Kitabı oku: «Strafrecht für die Polizei», sayfa 4
b.Notwehr, § 32 StGB
Im Fall käme als Rechtfertigungsgrund nun Notwehr gemäß § 32 StGB in Betracht.
Die dem Normtext entnehmbaren Tatbestandsmerkmale sind dabei:
§ 32 StGB
(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.
(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.
Elemente des Prüfungsschemas nach dem Gesetzestext sind also: Ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff; eine Verteidigungshandlung; die Erforderlichkeit der Verteidigungshandlung; die Gebotenheit der Verteidigungshandlung und als Ziel der Verteidigungshandlung die Abwehr des Angriffs.
Dies ergibt – leicht ergänzt und etwas anders „sortiert“ – folgendes Prüfungsschema Notwehr:
Notwehrlage:
–Angriff–Gegenwärtig–Rechtswidrig
Notwehrhandlung:
–Erforderliche Verteidigungshandlung–Gegen den Angreifer–Gebotenheit
Subjektives Rechtsfertigungselement: Verteidigungswille
Diese Prüfungspunkte sind in das Schema zur Prüfung des vorsätzlichen vollendeten Delikts als Unterpunkte des Prüfungspunktes „Rechtswidrigkeit“ einzubauen – und dort jeweils Punkt für Punkt im Gutachtenstil abzuarbeiten.
Liegen alle Voraussetzungen der Notwehr vor, ist der Täter gerechtfertigt, handelt also nicht rechtswidrig – und ist damit nach dem geprüften Straftatbestand nicht strafbar. Die Prüfung dieses Straftatbestandes muss dann abgebrochen werden.
Fehlt auch nur eine Voraussetzung der Notwehr, ist der Täter nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt! Die Prüfung, ob er sich nach der geprüften Norm strafbar gemacht hat, ist dann fortzusetzen – ggf. mit anderen im Fall in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründen und, falls solche ebenfalls nicht komplett vorliegen, mit der Schuld.
Praxisbox:
Auch das mögliche Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes hat unmittelbare Auswirkungen auf die praktische Arbeit im Polizeialltag. Dies gilt jedenfalls in zweierlei Hinsicht:
Kommen in einem Fall Rechtfertigungsgründe in Betracht, muss – natürlich – auch in diese Richtung ermittelt werden, denn Polizei und Staatsanwaltschaft haben von sich aus auch alles Entlastende zu ermitteln.
Das Vorliegen eines Rechtsfertigungsgrundes kann aber auch dazu führen, dass gar kein Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten besteht oder dieser im Laufe der Ermittlungen entfällt. Ein Anfangsverdacht verlangt zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Straftat – und zwar eine verfolgbare Straftat. Eine „verfolgbare Straftat“ im Sinne des § 152 II StPO liegt nicht vor, wenn der Täter gerechtfertigt ist. Allerdings gilt dies nur, wenn der Rechtfertigungsgrund sicher gegeben ist. Namentlich zum Beginn von Ermittlungen wird man dies kaum sagen können. Ist ein Rechtfertigungsgrund nur möglich, bleibt der Anfangsverdacht bestehen und kann und muss weiterermittelt werden, aber eben auch in entlastender Richtung. Steht der Rechtfertigungsgrund indes fest, entfällt ein Tatverdacht als Grundlage weiterer Ermittlungen.
Diese rechtliche Bewertung ist dabei abschließend indes nicht Aufgabe der Polizei, sondern der Justiz. Halten Sie als polizeilicher Sachbearbeiter einen Rechtfertigungsgrund für gegeben, müssen Sie den Fall der Staatsanwaltschaft vorlegen (durch Aktenübersendung oder auch mittels Sachvortrag per Telefon). Die Staatsanwaltschaft entscheidet dann, ob die Ermittlungen weitergeführt werden sollen und falls ja, wie.
Im Fall ist also zunächst zu klären, ob eine Notwehrlage vorlag.
Nötig dafür ist zunächst ein Angriff auf B.
D hat bereits unerlaubt Bs Wohnung betreten. Ferner hatte D vor, B Wertsachen wegzunehmen, darunter nach Auffinden auch den Familienschmuck, sowie den B körperlich zu verletzen, indem er ihn bewusstlos schlägt.
