Kitabı oku: «Der Chor in den Tragödien des Sophokles», sayfa 6

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Die ausführliche Äußerung des Chors hat damit ein Ende gefunden. Die beiden Strophen erweisen sich bei genauerer Untersuchung als in besonderer Weise motivisch und sprachlich aufeinander abgestimmt. Zentrales Thema der Partie ist die Einsamkeit des Haupthelden, was sich in den leicht variierten Formulierungen μόνος αἰεί (v. 172) und μοῦνος ἀπʼ ἄλλων (v. 183) widerspiegelt. Während dabei die erste Strophe das Augenmerk auf die körperlichen Gebrechen Philoktets, den Mangel an ihm entgegengebrachter Fürsorge und seine ungebrochene Duldsamkeit legt, verschiebt die Gegenstrophe den Fokus auf die soziale Dimension: Sie malt dabei ein eindrucksvolles Bild der „Gesellschaft“ des Helden aus „gefleckten“ und „zottigen“ Tieren, ruft die in der ersten Strophe ausgeführte Krankheit in ὀδύναις in Erinnerung und verweist mit Rückgriff auf Vers 162ff. auf den Hunger als drängende Sorge Philoktets. Gezeichnet wird so das Bild eines in Sorgen und Kummer gefangenen, seiner ihm eigentlich zukommenden Stellung beraubten und in unwürdigen Verhältnissen lebenden Heros. Die auf ihn bezogenen Adjektive spiegeln diesen erbarmungswürdigen Zustand: δύστανος, μόνος, δύσμορος in der Strophe, ἄμμορος (was das vorangegangene, den eigentlichen Anspruch markierende οὐδενὸς ὕστερος mit der Kraft der Realität geradezu aufhebt), οἰκτρός und μοῦνος in der Gegenstrophe. Dass dabei pro Strophe je drei Begriffe den aktuellen Zustand des Helden ausleuchten und zudem in beiden Strophen durch ἔχων bzw. μὴ ἔχων dem Mangel an menschlicher Zuwendung ganz konkret die Fülle an Sorgen gegenübergestellt wird, ist ein Ausweis der besonders abgestimmten und feinen Kompositionsabsicht. Die Thematisierung des Echos am Ende der Gegenstrophe schließt dabei die Imagination der Lebensumstände Philoktets treffend ab: Indem mit diesem Phänomen die einzige Antwort auf die Klagen des Helden, sein alleiniger Gesprächspartner benannt wird, setzt es den Prot­agonisten in Beziehung zu seiner menschenleeren Umwelt und charakterisiert so seine Einsamkeit und Verlassenheit indirekt aus dem entworfenen Bild heraus. Im Vergleich zum Ende der Strophe (v. 177ff.) lässt sich feststellen: Während dort die allgemeinere Perspektive göttlichen und menschlichen Handelns bzw. Erleidens angeschnitten wurde, bieten die vorliegenden Verse 188ff. ein zwar indirektes, allerdings ganz aus der konkreten Situation entnommenes Panorama, das den Fokus wieder auf die in Raum und Zeit lokalisierbare dramatische Situation zurückführt.

Wie schon beim ersten Strophenpaar der lyrischen Szene (v. 135–143 sowie 150–158) begegnet also auch hier eine Abfolge sprachlich und motivisch aufeinander abgestimmter Strophen, die einen inhaltlichen Fortschritt bzw. eine Situationsdeutung unter zwei unterschiedlichen Aspekten bieten. Sophokles versteht es dabei, zwei dramaturgische und motivische Impulse für den Fortgang der Reflexion bzw. der Handlung zu setzen: Zum einen wird kurz eine allgemeine, theologisch umfassende Deutungsebene eingeblendet, was seinen Nachhall in Neoptolemosʼ Ausdeutung v. 192ff. finden wird. Zum anderen lässt sich in οἰμωγαῖς (v. 190) und der Echo-Thematik bereits ein Hinweis auf die während des dritten Strophenpaars vom Chor vernommenen Lautäußerungen Philoktets (αὐδὰ τρυσάνωρ v. 208f.) lesen, die schließlich in seinem Auftritt nach Vers 219/220 gipfeln werden. Anders gesagt: Die emotionale, mitleidsvolle Partie dient nicht nur der Imagination des Prot­agonisten und der bildhaften Ausgestaltung seiner Lebensumstände, sondern bringt die Reflexion selbst wesentlich voran und bereitet die folgenden Entwicklungen bzw. Ausführungen bereits vor.

