Kitabı oku: «Elisabeth», sayfa 6
Wie bei jedem Besuch des Kaisers waren auch in Prag große Militärparaden angesetzt und sogar ein Feldmanöver. Die »Wiener Zeitung« vermerkte: »Auch Ihre Majestät die Kaiserin verfolgten das schöne kriegerische Schauspiel mit unverkennbarem Interesse und harrten, ungeachtet wiederholten Regenschauers, im offenen Wagen bis zum Schlusse aus.«103 Während der Kaiser zu Pferd die Parade abnahm, wurde Sisi in einem zweispännigen Hofwagen umhergefahren – genauso, wie es in Wien auch Erzherzogin Sophie hielt, die ja genau wußte, daß ihr »Franzl« nichts so liebte wie Militäraufmärsche. In ihrer fünfwöchigen Ehe hatte Sisi schon mehr Paraden gesehen als in ihrem ganzen Leben zuvor, obwohl ihr Vater Max General war.
Von Prag aus wurde auch ein Familienbesuch unternommen: bei dem abgedankten Kaiser Ferdinand und Kaiserin Maria Anna, die auf Schloß Ploschkowitz nahe Prag ihren Sommersitz hatten. Kaiserin Maria Anna sorgte hingebungsvoll für ihren schwer an Epilepsie und Geistesschwäche leidenden Mann, der von der Hofdame Landgräfin Therese Fürstenberg so beschrieben wurde: »er war klein, trug den großen Kopf etwas schief, die kleinen Augen blickten unsicher und die Lippe hing tief herab; er nickte stets freundlich und wohlwollend und frug 20 Mal dasselbe; ein trauriger Anblick.« Um seine Langeweile zu lindern, spielte der abgedankte Kaiser täglich stundenlang Domino.104
Die familiären Bande zwischen dem ehemaligen und dem regierenden Kaiser, die ja Onkel und Neffe waren, waren eher förmlich. Ferdinand hatte sich seit der Thronübergabe völlig aus der Politik zurückgezogen, um allen Schwierigkeiten mit dem jungen Kaiser wie mit der »heimlichen Kaiserin« Erzherzogin Sophie aus dem Wege zu gehen. Selbst zur Hochzeit des jungen Paares war er nicht in Wien erschienen, sondern hatte nur ein großzügiges Geschenk gemacht. Kaiser Ferdinand, der persönlich integer und wirklich »gütig« war, hatte in der Monarchie immer noch eine starke Anhängerschaft. Sein Erscheinen in Wien hätte sehr wohl zu Sympathiekundgebungen führen können. Daß der erste auswärtige Familienbesuch dem ehemaligen Kaiserpaar galt, war auch ein Akt der Dankbarkeit des jungen Kaisers gegenüber seinem Vorgänger.
Zum Abschluß des Böhmenbesuches traf Kaiser Franz Joseph mit den Königen von Preußen und Sachsen im Schloß des Grafen Thun in Tetschen-Bodenbach zusammen. Beide Könige waren durch ihre Gemahlinnen mit Franz Joseph wie Elisabeth verwandt und kannten beide von Jugend auf. Das Treffen der drei Monarchen hatte aber neben der familiären auch eine politische Bedeutung: Der König von Sachsen legte dem jungen Kaiser ein umfassendes Memoire zur orientalischen Krise vor und warnte ihn, an der russenfeindlichen Politik festzuhalten – erfolglos. Im Gefolge des Königs von Preußen befand sich auch Otto von Bismarck, damals preußischer Bundestagsgesandter in Frankfurt.
Nach zwei anstrengenden Wochen in Böhmen konnte sich das Kaiserpaar keineswegs ausruhen. Am Tag nach der Rückkehr war Fronleichnam, ein Fest, das zur Regierungszeit Franz Josephs auch der politischen Demonstration galt: Der Kaiser ging als erster in der Prozession hinter dem »Himmel«, um seine enge Verbundenheit mit der katholischen Kirche zu zeigen gegen alle liberalen und antiklerikalen Tendenzen des Jahres 1848. Auch die Armee spielte eine wichtige Rolle. Die »Wiener Zeitung«: »In allen Straßen, durch welche der Zug ging, war Militär in Reihen aufgestellt; auch paradierte dasselbe in Massen auf mehreren Plätzen.«105 Nach Beendigung der Prozession defilierten die Truppen vor dem Kaiser auf dem Burgplatz. Für liberale Gemüter stellte diese gemeinsame Veranstaltung von Staat, Kirche und Armee eine Provokation dar.