D wollte damit Rechtsgüter des B (körperliche Unversehrtheit, Eigentum) verletzen und hat ein Rechtsgut, nämlich das Hausrecht, bereits verletzt.
D wollte B angreifen.
Ein Angriff ist also (Definition Angriff): Die unmittelbare Bedrohung rechtlich geschützter Güter durch menschliches Verhalten.[11]
Kein Angriff i. S. d. § 32 StGB wäre danach, wenn ein Wildtier Rechtsgüter zu verletzen droht (die Abwehr dieser Gefahr kann nur nach §§ 228, 904 BGB gerechtfertigt sein).[12] Ein Angriff läge aber vor, wenn ein Hundehalter seinem Hund befiehlt, einen anderen Menschen zu beißen („Hasso, fass!“).[13]
Geholfen werden darf auch, wenn Rechtsgüter Dritter angegriffen werden, aber nur, wenn der Dritte Hilfe will (Nothilfe). Ansonsten sind die Voraussetzungen für Notwehr und Nothilfe identisch.
Im Fall als Nächstes erforderlich wäre die Gegenwärtigkeit des Angriffs.
Der Angriff auf Bs Hausrecht und auf das Eigentum war schon im Gange. Zum Angriff auf Bs Gesundheit setzte der D indes gerade erst an, sodass dieser noch nicht stattfand. Der Angriff auf die Gesundheit stand aber binnen Sekunden und damit unmittelbar bevor. Auch dann darf derjenige, der in den nächsten Sekunden angegriffen werden würde, sich schon in Notwehr wehren.
Die Definition für „gegenwärtig“ lautet: Gegenwärtig ist ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht, stattfindet oder fortdauert.[14]
Beachte aber: Vorweg-Notwehr ist nur bei unmittelbar bevorstehenden Angriffen erlaubt!
Ist ein Angriff geplant, aber noch nicht kurz vor der Ausführung, besteht kein Notwehrrecht. Wetzt der B also gerade das Messer, um übermorgen den A damit anzugreifen, ist dieser Angriff noch nicht gegenwärtig. Ein Notwehrrecht hätte der A also jetzt noch nicht (was nicht heißt, dass A gar nichts tun kann. Gegebenenfalls kämen andere rechtlich zulässige Abwehrmöglichkeiten in Betracht, z. B. Notstand, dazu später mehr).
Ist der Angriff beendet, besteht ebenfalls kein Notwehrrecht mehr.
Ein Beispiel ist: Der Angreifer liegt nach der Abwehrhandlung kampfunfähig am Boden.
Kann das verletzte Rechtsgut aber in – zeitlich-räumlich direktem Zusammenhang – noch gerettet werden, ist der Angriff noch nicht beendet (Bsp.: Dieb flüchtet mit der Beute, hier ist Notwehr noch möglich).[15]
Notwehr ist also zeitlich eng begrenzt: Besteht die Gefahr noch nicht akut oder nicht mehr, ist keine Notwehrlage gegeben! Notwehr ist zeitlich also beschränkt auf den „Moment der unmittelbaren Gefahr“.[16]
Im Fall wäre als Nächstes die Rechtswidrigkeit des Angriffs (!) zu prüfen.
D hatte seinerseits kein Recht, den B anzugreifen.
Die Definition für „Rechtswidrigkeit (des Angriffs)“ lautet: Rechtswidrig ist ein Angriff, der nicht selbst gerechtfertigt ist.[17]
Es kommt also darauf an, ob der Angreifer seinerseits gerechtfertigt ist; dazu bei Fall 2 zur Notwehr mehr.
Liegt eine Notwehrlage vollständig vor, heißt dies, dass der Angegriffene sich verteidigen darf. Was er zur Verteidigung dann tun darf, betrifft den nächsten Prüfungspunkt, nämlich die Notwehrhandlung.
Im Fall ist also nun die Notwehrhandlung zu prüfen.
Es müsste eine erforderliche Verteidigungshandlung vorliegen.
Dazu ist im Fall Folgendes vorweg zu überlegen:
Ist der Schuss in die Brust zur Abwehr geeignet? Ja, er beendet diesen dauerhaft.
