Kitabı oku: «In der Waldklause - Märchen für kleine und große Kinder bis zu 80 Jahre und darüber», sayfa 5
Maiandacht
Ich glaube, ihr habt geplaudert! Ich hatte euch von unserm Maifest erzählt, und nun kommt gestern ein langer Mahnbrief, des Inhaltes, dass ich ein ernstes Leben führen müsste, wie es sich für einen Waldbruder gehöre. Ich solle wie Johannes der Täufer von Heuschrecken und wildem Honig leben und die sonderbaren Zaubertränke meiden, die wahrscheinlich berauschender Art seien. Aber Heuschrecken gibt es hier nicht, und wenn es welche gäbe, so möchte ich sie nicht. Sie sind mir zu knusprig. Das bisschen Honig aber, das Frau Hummel mir zuweilen spendiert, kann mein Leben nicht fristen. Und was die Maientautränklein betrifft, so sind sie ganz unschuldig und machen kein Kopfweh. Man muss übrigens nicht glauben, dass wir alle Tage Feste feiern und tanzen. Maifest gibt es nur einmal im Jahre.
Damit ihr nun sehet, dass wir auch fromme Leute sind, will ich euch heute von unserer Maiandacht erzählen. Das könnt ihr dann ruhig weitererzählen, damit wir die Leute draußen erbauen. Sie haben es nötig. Nun muss ich allerdings sagen, dass der Gedanke, eine feierliche Maiandacht zu halten, nicht von mir ausgegangen ist. Ist bete meine Sache gewöhnlich allein. Das fromme Reh ist auf den Gedanken gekommen. Eines Abends in der Dämmerung klopfte es bescheiden an meine Klause. Als ich hinausschaute – ich schaue lieber hinaus und rufe nicht gleich herein, seitdem mir der Igel einmal gekommen ist und sich so breit bei mir gemacht hat, dass ich mich immer an seinen Stacheln stieß –, also, als ich hinausschaute, stand Jungfer Reh draußen. Sie machte einen schönen Kratzfuß, schaute mich mit den braunen Augen an und sagte, sie hätte ein Anliegen.
»Mit Vergnügen«, sagte ich, »nur heraus damit!«
Ich sollte ihnen doch einmal eine schöne Maiandacht halten, meinte sie. Zum ersten Mai sei ich ja zu spät gekommen, jetzt möchten sie noch einmal die liebe Gottesmutter grüßen und ehren und dabei solle ich ihnen helfen. Die Frömmigkeit sei auch etwas lau geworden, und hie und da zeige sich heidnisches Wesen. Vielleicht würde sogar der arge Räuber, Reineke der Fuchs, sich bekehren; er triebe es arg und habe vor acht Tagen ein kleines Rehbrüderlein aufgefressen.
»Gegessen«, sagte das Reh, denn es drückt sich immer sehr anständig aus. Ich schämte mich etwas, dass ich in dieser Weise angemahnt werden musste, und sagte ohne Weiteres zu.
Am nächsten Morgen berief ich meinen Küster Kuckuck, um mit ihm zu überlegen. Er schluckte rasch eine haarige Raupe herunter, die gerade im Schnabel hatte, und erklärte, er wolle sein Mögliches tun.
»Gleich heute Abend«, rief er voll Eifer, »kann es losgehen. Ich übernehme die Einladungen und will ihnen die Ohren so vollschreien, dass keiner fehlt. Wir kommen hier an der Klause zusammen und ziehen dann die Prozession zum Waldkapellchen, wo die liebe Mutter Gottes steht. Eine Prozession muss dabei sein, sonst ist es nichts. Für den Blumenschmuck muss die gute Fee Flora sorgen, die da hinten auf der Lichtung ihren Garten hat. Ich will gleich mit ihr sprechen.«
Ich konnte seine Vorschläge nur billigen, und er hob schon die Flügel.
Da drehte er noch einmal den Kopf und sagte: »Aber wir machen keinen künstlichen mehrstimmigen Gesang. Ich bin für den schlichten Choral.«
Er ist nämlich nicht besonders stark in der Musik. Ich sagte, es sei gut, und er flog ab.
