Kitabı oku: «Existenzielle Gewissheit und individuelle Beständigkeit», sayfa 4
Einleitung
Im ersten Teil unserer Betrachtungen1 ging es um die Frage, ob es «objektive, apriorische Rechtsgesetze, d.h. rechtliche Urphänomene»2 gebe. Anknüpfend an Adolf Reinachs Habilitationsschrift Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtes (1913)3, ließ sich am Phänomen des Versprechens und dessen Implikationen aufzeigen, dass im dadurch eröffneten Bereich der Pflichten und Rechte relativer Natur in der Tat objektive, begriffsimmanente, aus dem Versprechen selbst sich herleitende Grundgesetze gelten. Hinsichtlich der Frage, ob entsprechende Urphänomene auch in absolutem Sinne auffindbar seien, ergab sich eine affirmative Antwort im Falle eines Versprechensadressaten, der darauf verzichtet, dass sein Anspruch von dem Versprochenhabenden erfüllt werde, wodurch er Letzteren von der eingegangenen Verpflichtung entbindet. Offen blieb jedoch, ob es nebst dem Verzichten – welches zumal als ein inhaltlich negatives formales Recht erscheint – noch andere absolute Rechte, namentlich auch solche positiven Inhaltes, gebe.
Dementsprechend schloss der genannte Aufsatz mit zwei Fragen:
(i) Gibt es absolute Rechte positiver inhaltlicher Sozialnatur?
(ii) Lassen sich aus dem Begriff der sich auf Individualität gründenden Persönlichkeit absolute Rechtsprinzipien herleiten, die den Eigentümlichkeiten der verschiedenen Rechtsgemeinschaften vorausgehen?
Um einzelne Aspekte dieser Fragen geht es in den folgenden Ausführungen. Ehe wir sie angehen können, müssen wir jedoch zuerst sowohl die Kennzeichen der Rechtssphäre als auch die damit korrelierten Wesensmerkmale der sie Konstituierenden und eo ipso darin Einbezogenen schärfer ins Auge fassen.
1. Kennzeichen der Rechtssphäre
Wann immer es darum geht, Erkenntnisse zu gewinnen, intendieren wir einen Gegenstandsbereich und stecken alsdann das zu betrachtende Feld ab, indem wir Fragestellung und Gegenstand aufeinander abstimmen und die adäquate Vorgehensweise festlegen. Je nach der Beschaffenheit und dem Zusammenspiel dieser Komponenten erhalten wir Zugang zu unterschiedlichen Erkenntnissphären, von denen ich hier zunächst zwei herausgreife:
a) Im Falle der axiomatisierten, reinen Mathematik eröffnet der Mathematisierende – erkenntnislogisch betrachtet – mit der in den Postulaten spezifizierten Erkenntnisintention den jeweiligen Forschungsbereich und bringt dadurch dessen Gegenstände zuallererst in die Sicht. Indem er danach die postulierte Intention befolgt, gelangt er zuerst zu den Axiomen (Grundgesetzen), welche der Intention entsprechen und sich unmittelbar daraus ergeben – und daraufhin zu den aus den gesetzten Forderungen und den zugehörigen Axiomen ableitbaren Theoremen (Folgesätzen);
b) Dem phänomenologisch vorgehenden Naturwissenschaftler hingegen sind die primären Erkenntnisgegenstände im Prinzip von Anfang an gegeben (beispielsweise die vom unbewaffneten Auge sichtbaren Gestirne, die Gebirge und Gesteine, die Winde und Wolken sowie auch die Pflanzen und Tiere), und er steht vor der Aufgabe, die im Erscheinenden ablesbaren, darin waltenden Gesetze als solche zu erfassen und zu formulieren.
Nun deuten weder die Gegenstände des Mathematikers noch jene des Naturwissenschaftlers von sich aus auf die Person des sie Aufdeckenden und Erkennenden hin: Inhalt, Gestalt, Geltung der Gesetze sind unabhängig vom Begriff Person. Dementsprechend hätte – sit venia verbo – der noch einsame Adam Mathematik und Naturwissenschaften betreiben können, ohne dass er dabei auf irgendeinen Inhalt gestoßen wäre, der sich direkt auf ihn, als fragendes Subjekt des Erkennens und Handelns, bezogen hätte. Im Gegenzug hätte ihn auch keiner der genannten Gegenstandsbereiche daran gehindert – beziehungsweise ihn dazu ermuntert oder ihm nahegelegt, seine eigene Erkenntnistätigkeit zu analysieren und sich als Ich gegenüber allem Anderen, als dem Nicht-Ich, zu bestimmen und zu behaupten.