Gäbe es mildere Mittel?
Ja, mildere Mittel wären das Androhen eines Schusses, die Nutzung der Waffe nur als Schlaginstrument, ein Warnschuss oder ein Schuss in die Beine. Aber: Bei allen diesen Varianten hätte immer die sehr reale Gefahr bestanden, dass sie den D gar nicht vertreiben und dieser sodann den B bewusstlos schlägt. D war schon so nah an B, dass er ihn beim bloßen Drohen sogleich hätte schlagen können. Ein Schuss in die Beine hätte nur wirklich dann geholfen, wenn er sehr sicher gesetzt und den D auch wirklich erheblich getroffen und nicht nur gestreift hätte. Alle milderen Varianten wären also nur mit höherem Risiko für den B möglich gewesen.
Gleich wirksame, mildere Mittel gäbe es hingegen nicht.
Die Frage ist daher: Muss der B sich auf riskante Verteidigungsmittel beschränken?
Nein, muss er nicht. B ist – anders als E – rechtstreu und muss daher das Risiko unwirksamer Verteidigungsmittel nicht eingehen!
Diese Erwägungen führen zur folgenden Definition „Erforderlichkeit“: Erforderlich ist diejenige Verteidigung, die geeignet ist, den Angriff zu beenden und dabei das mildeste, gleich wirksame Mittel ist.[18]
Es gilt also:
Gibt es mehrere wirksame Mittel zur Verteidigung, ist das mildeste zu wählen. Ist der Angegriffene bewaffnet, gehört dazu in der Regel das Androhen des Waffeneinsatzes, soweit dies nicht wegen der Schnelligkeit des Angriffs nicht mehr möglich ist.[19] Sind mildere Mittel indes nicht gleich wirksam, darf zum härteren Mittel gegriffen werden – und zwar auch sofort!
Denn: Einen „Kampf mit ungewissem Ausgang“ muss der Angegriffene nicht riskieren.[20]
Ein Schusswaffeneinsatz oder der Einsatz eines sonstigen lebensgefährlichen Kampfmittels ist dabei (dann, aber eben auch nur dann) vorher anzudrohen, wenn dies nach Kampflage als ausreichend angesehen werden kann und der Angreifer selbst nicht gleich bewaffnet ist. Erscheint das Androhen als nicht ausreichend, darf sofort geschossen werden.[21]
Ein Beispiel für gleich wirksame Mittel wäre daher etwa: Der Angreifer ist noch dreißig Meter entfernt. Hier kann ein bewaffneter Angegriffener dem Angreifer den Waffeneinsatz androhen und ggf. nach der Androhung noch in die Beine schießen.
Beachte aber: Der Angegriffene darf sich auch erforderlich verteidigen, wenn er ebenso leicht fliehen könnte. Eine Pflicht zur Flucht besteht nicht („das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“).[22]
Kann der Angegriffene aber obrigkeitliche Hilfe rechtzeitig herbeirufen, geht dies vor!
In der konkreten Notwehrsituation wird dies selten in Betracht kommen, denn wenn der Angriff schon gegenwärtig ist, müsste wohl ein Polizeibeamter direkt danebenstehen, damit der Angegriffene noch rechtzeitig „die Polizei rufen“ könnte. Von Bedeutung ist dies daher v. a., wenn der Angegriffene schon im Vorfeld erfahren hat, dass es zu einem Angriff kommen wird. Ein Beispiel hierfür wäre folgender Fall: Der B erfährt bereits am Vormittag, das am späten Abend sein Erzfeind E zusammen mit seinen Leuten den Laden des B „plattmachen“ will. Anstelle sich an die Polizei zu wenden, wartet B nun bewaffnet den Angriff ab, um sich dann zu verteidigen und in Notwehr einen der Angreifer zu töten. Hier ist diese Verteidigung völlig unabhängig davon, ob die sonstigen Voraussetzungen der Notwehr vorliegen und völlig unabhängig von der konkreten Kampflage nicht erforderlich, eben weil der B schon im Vorfeld die Polizei hätte informieren können.[23]
Im Fall gibt es noch einen Aspekt, der die Verteidigungshandlung betrifft: B tötet E, obwohl E den B „nur“ körperverletzen wollte.
