Kitabı oku: «Der Tunnel», sayfa 3
4.
Sie erreichten Central-Station gerade, als der Zug aus der Halle zog.
Maud vergrub die kleinen Hände in die Taschen ihres Pelzmantels und lugte aus dem aufgestülpten Kragen zu Mac hin. „Da fährt dein Zug, Mac!“ sagte sie lachend und gab sich keine Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen.
Hinter ihnen stand ihr Diener, Leon, ein alter Chinese, den alle Welt „Lion“ rief. Lion trug die Reisetaschen und sah mit stupidem Ausdruck seines welken, faltigen Gesichtes dem Zuge nach.
Allan zog die Uhr und nickte. „Es ist zu schade,“ sagte er gutmütig. „Lion, wir fahren ins Hotel zurück.“
Im Auto erklärte er Maud, daß es ihm gerade ihretwegen unangenehm sei, daß sie den Zug versäumt hätten; sie habe gewiß noch eine Menge mit dem Packen zu tun.
Maud lachte leise. „Weshalb?“ sagte sie und sah an Mac vorbei. „Wieso weißt du, daß ich überhaupt mitfahre, Mac?“
Allan sah sie erstaunt an. „Du wirst schon mitkommen, denke ich, Maud?“
„Ich weiß wirklich nicht, ob es angeht, mit Edith im Winter zu reisen. Und ohne Edith gehe ich auf keinen Fall.“
Allan blickte nachdenklich vor sich hin.
„Daran dachte ich im Augenblick gar nicht,“ sagte er nach einer Weile zögernd. „Freilich, Edith. Aber ich denke, es ließe sich trotzdem machen.“
Maud entgegnete nichts. Sie wartete. So leicht sollte er diesmal nicht davonkommen. Nach einer Pause setzte Allan hinzu: „Der Dampfer ist ja genau wie ein Hotel, Maud. Ich würde Luxuskabinen nehmen, damit ihr es bequem hättet.“
Maud kannte Mac genau. Er würde nicht weiter in sie dringen, mitzukommen, sie nicht bitten. Er würde nun kein Wort weiter sagen und es ihr auch gar nicht übelnehmen, wenn sie ihn allein reisen ließe.
Sie sah ihm an, daß er sich jetzt schon mit diesem Gedanken abzufinden suchte.
Er blickte nachdenklich und enttäuscht vor sich hin. Es kam ihm gar nicht in den Sinn, daß ihre Absage nichts als eine Komödie war, ihm, der nie in seinem Leben Komödie spielte und dessen Wesen so einfach und aufrichtig war, daß es sie immer von neuem überraschte.
In einer plötzlichen Aufwallung ergriff sie seine Hand. „Natürlich komme ich mit, Mac!“ sagte sie mit einem zärtlichen Blick.
„Ah, siehst du!“ erwiderte er und drückte ihr dankbar die Hand.
Die Überwindung ihrer schlechten Laune machte Mauds Herz plötzlich froh und leicht, und sie begann rasch und heiter zu plaudern. Sie sprach von Lloyd und Ethel Lloyd.
„War Ethel sehr gnädig, Mac?“ fragte sie.
„Sie war wirklich sehr nett zu mir,“ entgegnete Allan.
„Wie findest du sie?“
„Sie kam mir sehr ungekünstelt vor, natürlich, ein wenig naiv sogar, fast wie ein Kind.“
„Oh!“ Maud lachte. Und sie begriff selbst nicht, weshalb Macs Antwort sie wieder leicht gegen ihn verstimmte. „Oh, Mac, wie du dich auf Frauen verstehst! Lord! Ethel Lloyd und natürlich! Ethel Lloyd und naiv! Hahaha!“
Nun mußte auch Allan lachen. „Sie kam mir in der Tat so vor,“ versicherte er.
Maud aber ereiferte sich. „Nein, Mac,“ rief sie aus, „ich habe doch nie so etwas Komisches gehört! So seid ihr Männer! Es gibt kein gekünstelteres Wesen als Ethel Lloyd, Mac! Ihre Natürlichkeit ist ihre größte Kunst. Ethel ist, glaube mir das ruhig, Mac, eine ganz raffinierte, kokette Person und alles an ihr ist Berechnung. Sie möchte euch Männer alle behexen. Glaube mir das, ich kenne sie. Hast du ihre Sphinxaugen gesehen?“
„Nein.“ Allan sagte die Wahrheit.