Faktisch wäre jedoch Adams solitäres Dasein rechtlos gewesen, und er hätte auch keinerlei Anlass gehabt, sich um irgendwelche Rechtskategorien zu kümmern. Mit anderen Worten: Ehe mindestens zwei Individuen sich auf einem «Planeten» oder auf einer abgelegenen, bewohnbaren «Insel» aufhalten, käme der Gedanke an eine Rechtssphäre wohl gar nicht auf; jedenfalls schiene er absurd. Sobald jedoch zwei Individuen auf dem betreffenden Himmelskörper oder Eiland auf einander träfen, dürfte sich die Situation ganz grundlegend ändern: Im besten der möglichen Fälle könnte dann – zunächst vermutlich nur in einem der beiden Individuen – der Gedanke aufkeimen, er sollte mit dem Anderen darüber verhandeln, inwieweit es einerseits ihm selbst erlaubt sei, seine eigenen Lebenspläne zu entwickeln und umzusetzen, das heißt, im Sinnlich-Fassbaren zu verwirklichen, ohne befürchten zu müssen, dass der Andere ihn daran hindere – als es auch anderseits dem Anderen zu gestatten sei, seinen persönlichen Lebensentwurf zu ergreifen und zu realisieren, ohne dass ihn der Erstgenannte davon abzuhalten bestrebt wäre.
Doch welche typischen Beziehungsformen, die zwei Individuen anlässlich ihrer Begegnung eingehen und ausgestalten können, sind denkbar – und welche finden wir tatsächlich vor? Wie lassen sie sich charakterisieren, präzise auseinanderhalten und mit gesonderten Ausdrücken bezeichnen?
Wie indirekt angedeutet, bieten sich hierzu zwei unterschiedliche Wege an:
(i) Wir können rein gedanklich vorgehen und uns überlegen, welche grundsätzlich verschiedenen Fälle auftreten können. Unser Augenmerk richten wir dabei theoretisch (abstrakt) auf einprägsame, vereinfachte Beziehungsmuster, die wir schematisch festhalten und danach mit Beispielen zu veranschaulichen suchen.
(ii) Wir wenden uns der Fülle gegebener, gerichtsnotorischer Rechtsfälle zu und versuchen, die sich darin zeigenden Beziehungsformen als solche zu erfassen, und damit meine ich: sie nach den an ihnen zu beobachtenden Mustern und Gesetzmäßigkeiten darzustellen.
Wesley Newcomb Hohfeld (1879–1918) versuchte, beide Zugänge zu berücksichtigen. Von Anfang an war er bestrebt zu typisieren. Er sammelte konkrete Rechtsfälle und prüfte, ob sie sich bestimmten eindeutigen Typen zuordnen ließen. Seine Resultate sollen uns als Ausgangspunkt für die weiteren Erörterungen dienen.
Hohfeld kam in seinen Untersuchungen auf acht Begriffe (Gedankengerüste, Vorstellungen, Ideen im Sinne von Leitgedanken), welche Richter, Anwälte, Rechtsgelehrte implizit handhabten, ohne sich jedoch im Allgemeinen dessen bewusst gewesen zu sein, dass sie häufig die von ihnen benutzten Ausdrücke in mehr als einer Bedeutung verwendeten. Dadurch blieben die Ausführungen konfus, mehrdeutig. Wenn immer möglich, vermied es Hohfeld, neue Ausdrücke einzuführen; er strebte vielmehr danach, bekannte, in Gebrauch befindliche Wörter beizubehalten – aber jedem der acht fundamentalen Termini eine eindeutige, klare, unmissverständliche Bedeutung zur verleihen. Und damit einhergehend forderte er alle an dem rechtlichen Diskurs Beteiligten dazu auf, diese acht grundlegenden Fachausdrücke hinfort in der von ihm vorgeschlagenen genauen begrifflichen Bedeutung zu verwenden4.
