Kitabı oku: «Die Seele des Zauberlehrlings», sayfa 2
»Wann genau soll diese Bedrohung über uns hereinstürzen?«, frage ich.
Der Große Zaubermeister läuft zu einem Regal und zieht dort ein weiteres Buch hervor, in dem er auf dem Weg zurück zu seinem Schreibtisch zu blättern beginnt. »Meine Visionen reichen weit in die Zukunft hinein. Die weisen Wesen, die uns beistehen, haben meine Fähigkeiten anscheinend verbessert. Es werden noch einige Jahre vergehen, bis das Unausweichliche geschieht. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass meine Version der Zukunft bereits auf uns lauert.«
Er vertraut so sehr auf seine Vision, dass ihm nicht mehr bewusst ist, dass seine Zauberkräfte Grenzen unterworfen sind. Auf diesen Denkfehler will ich ihn nur ungern hinweisen. »Möglicherweise reicht eine einzige Entscheidung aus, um deine Weissagung nicht wahrwerden zu lassen. Warum glaubst du, dass wir tatsächlich jetzt schon handeln müssen?«
»Weil ich nicht die Zukunft einer einzelnen Person vorausgesehen habe«, antwortet mein Großvater und legt das aufgeschlagene Buch neben die anderen. »Das, was ich in der Zukunft entdeckt habe, betrifft nicht nur eine Familie. Nicht nur unser Dorf. Die ganze Welt ist bedroht. Niemand wird überleben, wenn die Dunkelheit, die ich gesehen habe, sich über die Erde legt. Wir müssen uns mit anderen Völkern in Verbindung setzen. Wenn ich die Schwingungen richtig deute, die ich aus allen Teilen des Landes empfange, sind auch andere Zaubermeister in Aufruhr. Nicht nur ich scheine von diesen Visionen heimgesucht zu werden. Sie entsprechen unzweifelhaft der Wahrheit.«
»Vielleicht gelingt es uns, einen Krieg abzuwenden«, gebe ich zu bedenken. »Wenn wir mit dem Anführer der feindlichen Truppen verhandeln, wenn wir klarmachen, dass wir nicht vorhaben, ihnen unser Land freiwillig zu überlassen, geben sie möglicherweise auf.«
Oremazz schüttelt den Kopf. »Diese Hoffnung kannst du gleich vergessen. Das wird niemals passieren. Meine Visionen waren diesbezüglich sehr deutlich.« Er wendet sich von mir ab.
»Suchst du in den Büchern nach Antworten darauf, wie wir mit der Gefahr umgehen sollen?« Seine Aufregung springt auf mich über, als er zum nächsten Regal eilt und es durchforstet. Es fällt mir schwer, ruhig stehen zu bleiben und nicht ebenfalls durch den Raum zu laufen.
»Die großen Propheten aus unserer Vergangenheit haben Brotkrumen hinterlassen, denen ich folge. Die Welt hat sich schon immer vor etwas Vagem gefürchtet, das niemand näher benennen konnte. Wir leben nun in einer Zeit, in der die Bedrohung sich den Sehenden deutlicher zeigt. Wir sind endlich in der Lage, Prognosen zu erstellen und Gegenmaßnahmen in Angriff zu nehmen. Unsere Generation wird die Vorkehrungen treffen, damit wir uns gegen das Unbekannte zur Wehr setzen können. Die, die nach uns kommen, werden hoffentlich in Sicherheit leben können.«
Die Art, wie er rastlos durch den Raum läuft, der besessene Tonfall seiner Worte, das Feuer in seinen Augen, das gleichzeitig Kälte ausstrahlt, schüren meine Befürchtungen, dass er sich in etwas stürzt, das ihn verschlingen könnte. Meine Sorge, dass er sich übernimmt und über dieser Angelegenheit seinen Verstand verlieren könnte, lässt sich nicht mehr unterdrücken.
