Kitabı oku: «Perry Rhodan Neo Paket 2: Expedition Wega», sayfa 18
11.
Anflug
John Marshall
Die stakkatoartigen Motorengeräusche des Eurocopters X5 vertrieben im Verbund mit dem beruhigenden Vibrieren des Rotorantriebs den Stress und die Überbelastung, die John Marshall seit Tagen den Schlaf raubten.
Der Supercopter beruhte auf einer Hybridtechnik, die zwei gegeneinanderlaufende Rotorblätter mit kurzen Flugzeug-Tragflächen kombinierte. Zwei zusätzliche Rotoren an den geknickten Stummelflächen sorgten für weiteren Antrieb, sodass der Eurocopter Beschleunigungs-Spitzenwerte von fast 600 Stundenkilometern erreichte. So rasten sie Richtung Indien.
Das Rattern erfüllte ihre Passagierzelle. Marshall fühlte, wie sich sein Körper entspannte. Er atmete ein, ließ sich mit dem Ausatmen tiefer in den intelligenten Passagiersitz des Supercopters sinken. Die Rückenlehne reagierte sofort, indem sie das Kokon-Konstrukt auf seine veränderte Sitzhaltung ausrichtete.
Die Gurte zogen sich automatisch nach, und in der Höhe seines Kreuzes begannen sanft rollende Massagekugeln mit ihrer Tätigkeit.
Der Telepath dachte an die GOOD HOPE. Er fragte sich, was Rhodan und seine Begleiter in genau diesem Moment erlebten. Etwa fünf Wochen waren vergangen, seit Rhodan auf dem Mond mit den Arkoniden zusammengetroffen war und damit die Welt buchstäblich in den Grundfesten erschüttert hatte.
Fünf lächerliche Wochen.
Damals hatte sich John Marshall noch im Pain Shelter, dem von ihm gegründeten und geführten Waisenhaus, mit sorgenerregenden Geldproblemen herumgeschlagen. Er musste sich mit der wachsenden Gewalt auseinandersetzen, die von den Zwillingen Damon und Tyler ausging, mit der kindlichen Begeisterung eines sechzehnjährigen, übergewichtigen Jungen namens Sid González, der den Flug der STARDUST mit fiebriger Faszination verfolgt hatte.
Die Welt hatte sich John damals genauso bedrohlich und desillusionierend präsentiert wie an diesem Tag. Aber wie sehr veränderten sich seither die Dimensionen, Blickwinkel und Größenverhältnisse!
Aus der kleinen Blase des Pain Shelters war er durch eine phantastische Abfolge von Ereignissen im neuen Machtzentrum der Erde gelandet. Perry Rhodan, Reginald Bull und andere VIPs waren von mehr oder weniger bekannten Gesichtern auf Bildschirmen zu komplexen und greifbaren Charakteren geworden.
War Johns damaliger Tageshöhepunkt die Führung von reichen und hoffentlich spendierfreudigen Touristen gewesen, sorgte er sich inzwischen um nichts Geringeres als das Heil der gesamten Menschheit.
Zusammen mit Allan D. Mercant flog er mit dem schnittigen Hubschrauber-Flugzeug-Hybrid die Großmächte des asiatischen Kontinents an. Ein Geschenk der neuen deutschen Regierung, die Terra freundlich gesinnt war. Ihr Ziel war es, die Führungspersönlichkeiten zu einem gemeinsamen, vorerst friedlichen Verhalten gegenüber den bislang undeutbaren Absichten der mysteriösen Fantan zu bewegen. Wenn nur eine der Atommächte gegen die Fremden losschlug, bedeutete das für die Menschheit mit hoher Wahrscheinlichkeit das endgültige Aus.
Ihr Wissen über die Hintergründe und Möglichkeiten der Fantan war – freundlich ausgedrückt – sehr spärlich. Niemand wusste, ob sie in den menschlichen Moralrastern eher unter gut oder böse einzuordnen waren oder ob ihre Fremdartigkeit jegliche Vergleiche mit irdischen Maßstäben von vornherein verbot.