Den Tag benutzte ich nun, um eine kräftige Bußpredigt zu studieren, die für Reineke bestimmt war. Ich will aber gleich sagen, dass die Predigt gar nicht gehalten worden ist, weil Reineke ausgeblieben ist. Er ist verstockt. Außerdem hätte die strenge Predigt auch nicht gut gepasst; ich halte sie ihm nächstens allein, sobald ich ihn erwische. Dann mache ich ihm gründlich die Hölle heiß.
Alles verlief in schöner Ordnung, und die Beteiligung war sehr stark. Bei der Prozession sagen wir die Litanei, ich und der Küster allein, die anderen können kein Latein. Der Kuckuck traf die Terz so rein und klar, dass es ordentlich ein Ohrenschmaus war. Alle drei Schritte machten wir eine Pause, Frau Schnecke konnte sonst nicht mitkommen. Zuletzt nahm Frau Eichhörnchen die Alte auf den Rücken, mitsamt ihrem Häuschen, und da ging es schneller. Nun hättet ihr einmal sehen sollen, wie wunderprächtig die gute Fee Flora das Waldkapellchen geschmückt hatte! Es war ein kleines Paradies, ja, ein Stückchen Himmel.
Dichte Gewinde von weißen Waldröslein lagen zu den Füßen der lieben Mutter Gottes, und rechts und links flammten große Büsche von roten Weidenröschen. Die Stufen waren bedeckt mit einem himmelblauen Teppich von lauter Vergissmeinnicht, und alle Wände waren bunt von Blumen. Es sah aus, als wenn die Steine alle am Blühen wären. Und ein Duft war in der Luft, als wenn man allen Weihrauch Arabiens auf glühende Kohlen geschüttet hätte. Der Küster hatte auch sein Bestes getan. Er hatte zwei Dutzend lange Königskerzen aufgestellt. Die liebe Mutter Gottes lächelte liebreich inmitten der Pracht und nickte zuweilen der guten Fee Flora zu. Die kauerte neben dem Kapellchen und guckte um die Ecke. Nach vorn mochte sie nicht kommen, weil sie eine kleine Heidin ist, aber eine brave.
Nein, meine Bußpredigt hätte gar nicht gepasst, es war alles so lieblich und so freundlich. Aber ich habe sie mir eingesalzen, aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Ich hielt eine Ansprache und musste mir immer die Augen wischen, damit mir die Tränen der Rührung nicht in den langen Bart rollten. Frau Schnecke weinte so sehr, dass sie den Schnupfen kriegte, und dabei hatte sie ihr Taschentuch vergessen. Dann haben wir gebetet und zuletzt gesungen, dass es nur so schallte durch den stillen Wald. Der Gesang wurde immer mehrstimmiger, und Küster Kuckuck machte schon ein verdrießliches Gesicht.
Zuletzt hat die liebe Mutter Gottes uns allen den Segen gegeben. Auch die gute Fee Flora hat ein bisschen davon mitbekommen. Ich glaube, ich werde sie nächstens noch taufen müssen. Es war ganz dunkel geworden, und zwei Glühwürmchen haben eurem Waldbruder mit ihren Laternchen heimgeleuchtet.
Das arme Bienchen
Gestern habe ich eine neue Freundschaft geschlossen, und zwar mit Fräulein Bienchen. Das ist eine vornehme Person, sie wohnt auf dem Weidenhofe in einem großen Bienenstocke und gehört zu dem berühmten Volke der Honigbienen, die eine großmächtige Königin haben. Ich habe ihr das Leben gerettet, von Rechts wegen müsste ich die Rettungsmedaille haben. Aber ich gebe nichts auf Orden; ich glaube, sie würden auch auf meiner groben Kutte gar nicht aussehen. Es kam so.
Ich saß am Waldbächlein mitten in dem blühenden Vergissmeinnicht. Meine Sandalen hatte ich ausgezogen und plätscherte vergnügt mit den Füßen im kühlen Wasser, was ich schon als kleiner Junge gern getan habe. Die Maiensonne schien mir warm auf den Rücken, und ich unterhielt mich gemütlich mit Herrn Krebs, der auf dem Ufersande saß. Erst hatte er Reißaus nehmen wollen, als ich kam, denn wir sind im Mai. Das ist einer von den Monaten ohne den Buchstaben r, und da stellen die Menschen den Krebsen nach, weil sie in diesen Monaten gut schmecken. Als er mich erkannte, blieb er ruhig sitzen und legte seine Scheren friedfertig zusammen.