„Nicht? Aber sie sagte einmal zu Mabel Gordon: ich habe Sphinxaugen, alle Leute sagen es. Und du findest sie naiv! Sie ist ja so schrecklich eitel, dieses hübsche Geschöpf, oh, du mein Gott! Jede Woche mindestens einmal erscheint ihr Bild in der Zeitung. Ethel sagt: —! Sie macht Tag und Nacht Reklame für sich, genau wie Hobby. Sogar mit ihrer Wohltätigkeit macht sie Reklame.“
„Vielleicht hat sie aber wirklich ein gutes Herz, Maud?“ warf Allan ein.
„Ethel Lloyd?“ Maud lachte. Dann sah sie Mac plötzlich in die Augen, während sie sich an den Nickelgriffen des sausenden, schleudernden Autos festhielt. „Ist sie wirklich so schön, Ethel?“
„Ja, sie ist schön, Maud. Aber, Gott weiß, weshalb sie sich so stark pudert!“
Maud sah enttäuscht aus. „Hast du dich in sie verliebt, Mac? Wie alle andern?“ fragte sie leise, mit geheuchelter Angst.
Allan lachte und zog sie an sich. „Du bist ein kleiner Narr, Maud!“ rief er aus und drückte ihr Gesicht an seine Wange.
Nun war Maud wieder ganz zufrieden. Wie kam es doch, daß sie heute jede Kleinigkeit irritieren konnte? Was ging Ethel Lloyd sie an?
Sie schwieg eine Weile, dann sagte sie in aufrichtigem Ton: „Es kann übrigens sein, daß Ethel wirklich ein gutes Herz hat, ich glaube es sogar.“
Aber gerade, als sie dies ausgesprochen hatte, fand sie, daß sie im Grunde nicht recht an das gute Herz Ethels glaubte. Nein, heute war nichts mit ihr anzufangen.
Nach dem Diner, das sie sich auf dem Zimmer servieren ließen, ging Maud gleich zu Bett, während Allan im Salon blieb, um Briefe zu schreiben. Allein Maud konnte nicht sofort einschlafen. Sie war seit dem frühen Morgen auf den Beinen gewesen und übermüdet. Die trockene, heiße Luft des Hotelzimmers versetzte sie in ein leises Fieber. Alle Aufregungen des Tages, die Reise, das Konzert, die Menschenmenge, Ethel Lloyd, alles erwachte wieder in ihrem übermüdeten Kopf. Sie hörte wieder Konzert und Stimmen in ihren Ohren klingen. Drunten schwirrten die Autos. Es tutete. In der Ferne rauschten die Hochzüge. Gerade als sie einschlummern wollte, weckte sie ein Knacken in der Dampfheizung. Sie hörte, daß der Lift im Hotel emporstieg und leise sang. Die Spalte an der Tür war noch hell.
„Schreibst du noch immer, Mac?“ fragte sie, fast ohne die Lippen zu öffnen.
Mac erwiderte: „Go on and sleep.“ Aber seine Stimme klang so tief, daß sie, im leichten Fieber des Halbschlafes, lachen mußte.
Sie schlief ein. Aber plötzlich fühlte sie, daß sie ganz kalt wurde. Sie wachte wieder auf, voller Unruhe und seltsamer Angst, und dachte nach, was sie erschauern hatte lassen. Sofort fiel es ihr ein. Sie hatte geträumt: sie kam in Ediths Zimmer, und wer saß da? Ethel Lloyd. Ethel Lloyd saß da, blendend schön, den Diamanten auf der Stirn und bettete die kleine Edith sorgfältig ein — ganz als sei sie Ediths Mutter ...
Mac saß in Hemdärmeln in der Sofaecke und schrieb. Da knackte es an der Türe und Maud erschien in ihrem Schlafkleid, schlaftrunken ins Licht blinzelnd.
Ihr Haar glänzte. Sie sah blühend und jung aus, wie ein Mädchen, und Frische strömte von ihr aus. Aber ihre Augen flackerten unruhig.
„Was hast du?“ fragte Allan.