Für die Erforderlichkeit ist dies indes völlig irrelevant, es gibt im Notwehrrecht keine Prüfung der Verhältnismäßigkeit! Der Angegriffene darf also größere Schäden beim Angreifer verursachen, als dieser bei ihm verursachen wollte, solange dies zur Verteidigung erforderlich ist. Wenn erforderlich, dürfen sogar zur Rettung von Sachwerten tödliche Verteidigungshandlungen vorgenommen werden.[24]
Nur wenn ein krasses Missverhältnis besteht (z. B. Tötung des Angreifers zur Rettung einer Woolworth-Uhr für 4,59 Euro), kann es an der Gebotenheit der Verteidigung fehlen; dazu später mehr.
Die Struktur der Notwehr besteht also in einer sehr eng gefassten und streng zu prüfenden Notwehrlage, aber (bei deren Vorliegen) sehr weitgehenden Rechten des Angegriffenen bei der Notwehrhandlung.
Ein weiteres Erfordernis von § 32 StGB ist ferner: Die Verteidigung muss sich gegen den Angreifer richten.
Ist ein Eingriff in Rechte Dritter nötig, um sich zu verteidigen, kommt eine Rechtfertigung dieser Handlungen nur nach §§ 34 StGB, 228, 904 BGB in Betracht (dazu im Detail später mehr). Wenn also der von A angegriffene B mangels Waffe eine Latte vom Gartenzaun des unbeteiligten C abreißt und damit auf A zur Abwehr einschlägt, käme für die (gefährliche) Körperverletzung zum Nachteil des A Notwehr in Betracht. Für die Zerstörungen am Zaun des C scheitert § 32 StGB aber daran, dass C den B nicht angegriffen hat. Hier wäre also auf die genannten §§ 228, 904 BGB zurückzugreifen.
Im Fall greift B nur in Rechte des Angreifers E ein.
Bs Verteidigung müsste im Fall ferner geboten sein. Dies ist hier zu bejahen; Näheres dazu bei Fall 2 zur Notwehr.
Im Fall liegt also auch die Notwehrhandlung im Sinne des § 32 StGB vor.
B hätte ferner Verteidigungswillen haben müssen. Ziel seiner Handlung hätte also die Abwehr des Angriffs sein müssen. Das ist hier der Fall.
Verteidigungswille wird in der Regel vorliegen.
Ein Beispiel, in dem dieser fehlt, wäre etwa: Die E will ihren Ehemann M ein für alle Mal davon abbringen, betrunken nach Hause zu kommen. Im dunklen Flur wartet sie daher auf ihn mit einem Nudelholz, dass sie ihm über den Kopf ziehen will. Nun betritt Dieb D den Flur. E hält ihn für ihren Ehemann und schlägt ihn mit dem Nudelholz nieder. Die E ist hier im Hausrecht und Eigentum unmittelbar angegriffen und hätte gleich wirksame mildere Mittel gegen den D nicht gehabt. Notwehrlage und Notwehrhandlung wären also zu bejahen. Sie will sich aber gar nicht gegen den Angriff des D – den sie als solchen nicht einmal erkannt hat – wehren, sondern hat ein ganz anderes Handlungsziel. Sie ist daher hier nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt.[25]
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Notwehr sich dadurch auszeichnet, dass die Voraussetzungen, also die Notwehrlage, sehr eng zu fassen ist (nur bei akuter Gefahr durch einen menschlichen Angriff), bei ihrem Vorliegen aber im Rahmen der Notwehrhandlung sehr weitgehende Verteidigungsrechte (alles Erforderliche, keine Prüfung der Verhältnismäßigkeit) bestehen. Die Notwehrlage ist also der „Flaschenhals“, durch den der Täter durchkommen muss. Gelingt dies, ist zumindest grundsätzlich dann erlaubt, was (zur Abwehr) nötig ist.
Im Fall ist der B also durch Notwehr gerechtfertigt und damit nicht nach § 212 StGB strafbar. Die Prüfung des Totschlags ist daher an dieser Stelle zu beenden.
Es gibt indes Ausnahmefälle, in denen dem Angegriffenen trotz Vorliegen einer Notstandslage nur eine eingeschränkte oder auch gar keine Verteidigung gestattet ist.