Wie Hohfeld herausfand, bilden die dank den eindeutig festgelegten Ausdrücken klar erfassten Begriffe vier auffallende, charakteristische rechtliche Beziehungsformen, die ich als abstrakte Grundfiguren bezeichne. Jede dieser Figuren hebt eine besondere Form der Rechtsbegünstigung gegenüber einer ebenso spezifischen Art der Rechtsohnmacht oder Rechtsbürde hervor. Ich gebe im Folgenden Hohfelds englische Termini an und füge sinnentsprechende deutsche Ausdrücke dazu5:
Gegensätze von Rechtsgunst und Rechtserduldung (Jural Opposites)
Figur I | Figur II | Figur III | Figur IV | |
A | claim [right*)] (Forderung; Anspruch auf etwas) | privilege, liberty to … (Vorrecht auf etwas; gewährte Freiheit zu etwas) | power (Erhaltene Befugnis zu etwas) | immunity, exemption (Entbindung, Befreiung von etwas) |
B | no-right, no-claim (Erduldung; kein Anrecht auf etwas) | duty (Verpflichtung zu etwas) | disability (Unvermögen zu etwas; Unfähigkeit rechtlich Relevantes festzulegen) | liability (Haftung für etwas; Bindung an etwas) |
*) Ein Recht sensu stricto
Aus diesen Gegensatzpaaren zwischen verschiedenen, rein begrifflichen Spielarten von aktiver Rechtsgunst und passiver Rechtserduldung gehen vier einprägsame, konkrete Beziehungsformen hervor, in denen je zwei Individuen einander ergänzende, korrelative Positionen einnehmen:
Rechtlich einander ergänzende, korrelative Beziehungsformen (Jural Correlatives)
Figur I | Figur II | Figur III | Figur IV | |
A | claim [right*)] (Forderung; Anspruch auf etwas) | privilege, liberty to… (Vorrecht auf etwas; Gewährte bzw. tätige Freiheit zu etwas) | power (Erhaltene Befugnis zu etwas) | immunity, exemption (Entbindung, Befreiung von etwas) |
B | duty (Verpflichtung zu etwas) | no-right, no-claim (Gewährtes erdulden; kein Anrecht, erhaltene Vorrechte zu unterbinden) | liability (Haftung für etwas; Gebunden sein an etwas) | disability (Unvermögen zu etwas; Unfähigkeit rechtlich Relevantes festzulegen) |
*) Anspruchsrecht sensu stricto
In diesen realen Beziehungsformen nehmen die Rechtspartner korrelative, einander ergänzende, aufeinander bezogene Standpunkte ein. Immer geht es dabei um das Verhältnis eines Rechtsbegünstigten zu einem Rechtspflichtigen oder Rechtserduldenden.
Einfache Beispiele für diese konkreten Beziehungsfiguren sind6:
Für I: Ein Gläubiger A hat Anspruch (claim) auf die Rückzahlung der 1.000 €, die er B geliehen hat; B hat sich gegenüber A verpflichtet (duty), ihm diese Summe zurückzuerstatten.
Für II: A besitzt das ihm gewährte Vorrecht (privilege, liberty), seine eigene Wohnung nach Belieben zu betreten; B muss dies (er)dulden, er hat kein Anrecht (no-right) darauf, A an der Ausübung seines Vorrechtes zu hindern bzw. As Wohnung ebenfalls zu betreten, wann immer es ihm (dem B) danach gelüstet. – A kann sein eigenes Handy, sein Fahrrad nach Belieben benutzen, wann immer er will; B hingegen hat weder ein Recht darauf, As Fahrrad noch dessen Handy zu verwenden, ohne die ausdrückliche Erlaubnis von A.
Deutlich unterscheiden müssen wir zwischen claims (den Anspruchsrechten in eigentlichem Sinne und liberties (den Privilegien, Vorrechten auf etwas bzw. den gewährten oder spontan ergriffenen, tätigen Freiheiten zu etwas). So zeigen die aktiven Liberties, die aus Freiheiten erwachsenen Aktivitäten, unverkennbare Züge absoluter Individualrechte mit einem positiven Sozialcharakter. –
Gegenüber den Beziehungsformen der Figuren I und II weisen jene der Figuren III und IV auf Anspruchsrechte (claims) bzw. Vorrechte (privileges) sekundärer Natur hin:
Für III: A hat die ihm zustehende, anerkannte Befugnis (power), B die Vollmacht zu erteilen, ihn (d.h. A) bei Gericht zu vertreten. Sobald B die Vollmacht entgegengenommen hat, ist er gebunden ( liablility).