Als er wieder an mir vorbeiläuft, stelle ich mich ihm in den Weg. »Willst du dir die Verantwortung für die Bekämpfung dieser Gefahr ganz allein aufbürden?«
»Natürlich nicht. Die Anführer der Völker dieser Erde müssen informiert werden. Unser Fürst hat bereits alles Notwendige veranlasst. Man wird Abkommen treffen, die über die Zukunft der Welt entscheiden. Und dann, in ein paar Jahren, wird der Fürst in den Kampf ziehen und das Böse zerschlagen. Das ist der Augenblick, in dem die Zauberkräfte unserer Familie gefragt sind.«
»Ich verstehe nicht.«
Oremazz greift nach meinem Kinn und sieht mir tief in die Augen. »Unser Fürst wird die Herausforderung nicht allein meistern können. Er benötigt einen Zauberer, der ihn mit Magie unterstützt, der ihm Ratschläge erteilt, nachdem er einen Blick in die Zukunft geworfen hat. Unsere Welt wird fallen, wenn er die Kräfte der Magie nicht nutzt.«
»Du willst dich mit ihm auf das Schlachtfeld begeben?«, frage ich. Noch immer klingt diese Version unseres Schicksals so vage, dass ich damit nichts anfangen kann. Meinen Großvater möchte ich allerdings nicht im Zentrum dieser Gefahr wissen.
»Dafür werde ich zu alt sein, mein Junge. Darum habe ich nach dir rufen lassen. Wir müssen augenblicklich damit beginnen, dich auf deine Aufgabe vorzubereiten.«
Der Blick in seine Augen hat hypnotisierende Wirkung auf mich. Ich fühle mich benommen, überrumpelt, voller Angst. »Ich soll den Fürsten als dein Stellvertreter begleiten? Ich soll die Rolle des Großen Zaubermeisters übernehmen?«
Mein Großvater wirkt überrascht. Dann wirft er den Kopf in den Nacken und lacht beleidigend laut. Die Anspannung, die unablässig von ihm ausgegangen ist, entlädt sich in einem Gelächter, das tief in mein Herz schneidet.
Es dauert mehrere Augenblicke, bis er sich wieder beruhigt. Mein Innerstes ist zu Eis erstarrt. Es tut verdammt weh. Hier stehe ich vor dem einzigen Mann, der von meiner Familie übriggeblieben ist, und er sieht in mir nicht mehr als einen Scherz.
»Ich sehe es wie unser Fürst«, erklärt Oremazz. »Du bist noch zu jung. Deine Ausbildung würde zu lange dauern, damit du rechtzeitig als mein Stellvertreter fungieren könntest. Dafür würde vermutlich nicht einmal deine gesamte Lebensspanne reichen. Das darf der Fürst allerdings nicht erfahren.«
»Wie willst du ihn über meine … meine Unfähigkeit hinwegtäuschen?«, frage ich. Meine Zunge klebt an meinem Gaumen, weil die Worte meinen Mund nicht verlassen wollen.
»Du wirst mein Werkzeug sein. Ich bleibe hier. Allerdings sammle ich meine Kräfte und benutze meine Magie, wie ich es tun würde, wenn ich den Fürsten begleitet hätte. Du wirst mich über alles informieren, was vor sich geht. Unter Zuhilfenahme meiner Fähigkeiten wirst du entscheiden, was zu tun ist. Dann werde ich deine Hände benutzen, um meine Zauber zu wirken.«
Sein Werkzeug? Es klingt abfällig. Selbst wenn ich lediglich seine Marionette spielen soll, wäre es bestimmt von Vorteil, wenn ich nicht völlig ahnungslos wäre. Ich will die Grundlagen der Materie verstehen. Diese Form des Magietransfers haben wir noch niemals getestet. Das hier ist meine Chance, endlich lernen zu können, was er mir verweigert. »Es wird dauern, bis ich genug Wissen sammle, um als dein Instrument fungieren zu können.«
»Die Dunkelheit kommt immer näher, Lesithder. Wir können die Augen nicht länger davor verschließen. In meiner Vision sehe ich einen Kampf, der über unser aller Leben entscheidet. Auch du wirst deine Rolle in den drohenden Unglückszeiten spielen müssen. Wir müssen dich darauf vorbereiten.«
»Ich? Was soll ich schon bewegen? Ich bin kein Zauberer. Meine Fähigkeiten haben dir bislang nicht mehr als Unmut entlockt. Du musst dich irren. Bestimmt war es nicht mein Gesicht, das du in deiner Vision entdeckt hast.«
»Natürlich nicht«, blafft mein Großvater. Seine Augen sprühen Blitze. »Aber ich habe meine Macht vor Ort gespürt.«
Erleichterung durchflutet mich dennoch. Mit seiner Wut auf mich kann ich umgehen. Ich habe ihn im Laufe meines Lebens mehr als einmal enttäuscht. Wenn ich mich nun nicht so tapfer verhalte, wenn ich nicht so heldenhaft reagiere, wie er es sich von mir erhofft hat, werde ich ein weiteres Mal in seiner Achtung sinken. Meine Beruhigung durch die Tatsache, dass er nicht mich in seiner Offenbarung gesehen hat und mich dadurch aus meiner Pflicht entlässt, drückt um vieles schwerer auf meine Schultern. Worauf will er hinaus?
