Kitabı oku: «Der Chor in den Tragödien des Sophokles», sayfa 16

Yazı tipi:

Eine Klärung der Passage ist hier nicht zu suchen und wird wohl auch ohne weitere Textzeugen nicht zu finden sein. Festzuhalten bleibt trotz aller Schwierigkeiten im Einzelnen, dass der Chor an unserer Stelle in bewusstem Bezug auf Aiasʼ Monolog eine allgemeine Wahrheit ausspricht, zu deren Einsicht er, wie das Folgende zeigen wird, durch den konkreten Fall der Wiedergenesung gekommen ist. Man wird sich zudem KAMERBEEK anschließen, wenn er angesichts der textkritischen Alternativen festhält: „In any case, the Chorus utter an ambiguity without being conscious of it.“20

Auch die direkt folgende Überlegung der Verse 715ff. stellt eine Spiegelung von Aiasʼ Aussagen in seinem Monolog dar: Nichts, so die Choreuten, könne man als unsagbar (ἀναύδητον) bezeichnen; keine Wendung, sei sie auch noch so radikal, sei unmöglich, wenn selbst Aias unverhoffter Weise zu einer anderen Meinung gekommen sei (μετανεγνώσθη) und vom Hass und Streit gegen die Atriden Abstand genommen habe. Mit dieser zumindest vordergründig versöhnlichen Überlegung schließt das Chorlied; in Vers 719 beginnt der unterdessen aufgetretene Bote seinen Monolog.

Führen wir uns zunächst einige Momente der Komposition des Stasimons vor Augen. Das kurze Strophenpaar entfaltet in geradezu rauschhafter Manier eine situativ-emotionale Ausdeutung des aktuellen Handlungsstandes, wie er sich aus Sicht der (getäuschten) Choreuten darstellt. Während die Strophe dabei die Thematisierung von Tanz und Ekstase in Form der Anrufung zweier Gottheiten verbalisiert, kommt die Gegenstrophe zunächst auf die Ursache des Freudentaumels zu sprechen, entfaltet daraufhin die sich daraus ergebenden Konsequenzen (v. 708) und sieht schließlich im Geschehen um Aias einen Beweis der allgemeinen Wahrheit vom stetigen Wandel aller Dinge unter dem Einfluss der Zeit.

Der besondere Tempus- bzw. Modusgebrauch des Liedes bildet diese Struktur des Gedankengangs wirkungsvoll ab: Die durch das dreimal innerhalb des Stasimons gesetzte νῦν (v. 701, in rascher Wiederholung v. 707 und 708) besonders fokussierte Gegenwartszentrierung, ja geradezu das Aufgehen der Choreuten im Hier und Jetzt der dramatischen Situation21 korrespondiert einerseits mit dem durch den Aorist ἔλυσεν v. 706 als Geschehen der Vergangenheit bezeichneten Grund der Freude sowie den zeitlos-allgemeingültigen präsentischen Verb­formen μαραίνει (und φλέγει) (v. 714) und dem Potentialis φατίξαιμʼ ἄν (v. 715f.), denen im angeschlossenen Nebensatz wiederum ein Aorist zur Bezeichnung der an Aias vollzogenen Wendung beigestellt ist. Neben dem potentialen Optativ in Vers 715f. kommt besonders dem kupitiven Optativ ξυνείη am Ende der ersten Strophe (v. 705) besondere Bedeutung zu. Die zuletzt genannte Form korrespondiert wiederum mit dem Imperativ φάνηθʼ aus Vers 697.

Das Stasimon hinterlässt dabei für die um den Fortgang der Handlung und das Ende des Aias informierten Leser und Zuschauer einen äußerst bitteren Beigeschmack: Der ins Kultische gesteigerte Jubel, die ausbrechende Erleichterung des Chors bilden den Auftakt zum Höhepunkt des Dramas, dem Selbstmord des Prot­agonisten.

Die sprunghafte Gedankenführung und die blockhafte Gegenüberstellung einzelner Teile sowie die asyndetischen Fügungen verstärken den Eindruck emotionalen und situativen Sprechens, während das Chorlied dennoch, wie wir gerade durch die Analyse der Beziehung zwischen den beiden Strophen hinsichtlich Aufbau und sprachlicher Gestaltung gezeigt haben, in sich fein komponiert ist. Wir haben des Weiteren festgestellt, wie Sophokles das Stasimon thematisch und begrifflich mit dem unmittelbar vorausgegangenen Monolog des Aias verknüpft. Der Dichter zeigt so, wie überzeugend, ja suggestiv die Rede des Prot­agonisten auf die Schiffsmannschaft wirkt, wie diese wiederum einzelne Motive herauszulösen und sie im Sinne ihrer Zukunftsdeutung auszulegen versuchen.