Für IV: Angenommen, A habe B 1.000 € geliehen, und B habe sich verabredungsgemäß dazu verpflichtet, ihm diese Summe binnen zweier Monate zinsfrei zurückzuerstatten. Als B die 1.000 € zurückzahlt, verlange A den im Vertrag nicht vorgesehenen Zins von 10 %. A ist rechtlich nicht befähigt (disable), diese Vertragsänderung nachträglich einseitig einzufordern. B ist davor geschützt (entbunden, immune), auf As nachträgliche Forderung einzugehen. –
Alle bisherigen, mir bekannten Untersuchungen deuten darauf hin, dass Hohfelds Kategorientafel rechtlicher Beziehungsformen, die zwischen zwei Individuen entstehen können, vollständig ist. Wesentlich in unserem Kontext sind drei Gesichtspunkte:
1. Hohfeld hat keine inhaltlichen Naturrechte für die jeweiligen Rechtsbegünstigten einer gegebenen Beziehungsfigur aufgezeichnet, sondern er hat charakteristische Formen von Rechtsbeziehungen umrissen. Aus diesen ragt Figur I – welche Abmachungen, Vereinbarungen, Verträge umfasst – in qualitativer und quantitativer Hinsicht heraus. Auf die Analyse dieser Figur des Versprechens konzentrierte sich der I. Teil unserer Untersuchungen. Wesentlich für die in Figut I gekennzeichnete Rechtsrelation ist, dass nicht der Rechtsbegünstigte, sondern der Rechtspflichtige eine Tat vollbringen bzw. unterlassen muss. Ganz anders ist der Sachverhalt im Falle der Relation, auf welche die Figur II hinweist: Hier darf der Rechtsinhaber, nämlich A, etwas tun oder unterlassen, das B zu tolerieren hat, weil ihm kein Anspruchsrecht zusteht, As Tun bzw. Lassen zu behindern oder zu unterbinden. Das mit Figur II skizzierte Rechtsverhältnis ist für das Verständnis der im positiven Recht verankerten grundlegenden Rechte des Individuums von fundamentaler Bedeutung ( siehe unten, IV).
2. Insoweit eine Beziehung, die zwei Individuen zueinander eingehen (bzw. in der sich zwei Rechtssubjekte vorfinden), sich auf eine der aufgelisteten rechtsrelevanten Formen reduzieren lässt, kommt dem betreffenden Gefüge urphänomenale Bedeutung zu.
3. Da es nicht möglich ist, dass sich eine bestimmte rechtliche Beziehungsfigur zwischen zwei Individuen entfalte, d.h. konkretisiere, ehe sie sich dazu entschlossen haben, ihre Rechtsrelation in deren Sinne zu regeln – wobei sie selbst bestimmende Elemente der Beziehung bilden –, stellt die verwirklichte, reale Rechtsrelation weder eine reine Begriffsbeziehung noch ein den Individuen von irgendeiner Autorität oktroyiertes Gebot moralischer, religiöser oder gruppenspezifischer Natur dar. Anders gesagt: Echte Rechtsrelationen ergeben sich nur dann, wenn Individuen sie in wechselseitigem, rechtlichem Diskurs aushandeln und umsetzen.
2. Negieren als Ursprung des Rechtsbewusstseins
Mit dem Hinweis auf die Fähigkeit, Intentionen zu erfassen und zu setzen und das darin Postulierte zu befolgen, habe ich einen Grundzug individuellen Erkennens und Handelns hervorgehoben. Aufzuzeigen bleibt – unter anderem –, woraus der im Setzen sich äußernde Wille erwächst und sich dann im rechtlichen Diskurs äußert. Unterscheiden sollten wir dabei zwischen der erkenntnislogischen und der entwicklungsgeschichtlichen Sichtweise:
(i) Erkenntnislogisch kann es einen Willensimpuls, bei dessen Aufblitzen und Umsetzen das ihn ergreifende, ihn wollende Subjekt sich nicht aus einem gegebenen Zustand zu lösen begänne, nicht geben. Selbst wer sich dazu durchgerungen hat, letztlich in den herkömmlichen Verhältnissen auszuharren, musste einen Augenblick lang Abstand gewinnen, so dass er die Eigentümlichkeit des bis zum betreffenden Zeitpunkt herrschenden Zustandes sichten und überprüfen konnte – um erst dann, mit einem neu gefassten Entschluss, von einer Veränderung abzusehen. Das heißt: Wer nach einigem Erwägen sich dazu entschlossen hat, beim staus quo zu bleiben, hatte, während er das Für und Wider erwog, teil- und zeitweise Abstand zu dem ihm Vertrauten genommen – auch wenn er danach zu ihm zurückkehrte und bei ihm geblieben ist. In viel höherem Maße dokumentiert natürlich derjenige, der daran geht, etwas zu verändern, dass er sich vom Bisherigen abgewandt hat. Dennoch inhärieren beiden Bewegungsfiguren Momente des Negierens, sei es im zeitlich begrenzten Loslösen, sei es in der entschiedenen Abwendung.
