Kitabı oku: «Der Mächtige Strom», sayfa 4

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Guo bat meinen Vater als Emissär internationale Unterstützung für seine „Operation Rückverlegung“ zu gewinnen. Vor allem sollten sich Japan und seine zum Schutz ihrer Südmandschurischen Eisenbahn stationierten Truppen zu einer neutralen Haltung verpflichten. Rückhalt fand er auch bei einigen wichtigen Politikern Chinas, die seinen Friedensplan guthießen und als Berater seines Führungsstabes fungierten. Unter ihnen waren Rao Hanxiang, Generalsekretär des ehemaligen Staatspräsidenten Li Yuanhong, Yin Rugeng, Gao Xibing, Yang Mengzhou, Lin Changmin und Lu Chunfang. Der designierte Sektionschef der Abteilung für Auswärtige Angelegenheiten und zukünftige Außenminister, Wang Zhengting, hatte sein Amt noch nicht antreten können, weshalb mein Vater diesen Aufgabenbereich stellvertretend übernahm. Guo sagte zu seinen hoch motivierten Mitstreitern, die allesamt größtes Vertrauen in seine innovativen Ideen setzten: „Sind wir erfolgreich, so wie ich es mir erhoffe, großartig – sollte es jedoch misslingen, dann ist euch allen ein Leben im Exil gewiss oder der Tod.“

Am 22. November verlegte General Guo seine Truppe in die Provinz Hebei nach Luanzhou und schickte Marschall Zhang Zuolin ein Telegramm, worin er ihn aufforderte, die Kampfhandlungen einzustellen, zurückzutreten und stattdessen seinem Sohn, Zhang Xueliang, die Kontrolle über die Armee und seine Regierungsämter zu überlassen. Das Telegramm begann mit einem Bericht über die verheerenden Verluste während des Angriffs auf Shanhaiguan und die hohe Anzahl der gefallenen Soldaten sowie die erbärmliche Lebenssituation der Hinterbliebenen, welche keinerlei Hilfe zu erwarten hatten. Ferner wies er Zhang auf die reale Bedrohung durch die machtpolitischen Ambitionen der Nachbarn Russland und Japan hin, welche eine Invasion von Tag zu Tag wahrscheinlicher machten, und deshalb sei es zum Wohle der Mandschurei unumgänglich, sich auf den politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau, die Bildung operativer Reserven zum Schutz des Landes und den Ausbau der allgemeinen Bildung für das Volk zu konzentrieren, anstatt sinnlose Bürgerkriege zu führen. Nur auf diese Weise sei es möglich, sämtliche Kräfte und natürlichen Ressourcen der Region, welche die reichsten in ganz China seien, erneut zu bündeln und somit dauerhaft gegen ausländische Aggressoren gewappnet zu sein.

Die Antwort des Alten Marschalls ließ nicht lange auf sich warten. Bereits am nächsten Tag erhielt er Zhangs Telegramm, in dem dieser Guo zu einem persönlichen Gespräch nach Shenyang einlud, ohne jedoch auf seinen Friedensplan oder die Rücktrittsforderungen einzugehen. Es war allzu offensichtlich, dass diese Einladung eine Falle war, die unweigerlich auf die Ermordung des Eingeladenen abzielte. Wiederum einen Tag später schickte Guo ein Telegramm, in dem er seine Forderungen wiederholte, welches Zhang jedoch unbeantwortet ließ, woraufhin er den Befehl zum Vormarsch gab. Von Luanzhou aus führte er seine Truppen zum Shanhai-Pass am Golf von Bohai, wo sie die Große Mauer überquerten. Von dort aus ging es entlang der Küste hinauf bis Huludao, von wo aus der Angriff auf die Truppen des Gegners in Lienshan erfolgen sollte. Während ihres Vormarsches gab es einen plötzlichen Temperatursturz und sie gerieten unversehens in einen heftigen Schneesturm. Es war ein selten strenger Winter mit Temperaturen von minus 20 Grad Celsius. Die beißende Kälte hatte sogar das Meer in der Bucht einfrieren lassen, so dass Menschen und Pferde sie zu Fuß überqueren konnten. Die Vorhut von Guos Truppen, das Zweite Korps, nutzte diesen Umstand zum Angriff, stürmte über die Eisfläche und stieß dem Feind von der Bucht her in dessen Flanke. Zhangs Verteidigungseinheiten wurden vollkommen überrascht und zogen sich aus Huludao zurück. Drei Tage später fiel auch Jinzhou, die zweitgrößte Küstenstadt Liaonings. Als die Nachricht Shenyang erreichte, war Marschall Zhang zutiefst schockiert. Umgehend ließ er seine angehäuften Reichtümer auf Dutzende von LKWs laden und schickte sie zur Einlagerung in ein Depot der von den Japanern betriebenen Eisenbahngesellschaft. Mehr als zehn Fahrten mussten die LKWs machen, bis alles sicher untergebracht war. Um seine Residenz herum ließ er Holz aufstapeln und Benzinfässer verteilen, damit sie im Falle einer Flucht alles niederbrennen konnten. Das Provinzparlament und die Handelskammer bekundeten Guo ihre Loyalität und den Willen zur Kooperation mit der Bitte, nach der Einnahme Shenyangs sämtliche militärischen Aktivitäten einzustellen. Aufgeschreckt durch Guos Vorstoß befand sich die japanische Regierung in höchster Alarmbereitschaft.