Zur Illustration dient folgender Fall 2 zur Notwehr:
Der B hat sich ein sündhaft teures Auto gekauft, ein Cabriolet, mit dem er an einem schönen Sommertag mit offenem Verdeck zu einem Badesee fährt und dort auf dem Parkplatz parkt. Beim Aussteigen sieht er seinen Erzfeind E, von dem der B weiß, dass der E sich ein solches Auto auch immer gewünscht hat, jedoch niemals leisten könnte. Der B – nun neben dem Wagen stehend, aber bei noch offener Tür – ruft dem E zu: „Nur gucken, nicht anfassen!“ Als der B erkennt, dass der E dadurch richtig wütend wird, ruft der B noch: „Aber Schlappschwänze wie du können halt einfach nichts, außer Flennen vielleicht!“. Der E wird nun richtig sauer und läuft schnellen Schrittes auf den B zu. Dabei brüllt er: „Das werden wir ja sehen!“ und schlägt dabei mit der geballten rechten Faust in die linke Hand. Damit hatte der B überhaupt nicht gerechnet. Er ist daher zunächst auch vor Schreck erstarrt, zumal er weiß, dass der E Boxer ist und ihm daher im Kampf überlegen. Der E steht bereits wenige Meter vor dem B und brüllt „Jetzt dresche ich dich zu Brei!“, als der B seinen ersten Schreck überwunden hat und wieder handlungsfähig wird. Der B blickt nun für einen Sekundenbruchteil auf sein Cabriolet, wo der Schlüssel noch steckt, und denkt, dass er versuchen könnte, hineinzuspringen und loszufahren. Schon, weil er nicht feige abhauen will, entschließt er sich aber anders: Er zieht ein Messer aus der Tasche, dass er dem nun unmittelbar vor ihm stehenden und die Faust zum Schlag schwingenden E in die Brust sticht. Der E wird dadurch tödlich getroffen, was der B angesichts des Stichs in die Brust auch für „ziemlich wahrscheinlich“ hielt. Strafbarkeit des B gem. § 212 StGB?
Zu prüfen ist also Totschlag, § 212 StGB:
Objektiver Tatbestand:
B tötet mit E einen anderen Menschen, wobei sein Stich auch die Ursache des Todes ist.
Subjektiver Tatbestand:
B hält zumindest für möglich, den E zu töten, und nimmt dies in Kauf. B handelt jedenfalls bedingt vorsätzlich.
Rechtswidrigkeit:
B könnte indes durch Notwehr gerechtfertigt sein, § 32 StGB.
Notwehrlage:
Ein Angriff auf Bs körperliche Unversehrtheit lag vor.
Der Angriff drohte binnen Sekunden und war damit auch gegenwärtig.
War der Angriff des E (!) auf den B auch rechtswidrig?
Die Frage ist hier, ob der E den B angreifen durfte. Dies wäre der Fall, wenn der E seinerseits gerechtfertigt wäre, z. B., weil der E durch B angegriffen wurde und daher seinerseits in Notwehr gehandelt hätte. Denkbar wäre dies hier zumindest insoweit, als B den E mit der Bezeichnung „Schlappschwanz“ ja beleidigt hat, was ein Angriff auf Es Ehre darstellt. Diese Beleidigungen waren jedoch bereits vorbei, als der E den B schlagen wollte. Der Angriff des B auf die Ehre des E war also zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gegenwärtig. E durfte B daher trotz der Provokation und Beleidigung seinerseits schon deshalb nicht angreifen, da eine Notwehrlage für den E (!) nicht mehr vorlag.
Fallunabhängig gilt für die Rechtswidrigkeit des Angriffs bei § 32 StGB ja folgende, bereits oben einmal genannte Definition „rechtswidrig“: Ein Angriff ist rechtswidrig, wenn er nicht selbst gerechtfertigt ist.
Hat also der Angreifer seinerseits einen Rechtfertigungsgrund, ist der Angriff nicht rechtswidrig und darf der Angegriffene sich nicht verteidigen. Es gibt also anders gesagt keine „Notwehr gegen Notwehr“!
