Kitabı oku: «Seewölfe Paket 19», sayfa 8
„Bring uns Wein, Diego“, sagte Caligula, „aber den besten Tropfen, den du im Keller hast.“
Diego, der heftig schwitzte, eilte zum Schanktisch und griff sich einige der bereitstehenden Kruken. Einen Helfer beauftragte er damit, die Humpen zu tragen.
Inzwischen wanderten die Blicke der Queen und ihrer Begleiter durch die Grotte. Eine ganze Reihe von Zechern hatte es plötzlich eilig mit dem Verlassen der „Schildkröte“, viele aber wagten nicht einmal, sich von ihren Plätzen zu erheben.
Den dicken Diego störte es nicht, wenn zahlreiche Holzbänke frei wurden, denn er erwartete noch jede Menge Gäste von den vier Schiffen.
Nachdem die Humpen mit funkelndem Rotwein gefüllt waren, trank die Black Queen einen Schluck und stellte den Humpen auf den Tisch.
„Setz dich, Dicker“, erklärte sie. „Ich habe dir einiges zu sagen.“
Diego verspürte ein flaues Gefühl in der Magengegend. Was hatte diese Aufforderung zu bedeuten? Was wollte die Black Queen von ihm? Hatte sie gar etwas an seinem Wein auszusetzen? Du lieber Himmel, er hatte wirklich den besten Tropfen aus dem Keller holen lassen!
Der dicke Wirt setzte sich.
„Was – was gibt es?“ fragte er. Er konnte seine Erregung kaum verbergen. Sein Blick wirkte unruhig, und auf seiner Stirn glänzten dicke Schweißtropfen.
„Du kennst doch eine Menge Leute“, begann die Piratin. „Und du hast einige Bedienstete, nicht wahr?“
„Ja-ja, natürlich“, erwiderte Diego und nickte eifrig. „Ich habe einige. Schankknechte – faule Kerle übrigens, denen man öfter mal in den Hintern treten muß.“
„Das ist deine Sache“, fuhr die Queen lächelnd fort. „Jedenfalls könntest du einige davon losschicken, damit sie eine Nachricht über die Insel verbreiten.“ Die Frau lächelte immer noch. Nach einer kurzen Pause, in der sie in langen Zügen von dem guten spanischen Rotwein trank, von dem niemand so recht wußte, wie Diego ihn beschaffte, fuhr sie fort: „Ich werde nämlich ab sofort die Herrschaft über Tortuga antreten, damit dem regierungslosen Zustand auf der Insel ein Ende bereitet wird. Ab sofort bestimme ich, was hier geschieht, ich bin sozusagen das Gesetz. Hast du mich verstanden, Diego?“
Der Wirt war bestürzt, aber er verstand es, diesen Zustand weitgehend zu verbergen.
„Ich – ich habe dich verstanden“, sagte er Hastig. „Du – du wirst die Königin von Tortuga …“
„Irrtum“, sagte die Schwarze. „Ich werde es nicht, ich bin es schon, damit das klar ist!“
„Ganz klar“, bestätigte Diego. „Ich werde dafür sorgen, daß jeder auf Tortuga es erfährt.“
„Das hoffe ich“, sagte die Queen, „denn du bist ab sofort mein Vertrauensmann auf dieser Insel. Deshalb hast du auch als erster von meiner Machtübernahme erfahren.“
„Oh, das ist mir eine Ehre“, beteuerte Diego, obwohl ihm fast speiübel wurde. Nachdem er sich wieder etwas in der Gewalt hatte, fragte er listig: „Da wird sich auf Tortuga wohl einiges verändern, wie?“
Jetzt lachte Caligula dröhnend.
„Und ob, Dickerchen! Hier wird sich eine ganze Menge verändern. Wem das nicht paßt, der kann die Insel ja über die Totenrutsche verlassen.“
Über Diegos Rücken kroch eine Gänsehaut. Er wußte nur zu gut, daß Caligula keine leeren Versprechungen von sich gab. Die Piraten hatten ja gerade erst gezeigt, daß sie nicht lange fackelten, wenn jemand nicht nach ihrer Pfeife tanzte. Der Wirt konnte nicht verhindern, daß er reichlich blaß um die Nase wurde, und er war froh darüber, daß im Schein der blakenden Öllampen, die über den Nischen und Gängen baumelten, sein Gesicht nicht allzu deutlich zu sehen war.