Marschall Zhang war für die Japaner generell kein bequemer Bündnispartner, da er stets seine eigenen Interessen konsequent verfolgte, dennoch war er für sie ziemlich berechenbar. Guo hingegen war ein Nationalist aus Überzeugung und ließ sich nicht korrumpieren. Seine Pläne würden mit aller Wahrscheinlichkeit Japans Vormachtstellung in der Mandschurei gefährden. Im Gegensatz dazu signalisierte der in Not geratene Zhang, dass er Japan noch mehr Zugeständnisse machen würde, wenn die japanischen Truppen Guo an einem weiteren Vormarsch hindern würden. Und so geschah es. Die Japaner gingen ein Bündnis mit der Fengtian-Armee ein. General Guo vermochte seine anfänglichen Erfolge nicht mehr auszuweiten und die massiven Behinderungen durch japanische Truppen entlang der Eisenbahnlinie verlangsamten seinen Vormarsch zusehends. Dies verschaffte Zhang die nötige Zeit, Verstärkung aus den benachbarten Provinzen Jilin und Heilongjiang zu beordern und eine Frontlinie am östlichen Ufer des mächtigen Liao-Stroms zu formieren. Inzwischen gelang es Guo Songlings Truppenspitze doch noch die Stadt Xinmin einzunehmen und nun, da Shenyang zum Greifen nah erschien, errichtete dieser am Westufer des Liao-Flusses ein Feldlager, um auf das Eintreffen der Hauptkampftruppe zu warten. Aufgrund der verheerenden Witterungsbedingungen in jenem Winter hatte der Großteil seiner Einheiten Versorgungsprobleme und musste zwangsläufig einige Tage in der Stadt Jinzhou pausieren. Diese Verzögerung hatte es seinem Gegner nicht nur ermöglicht, seine Reihen wieder aufzufüllen und neu zu formieren, sondern auch die Gelegenheit verschafft, Guos Truppen zu infiltrieren und Unruhe zu stiften. Die andauernde extreme Kälte begann zudem die Moral der sonst so erfahrenen Kämpfer aufzuweichen und schwächte den Kampfgeist der Angreifer noch zusätzlich Der Alte Marshall, Zhang Zuolin, dem keine Kriegslist fremd war, setzte gezielt auf psychologische Demoralisierung der feindlichen Truppen.

Drei Tage lang verharrten Guos Armee und Zhangs Truppen, nur durch den eingefrorenen Liao getrennt, einander belauernd aus und beständig schallte es aus Lautsprechern vom Ostufer her: „Brüder der Heimat! Beendet das gegenseitige Morden!“ oder „Wir sind Landsleute, eine Familie! Jene, die an Zhangs Tisch essen, dürfen doch Zhangs Leute nicht bekämpfen!“ Wohlwissend, dass man sie psychologisch unter Druck setzten wollte, zeigten die Zurufe bei Guos Soldaten dennoch Wirkung und sie gerieten zunehmend in einen Gewissenskonflikt, der die Truppe zu spalten begann.

Als das Hauptquartier Zhangs nur noch fünf Kilometer entfernt war, gab Guo den Befehl zum Angriff, doch im entscheidenden Augenblick versagte plötzlich die Artillerie. Die abgefeuerten Granaten explodierten nicht, weil sämtliche Zünder zuvor von Saboteuren entfernt worden waren. In der Nacht zum 24. 12. 1925 suchten Stabschef Zou Zuohua und zwei weitere Generäle, die bereits seit einiger Zeit als Agenten der Fengtian-Armee agierten, Guo Sungling mit der Forderung auf, die Operation abzubrechen, sich zu ergeben und per Telegramm seine Kapitulation zu erklären.