»Guten Tag, Waldbruder«, sagte er, »Ihr seid zwar ein Mensch, aber doch kein Mörder wie die meisten Menschen. Die Menschen schimpfen immer auf die schlechte Welt, aber sie sind die Schlimmsten von allen und meinen, sie müssten alles auffressen.« Wir waren dann in ein gemütliches Gespräch gekommen, und er hatte mir viel erzählt von dem Leben und Treiben im Wasser. Frau Forelle sei eine sehr gefräßige Person, sagte er, aber Herr Fischotter sei noch viel schlimmer. Er habe vor einigen Tagen die Frau Krebsin aufgefressen, und er, der Herr Krebs, sei nun ein tiefbetrübter Witwer.
»Seht, Waldbruder«, schluchzte er und wühlte etwas aus dem Sande heraus, »das sind die Scheren meiner seligen Frau, das einzige, was von ihr noch übrig ist. Ach, sie war eine Seele von einer Frau und hat mich nie gekniffen, obwohl sie sehr kräftige Scheren hatte.«
Als ich ihm gerade mein Bedauern aussprechen wollte, ertönte ein schriller Hilfeschrei in feinen, durchdringenden Tönen. Ich sah ein Bienchen, das auf einem Stückchen Holz auf dem Wasser dahintrieb und vergebens die nassen Flügel reckte.
»Schnell, Herr Krebs«, rief ich, »schwimmt hinüber und rettet die Person.«
Er zwickte ein paarmal mit den Scheren und glotzt mit den vorstehenden Augen. »Geht mich nichts an«, murrte er dann, »sollte zu Hause bleiben, die naseweise Person!«
Damit kroch er rückwärts in sein Loch und verschwand. Nun sprang ich schnell in das Bächlein und wäre auf den glatten Steinen bald ausgerutscht, aber es gelang mir, das arme Bienchen zu retten. Ich setzte es auf mein Knie in die warme Sonne. Es trug ein graues Jäckchen und dicke, gelbe Höschen von Blütenstaub. Dankbar schaute es mich an mit den klugen Augen und zugleich etwas misstrauisch, ja, es ließ sogar seinen Stachel sehen.
»Armes Kind«, sagte ich freundlich, »beruhige dich nur, ich tue dir nichts. Aber wie kommst du in den Bach?«
Fräulein Bienchen atmete tief auf und zog den Stachel ein.
»Ihr seid ein guter Mann, Waldbruder, und habt mir das Leben gerettet. Das vergesse ich Euch nicht. Ihr sollt zum Danke Honig haben, wir sind reich. Und nun will ich euch meine Geschichte erzählen, bis meine Flügel wieder trocken sind. Ach, wie tut die Sonne doch gut! Seht, Waldbruder, ich lebe auf dem Weidenhofe in dem Bienenhause, das dort im Obstgarten steht. Es ist heute ein Unglückstag. Mit drei von meinen Schwestern bin ich heute Morgen ausgeflogen, mit Minchen, Linchen und Finchen. So wie wir ins Freie kamen, um an die Arbeit zu gehen, wurde Minchen von dem bösen Fliegenschnäpper gefressen. Er hat sein Nest neben dem Bienenhause und sitzt immer auf der Lauer, ob er nicht eine von uns schnappen kann, gerade als wenn wir gewöhnliche Fliegen wären. Ach, das arme Minchen war ein so fleißiges Mädchen! Sie hatte immer die dicksten Höschen an, wenn wir heimkamen, und wurde von der Frau Königin oft gelobt. Ihr wisst, die Obstblüte ist vorbei, und die Lindenblüte hat noch nicht angefangen, und die Heideblüte kommt noch später. Wir flogen über das schöne Kleefeld, das herrlich duftete, und beneideten die dicke Frau Hummel, unsere Tante, die dort bei der Arbeit war.«
»Warum geht ihr denn nicht alle in den blühenden Klee?«, fragte ich, »er hat sehr viel Honig, das habe ich als Kind schon zuweilen probiert.«
Fräulein Bienchen lächelte. »Ja, das möchten wir wohl«, sagte sie, »und die jungen unerfahrenen Bienen probieren es auch, aber unsere Zunge ist zu kurz. Zeigt mal die Eure, Waldbruder!«
Ich streckte meine Zunge aus, soweit es ging. »Großartig!«, rief Bienchen bewundernd aus, »nur ein wenig zu plump. Unsere Tante, Frau Hummel, hat auch eine lange Zunge, nicht so lang wie Eure, aber feiner. Die kann mit dem Klee fertigwerden. Sie rief uns zu: Kinder, dies ist nicht für euch, geht auf die Waldwiese, da stehen viele Blumen mit kurzen Hälsen. Die will ich euch alle überlassen. Dann bummelte sie gemütlich zum nächsten Kleekopf und streckte ihre lange Zunge hinein – ach, es ist der schönste Traum meines Lebens, dass ich es auch noch zu einer solchen Zunge bringe! Ich mache jeden Abend, ehe ich zu Bett gehe, gymnastische Zungenübungen. Genug, wir flogen auf die Waldwiese und fanden Arbeit in Fülle. Aber, o weh, da kam ein dicker Frosch herangehüpft.