Kommen wir zur Antwort des Neoptolemos in den Versen 191–200. Wie bereits erwähnt, deutet er die Situation Philoktets unter theologischen Vorzeichen: Nichts von alledem, so bekennt er, setze ihn in Erstaunen; es seien die göttlichen Leiden (θεῖα παθήματα) der grausamen Chryse, die Philoktet auszuhalten habe. Des Weiteren ist er überzeugt: Es sei schlicht nicht möglich (οὐκ ἔσθʼ), dass die aktuellen Leiden des Helden ohne göttliche Einflussnahme (οὐ θεῶν μελέτη) bezüglich des Untergangs Troias zu Stande gekommen seien. So werde der Held seine Waffen erst gegen die Stadt richten, wenn die richtige, d.h. gottbestimmte Zeit ihres Untergangs gekommen ist; bis dahin – so der implizite Schluss – sei es ihm durch das verhängte Leid unmöglich, in den göttlichen Plan einzugreifen.

Damit hat der mittlere Abschnitt der Passage ein Ende gefunden. In Vers 201 wird der Chor mit dem Hinweis auf hinterszenische Geräusche das Eintreffen Philoktets in greifbare Nähe rücken und so die Reflexionen und Einordnungen zu Gunsten der Vorbereitung auf den bevorstehenden Auftritt des Prot­agonisten unterbrechen. Machen wir uns daher klar: Die anapästische Antwort des Neoptolemos leistet eine für das Drama wesentliche Konkretisierung der durch den Chor angedeuteten Motivik. Während in Vers 177ff. allgemein das Unheil eines maßüberschreitenden Lebens – eventuell mit einem Hinweis auf den göttlichen Einfluss – thematisiert wurde, steht für Neoptolemos die Existenz eines hinter den Geschehnissen waltenden göttlichen Plans außer Frage. Mit der Einordnung der aktuellen Lage Philoktets in den Troia-Kontext ist die durch den Chor reflektierte und imaginierte Situation im Handlungsgefüge verortet. Anders gesagt: Die Bildhaftigkeit und Emotionalität der Kurzode (v. 169–190) findet hier ihren Kontrapunkt in einer auf die großen Zusammenhänge der Handlung gerichteten Ausdeutung, die Zuschauern und Lesern wesentliche, im Prolog bereits entfaltete Motive wieder in Erinnerung ruft. Wenn an unserer Stelle allerdings Neoptolemos seine Rolle bei der Einnahme Troias verschweigt (vgl. v. 114ff.), so ist dies der ausschließlichen Fokussierung auf Philoktet und seine Rolle in der dramatischen Gegenwart sowie der intendierten Zukunft geschuldet.

Dem so erreichten Ausblick in die Zukunft nach einer geglückten Mission auf Lemnos, d.h. der Zielvorstellung, die der Intervention von Odysseus und Neoptolemos zu Grunde liegt, ist reflektorisch nichts mehr hinzuzufügen.

Mit Vers 201 erfährt die Szenerie eine besondere Dynamik. Der Chor unterbricht seinen Herrn und gibt – nach einem vernehmbaren hinterszenischen Geräusch – auf die Frage „Was ist das?“ Antwort: Man hat das Getrappel Philoktets als eines gequälten Mannes vernommen, auch wenn es (noch) nicht genau zu lokalisieren ist (v. 204). Die Wirkung der ebenso deutlich gehörten Stimme (ἐτύμα φθογγά) bildet das verdoppelte βάλλει in Vers 205 wirkungsvoll ab; Philoktet, so die Konsequenz der Lautäußerungen, scheint unter Schmerzen seinen Pfad entlang zu kriechen (ἕρποντος). Auch der von Erschöpfung zeugende Laut (αὐδὰ τρυσάνωρ) ist dem Chorführer nicht verborgen geblieben, da er ganz vernehmlich zu hören war (v. 209).