„Außerdem“, fuhr die Black Queen fort, „habe ich an Bord der drei Galeonen etwa dreihundert französische und englische Siedler. Sie werden sich jedoch nur vorübergehend auf Tortuga aufhalten. Die Insel soll nur eine Zwischenstation für sie sein.“
Das klang nicht schlecht für Diegos Geschäft, dennoch wünschte er die mordgierige Piratin samt ihrem Anhang zum Teufel. Er war sich darüber klar, daß während der bevorstehenden Schreckensherrschaft viel Blut fließen würde, denn Caligula hatte ganz bestimmt nicht gescherzt, als er auf die Totenrutsche verwiesen hatte – auf jene westlich des Hafens gelegene Steilklippe, in der sich eine glattgeschliffene, körperbreite Rille befand, die fast senkrecht zum Meer abfiel. Über diese Rille oder Rutsche trat man auf Tortuga seine letzte Reise an.
Diego wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wo, zum Teufel, steckte eigentlich der Seewolf? Und wo waren Ribault, der Wikinger und die Rote Korsarin? Wenn es überhaupt jemand schaffte, dem Treiben der Black Queen einen Riegel vorzuschieben, dann war das der Seewolf mit seinen Freunden. Doch sie alle schienen weit von Tortuga entfernt zu sein.
Der dicke Diego fühlte sich trotz der blühenden Geschäfte nicht mehr wohl in seiner Haut. Daß die Queen ihn zu ihrem Vertrauensmann ernannt hatte, paßte ihm überhaupt nicht, denn es bedeutete nichts anderes, als daß er Spitzeldienste leisten und der Piratin als „Mädchen für alles“ dienen sollte.
Aber was konnte er tun? Sich gegen die Black Queen und Caligula auflehnen? Nein, das wagte auch ein Schlitzohr wie Diego nicht.
Der funkelnde Rotwein schien der Black Queen und ihren Begleitern zu munden, wie Diego mit Erleichterung feststellte. Er mußte die Kruken und Humpen immer wieder neu auffüllen.
Bei Willem Tomdijk und Emile Boussac löste der edle Tropfen schon die Zungen. Die beiden Männer aus El Triunfo, die bisher schweigend und offensichtlich sehr interessiert die Kneipe gemustert hatten, tauten plötzlich auf.
„Der Wein ist wirklich sehr gut“, lobte Willem Tomdijk, der frühere Bürgermeister von El Triunfo. „Wird hier eigentlich auch Bier ausgeschenkt?“
„Natürlich, Señor“, erwiderte Diego, „aber nur in ganz geringem Umfang, denn es ist sehr schwierig, Bier einzukaufen. Deshalb nehmen die Leute eben das, was es gibt, nämlich Wein und Rum.“
Der füllige Niederländer mit dem rosigen Jungengesicht und dem blonden, widerborstigen Haar war über diese Auskunft begeistert.
„Also wird hier doch eine Brauerei gebraucht!“ rief er und strahlte die schwarze Piratin an. „Du hast mir nicht zuviel versprochen. Mit den bierlosen Zeiten auf Tortuga wird es bald vorbei sein. Einige Teile meiner Brauereiausrüstung habe ich ja – Gott sei’s gedankt – noch retten können. Wenn es mir gelingt, auch die noch fehlenden Teile zu beschaffen, dann wird Tortuga in kürzester Zeit zum Zentrum des karibischen Brauwesens ausgebaut. Ist das nichts?“
Die Queen lächelte gönnerhaft.
„Dann gibt es in der Karibik bald mehr Bier als Wasser, nicht wahr?“
„So ist es“, sagte Tomdijk. „Und es wird ein erstklassiges Bier sein, mindestens so gut und kräftig wie das, was ich in El Triunfo gebraut habe.“
Das Gesicht des Niederländers rötete sich vor Eifer. Er erweckte ganz den Eindruck, als wolle er sofort mit dem Bierbrauen beginnen. Die Braukunst hatte er daheim, in Leeuwarden, von der Pike auf gelernt. Als ihn die Abenteuerlust nach El Triunfo, eine französisch-englische Ansiedlung an der Golfküste von Honduras, verschlug, setzte er seine Kenntnisse in klingende Münze um.
Damals war für Willem Tomdijk von Vorteil, daß El Triunfo nur von Männern bewohnt wurde. Und so ein halbes Tausend durstiger Kehlen, die hatten ganz schön was weggeschluckt. Das Geschäft lief jedenfalls bestens – bis zu jenem schwarzen Tag, an dem die Spanier, denen die Siedlung längst ein Dorn im Auge gewesen war, mit einem Flottenverband von zwanzig Galeonen heransegelten und El Triunfo samt seiner beliebten Brauerei in Schutt und Asche legten. Dabei verloren rund zweihundert Siedler ihr Leben.