Die dramaturgische Funktion des Liedes ist offensichtlich: Gegen die bewusst lancierte Ambivalenz des vorangegangenen Monologs setzt es die entschiedene – wenn auch falsche – Zuversicht, ja die an Drastik kaum zu überbietende Gewissheit, die der weitere Fortgang der Handlung als Produkt der Täuschung entlarven wird. Das Stasimon wird so zur geradezu überzeichnenden Folie, vor der sich das folgende Geschehen umso deutlicher abheben kann. Diese Funktionalisierung eines Chorliedes bzw. einer Partie mit Chorbeteiligung als überbordend positive Kontrastfolie unmittelbar vor dem Eintritt der katastrophalen Wende im Handlungsverlauf ist ein beliebtes, geradezu standardisiertes Moment chorischer Präsenz und findet besonders in den Tragödien unseres Dichters beinahe regelmäßig Anwendung.22 Wenden wir hier den Blick allerdings von allgemeinen Gesichtspunkten zum konkreten Chorlied und beleuchten im Besonderen seine Einbindung in den Kontext der vorliegenden Tragödie.

Das zweite Stasimon rekurriert, wie gesehen, nicht nur auf den Monolog des Prot­agonisten, den es unter Verkennung der Ambiguität volltönend orchestriert, sondern steht auch zum ersten Standlied in einem besonders kontrastiven Verhältnis: Sophokles lässt auf das resignierende Panorama der Lage vor Troia samt der imaginierten, an einem Leichenlied orientierten Klage der Eltern des Aias den Ausbruch ungemeiner Zuversicht folgen. Innerhalb kürzester Zeit stellt er so zwei emotional besonders unterschiedliche Partien gegenüber und inszeniert mit drastischen sprachlichen und poetischen Mitteln das Auf und Ab innerhalb der Gefühlswelt der Choreuten.23 Wie schon in der Abfolge von Prolog, Par­odos und den zwei Kommoi zu Beginn des Stücks reiht er auch hier Szenen von großer Drastik aneinander. Zuschauer und Leser der Tragödie sind sich mittlerweile der bevorstehenden Katastrophe endgültig bewusst: So exaltiert wie der Jubel des Chors nach der ambivalenten Rede des Prot­agonisten war, so sicher muss eine Enttäuschung dieser hoffnungsvollen Aussichten folgen.

Der Chor bietet weiterhin mit seinen schnell wechselnden, aber dennoch intensiven Emotionen eine Folie, auf der sich der standhafte Charakter des Aias abzeichnet. Der Prot­agonist hat spätestens seit seinem auf den Kommos mit dem Chor folgenden Monolog (v. 430–480) seinen Entschluss gefasst und tritt als bereits zum Selbstmord Entschlossener ab diesem Punkt mit einer Selbstbeherrschung und Suggestionskraft auf, die es ihm ermöglichen, seine Angehörigen zu beruhigen, ja sogar in Jubel ausbrechen zu lassen.24

Hinterszenisch ereignet sich während des Stasimons mit konkretem Bezug auf Aias nichts Bedeutendes; einzig die vom Boten im kommenden Auftritt referierte Begegnung zwischen Kalchas und Teukros scheint während des Standliedes ihren Abschluss gefunden zu haben. Die Fortsetzung der Haupthandlung, d.h. der Tod des Aias, wird erst durch einen erneuten Auftritt des Helden geschehen. Mit Blick auf die dramaturgische Komposition der Tragödie ist dies nur folgerichtig: Die polare Ausrichtung auf den Prot­agonisten, der als Zentralpunkt des Geschehens den Fortschritt der Handlung maßgeblich bestimmt, lässt keine Konstruktion zu, in der, wie zum Beispiel in der Antigone, die wesentliche und handlungsauslösende Tat hinter der Bühne geschieht.