Beachtenswert ist die sprachlich fein abgewogene Komposition der Strophe: Drei klangliche Phänomene – κτύπος, φθογγά und αὐδά – bilden den Anlass der Äußerung und erfahren innerhalb der Strophe ihre Ausgestaltung. In jeweils paralleler Stellung ist der Nennung des Geräuschs zunächst das Prädikat vorangestellt – προὐφάνη, βάλλει βάλλει sowie (οὐδέ) λάθει; während dabei κτύπος durch kein kongruentes Adjektiv ausgestaltet wird, gesellt sich zu φθογγά die Angabe ἐτύμα, αὐδά wird durch die beiden Angaben βαρεῖα (vorgestellt) und τρυσάνωρ (nachgestellt) eingerahmt. Schritt für Schritt wird so an Hand der Begriffe das Bild des kranken Philoktet entfaltet, bis schließlich mit seiner deutlich vernehmbaren Stimme (διάσημα) geradezu seine ganze Person vor dem geistigen Auge der Zuschauer präsent ist und sie seinen baldigen Auftritt erwarten.

Die Gegenstrophe beginnt erneut mit einer Aufforderung des Chors an seinen Herrn, die dieser für eine kurze und affektvolle Frage unterbricht. So wird Neoptolemos auf die neue Situation aufmerksam gemacht: Philoktet ist nicht außerhalb seines Wohnsitzes (ἔξεδρος), sondern in der Höhle angelangt, d.h. dem eigentlichen Bühnengeschehen ganz nahe gekommen (ἔντοπος v. 211).13 Was folgt, ist eine weitere Beschreibung der wahrgenommenen Geräusche und Lautäußerungen des Heros, diesmal weniger durch beigestellte Adjektive, sondern in bildhaften Vergleichen: So gleiche sein Rufen nicht dem Gesang der Syrinx, die ein Hirte bei sich trägt; vielmehr lasse er strauchelnd und durch Not gezwungen (πταίων ὑπʼ ἀνάγκας) einen weithallenden Klageschrei (τηλωπὸν ἰωάν) erschallen, als sähe er einen für ankommende Schiffe äußerst ungastlichen Ankerplatz.14 Noch einmal bekunden die Choreuten daraufhin die Gewalt und Lautstärke Philoktets (προβοᾷ τι δεινόν), bevor dieser in Vers 219 endgültig in den für Neoptolemos, den Chor und die Zuschauer sichtbaren Bereich tritt.

Machen wir uns kurz den Zusammenhang dieses letzten Abschnitts klar, bevor wir die Passage im Ganzen überblicken. Mit der Gegenstrophe ist Philoktets Präsenz auf ein Höchstmaß gesteigert: Während zunächst, d.h. in den Versen 201–209, noch die Lautäußerungen selbst Gegenstand der Betrachtung und zugleich grammatikalisches Subjekt waren, fokussiert sich an unserer Stelle die Betrachtung ganz auf den Prot­agonisten selbst. Er ist Handlungsträger, selbst das zu beschreibende Phänomen und daher Subjekt der ausgreifenden Periode v. 212ff. Die dabei seinen Lauten zukommenden Beschreibungen werfen zunächst das kontrastreiche Bild eines wandernden Hirten auf, bilden dann die Realität ab und enden in einem Vergleich, der ganz aus der nautischen Perspektive der Schiffsleute gesprochen ist. Man mag in dieser Dreigliedrigkeit einen Widerhall der prominenten Dreigliederung in der vorangegangenen Strophe erkennen und den dort gegebenen Ausgestaltungen so die Vergleiche der Gegenstrophe zur Seite stellen.

Das „Echo“15 der Junkturen κατʼ ἀνάγκαν und ὑπʼ ἀνάγκας (v. 206 und 215) ist dabei ein wirkungsvolles Mittel, den zentralen Gedanken des Strophenpaars zum Ausdruck zu bringen. Wie schon im vorangegangenen Abschnitt das Motiv der Einsamkeit durch die Wiederholung des Begriffs μόνος bzw. μοῦνος (v. 172 und 183) als wesentliches Moment der Reflexion herausgearbeitet wurde, so verknüpft auch hier das Echo die Zusammengehörigkeit des Strophenpaars und stellt mit Philoktets Not einen bedeutenden dramatischen Umstand dar.