Die Black Queen, die schon vor dem Überfall angeboten hatte, die Engländer und Franzosen nach Tortuga und später nach Hispaniola umzusiedeln, um sie unter ihre Herrschaft zu bringen, hatte Willem Tomdijk den Aufbau einer neuen Brauerei versprochen. Schließlich mußte sie ihn wegen seines Einflusses auf die Siedler bei Laune halten, wenn ihre Zukunftspläne gelingen sollten.
Der dicke Diego allerdings konnte sich für die Pläne der Queen und ihrer Freunde absolut nicht begeistern. Er hörte den enthusiastischen Reden Tomdijks mit gemischten Gefühlen zu, denn das, was der Niederländer vorbrachte, roch gewaltig nach Konkurrenz. Darauf aber war Diego gar nicht scharf.
Trotzdem – wer garantierte ihm, daß diese Kerle nicht auch noch einige Kneipen eröffneten? In einer eigenen Kneipe konnten sie ihr Bier mit größerem Gewinn verkaufen als in der „Schildkröte“, wo der Wirt auch noch daran verdienen wollte. Diego zog beinahe ein essigsaures Gesicht bei diesem Gedanken.
Doch Tomdijks Pläne waren noch lange nicht alles, was an Veränderungen Tortuga zugedacht war. Da würde unter der Schirmherrschaft der Black Queen noch viel mehr „für das Wohl der Insel und ihrer Bewohner“ getan werden. Denn da war noch einer, der für sich einen geschäftlichen Aufschwung erwartete: Emile Boussac, ein kleiner, wieselflinker Franzose aus Rouen. Die Knopfaugen in seinem schmalen und spitzen Gesicht waren ständig in Bewegung und ließen ein hohes Maß an innerer Unruhe erkennen. Auch ihm spukten bereits eigene Pläne im Kopf herum.
Im früheren El Triunfo war Emile Boussac der Besitzer der Kneipe „La Mouche Espagnole“ gewesen. Aber die lag ebenso in Trümmer wie Tomdijks Bierbrauerei. Dabei hatte er sie um ein gewinnträchtiges Etablissement erweitern wollen. Der spanische Überfall jedoch hatte auch ihm einen dicken Strich durch die Rechnung gezogen.
Während der Niederländer Zukunftspläne spann, huschten Boussacs Blicke flink hin und her.
„Die Brauerei wird ein Riesengeschäft, Willem“, sagte er. „Du kannst von hier aus alle Kneipen der Karibik mit erstklassigem Bier beliefern. Außerdem lernen auch die Bewohner Tortugas endlich dieses herrliche Gesöff kennen. Wo es aber was zu schlucken gibt, da lassen sich die Leute nieder und geben ihr Geld aus. Das ist genau die richtige Atmosphäre für meine Mädchen aus Paris.“
Jaime Cerrana, ein ziemlich ungehobelter Klotz, der Unmengen von Wein in sich hineinsoff, stieß einen leisen Pfiff aus und begann anzüglich zu grinsen.
Diego aber horchte auf.
„Mädchen aus Paris?“ fragte er verständnislos.
Emile Boussac lachte meckernd.
„O ja, Monsieur“, sagte er. „Ich erwarte ein Schiff mit fünfzig erstklassigen Straßenmädchen aus Paris.“
„Mit Huren also?“ fragte Diego verblüfft.
„Ganz recht, mein Lieber“, erwiderte Boussac. „Wie ich bereits beobachtet habe, gibt es auf Tortuga nur sehr wenige käufliche Mädchen. Die Voraussetzungen sind also günstig, zumal die Zuckerpüppchen in El Triunfo nicht gebraucht werden.“
Der Franzose zog noch jetzt ein wehleidiges Gesicht, wenn er an seine zertrümmerte Kneipe und das geplante Etablissement dachte. Außerdem fürchtete er ständig, das nach El Triunfo beorderte Schiff mit den Mädchen könne nicht eintreffen. Woher sollte der Kapitän wissen, daß er sich jetzt auf Tortuga befand?
Jaime Cerrana schien seine Gedanken zu erraten. „Hoffentlich findet der Transport aus Paris den Weg nach Tortuga. Die Trümmer in El Triunfo werden dem Kapitän zunächst einige Rätsel aufgeben.“
Boussac nickte bekümmert. „Ich nehme doch an, daß er sich etwas umsieht und die Süßen nicht gleich wieder mit nach Frankreich nimmt. Das wäre jammerschade.“
Caligula grinste. „Wie ich dich kenne, wirst du auch woanders ein paar Weiber für deine Geschäfte auftreiben.“
Dem dicken Diego summte der Kopf. Bierbrauerei, Etablissements, Weiber und vielleicht sogar neue Kneipen – was hatten diese Kerle denn noch mit Tortuga vor?