Doch so einfach wollte sich General Guo nicht dem Druck beugen und vorzeitig geschlagen geben, worauf er mit einer 200 Mann starken Garde aus Xinmin Richtung Süden ausrückte. Wären sie allesamt zu Pferde geflohen, dann hätten sie tatsächlich entkommen und einen erneuten Angriff zu einem späteren Zeitpunkt vorbereiten können. Mit Rücksicht auf seine Ehefrau, und einige Zivilberater, die nicht reiten konnten, fuhr Guo gemeinsam mit diesen in einer Kutsche. Es dauerte nicht lange, da wurden sie bereits von Zhang Zuolins Kavallerie überholt, umzingelt und gefangen genommen. Um allen Eventualitäten vorzubeugen, hatte Zhang seinen Männern den Befehl erteilt, die Gefangenen noch vor Ort zu erschießen.

Guos letzte Worte vor der Exekution waren: „Mein Vorhaben, Zhang zu stürzen, war rechtschaffen, doch ich habe versagt. Daher verdiene ich den Tod. Sollte es eine Zukunft geben für all jene, welche an die gleichen Ideale glauben, dann so, meine Mitstreiter, folgt der Spur meines Blutes!“ Seine Frau erklärte im Angesicht des Todes: „Mein Mann stirbt für unser Land, und ich sterbe für ihn. Wir haben nichts zu bereuen.“ Guo Songling war 42 Jahre alt, seine Frau, Han Shuxiu, 36. Ihre Leichen wurden nach Shenyang überführt und drei Tage lang auf dem Flussufer-Platz öffentlich zur Schau gestellt. Es war Weihnachten und es schneite stark. Nach und nach wurden die Leichen von den Schneeflocken bedeckt, bis es so wirkte, als lägen sie in einem Sarkophag aus Reinheit und Frieden. Doch niemand wagte es, ihnen die letzte Ehre zu erweisen. Nur aus der Ferne klang leise das Wehklagen der Familie und von Freunden, deren Tränen sogleich zu Eis gefroren.

Sämtliche an diesem Putsch Beteiligten und auch ihre Unterstützer sollten ausnahmslos hingerichtet werden. Da trat ein enger Vertrauter und Jugendfreund Zhangs, der für seine Weisheit und Milde bekannt war, vor und sagte: „So kannst du doch nicht vorgehen. Das sind alles unsere Landsleute. Rache bleibt nicht lange ungerächt, und wohin soll das dann führen?“ Es ist nicht bekannt, wie vielen Menschen mit diesen wenigen Worten das Leben gerettet wurde, doch unzähligen Rebellen blieb das Schicksal ihres Generals erspart. Anstatt erschossen zu werden, wurden sie sogar wieder auf ihre ehemaligen Posten gesetzt. Mit diesem Akt der Gnade sicherte sich Zhang Zuolin dauerhaft die bedingungslose Loyalität jener Männer und erweiterte zugleich den politischen Einflussbereich der Fengtian-Armee, welche dieserart gestärkt noch etliche Jahre bestehen bleiben sollte.

Nach und nach sickerten auch Informationen durch, welches Schicksal die zivilen Mitstreiter Guo Songlings ereilt hatte. Sein Generalsekretär, der prominente Politiker Lin Changmin, geriet während der Flucht durch Zufall in eine Gefechtslinie und wurde von einem Querschläger tödlich getroffen. Rao Hanxiang, der ehemalige Generalsekretär des Staatspräsidenten, hatte da etwas mehr Glück gehabt. Er wurde auf dem Weg nach Shenyang von Soldaten aufgegriffen und noch während des Transports verhört. Auf die Frage, welche Funktion er bei den Rebellen gehabt hätte, antwortete er: „Ich war Schriftführer. Ich schreibe.“ Daraufhin sagten die Soldaten, dass sie für jemanden wie ihn keinerlei Verwendung hätten, und stießen ihn einfach vom Wagen. Rao überlebte den Sturz in die Freiheit und kehrte nach Tianjin zu seinem ehemaligen Arbeitgeber, dem Ex-Präsidenten Li Yuanhong, zurück.

