Kitabı oku: «Der Tunnel», sayfa 2
Im nächsten Augenblick tauchte Hobby schon mit lautem Hallo in einer Nachbarloge auf, in der drei junge rothaarige Damen mit ihrer Mutter saßen.
Der Dirigent mit dem mageren Geierkopf stand plötzlich wieder am Pult und ein fein anschwellender Donner stieg aus den Kesselpauken empor. Die Fagotte intonierten ein fragendes, süß klagendes Motiv, das sie wiederholten und steigerten, bis die Geigen es ihnen entrissen und in ihre Sprache übertrugen.
Maud überließ sich wieder der Musik.
Allan aber saß mit kühlen Augen in seinem Sessel, die Brust geweitet vor innerer Spannung. Er bereute nun, hierher gekommen zu sein! Lloyds Vorschlag zu einer kurzen Besprechung in der Loge eines Konzertsaales hatte bei der Wunderlichkeit des reichen Mannes, der nur äußerst selten jemand in seinem Hause empfing, nichts Merkwürdiges an sich, und Allan war ohne zu zögern darauf eingegangen. Er war auch geneigt, Lloyd zu entschuldigen, im Falle er wirklich krank war. Aber er forderte für sein Projekt, dessen Größe ihn zuweilen selbst überwältigte, den allergrößten Respekt! Er hatte dieses Projekt, an dem er fünf Jahre lang Tag und Nacht arbeitete, bisher nur zwei Menschen anvertraut: Hobby, der ebensogut zu schweigen verstand, wenn es sein mußte, als er schwatzen konnte, wenn man ihm die Zunge nicht festband. Sodann Lloyd. Nicht einmal Maud. Er verlangte, daß Lloyd sich in den Madison-Square-Palast schleppte, wenn es irgendwie anging! Er verlangte, daß Lloyd ihm zum mindesten eine Nachricht schickte, ihm ein anderes Rendezvous vorschlug! Versäumte Lloyd dies — nun, so wollte er nichts mehr mit dem launenhaften, kranken, reichen Mann zu tun haben.
Die von vehement bebender Musik, von Parfümen, blendenden Lichtfluten, dem Glitzern von Edelsteinen erfüllte Treibhausatmosphäre, die ihn umfieberte, steigerte Allans Gedanken zu höchster Klarheit. Sein Kopf arbeitete rasch und präzis, obwohl ihn plötzlich eine starke Erregung ergriffen hatte. Das Projekt war alles! Mit ihm stand oder fiel er! Er hatte für Versuche, Informationen, tausend vorbereitende Arbeiten sein Vermögen geopfert und mußte, klar gesagt, morgen von vorn anfangen, sobald das Projekt nicht ausgeführt wurde. Das Projekt war sein Leben! Er rechnete seine Chancen durch wie ein algebraisches Problem, bei dem jedes einzelne Glied das Resultat der vorhergehenden Resultate ist. In erster Linie konnte er den Stahltrust für sein Projekt interessieren. Der Trust hatte in der Konkurrenz mit dem sibirischen Eisen den kürzeren gezogen und lag in einer unerhörten Flaute still. Der Trust würde sich auf das Projekt stürzen — zehn gegen eins gewettet! — oder aber Allan konnte mit ihm einen Krieg bis aufs Messer führen. Er konnte das Großkapital, die Morgan, Vanderbilt, Gould, Astor, Mackay, Havemeyer, Belmont, Whitney und wie sie alle hießen attackieren. Den Ring der Großbanken unter Feuer nehmen. Er konnte endlich, wenn alles fehlschlagen sollte, sich mit der Presse verbünden.
Er konnte auf Umwegen sein Ziel erreichen; klar gesehen, brauchte er Lloyd gar nicht. Aber mit Lloyd als Verbündeten war es eine gewonnene Attacke, ohne ihn ein mühsames Vordringen, bei dem jeder Quadratfuß Terrain einzeln erobert werden mußte.
Und Allan, der weder sah noch hörte, arbeitete hinter unerbittlichen, halbgeschlossenen Augen seinen Feldzugsplan bis in die kleinsten Einzelheiten aus ...