Elisabeths vom Elternhaus bezogene religiöse Einstellung stimmte ganz und gar nicht mit dem überein, was sie hier zur Schau stellen sollte. Sie entstammte ja einem zwar katholischen, aber doch sehr toleranten und eher liberalen Haus. Die Verflechtung von Religion und Politik war ihr völlig fremd.
»Aber würde es nicht genügen, wenn ich nur in der Kirche erscheinen würde«, zögerte sie. »Ich glaube, ich bin noch zu jung und zu unerfahren, um mit voller Würde den Platz einer Kaiserin bei einer derartigen öffentlichen Feier einnehmen zu können; um so mehr, als man mir geschildert hat, welch imposanten majestätischen Eindruck die frühere Kaiserin [Maria Anna, die Gemahlin Ferdinands] bei diesem Anlasse gemacht hat. Vielleicht gelingt es mir in ein paar Jahren, mich zu dieser Höhe emporzuschwingen.«106
Doch die Einwände halfen nichts. Sisi war die Hauptattraktion des Kirchenfestes – in großer Staatstoilette, langem Schleppkleid, ein Brillantendiadem auf dem Kopf. Zehntausende Menschen waren für dieses Ereignis sogar aus den Provinzen nach Wien gekommen. Schon die Auffahrt des mit acht Schimmeln bespannten Hofgalawagens von der Bellaria über Kohlmarkt und Graben zum Stephansdom war ein Triumphzug. Über Sisis Auftreten an diesem Tag schrieb Erzherzogin Sophie: »Die Haltung der Kaiserin war entzückend, fromm, gesammelt, beinahe demütig.«107
Doch Sisis Mißmut wuchs. Im Juni wurde über ihren Kopf hinweg die Entscheidung getroffen, ihren Obersthofmeister Fürst Lobkowitz zu verabschieden und an seine Stelle den Fürsten Thurn und Taxis zu setzen. Selbst Ludovika war nun konsterniert und schrieb aufgeregt an Marie von Sachsen. »Wir begreifen alle diese Versetzung nicht, da Fürst Lobkowitz erst seit zwey Monaten bei Sisi ist u. uns allen so gefallen hat.«108 Der Grund dieser plötzlichen Versetzung gegen den Willen der jungen Kaiserin ist den Quellen nicht zu entnehmen. Es besteht allerdings kein Zweifel, daß dieses Vorgehen eine Brüskierung der jungen Frau bedeutete.
Sisi hatte keinen Menschen, mit dem sie sich hätte aussprechen können. Sie durfte sich nach Sophies ausdrücklichem Willen niemandem anvertrauen, denn das hätte ihre überragende Stellung als Kaiserin beeinträchtigt. Kaiser Franz Joseph konnte die Einsamkeit seiner Frau, unter der sie so bitter litt, nicht als außergewöhnlich empfinden. Denn er war diese Isolierung von klein auf gewöhnt und akzeptierte sie als selbstverständliche Begleiterscheinung, mehr noch: als Ausdruck seiner kaiserlichen Stellung, wie er es von seiner Mutter gelernt hatte. Eine Verwandte, Erzherzogin Marie Rainer, erklärte viele Jahre später Sisis jüngster Tochter Marie Valerie, es sei Sophies »System« gewesen, »Papa und seine Brüder zu isolieren, von jeder Intimität mit der übrigen Familie fernzuhalten; sie wie auf einer Insel haltend, meinte sie, ihnen mehr Autorität vor den andern zu verschaffen, sie vor Einflüssen zu schützen«. Valeries Reaktion auf diese Mitteilung ist in ihrem Tagebuch ebenfalls erhalten: »Nun also sehe ich die Ursache, warum Papa so ganz allein steht, keine Freude hat am Umgang mit Verwandten, daher angewiesen ist auf den Rat fremder oft unverläßlicher Menschen. Immer hatte ich geglaubt, Mama die Schuld geben zu müssen.«109
Bei diesem Gespräch ging es nur um die Kontakte mit Verwandten, also dem »allerhöchsten Erzhaus«. Um wieviel schwerer Beziehungen zu Menschen mit niedrigerem Gesellschaftsrang, gar mit dem sogenannten »Volk«, möglich waren, bedarf keiner Erläuterung. Mit dieser völligen Isolation, diesem Hinausgehobensein über gewöhnliche Menschen, kam die junge Kaiserin überhaupt nicht zurecht. Die Diskrepanz zwischen einem turbulenten, aber liebevollen Familienleben in Bayern und dem allerhöchsten Leben als kaiserliche Majestät war für sie unüberwindbar.