Was meinen Vater, Chi Shiying betraf, so wollten Zhang Zuolin und sein Sohn an ihm ein Exempel statuieren und setzten ihn auf die Fahndungsliste. Sogar ein Kopfgeld wurde ausgeschrieben, und sollte er gefasst werden, würde die Todesstrafe auf ihn warten. Für die Zhangs war es unverzeihlich, dass er Guo Sunglin und dessen Truppen zum Putsch angestiftet hatte. In jenen Tagen betrachteten die Zhangs die Mandschurei als ihren persönlichen Besitz, und mein Vater hatte ja ein Stipendium von der Regierung erhalten. Von allen Stipendiaten wurde im Gegenzug absolute Loyalität erwartet. Nach Zhang Zuolins eigener Logik verkörperte er allein die Regierung, und somit kam die Tat meines Vaters für ihn einem persönlichen Hochverrat gleich.

Im Morgengrauen des 24. Dezember 1925 war mein Vater in dem Bewusstsein zum Hauptquartier in Xinmin geeilt, dass der Angriff durch Guos Armee in Kürze beginnen würde. Für ihn galt es, die letzten Vorbereitungen für den Großeinsatz zum Überqueren des mächtigen Stromes abzuschließen. Er ahnte nicht einmal, dass General Guo mitten in der Nacht die Flucht hatte ergreifen müssen, und fand nun das Hauptquartier in einem völligen Chaos vor. Immerhin gelang es meinem Vater noch, in diesem hektischen Durcheinander fünf Mitarbeiter seiner Abteilung einzusammeln und mit ihnen gemeinsam zu flüchten. Gehetzt liefen sie zum japanischen Konsulat der Stadt, wo er bis vor einigen Tagen noch wegen des Militäreinsatzes der Japaner entlang der Eisenbahnlinie verhandelt hatte, und suchte dort Schutz. Da man ihn dort aufgrund der zahlreichen Treffen kannte, wurde ihnen rasch ein unbürokratisches politisches Asyl gewährt. Daraufhin umstellten die Soldaten der Fengtian-Armee das Konsulat und verlangten die sofortige Auslieferung der sechs Männer. Der japanische Generalkonsul in Shenyang, Yoshida Shigeru, schickte schnell zehn Polizisten zur Verstärkung nach Xinmin und verweigerte den Soldaten den Zutritt zum Konsulat. Um den Schutz der Verfolgten zu gewährleisten, reiste er kurz darauf persönlich an und hieß die Asylanten willkommen. Als Geste des Respekts hatte er ihnen sogar neues Bettzeug und eine gute Flasche Whisky mitgebracht.

Mit seiner humanitären Entscheidung bewies Yoshida Shigerus nicht nur ein hohes Maß an Zivilcourage und Verantwortungsbewusstsein, sondern rettete auch das Leben dieser sechs Männer. Diese Eigenschaften waren bezeichnend für Yoshida, der einer politisch einflussreichen Familie entstammte. Sein leiblicher Vater, Takeuchi Tsuna, war Abgeordneter und Anführer jener Parlamentsfraktion, aus der die spätere Liberale Demokratische Partei entstand. Von seinem Adoptivvater, einem engen Freund seines Vaters, hatte er ein riesiges Vermögen geerbt, um seine politischen Ambitionen verfolgen zu können. Sein Schwiegervater war der Außenminister Vizegraf Makino Nobuaki, dessen liberale Gesinnung und makrosoziologisch orientierte Politik noch viele zukünftige Generationen inspirieren sollte. Während seiner Amtszeit als Generalkonsul in Shenyang hatte Yoshida hinreichend Gelegenheit, die politische Lage in Nordchina zu beobachten. Er hatte keine sonderlich gute Meinung von Marshall Zhang und bezeichnete ihn als einen selbstsüchtigen Machthaber, weil dieser ein riesiges Land wie die Mandschurei mit einem derart großen Reichtum an natürlichen Ressourcen nur unzureichend verwaltete und sich keinen Deut um das Wohlergehen der Bevölkerung scherte, auch die Wirtschaft, Kultur und Bildung wurden zusehends vernachlässigt. Während der Zustand des Landes besorgniserregend war, trieb Zhang einzig und allein seine machtpolitischen Ambitionen durch Kriege voran. Sein Urteil über Zhang lautete: „Ignorant und kurzsichtig.“ Im engsten Kreis nannte er Zhang nie namentlich, sondern schlicht „gerittenen Bandit“. Für General Guo Songling hingegen und dessen Reformwillen empfand er großen Respekt. Als langjähriger Berufsdiplomat mit zahlreichen Auslandserfahrungen war er der festen Überzeugung, dass Japan, im Falle einer normalisierten Weltlage und willens enge Beziehungen mit einem im Wandel begriffenen Nachbarn einzugehen, in allen wesentlichen Bereichen profitieren würde. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er zum ersten Premierminister Japans ernannt. Während seiner Amtszeit konzentrierte er sich gänzlich auf den Wiederaufbau und die Modernisierung des Landes. Zudem wusste er sich die großzügige Unterstützung der USA als Besatzungsmacht zu sichern und führte Japan erfolgreich aus dem Ruin in die Phase des Wirtschaftswunders bis hin zur internationalen Wirtschaftsmacht. Als Regierungschef hat er viele talentierte Nachwuchspolitiker tatkräftig gefördert, so dass man bis heute noch den Begriff „Yoshida-Schule“ verwendet.