Wir sind unversehens dazu gekommen, das Verhältnis des letzten Strophenpaars zu den anderen Teilen der umfangreichen lyrischen Szene klarzustellen. Ohne Vollständigkeit anstreben zu wollen, müssen die wesentlichen und ins Auge stechenden Bezüge hier aufgeführt werden. Gerade mit dem ersten Strophenpaar der Passage (v. 135–168) steht der Schlussabschnitt in vielfältiger begrifflich-motivischer Verbindung: Dem fragenden τίς τόπος (v. 157) steht zunächst das unbestimmte ἤ που τᾷδʼ ἢ τᾷδε τόπων (v. 204), schließlich das bestimmte ἔντοπος (v. 211) gegenüber. Das mit dieser letzten Angabe kontras­tierende οὐκ ἔξεδρος (v. 211) spiegelt zudem die Frage τίς ἕδρα, ebenfalls aus Vers 157, sowie die Bezeichnung ἔνεδρος (v. 153). Auch die Frage nach dem Weg des Helden (τίνʼ ἔχει στίβον v. 157) klingt in der lokal noch unscharfen Formulierung φθογγά του στίβον ἕρποντος v. 206 erneut an. Die schlichte Benennung des Helden als „Mann“ (ἀνήρ v. 212) ist eine Reminiszenz an die erste Apostrophierung des Prot­agonisten als ἀνὴρ ὑποπτάς (v. 136). Während der Chor zudem in der ersten Gegenstrophe noch die Furcht äußerte, den herannahenden Philoktet im Ernstfall nicht wahrzunehmen (μή με λάθῃ v. 156), ist der nun an das Ohr der Choreuten dringende Ruf des Gequälten untrüglich: οὐδέ με λάθει (v. 207f.).

Es ist nach dieser Aufzählung offensichtlich: Die beiden Strophenpaare sind absichtsvoll in der Form von Frage und Antwort aufeinander hin komponiert. Die Sprechersituation ist dabei annähernd gespiegelt: Während zunächst Neoptolemos den Chor mit den nötigen Informationen versorgte, ist es am Ende der Partie am jugendlichen Kapitän, sich selbst über die Vorgänge ins Bild setzen zu lassen. Die virulenten Fragen vom Beginn der Partie werden so beantwortet.

Aber auch das inmitten dieser motivisch-begrifflichen Klammer positionierte eigentliche Lied, d.h. das zweite Strophenpaar v. 169–190, klingt in einigen Formulierungen der Schlusspartie wieder an: Auf die strukturelle Ähnlichkeit mit Blick auf die Betonung eines Zentralbegriffs ist bereits hingewiesen worden; augenfällig sind weiterhin die Spiegelung von τηλεφανής (v. 189) in τηλωπόν (v. 216), die erneute Verwendung des Partizips ἔχων (v. 213, vgl. v. 171 und 187) sowie die möglicherweise bewusste Anspielung auf die Tierthematik aus Vers 184 im Bild des Hirten v. 214f. Diese Wiederaufnahmen und Spiegelungen erschöpfen sich dabei nicht in reiner Wiederholung oder Ausmalung bereits behandelter Sachverhalte, sondern sind auf Grund ihrer dramatischen Brisanz wesentlich dazu geeignet, die eigentliche Handlung erneut anzustoßen und fortzuführen.

Die gesamte Auftrittsszenerie des Chors kann nun überblickt werden. Kurz lässt sich zusammenfassen: Die im ersten Strophenpaar ausgetauschten Informationen setzt der Chor im mittleren Abschnitt der Passage in ein vitales Bild vom Prot­agonisten um und bereitet damit zugleich dessen Auftritt vor, den das dritte Strophenpaar als affektvolle Liminalszene in greifbare Nähe rückt. Es bietet sich an, die Passage in die drei Abschnitte Information und Erkundung, Imagination und Ausdeutung sowie Auftrittsvorbereitung zu gliedern. Wenn BURTON16 und PAULSEN17 darin das strukturelle „Schema A-B-A“18 erkennen, so treffen sie sicherlich den richtigen Sachverhalt. Gerade die oben angeführten vielfältigen Bezüge zwischen dem ersten und dem dritten Strophenpaar sprechen in dieser Hinsicht für sich. Allerdings läuft die gewählte Formulierung Gefahr, die komplexe Struktur der Partie zu vereinfachen. Statt eines simplen dacapo – um, der Sache ganz und gar angemessen, mit Begriffen der Musik zu reden – bietet sich an, etwas differenzierter von einer Abfolge Exposition – Durchführung – Reprise zu sprechen und so das Verhältnis der einzelnen Teile zueinander genauer zu fassen.19