Ihrer Erziehung und ihrer Persönlichkeit nach wäre Sisi wie kaum eine andere geeignet gewesen, eine mildtätige »Mutter des Volkes« zu sein. Daß ihre besten Eigenschaften nun mit Gewalt unterdrückt wurden, ist dem strengen »System« der Erzherzogin Sophie und deren übertriebener Auffassung vom Gottesgnadentum der Habsburger zuzuschreiben. Der Habsburger Hof des späten 18. Jahrhunderts – unter Maria Theresia, Joseph II. und Leopold II. – hätte eine Persönlichkeit wie die junge Elisabeth vermutlich mit viel weniger Schwierigkeiten aufgenommen, da er wesentlich »fortschrittlicher«, volksnäher und aufgeklärter war als der Hof der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts.
Die Schwierigkeiten wären auch nicht so groß geworden, wenn sich irgend jemand die Mühe gegeben hätte, die junge Kaiserin zumindest über die aktuellen politischen Ereignisse zu unterrichten, damit sie sich hätte dazugehörig fühlen können. Es hätte genug zu berichten gegeben: Im Juni 1854 verlangte Franz Joseph von Zar Nikolaus I. in einem außergewöhnlich scharfen Brief, die von Rußland besetzten Donaufürstentümer zu räumen. Damit zerriß er das persönlich enge Band zu Nikolaus, der ihm während der Revolution von 1848/49 mit seinen Truppen immerhin sein Reich hatte sichern helfen. Es war dies auch ein selbstbewußter Schritt aus der als Vormundschaft empfundenen Bindung an den Zaren. Ein russischer Diplomat erkannte dies sehr deutlich, als er die Aussage eines prominenten Wiener Höflings nach St. Petersburg weitergab, der ihm, dem Russen, trotzig gesagt habe: »Glauben Sie, daß Franz Joseph nun, wo er Kaiser ist, noch unter dem Pantoffel des Kaisers Nikolaus steht?«110
Die Kaiserin jedoch wußte über all dies nichts. Sie hatte Tanzstunden zu absolvieren, Fremdsprachen zu lernen, Konversation zu üben und den Tratschgeschichten ihrer Obersthofmeisterin zuzuhören. Ganz offenkundig war, daß man die unsichere und ungebildete junge Kaiserin für wenig intelligent hielt – womit man ihr bitter Unrecht tat.