Mein Großvater macht einen Schritt auf mich zu. Je näher er mir kommt, umso unsicherer werde ich. Wellen magischer Energie gehen von ihm aus. In seinen Augen lodert es auf. Ich kann Flammen sehen, die das natürliche Blau seiner Iris verschlingen. Als die Feuerzungen auch das letzte Fitzelchen Weiß seiner Augäpfel überdeckt, entsteht in der roten Flammenhölle ein schwarzer Punkt, der langsam größer wird.
Angst schnürt mir die Kehle zu. Was passiert gerade? Wird mein Großvater mich in seiner Wut mit einem Flammenzauber belegen? Habe ich ihn dermaßen erzürnt, dass er mich in seiner Raserei direkt in die Zwischenwelt schickt?
Der schwarze Punkt gewinnt an Geschwindigkeit. Der Fleck rast auf mich zu. Und mit einem Mal verschlingt er mich. Meine Seele löst sich von meinem Körper und befindet sich plötzlich in absoluter Dunkelheit. Sie schwebt im Nichts. Ich fühle mich gewichtslos, unbedeutend, kleiner als ein Staubkorn im Angesicht des Universums.
Ich löse mich auf. Meinen Körper habe ich längst verloren. Gerade noch war ich nicht mehr als ein Gedanke. Doch auch der beginnt sich viel zu rasch zu zersetzen, als dass ich herausfinden könnte, was gerade mit mir passiert.
Von einem Wimpernschlag zum nächsten befinde ich mich in einem anderen Wesen. Ich sehe durch Augen, die mir fremd sind. Instinktiv weiß ich, dass mein Großvater mich in seinen Verstand gepflanzt hat. Nun kann er Wissen und Emotionen mit mir teilen. Noch bevor die Bilder auf mich einstürzen, ahne ich, dass der Große Zaubermeister seine Vision mit mir teilen will. Schon die ersten Gefühle machen mir klar, dass ich keine Wahl habe. Ich werde tun müssen, was man von mir erwartet.
Eine Armee von Schiffen spuckt Soldaten auf die Strände unseres Kontinents. Ihre Anzahl geht über den menschlichen Verstand hinaus. Sie überziehen das Land wie ein Schwarm hungriger Heuschrecken. Es dauert nicht lange, bis sie auch an den Grenzen unserer Heimat stehen.
Ihre Vorhut hat die Völker dieses Kontinents bereits vernichtend geschlagen. Unsere Feinde sind sogar bis nach Maëlle vorgedrungen. Wer sich nicht vor ihnen verstecken konnte, wurde getötet. Unser Fürst zieht mit dem Rest seiner Männer gegen die neue Flut an Gegnern in den Krieg. Körperlich bin ich nicht anwesend, obwohl mein Geist sich zwischen ihnen befindet. Ich kann keine Gesichter erkennen. Eine Schar an Gestalten kommt an mir vorbei, ihre Züge seltsam formlos. Dennoch verraten mir die Auren der einzelnen Personen, einige Bekannte vor mir zu haben. Ihre Körper sind nicht zu identifizieren, trotzdem weiß ich, wer an mir vorbeizieht. Darum also hat mein Großvater davon gesprochen, mich in seiner Vision gesehen zu haben, obwohl er keine Gesichter vor sich gehabt hat.
Eine erste Welle der Soldaten der Dunkelheit kann unser Fürst zurückdrängen. Dann erwartet uns eine weitere Flut unserer Feinde. Sie sind in der Übermacht und drohen, uns zu überschwemmen. Ein Mann stellt sich ihnen entgegen. Seine Aura erinnert mich an … an mich selbst. Was – gelinde gesagt – verwirrend ist.
Im Körper eines anderen zu stecken und mich selbst zu beobachten, wie ich aus einer Abteilung von Soldaten vortrete, meine Hand in die Luft recke und irgendetwas schreie, bevor ich auf unsere Gegner zulaufe, fühlt sich seltsam an. Ich kann das Bild nicht mit meinem heutigen Ich in Zusammenhang bringen. Sollte ich tatsächlich irgendwann so mutig, so energisch sein, dass mir eine Armee von Soldaten folgt? Was wird passieren, wenn wir auf die Reihen unserer Feinde treffen?
