Kitabı oku: «Verkehrsunfallflucht», sayfa 7
Teil 1 Verteidigungsstrategien zur Vermeidung von Anklage und Verurteilung › V. Kontaktaufnahme der Verteidigung mit der Staatsanwaltschaft; Anfertigung einer Verteidigungsschrift (auch „Schutzschrift“ oder „Einlassung“)
V. Kontaktaufnahme der Verteidigung mit der Staatsanwaltschaft; Anfertigung einer Verteidigungsschrift (auch „Schutzschrift“ oder „Einlassung“)
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Die Staatsanwaltschaft sollte regelmäßig an die Gewährung von Akteneinsicht erinnert werden. Oftmals ist das staatsanwaltschaftliche Aktenzeichen (noch) nicht bekannt, dann bestellt sich die Verteidigung gegenüber der zuständigen Polizeidienststelle und beantragt dort „Akteneinsicht gegenüber der Staatsanwaltschaft“. Sollte die Verteidigung von den Strafverfolgungsbehörden Nichts hören, sollte man gegenüber der Polizeidienststelle schriftlich mitteilen, dass „die Verteidigung bis heute ohne Nachricht“ sei, an die Gewährung von Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft erinnern und die Polizei auffordern, „das Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft – sofern bekannt – mitzuteilen und dieses Erinnerungsschreiben für den Fall, dass das Strafverfahren bereits abgegeben wurde, dem Vorgang nachzusenden“. Die Verteidigung sollte sich auch nicht scheuen, gegenüber der Staatsanwaltschaft auf den Grundsatz nach § 147 Abs. 1 StPO zu verweisen, dass ein Recht zur Akteneinsicht grundsätzlich immer besteht und nach § 147 Abs. 2 Satz 1 StPO vor Abschluss der Ermittlungen nur bei Gefährdung des Untersuchungszwecks eingeschränkt ist.[1] Auch der Verweis auf § 147 Abs. 3 StPO, wonach Gutachten von Sachverständigen und Niederschriften über die Vernehmung des Mandanten als Beschuldigter immer der Verteidigung zur Verfügung zu stellen sind, sollte erfolgen.[2] Oftmals hat der/die Mandant/in mitgeteilt, dass er/sie bereits Angaben bei der Polizei gemacht habe; oder manchmal hat die Staatsanwaltschaft, ohne die Verteidigung bzw. den/die Beschuldigte/n zu informieren, bereits ein Sachverständigengutachten eingeholt. Dann sollte man immer darauf bestehen, zumindest diese Teile der Ermittlungsakte zur Akteneinsicht übermittelt zu bekommen. Ein Einsichtsrecht in die vollständigen Akten steht der Verteidigung zwar erst nach Abschluss der Ermittlungen zu; zuvor kann eine teilweise Akteneinsicht rechtlich unbedenklich sein.[3]
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Nach der Gewährung von Akteneinsicht, der Besprechung des Akteninhalts und der Entwicklung der Verteidigungsstrategie ist der Zeitpunkt gekommen, Staatsanwaltschaft oder Gericht gegenüber die Verteidigungsstrategie offen zu legen, wenn überhaupt. Die Übermittlung einer Verteidigungsschrift (auch „Schutzschrift“ oder „Einlassung“) an die Staatsanwaltschaft sollte baldmöglichst nach Akteneinsicht erfolgen. Die von der Staatsanwaltschaft gesetzten Fristen zur „Einlassung“ oder „Stellungnahme“ sind teilweise knapp bemessen und nicht oder nur unter Schwierigkeiten einzuhalten. Es empfiehlt sich, schon bei Rückgabe der Strafakte an die Staatsanwaltschaft immer mitzuteilen, „unbedingt auf den Eingang einer Verteidigungsschrift zuzuwarten“. Dabei handelt es sich um die Aufforderung, dem/der Beschuldigten rechtliches Gehör zu gewähren, was von der Staatsanwaltschaft regelmäßig beachtet wird und eine überraschende Entscheidung „nach Aktenlage“ verhindern kann.
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Strebt die Verteidigung eine Einstellung des Strafverfahrens an, sollte sorgfältig geprüft werden und realistisch entschieden werden, ob eine Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdacht oder nach § 153 StPO (ohne Auflagen) oder § 153a StPO (mit Geldauflage oder Weisungen) zu erreichen ist. Dabei ist an einen möglichen Regress der eigenen Kfz-Haftpflichtversicherung (vgl. dazu Rn. 34, 100) zu denken.