Es gab in dieser ersten Zeit für Sisi nur einen Menschen, der sich ernsthaft mit ihr beschäftigte, den Grafen Carl Grünne, Franz Josephs väterlichen Freund und Generaladjutanten, einen der mächtigsten und gehaßtesten Menschen der Monarchie. Er war ein Mann gesetzten Alters, der die Welt – und die Frauen – kannte und der jungen, unsicheren Kaiserin Vertrauen einflößte. Burgtheaterdirektor Heinrich Laube versuchte, die Diskrepanz zwischen Grünnes öffentlicher Unbeliebtheit und persönlicher Vertrauenswürdigkeit zu erklären: »Es war ihm ersichtlich große Ruhe angeboren oder angeeignet. Er hörte sehr gut zu, wenn man mit ihm sprach, er erwiderte in wenig Worten, sehr mäßig im Ausdrucke und mit schwacher Stimme, und zeigte sich alle Tage im Prater, ein stattlicher Mann, als trefflicher Reiter auf hohen Pferden. Wenn man mit ihm verkehrte, hatte man den Eindruck, die feindselige öffentliche Stimme verleumdete ihn.«111
Mit Grünne, der wohl der beste Pferdekenner der damaligen Zeit und auch Chef der kaiserlichen Stallungen war, ritt die junge Kaiserin aus – stets ein Lichtblick in ihrem unglücklichen Hofleben. Umso schmerzlicher war es, daß sie das Reiten schon wenige Wochen nach der Hochzeit aufgeben mußte: Es stellten sich Anzeichen einer Schwangerschaft ein.
Auch in dieser psychisch schwierigen Situation blieb Sisi allein. Stundenlang beschäftigte sie sich nun mit den Tieren, die sie aus Possenhofen mitgebracht hatte, vor allem mit ihren Papageien. Sophie war auch diese Beschäftigung der kindlichen Kaiserin nicht recht. Sie empfahl dem Kaiser, Sisi die Papageien wegzunehmen, damit sie sich nicht »versah« und ihr Baby Ähnlichkeit mit einem Papagei bekommen könnte.112 Dieses und ähnliche Verbote, denen sich der Kaiser wie gewöhnlich widerspruchslos fügte, verstärkten Elisabeths Empfindlichkeit. Nun redete sie sich in eine Feindschaft gegenüber ihrer Tante und Schwiegermutter geradezu hinein, übertrieb dabei, fühlte sich verfolgt.
Die Beschwerden der ersten Schwangerschaftsmonate trafen die zarte 16jährige in vollem Ausmaß. Kaiser Franz Joseph berichtete seiner Mutter: »Sisi konnte nicht erscheinen, da sie gestern recht miserabel war. Sie mußte schon aus der Kirche weg und erbrach sich dann mehrere Male, auch litt sie an Kopfweh und brachte fast den ganzen Tag auf ihrem Bette liegend zu; nur abends nahm sie mit mir den Tee auf unserer Terrasse beim herrlichsten Abend. Seit Mittwoch war sie ganz wohl gewesen, so daß ich schon fürchtete, es sei nichts mit den Hoffnungen, doch nun bin ich wieder ganz getröstet, wenn es mir gleich wehe tut, sie so leiden zu sehen.«113
Mutter Ludovika war in Possenhofen in großer Sorge um ihre Tochter, traute sich aber nicht, sie zu besuchen, aus Angst, Sisis Heimweh noch mehr anzufachen. Sie schrieb eifrig Briefe und schickte schon Ende Juni »Die besorgten Ratschläge und Vorsorge-Empfehlungen eines Mutterherzens für die kleine bereits hoffende Tochter«.114
Erst im Sommer in Ischl sah sie Sisi wieder, schrieb aber vorher noch unschlüssig an Marie von Sachsen: »Eingeladen hat mich Sophie und der gute Kaiser. Ich weiss aber nicht, ob es in so mancher Hinsicht vernünftig wäre, mir selbst würde es in pekuniärer Hinsicht schwer. Ob es gut für Sisi wäre, sobald wieder mit uns zusammen zu kommen? … Deswegen habe ich noch keinen Entschluß gefaßt, obgleich ich oft eine große Sehnsucht nach ihr habe!!!«115