Die Vision zeigt es mir nicht direkt. Stattdessen verändert sich das Bild. Eine Wolke hat sich direkt über unser Land geschoben. Sie hat alles verdunkelt, bis die Sonne keinen Weg mehr hindurchfindet. Kein Lichtstrahl berührt mehr den Boden.
Überall entdecke ich Lager unserer Feinde, die sich auf unserem Kontinent ausgebreitet haben. Nur wenige Mitglieder unseres Volkes haben die große Schlacht überlebt. In den Dörfern leben größtenteils noch Alte und Kinder. Alle kampffähigen Männer, die eine Waffe halten konnten, sind in die Schlacht gezogen und mussten ihr Leben lassen. Die Frauen haben versucht, sich unseren Gegnern entgegenzustellen, konnten die feindliche Übernahme unseres Landes jedoch nicht verhindern. Die Eingebung meines Großvaters verrät mir die Details. Die schreckliche Realität durchdringt meinen ganzen Körper. Wir haben versagt.
Eine dunkle Wolke nähert sich vom Meer aus dem Kontinent. Magieblitze steigen vom Wasser in die Luft, erhellen die schwarze Masse, während sie Energie an das Ungetüm übertragen. In der nebeligen Hülle wächst mit jeder Stunde eine Macht, deren bösartige Gedanken die Welt vergiften wollen. Monster werden darin geboren. Fauliger Regen sammelt sich im Inneren. Blitze wirbeln darin. Die Luft lädt sich mit schwarzer Energie auf, während die Wolke an Größe gewinnt und sich immer näher schiebt.
Ein kalter Wind überzieht das Land mit seinem eisigen Hauch. Überall gefriert der Boden. Pflanzen sterben ab, werden zu Gerüsten aus Eis, die der Sturm in Tausende Splitter zerbersten lässt. Je näher diese Naturgewalt unserem Zuhause kommt, umso mehr nimmt sie an Kälte ab. Doch bis dahin ist bereits so viel zerstört, dass niemals wieder jemand in dieser Gegend siedeln kann. Die Kälte sickert in den Boden, lässt ihn für Generationen unfruchtbar werden.
Nach dem Wind schickt die Wolke, die immer noch über dem Meer schwebt, die Ausgeburten der Hölle aus. Krähen, größer als Häuser, fliegen über das Land und suchen sich ihre Opfer aus den verängstigten Menschen, die nicht schnell genug fliehen können. Sie tragen ihre Beute zurück in die Wolke, ohne dass sie jemals wieder zurückkehren. Unheimliche Kreaturen suchen unseren Kontinenten heim. Sie jagen in der Nacht, fallen über Unschuldige her, verspeisen sie im Schutz der Dunkelheit und verstecken sich bei Tag in den Schatten der Berge.
Durch die Vorboten des dunklen Angreifers verbreiten sich Schrecken und Angst. Keiner der wenigen Menschen, die den Krieg überlebt haben, fühlt sich vor der Gefahr sicher. Das Leben in unserer Welt ist zu einem Albtraum geworden. Die Magie des Feindes zerstört alles, was wir lieben.
Ob es einen Weg gibt, diese schreckliche Zukunft zu verhindern? Existiert ein Ausweg, um unser Land und seine Menschen zu retten? Kann ich etwas tun, damit unsere Feinde keinen Erfolg haben? Werde tatsächlich ich den Unterschied machen, oder sitzt mein Großvater einem Irrtum auf?
Ich werde es herausfinden. Daran gibt es für mich keinen Zweifel mehr. Das hier ist mein Schicksal. Ich werde auf dem Schlachtfeld stehen. Davor kann ich nicht davonlaufen. Denn wenn ich mich dem Albtraum nicht stelle, kann ich nicht verhindern, dass unsere Feinde über uns herfallen. Das würde ich mir niemals verzeihen.