Chi Shiying und seine fünf Leidensgenossen waren gemeinsam in einem Gästezimmer des Konsulates untergebracht, das knapp 13 Quadratmeter maß. Die Soldaten der Fengtien-Armee belagerten das Konsulat ganze sechs Monate lang, und deshalb wagte es keiner der Flüchtlinge, tagsüber in den Hof zu gehen, da sie befürchteten, erschossen zu werden. Von den Konsulatsangestellten erfuhren sie nach und nach, was mit ihren Mitstreitern geschehen war. So hörten sie, dass General Guo Songling hingerichtet worden war und man seine Leiche drei Tage lang zur Schau gestellt hatte. Aufgebahrt auf einem Platz an einem kleinen Fluss in Shenyang und ohne irgendeine Ehrenbezeugung für diesen großartigen Mann. Darüber hinaus hatte man seine Truppe aufgelöst und die Soldaten im Zuge einer Neuorganisierung in die Fengtian-Armee eingegliedert.

Zu sechst saßen sie nun fest, eingeschlossen auf engstem Raum, und jeder Versuch, nach draußen zu gelangen, würde unweigerlich ihren Tod zur Folge haben. Sie waren General Guo während dessen weltbewegender und heldenhafter Rückkehr gefolgt. Sie hatten mit Leib und Seele an diesem Putschversuch teilgenommen und ihr Leben riskiert. Doch nun erschien ihnen das alles wie Rauchschwaden, die vor ihren Augen vorbeizogen – alles verweht und aufgelöst, dort draußen vor den Mauern ihrer Gefangenschaft. Sie waren gescheitert …

Eingeschlossen im japanischen Konsulat hatte mein Vater viel Zeit zum Nachdenken. Während der langen Tage und noch länger erscheinenden Nächte stellte er sich immer und immer wieder die Frage: Wie hatte es möglich sein können, dass die bis dahin siegreiche Armee jene letzte Entscheidungsschlacht am Liao-Fluss verloren hatte? So kurz vor ihrem Ziel, da sie in den Nächten schon die Lichter Shenyangs sehen konnten. Die Hauptstadt der Mandschurei war doch schon zum Greifen nah gewesen. Und er machte sich selbst schwere Vorwürfe: Wäre ich in jener Schicksalsnacht doch nur im Hauptquartier geblieben, dann hätte ich im Augenblick der Gefahr eine Eskorte mit dem Befehl losschicken können, Frau Guo zum japanischen Konsulat zu begleiten. Dort wäre sie in Sicherheit gewesen und der General hätte keine Rücksicht mehr auf sie nehmen müssen. Ich hätte dann mit ihm und seinen Gefolgsmännern in Windeseile zurück nach Jinzhou reiten können, wo wir zu Guos treu ergebenen Truppen gestoßen wären, die noch immer das Westufer kontrollierten. Dann wäre noch nicht alles verloren – der General hätte überlebt und wir hätten die Truppenstärke bewahren können, um einen erneuten Angriff vorzubereiten. Wir hätten noch eine zweite Chance …

So saß mein Vater monatelang versunken in nachdenklichem Schweigen und zutiefst bekümmert; O wehe, dieser unbezwingbare Strom! Unbezwingbar die Fluten, die sie nicht hatten überqueren können. Sollte das Wasser dieses Flusses die frierende Wirklichkeit sein, in der alle Bestrebungen zur diplomatischen Verhandlung und auch die Erneuerung bringenden Ideen eingefroren sind?