John Marshall zweifelte nicht daran, dass eine intelligente Spezies, die es geschafft hatte, die riesigen Gräben zwischen den Sternensystemen zu überqueren, auch wusste, wie man Hindernisse und Widerstände überwand. Zu fremden Sonnen reiste man nicht, ohne sich für alle möglichen Eventualitäten zu wappnen.
Der Schutz des Schiffes, des eigenen Lebens und der Mission musste zu den zentralen Faktoren für ein solches Unternehmen gehören.
Ein Atomangriff auf die Fantan würde also mit Sicherheit eine Reaktion provozieren, der die Menschheit trotz arkonidischer Märchentechnik nichts entgegenhalten konnte – zumindest nicht, solange es nicht weitaus mehr davon gab.
Wenn es Marshall und Mercant – genau wie den anderen diplomatischen Teams – nicht gelang, die weltweite politische Lage zu stabilisieren, drohte Perry Rhodans Vision einer zukünftigen geeinten Menschheit zunichte gemacht zu werden, noch bevor die GOOD HOPE von ihrer Wega-Mission zurückkehrte. Er spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. So viel zu einer vorübergehenden Phase der Entspannung. Wie sollte man schlafen, wenn die Gedanken nicht zur Ruhe kamen?
»Wie Raubvögel!«, erklang Mercants Stimme.
John Marshall öffnete die Augen. Allan Mercant hatte an der Armlehne seines Sessels, direkt ihm gegenüber, einen Ionenbildschirm aktiviert. Die Wiedergabe des ionisierten Luftstroms flackerte durch die Vibrationen des Supercopters leicht. In der spiegelverkehrten Darstellung erkannte Marshall die kleinen Beibootschiffe der Fantan, wie sie über bekannten Monumenten der Menschheit schwebten.
Dazu gehörten die Space Needle in Seattle, das Kolosseum in Rom oder auch der Berliner Fernsehturm und das Burj Khalifa in Dubai, das ehemals höchste Gebäude der Welt. Tatsächlich vermittelten die schwebenden Boote den Eindruck von Raubvögeln, die stundenlang am Himmel stehen konnten, bevor sie mit ihren messerscharfen Augen eine Maus oder ein anderes Beutetier erspähten und blitzschnell herabstießen.
»Sie gehen davon aus, dass die Fantan zur Erde gekommen sind, um zu rauben?«
Der alte Geheimdienstler mit den jugendlich wirkenden Zügen vollführte eine abwägende Handbewegung. »Was können wir Menschen schon besitzen, das für die Fremden von Wert sein sollte?«
Marshall zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht. Rohstoffe? Wasser? Nahrungsmittel?«
»Halte ich für unrealistisch«, entgegnete Mercant. »Das klingt mir zu sehr wie aus irgendwelchen albernen Öko-Science-Filmen. Die Beiboote und das eigentliche Spindelschiff vor Terrania erscheinen mir nicht wie riesige Warentransporter. Weshalb sollten die Fantan mit einem verhältnismäßig kleinen Schiff gekommen sein? Im interstellaren Verkehr dürfte die Größe des Raumflugkörpers eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn ich unterwegs wäre und Beute machen wollte, würde ich möglichst viel Lagerraum mitbringen.«
»Vielleicht warten diese Gigantschiffe außerhalb des Sonnensystems auf ihren Einsatz.«
Mercant kratzte sich am sorgfältig rasierten Kinn, um das sich der Riemen des Helmes spannte. »Das halte ich ebenfalls für ausgeschlossen, John. Ihr Vorgehen war bisher absolut schnörkellos und konsequent. Nein, wenn die Fantan Frachtschiffe dabeihätten, stünden diese bereits in der Erdatmosphäre.«
»Womöglich geht es ihnen um kleinere, wertvollere Beutestücke. Vielleicht Mineralien oder Edelmetalle … Seltene Erden wie Scandium, Yttrium und Neodym.«
Sein Gegenüber lächelte grimmig. »Und was wollen sie dann damit machen? Unsere Pod-Technologie kopieren? John, ich weiß, dass Sie früher als Investmentbanker gerade mit Neodym wunderbar spekulierten. Aber machen wir uns nichts vor: Da oben …«, Mercant deutete mit dem linken Daumen zur Decke der Passagierzelle, »… dort fliegen herrenlose Felsbrocken herum, die weit ergiebigere Quellen an Seltenen Erden sind, als alle verfluchten Stollen Chinas in zehn Jahren fördern können. Alles, was hier selten ist, kann der Hauptbestandteil eines Asteroiden sein, den die Fantan zweifellos leicht ausfindig machen könnten. Stellen Sie sich einen kilometergroßen Brocken aus Promethium oder Samarium vor. Ich wette, da zuckt Ihr börsianischer Spürsinn ganz gehörig zusammen.«