Plötzlich aber ging etwas wie ein Schauer durch den Saal, der ohne Laut unter der Hypnose der Musik lag. Die Köpfe bewegten sich, die Steine begannen stärker zu flimmern, Gläser blinkten. Die Musik floß gerade in sanftem Piano dahin, und der Dirigent wandte irritiert den Kopf, da man im Saale flüsterte. Etwas mußte geschehen sein, das größere Macht über das Auditorium hatte als die Hypnose der zweihundertundzwanzig Musiker, des Dirigenten und des unsterblichen Komponisten.
In der Nebenloge sagte eine gedämpfte Baßstimme: „Sie trägt den Rosy Diamond ... aus dem Kronschatz von Abdul Hamid ... zweimalhunderttausend Dollar Wert.“
Allan hob den Blick: die Loge gegenüber war dunkel — Lloyd war gekommen!
In der dunkeln Loge war Ethel Lloyds bekanntes Profil schwach sichtbar, zart, delikat gezeichnet. Ihr goldblondes Haar war nur an einem unbestimmten Flimmern zu erkennen, und an der linken Schläfe (die dem Publikum zugewendet war) trug sie einen großen Edelstein von blaßrötlichem Feuer.
„Sehen Sie diesen Hals, diesen Nacken,“ raunte die gedämpfte Stimme des Herrn nebenan. „Haben Sie jemals solch einen Nacken gesehen? Man sagt, daß Hobby, der Architekt — ja, der Blonde, der vorhin nebenan war ...“
„Nun, das läßt sich denken!“ flüsterte eine andere Stimme mit rein englischem Akzent und ein leises Lachen drang herüber.
Der Hintergrund von Lloyds Loge war durch einen Vorhang abgetrennt, und Allan schloß aus einer Bewegung Ethels, daß Lloyd dahinter saß. Er beugte sich zur Seite und flüsterte Maud ins Ohr: „Lloyd ist nun doch gekommen, Maud.“
Aber Maud hatte nur Ohr für die Musik. Sie verstand Allan gar nicht. Sie war vielleicht die einzige im Saal, die noch nicht wußte, daß Ethel Lloyd in ihrer Loge saß und den „Rosy Diamond“ trug. In einer momentanen seelischen Aufwallung, die die Musik in ihr entfachte, streckte sie ihre kleine Hand tastend nach Allan aus. Und Allan nahm ihre Hand und streichelte sie mechanisch, während tausend rasche, kühne Gedanken durch sein Gehirn jagten und sein Ohr Bruchstücke von dem Geklatsch aufnahm, das die Stimmen nebenan raunten und flüsterten.
„Diamanten?“ fragte die flüsternde Stimme.
„Ja,“ erwiderte die raunende Stimme. „Man sagt, so fing er an. In den australischen Camps.“
„Er spekulierte?“
„Auf seine Weise. Er war Kantinenwirt.“
„Er hatte keine Claims, sagen Sie?“
„Er hatte seinen eigenen Claim.“ (Leises inneres Lachen.)
„Ich kann Sie nicht verstehen.“
„Man sagt es. Seine eigene Mine, die ihm keinen Cent kostete ... die Arbeiter werden, wie Sie wissen, genau untersucht ... verschlucken Diamanten.“
„Das ist mir ganz neu ...“
„Lloyd, so sagt man ... Kantinenwirt ... er tat etwas in den Whisky ... daß sie seekrank wurden ... seine Mine ...“
„Das ist unglaublich!“
„Man sagt es! Und jetzt gibt er Millionen für Universitäten, Sternwarten, Bibliotheken ...“
„Ei ei ei!“ sagte die flüsternde Stimme, vollkommen totgeschlagen.
„Dabei ist er schwerkrank, menschenscheu — meterdicke Betonwände umgeben seine Wohnräume, damit kein Laut hereindringt ... wie ein Gefangener ...“
„Ei ei ei ...“
„Pst!“ Maud wandte empört den Kopf und die Stimmen verstummten.
In der Pause sah man den lichtblonden Hobby in Lloyds Loge treten und Ethel Lloyd wie einer vertrauten Bekannten die Hand schütteln.
„Sie sehen, daß ich recht hatte!“ sagte laut die tiefe Stimme in der Nachbarloge. „Hobby ist ein Glückspilz! Da ist allerdings noch Vanderstyfft da —“
Dann kam Hobby herüber und steckte den Kopf in Allans Loge.
„Komm, Mac,“ rief er, „der alte Mann wünscht dich zu sprechen!“
2.