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Bei der Abfassung einer Verteidigungsschrift (auch „Schutzschrift“ oder „Einlassung“) mit dem Ziel einer Einstellung des Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO kann gerade bei der Verteidigung von Verkehrsstrafsachen die mögliche Bereitschaft, einer Einstellung nach § 153 StPO oder nach § 153a StPO eventuell doch zuzustimmen, durchaus angedeutet werden.[4] Für eine Einstellung nach § 153 StPO oder nach § 153a StPO sollten der Staatsanwaltschaft auch geeignete Entlastungsargumente vortragen werden, z.B. nachträgliches Stellen bzw. Selbstanzeige bei der Polizei, psychische Belastung und Beeindruckung durch das Strafverfahren für den/die bisher unbelastete/n Mandanten/in, geringer Fremdschaden, bereits erfolgte Schadenregulierung, usw.;[5] weitere Argumente vgl. auch Rn. 388 „Strafmilderung“.
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Oft ist es hilfreich, mit der Staatsanwaltschaft telefonisch – schon vor Übermittlung einer Verteidigungsschrift (auch „Schutzschrift“ oder „Einlassung“) – Kontakt aufzunehmen und die Möglichkeiten einer eventuellen Einstellung zu erörtern. Dieses hängt natürlich auch von der örtlichen Übung der zuständigen Staatsanwaltschaft ab. Strebt der Verteidiger eine Einstellung entweder gegen Geldauflage oder Weisungen gem. § 153a StPO an, so sollten zugleich auch die wirtschaftlichen Verhältnisse mitgeteilt werden können, also berufliche Tätigkeit – die sich möglicherweise durch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis verändert haben kann –, aber auch die persönlichen Verhältnisse (Familienstand, Unterhaltspflichten etc.) und das erzielte durchschnittliche Monats-Netto-Einkommen. Nach diesen Angaben wird sich dann die Höhe der Geldbuße richten. Auch eine Verfahrenseinstellung gem. § 153b StPO i.V.m. einer „tätigen Reue“ (§ 142 Abs. 4 StGB) sollte in Erwägung gezogen werden (vgl. dazu Rn. 317 ff.).
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Das Verteidigungsziel einer „Einstellung“ des Verfahrens bedarf manchmal einer intensiven Überzeugungsarbeit gegenüber dem/der eigenen Mandanten/in. Diese/r hat oftmals die Erwartungshaltung, man werde selbstverständlich einen Freispruch oder zumindest eine Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdacht gem. § 170 Abs. 2 StPO erzielen.
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Eine Einstellung des Verfahrens nach § 153 StPO oder § 153a StPO sollte die Verteidigung immer als eine sichere und vorzugswürdige Beendigung des Strafverfahrens ohne das Risiko einer Hauptverhandlung ansehen und dem/der Mandanten/in dieses auch so vermitteln. Vor allem dann, wenn eine solche Anregung schon vorab z.B. im Anschreiben zur Gewährung von Akteneinsicht von Seiten der Staatsanwaltschaft selbst gegeben wird, sollte diese Frage sorgfältig, jedoch in der Regel mit einer eigenen (positiven) Empfehlung, erörtert werden.
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Eine Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO birgt für den/die Mandanten/in wenig bis überhaupt kein Risiko in sich, da diese nicht einmal die Feststellung der objektiven Verwirklichung des Tatbestandes des § 142 StGB impliziert, also Nichts zur Frage des strafbaren Verhaltens aussagt. Das Augenmerk des/der Mandanten/in ist insoweit auf den Konjunktiv im Gesetzestext zu lenken: Die Schuld „wäre“ als gering anzusehen, wenn sie denn überhaupt (bei Weiterführung des Verfahrens) nachgewiesen würde. Insbesondere sollte der/die Mandant/in darauf hingewiesen werden, dass ein mit hohem Eigeninteresse am Ausgang des Strafverfahrens beteiligter Unfallgegner bei einer Einstellung des Strafverfahrens nach §§ 153, 153a StPO – im Gegensatz zu einer solchen nach § 170 Abs. 2 StPO – keine Beschwerdemöglichkeit hat und, dass bei einer Einstellung mangels Tatverdacht nach § 170 Abs. 2 StPO jederzeit das Verfahren von der Staatsanwaltschaft wieder aufgenommen werden kann.[6] Allerdings verbleibt es oftmals nach einer Einstellung gemäß § 153 StPO – falls nicht zwischenzeitlich Verjährung eingetreten ist – bei der mit dem Vorwurf der Verkehrsunfallflucht regelmäßig verbundenen Verkehrsordnungswidrigkeit (z.B. Vorfahrtsverletzung, fehlerhafter Fahrsteifenwechsel), denn es gilt § 21 Abs. 2 OWiG (vgl. aber Rn. 94). Darauf ist der/die Mandant/in hinzuweisen.