John spürte, dass Mercant seine Worte nicht gehässig meinte. Dennoch sagte er: »Allan, weshalb nehmen Sie immer wieder Bezug auf meine Vergangenheit im Investmentbanking? Ist meine Arbeit für den Pain Shelter nicht wichtig genug für Ihre feinen Seitenhiebe? Sie wissen, dass ich von Homeland Security eine nicht sehr hohe Meinung habe. Soll ich Sie darum auch auf Ihre Karriere dort ansprechen?«
Mercant lachte. »Verzeihen Sie, John, wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin.« Er deutete auf Marshalls Kopf. »Sie dürften bereits selbst gemerkt haben, dass Sie bei mir hohes Ansehen genießen – ungeachtet des Umstandes, dass es schwierig ist, ausgerechnet vor Ihnen ein Geheimnis zu haben.«
»Wir haben Neu Delhi erreicht und die Landeerlaubnis erhalten«, erklang in diesem Moment die Stimme ihrer Pilotin, die sich mit Karin, einfach nur Karin vorgestellt hatte. »Wir dürfen sogar direkt im Vorgarten des Präsidentenpalasts landen.«
Unwillkürlich richtete sich Marshall auf. Die Rückenlehne machte die Bewegung mit. »Jetzt wird sich zeigen, ob wir ein brauchbares diplomatisches Duo abgeben.« Er rieb sich mit den Händen den letzten Rest Müdigkeit aus den Augen. »Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich gleich in Indien sein werde. Dieses Land wollte ich seit meiner Kindheit besuchen, aber der drohende Atomkrieg mit Pakistan hat mich stets davon abgehalten. Als die beiden Länder überraschend Frieden geschlossen haben, lebte ich bereits im Pain Shelter.«
Dann griff er ruckartig nach den Armlehnen, als der Supercopter sich schräg vornüberneigte und rasch in die Tiefe stieß. »Was meinen Sie, Allan«, fragte Marshall, um sich von seinem revoltierenden Magen abzulenken, »was war der wahre Grund für Pakistan und Indien, ihre uralte, erbitterte Feindschaft zu beenden?«
Mercant runzelte die Stirn. »Glauben Sie mir – darüber haben sich viele Nachrichtendienste und Top-Diplomaten rund um den Globus den Kopf zerbrochen. Ergebnislos. Chitra Singh und ihr pakistanisches Pendant, Minister Asif Akram, haben sich insgesamt nur zu drei Friedensgesprächen getroffen, nachdem sie beim letzten Kaschmir-Krieg noch gegeneinander gekämpft hatten. Drei Treffen, die in einem Friedensabkommen gipfelten. Höchst ungewöhnlich. Aber warum sollte es nicht auch einmal eine positive Überraschung in der Politik geben?«
Minutenlang hingen sie ihren eigenen Gedanken nach, bis Marshall fragte: »Wie … wie soll ich mich verhalten?«
»Überlassen Sie mir den Einstieg, John.« Mercant lächelte. »Danach müssen wir improvisieren. Sobald Sie mit Ihrer Parabegabung eine Regung aufschnappen, die uns und der Sache dienen könnte, sollten Sie das Zepter übernehmen.«
»Ich habe keinerlei qualifizierte diplomatische Ausbildung.«
»Dafür haben Sie Ihre Gabe.« Nun lachte Mercant laut. »Die ist viel besser. Es geht ja nicht darum, dass wir ein politisches Schachspiel liefern, sondern dass wir die Ministerpräsidentin von unseren Argumenten überzeugen. Und da bin ich mir absolut sicher, dass Ihre Empathie, oder wie man sie auch immer nennen will, uns von größerem Nutzen sein wird als jeder noch so geschliffene Diplomat.«
Marshall nickte. Vor dem Fenster tauchte der rosafarbene Herrscherpalast Indiens auf, der Rashtrapati Bhavan. Die stattliche Anlage nahm eine Fläche von über 19.000 Quadratmetern ein. Ihre Färbung verdankte sie dem roten Sandstein, aus dem die Mauern und der Palast mit der riesigen Kuppel gebaut waren.