„Das ist Mac Allan!“ sagte Hobby, indem er Allan auf die Schulter klopfte.
Lloyd saß zusammengekauert mit gesenktem Kopf in der halbdunklen Loge, von der aus man einen blendenden Ausschnitt des Logenringes voll lächelnder, schwätzender Damen und Herren überblicken konnte. Er sah nicht auf und es schien, als habe er nicht gehört. Nach einer Weile aber sagte er bedächtig und trocken, mit heiseren Nebengeräuschen in der Stimme: „Ich freue mich aufrichtig, Sie zu sehen, Herr Allan! Ich habe mich eingehend mit Ihrem Projekt beschäftigt. Es ist kühn, es ist groß, es ist möglich! Was ich tun kann, das wird geschehen!“ Und in diesem Moment streckte er Allan die Hand hin, eine kurze, viereckige Hand, lasch und müde und seidenweich, und wandte ihm das Gesicht zu.
Allan war von Hobby auf diesen Anblick vorbereitet worden, aber er mußte sich trotzdem zusammennehmen, um das Grauen zu verbergen, das ihm Lloyds Gesicht einflößte.
Lloyds Gesicht erinnerte an eine Bulldogge. Die unteren Zähne standen ein wenig vor, die Nasenlöcher waren runde Löcher und die tränenden, entzündeten kleinen Augen standen wie schräge Schlitze in dem braunen, ausgetrockneten und bewegungslosen Gesicht. Der Kopf war vollkommen haarlos. Eine ekelhafte Flechte hatte Lloyds Hals, Gesicht und Kopf zernagt und ausgetrocknet und die tabakbraune Haut und die eingeschrumpften Muskeln über die Knochen gespannt. Die Wirkung von Lloyds Gesicht war fürchterlich, sie ging vom Erbleichen bis zur Ohnmacht und nur starke Nerven vermochten den Anblick ohne Erschütterung zu ertragen. Lloyds Gesicht war der tragikomischen Larve einer Bulldogge ähnlich und verbreitete gleichzeitig den Schrecken eines lebendigen Totenkopfes. Es erinnerte Allan an Indianermumien, auf die sie bei einem Bahnbau in Bolivia gestoßen waren. Diese Mumien hockten in viereckigen Kisten. Ihre Köpfe waren eingetrocknet, die Gebisse erhalten, hinter den verschrumpften Lippen grinsend, die Augen mit Hilfe von weißen und dunklen Steinen grauenhaft natürlich nachgeahmt.
Lloyd, der die Wirkung seines Gesichtes recht gut kannte, war zufrieden mit dem Eindruck, den es auf Allan machte, und orientierte sich mit seinen kleinen feuchten Augen in Allans Zügen.
„In der Tat,“ wiederholte er dann, „Ihr Projekt ist das kühnste, von dem ich je hörte — und es ist möglich!“
Allan verbeugte sich und sagte, er freue sich, Herrn Lloyds Interesse für sein Projekt erweckt zu haben. Der Augenblick war entscheidend für sein Leben, und doch war er — zu seinem eigenen Erstaunen — vollkommen ruhig. Noch beim Eintreten erregt, war er nun imstande, Lloyds kurze, präzise Fragen klar und sachlich zu beantworten. Er fühlte sich diesem Mann gegenüber, dessen Aussehen, Karriere und Reichtum tausend andere verwirrt haben würde, augenblicklich sicher, ohne daß er einen bestimmten Grund dafür hätte angeben können.
„Sind Ihre Vorbereitungen so weit gediehen, daß Sie morgen mit dem Projekt vor die Öffentlichkeit treten können?“ fragte Lloyd zuletzt.
„Ich brauche noch drei Monate.“
„So verlieren Sie keinen Augenblick!“ schloß Lloyd in bestimmtem Ton. „Im übrigen verfügen Sie ganz über mich.“ Hierauf zupfte er ein wenig an Allans Ärmel und deutete auf seine Tochter.
„Das ist Ethel Lloyd,“ sagte er.
Allan wandte Ethel, die ihn während des ganzen Gespräches betrachtet hatte, den Blick zu und grüßte.
„How do you do, Mr. Allan?“ sagte Ethel lebhaft und reichte Allan mit der ganzen Natürlichkeit und Freimut ihrer Rasse die Hand, wobei sie ihm offen ins Gesicht blickte. „Das also ist er!“ fügte sie nach einer kurzen Pause mit feinem, ein wenig schalkhaftem Lächeln hinzu, hinter dem sie ihr Interesse für seine Person zu verbergen suchte.