Viel Zeit zum Überlegen hatte er nicht. Die Kruken und Humpen mußten nachgefüllt werden, außerdem wurden einige Kerle losgeschickt, um die Nachricht von der Machtübernahme der Black Queen unter die Leute zu bringen. Dann galt es, einige Maultiere aufzutreiben, weil die neue „Herrscherin“ mit einem Trupp ihrer Leute eine erste Erkundung der Insel vornehmen wollte.
Als die Schnapphähne die Felsenkneipe endlich verlassen hatten, schlug Diego abermals das Kreuzzeichen. Dann schlurfte er mit schweren Schritten zu seinem Schanktisch und kippte erst einmal einen Becher Rum herunter.
2.
Brütende Hitze überlagerte auch die drei zwischen Kuba und Jamaica liegenden Cayman-Inseln. Die Sonne verwandelte die Atemluft in eine flirrende und wabernde Masse, die alles Leben auf den Eilanden nach Wasser und Abkühlung lechzen ließ.
Auf Gran Cayman, der größten der drei Inseln, wurde die unwirtliche Atmosphäre noch durch das zeitweilige Brodeln und Rumoren, das aus dem „Auge der Götter“ drang, verstärkt. Der Vulkan, der den Dschungel, die sanften Hügel und grasbewachsenen Ebenen weit überragte, gab der Insel ein besonderes Gepräge.
In der halbkreisförmigen Todesbucht von Gran Cayman schwojten drei Schiffe an ihren Ankertrossen. Den Männern, die sich mit nackten und braungebrannten Oberkörpern über die Decks bewegten, drang der Schweiß durch alle Poren.
Bei den Schiffen handelte es sich um „Eiliger Drache über den Wassern“ – den Schwarzen Segler des Wikingers –, um die „Le Vengeur“ Jean Ribaults und um die „Isabella IX.“, die unter dem Kommando Philip Hasard Killigrews, des Seewolfs, fuhr.
Die Besatzungen aller drei Segler hatten in den vergangenen Tagen hart geschuftet, um sämtliche Gefechtsschäden zu beheben. Und die waren zum Teil recht umfangreich gewesen.
Es hatte gewaltig gekracht in den korallen- und riffreichen Gewässern um Gran Cayman. Die Black Queen war mit ihrem gesamten Verband und den Siedlern aus Honduras, die den Überfall der Spanier überlebt hatten, vor der Todesbucht aufgetaucht, um vor der Fahrt nach Tortuga Frischwasser und Proviant an Bord zu nehmen.
Den Schiffen von der Schlangen-Insel war es zwar gelungen, diesen Plan zu vereiteln und die Black Queen zum Abzug zu veranlassen, aber eine vernichtende Niederlage hatte ihr niemand beibringen können. Im Gegenteil – der Seewolf, Jean Ribault und der Wikinger hatten einige harte Brocken einstecken müssen.
Noch jetzt klang allen das fürchterliche Fluchen Thorfin Njals in den Ohren, dessen Schwarzer Segler einen schweren Treffer am Ruder erhalten hatte und dadurch nahezu manövrierunfähig geworden war.
Der „Le Vengeur“ war es nicht viel besser ergangen. Ihr hatte man den Bugspriet und den Fockmast weggeschossen.
Im Vergleich dazu war die „Isabella“ noch relativ glimpflich davongekommen. Sie war trotz einer Reihe kleinerer Schäden immer noch voll einsatzbereit. Dennoch wäre eine Verfolgung der Piratenflotte für sie allein aussichtslos gewesen.
Der Seewolf hatte bereits erkannt, daß die Black Queen und Caligula sehr gefährliche Gegner waren. Wenn es dieser Piratin und ihrem Geliebten gelang, die Vorherrschaft über Tortuga und Hispaniola zu erlangen, würden sie bald die ganze Karibik kontrollieren. Das aber würde ungeahnte Folgen für die Schlangen-Insel und ihre Bewohner haben. Also blieb dem Bund der Korsaren, dem auch die Seewölfe angehörten, gar nichts anderes übrig, als dem ungeheuren Expansionsdrang der Black Queen Grenzen zu setzen. Bisher jedoch war es noch niemandem gelungen, diesem Teufelsweib das Handwerk zu legen.