Die Ankunft der bayrischen Verwandtschaft in Ischl entbehrte nicht der Komik. »Kaiserin Elisabeth, Ischl. Eintreffe mit Spatz und Gackel. Mimi« – so lautete der Text des Telegrammes aus Possenhofen mit der Zeitangabe, wann der Zug in der nächsten Bahnstation von Ischl, Lambach, eintreffen würde. Von dort aus sollten die Reisenden mit einem Wagen abgeholt werden. Als Ludovika (von Sisi stets »Mimi« genannt) mit ihren Kindern Mathilde (»Spatz«) und Carl Theodor (»Gackel«) und der Dienerschaft in Lambach eintraf, stand kein Hofwagen bereit. Große Aufregung. Nach einiger Zeit näherte sich der ratlosen Reisegesellschaft schüchtern ein Diener des Hotels »Elisabeth« in Ischl. Er trug in jeder Hand einen Käfig für die erwarteten beiden Vögel (Spatz und Gackel), die von einer Reisenden namens »Mimi« angekündigt waren. Das Mißverständnis klärte sich bald auf. Und mit einem grellackierten Hotelwagen fuhr Ludovika vor der Kaiservilla in Ischl vor und wurde mit großem Erstaunen empfangen, da man von ihrer Ankunft ja nichts geahnt hatte.116
Ludovikas Selbstbewußtsein wurde durch diese Umstände nicht gestärkt. Sie hatte nur noch mehr Angst vor der energischen Schwester, der sie wegen der Heiratsvermittlung zu großem Dank verpflichtet war. Ludovika war devot und unsicher und verließ sich völlig auf das schwesterliche Urteil. Als Sophie nach Dresden fuhr, der Kaiser zu seinen Geschäften nach Wien und Ludovika mit Sisi in Ischl zurückließ, war Ludovika hilflos: »Ich möchte jetzt doppelt, Sophie wäre hier; denn sie ist doch die Seele von allem, und ohne sie weiss man nicht, an wen sich wenden. Man sieht auch, mit welcher Liebe der Kaiser an seiner Mutter hängt, es ist ein herrliches Verhältnis.«117
Über ihre Tochter berichtete Ludovika nach Bayern: »Sisi fand ich größer und stärker geworden, obgleich man ihr ihren Zustand noch nicht viel ansieht, sie ist im ganzen wohl, nur viel mit Übelkeit geplagt, was sie manchmal etwas herabstimmt, sie klagt zwar nie und sucht nur zu sehr dieses Unbehagen zu verbergen; das macht aber, daß sie oft stiller ist, das nicht zu verbergende Farbewechseln verräth aber ihren Zustand am meisten.«118
Die junge Kaiserin hatte in Ischl keinen eigenen Haushalt. Auch wenn ihre Schwiegermutter verreist war, stand sie unter Beobachtung. Der zwölfjährige Bruder Franz Josephs, Erzherzog Ludwig Viktor, schrieb der Erzherzogin Sophie einmal entsetzt: »Liebe Mama, seit Du weg bist, geht es hier zur Verzweiflung von Papa [Franz Carl] eigens zu, nämlich die Kaiserin und Lenza [Joseph Legrenzi, erster Kammerdiener des Kaisers] machen, was sie wollen. Der arme Papa klagt mir alle Morgen beim Frühstück … der arme Zehkorn [Hofkonzipist im Dienst Sophies] läuft ganz toll herum … Gräfin Esterházy und Paula [Bellegarde] ringen die Hände.«119 Aus diesem Brief kann man auf den Ton innerhalb der Familie über die junge Kaiserin schließen.
Während der Schwangerschaft wurde die 16jährige noch depressiver, vor allem, weil Sophie sie immer wieder nötigte, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen. Elisabeth später zu Marie Festetics: »Kaum war sie da, schleppte sie mich schon hinunter in den Garten und erklärte, es sei meine Pflicht, meinen Bauch zu produzieren, damit das Volk sehe, daß ich tatsächlich schwanger bin. Es war schrecklich. Dagegen erschien es mir als Wohltat, allein zu sein und weinen zu können.«120
Erzherzogin Sophie nahm alle nötigen Vorbereitungen für das zu erwartende frohe Ereignis fest in ihre Hand. Sie bestimmte, wo die Kinderzimmer eingerichtet wurden: nicht in der Nähe des Kaiserpaares, sondern neben ihren eigenen Appartements, die sie sich ebenfalls neu einrichten ließ. Damit bestimmte sie schon Monate vor der Geburt, daß Elisabeth von ihrem Kind getrennt sein würde. Denn die »Kindskammer« war von den kaiserlichen Appartements nur über einige enge Stiegen und zugige Gänge zu erreichen und außerdem mit Sophies Appartements so eng verbunden, daß die junge Mutter ihr Kind nicht ohne Beisein der Schwiegermutter besuchen konnte.