Allan verbeugte sich und wurde verwirrt, denn mit jungen Damen wußte er gar nichts anzufangen.
Es fiel ihm auf, daß Ethel übermäßig stark gepudert war. Sie erinnerte ihn an ein Pastellgemälde, so zart und weich waren ihre Farben, das Blond ihrer Haare, das Blau ihrer Augen und das feine Rot ihres jungen Mundes. Sie hatte ihn wie eine große Dame begrüßt und doch klang aus ihrer Stimme etwas Kindliches, als sei sie nicht neunzehn (das wußte er von Hobby), sondern zwölf Jahre alt.
Allan murmelte eine Höflichkeitsphrase; ein leicht verlegenes Lächeln blieb auf seinem Munde stehen.
Ethel betrachtete ihn immer noch aufmerksam, halb wie eine einflußreiche Dame, deren Interesse eine Huld ist, und halb wie ein neugieriges Kind.
Ethel Lloyd war eine typisch amerikanische Schönheit. Sie war schlank, geschmeidig und dabei doch weiblich. Ihr reiches Haar war von jenem seltenen zarten Goldblond, das die Damen, die es nicht besitzen, stets für gefärbt erklären. Sie hatte auffallend lange Wimpern, in denen Spuren von Puder haften geblieben waren. Ihre Augen waren dunkelblau und klar, erschienen aber infolge der langen Wimpern leicht verschleiert. Ihr Profil, ihre Stirn, das Ohr, der Nacken, alles war edel, rassig und wahrhaft schön. Aber auf ihrer rechten Wange zeigten sich schon die Spuren jener entsetzlichen Krankheit, die ihren Vater verunstaltet hatte. Von ihrem Kinn aus zogen hellbraune, vom Puder fast zugedeckte Linien, wie Fasern eines Blattes, bis zur Höhe des Mundwinkels, einem blassen Muttermal ähnlich.
„Ich liebe es, mit meiner Tochter über Dinge zu plaudern, die mich lebhaft interessieren,“ begann Lloyd wieder, „und so dürfen Sie es mir nicht übelnehmen, daß ich mit ihr über Ihr Projekt gesprochen habe. Sie ist verschwiegen.“
„Ja, ich bin verschwiegen!“ versicherte Ethel lebhaft und nickte lächelnd mit dem schönen Kopf. „Wir haben stundenlang Ihre Pläne studiert und ich habe mit Papa so lange darüber geplaudert, bis er selbst ganz begeistert war. Und das ist er jetzt, nicht wahr, Papa? (Lloyds Maske blieb bewegungslos.) Papa verehrt Sie, Herr Allan! Sie müssen uns besuchen, wollen Sie?“
Ethels leicht verschleierter Blick haftete an Allans Augen und ein freimütiges junges Lächeln schwebte über ihren schöngeschwungenen Lippen.
„Sie sind in der Tat sehr liebenswürdig, Fräulein Lloyd!“ erwiderte Allan mit einem leisen Lächeln über ihren Eifer und ihr munteres Geplauder.
Ethel gefiel sein Lächeln. Ganz ungeniert ließ sie den Blick auf seinen weißen starken Zähnen ruhen, dann öffnete sie die Lippen, um etwas hinzuzufügen, aber in diesem Augenblick setzte das Orchester rauschend ein. Sie berührte flüchtig das Knie ihres Vaters, um ihn um Entschuldigung zu bitten, daß sie noch spreche — Lloyd war ein großer Musikfreund — und flüsterte Allan wichtigtuerisch zu: „Sie haben eine Bundesgenossin an mir, Herr Allan! Ich gebe Ihnen die Versicherung, ich werde nicht erlauben, daß Papa seine Meinung ändert. Sie wissen, er tut das zuweilen. Ich werde ihn zwingen, daß er alles in Fluß bringt! Auf Wiedersehen!“
Mit einem höflichen, aber etwas gleichgültigen Kopfnicken, das Ethel einigermaßen enttäuschte, erwiderte Allan ihren Händedruck — und damit war das Gespräch zu Ende, das über das Werk seines Lebens und eine neue Epoche in den Beziehungen zwischen der Alten und Neuen Welt entschied.