Maud lächelte verwirrt. „Nichts,“ entgegnete sie, „ich träume solch dummes Zeug.“ Sie setzte sich in einen Sessel und strich das Haar glatt. „Weshalb gehst du nicht schlafen, Mac?“
„Die Briefe müssen morgen mit dem Dampfer fort. Du wirst dich erkälten, Liebling.“
Maud schüttelte den Kopf. „O nein,“ sagte sie, „es ist im Gegenteil sehr heiß hier.“ Dann sah sie Mac mit wachen Augen an. „Höre, Mac,“ fuhr sie fort, „warum verschweigst du mir, was du mit Lloyd zu tun hast?“
Allan lächelte und erwiderte langsam: „Du hast mich nicht danach gefragt, Maud. Ich wollte auch nicht darüber sprechen, solange die Sache noch in der Luft hing.“
„Willst du es mir jetzt nicht sagen?“
„Doch, Maud.“
Da erklärte er ihr, worum es sich handele. Zurückgelehnt ins Sofa, gutmütig lächelnd und in aller Ruhe setzte er ihr sein Projekt auseinander, ganz als ob er nur eine Brücke über den East River bauen wolle. Maud saß in ihrem Schlafkleid da und staunte und verstand nicht. Aber als sie anfing zu verstehen, staunte sie immer mehr, und ihre Augen wurden immer größer und glänzender. Ihr Kopf wurde ganz heiß! Nun begriff sie plötzlich seine Tätigkeit in den letzten Jahren, seine Versuche, seine Modelle und seine Stöße von Plänen. Nun begriff sie auch, weshalb er zur Abreise gedrängt hatte: er hatte keine Minute Zeit zu versäumen! Nun begriff sie auch, weshalb all die Briefe mit dem Boot morgen fort mußten. Es erschien ihr fast, als träume sie wieder ...
Als Allan zu Ende war, saß sie mit großen glänzenden Augen da, die nichts als Strahlen und Bewunderung waren. „Nun weißt du es, kleine Maud!“ sagte Allan und bat sie schlafen zu gehen. Maud trat zu ihm und umschlang ihn, so fest sie konnte und küßte ihn auf den Mund.
„Mac, mein Mac!“ stammelte sie.
Als aber Allan sie nochmals bat, sich niederzulegen, gehorchte sie augenblicklich und ging hinaus, noch ganz trunken im Kopf. Es war ihr plötzlich der Gedanke in den Sinn gekommen, als ob Macs Werk ebenso groß sei wie jene Symphonien, die sie heute gehört hatte, ebenso groß — nur ganz anders.
Zu Allans Erstaunen kam sie aber nach einigen Minuten wieder herein. Sie brachte eine Decke mit, und während sie flüsterte: „Arbeite! Arbeite!“ bettete sie sich zusammengerollt neben ihm aufs Sofa. Den Kopf an seinen Schenkel gelegt, schlief sie ein.
Allan hielt inne und sah sie an. Und er dachte, daß sie schön und rührend sei, seine kleine Maud, und er sein Leben tausendfach für sie hingeben würde.
Dann schrieb er eifrig weiter.
5.
Am folgenden Mittwoch schiffte sich Allan mit Maud und Edith auf dem deutschen Drei-Tage-Boot nach Europa ein. Hobby begleitete sie; er „kam auf acht Tage mit“.
Maud war in wunderbarer Stimmung. Sie hatte ihre heiterste Laune — ihre Mädchenlaune — wiedergefunden, und diese Laune hielt während der ganzen Fahrt über den winterlichen und ungastlichen Ozean an, obwohl sie Mac nur bei den Mahlzeiten und am Abend zu Gesicht bekam. Lachend und fröhlich plaudernd stapfte sie, in Pelze eingehüllt, in dünnen Lackschuhen auf den eisigen Verdeckkorridoren hin und her.
Hobby war der populärste Mann auf dem Boot. Von den Kabinen der Ärzte und Zahlmeister an bis hinauf zur geheiligten Kommandobrücke war er zu Hause. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend gab es keine Stelle auf dem Schiff, wo man nicht seine helle, etwas nasale Stimme gehört hätte.
Von Allan dagegen hörte und sah man nichts. Er war den ganzen Tag über beschäftigt. Zwei Typistinnen des Schnellbootes hatten während der ganzen Reise alle Hände voll zu tun, seine Briefe abzuschreiben. Hunderte von Briefen lagen fertig und adressiert in Allans Kabine. Er traf die Vorbereitungen zur ersten Schlacht.
Die Reise ging zuerst nach Paris. Von da nach Calais und Folkestone, wo der Tunnel unter dem Kanal im Bau war, nachdem England seine lächerliche Angst vor einer Invasion, die mit einer einzigen Batterie verhindert werden konnte, überwunden hatte. Hier hielt sich Allan drei Wochen auf. Dann gingen sie nach London, Berlin, Essen, Leipzig, Frankfurt und wieder zurück nach Paris. Allan blieb an all diesen Orten einige Wochen. Am Vormittag arbeitete er für sich, nach Tisch hatte er täglich Konferenzen mit Vertretern großer Firmen, Ingenieuren, Technikern, Erfindern, Geologen, Geographen, Ozeanographen, Statistikern und Kapazitäten der verschiedensten Fakultäten. Eine Armee von Gehirnen aus allen Gegenden Europas, aus Frankreich, England, Deutschland, Italien, Norwegen, Rußland.
Am Abend speiste er allein mit Maud, wenn er nicht gerade Gäste bei sich hatte.