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Die positive Argumentation der Verteidigung im Hinblick auf eine Einstellung nach § 153a StPO ist demgegenüber weitaus schwieriger, da diese Möglichkeit den/die Mandanten/in finanziell belastet, von ihm/ihr die Zahlung einer Geldauflage als Schuldeingeständnis gewertet wird und natürlich auch die Feststellung beinhaltet, dass der Tatbestand des § 142 StGB verwirklicht wurde, wenn auch „bei geringer Schuld“. Auch hier hilft oftmals der Hinweis auf den Gesetzestext, der vorsieht dass „die Schwere der Schuld nicht entgegensteht“. In der Beratung ist abzuwägen das Risiko einer eventuell ungünstigeren Entscheidung im Hauptverfahren (mit Gerichtstermin) gegen den finanziellen Nachteil einer Geldauflagenzahlung, verbunden mit der Feststellung eines – wenn auch geringen – Verschuldens. Eine kleine Entscheidungshilfe kann hier z.B. der Umstand sein, dass die mit dem Vorwurf der Verkehrsunfallflucht meist verbundene Verkehrsordnungswidrigkeit durch die nach § 153a StPO zu zahlende Geldauflage miterledigt (= eingestellt) ist, das ergibt sich aus § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO. Der zum Unfall führende eventuelle Fahrfehler des/der Mandanten/in, eine Ordnungswidrigkeit, wird dann nämlich nicht mit einem gesonderten Bußgeld geahndet. Es werden auch keine hierfür im Bußgeldkatalog aufgeführten Punkte im Fahreignungsregister beim Kraftfahrt-Bundesamt („Verkehrssünderkartei“) in Flensburg eingetragen (siehe aber auch Rn. 100).
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Viel schwieriger ist es oft, die Zustimmung des/der Mandanten/in zu erhalten, wenn einige Staatsanwaltschaften oder einige Gerichte verlangen, dass der/die Mandant/in zur Erreichung einer Verfahrenseinstellung das eigene falsche Handeln doch einräumen muss. Nicht außer Acht gelassen werden darf hier die bei vielen Staatsanwälten und Richtern herrschende Grundeinstellung, dass nur der/die Mandant/in „in den Genuss der Wohltat einer Verfahrenseinstellung“ kommen soll, wenn eine gewisse Einsicht und Reue gezeigt wird. Dabei ist dem/der Mandant/in aufzuzeigen, dass oftmals das Angebot einer Einstellung des Strafverfahrens nur einmal (z.B. im Ermittlungsverfahren) erfolgt und bei unterlassener Zustimmung die Staatsanwaltschaft und/oder das Gericht die Strafsache dann durchentscheiden; denn wenn der/die Mandant/in meint, unschuldig zu sein, habe diese/r auch Anspruch auf ein (allerdings im Ergebnis oftmals nicht freisprechendes) Urteil!
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Bei der Beratung sollte der Verteidiger hier aber auch bedenken, „Verteidigen“ bedeutet nicht, eine/n uneinsichtige/n Mandanten/in notfalls zu seinem/ihrem „Glück“ zu zwingen! Die Überzeugungsarbeit ist also darauf gerichtet, Risiken deutlich zu machen und eine erfolgreiche Strategie zu entwickeln. Es reicht nicht nur, dass die Staatsanwaltschaft und das Gericht die von der Verteidigung aufgebotenen Beweismittel (z.B. Entlastungszeugen, Sachverständigen-Gutachten) berücksichtigen und gute juristische Argumentationen anhören oder lesen sollen; sie müssen hierdurch letztlich entweder überzeugt oder zumindest zu ernsthaften Zweifeln veranlasst werden.
Anmerkungen
[1]
Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt § 147 Rn. 10; Weihrauch/Bosbach Rn. 106.