Die Reparaturarbeiten waren zum größten Teil abgeschlossen. Jeder hatte in den vergangenen Tagen kräftig mit zugepackt. Ein Teil der Seewölfe hatte auf dem Schwarzen Segler und der „Le Vengeur“ mitgeholfen, so zum Beispiel Smoky, Luke Morgan, Sam Roskill, Bob Grey, Nils Larsen, Batuti und Gary Andrews.
Als man der „Le Vengeur“ einen neuen Bugspriet und einen neuen Fockmast verpaßte, war auch die Hilfe Will Thornes und Roger Brightons willkommen gewesen. Der eine war ein ausgezeichneter Segelmacher und der andere ein erstklassiger Takelmeister.
Am meisten hatte es ohne Zweifel für die Schiffszimmerleute zu tun gegeben. Noch jetzt dröhnten wuchtige Axthiebe und Hammerschläge durch die Todesbucht.
Ferris Tucker, der rothaarige Zimmermann der „Isabella“, war noch immer mit kleineren Arbeiten beschäftigt. Auf seinen Armen traten dicke Muskelpakete hervor, wenn er die Axt hob und mit dem stumpfen Teil zuschlug. Auf seinem nackten Oberkörper glänzte der Schweiß.
An Bewunderern fehlte es ihm dabei nicht.
Old Donegal Daniel O’Flynn, der alte Haudegen mit dem Holzbein und dem wettergegerbten Gesicht, hatte sich eine Muck Wasser geholt und schlürfte das kühle Naß genießerisch, als sei es bester Wein.
Schon eine Weile sah er dem Schiffszimmermann bei seiner Arbeit zu, und Philip und Hasard junior, die dreizehnjährigen Zwillingssöhne des Seewolfs, leisteten ihm dabei Gesellschaft. Nicht etwa, daß die beiden „Rübenschweinchen“, wie der Profos sie nannte, eine ruhige Kugel an Bord schieben würden, o nein, auch sie hatten bei den Reparaturarbeiten mit zugepackt, genauso wie der alte O’Flynn. Jetzt aber war die Hauptarbeit getan, und Ferris Tucker gab dem Ganzen gewissermaßen den letzten Schliff.
Als die schwere Axt des rothaarigen Riesen abermals auf einen Holzkeil krachte, nickte Old Donegal anerkennend.
„Das Ding möchte ich nicht auf den Daumen kriegen“, sagte er.
Jung Philip pfiff leise durch die Zähne.
„Mister Tucker kann ganz schön ranklotzen“, meinte er. „Wo der hinhaut, da wächst kein Gras mehr.“
Old Donegal trank einen Schluck Wasser, dann schweifte sein Blick in die Ferne.
„Ja, damals auf der ‚Empress of Sea‘, da waren wir alle solche Kerle. Da hättet ihr mich mal erleben sollen. Selbst Ferris würde vor Neid erblassen. So ein richtiger Simson war ich da. Ja, ja, das waren noch Zeiten.“
„Was ist ein Simson, Mister O’Flynn, Sir?“ fragte Hasard junior.
Doch Old Donegal überhörte die Frage. Er hatte jetzt so einen richtig träumerischen Blick drauf.
„Damals“, so schwärmte er, „da brauchte ich in einer Kalme nur mal tief Luft zu holen, und die ‚Empress‘ jagte mit vollem Zeug durch die spiegelglatte See. Und wollte irgend so ein Kerl stänkern, da hat es genügt, wenn ich ihm die Faust zeigte. Die roch nämlich schon zehn Meilen gegen den Wind nach Friedhof.“ Der Alte grinste entrückt, dann schien er jedoch in die Wirklichkeit zurückzukehren. „Das alles heißt aber nicht, daß ich heute keinen Mumm mehr in den Knochen hätte“, fuhr er eilig fort. „Verfallt mir bloß nicht auf diesen Gedanken, ihr Hüpfer!“
Die Bengels stießen sich an und feixten. Natürlich übertrieb Old O’Flynn, der mütterlicherseits ihr Großvater war, wieder einmal gewaltig. Aber sie wußten nur zu gut, daß er noch immer ein rechter Haudegen war. Obwohl er nicht mehr zu den Jüngsten gehörte, war er noch voller Tatendrang und trug sich sogar mit dem Gedanken, auf der Schlangen-Insel eine eigene Kneipe zu eröffnen.