Mauds Laune war noch immer ausgezeichnet. Die Atmosphäre von Arbeit und Unternehmungen, die Mac umgab, belebte sie. Sie hatte vor drei Jahren, kurz nach ihrer Heirat, fast genau die gleiche Reise mit Mac gemacht, und damals hatte sie ihm nur schwer verzeihen können, daß er die meiste Zeit mit fremden Menschen und unverständlichen Arbeiten verbrachte. Nun, da sie den Sinn all dieser Konferenzen und Arbeiten begriff, war alles natürlich ganz anders geworden.
Sie hatte viel Zeit und sie teilte sich diesen Überfluß an Zeit sorgfältig ein. Einen Teil des Tages widmete sie ihrem Kinde, dann besuchte sie Museen, Kirchen und Sehenswürdigkeiten, wo sie auch immer sein mochten. Auf ihrer ersten Reise war sie nicht oft zu diesen Genüssen gekommen. Mac hatte sie natürlich überallhin begleitet, wenn sie es wünschte, aber sie hatte bald gefühlt, daß ihn diese herrlichen Gemälde, Skulpturen, alten Gewebe und Schmuckstücke nicht besonders interessierten. Was er gerne sah, das waren Maschinen, Werke, große industrielle Anlagen, Luftschiffe, technische Museen, und davon verstand sie ja nichts.
Nun aber hatte sie Muße und sie entzückte sich an all den tausend Herrlichkeiten, die ihr Europa so teuer machten. Sie besuchte Theater, Konzerte, so oft es anging. Sie sättigte sich für Amerika. Sie bummelte stundenlang in alten Straßen und engen Gassen umher und machte photographische Aufnahmen von jedem kleinen Kaufladen, den sie „entzückend“ fand, und jedem krummen alten Hausgiebel. Sie kaufte Bücher, Reproduktionen aus den Museen und Ansichtskarten von alten Häusern und neuen. Diese Ansichtskarten waren für Hobby bestimmt, der sie darum ersucht hatte. Sie gab sich ehrliche Mühe, ihr Material zusammenzubekommen, aber für Hobby, den sie liebte, war ihr keine Arbeit zu viel.
In Paris ließ Allan sie acht Tage allein. Er hatte in der Nähe von Nantes, bei Les Sables an der biskayischen Küste mit Geometern und einem Schwarm Agenten zu tun. Dann schifften sie sich mit Geometern, Ingenieuren und Agenten nach den Azoren ein, wo Allan über drei Wochen auf den Inseln Fayal, San Jorgo und Pico beschäftigt war, während Maud mit Edith den herrlichsten Frühling genoß, den sie je erlebt hatte. Von den Azoren fuhren sie mit einem Frachtdampfer (als die einzigen Passagiere, was Maud entzückte!) quer durch den Atlantik nach den Bermudas. Hier, in Hamilton, trafen sie zu ihrer großen Freude Hobby, der eine kleine Reise herüber gemacht hatte, um sie zu erwarten. Die Geschäfte auf den Bermudas waren rasch erledigt und im Juni kehrten sie nach Amerika zurück. Allan mietete ein Landhaus in Bronx, und die gleiche Tätigkeit wie in London, Paris und Berlin begann nun in Amerika. Täglich konferierte Allan mit Agenten, Ingenieuren, Wissenschaftlern aus allen Städten der Staaten. Da er häufig lange Besprechungen mit Lloyd hatte, so begann die Öffentlichkeit aufmerksam zu werden. Die Journalisten schnüffelten in der Luft wie Hyänen, die Aas riechen. Gerüchte von den abenteuerlichsten Gründungen schwirrten durch New York.
Aber Allan und seine Vertrauensmänner schwiegen. Maud, die man aushorchen wollte, lachte und sagte kein Wort.
Ende August waren die Vorbereitungsarbeiten beendet. Lloyd ließ an dreißig der ersten Vertreter des Kapitals, der Großindustrie und Großbanken Einladungen zu einem Meeting ergehen; diese Einladungen hatte er eigenhändig geschrieben und durch Spezialkuriere aushändigen lassen, um die Bedeutung der Konferenz zu betonen.
Und am 18. September fand diese denkwürdige Konferenz im Hotel Atlantic, Broadway, statt.
6.
New York briet in diesen Tagen in einer Hitzwelle, so daß Allan sich entschloß, die Versammlung auf dem Dachgarten des Hotels abzuhalten.
Die Geladenen, die größtenteils auswärts wohnten, waren im Laufe des Tages und einige schon gestern eingetroffen.