[2]
Vgl. Weihrauch/Bosbach Rn. 107, 108.
[3]
Vgl. BGH – bei Becker – NStZ-RR 2004, 321.
[4]
Vgl. hierzu insbes.: Schlothauer Rn. 118 ff.; Hamm in: Beck'sches Formularbuch, IV. 4 und 5.
[5]
Vgl. Weihrauch/Bosbach Rn. 296, 297 (m. weit. Beisp.).
[6]
Vgl. zu den sonstigen Vorteilen der Einstellung nach §§ 153, 153a StPO Weihrauch/Bosbach Rn. 183-186, 189.
Teil 1 Verteidigungsstrategien zur Vermeidung von Anklage und Verurteilung › VI. Strategie bei möglichen führerscheinverwaltungsrechtliche Folgen der Fahrerlaubnis-Behörde nach Beendigung des Strafverfahrens
VI. Strategie bei möglichen führerscheinverwaltungsrechtliche Folgen der Fahrerlaubnis-Behörde nach Beendigung des Strafverfahrens
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Bei jeder Beendigung des Strafverfahrens, also auch einer Einstellung des Strafverfahrens, egal nach welcher Vorschrift, ist von der Verteidigung immer an eine mögliche führerscheinverwaltungsrechtliche Reaktion der Fahrerlaubnisbehörde zu denken, z.B. wenn sich aus dem Strafverfahren Tatsachen ergeben, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung oder auf Mängel hinsichtlich der Befähigung des/der Mandantin, insbesondere beim älteren Kraftfahrer, zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen lassen, z.B. Krankheiten, Medikamentengebrauch, Konsum von Alkohol oder Betäubungsmitteln, altersbedingte körperlicher und/oder geistige Auffälligkeiten usw.
Hinweis
In diesem Zusammenhang wird auf die wichtige Vorschrift des § 2 Abs. 12 Satz 1 StVG verwiesen. Danach wird die Polizei „Informationen über Tatsachen, die auf nicht nur vorübergehende Mängel hinsichtlich der Eignung oder auf Mängel hinsichtlich der Befähigung einer Person zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen lassen, den Fahrerlaubnisbehörden übermitteln, soweit dies für die Überprüfung der Eignung und Befähigung aus der Sicht der übermittelnden Stelle erforderlich ist“. Die Verteidigung sollte die Strafakte auf entsprechende Hinweise überprüfen.
In diesem Zusammenhang wird auf die weitere wichtige Vorschrift des Nr. 45 Abs. 2 MiStra verwiesen: „Sonstige Tatsachen, die in einem Strafverfahren – gleichgültig, gegen wen es sich richtet – bekannt werden, sind der nach § 73 Abs. 1 bis 3 FeV zuständigen Verwaltungsbehörde mitzuteilen, wenn ihre Kenntnis für die Beurteilung erforderlich ist, ob die Inhaberin oder der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen von Fahrzeugen ungeeignet ist. Dabei ist zu berücksichtigen, wie gesichert die zu übermittelnden Erkenntnisse sind. Die Mitteilung ordnen Richterinnen oder Richter, Staatsanwältinnen oder Staatsanwälte an.“
In diesem Zusammenhang wird zuletzt auf die Vorschriften der §§ 483 ff. StPO verwiesen. Strafverfolgungsbehörden dürfen nach § 484 Abs. 1 StPO für Zwecke künftiger Strafverfahren Daten zu auch aus Opportunitätsgründen nach §§ 153 ff. StPO eingestellten Strafverfahren speichern. Die Dauer der Eintragung, besser formuliert, die Frist für die Prüfung, ob die Daten zu löschen sind, richtet sich nach § 489 Abs. 4 StPO. Die Frist beträgt bei eingestellten Strafverfahren nach Abs. 4 S. 2 Nr. 3 3 Jahre. Auf die Vorschrift des §§ 489 Abs. 6 S. 1 StPO wird verwiesen, wonach weitere Verfahren die Löschung verhindern (sog. Mitzieheffekt). Damit muss davon ausgegangen werden, dass mehrfach auffällige ältere Verkehrsteilnehmer bekannt sind.