2. Kapitel
Zwei Jahre später
»Halte den Zauberstab fester«, befiehlt mein Großvater. »Sobald dir ein Hauch von Gegenwind entgegenbläst, wirst du ihn verlieren.«
»Ich brauche ihn doch gar nicht mehr. Diese Zauber kann ich auch ohne Hilfsmittel anwenden.«
»Kommt nicht infrage.« Oremazz schüttelt den Kopf. »Die Sprüche, die ich dir beigebracht habe, kannst du vielleicht in diesen Räumen ohne Probleme umsetzen. Dich erwartet allerdings eine Aufgabe, die weit über diese Fingerübungen hinausgeht. Du wirst als mein Stellvertreter diese Reise antreten. Durch deine Hände wird meine Magie fließen. Wie willst du die Kräfte, die in dir toben werden, unter Kontrolle halten, wenn du dich ausschließlich auf deine unausgereiften Fähigkeiten verlässt?«
Eine Haarsträhne verdeckt mir die Sicht. Mit einer ungeduldigen Bewegung streiche ich sie hinter mein Ohr. Langsam nicke ich. Der Große Zaubermeister lässt keine Gelegenheit aus, um mich auf meine Unzulänglichkeiten hinzuweisen. Immer noch scheine ich nicht gut genug, um seine Ansprüche erfüllen zu können. Seit zwei Jahren üben wir jeden einzelnen Tag die gleichen einfachen Zauber und Sprüche. Im Gegensatz zu den anderen Zauberlehrlingen erhalte ich zusätzlich Einzelunterricht bei meinem Großvater. Letzte Nacht hat er mich in den frühen Morgenstunden geweckt, um mich auf den Prüfstand zu stellen.
»Die Übungen in der Lehrstunde mit den anderen Schülern sind gut verlaufen«, erinnere ich meinen Großvater. »Im Vergleich zu den anderen Lehrlingen habe ich mich nicht schlecht angestellt.«
»Das ist nicht genug. Verstehst du denn nicht, dass deine Aufgabe größer und komplizierter ist als ihre? Nur zwischen uns besteht die Verbindung des Blutes, durch die ich wirken kann. Dadurch hast du Fähigkeiten, die andere vielleicht niemals erreichen können. Doch das ist bei Weitem nicht genug, um es mit den Feinden aufzunehmen, die auf uns warten. Du weißt, dass die Zeit nicht auf unserer Seite ist.«
»Motivation ist eindeutig kein Grundpfeiler deines Unterrichts«, murmle ich.
Oremazz runzelt die Stirn und steht plötzlich direkt vor mir. »Wie bitte?«
Ich senke den Blick und schüttle den Kopf. Meine Worte will ich lieber nicht wiederholen.
»Du nimmst diese Sache nicht ernst genug«, beschwert sich der Große Zaubermeister. »Seit zwei Jahren versuche ich dir klar zu machen, wie wichtig deine Rolle werden wird.«
»Als deine Handpuppe.«
»Was interessiert es dich in ein paar Jahren, was genau du getan hast, um unsere Welt zu retten? Man wird dich als Helden feiern. Niemand wird ahnen, dass es sich nicht um deine eigenen Zauberkräfte gehandelt hat. Zumindest wenn du dich endlich anstrengst und versuchst, meine Magie auf die richtige Art zu kanalisieren.«
Mein Herz sollte nicht von Bitterkeit zerfressen werden. Ich weiß, dass ich niemals annähernd gut genug sein werde, um so mächtig zu werden, wie mein Großvater es ist. Ehrlich gesagt habe ich die Zauberei in meiner Kindheit tatsächlich nie als mein Schicksal angesehen.
Das hat sich allerdings geändert, als ich das erste Mal Magie wirken durfte. Noch bevor die Prophezeiung der Gefahr für unser Volk meine Person zu einer Spielfigur des großen Plans gemacht hat, wollte ich alles Notwendige lernen, um den überdimensionalen Fußstapfen meines Großvaters mit kleinen Schritten folgen zu können. Doch jetzt bin ich zu einer Marionette geworden. Oremazz hat nicht einmal in Betracht gezogen, ich könnte als Zauberlehrling genug Entwicklung zeigen, um auch nur einen Teil der Zauber selbst zu wirken.
»Ich verstehe, wie groß die Gefahr ist, die uns durch die schwarze Wolke droht«, stelle ich klar. »Wir müssen die Vorhut aus unserem Land verjagen, damit die Dunkelheit uns nicht vernichtet. Ich bin bereit, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um das Schlimmste zu verhindern. Lehre mich alle Zauber, die du kennst. Lass mich nicht nur in den Büchern deiner Bibliothek lesen, wie Magie richtig angewendet wird. Erlaube mir, all diese Dinge auszuprobieren.«
»Eine schlechte Idee. Damit würden wir bloß unnötig Zeit verschwenden. Meine Vision war mehr als deutlich. Wir wissen, ich habe dich gelenkt. Wozu willst du dich mit etwas befassen, das ohnehin niemals eintritt?«
Obwohl es in seinem Studierzimmer langsam zu dunkel wird, um das Spiel seiner Miene genau deuten zu können, erkenne ich die Missbilligung auf seinem Gesicht. Die Sonne wird viel zu oft von Wolken verdeckt. Die Abstände, in denen es ihr gelingt, die verfinsternde Decke zu durchdringen, werden immer kürzer. Dennoch sehe ich, wie Oremazz’ Augen funkeln, als er sich seinen Büchern zuwendet.