Sie kamen in riesigen, staubbedeckten Tourencars mit Frauen, Töchtern und Söhnen angerollt aus ihren Sommerresidenzen in Vermont, Hampshire, Maine, Massachusetts und Pennsylvania. Die Einsamen und Schweiger flogen in Extrazügen, die glatt jede Station ignorierten, von St. Louis, Chikago und Cincinnati herbei. Ihre Luxusjachten dockten am Hudson-River. Drei Chikagoleute, Kilgallan, Müllenbach und C. Morris, waren mit dem Expreß-Luftliner, der die 700 Meilen von Chikago nach New York-Centralpark in acht Stunden durchschneidet, angekommen, und der Sportmann Vanderstyfft war im Laufe des Nachmittags auf dem Dachgarten des Atlantic mit seinem Eindecker gelandet. Andere wieder trafen als ganz unscheinbare Reisende, zu Fuß, mit einer bescheidenen Tasche in der Hand, vor dem Hotel ein.
Aber sie kamen. Lloyd hatte sie in einer Angelegenheit von allererster Bedeutung gerufen, und jene Solidarität, die das Geld in weit höherem Maße als das Blut erzeugt, erlaubte ihnen nicht zurückzustehen. Sie kamen nicht allein, weil sie ein Geschäft witterten (es war sogar möglich, daß sie bluten mußten!), sie kamen in erster Linie, weil sie erwarteten, ein Projekt mit starten helfen zu können, dessen Bedeutung ihren Unternehmungsgeist befriedigte, der sie groß gemacht hatte. Lloyd hatte jenes mysteriöse Projekt in seinem Sendschreiben „das größte und kühnste aller Zeiten“ genannt. Das genügte, um sie aus der Hölle herauszuholen; denn das Schaffen neuer Werke war für sie soviel wie leben selbst.
Die Bewegung so vieler Häuptlinge des Kapitals war natürlich nicht unbemerkt geblieben, denn jeder einzelne war von einem ausgearbeiteten Alarmsystem umgeben. Am Morgen schon war die Börse von einem leichten Fieber geschüttelt worden. Ein zuverlässiger Tip jetzt bedeutete ein Vermögen! Die Presse verkündete die Namen all der Männer, die im Atlantic abgestiegen waren, und vergaß nicht hinzuzufügen, wieviel jeder einzelne wert war. Nachmittag um fünf Uhr ging es schon hoch in die Milliarden. Auf jeden Fall stand etwas Ungewöhnliches bevor, eine Riesenschlacht des Kapitals. Einzelne Zeitungen taten so, als kämen sie gerade vom Lunch bei Lloyd und seien bis zum Halse mit Informationen geladen, Lloyd aber habe ihnen einen Knebel zwischen die Zähne getrieben. Andere gingen weiter und veröffentlichten, was ihr Freund Lloyd ihnen beim Dessert anvertraut hatte: es handele sich um nichts Besonderes. Die elektrische Einschienen-Schnellbahn sollte von Chikago weiter bis San Franzisko geführt werden. Das Netz des Luftverkehrs sollte über die ganzen Staaten erweitert werden, so daß man nach jeder beliebigen Stadt genau so fliegen könnte, wie heute nach Boston, Chikago, Buffalo und St. Louis. Hobbys Idee: New York, das Venedig Amerikas, stände dicht vor ihrer Realisierung.
Die Reporter umschnupperten das Hotel wie Polizeihunde, die auf der Spur liegen. Sie traten mit den Absätzen Löcher in das zerweichte Asphalt des Broadways und starrten an den sechsunddreißig Stockwerken des Atlantic empor, bis die gleißende Kalkwand ihnen Halluzinationen ins Gehirn spiegelte. Ein ganz Gerissener kam sogar auf den genialen Einfall, sich als Telephonarbeiter ins Hotel zu schmuggeln, und nicht nur ins Hotel — bis in die Zimmer der Milliarden, wo er an den Zimmertelephonen herumbastelte, um etwa ein Wort aufzuschnappen. Aber der Manager des Hotels entdeckte ihn und machte ihn höflich darauf aufmerksam, daß alle seine Apparate in Ordnung seien.
Umfiebert von glühender Hitze und Erregung stand das kalkweiße Turmhaus da und schwieg. Es wurde Abend und es schwieg noch immer. Der Gerissene von heute nachmittag kehrte in seiner Verzweiflung mit einem Schnurrbart im Gesicht als ein Monteur Vanderstyffts zurück, der an der Maschine oben auf dem Dach etwas nachzusehen habe. Aber der Manager erklärte ihm mit höflichem Lächeln, daß Herrn Vanderstyffts Marconi-Apparat ebenfalls in Ordnung sei.