Mit dem Frühling kam auch die Fengtian-Armee wieder zurück und überquerte abermals die Große Mauer. In Shanhaiguan angekommen griff sie in den Bürgerkrieg zwischen den Warlords von Hebei, Shandong und Henan ein. Das japanische Konsulat in Xinmin lag nur 500 Meter von der Beijing-Shenyang-Eisenbahnlinie entfernt. Es war nicht zu überhören, dass die zunehmenden Truppen- und Versorgungstransporte des Militärs die Gleise abnutzten. Doch das schrille Kreischen der Zugräder war das geringste Problem der Menschen dort. Es waren die Soldaten der Fengtian-Armee, die den Leuten das Leben zur Hölle machten. Und es war nicht zu übersehen, dass Marschall Zhang Zuolin nur seine eigenen Interessen vor Augen hatte – das Wohlergehen des Volkes kümmerte ihn nicht die Spur. Selbst wenn mein Vater unterwegs nicht verfolgt und getötet worden wäre, so wäre es ihm unter diesen Umständen dennoch unmöglich gewesen, nach Hause zurückzukehren. Ihm blieb nur noch die Hoffnung zu entfliehen und irgendwo anders zu überleben:

„Und wäre ich auch der Letzte, den man am Leben ließe – ich werde dieses Übel bis zum letzten Atemzug bekämpfen!“

Das schwache Licht des abnehmenden Sichelmondes vermochte kaum die Dunkelheit der Nacht zu durchdringen, als den sechs Männern am 1. Juli 1926 mit Hilfe von Angehörigen des japanischen Konsulates die Flucht gelang. Der Konsulatssekretär Nakata Chiyoda und der Polizeibeamte Kanei Fusataro waren Sympathisanten von General Guo. Sie besorgten unauffällige Verkleidungen und halfen den Flüchtenden, die hohe Konsulatsmauer zu überwinden. Im Schutz der Dunkelheit passierten sie die Absperrung, ohne von den Fengtian-Soldaten bemerkt zu werden, deren Aufmerksamkeit nach all den Monaten nachgelassen hatte, und marschierten dann 30 Kilometer entlang der Eisenbahnschienen bis nach Xinglongdien. Dort wurden sie von japanischen Freunden in Empfang genommen, die sie nach Huanggutun brachten, einem kleinen Dorf etwa fünf Kilometer westlich von Shenyangs Altstadt. Hier trafen sich der 27-jährige Chi Shiying und der 48-jährige Yoshida Shigeru wieder und führten zum ersten Mal ein richtiges Gespräch miteinander. Es war ein langes und anregendes Nachtgespräch, bei dem sie Meinungen und Gedanken austauschten und sich besser kennenlernten. Yoshida war von dem aufrichtigen, kultivierten jungen Mann mit seinen innovativen Ideen sehr beeindruckt. Als Diplomat musste er offiziell die neutrale Haltung Japans vertreten, dennoch hatte er den politisch Verfolgten Zuflucht gewährt und sie aus den Fängen von Marschall Zhang Zuolin gerettet. Dass er den Männern dann noch zur Flucht verholfen hatte, bewies durchaus seine Aufgeklärtheit und eine versteckte Sympathie für die Helden der „Sturm und Drang-Epoche“ des modernen China. Mein Vater war zutiefst dankbar für die helfende Hand, die ihm gerade noch rechtzeitig gereicht worden war, und als er seinen Retter nach Ende des Zweiten Weltkrieges wiedertraf, entwickelte er sich zu einem glühenden Bewunderer Yoshidas. Vor allem dessen Einschätzung der Weltlage und Weitsichtigkeit beeindruckten ihn zutiefst, sowie dessen Haltung zu Bildung und Förderung junger Talente, die er voll und ganz teilte.

Nach dem Treffen mit Yoshida reiste mein Vater, noch immer verkleidet, von Liaoning in den Süden der koreanischen Halbinsel nach Busan, nahm von dort aus die Fähre nach Japan. Dort angekommen stieg er schließlich in den Zug nach Tokio. Während eines Zwischenhaltes in Kyoto wurde er zu seiner großen Überraschung von japanischen Journalisten belagert. Bereits am nächsten Morgen erschienen Zeitungsartikel, die nur so strotzten von erfundenen Details und irreführenden Aussagen. Mein Vater, der sich zu den Ereignissen nicht hatte äußern wollen, entschied sich daraufhin, doch einige Interviews zu geben, um eine Richtigstellung zu erwirken. Ausführlich berichtete er über die Ideale von General Guo Songling und schilderte den tatsächlichen Hergang der Militäroperation gegen Zhang Zuolin. Die Interviews wurden nicht nur in sämtlichen japanischen Tageszeitungen veröffentlicht, sondern verbreiteten sich auch wie ein Lauffeuer binnen kürzester Zeit in China. Bereits kurz nach seiner Ankunft in Tokio erhielt er eine Einladung als Ehrengast für eine Theateraufführung im Stadtteil Asakusa. Das Theater zeigte die Geschichte des Putsches in der Mandschurei als Erstaufführung und die Person des Chi Shiying spielte darin eine maßgebliche Rolle. Für den echten Chi war es ein seltsames Gefühl, sich selbst zuzuschauen. Von dem ursprünglich kühnen Unterfangen, das Schicksal der Mandschurei zum Besseren zu wenden, war nichts als dieses Schauspiel übrig geblieben.