Mit einer beiläufigen Handbewegung entzünde ich ein Feuer in den drei Laternen an der Wand. »Ich habe mich in den letzten Tagen an einigen einfachen Zaubern versucht«, gestehe ich. »Nichts allzu Großes. Doch es ist mir gelungen, Abwehrmechanismen anzuwenden.«
Der Große Zaubermeister lacht auf. »Lassen wir außer Acht, dass du lieber etwas anderes hättest üben sollen, und widmen wir uns einen kurzen Augenblick dieser ungenauen Aussage. Welchen Zauber hast du gewirkt?«
»Ich habe einen Schutzschild um mich herum gebildet. Elevander hat mit einem Ball auf mich geschossen, aber der Ball konnte den Schild nicht durchdringen.«
Wie stolz ich in diesem Augenblick gewesen bin! In den letzten Monaten habe ich nicht einmal den Anflug dieses Glücks empfunden. Oremazz glaubt nicht an mich. Elevander stachelt mich an. Mein bester Freund unterstützt mich bei meinen Übungen. Ihm ist es aufgrund seines Standes nicht erlaubt, Zauberlehrling zu werden, obwohl ich ihn zu gern an meiner Seite hätte. Genau wie sein Vater arbeitet er als Schreiner und ist damit mehr als zufrieden. Ihn dabei zu beobachten, wie geschickt er mit einem Stück Holz umgeht, schenkt mir den Frieden, den ich bei meiner Aufgabe niemals finde. Er tut, wozu er berufen ist, und motiviert mich, an mir selbst zu arbeiten. Durch seine Hartnäckigkeit habe ich meine Hoffnung noch nicht aufgegeben, irgendwann ein großer Zauberer zu werden.
Oremazz’ Augenbraue hebt sich. »Ein Schutzschild für dich allein? Das lernen Lehrlinge in den ersten Monaten ihrer Ausbildung. Wozu soll dieser Zauber schon gut sein? Willst du ihn in der Schlacht anwenden? Möchtest du dich damit vor unseren Feinden schützen, während um dich herum die Männer fallen?«
Mir ist bewusst gewesen, dass es sich bei meiner Übung nur um einen kleinen Trick handelt. Natürlich reicht das nicht, um in einem Kampf die Männer, die unser Fürst aus dem ganzen Land einberufen hat, vor Unheil zu bewahren. Trotzdem habe ich gehofft, mein Großvater würde in Betracht ziehen, dass ich hilfreicher als eine Handpuppe sein könnte.
»Hast du letzte Nacht die Sprüche gelernt, die ich dir aufgetragen habe?«, fragt der Große Zaubermeister streng.
»Selbstverständlich. Ich würde dich niemals enttäuschen.«
Oremazz seufzt. »Zeig es mir«, fordert er. »Sag eine der Formeln.«
Nervosität lähmt mich sofort. Ich weiß, welchen Spruch ich sprechen möchte. Unsichtbar sein. Dabei handelt es sich um eine Fähigkeit, die ich mir immer schon gewünscht habe. Tatsächlich habe ich ihn bereits vor dem Auftrag von Oremazz gelernt. Mehrmals habe ich den Zauber getestet, um mich heimlich mit Elevander wegschleichen zu können. Niemals hatte ich ein Problem damit, ihn richtig umzusetzen. Doch plötzlich ist mein Kopf wie leergefegt. Die Angst, zu versagen, lässt mich noch vor dem Beginn verzweifeln. Ich klammere mich an den Anfangsworten des Spruches fest und trage ihn leise und langsam vor.
»Mit meiner Seele rufe ich die Macht,
damit der helle Nebel über mich gebracht.
Unsichtbar wandle ich auf dieser Welt,
solange es mir so gefällt.«
Nichts passiert. Und das ist kein Wunder. Triumph blitzt in den Augen meines Großvaters auf.