Drittes Epeis­odion und Abtritt des Chors (v. 719–814)

Mit dem Auftritt eines Boten beginnt mit Vers 719 das dritte Epeis­odion. Auch wenn in ihm keine Chorpartie folgt, bedarf die Passage doch einer kurzen Behandlung, da sie mit dem Abtritt des Chors das formal herausragendste Element der vorliegenden Tragödie beinhaltet. Rekapitulieren wir rasch die Handlungsentwicklung bis zum Ende der Szene in Vers 814. Der aufgetretene Bote meldet nicht, wie Zuhörer und Leser vielleicht hätten erwarten können, den Tod des Aias, sondern zunächst die Ankunft des Teukros im griechischen Lager sowie dessen missgünstige Aufnahme. Schließlich verlangt der Bote, Aias selbst zu sprechen. Dialogpartner ist der Chorführer, der die Abwesenheit seines Herrn mit dessen Absicht erklärt, neue Pläne (νέας βουλάς) mit neuen Verhaltensweisen (νέοισιν … τρόποις) zu verbinden.1 Der Bote reagiert zunächst äußerst emotional (ἰοὺ ἰού v. 737) und entfaltet darauf den eigentlichen Kern seiner Nachricht: Der Seher Kalchas habe Teukros in einer intimen Zusammenkunft über den Grund und die Dauer der Raserei des Aias informiert: Nur noch heute halte ihn der Zorn der Athene, die Aias im Vorfeld mehrmals stolz und eigensinnig geschmäht hatte, indem er im Vertrauen auf seine eigene Stärke ihre göttliche Hilfe ablehnte. Als Vorsichtsmaßnahme solle man, so der Auftrag des Sehers, Aias den ganzen Tag über bewachen, ihn unter Aufwendung jedweder Fertigkeit in seiner Hütte einschließen (παντοίᾳ τέχνῃ εἶρξαι v. 752f.) und aus Sorge um sein Leben nicht zulassen, dass er seine Hütte verlässt. Solange er diesen Tag allerdings überlebe, könne man mit Gottes Hilfe noch rettend auf ihn einwirken (v. 778ff.). Der Chor erkennt die Brisanz der Lage und ruft Tekmessa herbei, die in Grundzügen informiert wird (v. 741ff.). Auch sie realisiert den Ernst der Lage, erkennt, dass sie der Suggestionskraft und der eigenen Hoffnung erlegen war (v. 807), und gibt dem Chor und anderen Statisten (Dienern, Kriegsknechten u.Ä.) den Auftrag, nach Teukros zu schicken sowie Aias zu suchen. Die Schiffsmannschaft willigt ein, teilt sich in zwei Gruppen und verlässt mitsamt Tekmessa, dem Boten und den anderen Komparsen die Szene. Bühne und Orchestra sind daraufhin leer; der Schauplatz der Tragödie wechselt vom Platz vor dem Zelt des Aias zu einem einsamen Ort außerhalb des Lagers.2

Wie bereits angesprochen, stellt dieser Abtritt des Chors sowie der sich anschließende Szenenwechsel eine Besonderheit innerhalb der uns überlieferten griechischen Tragödien dar.3 Es finden sich in diesem Rahmen nur drei Parallelstellen: Aischylos Eumeniden v. 231, Euripides Alkestis v. 747 sowie Helena v. 385.4 Die erstgenannte Stelle kommt dabei der vorliegenden Konstruktion am nächsten, da auch dort mit dem Abgang des Chors ein Szenenwechsel verbunden ist. Inwieweit Sophokles an unserer Stelle auf mögliche Vorbilder in der dramaturgischen Gestaltung zurückgreift, können wir hier nicht entscheiden; es ist für unsere Darstellung zudem nicht wesentlich. Versuchen wir stattdessen, den mit dem Szenenwechsel verbundenen Abtritt des Chors in seiner speziellen Funktion im Rahmen der vorliegenden Tragödie zu beleuchten. Dass dieser dramaturgische Kunstgriff – zumindest im Rahmen unseres Bildes der attischen Tragödie des fünften Jahrhunderts – einen Bruch mit der Konvention darstellt, bleibt davon freilich unbenommen. Die Szenerie wird so bereits aus formalen Gründen einen besonderen Effekt auf das Publikum entfaltet haben.

Betrachten wir die vorausgegangene Szene unter dramaturgischen Gesichtspunkten: Mit dem Bericht des Boten wird die Figur des Teukros, den Aias in Vers 688 erwähnt hatte, endgültig eingeführt. Dabei ist Teukros zunächst zwar nur indirekt, aber dennoch als handlungsauslösendes Moment gegenwärtig. Er hat schließlich, alarmiert durch Kalchasʼ Informationen, den Boten zum vermeintlichen Aufenthaltsort des Aias geschickt und damit mittelbar den Abtritt von Tekmessa und Chor eingeleitet.