Der Eurocopter X5 setzte auf. Während die Rotorblätter noch ausdrehten, entstieg Karin der Pilotenkanzel, öffnete die Tür und half ihnen, sich von den Gurten zu befreien. Sie zog sich den Helm vom Kopf, schüttelte das halblange blonde Haar mit den Kupfersträhnchen und rief gegen die Geräusche: »Was für ein wunderbarer Vogel – ich hoffe, Sie konnten den Flug genauso genießen wie ich!«
Allan Mercant nickte, faltete sein Jackett zusammen und ging an der strahlenden Pilotin vorbei. Marshall blinzelte ihr zu und beeilte sich, zu seinem Kompagnon aufzuschließen. Er hätte es dem klein gewachsenen Ex-Geheimdienstler nicht zugetraut – aber die bildhübsche Pilotin schien es ihm angetan zu haben. Die Höflichkeit verbot Marshall allerdings, die Gefühle seines Einsatzpartners tiefer als nur oberflächlich zu sondieren.
Er richtete seine Aufmerksamkeit auf die Umgebung. Fünfzig Meter von ihnen entfernt wartete eine schwarze Luxuslimousine. Die beiden Männer gingen wortlos auf sie zu.
Marshall blickte zum wolkenlosen Himmel und blinzelte geblendet. Die 145 Fuß hohe Jaipur-Säule ragte wie ein gewaltiger Speer in die Höhe. Das Sonnenlicht brach sich im Glasstern, der auf der Spitze der Säule auf einer bronzenen Lotusblume balancierte. Darüber stand ein verwaschener Fleck im ewigen Blau.
Der gesamte Rashtrapati Bhavan wirkte in seiner Bauweise und mit den zahlreichen Verzierungen, wie etwa den Elefanten aus Stein, die die Außenmauern bewachten, zwar unverkennbar indisch – seinen britischen Einfluss konnte der Palast aber ebenfalls nicht verleugnen. Die mächtige Kuppel des Hauptgebäudes hätte sich genauso gut auf der St. John's Kathedrale in London wölben können.
Dazu kamen die sorgsam gepflegten Gartenanlagen, die mit ihrem satten Grün in aufregendem Kontrast zum rosafarbenen Sandstein der Gemäuer stand. Marshall schnupperte. Ein herbwürziger Geruch lag in der Luft, der sowohl von Blumen als auch von einem geöffneten Küchenfenster stammen konnte.
Vor der Limousine wartete die Ministerpräsidentin neben zwei kräftig gebauten Männern in Anzügen und hellblauen Turbanen. Chitra Singh – die Großnichte des früheren Ministerpräsidenten Manmohan Singh – trug das typische weiße Wickelkleid mit prächtig bestickter blauer Borte. Sie stand in perfekt aufrechter Haltung, richtete den Blick der fast schwarzen Augen im dunklen Gesicht voll innerer Ruhe auf die Ankömmlinge. Sie strahlte Autorität und Würde aus. Marshall wusste aus Pod-Sendungen, dass die zweifache Mutter auf dem diplomatischen Parkett ebenso selbstsicher und kompetent wirkte wie im halboffiziellen Rahmen mit Freunden und ihrer Familie.