Da trat der Gerissene auf die Straße und zerplatzte: er war plötzlich irgendwohin verschwunden, um etwas Neues zu ersinnen. Nach einer Stunde erschien er als Globetrotter in einem Automobil voll beklebter Koffer und forderte ein Zimmer im 36. Stock. Da das 36. Stockwerk aber von Hotelbediensteten bewohnt wurde, so mußte er sich mit Zimmer Nummer 3512 begnügen, das ihm der Manager mit zuvorkommender Geschäftsmiene anbot. Hier machte er einem chinesischen Boy, der zur Dachgartenbedienung gehörte, ein bestechendes Angebot, wenn er einen unscheinbaren Apparat, nicht größer als ein Kodak, in irgendeines der Kübelgewächse da droben schmuggele. Allein er hatte nicht damit gerechnet, daß Allanit ein Hartstahl war, den kein Geschoß durchschlägt.
Allan hatte seine genauen Instruktionen gegeben, und der Manager verbürgte sich dafür, daß sie eingehalten wurden. Sobald alle Geladenen den Roofgarden betreten hatten, durfte der Lift nicht weiter als bis zum 35. Stock geführt werden. Die Boys der Bedienung durften den Dachgarten nicht eher verlassen, als bis der letzte Gast sich entfernt hatte. Nur sechs Vertretern der Presse und drei Photographen war der Zutritt erlaubt (Allan brauchte sie ebenso wie sie ihn) — allein gegen die ehrenwörtliche Versicherung, während der Konferenz nicht mit der Außenwelt in Verbindung zu treten.
Einige Minuten vor neun Uhr erschien Allan selbst auf dem Dachgarten, um sich zu überzeugen, ob man all seine Anordnungen genau befolgt habe. Er entdeckte augenblicklich den eingeschmuggelten drahtlosen Telephonapparat im Geäst eines Lorbeerbaumes, und eine Viertelstunde später hatte ihn der Gerissene wieder als ein hübsch verschnürtes und versiegeltes Expreßpaket auf Nummer 3512 — ohne überrascht zu sein, denn er hatte deutlich in seinem Empfangsapparat gehört, wie eine Stimme etwas unwillig sagte: „Schaffen Sie das Zeug weg!“
Von neun Uhr an begann der Lift zu spielen.
Die Geladenen tauchten schwitzend und pustend aus dem Hotelblock empor, der trotz den Kühlanlagen in allen seinen Poren glühte. Sie kamen aus der Hölle ins Fegfeuer. Jeder einzelne, der aus dem Lift stieg, prallte vor dieser Mauer von Hitze zurück. Dann aber legte er augenblicklich den Rock ab, nicht ohne die anwesenden Damen vorher höflich um Erlaubnis gebeten zu haben. Diese Damen waren Maud — heiter, blühend, schneeweiß gekleidet — und Mrs. Brown, eine alte, kleine, ärmlich aussehende Frau mit gelbem Gesicht und dem argwöhnischen Blick schwerhöriger Geizhälse: die reichste Frau der Staaten und berüchtigte Wucherin.
Die Geladenen kannten einander ohne Ausnahme. Sie hatten sich auf verschiedenen Kriegschauplätzen getroffen, sie hatten jahrelang Schlachten Schulter an Schulter oder gegeneinander geschlagen. Ihre gegenseitige Hochachtung war nicht allzu groß, aber sie schätzten sich immerhin. Sie waren fast alle schon grau oder weiß, ruhig, würdig, abgeklärt und besonnen wie der Herbst, und die meisten hatten gutmütige, freundliche, ja kindliche Augen. Sie standen in Gruppen beisammen und plauderten und scherzten oder gingen zu Paaren auf und ab und flüsterten. Die Einsamen und Schweiger saßen schon still in den Klubsesseln und blickten kühl, nachdenklich und mit etwas übelgelauntem Gesichtsausdruck auf den persischen Teppich, der über den Boden gebreitet war. Zuweilen zogen sie die Uhr und warfen einen Blick auf den Lift: immer noch kamen Nachzügler ...
Drunten brodelte New York und das Brodeln schien die Hitze zu verdoppeln. New York schwitzte wie ein Ringkämpfer nach getaner Arbeit, es pustete wie eine Lokomotive, die ihre dreihundert Meilen hinter sich hat und in einer Bahnhofhalle verschnauft. Die Autos, die im zerweichten Asphalt der Straße klebten, surrten und brummten in der Broadway-Schlucht dahin, die einander drängenden Züge der elektrischen Cars hämmerten ihre Glockensignale; irgendwo, ganz fern, gellte eine schrille Glocke: ein Feuerlöschzug, der durch die Straßen fegte. Es war ein Summen wie von riesigen Glocken in der Luft, untermischt mit fernen Schreien, als würden irgendwo in der Ferne Haufen von Menschen abgeschlachtet.