Funkelnd und stark im Innern unter dem Anprall von Gedanken und Empfindungen, die dieser Sieg in ihm auslöste, verließ er mit Hobby die Loge Lloyds.
Vor der Türe stießen sie auf einen Mann von kaum zwanzig Jahren, der gerade noch Zeit gehabt hatte, zurückzutreten und sich aufzurichten, bevor er überrannt wurde. Offenbar hatte er versucht, an Lloyds Loge zu lauschen. Der junge Mann lächelte, womit er seine Schuld eingestand und um Entschuldigung bat. Er war ein Reporter des „Herald“ und hatte den gesellschaftlichen Teil des Abends zu bearbeiten. Ungeniert vertrat er Hobby den Weg.
„Herr Hobby,“ sagte er, „wer ist der Gentleman?“
Hobby blieb stehen und zwinkerte gut gelaunt. „Sie kennen ihn nicht?“ fragte er. „Das ist Mac Allan, von den Allanschen Werkzeugstahlwerken, Buffalo, Erfinder des Diamantstahls Allanit, Championboxer von Green River und der erste Kopf der Welt.“
Der Journalist lachte laut heraus: „Sie vergessen Hobby, Herr Hobby!“ erwiderte er, und indem er mit dem Kopf gegen Lloyds Loge deutete, fügte er flüsternd und ehrerbietig neugierig hinzu: „Gibt es etwas Neues, Herr Hobby?“
„Ja,“ antwortete Hobby lachend und ging weiter. „Sie werden staunen! Wir bauen einen tausend Fuß hohen Galgen, an dem am 4. Juli alle Zeitungsschreiber New Yorks aufgehängt werden.“
Dieser Scherz Hobbys stand tatsächlich am nächsten Tag in der Zeitung, zusammen mit einem (gefälschten) Porträt von Mr. Mac Allan, Erfinder des Diamantstahls Allanit, den C. H. L. (Charles Horace Lloyd) in seiner Loge empfing, um mit ihm über eine Millionengründung zu verhandeln.
3.
Maud schwelgte noch immer. Allein sie war nicht mehr imstande, mit jener heiligen Andacht zu lauschen wie vorher. Sie hatte die Szene in Lloyds Loge beobachtet. Sie wußte wohl, daß Mac damit beschäftigt war, etwas Neues auszuarbeiten, eine „große Sache“, wie er sagte. Irgendeine Erfindung, ein Projekt, sie hatte ihn nie darüber gefragt, denn nichts lag ihr ferner als Maschinen und technische Dinge. Sie begriff auch, wie wertvoll für Mac eine Verbindung mit Lloyd sein mußte, aber sie machte ihm stille Vorwürfe, daß er gerade diesen Abend für eine Besprechung gewählt hatte. Den einzigen Abend des Winters, an dem er mit ihr zusammen ein Konzert besuchte. Sie verstand nicht, wie es ihm möglich war, während eines solchen Konzerts an Geschäfte zu denken! Zuweilen kam ihr der Gedanke, als ob sie nicht recht in dieses Amerika hineinpasse, wo alles Busineß war und nur Busineß, als ob sie glücklicher geworden wäre da drüben in der Alten Welt, wo sie noch Erholung und Geschäft zu trennen verstanden. Aber nicht das allein beunruhigte Maud, der feine, ewig wache Instinkt der liebenden Frau ließ sie befürchten, daß jene „große Sache“, diese Lloyds und wie sie hießen, mit denen Mac nun zu tun haben würde, ihr noch mehr von ihrem Gatten rauben würden, als die Fabrik und seine Tätigkeit in Buffalo es jetzt schon taten.
Über Mauds fröhliche Laune war ein Schatten gefallen, und sie legte die Stirn in Falten. Dann aber glitt plötzlich eine stille Heiterkeit über ihr Gesicht. Eine fugenartige, tändelnde und heitere Passage hatte ihr — dank einer rätselhaften Ideenverbindung — ganz plötzlich ihr Kind deutlich und in den reizvollsten, eine Mutter beglückenden Situationen ins Gedächtnis gerufen. Es verlockte sie, in der Musik eine Prophezeiung des Lebens ihres kleinen Mädchens hören zu wollen, und anfangs ging alles herrlich. Ja, so glücklich sollte ihre Edith werden, so sollte Ediths Leben sein! Aber die spielerische, sonnige Heiterkeit ging unvermittelt in ein schweres, schleppendes majestoso sostenuto über, das Beklommenheit und böse Ahnungen erweckte.