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Darüber ist der/die Mandant/in zu informieren und ggf. sind frühzeitig Strategien zur Vorbereitung auf eine Fahreignungsüberprüfung nach § 3 Abs. 1 S. 1 StVG („Erweist sich jemand als ungeeignet oder nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen.“) zu entwickeln, vgl. Rn 111 ff. zum älteren Kraftfahrer. Die Autoren empfehlen, ein Muster zur Aufklärung des/der Mandanten/in bei der Mandatsannahme bereit zu halten und auszuhändigen oder zu übersenden, vgl. Muster 18, Rn. 679.
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In diesem Zusammenhang wird auf § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG verwiesen: „Solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 des Strafgesetzbuchs in Betracht kommt, darf die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen“. Damit kann die Sperrwirkung dieser Vorschrift zu Lasten der Fahrerlaubnis-Behörde während der Dauer des Strafverfahrens als strategisches Mittel zum Zeitgewinn zur Vorbereitung durch den/die Mandaten/in genutzt werden kann.
Teil 1 Verteidigungsstrategien zur Vermeidung von Anklage und Verurteilung › VII. Mögliche kfz-versicherungsvertraglichen Folgen nach Beendigung des Strafverfahrens, Regress der eigenen Kfz-Haftpflichtversicherung gegen den/die Mandaten/in
VII. Mögliche kfz-versicherungsvertraglichen Folgen nach Beendigung des Strafverfahrens, Regress der eigenen Kfz-Haftpflichtversicherung gegen den/die Mandaten/in[1]
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Bei jeder Beendigung des Strafverfahrens, also auch bei der Überlegung, ob eine Einstellung nach § 153a StPO in Betracht kommen soll, ist auch immer an eine mögliche Spätreaktion der Kfz-Haftpflichtversicherung des/der Mandanten/in zu denken. Eine Einstellung des Strafverfahren nach § 153 StPO birgt – bisher – für den/die Mandanten/in im Regelfall wenig bis kein Risiko eines Regresses der eigenen Kfz-Haftpflichtversicherung, so die Erfahrung die Erfahrung des Autors, aber Ausnahmen bestätigen die Regel und die Versuche der Versicherungswirtschaft Regress zu fordern, nehmen zu. Eine Einstellung des Strafverfahren nach § 153a StPO birgt für den/die Mandanten/in immer das Risiko, so die Erfahrung des Autors, dass die Kfz-Haftpflichtversicherung des/der Mandanten/in hierin die Feststellung sehen könnte, dass der Tatbestand der Verkehrsunfallflucht und damit die Obliegenheitsverletzung tatsächlich verwirklicht wurde mit der Folge, dass die Kfz-Haftpflichtversicherung bis zu einer Höhe von maximal 5000 Euro Regress bei dem/der Mandanten/in, zu nehmen versucht.[2] Mit dieser Regressforderung wird der/die Mandant/in, der/die damit regelmäßig nicht rechnet, oft erst Wochen oder Monate nach Abschluss des Strafverfahrens durch die Kfz-Haftpflichtversicherung konfrontiert, nachdem diese die Strafakten eingesehen hat. Diese Unwägbarkeit und das damit verbundene finanzielle Risiko sollte die Verteidigung daher vor der Entscheidung, einer Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO zuzustimmen, mit dem/der Mandanten/in zusätzlich erörtern, um sich nicht im Nachhinein dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, man habe nicht umfassend genug beraten und der/die Mandant/in hätte bei Kenntnis dieses Umstands sich anders entschieden.
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Der Autor empfiehlt, ein Muster zur Aufklärung des/der Mandanten/in bei der Mandatsannahme zu fertigen und in diesem über die Obliegenheiten nach den AKB und die Rechtsfolgen bei Obliegenheitsverletzung zu belehren, vgl. Muster 19, Rn. 680. Da die Verteidigung in Verkehrsstrafsachen auch Massengeschäft mit sich regelmäßig wiederholenden Sachverhalten sein kann, empfiehlt der Autor auch ein Muster zur Aufklärung des/der Mandanten/in bei Einstellung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft/das Gericht gemäß § 153a StPO zu fertigen und vor der Zustimmung zur Einstellung des Strafverfahren an den den/die Mandanten/in zu übermitteln, vgl. Muster 16, Rn. 677.
Hinweis
Sollte sich die eigene Kfz-Haftpflichtversicherung an den Mandanten wenden, um die Regressforderung durchzusetzen, kann seriös versucht werden, das Regressbegehren abzuwehren oder zumindest einen Vergleich über eine niedrigere Summe zu schließen. Die Rechtsschutzversicherung, die für die Strafverteidigung die Kostenübernahme erklärt hatte, übernimmt im Regelfall auch bei diesen Regressfällen das Rechtsanwaltshonorar und zwar für die „Vertretung in einer kfz-versicherungsvertraglichen Angelegenheit“.