Auch bei der Wahl der »Aja« hatte Elisabeth nicht mitzureden. Sophie wählte Baronin Welden aus, die Witwe des Feldzeugmeisters, der sich 1848/49 bei der Niederwerfung des Aufstandes in Ungarn einen Namen gemacht hatte. Baronin Welden hatte keine Kinder und auch keinerlei Erfahrung mit Kindererziehung. Ihre Wahl war eine rein politische Entscheidung und eine Würdigung der Verdienste ihres verstorbenen Gatten. Die Hauptarbeit in der Kindskammer hatte die Kinderfrau Leopoldine Nischer, die Sophie in mehreren Gesprächen für ihre Aufgabe vorbereitete.
Bei all diesen Entscheidungen wurde die junge Frau nicht nur umgangen, sondern wie ein unmündiges Kind behandelt. Sie hatte ihre Pflicht zu tun. Repräsentieren bis zur Erschöpfung und so bald wie möglich ein Kind bekommen, obwohl sie erst sechzehn war. Daß sie Wünsche und Bedürfnisse hatte, als Person zur Kenntnis genommen werden wollte, erkannte noch nicht einmal der verliebte Kaiser.
Die Orientkrise verschärfte sich weiter. Im Herbst mobilisierte Franz Joseph seine gesamte Armee gegen Rußland. Franz Joseph an seine Mutter: »Es ist hart, gegen frühere Freunde auftreten zu müssen, allein in der Politik ist dies nicht anders möglich und im Oriente ist Rußland jederzeit unser natürlicher Feind.«121
Diese Demütigung leitete eine lange Phase antiösterreichischer russischer Politik ein, die sich noch beim Kriegsausbruch 1914 auswirkte. Der persönlich schwer enttäuschte Zar entfernte Franz Josephs Porträt aus seinem Arbeitszimmer und verschenkte eine Statue des jungen Kaisers an einen Kammerdiener.
Das Geld für die Mobilisierung konnte der bankrottreife Staat nicht aufbringen. Es wurde eine »Nationalanleihe« von 500 Millionen Gulden aufgelegt. Franz Joseph schrieb voller Stolz und Selbstbewußtsein an seine Mutter: »Mit der gefürchteten Revolution werden wir auch ohne Rußland fertig werden, und ein Land, welches in einem Jahre 200 000 Rekruten ohne Anstand aushebt und ein Anlehen von über 500 Millionen fl. im Inland zustandebringt, ist noch nicht gar so revolutionskrank.«122 Kenner der Verhältnisse wie Baron Kübeck allerdings beklagen zutiefst, daß der Kaiser und seine Mutter sich völlig falsche Vorstellungen über die Methoden machten, wie das Geld zwangsweise den Provinzen abgepreßt wurde, was große Verbitterung im ganzen Reich auslöste: »Der Kaiser schien mir sehr froher Dinge zu seyn und den Täuschungen völlig hingegeben, die man um ihn verbreitet.« Und: »Wie in allen Kreisen der Bevölkerung von den Mitteln der Subskriptions-Ergebnisse gesprochen wird, scheint in diesen Regionen nicht bekannt zu sein.«123
Der neue Finanzminister Bruck stand im Frühjahr 1855 vor der ungewöhnlichen Situation, daß für die Erhaltung des Militärs allein um 36 Millionen Gulden im Jahr mehr ausgegeben wurden, als die gesamten Einnahmen des Staates ausmachten.124
Um für die Mobilisierung im Krimkrieg neben den Steuern, der Anleihe und zweifelhaften Bankmanipulation noch mehr Geld aufzubringen, verkaufte Österreich sogar seine Eisenbahnen und Kohlenwerke an einen französischen Bankier – ein höchst zweifelhaftes Geschäft, denn man erhielt nur etwa die Hälfte der Summe, die die Eisenbahnen gekostet hatten. Der Verkauf sollte sich schon bald als verhängnisvoll herausstellen. Denn im Krieg mit Frankreich 1859, also drei Jahre später, konnte Österreich bei seinen Truppentransporten nicht auf die Zuverlässigkeit des französischen Eisenbahnpersonals rechnen, Napoleon III. aber umso mehr. Die Bahnen mußten von Österreich später zu einem weit höheren Preis zurückgekauft werden.125
In allen Provinzen Österreichs herrschten Teuerung und Hungersnot. Die Cholera brach aus, zuerst bei den in der Walachei zusammengezogenen Truppen. Die Kaiserfamilie wußte nicht, was bei den einfachen Leuten vor sich ging. Erzherzogin Sophie war von den Ideen eines absoluten Herrschertums ebenso überzeugt wie ihr Sohn, der zwar fleißig Akten las, aber die Menschen nicht kannte und es auch nicht für nötig hielt, sie zu kennen.