»Du hast in der letzten Zeile ein paar Worte verwechselt«, tadelt Oremazz sofort. »Es heißt: solange mir diese Tarnung gefällt. Du musst darauf achten, die Sprüche fehlerfrei zu kennen. Wenn du unkorrekte Zauber aussprichst, wirst du keinen Erfolg haben. Du bringst damit nicht nur dich in Gefahr. Genau deshalb kann ich dich nicht ohne meine Hilfe zaubern lassen.«
Scham erhitzt meine Wangen. Dieser Fehler war unverzeihlich. Ich habe versucht, meinen Großvater davon zu überzeugen, sein Vertrauen verdient zu haben. Stattdessen habe ich ihm einen weiteren Grund geliefert, warum ich nicht würdig bin, sein Nachfolger zu werden. Unter Druck versage ich. Möglicherweise hat Oremazz recht, wenn er mir nicht mehr Verantwortung überträgt.
»Es tut mir leid, dich enttäuscht zu haben«, würge ich hervor.
»Ich habe nicht erwartet, dass du plötzlich zu einem Meistermagier wirst. Vergiss einfach deine Albernheiten, schlag dir aus dem Kopf, die Zauber allein zu wirken, und konzentriere dich auf die Aufgabe, die du wirklich umsetzen kannst. Bist du dazu bereit?«
Mehr als ein Nicken gelingt mir nicht.
»Schön. Dann lass uns nach draußen gehen und nach einem geeigneten Versuchsobjekt suchen.«
»Einem geeigneten Versuchsobjekt?«, echoe ich.
»Exakt. Wir werden sofort einen Versuch starten, bei dem ich den Zauber spreche, und du dich auf die Person konzentrierst, bei der sich die Wirkung zeigen soll. Es ist an der Zeit, deine Fähigkeiten zu testen. Ich will sehen, ob du in der Lage bist, meine Kräfte zu kanalisieren.«
Bisher haben wir uns hauptsächlich darauf beschränkt, an Gegenständen zu üben. In den letzten Wochen hat mein Großvater Freiwillige dazu abgestellt, mich meine Zauber an ihnen testen zu lassen. Wir haben niemanden darüber informiert, dass nicht wirklich ich es bin, der die Magie benutzt. Genau das wollten wir schließlich verhindern. Es hat auch niemand bemerkt, dass wir nur ein Theaterspiel veranstalten, was Oremazz in seinem Glauben bestärkt, dass wir den richtigen Weg beschreiten. Ich weiß nicht, ob ich glücklich darüber bin, so ein guter Schauspieler zu sein.
Jetzt soll ich jemanden beeinflussen, der nicht ahnt, für meine Zwecke benutzt zu werden. Seit drei Tagen versuchen wir uns an Zaubern, die unsere Gegner außer Gefecht setzen sollen. Das würde bedeuten, dass wir einen Dorfbewohner ohne Vorwarnung handlungsunfähig machen. Nein, wir könnten ihn sogar verletzen. Der Gedanke gefällt mir nicht.
»Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«, frage ich. »Was, wenn jemand bemerkt, was wir tun? Was werden die Leute denken, wenn wir unsere Macht nicht auf verantwortungsvolle Weise einsetzen?«
»So ein Schwachsinn! Hast du vielleicht vor, unsere Feinde um Erlaubnis zu fragen, bevor du sie kampfunfähig machst?«
»Nein, aber das kannst du nicht vergleichen. Willst du einen unschuldigen Menschen in Angst und Schrecken versetzen …?«
Mein Großvater stößt einen Laut der Verärgerung aus. Mit dem Blick, den er mir zuwirft, könnte er glühende Kohlen zu Eis verwandeln.
Oremazz packt eines seiner Bücher – wozu er es benötigt, weiß ich nicht – und verlässt den Raum. Ich folge ihm auf den Gang. Es wäre ein Leichtes für uns, mit einem Zauber innerhalb einer Sekunde in den Hof zu gelangen. Er liebt den großen Auftritt. Doch dafür hat er es nicht nötig, Magie anzuwenden.
Bei jedem Schritt, den wir im Schloss zurücklegen, halten die Leute ehrfurchtsvoll inne. Die Frauen sinken in einen tiefen Knicks. Die Männer verbeugen sich. Während man ihn grüßt, wird der Name meines Großvaters nur leise gemurmelt. Es scheint, als wolle man ihn nicht abnutzen, als beinhalte er einen Zauber, den es zu bewahren gilt.
Obwohl ich direkt neben ihm gehe, werde ich keines Blickes gewürdigt. Als sein Enkel könnte ich eine gewisse Sonderstellung in unserer Gemeinschaft einnehmen. Das ändert allerdings nichts daran, dass ich neben Oremazz nicht beachtet werde.
»Warte hier«, befiehlt der Große Zaubermeister, als wir auf den Innenhof gelangen.
