue Welt wird wieder grün.
So, das haben wir gut gemacht. Wenn ihr aus Sachsen kommt, liebe Kinder, dann reimt es sich ganz gut; denn in Sachsen sagt man statt »grün« immer »grien«.
Jetzt will ich euch meine Schneeglöckchen zeigen, sie stehen in meinem Gärtchen in voller Blüte. Dass ihr sie mir aber nicht abpflückt! Des Abends, wenn es dunkel wird, läuten sie wunderfein, und ich kann so gut dabei einschlafen. Wisst ihr noch, warum das Schneeglöckchen so früh kommen darf und den kalten Schnee gar nicht zu fürchten braucht? Großmutter Märchen hat es mir erzählt. Also passt auf!
Als der liebe Gott alle Dinge erschaffen hat, da hat er zuletzt den Schnee gemacht, und da war ihm die Farbe ausgegangen. Es war kein Tröpflein mehr in allen Farbtöpfen.
Da sagte der liebe Gott: »Mein guter Schnee, ich habe keine Farbe mehr, du musst sie dir erbetteln bei den Blumen, denn die haben Überfluss.«
Der Schnee war sehr betrübt, denn es ist genierlich, wenn man keine Farbe hat; die Leute können einen gar nicht recht sehen und haben keinen Respekt vor einem. Da ging der Schnee zur Rose, denn er dachte, Purpur sei die allerschönste Farbe. Aber die Rose ist sehr vornehm; sie tat, als wenn sie seine Bitte gar nicht einmal hörte.
Da ging der Schnee zum Löwenzahn, denn das goldene Gelb gefiel ihm auch nicht übel. Der Löwenzahn ist ein grober Patron, er schrie: »Scher dich weg, von mir kriegst du nichts.«
Da ging der Schnee zum Veilchen und bettelte: »Gib mir doch etwas blaue Farbe!« »Ich täte es ja gern«, sagte das Veilchen, »aber ich habe so wenig; sieh, mein Kleidchen ist kurz, ich kann nichts abgeben.«
Da wurde der arme Schnee so traurig, dass er anfangen wollte zu weinen. Aber es fiel ihm zur rechten Zeit ein, dass er dann leicht schmelzen könnte. Darum ließ er das Weinen sein und seufzte bloß aus Herzensgrund.
»Wer seufzt da so erbärmlich?«, fragte das Schneeglöckchen, das fein und zierlich auf dem Rasen stand in seinem weißen Hemdlein. »Ich höre etwas und sehe nichts. Was ist das?«
Da klagte der Schnee: »Ach, liebes Kind, ich bin der Schnee und habe noch gar keine Farbe. Alle Blumen haben mich abgewiesen. Aber warte, wenn ich sie erwische, dann sollen sie alle erfrieren.«
»Nun sei nicht gleich so böse«, sagte Schneeglöckchen, »meine Farbe ist nur ganz einfach weiß; aber wenn sie dir passt, will ich dir gern etwas mitgeben.«
Seht, so ist der Schnee weiß geworden, und aus Dankbarkeit tut er dem Schneeglöckchen nichts zuleide.