(ii) Entwicklungsgeschichtlich ist hier jene Phase im frühen Werdegang eines Menschen relevant, auf die Harold J. Berman mit folgenden Worten hinweist: «Sobald ein Kind die Prinzipien der Gleichheit, Widerspruchsfreiheit und des Einhaltens eines Versprechens oder einer Regel anruft – um beispielsweise darzulegen, es habe Anrecht auf ein bestimmtes Spielzeug, weil: (a) sein Bruder es zuvor gehabt habe; (b) sie einander immer ablösten damit; (c) es seines sei und (d) der Vater es so gesagt habe –, macht es Sinn, von einer Berufung auf das Recht oder auf ein Gesetz oder eine Regel zu sprechen»7. Gewiss gibt es Richtungen der Kindererziehung, in denen man die Kinder ermahnt oder lehrt, von derartigen Auseinandersetzungen abzusehen. Aber die Tatsache, dass man den Kindern das Sich-Rechtfertigen ausreden muss, bildet «eine gewisse Bestätigung [some evidence] dafür, dass sich darin ein Prinzip widerspiegelt, welches dem Herausbilden der sozialen Ordnung selbst innewohnt»8. Dies gemahnt an den harten Spruch des Heraklit: «(Πόλεμος πάντων μὲν πατἡρ ὲστι) – Der Zwist [der Streit, die Auseinandersetzung, der Krieg] ist der Vater aller Dinge»9. Während erkenntnislogisch das Setzen einer Intention im Negieren verankert ist, kommt entwicklungsgeschichtlich der Willensentschluss, an das Recht zu appellieren, vor allem als Aufbegehren gegenüber Bestimmungen (zum Beispiel Teilungsvorschriften) zum Vorschein, welche dem seiner Würde und seines Wertes sich bewusst Werdenden als ungerecht und nicht begründet aufstoßen. Mit der Infragestellung des wie auch immer Gegebenen fängt der Einzelne an, eigenen Intentionen nachzugehen und sich selbst zu behaupten.
Diese Fähigkeit eines Menschen, eine gegebene Situation nicht telle quelle zu akzeptieren, sondern an der konkreten Ausgestaltung der Rechtssphäre, an der er teilhat, mitzuwirken, können wir, anknüpfend an Hannah Arendt, als das fundamentale formale Recht ansehen, je selbst ein Rechtssubjekt zu sein, dem Pflichten zukommen – und welches zugleich Inhaber geschützter Rechtsgunst ist10.
Wenn ein normal veranlagtes Kind nicht fähig wird, sich selbst als Subjekt von Rechtsbürde und Rechtsgunst zu erkennen, haben ihn vermutlich in vielen Fällen die für seine Daseinsentfaltung maßgebenden Menschen in defizienter Weise wahrgenommen und behandelt. Ins Allgemeine übertragen bedeutet dies: Wer einen anderen Menschen zur Subjektlosigkeit degradiert, nimmt ihn nicht als fremdes, ihm ebenbürtiges Individuum wahr. Doch indem jener diesem Anderen dessen Subjektität (das heißt: dessen Dignität, als vollwertiges Subjekt zu gelten) aberkennt, verliert er einen ihm gleichwertigen Kontrahenten – sich selbst damit den Zugang zur eigentlichen Rechtssphäre versperrend; denn diese gestaltet und erhält sich nur im wechselseitigen Diskurs gleichgestellter Individuen. Wer also einen Anderen zum rechtlosen Wesen entwürdigt, verengt sein eigenes seelisches Wahrnehmungsvermögen noch in einer weiteren, gravierenden Weise. Dies wird deutlich, wenn man analysiert, wie bei einer Begegnung Eigen- und Fremdwahrnehmung ineinandergreifen.