Als er Japan wieder verließ und nach Tianjin zurückkehrte, fand er das Machtgerangel der nordchinesischen Politiker noch in vollem Gange vor. Die alten und neuen Kabinettsminister der Beiyang-Regierung waren nicht willens oder einfach nicht in der Lage, ihre Meinungsverschiedenheiten beizulegen. Mein Vater konnte nicht in die Heimat zurück und hatte weder die Mittel noch die Intention, nach Deutschland zurückzukehren, um sein Studium fortzusetzen. In der italienischen Konzession besuchte er den einflussreichen Politiker General Huang Fu, der ein alter Freund von General Guo war, um sich für dessen schnelle finanzielle Hilfe zu bedanken, als er und seine Mitstreiter im japanischen Konsulat festsaßen. Huang riet ihm zuerst nach Shanghai zu gehen, um von dort aus die politische Entwicklung Chinas zu beobachten und dann erst eine endgültige Entscheidung zu treffen, wohin er gehen wollte. Huang selbst sollte im Jahr darauf zum ersten Bürgermeister der Stadt Shanghai ernannt werden. Mein Vater nahm sich den Rat zu Herzen und reiste erst nach Shanghai und einige Zeit später dann nach Wuchang, da er erfahren hatte, dass Guo Songlings Putschversuch unter den Anhängern der revolutionären Südregierung auf große Sympathien gestoßen war. Auf sich allein gestellt und ohne konkrete Ziele entwickelte er eine Mentalität, die charakteristisch war für all jene, die in der Verbannung lebten: Er machte sich auf die Suche nach Schicksalsgefährten. Auf diese Weise fand er zahlreiche ehemalige Kommilitonen aus seiner Studienzeit in Japan und Deutschland wieder. Im Süden Chinas hatten die Kuomintang (KMT) und die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) gerade erste Bemühungen unternommen, vorsichtig die Grundlagen einer Allianz zu erörtern, aus der später die Erste Einheitsfront Chinas entstehen sollte.

Mein Vater machte schnell die Bekanntschaft von vielen jungen Revolutionären beider Lager, nahm an deren Massenkundgebungen teil, besuchte ihre Parteitreffen, wo er sich die emotionalen Reden anhörte, und führte ungewöhnlich offenherzige Gespräche mit ihnen. Da mein Vater als Guos Hauptmitstreiter ein überall gerngesehener Gast war, gewann er in kurzer Zeit das Vertrauen vieler unterschiedlicher Menschen. Nachdem er die verschiedenen Propaganda-Broschüren studiert und sich eingehend mit den Ideologien beider Parteien auseinandergesetzt hatte, gelangte er zu der Überzeugung, dass die Drei Prinzipien des Volkes der nationalistischen KMT – Volksgemeinschaft, Volksrechte und Volkswohlfahrt – für China in seiner gegenwärtigen Situation den praktikabelsten und auf Dauer stabilsten Kurs gewährleisten würden. Außerdem beeindruckte ihn das hohe Bildungsniveau der meisten KMT-Mitglieder, darunter viele gewinnende Persönlichkeiten von ausgezeichnetem Format und mit einer untadeligen Reputation. Derart beeindruckt trat er Ende 1926 der Nationalen Volkspartei-KMT in Shanghai bei. Als Chiang Kai-Shek meinem Vater zum ersten Mal in Nanchang begegnete, sagte er: „Nun, Sie sehen gar nicht aus wie jemand aus dem Nordosten.“ Eine Bemerkung, die mein Vater niemals wieder vergessen würde, obwohl Chiang damals noch nicht der übermächtige Anführer war. Dreißig Jahre später, als er meinem Vater die Parteimitgliedschaft entzog, erkannte der alte Generalissimus aus Zhejiang zu guter Letzt doch noch, dass der durchaus zuvorkommende Chi Shiying im Grunde sehr wohl die Unnachgiebigkeit und das unbeugsame Wesen besaß, das den waschechten Männern aus dem Nordosten zu eigen war.