Praxisbox:
Das hat für Sie als Polizeibeamte große praktische Bedeutung! Wenn Sie einen Beschuldigten etwa aufgrund eines vorliegenden Haftbefehls festnehmen, begehen Sie damit tatbestandlich eine Freiheitsberaubung nach § 239 StGB, und dies sogar mit der Vorsatzform Absicht. Schreit der Gefangene in der Zelle nun „Das ist Freiheitsberaubung!“ hätte er damit also sogar zumindest insofern Recht, als der objektive und subjektive Tatbestand von § 239 StGB tatsächlich erfüllt wäre. Aber Ihre Freiheitsberaubung ist eben durch die eingriffsrechtliche Befugnisnorm (hier: § 115 StPO) gerechtfertigt.
Schlägt der Gefangene Ihnen nun bei Öffnung der Zelle ins Gesicht, um zu entkommen, ist dieser Schlag seinerseits dann nicht gerechtfertigt. Denn ein gegenwärtiger Angriff auf die Freiheit des Beschuldigten durch Sie liegt zwar in dem Einsperren vor, aber Ihr Angriff ist eben nicht rechtswidrig, sondern seinerseits gerechtfertigt. Damit fehlt es für den Gefangenen an einer Notwehrlage nach § 32 StGB, weswegen er sich nicht verteidigen darf, sondern Ihr Handeln hinnehmen muss (will er sich gleichwohl mit Ihrem Handeln nicht abfinden, bleibt ihm also nur, die einschlägigen Rechtsbehelfe einzulegen).
Aus dieser Systematik würde nun eigentlich folgen, dass der Beschuldigte sich gegen Sie in Notwehr wehren darf, falls Sie als Polizeibeamter zwar eine Eingriffsnorm an Ihrer Seite haben, aber deren Tatbestandsvoraussetzungen nicht vollständig vorliegen. Denn dann wäre Ihr Angriff auf den Beschuldigten nicht selbst gerechtfertigt, und damit läge ein rechtswidriger Angriff auf den Beschuldigten im Sinne einer Notwehrlage für diesen vor. Hier kommt Ihnen die Rechtsprechung nun aber weit entgegen: Ihr Angriff auf den Beschuldigten soll schon dann gerechtfertigt sein, wenn es überhaupt eine Eingriffsnorm gibt, die Ihr Verhalten rechtfertigt und wenn diese zumindest nicht grob fehlerhaft angewandt wurde. Anders gesagt: Auch bei Fehlern in der Anwendung einer Eingriffsnorm bleiben Sie durch diese im strafrechtlichen Sinne gerechtfertigt – und darf der Beschuldigte sich dann eben nicht in Notwehr dagegen wehren![26]
Es bestand im Fall also eine Notwehrlage.
Erforderlich wäre weiter eine Notwehrhandlung:
Lag eine erforderliche Verteidigung seitens des B vor?
Ein Androhen des Stichs war aus Zeitgründen schwierig und hätte den rasenden E wohl auch nicht aufgehalten. Mit Fäusten zu schlagen hätte dem körperlich unterlegenen B nicht geholfen. Ein Stich in eine andere Körperregion des E hätten diesen zwar mit einer gewissen Chance vielleicht, aber nicht genauso sicher gestoppt. Ob der B noch hätte in den Wagen springen und wegfahren können, kann hier dahinstehen, denn im Rahmen der Erforderlichkeit muss der B nicht fliehen. Mildere, gleich wirksame Mittel gab es also nicht.
Die Verteidigung richtete sich auch gegen den Angreifer.
Das Ergebnis bis hierhin lautet also: Die Voraussetzungen von § 32 StGB liegen vor.
Das Problem ist nun aber: B hat den Angriff selbst „heraufbeschworen“.
Ob dadurch seine Verteidigungsrechte eingeschränkt sind, ist unter dem Punkt der Gebotenheit zu klären.
Die Gebotenheit dient also einer wertenden Ergebniskorrektur für Ausnahmefälle. Mit ihr kann eine – an sich vorliegende – Rechtfertigung versagt werden.