Die Botenrede erfüllt darüber hinaus eine besonders zentrale dramaturgische Funktion: Mit der Wiedergabe von Kalchasʼ Ansprache an Teukros ist zunächst eine hinterszenische Handlungsebene eröffnet. Während sich bis zu diesem Punkt das Geschehen im Wesentlichen im für die Zuschauer sichtbaren Bereich abgespielt hat, rückt hier nun mit der Gestalt des Teukros eine weitere Dimension in den Horizont; die Handlung gewinnt so durch die Erweiterung des Personenspektrums an Tiefe. Des Weiteren referiert der Bote mit Kalchasʼ Worten eine bedeutende Episode der Vergangenheit des Haupthelden: Mit der Thematisierung von Aiasʼ problematischem Verhältnis zu Athene sowie seinem übersteigerten Selbstbewusstsein ist sowohl ein indirekter Beitrag zur Charakterisierung des Helden geleistet, als auch ein entscheidendes Moment der Vorgeschichte der Handlung angedeutet. Geschickt verbindet die Botenrede so zwei dramaturgische Funktionen: Zum einen ermöglicht sie einen Blick in die dem Bühnengeschehen vorausgegangene Vergangenheit und komplettiert die Charakterzeichnung des Haupthelden, zum anderen liefert sie den notwendigen dramatischen Impuls, der aus dem für die Zuschauer nicht sichtbaren Bereich seine Wirkung auf die eigentliche Bühnenhandlung entfaltet.

Die vom Boten wiedergegebenen Aspekte der Ansprache des Kalchas – v.a. die Problematisierung der Rolle des Aias in seinem Verhältnis zu Athene, sowie die Ankunft des Teukros und das Insistieren auf zügiges Einschreiten (‚Gefahr im Verzug‘) – hätte dabei Material für eine umfassende chorische Reflexion geliefert. Gerade der letztgenannte dramatische Impuls allerdings erweist sich als so virulent, dass dem Chor keine reflektierende Partie zukommt. Eingebunden in Tekmessas Plan zur Rettung ihres Mannes übernimmt er stattdessen eine aktive Rolle im dramatischen Geschehen und liefert mit seinem Auszug eine besonders eindrückliche Visualisierung der durch die Botenrede evozierten Spannung. Das im Botenbericht angeklungene und für die Charakterisierung des Haupthelden zentrale Motiv von Aiasʼ Hybris entbehrt so einer ausgrei­fenden Behandlung, auf die zu Gunsten einer ungeahnten Dynamisierung des Geschehens verzichtet wird.

Das zweite Stasimon hat die Spannung für Leser und Zuschauer der Tragödie erhöht: Es war vorauszusehen, dass nach dem jubelnden Ausbruch des Chors etwas geschehen musste, das die Choreuten wieder ins unmittelbare Geschehen zurückruft und die Handlung dem Tod des Aias zuführt. Die Botenszene erfüllt den dramatischen Fortgang nun mit ungeahnter Dynamik: Statt die Handlung ohne Einfluss bisher nicht präsenter Personen ablaufen zu lassen, erweitert Sophokles an dieser Stelle das Personenspektrum und öffnet so das Geschehen sowohl personell wie hinsichtlich des Handlungsraums. Chor und Tekmessa sehen sich nun mit den Realitäten konfrontiert und sind zum ersten Mal innerhalb der Tragödie zum selbständigen Handeln gezwungen. Den sinnfälligen Ausdruck dieser – wenn auch im Ergebnis fruchtlosen – Dynamik bildet der Abgang des Chors. Er korrespondiert dabei mit dem vor knapp einhundert Versen verklungenen Jubelgesang: Herrschte bis zu diesem Punkt des Dramas schon ein hohes Maß an drastischer Emotionalität, so übertrifft der Effekt des Abgangs des Chors sowie der im Anschluss für eine gewisse Zeit leeren Bühne (und des Auftritts des einsamen Prot­agonisten) die bisher erreichte Wirkung noch einmal. Der Abgang sämtlicher Personen in betriebsamer und sorgenvoller Eile wird so zu einem spannungsgeladenen Vorspiel, das die Selbstmordszene endgültig vorbereitet. Nachdem der Kommos zwischen Aias, Tekmessa und dem Chor motivisch den Tod des Haupthelden ins Zentrum gerückt hatte, war es das dramaturgische Ziel des Dichters, den Selbstmord effektvoll vorzubereiten und zu inszenieren: Im Abtritt aller bisher am Drama beteiligten Personen hat diese Bewegung ihre Klimax erfahren.