Mauds Herz klopfte langsamer. Nein, nimmermehr sollte das Leben ihres kleinen süßen Mädchens, mit dem sie wie ein Kind spielte und das sie wie eine erfahrene alte Frau pflegte, dieser Musik ähnlich werden. Welch ein Unsinn, mit solchen Einfällen zu spielen! Sie breitete sich in Gedanken über die Kleine, um sie mit ihrem Körper gegen diese bange, schwere Musik zu decken, und nach einiger Zeit gelang es ihr auch, ihren Gedanken eine andere Richtung zu geben.
Die Musik selbst kam ihr zu Hilfe. Denn plötzlich riß die Brandung der Töne sie wieder fort zu einer unbestimmten Sehnsucht, die heiß und herrlich war und alle Gedanken erstickte. Sie war Ohr, wie vorher. Mit einer atemlosen, rasenden Leidenschaftlichkeit jagte die Musik dahin, von heißen, verführerischen Stimmen angeführt, und Maud war wie ein loses Blatt im Sturmwind. Plötzlich aber brach sich die wilde, keuchende Leidenschaft an einem unbekannten Hindernis, so wie die Woge an einem Felsen zerschellt, und die donnernde Brandung zerflatterte in schreiende, wehklagende, zitternde und ängstliche Stimmen. Maud war es, als ob sie plötzlich still stehen müsse und gezwungen sei, über etwas nachzudenken, was unbekannt, geheimnisvoll und unergründlich für sie war. Die Stille, die dem heißen Sturm folgte, war so bannend, daß plötzlich alle vibrierenden Fächer im Parkett stehen blieben. Mit einer Dissonanz setzten die Stimmen da drunten wieder unsicher, zögernd ein (die Fächer bewegten sich wieder), und diese zusammengepreßten, gequälten Töne, die sich nur schwer und mühselig zur Melodie durchkämpften, stimmten Maud nachdenklich und traurig. Die spottenden Fagotte drunten sprachen zu ihr, und die Celli, die ganz ehrlich litten, und es schien Maud, als ob sie plötzlich ihr ganzes Leben verstünde. Sie war nicht glücklich, trotzdem Mac sie anbetete und sie ihn abgöttisch liebte — nein, nein, es war da irgend etwas, was fehlte ...
In diesem Augenblick, gerade in diesem Augenblick, berührte Mac ihre Schulter und raunte ihr ins Ohr: „Entschuldige, Maud — wir fahren am Mittwoch nach Europa. Ich habe noch viel vorzubereiten in Buffalo. Wenn wir jetzt gehen, können wir den Nachtzug noch erreichen. Was denkst du?“
Maud antwortete nicht. Sie saß still und regungslos. Das Blut stieg ihr über Schultern und Nacken ins Gesicht. Ihre Augen füllten sich langsam mit Tränen. So vergingen einige Minuten. Sie war in diesem Augenblick Mac bitterböse im Herzen. Es erschien ihr roh, sie mitten aus dem Konzert zu reißen, nur weil seine Geschäfte drängten.
Allan sah, daß sie schwer atmete und ihre Wange rot geworden war. Seine Hand lag noch auf ihrer Schulter. Er machte eine liebkosende Bewegung und raunte begütigend: „Nun, so bleiben wir, Liebling, ich machte nur den Vorschlag. Wir können auch recht gut den Frühzug morgen nehmen.“
Maud aber war die Laune gründlich verdorben. Die Musik quälte sie jetzt und machte sie bang und unruhig. Sie schwankte noch, ob sie nachgeben sollte oder nicht. Da sah sie zufällig, daß Ethel Lloyd ganz ungeniert das Glas auf sie gerichtet hatte, und augenblicklich schickte sie sich an zu gehen. Sie zwang sich zu einem Lächeln, damit Ethel Lloyd es sähe, und Allan war sehr erstaunt über ihren zärtlichen (noch feuchten) Blick, mit dem sie sich an ihn wandte. „Gehen wir, Mac!“
Es freute sie, daß Mac ihr zuvorkommend beim Aufstehen behilflich war, und heiter lächelnd, anscheinend in der glücklichsten Laune, verließ sie die Loge.