Ich rief ›Achtung‹, doch es war zu spät. Er hatte mein Schwesterchen, das liebe Linchen, schon heruntergeschluckt. Sie hat ihn noch schnell gestochen, er sprang in den Graben und sitzt wahrscheinlich noch jetzt dort im Wasser und kühlt seinen dicken Kopf. Aber das gute Linchen ist hin. Wir hatten eine reiche Ausbeute, und da wurden wir übermütig.
Meine Schwester Finchen schlug vor, wir wollten einmal in den Wald fliegen und sehen, was dort wohl für Blumen blühten. Ich fürchtete mich, schließlich ließ ich mich bereden. Ach, es war schön, aber auch unheimlich. Alle Augenblicke stieß ich mir den Kopf an einem Zweig. Als wir über den Waldbach flogen, fiel Finchen hinein und schrie jämmerlich. Ich wollte ihr helfen. Da kam eine Forelle geschossen, wie ein Blitz so schnell, und verschlang mein armes Schwesterlein vor meinen Augen. Vor Schrecken bin ich selbst auch ins Wasser gefallen, konnte aber zum Glück ein Hölzchen erwischen und mich daran festklammern. Da habt Ihr mir geholfen, guter Waldbruder, und das werde ich Euch nie vergessen.«
Fräulein Bienchen probierte ihre feinen, silbergrauen Flügel. Sie waren trocken geworden und schwirrten lustig in der Sonne.
»Nun muss ich heim«, sagte sie, »ach, was wird die Frau Königin sagen, dass ich allein komme und dass Minchen, Linchen und Finchen tot sind. Den Honig bringe ich Euch morgen, Waldbruder.« Damit machte sie eine zierliche Verbeugung, hob sich in die Lüfte und verschwand.
Zu dem Honigfeste, liebe Kinder, lädt euch euer Waldbruder freundlichst ein.
Frau Nachtigall
Gerade neben meiner Waldklause wohnt Frau Nachtigall in einem alten Holunderstrauch. Zu dem Bächlein nebenan geht sie trinken und baden, unter dem vorjährigen Laube am Boden findet sie fette Würmlein, schöne, saftige Braten, und zwischendurch singt sie ein Lied nach dem anderen. Zuweilen kann ich nachts nicht schlafen, weil ich Herzklopfen bekomme von ihrem wunderschönen Gesange.
Gestern Abend hättet ihr hier sein müssen. Da hat sie ein großes, herrliches Konzert gegeben. Die Luft war feucht und warm und still, gerade wie sie es besonders gern hat. Ich saß vor meiner Klause auf dem Bänkchen und hörte zu.
Zuerst störten mich die Maikäfer, die in Scharen durch die Luft summten. Es sind etwas unsolide Gesellen, sie kamen so spät noch aus dem Wirtshaus und waren ein wenig angetrunken. Ich glaube, es war ein Fässchen mit Maientau frisch angestochen worden; die braunen Burschen torkelten bedenklich und summten Trinklieder.