Hesekiel Ramsgate hatte außerdem bereits eine kleinere Ausgabe seiner heißgeliebten „Empress of Sea“ auf Kiel gelegt, damit er stets Nachschub für seine Kneipe heranschaffen konnte. Im übrigen war der Alte trotz seines Holzbeins erstaunlich beweglich, das zeigte sich bei jedem Gefecht und jedem Enterkampf.
Nein, ein beschaulicher Großvatertyp war er nicht. Er konnte vielmehr dreinschlagen, daß die Fetzen flogen. Zuweilen kriegten die Zwillinge das selber zu spüren, wenn sie ihm wieder einmal einen Streich gespielt hatten. Wenn man ihm da in die Hände fiel, konnte er einem kräftig den Hosenboden strammziehen.
„Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Mister O’Flynn, Sir“, sagte Jung Hasard, dem das Thema offensichtlich gefiel.
„Welche Frage?“
„Was ein Simson ist.“
„Ach so.“ Jetzt nickte der Alte. „Simson nennt man einen außergewöhnlich starken Mann.“
„So einen wie Mister Tucker?“
Old Donegal winkte ab. „Da ist schon ein Stärkerer damit gemeint. Gemäß den uralten Überlieferungen der Bibel war Simson ein Israelit, der sich besonders gut mit dem Großlord da oben im Himmel verstanden hat. Deshalb hat der ihn auch zum stärksten Mann geschaffen, der je gelebt hat. Dieser Simson hat einmal mit einem Eselskinnbacken tausend üble Burschen erschlagen. Philister hießen diese Schnapphähne, und der Großlord hat verdammt viel Ärger mit ihnen gehabt.“
Die „Rübenschweinchen“ staunten nicht wenig.
„Tausend Mann – mit einem Eselskinnbacken?“ Philip junior versuchte, sich dieses Massaker bildhaft vorzustellen.
„Genau“, fuhr Old Donegal fort. „Aber das war noch lange nicht alles. Ein anderes Mal hat Simson einen Löwen mit bloßen Händen mitten entzweigerissen, und zum Schluß hat er mal so eben die beiden Mittelsäulen eines riesigen Tempels umgestürzt, so daß das ganze Gebäude zusammenfiel und dreitausend von diesen Philistern erschlug. Er selber ist dabei auch ums Leben gekommen.“
Die Zwillinge waren hingerissen. Ihr Großvater konnte aber auch die wundersamsten Geschichten erzählen. Man mußte ihm nur immer erst die Zunge lösen, damit er loslegte.
„Ob Mister Tucker das auch könnte?“ fragte Jung Hasard. „Ich meine, mit einem Eselskinnbacken tausend Schnapphähnen was auf die Köpfe geben?“
Old Donegal kicherte. „Das schafft unser Holzwurm schon, wenn die tausend Kerle nicht alle gleichzeitig an Bord unserer Lady entern wollen. Da wir aber keine Eselskinnbacken in der Waffenkammer haben, müßte er dazu wohl seine Zimmermannsaxt benutzen.“
Die Jungen waren sichtlich beeindruckt.
Old O’Flynn aber war noch nicht am Ende.
„Dieser Simson“, so fuhr er fort, „war jedoch nicht nur außergewöhnlich stark, sondern auch sehr schlau. So fing er zum Beispiel in der Zeit, in der die Philister ihren Weizen ernten wollten, dreihundert Füchse und band ihnen brennende Fackeln an die Schwänze. Dann jagte er sie in die Felder und setzte alles in Brand.“
„Das ist stark!“ entfuhr es Philip junior. „Solche Füchse müßte man mal hinter der Black Queen herjagen, nicht wahr?“
„Geht nicht“, meinte der Alte. „Wo willst du hier dreihundert Füchse hernehmen? Außerdem läuft die Black Queen nicht in Weizenfeldern herum, sondern segelt mit ihrem finsteren Torfkahn nach Tortuga. Diesem Schnapphahn müssen wir schon weiterhin mit Pulverpfeilen, Höllenflaschen und Eisenkugeln einheizen. Irgendwann kriegen wir das Weibsstück auch am Rock zu packen, den es gar nicht anhat, darauf könnte ihr euch verlassen. Notfalls gehe ich selber an Land und besorge mir einen solchen Eselskinnbacken.“
Die Zwillinge fanden das zum Totlachen. Ferris Tucker, der den größten Teil des Gespräches mitgekriegt hatte, drehte sich um und grinste hinterhältig.