3. Fremdwahrnehmung als Grundlage von Rechtsbeziehungen11
Beruht das Wesen echter Rechtsbeziehungen darin, dass zwei Individuen aufeinander zukommen und hinsichtlich eines bestimmten Sachverhaltes beschließen, eine für beide verbindliche Beziehungsform festzulegen, so kann eine derartige Relation nur zustande kommen, wenn die Individuen einander in actu als ebenbürtige bzw. gleichwertige Subjekte erfassen und anerkennen.
Wie aber weiß einer sich als Ich Verstehenden vom Vorhandensein eines fremden Ichs als dem Wesenskern eines ihm Begegnenden? In anderen Worten: Wie vermag ich – der ich mich als Einzelnen innerlich wahrnehme, empfinde und begreife – einen Anderen als Einzelnen so wahrzunehmen und zu erfassen, dass ich ihn als mir Gleichwertigen anerkennen kann?
Philosophisch-erkenntnistheoretisch handelt es sich um eine anspruchsvolle, delikate Aufgabe, enthält ja bereits die soeben formulierte Fragestellung versteckte Annahmen (z. B. über das Selbstverständnis des Fragenden), die nicht a priori evident sind. Aber unabhängig davon, ob ich die genannte Aufgabe zu lösen vermag, ist es für mein alltägliches soziales Dasein und Auskommen pragmatisch von entscheidender Relevanz, dass ich einen anderen Menschen, mit dem ich eine uns beide angehende Beziehungsform in rechtlicher Hinsicht auszuhandeln und festzulegen beabsichtige, als einen mir Ebenbürtigen auffasse und anerkenne.
Darüber hinaus ist es von bestimmender Bedeutung, dass wir beide davon ausgehen dürfen, wir seien Individuen beständiger Subjektität. Würden wir dies nicht voraussetzen, könnten wir keine der oben skizzierten Rechtsbeziehungen zueinander eingehen; denn jede Relation, die zwei Menschen miteinander vereinbaren, gilt für ein künftiges Zeitintervall, unabhängig davon, ob letzteres von einer festen oder einer unbestimmten Dauer sei. Daher müssen wir, als Rechtspartner in spe, stillschweigend annehmen, dass jeder von uns über die persönliche Beständigkeit verfüge, welche für die Geltungsdauer des zu Vereinbarenden grundsätzlich erforderlich ist. Damit einhergehend, sollten wir zusätzlich vorsehen, was im Falle eines vorzeitigen Ablebens einer bzw. beider von uns zu geschehen habe.
Nun lassen sich derartige Annahmen und ins Detail gehende Erwägungen über die reale äußere Beständigkeit eines sich willentlich in eine Rechtsbeziehung Begebenden nur auf der Basis von mehr oder weniger bewussten, allerdings selten ausdrücklich formulierten Plausibilitätsüberlegungen und Überzeugungen entwickeln. Hierzu zählen unter anderem folgende Vorstellungen:
Aus dem Erlebnis- und Erfahrungsstrom, in den ich teilweise unvermittelt und unreflektiert, zum Teil jedoch als ein bewusst Erlebender und Beobachtender einbezogen bin, sind mir einzelne Episoden und Erfahrungen besonders vertraut, denen in meinem Besinnen und Gedenken eine Sonderstellung zukommt: Einerseits handelt es sich um Geschehnisse, die mich nicht nur fesselten, als sie sich ereigneten – sondern um Situationen, in denen ich auch mich selbst nebenbei, d.h. parallel zum äußerlich Ablaufenden, als einen das Geschehende Beobachtenden innerlich wahrnahm. Anderseits haben sich mir die angedeuteten Vorgänge und Ereignisse derart kräftig und klar ins Gedächtnis eingeprägt, dass ich mich an sie immer wieder zu erinnern vermag, oder aber deren Vergegenwärtigung sich mir nolens volens stets von neuem aufzwingt. Dazu gehören unter anderem:
(a) Organempfindungen, die ich hatte oder gerade habe sowie die daran aufscheinenden moderaten oder aber daraus entfachten aufwühlenden, mitreißenden Affekte: Lust und Behagen bzw. Unlust und Schmerz;
(b) Die in obliquo (d.h. nebenbei) Vordergründiges begleitende, einhergehende innere Wahrnehmung meiner selbst als eines etwas Beobachtenden, Vorstellenden, Urteilenden, Fühlenden, Wünschenden, Wollenden und Erleidenden; mit anderen Worten: die innere Wahrnehmung meiner selbst als Einen sich auf etwas Beziehenden;
(c) Die deutliche Anwesenheit einer Intention, die ich mir gesetzt habe bzw. die Vergegenwärtigung einer an mich selbst gerichteten Forderung, wie ich zu handeln hätte – und der damit verknüpfte Entschluss, auszuharren, die gesetzte Intention zu befolgen und die Tat, zu der ich mich selbst verpflichtet habe, zu vollbringen;
(d) Ein nicht deutlich geklärtes Sehnen und Wünschen, ein zaghaftes In-Aussicht-Stellen, ein zögerndes Einlenken in einen Vorschlag.