Eine Frau mit einem Korb voller Wäsche läuft an uns vorbei. Als sie in den Knicks sinkt, steigt sie sich auf den Saum ihres Kleides, das unter der Toga hervorschaut. Ich greife nach ihrer Hand, um sie am Fallen zu hindern. Sie flüstert einen Dank, bevor sie weitereilt.
Mein Großvater nimmt die Aufregung der Frau gar nicht wahr und eilt über den Hof. Vermutlich macht er sich auf die Suche nach einem geeigneten Opfer für unseren Versuch. In mir brodelt Unwohlsein. Das ist wohl ein schlechter Traum. Gleich wache ich auf. Das kann er doch nicht tun! Sucht er möglicherweise jemanden, der leicht zu manipulieren ist? Oder möchte er mir die Sache nicht zu leicht machen? Ich hätte nichts dagegen, einen kleinen Erfolg vorweisen zu können, auch wenn ich den Gedanken hasse, irgendjemanden gegen dessen Willen zu beeinflussen. Ich will das nicht!
Beiläufig beobachte ich das Treiben auf der plattgetretenen Fläche, die fünfzig Schritte auf der einen Seite und gut hundert auf der anderen Seite breit ist. Ein Mann repariert das Rad eines Karrens. Zwei weitere zimmern an einem Hühnerstall, was den Unmut einer Frau erweckt, die lautstark nach der Verlegung der Baustelle fordert.
Dann verändert sich etwas. Meine Nackenhaare richten sich auf, während mein Herz einen Hüpfer macht. Frieden breitet sich in mir aus. Er ist da.
Ich nehme seine Aura wahr, bevor er mich anspricht. Gesichter habe ich mir noch niemals gut gemerkt. Sie sind leicht zu verwechseln, austauschbar, verändern sich je nach Laune. Die Aura eines Menschen bleibt allerdings immer gleich.
»Was tust du hier? Solltest du nicht im Studierzimmer über deinen Büchern brüten?« Elevander bleibt hinter mir stehen.
Einen Moment lang habe ich Oremazz aus den Augen verloren. Dann entdecke ich ihn an den Stufen, die zum Rundgang im ersten Stock führen. Will er von dort aus den Zauber wirken?
»Ich soll mich an einem Opfer versuchen, das nichts von der Manipulation ahnt«, gestehe ich. Mein bester Freund weiß über die Täuschung Bescheid, die mein Großvater und ich planen. Ich musste mich jemandem anvertrauen, auch wenn der Große Zaubermeister das bestimmt nicht gutheißen würde.
»Eigentlich soll ich einen Schrank für die Bibliothek ausmessen. Jetzt lasse ich mir damit noch ein wenig Zeit. Wann geht es los?«
»Willst du wirklich dabei zusehen, wie ich mich vor allen lächerlich mache?«, frage ich.
Elevander lacht leise. »Vielleicht solltet ihr nicht nur an deinen Fähigkeiten als Zauberer arbeiten. Es würde nicht schaden, wenn ihr dein Selbstbewusstsein aufbauen würdet.«
Ich unterdrücke ein trauriges Seufzen. »Dafür haben wir keine Zeit. Mein Großvater gibt mir sehr deutlich zu verstehen, dass ich seine Erwartungen bei den Aufgaben nicht erfülle, die ich unbedingt erlernen muss. Wenn wir uns dann noch bei Nebensächlichkeiten verzetteln, wird das niemals etwas mit meiner Funktion als Simulationszauberer.«
Mein bester Freund hebt eine Augenbraue. »Das Problem verstehe ich nicht ganz. Warum kann dein Großvater denn nicht an deiner statt diese Reise unternehmen, wenn er der Meinung ist, bei ihm handle es sich um den besten Zauberer für diese Aufgabe?«
»Er ist nicht mehr jung genug«, zische ich Elevander zu, als ich den intensiven Blick von Oremazz auf mir spüre. Wenn ich mich jetzt nach meinem Großvater umsehen würde, könnte ich ihn nicht entdecken. Er hat sich einen Platz gesucht, an dem er keine Aufmerksamkeit erregt. Ich kann fühlen, wie er auch meine Augen benutzt, um sich einen besseren Überblick zu verschaffen.
»Weshalb lässt er dich dann nicht die Zauber lernen, die notwendig sind?«, will Elevander wissen. »Ihr hattet zwei Jahre, um aus dir einen echten Zauberer zu machen. Wieso hat er diese Zeit nicht genutzt?«