Die beiden Abgesandten Terranias blieben stehen. Der ehemalige Geheimdienstler verbeugte sich leicht. »Ich danke Ihnen, dass Sie uns so kurzfristig empfangen. Mein Name ist Allan Mercant, dies ist Mister John Marshall.«
»Willkommen in Indien«, sagte die Ministerpräsidentin kühl, ohne ihre Haltung zu verändern. »Ich habe mich über Sie informiert. Sie wurden von Ihrer Regierung als Hochverräter gesucht, Mister Mercant. Nun haben Sie sich Rhodan angeschlossen und scheinen sein volles Vertrauen zu genießen. Genau, wie Sie, Mister Marshall. Über Sie wissen meine Quellen verschwindend wenig. Erstaunlich und geradezu erschreckend, wenn man bedenkt, dass Sie bereits offiziellen diplomatischen Missionen Ihres – Staates angehören.«
Marshall lächelte. Chitra Singhs Englisch klang britischer als in den Pod-Sendungen. Worte bildeten aber nur die Oberfläche; darunter erkannte er ihre Unsicherheit, aber auch ihre Verärgerung. »Sie fragen sich, warum ausgerechnet Mister Mercant und ich mit der Kontaktaufnahme betraut wurden.«
»Es ist Ihr erster offizieller Staatsbesuch«, erwiderte die Ministerpräsidentin. »Verzeihen Sie mir die Unhöflichkeit – aber weshalb sind es nicht Perry Rhodan, Reginald Bull oder dieser Arkonide Crest, die ich empfangen darf? Asien ist groß, und doch sind wir Nachbarn, Ihr Terrania und Indien. Es geht um Fragen des Respekts.«
Marshall sah zu seinem Begleiter. Über dieses Thema hatten sie sich nicht abgesprochen. Sollten sie verraten, dass sie derzeit nicht genau wussten, wo sich Rhodan und Bull aufhielten und dass Crest nicht nur viel zu gebrechlich, sondern auch zu wertvoll war, als dass man ihn bei offiziellen Anlässen präsentieren und unnötigen Gefahren ausliefern durfte?
»Crest, Perry Rhodan und Reginald Bull befinden sich in Verhandlungen mit den Fantan und sind deshalb leider unabkömmlich«, sagte Mercant. In seiner Stimme schien ehrliches Bedauern zu liegen, das Marshall durchaus getäuscht hätte, wenn ihm nicht die Wahrheit bekannt gewesen wäre.
»Was wollen die Fantan von uns Menschen?«, fragte Chitra Singh.
Mercant griff nach seinem Taschentuch und wischte sich über seinen blanken Schädel, auf dem sich Schweißtropfen angesammelt hatten. »Das wissen wir derzeit noch nicht. Und dies ist der Grund für unsere etwas überstürzte Aufwartung: Es ist essenziell wichtig, dass sich die Staaten der Erde klug verhalten.«
Die Ministerpräsidentin blickte ihre Besucher nachdenklich an. »Wie viel Zeit bleibt Ihnen, bevor Sie Ihre Tour fortsetzen müssen?«
Mercant sah auf die Uhr. »Zwanzig Minuten.«
»Dann wollen wir die Zeit nutzen, um über die Angelegenheit zu sprechen, die uns nicht wenig Sorgen bereitet.« Sie sah kurz zu dem verwaschenen Fleck hoch, der sich im Blau des Himmels abzeichnete. »Meine Generäle wollten mich bereits in einen Bunker stecken und das Ding da oben mit unseren Boden-Satellit-Geschossen herunterholen. Bevor das geschieht, sollten wir miteinander sprechen.«
Skelir
Skelir steuerte das Einpersonenboot mit traumwandlerischer Sicherheit und raste in ausreichender Höhe seinem Ziel entgegen. Die Entscheidung für das Land, das die Menschen Indien nannten, hatte er spontan gefällt. Dort waren zwar bereits vierzehn Beiboote auf der Jagd nach Besun, aber auf anderen Teilen dieses Planeten sah es nicht besser aus.
Mühsam kämpfte er gegen die Angst – wie jedes Mal, wenn er unterwegs war. Er konnte die Bilder einfach nicht aus seinem Kopf vertreiben:
Das Tier reißt das Maul auf. In den vier dunklen Augen spiegelt sich das Licht der blauen Sonne. Die Zähne, die sich in Skelirs Körper bohren wollen. Und dann die Klingen, die das vermeintliche Tier zieht.
Der Fantan raste durch ein dichtes Wolkengebiet. Weiße Fetzen peitschten gegen die Sichtscheibe und wichen bald dem düsteren Grau einer Gewitterfront. Das würde dem Beiboot nicht schaden können. Skelir flog weiter, beschleunigte sogar noch mehr. Er freute sich auf …
Das blitzende Schwert kappt Skelirs dritten Arm. Er schreit.
Er schrie.