Frau Fledermaus, die gerade Polizeiwache hatte, war sehr strenge und hat mehrere eingelocht. Sie bringt sie in ihrem Magen unter, weil wir kein Arrestlokal haben. Es soll nächstens eins gebaut werden, Herr Igel hat es beantragt. Der gehört auch zur Polizei und hat ebenfalls verschiedene Nachtbummler verhaftet. Natürlich musste er sie auch in seinem Magen unterbringen. Allmählich wurde es ruhig, und ich konnte den herrlichen Gesang ungestört genießen. Wie schön es war, lässt sich gar nicht sagen. Ich meinte, dass lauter goldene Perlen durch das Dunkel rollten.
Als sie gerade eine Pause machte, huschte Frau Eule neben mich auf die Bank. Sie hat die Oberinspektion bei der Nachtpolizei.
»Na, Waldbruder«, sagte sie gut gelaunt, »nun müsst Ihr doch zugeben, dass die Nacht viel schöner ist als der Tag.«
»Wenigstens«, sagte ich, »singt Frau Nachtigall bei Nacht viel schöner als am Tage, und das ist schon etwas wert.«
Frau Eule verhaftete einen dicken Nachtfalter, der ihr unvorsichtigerweise zu nahe gekommen war, und sagte dann: »Frau Nachtigall ist eine kluge und geschmackvolle Person. Sie weiß, dass wir Nachtvögel ein kunstverständiges Publikum sind. Wisst Ihr auch, Waldbruder, wie sie zu ihrer schönen Stimme gekommen ist?«
Ich wusste es nicht, und da hat sie es mir erzählt. Frau Eule ist furchtbar gelehrt und weiß mit allem Bescheid.
»Als der liebe Gott uns Vögel geschaffen hatte, war er in besonders guter Laune, weil ihm das Werk so vortrefflich gelungen war. Darum durften wir alle einen Wunsch aussprechen, er wollte ihn erfüllen. Da gab es ein großes Geflatter und Gebettel. Viele wünschten sich bunte Farben, so der Papagei und Paradiesvogel und Buntspecht und Stieglitz und Pfau, der Strauß schnelle Beine, der Falke ein scharfes Auge, die Ente Schwimmfüße, der Zaunkönig vergnügten Sinn, der Storch lange Beine, die Schnepfe einen langen Schnabel, und so ging es weiter ohne Ende.«
»Was habt Ihr Euch gewünscht, Frau Eule?«, warf ich dazwischen.
Sie guckte mich von der Seite an und knurrte: »Wie könnt Ihr noch lange fragen, Waldbruder? Ich habe mir Weisheit gewünscht.«
Ich entschuldigte mich und bat, sie möchte weitererzählen.
»Nun gut«, fuhr sie fort, »als alle bekommen hatten, was sie wünschten, sah der liebe Gott ein schlankes, unscheinbares Vögelchen auf dem Zweige sitzen, das ihn mit blanken Augen immerfort anschaute. Nun, sagte der Herrgott, was willst du denn, Kleine? Ach, lieber Herrgott, antwortete das Vögelchen leise, ich bin zufrieden mit dem, was ich habe. Da fragte der liebe Gott: Warum schaust du mich denn so an? Weil ich mich herzlich freue, dass du so gut bist, sagte das Vögelchen. Da lächelte der Herrgott so freundlich, dass der Sonnenschein noch einmal so hell wurde. Du gutes Ding, sagte er und strich mit dem Finger über die Kehle des Vögelchens, du sollst mein Lob singen, schöner als alle anderen. Seitdem hat Frau Nachtigall eine wunderschöne Stimme, und man sagt, dass sogar die kleinen Engelbüblein zuweilen vom Himmel kommen, um von ihr die schönsten Triller zu lernen.«
»Bravo, Frau Eule«, sagte ich von Herzen, »dass Ihr Euch Weisheit ausgebeten habt, hört man schon an Euren schönen Geschichten.«
Das Kompliment tat ihr wohl. Sie strich ihre Federn glatt und reckte sich hoch auf. Dann verhaftete sie flink einen späten Maikäfer und rief zu Frau Fledermaus, die gerade vorbeiflog, in amtlich strengem Tone hinüber: »Alarmiert sofort die ganze Polizei, heute ist die Nachtschwärmerei zu arg.«
Dann wandte sie sich freundlich zu mir. »Ihr seid ein verständiger Mann, Waldbruder, mit Euch kann man ein vernünftiges Wort reden. Nun will ich Euch noch mehr erzählen von Frau Nachtigall. Sie kann zaubern mit ihrer Stimme. Wisst Ihr auch, woher die schönen Rosen kommen? Ich meine die Gartenrosen mit ihren herrlichen Farben.«
»Nun«, sagte ich, »die sind von den Menschen gezüchtet worden.«
»Bildet Euch nur nichts ein«, lachte Frau Eule spöttisch. »Freilich, jetzt züchtet Ihr weitere Sorten, aber die ersten richtigen Gartenrosen hat Frau Nachtigall hervorgezaubert. Ich will es Euch erzählen.