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Gegenüber der Kfz-Haftpflichtversicherung des Mandanten kann argumentiert werden, dass die Einstellung des Strafverfahrens allein aus strafprozessökonomischen Gründen im Sinne einer Verständigung[3] erfolgte und ein Schuldanerkenntnis damit gerade nicht abgegeben wurde[4] bzw. werden sollte. Insoweit kann die Kfz-Haftpflichtversicherung aus der bloßen Tatsache der Einstellung des Strafverfahrens aus Opportunitätsgründen keinerlei Erfolgsaussichten für ein etwaiges Zivilverfahren ableiten. Zunächst liegt überhaupt kein rechtskräftiges Strafurteil vor, sondern nur ein Bescheid der Staatsanwaltschaft bzw. ein Beschluss des Amtsgerichts. Diese Einstellung des Strafverfahrens stellt gerade kein strafrechtliches Erkenntnis dar.[5] Denn selbst wenn ein strafrechtliches Urteil vorliegen würde, hätte dieses keinerlei Bindung für einen Zivilrichter, da dieses mit dem im Zivilprozessrecht herrschenden Prinzip der freien Beweiswürdigung unvereinbar ist und ein Zivilrichter sich selbst beim Vorliegen eines Strafurteils eine eigene Überzeugung bilden muss und auch nicht an einzelne Tatsachenfeststellungen eines Strafurteils gebunden ist.[6]
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Falls der/die Mandant/in gegen den/die regressiert wird und der/die Versicherungsnehmer/in personenverschieden sind, kann[7] behauptet werden, dass der Regress nur den/die Versicherungsnehmer/in treffen kann, der auch Fahrer/in war, also nicht den/die Dritte/n als Fahrer/in, außer der/die Dritte als Fahrer/in ist Repräsentant des Versicherungsnehmers.[8] Argument für eine alleinige Haftung des Versicherungsnehmers könnte sein, dass sich das aus dem Umkehrschluss des § 5 Abs. 3 KfzPflVV ergebe, der nur für Obliegenheitsverletzungen vor dem Schadenfall die mitversicherte Person ausdrücklich miteinbezieht, während es in § 6 KfzPflVV für Obliegenheitsverletzungen nach dem Schadenfall – eben z.B. für das unerlaubte Entfernen vom Unfallort – eine den Mitversicherten einbeziehende Vorschrift im Wortlaut nicht gibt.
Dem wird entgegengehalten, soweit sich eine mitversicherte Person gegenüber den geschädigten Dritten haftbar gemacht habe, entstehe auch ein Gesamtschuldverhältnis zwischen der mitversicherten Person und dem Versicherer auf welches § 116 VVG Anwendung finde; für den Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung sei das unbestritten und ergebe sich das auch aus der Gesetzesbegründung;[9] argumentiert wird auch mit § 47 Abs. 1 VVG[10].
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Ob in der Kfz-Haftpflichtversicherung Leistungsfreiheit bis zu 2.500 € oder 5.000 € besteht, hängt davon ab, ob eine „normale“ Obliegenheitsverletzung oder eine besonders schwerwiegende Verletzung der Anzeige- und Aufklärungspflicht vorliegt. Bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 142 StGB (vgl. Auflistung der verbraucherfreundlichen bzw. verbraucherstrengen Urteile Rn. 108 ff.) gilt, dass das insoweit immer als eine besonders schwerwiegende Obliegenheitsverletzung eingestuft worden ist mit der Folge, dass eine Leistungsfreiheit bis zu 5000 Euro angenommen wird. Allerdings bietet § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG die Möglichkeit, die Leistungsfreiheit abzuwenden, wenn die Obliegenheitsverletzung, also auch die Verkehrsunfallflucht auf die Feststellung des Versicherungsfalls und die Höhe der Versicherungsleistung keine Auswirkung hat, sog. Kausalitätsgegenbeweis. Dieses ist dann der Fall, wenn die durch die Verkehrsunfallflucht vereitelten Feststellungen mit entsprechender Verlässlichkeit durch andere Beweismittel nachgeholt werden können, z.B. den Behörden oder andere Versicherungen schon Ermittlungen angestellt haben, über die die eigene Kfz-Haftpflichtversicherung des Mandanten/der Mandantin nicht hätte hinausgehen können, z.B. wenn der Unfall durch Zeugen beobachtet wurde oder polizeilich aufgenommen wurde.[11]
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Bzgl. des Vorhalts, durch das Entfernen vom Unfallort seien Feststellungen zu einer eventuellen Alkoholisierung bzw. Berauschtheit des/der Fahrer/s/in vereitelt worden, ist zu erwidern, dass dafür gewisse Indizien bestehen müssten,[12] ein Generalverdacht ist zu verneinen. Auch hier ist ggf. mit dem äußere Bild des Unfallanstoßes, der gegen eine alkohol- bzw. betäubungsmittelbedingte Fahruntüchtigkeit spreche[13] zu argumentieren. Außerdem, könnten ja Angaben gemacht werden, dass der/die berechtigte Fahrer/in nicht alkoholisiert bzw. berauscht war. Da bei einer Unfallflucht keine polizeiliche Unfallaufnahme am Unfallort in Anwesenheit des/der berechtigte Fahrer/s/in erfolgte, liegen regelmäßig auch keine entgegenstehenden polizeilichen Erkenntnisse vor.