Bis er merkte, dass die Bilder der Vergangenheit ihn wieder völlig gefangen nahmen. Warum bekam er sie einfach nicht aus den Gedanken?
Ein Signalton lenkte seine Aufmerksamkeit auf das kleine Übertragungsgerät, dessen Gegenstück Jenves in der SREGAR-NAKUT den Gefangenen aushändigen sollte. Angeblich, damit sie ihre Neugierde stillen und in Erfahrung bringen konnten, was er, Skelir, in den Weiten ihrer Welt plante – was all die Fantan in all den Beibooten planten. Tatsächlich ging es ihm nur darum, auf diesem Weg mit dem Mädchen Sue Mirafiore in Kontakt bleiben zu können. Das Gegengerät sollte ihm ständig Bild- und Tonaufnahmen übermitteln.
Das Signal meldete die Bereitschaft und teilte mit, dass die Verbindung stand. Zufrieden leitete der Fantan die Bilder der Außenbeobachtung in den Datenstrom, der den Gefangenen momentan nur den Blick in den Wolkenberg und einige zuckende Blitzerscheinungen offenbarte.
Umgekehrt allerdings konnte er die vier Menschen im Spindelschiff beobachten. Er gab sich nicht der Illusion hin, dass diese nicht genau das ahnten. Sie würden sicher keine Geheimnisse voreinander ausbreiten; darauf kam es jedoch nicht an. Skelir wollte nur Sue Mirafiore sehen, sie hören, vielleicht verstehen.
Es lenkte ihn ab, machte alles so viel einfacher. Das Mädchen wanderte dicht neben dem Jungmenschen Sid González zwischen den zahllosen Vitrinen des Ausstellungsraumes, in den die beiden Fantan die Planetenbewohner zuletzt geführt hatten. Gleichzeitig wies Jenves den Menschen Bull in die Bedienung des Beobachtungs- und Kontaktgerätes ein.
Skelir fokussierte die Wiedergabe auf Sue.
»Die sind Jäger und Sammler, oder wie man das sagt«, hörte er Sid González zu Sue sagen. »In den Vitrinen gibt es ja gerade alles, was man sich nur vorstellen kann!«
»Und noch einiges mehr«, ergänzte Sue. »Schau dir das hier an!«
»Was … was ist das?«
»Keine Ahnung. Sieht ein bisschen aus wie eine Zahnbürste, nur größer.«
»Zahnbürste?«, wiederholte González skeptisch. »Ich würde mir das Ding nicht in den Mund stecken! Es bewegt sich! Und darauf wachsen … wachsen … was immer das auch ist.«
Skelir wusste zwar nicht, was eine Zahnbürste sein sollte, aber er wunderte sich nicht, dass die beiden Menschen noch nie einen enozypalen Lamoster gesehen hatten. Sämtliche Fantan an Bord hatten sich bislang vergeblich den Kopf darüber zerbrochen, wozu er gut sein könnte. Sie kannten den Namen, mehr nicht, und seine Herkunftswelt lag in absehbarer Zeit nicht mehr in der Nähe ihrer angedachten Flugroute.
Der Fantan zog das Einpersonenboot tiefer, um bald zu landen. Als er aus der Wolkendecke brach, blickte er auf ein weites, fast unbesiedeltes Gebiet. Dort könnte er sicher mit Leichtigkeit und völlig gefahrlos Besun sammeln. Der Gedanke war verführerisch, aber er ekelte ihn zugleich an.
Ein echter Fantan gab sich nicht mit dem Erstbesten zufrieden! Er setzte seine Ehre und sein Können ein!
Wieder blitzt die Klinge auf, und der erste Schmerz glüht noch, als sie zustößt und Skelirs Bein am Boden aufspießt.
Skelir bäumte sich auf – gegen die Erinnerung, gegen die Scham, gegen den Ekel vor sich selbst. Er raste einer riesigen Stadt entgegen, deren Gebäude er am Horizont erkannte. Eine kurze Anfrage an die Positronik ergab, dass es sich um New Delhi handelte.
Dort würde er etwas entdecken, das einem Fantan würdig war! Vorher wollte und durfte er nicht wieder ins Spindelschiff zurückkehren.
Zur Heimat.
Zu Sue.