Ringsum standen und funkelten Lichter in der tiefblauen, heißen Nacht, von denen man auf den ersten Blick nicht sagen konnte, ob sie dem Himmel oder der Erde angehörten. Vom Dachgarten aus sah man einen Abschnitt der zwanzig Kilometer langen Broadway-Schlucht, die ganz New York in zwei Teile spaltet: einen weißglühenden, klaffenden Schmelzofen, in dem farbige Feuer schwangen und auf dessen Boden mikroskopische Aschenteilchen entlang trieben: Menschen. Eine Seitenstraße in nächster Nähe blendete wie ein Strom flüssigen Bleis. Aus ferner gelegenen Querstraßen dampften lichte Silbernebel. Einzelne Wolkenkratzer erhoben sich gespenstisch weiß im Lichtscheine eines Platzes. Wiederum aber standen Gruppen von eng aneinander gedrängten Turmhäusern dunkel, schweigsam, wie riesige Grabsteine, die über die eingesunkenen verschwindenden Zwerghütten von zwölf und fünfzehn Etagen emporragten. In der Ferne am Himmel ein Dutzend Stockwerke mattblinkender Fensterscheiben, ohne daß das geringste von einem Haus zu sehen gewesen wäre. Da und dort vierzigstöckige Türme, auf denen matte Feuer lohten: die Dachgärten von Regis, Metropolitain, Waldorf Astoria, Republic. Rings am Horizont glommen schwüle Feuersbrünste: Hoboken, Jersey City, Brooklyn, Ost-New York. In der Spalte zwischen zwei dunklen Wolkenkratzern zuckte jede Minute ein doppelter Lichtstrahl auf, wie elektrische Funkennähte, die zwischen den Mauern übersprangen: die Hochbahn der sechsten Avenue.
Rings um das Hotel flimmerte das Feuerwerk der Nacht. Unaufhörlich schossen Lichtfontänen und farbige Strahlengarben aus den Straßen empor zum Himmel. Ein Blitz zerriß ein Turmhaus von unten bis oben und setzte einen riesigen Schuh in Brand. Ein Haus ging in Flammen auf und in den Flammen erschien ein roter Stier: Bull Durham Rauchtabak. Raketen jagten zur Höhe, explodierten und bildeten beschwörende Worte. Eine violette Sonne kreiste wie irrsinnig hoch oben in der Luft und spie Feuer über Manhattan, die bleichen Lichtkegel von Scheinwerfern tasteten nach dem Horizont und beleuchteten kalkweiße Häuserwüsten. Hoch oben am Himmel über dem blitzenden New York aber standen blaß, unscheinbar, elend, geschlagen, die Sterne und der Mond.
Von der Battery herauf kam ein Reklameluftschiff mit weichem Surren der Propeller und zwei großen Augen, eulenhaft. Und auf dem Bauch der Eule erschienen abwechselnd die Worte: Gesundheit! — Erfolg! — Suggestion! — Reichtum! — Pinestreet 14!
Drunten aber, sechsunddreißig Stockwerke tief unten, wogte ein Heer von Hüten um den Hotelblock, Reporter, Agenten, Broker, Neugierige — in der blendenden Lichtflut alle ohne Schatten — schwirrend vor Spannung, die Augen auf die Lichtgirlanden des Dachgartens gerichtet. Durch das fiebernde Stimmengewirr, das das Hotel umbrandete, drangen deutlich die Rufe der Broadway-Ratten, der Zeitungsausrufer, herauf: „Extra! Extra!“ Die „World“ hatte im letzten Moment ihren letzten und besten Triumph ausgespielt, mit dem sie alle anderen Journale überstach. Sie war allwissend und kannte das Projekt genau, das die Milliarden, die da droben schwitzten, vom Stapel ließen: eine submarine Postbeförderung! A. E. L. M.! America-Europe-Lightning-Mail! Genau wie heute die Briefe durch Luftdruck in unterirdischen Röhren von New York nach San Franzisko gepreßt wurden, sollten sie durch gewaltige Röhren, die wie Kabel gelegt werden würden, nach Europa geschossen werden. Über die Bermudas und Azoren! In drei Stunden! (Man sieht, die „World“ hatte Allans Reiseroute genau feststellen lassen.)
Selbst die ruhigsten Nerven hier oben konnten sich dem Eindruck der fiebernden Straße, des brodelnden und glitzernden New Yorks und der Hitze nicht entziehen. Alle wurden, je länger sie warteten, mehr oder weniger erregt und empfanden es wie eine Erlösung, als der blonde Hobby, der sich sehr wichtig gebärdete, die Versammlung eröffnete.