„Wenn du unbedingt einen Eselskinnbacken brauchst, Mister Simson“, sagte er zu Old O’Flynn, „dann brauchst du gar nicht erst von Bord zu gehen. Schau dich doch mal selber an. Mit einem Kinnbacken weniger verändert sich dein Aussehen nicht wesentlich.“
Doch so leicht kriegte man Old Donegal nicht unter. Er verzog das verwitterte Gesicht, lächelte das Lächeln der Wissenden und sagte bedauernd: „Was verstehst du schon vom guten Aussehen, du rotborstiger Beilschwinger. Zum Glück kannst du dich selbst nicht sehen, sonst würdest du laut schreiend davonlaufen. Dort nämlich, wo anständige Christenmenschen ihre Kinnbacken haben, hast du nur Sägemehl. Und immer, wenn du deine Futterluke so weit aufreißt, rieselt das Zeug aus deinen angesengten Bartstoppeln!“
Ferris Tucker fuhr sich reflexartig mit der Hand über das Gesicht. Tatsächlich, da hatte sich im Lauf der letzten Stunden, beim Sägen, Klopfen und Hämmern, so einiges an Sägemehl festgesetzt.
„Na schön“, meinte er. „Mir hängen die Holzbrösel eben im Gesicht, bei dir aber rieseln sie hinter der Kimm hervor, sobald du dich bückst. Und übrigens – wenn du hier schon keine Füchse hast, die du auf die Black Queen hetzen kannst, wie wär’s dann mit dir selber, he? Wenn du dich zur Geisterstunde auf den Rand ihrer Koje setzt, trifft sie vor Schreck der Schlag, und Caligula hüpft laut heulend über Bord. Ein Gespenst mit Holzbein haben die noch nie gesehen, schon gar nicht eins, dessen Fäuste nach Friedhof riechen.“
Old Donegal holte tief Luft und bedachte den Schiffszimmermann mit einem wilden Blick. Doch bevor er ihn über das Aussehen und die Eigenschaften eines „echten“ Gespenstes aufklären konnte, setzte die Stimme seines Sohnes Dan einen vorläufigen Schlußpunkt hinter das Wortgefecht.
„Mastspitzen an der westlichen Kimm!“ brüllte Dan O’Flynn, der in Ufernähe auf einen hohen Felsen geklettert war, um die Umgebung im Auge zu behalten. Er deutete mit ausgestrecktem Arm in die angegebene Richtung.
Old O’Flynn stieß schnaubend die Luft aus den Lungen und wandte sich von Ferris Tucker ab.
„Du heiliger Bimbam“, murmelte er. „Will sich das nackte Luder schon wieder mit uns anlegen?“ Er hob eine Hand über die Augen und spähte angestrengt über die silbrig glänzende Wasserfläche der Todesbucht. Aber er konnte noch nichts erkennen.
Der Wikinger, Jean Ribault, Siri-Tong und der Seewolf hielten sich seit dem letzten Glasen der Schiffsglocke auf dem Achterdeck der „Isabella“ auf. Sie hatten gerade damit begonnen, ihr weiteres Vorgehen gegen die Black Queen zu besprechen, als die Meldung Dans sie unterbrach.
Mastspitzen an der westlichen Kimm – was hatte das zu bedeuten?
„Wenn es die Queen ist“, stieß Thorfin Njal brummend hervor, „dann soll sie mir herzlich willkommen sein.“ Er rieb sich die mächtigen Pranken, denn jetzt, da die Reparaturarbeiten am Schwarzen Segler so gut wie beendet waren, hatte das Schiff seine frühere Manövrierbarkeit zurückerlangt. Zudem gab es nichts, was der Wikinger lieber getan hätte, als der Black Queen die schweren Treffer bis auf die kleinste Münze heimzuzahlen.
Auch Jean Ribault, der schlanke, drahtige Franzose, kniff die Augen zusammen. Er hatte die Queen und Caligula ganz besonders ins Herz geschlossen, seit ihn die beiden vor der Küste Tortugas ausgepeitscht und zutiefst gedemütigt hatten. Alles in ihm schrie nach Rache, und er würde nicht eher ruhen, bis die „Le Vengeur III.“, deren Namen „Der Rächer“ bedeutete, der Piratin ihre vernichtende Schlagkraft demonstriert hatte.
Siri-Tong konnte Jean Ribault am besten verstehen, denn sie verdankte der schwarzen Piratin den Verlust des „Roten Drachen“.
Der Seewolf hob den Messing-Kieker ans Auge, aber außer den Mastspitzen konnte auch er noch nichts erkennen.