Früher gab es bloß die wilde Heckenrose. Sie ist ja auch schön, aber nur einfach und etwas blass. Duften tut sie nur wenig. Nun, Frau Nachtigall hatte immer eine besondere Vorliebe für diese Blume. Da standen einmal drei Rosensträucher dicht zusammen, sie waren voll von Knospen. Frau Nachtigall saß ihnen gegenüber in einem Dornenstrauche, und da hat sie so übermäßig schön gesungen, dass die Rosenknospen anfingen zu schwellen vor Glück und Seligkeit. Am nächsten Morgen waren lauter gefüllte Rosen aufgeblüht, aber sie waren noch blass. Da setzte sich Frau Nachtigall in den ersten Strauch und sang ihre lustigen Lieder. Am nächsten Morgen waren die blassen Rosen ganz rot geworden vor Freude. Da setzte sich Frau Nachtigall in den zweiten Strauch und sang ihre traurigsten Lieder. Am nächsten Morgen waren die Rosen weiß geworden vor lauter Leid. In den dritten Strauch baute Frau Nachtigall ihr Nest. Da wurde er so stolz, dass er alle seine Blumen vergolden ließ. So entstanden die gelben Rosen.«
»Ei«, sagte ich, »warum hat sie denn keine blauen Rosen gemacht?« Frau Eule kratzte sich hinter den Ohren und dachte nach mit großer Anstrengung. »Wisst, Waldbruder«, sagte sie dann, »ich glaube, wenn Frau Nachtigall noch einen vierten Strauch gefunden hätte, sodass sie den Winter über wohnen bleiben konnte, so hätte sie ihm blaue Rosen angesungen. Denn Blau ist die Farbe der Treue. Aber es gibt keine rechte Treue auf der Welt. Kurz ist die Freude, und treulos ist das Glück.«
In diesem Augenblick fing Frau Nachtigall wieder an zu singen, und wir schwiegen und horchten. Sie sang zauberhaft schön. Ich glaube, wenn mein Gesicht nicht so braun gewesen wäre von der Sonne, es wäre rosenrot geworden vor Freude. Nun aber müsst ihr vorliebnehmen mit einem braunen Waldbruder.
Königin Aschenputtel
Auf ein Haar wäre ich in ein königliches Schloss gekommen, und ihr hättet die Klause leer gefunden. Der Waldbruder ist nämlich berühmt geworden, und man kommt von weither und bietet ihm hohe Ehrenstellen und Vertrauensposten an. Doch ich muss Euch die Sache der Reihe nach erzählen.
Eines guten Nachmittags stand ich vor meiner Klause und überlegte, was ich tun sollte. Sollte ich mein Gärtchen jäten, oder sollte ich den kranken Meister Grimbart besuchen in seinem Dachsbau? Seine Krankheit ist allerdings nicht bedenklich; ich glaube, dass er etwas zu viel gegessen hat. Da kamen auf einmal zwei weiße Tauben in pfeilschnellem Fluge über die Bäume weg direkt in mein Gärtchen geflogen, machten eine geschickte Schwenkung und setzten sich auf das Dach meiner Klause. Sie brachten Botschaft von Königin Aschenputtel, sie käme mich besuchen und hätte etwas Wichtiges mit mir zu überlegen. In einer Stunde wäre sie hier. Witsch – waren sie wieder fort.
Es war mir ordentlich in die Glieder gefahren, denn eine Majestät empfangen ist keine Kleinigkeit. Und womit sollte ich sie bewirten? Mit Brot und Speck oder mit Pellkartoffeln, das ging doch nicht an. Ich hatte auch nicht einmal einen ordentlichen Stuhl mit einem Polster darauf, von einem Sofa gar nicht zu sprechen.