Hobby schwenkte ein Telegramm und sagte, daß C. H. Lloyd bedaure, durch sein Leiden abgehalten zu sein, die Herrschaften persönlich zu begrüßen. Er habe ihn beauftragt, ihnen Herrn Mac Allan, den langjährigen Mitarbeiter der Edison-Works-Limited und Erfinder des Diamantstahls Allanit, vorzustellen.
„Hier sitzt er!“ Hobby deutete auf Allan, der neben Maud in einem Korbstuhl saß, in Hemdärmeln wie alle andern.
Herr Allan habe ihnen etwas zu sagen. Er wolle ihnen ein Projekt vorschlagen, das, wie sie wüßten, C. H. Lloyd selbst das größte und kühnste aller Zeiten genannt habe. Herr Allan besäße Genie genug, das Projekt zu bewältigen, für die Ausführung aber brauche er ihr Geld. (Zu Allan:) „Go on, Mac!“
Allan stand auf.
Aber Hobby machte ihm ein Zeichen, noch einen Moment zu warten, und schloß, indem er einen Blick in das Telegramm warf: Er habe vergessen ... für den Fall, daß die Versammlung auf Mac Allans Projekt eingehe, beteilige sich C. H. Lloyd mit fünfundzwanzig Millionen Dollar. (Zu Allan:) „Now, my boy!“
Allan trat an Hobbys Stelle. Die Stille wurde schwül und drückend. Die Straße drunten fieberte wirrer und lauter. Alle Augen richteten sich auf ihn: das war also er, der behauptete, etwas Ungewöhnliches zu sagen zu haben! (Mauds Lippen standen vor Spannung und Angst weit offen!) Allan drückte seinem Auditorium durch nichts seine Wertschätzung aus. Er ließ den Blick ruhig durch die Versammlung wandern, und niemand hätte ihm die große Erregung angemerkt, von der er im Innern geschüttelt wurde. Es war keine Kleinigkeit, diesen Leuten den Kopf in den Rachen zu stecken, und sodann: er war alles, nur kein Redner. Es war das erstemal, daß er vor einer größeren und distinguierten Versammlung sprach. Aber seine Stimme klang ruhig und klar, als er begann.
Allan sagte zunächst, daß er, nachdem C. H. Lloyd die Erwartungen so hoch gespannt habe, befürchte, die Versammlung zu enttäuschen. Sein Projekt verdiene kaum größer genannt zu werden als der Panamakanal oder Sir Rodgers Palk-Street-Bridge, die Ceylon mit Vorderindien verbindet. Es sei, recht besehen, sogar einfach.
Hierauf zog Allan ein Stück Kreide aus der weiten Hosentasche und warf zwei Linien auf die Tafel, die hinter ihm stand. Das sei Amerika und das sei Europa! Er verpflichte sich, im Zeitraum von fünfzehn Jahren einen submarinen Tunnel zu bauen, der die beiden Kontinente verbinde, und Züge in vierundzwanzig Stunden von Amerika nach Europa zu rennen! Das sei sein Projekt.
In diesem Augenblick flammte das Licht der Photographen auf, die ihr Schnellfeuer eröffneten, und Allan machte eine kurze Pause. Von der Straße herauf kam wirres Geschrei: sie wußten, daß die Schlacht da droben begonnen hatte.
Es schien zunächst, als ob Allans Projekt, das eine Epoche in der Geschichte zweier Kontinente bedeutete und selbst für diese vorgeschrittene Zeit nicht alltäglich war, nicht den geringsten Eindruck auf die Zuhörerschaft gemacht habe. Manche waren sogar enttäuscht. Es schien ihnen, als hätten sie dann und wann schon gehört von diesem Projekt, es lag in der Luft wie viele Projekte. Und doch hätte es niemand noch vor fünfzig — wie sagst du? — vor zwanzig Jahren aussprechen können, ohne daß man darüber gelächelt hätte. Es gab hier Leute, die, während sie die Uhr aufzogen, mehr verdienten, als die Mehrzahl der Menschen in einem Monat, es gab hier Leute, die keine Miene verzogen, wenn die ganze Erde morgen wie eine Bombe explodierte, aber es gab hier keinen einzigen, der erlaubte, daß man ihn langweilte. Und davor hatten sie sich alle am meisten gefürchtet, denn, bei Gott, C. H. Lloyd konnte auch einmal versagen! Es wäre ja möglich gewesen, daß dieser Bursche irgendeine alte Sache auskramte, etwa, daß er die Wüste Sahara bewässern und fruchtbar machen wolle, oder sonst etwas. Sein Projekt war wenigstens nicht langweilig. Das war schon sehr viel. Besonders die Einsamen und Schweiger atmeten erleichtert auf.