Grundthema und Ausgangspunkt der gesamten Partie ist dabei mit Philoktet der Prot­agonist selbst: Sein elendes Leben auf der sonst menschenleeren Insel bildet in der bildhaften Ausgestaltung des zweiten Strophenpaars die Mitte des Abschnitts. Gerahmt wird diese dabei durch die Erkundung der konkreten Lebensumstände des Helden durch den Chor sowie die schrittweise Konfrontation mit dem realen Philoktet, der schließlich auf der Bühne erscheinen wird. Die Szenerie entfaltet in dieser Hinsicht gerade gegen Ende eine enorme Sogwirkung, die rückblickend geradezu das dramatische Crescendo der bisherigen Abfolge von Prolog und Auftrittsszene des Chors darstellt. War Philoktet bereits seit den ersten Worten des Odysseus (v. 4ff.) Gegenstand und Bezugspunkt von Handlung und Reflexion, so sind mit der lyrischen Partie der Prot­agonist selbst, das Verhältnis der Akteure einschließlich des Chors untereinander und die gesamte dramatische Umwelt in höchstem Maß ausgeleuchtet.

Schon angesprochen wurde der durchgehende Handlungsfluss im Übergang vom Prolog zur Auftrittsszene des Chors. Indem der Chor keine leere Bühne betritt, sondern sich zu Neoptolemos als einem der Prologsprecher gesellt und mit ihm in ein Gespräch eintritt, ist die gesamte folgende Szenerie als direkter Anschluss an die vorangegangene Unterredung etabliert: Kein Neubeginn, sondern dramatische Kontinuität prägt das Bühnengeschehen.20 Dementsprechend sind bestimmende Motive und Strukturmomente des Prologs auch für die lyrische Passage von Bedeutung: Zunächst ist letztere wesentlich dialogisch, d.h. Austausch zwischen Mannschaft und Kapitän. Statt dem Zwiegespräch Odysseus-Neoptolemos also eine rein reflektierende, monologische Partie folgen zu lassen, belebt Sophokles die bereits etablierte und mit dem Abtritt des Odysseus zu einem ersten Ende gekommene Dynamik des Dialogs neu.

Die Erkundung des dramatischen Raums, d.h. der Bühne, sowie die Beschreibung der Höhle und der Lebensbedingungen Philoktets bilden zudem eine weitere Brücke zwischen Prolog und Par­odos. Indem auch der Chor über einige wesentlichen Momente der Handlung informiert wird und sich selbst ein Bild von der Lage macht, wiederholt sich die strukturelle Ausgangssituation des Prologs. Wenn dabei die beiden dialogisch strukturierten Strophenpaare eine reflektierende und imaginierende Kurzode umrahmen, ist das Prologgespräch in einer anderen Personenkonstellation, also unter veränderten Vorzeichen, gespiegelt und – unter Einschaltung und Nutzbarmachung eines anderen Formele­ments – geradezu fortgeführt.

Damit allerdings nicht genug. In entscheidender Hinsicht kontrastiert die Auftrittsszene des Chors mit dem Prolog und setzt sich in wesentlichen Elementen von ihm ab: Zum einen lenkt die lyrische Passage den Blick ganz und gar auf den Prot­agonisten und blendet dabei die moralische Diskussion sowie das Unbehagen des Neoptolemos angesichts der geplanten Intrige aus. Indem er seiner Mannschaft als „souveräner Führer in der Kopie des Od[ysseus]“21 gegenübertritt und zudem das ausgemalte Leid einzuordnen und zu deuten versteht (v. 191ff.), ist die Problematik seines Vorhabens und der in Rede stehenden Täuschung ganz aus dem Blick geraten. Statt einer Problematisierung des weiteren Vorgehens, wie es die einleitende Frage des Chors (v. 135f.) vermuten ließ, entfaltet sich eine farbenreiche Imagination des Prot­agonisten, wobei zudem das Verhältnis zwischen den verschiedenen Akteuren (Neoptolemos, Chor, Philoktet) ausgeleuchtet wird.