Die Definition für „Gebotenheit“ lautet: Geboten ist die erforderliche Verteidigung dann ausnahmsweise nicht, wenn der Angegriffene den Angriff hinnehmen muss oder sich nur eingeschränkt verteidigen darf.[27]
Es gibt dabei Fallgruppen, in denen die erforderliche Verteidigung nicht bzw. nicht voll erlaubt ist:
(1)Der Angriff muss hingenommen werden bei einer zielgerichteten Provokation/Absichtsprovokation. Damit sind Fälle gemeint, in denen der Täter den Angreifer bewusst mit dem Ziel provoziert, von dem Angreifer angegriffen zu werden (und sich dann gegen ihn in einer Notwehrlage verteidigen zu können). In solchen Fällen besteht also gar kein Notwehrrecht![28](2)Nur beschränkt verteidigen darf man sich in zwei Konstellationen:(a)Zum einen bei völligen Bagatellangriffen oder leichten Angriffen erkennbar Schuldloser. Hier ist das Recht auf Verteidigung nicht aufgehoben, aber anders als bei Notwehr muss die Verteidigung verhältnismäßig sein. Soweit es Bagatellangriffe betrifft, gilt dies aber wirklich nur bei einem ganz krassen Missverhältnis, also etwa dem Erschießen eines Angreifers zur Verhinderung eines Duplo-Diebstahls oder zur Verteidigung einer Woolworth-Uhr für 4,59 Euro.[29](b)Zum anderen ist das Recht auf Verteidigung beschränkt bei sonst schuldhafter Herbeiführung der Notwehrlage. Gemeint sind Fälle, in denen der Täter einen Angriff auf sich zwar nicht provozieren will, aber gleichwohl in vorwerfbarer Weise hervorruft.
Für die Verteidigung gilt dabei dann die Formel: Ausweichen – Schutzwehr – Trutzwehr.
Wenn möglich, muss der Angegriffene in solchen Fällen also – anders als sonst bei der Notwehr üblich – fliehen. Geht dies nicht, muss er sich defensiv verteidigen, auch wenn das riskanter ist. Er darf dabei auch grundsätzlich keine höherrangigen Rechtsgüter beim Angreifer verletzen, als dieser bei ihm verletzen will. Nur wenn auch damit die Abwehr unmöglich ist, darf er – wie sonst bei der Notwehr sofort – das Erforderliche tun.[30]
Im Fall ist die Gebotenheit nun also wie folgt zu prüfen:
Liegt eine zielgerichtete Provokation vor?
B wollte nicht erreichen, dass E ihn tatsächlich angreift. Eine Absichtsprovokation liegt mithin nicht vor. Völlig aufgehoben ist Bs Notwehrrecht also trotz der Beleidigung des E im Vorfeld nicht.
Liegt eine sonst schuldhafte Herbeiführung von Es Angriff vor? Liegt also eine Herbeiführung von Es Angriff durch rechtlich oder ethisch missbilligtes Verhalten des B vor?
Die Drohungen und Beleidigungen des B waren rechtlich missbilligt und ein Angriff des E wegen dieser war zumindest erwartbar. Eine sonst schuldhafte Herbeiführung der Notwehrlage ist also zu bejahen.
B darf sich daher nur eingeschränkt verteidigen:
B muss falls möglich ausweichen. Geht dies nicht, muss B sich defensiv (= verhältnismäßig) verteidigen (= Schutzwehr). Nur wenn das unmöglich ist, darf er mehr tun (= Trutzwehr).
B hätte zwar noch in den Wagen springen und diesen wohl auch noch starten können. Allerdings hat der Wagen ein offenes Verdeck und stand der E direkt daneben. Schwere Schläge auf den Kopf oder Oberkörper hätten sich also so nicht mehr verhindern lassen. Ausweichen war hier daher nicht mehr möglich (das könnten Sie mit entsprechender Begründung auch anders sehen).
B hätte aber – wenn auch mit höherem Risiko – woandershin stechen können. Aussichtslos wäre dies nicht gewesen. Schutzwehr war also noch möglich.
Bs Verteidigung war mithin nicht geboten.
B ist nicht nach § 32 StGB gerechtfertigt und handelte rechtswidrig.
B handelte auch schuldhaft (zur Schuld später mehr) und ist nach § 212 StGB strafbar.