Am Ende des Krimkrieges stand Österreich ohne jeden Bundesgenossen und ohne jeden Gewinn aus all seinen erheblichen militärischen und finanziellen Aufwendungen da. 30 000 Soldaten waren bei der Mobilisierung an Krankheiten, vor allem der Cholera, gestorben, die Staatsfinanzen zerrüttet. Und dies alles in einer Zeit, als sich sowohl in Italien als auch in Deutschland die nationalen Einigungsbewegungen gegen Österreich formierten und auch hier politische wie militärische Auseinandersetzungen bevorstanden. Der in Wien als Emporkömmling verspottete Napoleon III. dagegen profitierte durch geschickte Politik von dieser europäischen Krise. Nun bestimmte Frankreich die europäische Politik, und nicht mehr Österreich.
Diese so ungemein komplizierte politische Lage stellte eine große Belastung für die ersten Ehejahre des Kaiserpaares dar. Denn die nervliche und geistige Überlastung Franz Josephs ließ ihm viel zu wenig Zeit für seine in der fremden Wiener Umgebung vereinsamte junge Frau. Die Differenzen zwischen Elisabeth und Sophie wuchsen zu unüberwindbaren Gegensätzen an, die voll auf die kaiserliche Ehe durchschlugen. Denn für die uninformierte junge Kaiserin war der Krimkrieg nichts als ein Anlaß zur Eifersucht. Der Kaiser beriet oft stundenlang mit seiner Mutter die politische Lage, während sich seine Frau zurückgesetzt und vernachlässigt fühlte.
Später erzählte Elisabeth ihren Kindern immer wieder, wie zur Entschuldigung, über diese schwierigen ersten Ehejahre. Auch ihre jüngste Tochter Marie Valerie wußte »von Mamas trauriger Jugend, wie Großmama Sophie zwischen ihr und Papa gestanden, immer sein Vertrauen beansprucht und dadurch ein Sichkennenlernen und Verstehen zwischen Papa und Mama für immer unmöglich gemacht habe«.126 Da die junge Frau jedoch, wie alle ihre Briefe aus dieser ersten Zeit und auch Sophies Tagebuch zeigen, außerordentlich schüchtern und unsicher war, ja geradezu demütig gegenüber ihrem kaiserlichen Gemahl, kamen diese Differenzen nicht zur Entladung. Sisi litt still vor sich hin, weinte, dichtete melancholische Verse. Franz Joseph hingegen glaubte an »mein so vollkommenes häusliches Glück«127.