Indem sich die Mitglieder der Schiffsmannschaft aktiv am Rettungsversuch beteiligen und auf die Suche nach ihrem Herrn gehen, ist die Stellung des Chors mitten im Geschehen augenfällig inszeniert. Bereits zu Beginn der Par­odos kreisten die Gedanken des Chors primär um ihren Herrn und entfernten sich kaum je von der momentanen Lage. Tun sie es doch, wie in der Erinnerung an die Heimat zu Beginn des ersten Stasimons, dann nur, um eine Folie für die aktuelle Situation zu entwerfen. Ähnlich auch hier: Der Chor wird als dramatische Person ganz in die Handlung mit einbezogen, er agiert nicht außerhalb der Bühne als ein fremdes, reflektierendes Element, sondern versucht nach Möglichkeiten, aktiv ins Geschehen einzugreifen. Dabei ist er in seinem Handeln ganz auf den Haupthelden bezogen: In der Notsituation begreifen es die Schiffsleute als ihre Aufgabe, Schaden von ihrem Herrn abzuwenden und ihn Tekmessas Auftrag gemäß zu suchen. Die Abtrittsworte der Schiffsleute verbalisieren ihren Entschluss, nun aktiv ins Geschehen einzugreifen, besonders plastisch (v. 813f.): Sie seien zu gehen bereit (ἑτοῖμος) und würden nicht allein durch ihre Rede (λόγῳ) ihre Entschlossenheit demonstrieren; vielmehr würden nun Schnelligkeit „der Handlung und der Füße“ (ἔργου καὶ ποδῶν) zugleich den gleichfalls Abtretenden folgen.

Zusammengefasst soll Folgendes festgehalten werden. Sophokles strafft in der vorliegenden Szene das dramatische Tempo: Er gestaltet zum einen die Botenrede als dramaturgisch polyvalenten Drehpunkt innerhalb der Handlung, die das Personenspektrum erweitert, das Geschehen um eine hinterszenische Dimension ergänzt, bedeutende Momente der Vorgeschichte referiert, die Charakterzeichnung des Haupthelden vervollständigt und zugleich den wesentlichen dramaturgischen Impuls darstellt, der die Handlung nach der spannungsvollen Pause, die das zweite Stasimon füllte, wieder anstößt. Zum anderen setzt er mit dem Abgang des Chors das drastischste ihm zur Verfügung stehende Mittel ein, um einerseits die explosive Dynamik innerhalb des Geschehens zu visualisieren, andererseits die Fokussierung auf den Prot­agonisten und seine Sonderstellung besonders zu unterstreichen.5

Es ist, wie angedeutet wurde, von Seiten des Dichters nicht dramaturgisches Unwissen, missglücktes oder künstlich überspanntes, um mit BURTON zu sprechen, „artifizielles“ Handwerk,6 hier durch den Abtritt des Chors und den Szenenwechsel mit einer Konvention zu brechen und das Drama so (zumindest auf den ersten Blick) in zwei Teile auseinanderfallen zu lassen. Vielmehr greifen wir gerade in dieser überraschenden Konstruktion die bewusste Absicht des Dichters, die Anordnung der einzelnen Formteile ganz der effektvollen Ausgestaltung zentraler Aussageabsichten unterzuordnen, anstatt im Sinne einer wohl abgewogenen Komposition einzelne Passagen in einer harmonischen Gesamtkonstruktion aufgehen zu lassen.7

Eine kurze Bemerkung zur möglichen Erwartungshaltung des Publikums. Der Tod des Prot­agonisten durch Selbstmord war für die antiken Zuschauer mit hoher Wahrscheinlichkeit eine bekannte Tatsache. Dass sich auch die vorliegende Tragödie des Sophokles damit beschäftigen würde – im Unterschied etwa zu der des Aischylos, der einen anderen Zeitabschnitt der Episode auf die Bühne brachte8 –, war den Rezipienten spätestens nach der ausgreifenden Todesmotivik des großen Kommos sowie der Trugrede des Aias, im besten Fall schon nach dem Prolog klar. Die entscheidende Besonderheit des sophokleischen Dramas jedoch, den Selbstmord des Helden auf offener Bühne darzustellen, kann erst jetzt, kurz vor der entscheidenden Szene selbst, richtig erahnt werden. Dabei ist der Abtritt des Chors und aller Komparsen ein dramaturgisch so starkes Mittel, dem einzig der Auftritt des Prot­agonisten folgen kann, um die erzeugte Spannung aufzulösen. Anders gesagt: Das mit dem Abtritt des Chors entstandene personelle Vakuum wird in der Folge durch den Auftritt des Prot­agonisten gefüllt, mit dessen Tat die eigentliche Bühnenhandlung erneut voranschreitet.