„Wir wollen auf Nummer Sicher gehen und jedes überhöhte Risiko ausschließen“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Ich schlage deshalb vor, daß wir sofort unsere Schiffe gefechtsklar machen. Sollte es sich wirklich um die Black Queen oder eins ihrer Schiffe handeln, dann werden wir die Galgenvögel gebührend empfangen.“
Damit war jeder einverstanden. Noch während Jean und Siri-Tong auf die „Le Vengeur III.“ und Thorfin Njal auf den Schwarzen Segler zurückkehrten, liefen auf der „Isabella IX.“ die Gefechtsvorbereitungen auf Hochtouren.
Die Seewölfe waren eine eingeschworene Crew, jeder Handgriff, den sie taten, saß. Sie verwandelten die Galeone, die Hesekiel Ramsgate noch in Plymouth erbaut hatte, im Handumdrehen in eine schwimmende Festung.
Kaum hatte Philip Hasard Killigrew den Befehl dazu gegeben, flogen auch schon die Stückpforten hoch. Die sechsundzwanzig schweren Kanonen bewegten sich beim Ausrennen rumpelnd auf ihren Holzrädern. Auch die Drehbassen, von denen es je zwei vorn und am Heck gab, waren in kurzer Zeit einsatzbereit. Daneben wurden kleine Becken mit glühenden Holzkohlen auf die Geschütze verteilt. Auf den Decksplanken wurde Sand ausgestreut.
Al Conroy, der schwarzhaarige Stückmeister, überwachte die Vorbereitungen und sorgte dafür, daß auch eine Anzahl Pistolen, Musketen und Tromblons aus der Waffenkammer geholt wurden.
Ferris Tucker hatte seine Zimmermannsarbeit längst unterbrochen und eilte mit einigen Höllenflaschen an die von ihm konstruierte Abschußvorrichtung. Big Old Shane und Batuti, die ihre Langbogen samt den dazugehörigen Brand- und Pulverpfeilen bereits an Deck geholt hatten, halfen zunächst noch beim Ausrennen der Quarterdecksgeschütze mit.
Jeder dieser hartgesottenen Männer wußte, was er zu tun hatte. Schließlich hatten sie dem Teufel auf allen Meeren der Welt bereits beide Ohren abgesegelt und verfügten somit über einen reichen Erfahrungsschatz. Da bedurfte es von seiten des Kapitäns keiner besonderen Anweisungen.
Sie alle waren grimmig entschlossen, der Black Queen mächtig an die Gurgel zu fahren, wenn sie tatsächlich noch einmal hier aufkreuzen sollte.
Auf der „Le Vengeur“ und dem Schwarzen Segler war man ebenfalls reichlich beschäftigt. Die dröhnende Stimme Thorfin Njals war auch auf der „Isabella“ deutlich zu hören, und Edwin Carberry mußte sich gehörig anstrengen, wenn er den Wikinger übertönen wollte.
Doch der Profos der „Isabella“ schaffte es, daß seine kernigen Sprüche, mit denen er die Mannschaft anzufeuern pflegte, nicht im allgemeinen Trubel untergingen.
„Hurtig, hurtig, ihr lahmen Böckchen!“ brüllte er. „Gebt der Queen was auf das Röckchen!“
Carberrys poetische Aufforderung löste lautes Gelächter aus. Die Aussicht, den Schnapphähnen von der „Caribian Queen“ kräftig einzuheizen, hob die Laune der Männer beträchtlich.
Die drei Segler von der Schlangen-Insel waren voll gefechtsklar, als sich das fremde Schiff endlich hinter der Kimm hervorschob. Doch die Erwartungen wurden bald enttäuscht, denn bei der Galeone, die da auf die Todesbucht von Gran Cayman zuhielt, handelte es sich nicht um die „Caribian Queen“, jenen düsteren Zweidecker der schwarzen Piratin, soviel war bereits zu erkennen.
Der Seewolf wartete noch damit, die Anker hieven zu lassen, denn das fremde Schiff war noch weit entfernt. Man brauchte wirklich nichts zu überstürzen.
Bald wurden erste Vermutungen laut, dennoch ahnten die Arwenacks nicht, daß eine faustdicke Überraschung auf sie wartete – eine Überraschung, die sie alle zunächst an ihrem Verstand zweifeln ließ, und ihnen in bezug auf die so eilig herbeigeführte Gefechtsbereitschaft ein Grinsen entlockte.
Wieder war es Dan O’Flynn, dessen scharfe Augen das Unglaubliche enthüllten. Er hatte längst seinen Ausguckposten an Land verlassen und war in den Großmars der „Isabella“ aufgeentert.