Daß das junge Ehepaar nicht nur im Temperament und der Erziehung, sondern auch im Geschmack verschieden war, wurde täglich deutlicher. Als Beispiel sei hier nur Shakespeares »Sommernachtstraum«, Sisis Lieblingsstück, erwähnt, das sie später über große Partien auswendig kannte. Franz Joseph an Sophie: »Gestern war ich mit Sisi im Sommernachtstraum von Shakespeare im Burgtheater … Es war ziemlich langweilig und ungeheuer dumm. Nur Beckmann mit einem Eselskopfe ist amüsant.«128
Schon als Kind hatte Sisi sehr viel gelesen. Und wenn sie auch für höfische Verhältnisse ungebildet war, was das Zeremoniell und französische Konversation anging, so hatte sie doch – im Gegensatz zu Franz Joseph – ein lebhaftes Interesse für Literatur und Geschichte. Der Flügeladjutant Weckbecker erzählte aus dieser ersten Zeit, er habe der jungen Kaiserin während einer Eisenbahnfahrt erzählt, »was ich Geschichtliches von den Orten der Gegend wußte, besonders von Wiener Neustadt. Das hörte sie mit Anteil an, und es interessierte sie sichtlich mehr als der Tratsch der Gräfin Esterházy.«129
Nur wenige Monate nach der prunkvollen Hochzeit war der Rausch der Neuheit verflogen. Die junge Kaiserin mußte sich bewähren und der Kritik standhalten, so jung sie auch war – als »Landesmutter«, obwohl sie über dieses »ihr« Land so gut wie nichts wußte, vor allem aber als erste Dame des österreichischen Adels. Und hier versagte Elisabeth. Der Wiener Adel kritisierte diese so wenig »gut erzogene« Kaiserin scharf. Selbst Verwandte, wie Prinz Alexander von Hessen, hielten Sisi für schön, aber dumm. Er schrieb im November 1854 in sein Tagebuch, die Kaiserin sei zwar trotz ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft sehr schön, aber: »Nach ihren stereotypen Fragen ›Sind Sie schon lange hier? Wie lange werden Sie in Wien bleiben?‹ scheinbar ein wenig bûche, ein Wort, mit dem Franzosen wenig intelligente Menschen zu bezeichnen pflegen.«130
Stets war von mangelnden Fertigkeiten der Kaiserin die Rede: daß sie das Protokoll nicht beherrsche, nicht gut genug tanze, sich nicht elegant genug kleide. Kein einziges Mal ging es bei all den Rügen um intellektuelle oder soziale Fähigkeiten. Bücher und Bildung gehörten nicht zur Welt des Hofes. Der amerikanische Gesandte John Motley schrieb, »Wien ist vielleicht die Stadt in der Welt, in der im Verhältnis zur Einwohnerzahl am wenigsten gelesen wird und am meisten getanzt«.
Der »einzige Paß« für diese Gesellschaft sei der Stammbaum: »Ohne diesen Nachweis kann ein Eingeborener so wenig in den Mond gelangen wie in diese Gesellschaft. Deshalb ist sie auch so klein an Zahl, nicht mehr als dreihundert oder so, alle unter sich verheiratet und verwandt: Jeder kennt jeden, so daß ein Hinzudrängen unmöglich und ein Absperren unnöthig ist … selbst, wenn ein Österreicher Shakespeare, Galilei, Nelson und Raphael in einer Person wäre, so könnte er nicht in die gute Gesellschaft von Wien zugelassen werden, wenn er nicht sechzehn Ahnen aufzuweisen hat.«
Der berühmte »Cercle« bei Hof war nach Motleys Aussage keineswegs ein Gradmesser für Intelligenz: »Aber ich meine, kein vernünftiges Wesen sollte freiwillig in einen Salon gehen. Da gibt es nur drei Themata: die Oper, den Prater und das Burgtheater; wenn diese erschöpft sind, bist Du auf dem Trockenen. Conversazioni, wo das, was man unter Konversation versteht, nicht existiert, sind eine mißverstandene Einrichtung.«131
Daß der Hauptgesprächsstoff der Tratsch war, erwähnte der amerikanische Gesandte nicht. Er gehörte ja als Diplomat ebensowenig in die innersten Zirkel des Hofes wie die junge Kaiserin, die kraft ihrer Stellung über diese Familienredereien erhaben sein mußte und auch kraft ihrer Herkunft und Erziehung keinerlei Anknüpfungspunkte an solcherlei Gespräche hatte. Sie stand außerhalb und mußte sich, ob sie wollte oder nicht, kritisieren und an den Normen des Wiener Hofes messen lassen.