(Monolog des Aias,) Epiparodos und Kommos Chor-Tekmessa (v. 815–960)

Der in Vers 815 wieder aufgetretene Aias hält seinen emotionalen Todesmonolog,1 bevor er sich nach Vers 866 in sein Schwert stürzt.2 Es ist hier nicht der Ort, die Partie im Einzelnen nachzuvollziehen. Betrachten wir diesen sechzig Verse umfassenden Monolog vielmehr in Beziehung zu seinen dramaturgischen Implikationen: Von besonderer Bedeutung sind dabei die teils wörtlichen Wiederaufnahmen bereits etablierter Motive und Themen, durch die die vorliegende Selbstmordszene zum Kulminationspunkt der gesamten Tragödie wird. Exemplarisch sollen einige dieser Spiegelungen nachvollzogen werden.3

Die offensichtlichste und geradezu paradigmatische Wiederaufnahme ist freilich die Konkretisierung der teils latenten, teils forcierten Todesmotivik, die im Besonderen der Kommos nach dem Wiederauftritt des Prot­agonisten sowie das erste Standlied entfaltet hatten: Mit der detaillierten Vorbereitung der Selbsttötung (im Besonderen der Aufstellung des Schwerts sowie dem damit verbundenen Räsonieren des Haupthelden v. 815–822), der Nennung bzw. Anrufung verschiedener Gottheiten, die einen Bezug zur Unterwelt aufweisen (chthonischer Hermes v. 832, Erinyen v. 837 sowie v. 843), der durch Gemination verstärkten Apostrophierung des Todes selbst (v. 854) und der besonders düsteren Ankündigung, alles Weitere den Toten im Hades zu erzählen (v. 865), ist nicht nur der eigentliche Akt des Selbstmords vorbereitet, sondern die Todesmotivik konzentriert und im Handeln des Prot­agonisten geradezu gebündelt.

Das bereits im ersten Stasimon ausgeführte Motiv der Fremde, des unwirtlichen Zustands vor Troia im Kontrast zur vertrauten und ersehnten salaminischen Heimat bildet zudem einen Grundtenor der Ausführungen (v. 819, 846, kulminierend schließlich in den Anrufungen der heimatlichen sowie der tro­ischen Gefilde 859ff., die wiederum die entsprechende Passage des Kommos (v. 412ff.) spiegeln). Die Projektion der klagenden Mutter des Aias aus dem ersten Stasimon wird hier aus dem Mund des Helden selbst gesprochen zu einer Gewissheit; besonders eindrücklich sind dabei die parallelen Konstruktionen ὅταν κλύῃ φάτιν v. 850 gegenüber ὅταν ἀκούσῃ v. 625f. sowie die Spiegelung des ἥσει, das die Äußerung der Klagelaute bezeichnet, aus Vers 630 in Vers 851.4

Ein letztes Mal beschäftigt den Prot­agonisten zudem die Feindschaft zu den Atriden: Er wendet dieses seit dem Beginn des Dramas präsente und in der Par­odos illustrierte Motiv zum Fluch, indem er den Erinyen die Verfolgung der griechischen Anführer, ja des ganzen Heeres anheimstellt (v. 839ff.). Die Anrufung des Tageslichts, das Aias nun zum letzten Mal sehe (v. 856ff.), kombiniert darüber hinaus mehrere motivische Linien: Zum einen ist die Apostrophierung der Dunkelheit aus dem dritten Strophenpaar des Kommos (v. 393ff.) geradezu ins Gegenteil verkehrt; zum anderen setzt die Äußerung des Prot­agonisten der hoffnungsvollen Aussicht der Choreuten auf das Erscheinen des hellen Tageslichts aus Vers 708ff. eine düstere Realität entgegen. Solchermaßen pervertiert und kontrastiert gewinnt die standardisierte Ansprache des Lichts durch Todgeweihte5 an dramaturgischer Brisanz.

Dass der Monolog dabei nicht nur bereits bekannte Motive aufnimmt und verarbeitet, dramaturgisch also zurückblickt, soll nicht verschwiegen werden: In den Versen 826–830 beschäftigt Aias ganz konkret die Sorge um seine Bestattung. Teukros solle sicherstellen, dass sein (Aiasʼ) Leichnam nicht als Beute für Hunde und Vögel diene, sobald er einem der „Feinde“ zugefallen sei (v. 826ff.). Im Angesicht der bevorstehenden Selbsttötung füllt sich damit die Sorge um das Eintreffen des Teukros, wie sie Aias zuvor bereits an den Tag gelegt hatte, mit einer konkreten Beauftragung. Zugleich ist damit ein Ausblick in den zweiten Teil der Tragödie gegeben, der die Auseinandersetzungen hinsichtlich der Bestattung des Helden in Szene setzen wird. Insofern wird man zusammenfassend TAPLIN zustimmen, der die Partie treffend charakterisiert: „Ajaxʼs speech is both a prologue to the second part of the play and the conclusion of the first.“6