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Handelt der/die Mandant/in jedoch arglistig i.S.d. § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG, dann besteht immer Leistungsfreiheit und der Kausalitätsgegenbeweis ist ausgeschlossen. Nach neuerer Rechtsprechung ist für die Prüfung der Voraussetzungen der Arglist auf eine einzelfallbezogene Betrachtungsweise abzustellen.[14] „Arglistig handelt der Versicherungsnehmer bereits dann, wenn er sich bewusst ist, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann.“[15] Da ist dann Argumentationsgeschick gefordert. Eine Hilfe bietet nachfolgende Liste mit versicherungsvertraglicher Rechtsprechung bei Verkehrsunfallflucht:
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• | Eher verbraucherfreundlich |
OLG Karlsruhe[16] Urt. v. 3.4.2017 – Az. 20 S 101/16: Es besteht kein genereller Regressanspruch der Kfz-Haftpflichtversicherung der Unfallflucht wegen fehlender zwingender Arglist.
LG Schweinfurt[17] Urt. v. 13.4.2017 – Az. 22 O 748/15: „Kommt ein VN mit seinem Fahrzeug an einem Baum zum Stehen, ohne dass an diesem ein unfallbedingter Schaden erkennbar ist, verletzt er durch Weiterfahrt seine Obliegenheit nicht.“
Das OLG Saarbrücken[18] Urt. v. 10.2.2016 – Az. 5 U 75/14: Die Definition der Leistungsfreiheit der Versicherung nach AKB wegen Unfallflucht entspricht der strafrechtlichen Pflicht nach § 142 StGB.“
Das OLG Saarbrücken[19] Urt. v. 10.2.2016 – Az. 5 U 75/14 verneint eine über die Strafbarkeit des Unerlaubten Entfernens vom Unfallort hinausgehende Pflicht nach AKB den Unfallort nicht zu verlassen und bejaht die Entlastung des VN durch erlaubtes oder irrtümliches Entfernen.
Das AG Andernach[20] Urt. v. 19.8.2016 – Az. 64a C 342/16 – verneint eine Verletzung der Obliegenheiten, wenn die Einlassung der Beklagten, den Unfall nicht bemerkt zu haben, nicht widerlegt werden kann.
Das AG Emmendingen[21] Urt. v. 15.3.2016 verneint Feststellungsnachteile der Kfz-Haftpflichtversicherung, wenn der VN bereits wenige Minuten dem Unfall von der Polizei gestellt wird.
Das AG Landshut[22] Urt. v. 8.12.2011 – Az. 4c 1006/11 verneint ein arglistiges Verhalten mit der Rechtsfolge des § 28 Abs. 3 VVG, wenn es nach einem Verkehrsunfall zu einem Missverständnis kommt und sich die Unfallbeteiligten verfehlen.
Das AG Erkelenz[23] Urt. v. 14.9.2016 – Az. 8 C 35/16 verneint die Kausalität, da die Einhaltung der Pflichten aus § 142 StGB der Kfz-Haftpflichtversicherung keine weitere Aufklärungsmöglichkeit verschafft hätten, da Zeugen den Unfall beobachteten und verneint auch Arglist, da kein Handeln gegen die Interessen der Versicherung vorlag. Insbesondere müssen für eine eventuelle Alkoholisierung bzw. den Konsum von BtM gewisse Indizien bestehen.