Nachdem mein Vater der KMT beigetreten war, pendelte er häufig zwischen Shanghai und Wuchang. Manchmal begleitete er Huang Fu nach Nanchang, dem Sitz der KMT-Zentrale. Chiang Kai-Shek war seit vielen Jahren ein enger Freund Huangs, und wenn die beiden gemeinsam zum Essen gingen, dann wurde Vater regelmäßig eingeladen, sich ihnen anzuschließen. In jenen Tagen lernte er unter anderem auch die einflussreichen Chen-Brüder, Guofu und Lifu, kennen, welche später innerhalb der Partei den Beinamen Anführer der CC-Clique bekamen. Als es wenig später zu einer Spaltung innerhalb der KMT kam, verlegte der linke Flügel unter der Führung von Wang Jingwei seine Parteizentrale nach Hankou, welches heute ebenfalls ein Stadtteil von Wuhan ist, und versuchte dort, die Regierung zu etablieren. Chiang wiederum erklärte daraufhin das gerade von ihm eroberte Nanking zum neuen Hauptsitz der Partei und rief dort am 18. April 1927 die Bildung der neuen Nationalregierung unter seiner Führung aus. Diese Ereignisse führten unter anderem zum endgültigen Bruch der KPCh mit der KMT im Herbst desselben Jahres. Während dieser Zeit lernte mein Vater in Nanchang, Jiujiang und Hangzhou viele bedeutende und einflussreiche Politakteure kennen und erlangte einen zunehmend tieferen Einblick in die vorherrschenden Zustände innerhalb der KMT und deren Beziehungen zur Kommunistischen Partei Chinas. In diesem Jahr war er auch mehrmals nach Japan gereist, um das Nachbarland eingehender zu beobachten und zu erforschen. Aus seiner Zeit in Guo Songlings Armee, als diese den revolutionären Militäraufstand gewagt hatte, war ihm vor allem die Erkenntnis gegenwärtig: Nach all den politischen Höhen und Tiefen, deren Zeuge er geworden war, benötigte er unbedingt mehr militärisches Wissen, wenn er weiterhin in der Politik tätig sein wollte. 1928 besuchte mein Vater im Rang eines chinesischen Oberleutnants die Infanterieschule der Kaiserlich Japanischen Armee. Bevor der Lehrgang begann, absolvierte er das vorgeschriebene Praktikum als stellvertretender Kompaniechef des 30. Infanterie-Regiments der legendären 13. Takada-Division. Während seiner Zeit an der Infanterieschule fuhr er jedes Wochenende mit dem Nachtzug nach Tokio, um sich mit seinen Freunden zu treffen. Er lernte dort auch etliche junge Offiziere aus China kennen. Die meisten von ihnen waren Absolventen des ersten Jahrgangs der von Chiang Kai-Shek gegründeten Huangpu-Militärakademie, deren erster Kommandant er selbst war. Mein Vater besaß aufgrund seiner Studienzeit in Kanazawa ausgezeichnete Kenntnisse der Sprache, des Landes und der Mentalität, so dass er den jungen Männern viele gute Ratschläge geben konnte. Er beschäftigte sich intensiv mit der Militärgeschichte Japans und machte sich mit der Philosophie des Shogun-Zeitalters vertraut, wobei ihn im Besonderen der Ehrenkodex des Bushido, also die Seele des Kriegers, faszinierte. Ferner studierte er zielbewusst die Modernisierung des Militärs seit der Meiji-Restauration und die Entwicklung des japanischen Expansionismus im 20. Jahrhundert. Aus seiner Studienzeit in Japan unterhielt er noch zahlreiche Kontakte vor Ort, und gelegentlich traf er sich mit seinen japanischen Klassenkameraden, um gemeinsam mit ihnen in Jugenderinnerungen zu schwelgen. Die meisten jener intellektuellen Freunde waren sehr an der Mandschurei interessiert, und als Guo Songlings Gefolgsmann war mein Vater ein stets willkommener Gesprächspartner. Doch er war nicht nur ein guter Erzähler, sondern auch ein sehr guter Zuhörer, und so erfuhr er mit der Zeit durch die freimütigen Gespräche sehr viel mehr über die wahren Absichten Japans in Bezug auf die Mandschurei, welche ihn zutiefst beunruhigten.

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