Nicht nur die bereits an einigen Stellen präsente und hier schließlich konkretisierte Todesthematik sowie die effektvolle Klimax der Szenen bis hin zum Abgang des Chors unterstreichen also die Bedeutung des Auftritts und Monologs; gerade die Zusammenführung einer Vielzahl motivischer Stränge aus den Chorliedern und anderen Partien bildet die thematische Engführung und Dramatisierung der bis zu diesem Zeitpunkt allenfalls im Rahmen reflektierender Partien behandelter Themen. Die Motive werden dabei teils gespiegelt, teils erweitert bzw. intensiviert, teils pervertiert, in jedem Fall aber dramatisiert, d.h. unmittelbar mit dem bevorstehenden Tun des Prot­agonisten verknüpft.

Motivisch bündelt Sophokles das Vorangegangene im vorliegenden Monolog. Die in den Chorliedern vorgebrachten Reaktionen, Reflexionen oder Vorahnungen werden hier aus der Perspektive des Haupthelden gesprochen zu dramatischer Realität bzw. emotionaler Gewissheit des Sprechenden. Aias, der Motor des Geschehens, erweist sich so auch hier in der Kulminationsszene der Tragödie als im Vollsinn Handelnder. Ihm obliegt es, die bisher in reflektie­renden Partien verarbeitete Motivik in Aktion umzusetzen und damit neue Fakten zu schaffen, mit denen sich die anderen Akteure im Folgenden konfrontiert sehen werden. Wir erkennen so deutlich, dass die Komposition und Anordnung der Chorlieder im ersten Teil der Tragödie, d.h. bis zum Selbstmord des Prot­agonisten, dramaturgisch und motivisch auf den vorliegenden Monolog zulaufen und als dramatisches Gestaltungsmittel die Aussage- und Wirkabsicht des Dichters auf die Bühne bringen. KAMERBEEKs Einschätzung des Selbstmordmotivs innerhalb der vorliegenden Tragödie ist dabei besonders bemerkenswert: „It may be observed that the suicide is the central motif of this drama, different from the suicide of Haemon or Deianeira.“7 Der Kontrast ist deutlich: In der Antigone (Selbstmord von Haimon und Eurydike), den Trachinierinnen (Selbstmord Deianeiras) und dem Oidipus Tyrannos (Selbstmord der Iokaste) fungieren Selbsttötungen als Reaktion von (Neben-)Personen entweder auf Taten der Haupthelden oder das Bewusstwerden der katastrophalen Wende und gehen demgemäß als dramatisch untergeordnetes Geschehen hinterszenisch vonstatten.

Nachdem sich der Chor bei seinem Abgang in zwei Hälften geteilt hat, treten auch nun die Choreuten mit Vers 866 von beiden Seiten wieder in die Orchestra und singen dabei ein zweites Auftrittslied, die Epiparodos.8 Dramaturgisch wiederholt sich eine ähnliche Situation wie zu Beginn des Dramas: Erneut hat der Zuschauer gegenüber dem Chor einen entscheidenden Informationsvorsprung. Als Zeuge der äußerst intimen Szene, die dem Wiederauftritt des Chors vorangeht, hat er einen direkten Einblick in die Gegebenheiten erlangt, die der Chor erst aufdecken muss. Wieder steht dabei die Figur des Prot­agonisten im Mittelpunkt: Diente schon der Prolog dazu, den Zuschauern den Haupthelden in einer Ausnahmesituation vor Augen zu führen, so greifen wir an der vorliegenden Stelle eine ganz parallele Konstruktion. Auch im Anschluss an die Selbstmordszene wird das Publikum daraufhin Zeuge der Konfrontation der Schiffsmannschaft mit den veränderten Gegebenheiten. Schließlich ist eine weitere Parallele zur Komposition von Prolog und Par­odos augenscheinlich: Statt den Chor direkt die Leiche des Aias finden zu lassen und damit die Handlung sofort weiterzuführen, erfolgt die Aufdeckung des Geschehenen beginnend ab Vers 891 erst durch Tekmessa. Hatte ihr Auftritt in Vers 201 mit der durch sie erfolgten Unterrichtung des Chors eine erste Dynamisierung des Bühnengeschehens zur Folge, so ist ihr Kommen auch an unserer Stelle der wesentliche Handlungsimpuls. Bis zu diesem Punkt, d.h. von Vers 866 bis 890, hält der Dichter den Handlungsablauf an und verzögert so den dramatischen Progress durch die Einschaltung der kurzen Epiparodos. Wie zu Beginn des ersten Epeis­odions wird sich daraufhin nach dem Auftritt Tekmessas eine epirrhematische Partie, ein weiterer Kommos, anschließen; der Klageruf des Teukros in Vers 974 unterbricht daraufhin die Gesprächssituation.