Das AG Hamm[24] Urt. v. 26.3.2014 führt aus, dass durch das Unterlassen der Unfallanzeige und des Schadens hat der Beklagte auch nicht arglistig gehandelt. Die strafrechtliche Verurteilung wegen Unfallflucht bedeutet nicht ohne Weiteres die Annahme einer arglistigen Obliegenheitsverletzung (…)
Das LG Duisburg[25] hat bei einem Regress nach §§ 116 Abs. 1 Satz 2 VVG, 426 Abs. 2 BGB, 7 Abs. 1,18 StVG ausgeführt, dass es einen allgemeinen Erfahrungssatz nicht gebe, dass derjenige, der sich unerlaubt vom Unfallort entfernt, damit „stets gegen die Interessen des Versicherers“ handele.
Das LG Bonn[26] hat bei einem Regress gemäß § 426 Abs. 2 BGB i.V.m. § 116 Abs. 1 Satz 2 VVG entschieden: „Die Kammer folgt der (...) vom BGH bestätigten, differenzierten Betrachtungsweise. Wie bereits die 6. Kammer des LG Bonn den dem Urteil vom 15.11.2012 – 6 S 63/12 – überzeugend aufgeführt hat, findet die „Gleichschaltung“ der Voraussetzungen der vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG und der Arglist gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 VVG keine Stütze im Gesetz.
Das Amtsgericht Borna[27] mit Urt. v. 13.11.2014 – Az. 4 C 1354/13 verneint einen grundsätzlichen Ausschluss des Kausalitätsgegenbeweises nach § 28 Abs. 3 VVG bei Unfallflucht des Versicherungsnehmers.
Das Landgericht Karlsruhe[28] mit Urt. v. 13.4.2017 – Az. 20 S 101/16 bejaht einen Verstoß gegen die die Aufklärungsobliegenheit beim unerlaubten Entfernen vom Unfallort durch den Versicherungsnehmer, verneint jedoch einen grundsätzlichen Ausschlusses des Kausalitätsgegenbeweises nach § 28 Abs. 3 VVG.
Das Amtsgericht Mitte[29] bestätigt durch das Landgericht Berlin[30] verneint ausdrücklich die Auffassung, dass jede vorsätzliche Verkehrsunfallflucht Arglist darstelle und fordert eine Einzelfallbetrachtung, der Versicherte müsse einen aus seiner Sicht gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgen und das habe die Klagen der Haftpflichtversicherung zu beweisen.
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• | Eher verbraucherstreng |
Das LG Düsseldorf[31] Urt. v. 13.7.2017 -Az. 9 S 37/16: „Feststellungsnachteile entstehen für dem VR regelmäßig allein dadurch, dass sich der VN unerlaubt von der Unfallstelle entfernt.“
Das LG Düsseldorf[32] Urt. v. 8.9.2017 – Az. 9 O 197/16 in ZfS 2018, 97f.: „Beruft sich ein VN darauf, er sei bei einer Fahrt in alkoholisiertem Zustand und einem unerlaubten Entfernen nach einem dadurch verursachten Unfall schuldunfähig gewesen, so muss er die Schuldunfähigkeit beweisen.“
Das LG Dortmund[33] Urt. v. 17.8.2017 – Az. 2 O 300/16 in ADAJUR-Newsletter Dok.Nr: 110615: „Die Unfallflucht führt für den Versicherer zu konkreten Feststellungsnachteilen, die ihm einen Kausalitätsgegennachweis nach E.6.2 AKB 2010, § 28 III VVG unmöglich machen. Wird das unerlaubte Entfernen vom Unfallort im Rahmen einer Fremdversicherung von der versicherten Person (hier: Leasingnehmer) begangen, gilt dasselbe.“
Das OLG Naumburg[34] mit Urt. v. 21.6.2012 – Az. 4 U 85/11- hat noch entschieden, dass wenn der Versicherungsnehmer entgegen seiner Aufklärungsobliegenheit aus E. 1.3 Satz 2 AKB 2008 unerlaubt den Unfallort verlasse, gehe dieses regelmäßig mit konkreten Feststellungsnachteilen für den Versicherer einher.