Erfahrungen genannter Art sind entweder organgebunden oder am eigenen Vollzug selbst einzufangen und zu ergreifen – womit sie sich als ausschließlich mir selbst direkt zugänglich kundtun und sich unmittelbarer Fremdwahrnehmung entziehen. Aber sowohl diese an den eigenen Körper-Leib geknüpften und auf ihn bezogenen Empfindungen und Affekte als auch die den eigenen Denk- und Entscheidungsprozess begleitende innere Wahrnehmung müssen wir von anderen seelischen Kategorien unterscheiden, welche der Fremdwahrnehmung nicht in gleichem Maße verschlossen sind.
Zu diesen letzteren, der Fremdwahrnehmung zugänglichen Erfahrungen gehören die sich stets auf ein Objekt richtenden Gefühle, wie zum Beispiel die Freude über etwas, das Unbehagen angesichts einer Nachricht, der Zorn über einen zu Unrecht erlittenen Verweis, die Trauer über ein Zerwürfnis mit einem Freund, die Furcht vor einem Unbekannten im Wald; ferner die Gedanken, Urteile und Zielvorstellungen, die ich lange gehegt habe und die mich begeistern. Und bei allem Genannten dürfen wir nicht vergessen, auf die Bewegungen und Mienen zu achten, mit welchen sich beispielsweise mein Zögern sowie mein zaghaftes Hin-und-Her äußern und verraten. Jede derartige Verhaltensweise zeigt an ihr selbst untrügliche Merkmale, die einer Fremdwahrnehmung zugänglich sind und auf die zu achten wir uns schulen können. In diesem seelischen Sektor gilt: Was wir an uns selbst klar und deutlich erfahren, befähigt uns, im Laufe vieler Erlebnisse und Beobachtungen, ähnlich geartete Phänomene auch am Anderen wahrzunehmen und sinngemäß zu deuten.
So bilden alle angedeuteten Erfahrungen eine Teilmenge jener psychischen Phänomene, deren Gehalt und Bedeutung nicht bloß dem Individuum A unmittelbar zugänglich sind, welches die betreffenden Vorgänge erlebt, sondern auch einem Fremden – insoweit dieses Individuum B fähig geworden ist, aus der Gesamterscheinung des ihm begegnenden A die unter einer bestimmten Kategorie fallenden Äußerungen auszusondern und das sich darin Manifestierende zu erfassen. Gelingt ihm dies, so hat B in sich den entsprechenden seelischgeistigen Gehalt nachgebildet. Damit sind die inhaltlichen Vorgaben für die sich daran anschließenden weiteren Erkenntnisschritte in B nicht grundsätzlich anders als in A.
Indem der Fremde, also B, in der skizzierten Weise aus der unmittelbaren Begegnung mit dem A den Gehalt der psychischen Phänomene herauslöst, die A erfährt und zum Ausdruck bringt, begegnet er einerseits auch dem Anderen als individuellem Träger der betreffenden Stimmungen und objektbezogenen Gefühle, Gedanken und geäußerten Urteile und Entschlüsse; anderseits nimmt er, während er diese Äußerungen empfängt und deren Gehalt in sich selbst nach-erzeugt, in obliquo sich selbst als denjenigen wahr, der fühlt, vorstellt, urteilt, entscheiden kann.