Damit Hand in Hand geht die zweite Verschiebung gegenüber dem Prolog: Während sich Odysseus und Neoptolemos in ihrer Unterredung vom Schicksal des Philoktet mehr oder minder unbeeindruckt zeigten, nimmt der emotional-mitleidende Blick in der lyrischen Passage eine zentrale Rolle ein. Hatte also der Prolog im Wesentlichen den intendierten Fortgang der Handlung im Blick, reflektiert die Auftrittsszenerie des Chors ein bedeutendes Moment der Handlung in emotional-bildhafter Ausgestaltung.

Die Auftrittsszene des Chors ist so von einer besonderen Spannung geprägt: Als Fortführung struktureller Momente des Prologs unter Verschiebung entschei­dender Vorzeichen reiht sie sich in die dramatische Kontinuität, vervollständigt dabei allerdings durch eine Perspektiv- und Akzentverschiebung das Bild vom Prot­agonisten und der gesamten dramatischen Ausgangssituation.22 Die weitgreifende Imagination des Prot­agonisten innerhalb seiner Umwelt bildet dabei den Auftakt zum Auftritt Philoktets und dem damit verbundenen Fortschreiten der Handlung. Zudem ist, wie sich später zeigen wird, mit der breit entfalteten Mitleidsthematik ein Grundmotiv der chorischen Reflexion an unserer Stelle prominent etabliert.23

Die ausführliche Passage nimmt damit eine besondere Gelenkfunktion zwischen dem Prolog und dem ersten Epeis­odion ein. Gerade mit Blick auf die sich anschließende Szene lässt sich weiterhin feststellen, dass die Imagination der widrigen Lebensumstände des Haupthelden in dessen ausgreifendem Monolog (v. 254–316) in gewisser Weise beantwortet und gespiegelt wird.24 Insofern vollzieht sich die Exposition des Heros, seiner Geschichte und seiner Situation in einem Dreischritt: Der Prolog hatte kurz sowohl den eigentlichen Akt der Aussetzung durch Odysseus thematisiert sowie einen ersten Blick auf die Figur Philoktets geworfen. Die lyrische Passage, v.a. die Kurzode v. 169–190, war demgegenüber trotz ihres Mangels an konkreter Erfahrung von bildhafter Drastik und detaillierter Ausgestaltung geprägt, während Philoktets eigene Worte erneut eine umfassende, d.h. seine Aussetzung, die Beschreibung der Insel sowie der momentanen Situation bietende Ausleuchtung aus der Perspektive des Betroffenen darstellen werden.25 Die lyrische Passage ist so motivisch und thematisch geklammert.26

So vielgestaltig die Passage in formeller Hinsicht ist, so polyvalent erscheint sie mit Blick auf die dramaturgischen Implikationen. Zusammengefasst soll festgehalten werden: Sophokles versteht es, der Auftrittsszene des Chors als einer traditionell an Handlungsfortschritt armen Stelle innerhalb des dramatischen Ablaufs dennoch besondere dramatische Brisanz und Dynamik zu verleihen.27 Die Rahmung der rein reflektierenden Partie (v. 169–190) durch die dialogisch gestalteten Strophenpaare verankert dabei die Imagination fest im Ablauf des Gesprächs und der Handlungsentwicklung. Mit der oben erläuterten motivisch-thematischen Klammerstellung ist gerade der reflektierend-imaginative Teil auf dramatische Fernwirkung konzipiert und reiht sich als zweites, ausführliches und wesentlich emotionales Moment in die ausgreifende Schilderung des Prot­agonisten.

Mit der Gestaltung der Partie als einer umfangreichen Komposition von drei formal unterschiedenen Abschnitten setzt Sophokles des Weiteren gleich zu Beginn des Stücks einen wesentlichen Akzent, der den Auftritt des Prot­agonisten umso wirkungsvoller in Szene setzt. Dass mit der Gesprächssituation Neoptolemos-Chor zudem eine typische und die weiteren chorischen Partien entscheidend prägende Konstellation etabliert ist, wird sich im Fortgang des Stückes zeigen.

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