Zunächst zum formalen Aufbau der Passage: Auf die Wechselpartie der beiden Halbchöre in den Versen 866–878 folgt ein metrisches System, das sich über die Verse 879–914 erstreckt und nach der Einschaltung von zehn iambischen Versen Tekmessas (915–924) in den Versen 925–960 wiederholt wird. Einer größtenteils in dochmischen Versen komponierten Strophe des Chors (v. 879–890 bzw. 925–936) folgt dabei jeweils ein durch Klageinterjektionen ge­gliedertes, teils durch raschen Sprecherwechsel geprägtes Zwiegespräch zwischen Chor und Tekmessa (v. 891–914 bzw. 937–960), in dessen Mitte und an dessen Ende dem Chor eine etwas ausgreifende Periode zukommt. Zwölf iambische Verse Tekmessas (v. 961–973) schließen daraufhin die umfangreiche Partie. Die Wiederauftrittsszene des Chors sowie die direkt angeschlossene Auffindung des Leichnams ist so als eine metrisch und formal abwechslungsreiche Partie von einiger Ausdehnung gestaltet, die der besonderen dramaturgischen Situation sowie der aufgeworfenen Brisanz Rechnung trägt.

Ein detaillierter Nachvollzug von Inhalt und Gedankenführung ist hier allerdings entbehrlich, da die Partie im Wesentlichen die Suche nach und das Auffinden des Leichnams, die Einsicht in die Täuschung hinsichtlich der wirklichen Absichten des Helden sowie die aus seinem Tod erwachsenden Schwierigkeiten behandelt und dabei zu einem großen Teil als Verbalisierung der eigentlichen Bühnenaktion dient. Im folgenden raschen Überblick sollen vor allem die sprachliche Gestaltung sowie die Spiegelungen und Anklänge aus anderen Partien der Tragödie benannt werden.

Den von beiden Seiten in die Orchestra einziehenden Chor beschäftigt zunächst die erfolglose Suche nach Aias; der Dichter spielt in der sprachlich effektvollen Gestaltung des Eingangs der Par­odos mit dem Vorwissen der Zuschauer und Leser, wenn er den ersten Halbchor singen lässt (v. 866ff.):

πόνος πόνῳ πόνον φέρει.

πᾷ πᾷ

πᾷ γὰρ οὐκ ἔβαν ἐγώ;

Leid bringt [sc. neues] Leid dem Leide. Wohin, wohin, wohin ging ich denn nicht [und fand ihn trotzdem nicht]?

In emotionaler Aufgewühltheit betritt der Chor den Ort des Geschehens. Die effektvolle Alliteration der p-Laute (π/φ) der ersten Verse9 zieht sich mit dem Schlagwort πόνος durch den Wechselgesang der beiden Halbchöre (v. 874, 876). Die Wiederholung des Fragepronomens (v. 867) und der Interjektion (v. 870) verstärken den Eindruck situativen, d.h. ganz der dramatischen Situation und den aus ihr entstehenden Emotionen verhafteten Sprechens. Die Teilung des Chors gibt dem Dichter zudem die Möglichkeit, durch erregte Zwischenfragen (v. 873, 875) seitens der jeweils anderen Choreuten der Gespanntheit der Schiffsleute sowie der virulenten Dramatik der Szene Ausdruck zu verleihen. Der Wechsel von Rede und Gegenrede innerhalb des Chors selbst dramatisiert dabei die Passage in bisher unbekanntem Ausmaß. Anders gesagt: Der Wiederauftritt des Chors ist eine genuin dramatische, d.h. Handlung darstellende, dialogische Szene. Innerhalb ihres Austauschs versichern sich die beiden Halbchöre, sowohl die westliche als auch die östliche Seite des Lagers bei den Schiffen erfolglos abgesucht zu haben.

₺3.444,98

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
1341 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783823300519
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Serideki 20 kitap "DRAMA - Studien zum antiken Drama und seiner Rezeption"
Serinin tüm kitapları
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок