Kitabı oku: «Geschichtsmatura», sayfa 10
4.4 Kompetenzorientierte Reifeprüfung in GSPB: Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren
4.4.1 Zum Verhältnis von Unterrichtsorganisation und Prüfung
Reifeprüfungen haben kompetenzorientiert zu sein, unabhängig davon, sie schriftlich oder mündlich abgelegt werden.503 Das Unterrichtsfach GSPB ist an den österreichischen AHS sowohl ein Pflicht- als auch ein Wahlpflichtgegenstand (WPG). Das Pflichtfach wird an den Langformen der Gymnasien und Realgymnasien von der 6. bis zur 12. Schulstufe unterrichtet und an den Oberstufenrealgymnasien von der 9./10. bis zur 12./13. Schulstufe.504 Die Stundentafel sieht für den gesamten Bildungsweg der Sekundarstufe eine Jahreswochenstunden-Bandbreite (JWST) von mindestens 12 und maximal 14 JWST vor. Je eine JWST ist in jeder der beiden Sekundarstufe schulautonom veränderbar, d. h., sie kann vom Fach abgezweigt und für standortbezogene Schwerpunktsetzungen verwendet werden. Der WPG ist in der Sekundarstufe II angesiedelt und kann zwei oder vier JWST umfassen. Besucht ein*e Schüler*in nebst dem Pflichtgegenstand analog den vertiefenden WPG, ist es möglich, dass er*sie auf 16 bis 18 JWST Geschichtsunterricht kommt. Die quantitativen Aspekte sind eingeschränkt steuerbar und von mehreren Faktoren (Schulwahl, Entschluss den WPG zu besuchen) abhängig. Der organisatorische Rahmen wurde von der Reifeprüfungsreform 2010 nicht berührt.
In Österreich ist die GSPB-Reifeprüfung ausschließlich mündlich und individuell konzipiert. Die Aufgaben werden von der klassenführenden Lehrperson zusammengestellt und entstammen einem Themenpool, der von der gesamten Fachkollegenschaft der Schule für eine oder mehrere Klassen eines Jahrgangs beschlossen wird. Die Anzahl der im Unterricht zu erarbeitenden Themen korreliert mit den zur Verfügung stehenden JWST dergestalt, dass wahlweise zwei oder drei zu behandelnde Themenbereiche das Äquivalent für eine JWST bilden. Die Menge der zu erarbeitenden Prüfungsthemen kann daher zwischen acht (ein WPG zu vier JWST) und 18 (Pflichtfach zu acht JWST) schwanken.505 In beiden Fällen wird eine Reifeprüfung mit derselben rechtlichen Qualität (Studienberechtigung) abgelegt, weil es nicht mehr um den Nachweis des Beherrschens von Stoffquantitäten geht,506 sondern um historische Denkprozesse und die Exploration von Elementen des Geschichtsbewusstseins. Da die zu messenden Kompetenzen nicht nur im WPG erworben, sondern maßgeblich mittels Regelunterrichts aufgebaut werden, müsste der*die Kandidat*in den geforderten Nachweis ihrer Anwendung auch dann zu erbringen vermögen, wenn die Prüfung ihren Ausgangspunkt vom WPG nimmt.507 Die Anzahl der zu erlernenden Themen hängt daher, so die Annahme, hauptsächlich von der Bildungsplanung der Schüler*innen ab,508 in einem eingeschränkten Maß aber auch von autonomen Schwerpunktsetzungen der Schulen.509 Die meisten Kärntner Gymnasien bieten das Pflichtfach mit sieben JWST (14–18 Themen) an.
4.4.2 Die autoritativen Vorgaben
In Österreich hat jede Lehrperson die Freiheit der Wahl der Unterrichtsmethoden, um den Bildungsertrag sicherzustellen.510 Die Bildungsziele sind Produkte eines gesellschaftlichen Aushandlungsprozesses, werden in den Lehrplänen festgelegt und verpflichtend vorgegeben. Daher gilt es, die legistischen Bedingungen und deren Bedeutung für den kompetenzorientierten Geschichtsunterricht zu erörtern. Jede Lehrperson, die vor die Aufgabe gestellt ist, eine Reifeprüfung abzuhalten, hat in der inhaltlichen Vorbereitung und der Durchführung der Prüfung drei autoritative Ebenen – das „dreifache(s) Konformitätspostulat“511 – zu berücksichtigen, nämlich die gesetzlichen Bestimmungen, die daraus erwachsenen Verordnungen und die Empfehlungen für die Unterrichtspraxis. In Österreich ist die gesetzliche Grundlage des Unterrichts im öffentlichen Schulwesen das Schulunterrichtsgesetz (SchUG) aus 1962, ein Rahmengesetz, das u. a. das „abschließende Prüfungswesen“ regelt. Mit der Novelle vom 19. Juli 2010 wurde es geändert, um die Reifeprüfung in einigen Fächern zu zentralisieren, eine verpflichtende abschließende Arbeit mit semi-wissenschaftlichem Charakter zu implementieren und kompetenzorientierte Prüfungsverfahren für alle Teile der Maturitätsprüfung zu ermöglichen. Der §37 regelt Prüfungsgebiete, Aufgabenstellungen und den Prüfungsvorgang in allgemein gehaltenen Bestimmungen. Das didaktische Prinzip der Kompetenzorientierung wird darin nur andeutungsweise erkennbar, wenn es in Abs. 3 heißt: „Die Prüfung ist so zu gestalten, dass der Prüfungskandidat bei der Lösung der Aufgaben seine Kenntnisse des Prüfungsgebietes, seine Einsicht in die Zusammenhänge zwischen verschiedenen Stoffgebieten sowie seine Eigenständigkeit im Denken und in der Anwendung des Lehrstoffs nachweisen kann.“512 Die Novelle eröffnete der Bildungspolitik jedoch die Möglichkeit, auf Verordnungswege „[…] die näheren Bestimmungen über die Prüfungsgebiete, die Aufgabenstellungen und die Durchführung der Prüfungen festzulegen“.513 Und so erfolgte mit der Reifeprüfungsverordnung (RPVO) vom 30. Mai 2012 eine Definition dessen, was das österreichische Bildungsministerium unter kompetenzorientierten mündlichen Prüfungen verstanden wissen will, formuliert im §29/1. „Im Rahmen der mündlichen Teilprüfung ist jeder Prüfungskandidatin und jedem Prüfungskandidaten im gewählten Themenbereich eine kompetenzorientierte Aufgabenstellung, welche in voneinander unabhängige Aufgaben mit Anforderungen in den Bereichen der reproduktions- und Transferleistungen sowie der Reflexion und Problemlösung gegliedert sein kann, schriftlich vorzulegen“.514 Es ist festzuhalten, dass das Ministerium seiner Kompetenzdefinition die deutschen EPA-Kriterien515 zu Grunde legt. Auch in Österreich wird die Kompetenzmessung im Rahmen der Reifeprüfung durch AFB gestaltet. Es fällt auf, dass die Formulierung des §29/1 der RPVO keine inhaltliche Gewichtung verlangt. Man kann die Verordnung so lesen, dass zwei gleichrangige strukturelle Gliederungselemente (Reproduktion und Transfer sowie Reflexion und Problemlösen) gewünscht sind, oder auch drei (Reproduktion, Transfer, Reflexion und Problemlösen). Klar ist, dass die Aufgabenstellung gemäß den (zwei oder drei) AFB gestaltet werden muss. Die Konfiguration ist dem*der Autor*in der Aufgabenstellung überlassen. Eine Strukturierung nach TA ist zwar gewünscht, aber nicht vorgegeben („… gegliedert sein kann“516). Schließlich ist eine Gewichtung der Anforderungen, wie sie die EPA vorsieht, oder ein Hinweis auf zu erreichende Niveaustufen, wie Friedrich Öhl das aus seiner Empfehlung zum diagnostischen Umgang mit den AFB und den Operatoren angeregt hat,517 aus den offiziellen Vorgaben nicht ablesbar.
Ungeachtet des Fehlens von Aussagen zu Kompetenzniveaus, ist die Prüfungsleistung der Kandidat*innen zu beschreiben, zu gewichten und einschätzend zu beurteilen. Die Grundlage dafür bietet die 1974 erlassene Leistungsbeurteilungsverordnung (LBVO), die jedoch nicht als Instrument der Kompetenzmessung konzipiert worden war. Zwar ist in den Grundsätzen festgehalten, der „[…] Maßstab für die Beurteilung sind die Forderungen des Lehrplans“,518 sodass man prinzipiell aus dem Bildungsplan Hinweise auf Kompetenzen und Kompetenzgrade ableiten kann.519 Prüfende sind vor der Herausforderung gestanden, ein persönliches System zu entwickeln, das die Überführung manifest gewordener Kompetenzen in die Beurteilungsstufen der LBVO erlaubt.520 Eine Orientierungshilfe bietet die Arbeitsgruppe der Geschichtsdidaktiker*innen (Künftig: AG). Sie weist dem Aspekt der Eigenständigkeit der Schüler*innen-Leistung die Schlüsselrolle in der Urteilsfindung zu, er bilde das Relais zwischen der Leistungsdefinition der LBVO und den Zielen der Kompetenzorientierung.521 Leistungen sind demnach mit „Sehr gut (1)“ zu beurteilen, wenn der*die Schüler*in die Aufgaben: „[…] in weit über das Wesentliche hinausgehendem Ausmaß erfüllt und […] deutliche Eigenständigkeit bzw. die Fähigkeit zur selbständigen (sic!) Anwendung seines Wissens und Könnens auf für ihn neuartige Aufgaben zeigt“. Mit „Gut (2)“ sind Leistungen zu beurteilen, wenn der*die Schüler*in die Aufgaben in „[…] über das Wesentliche hinausgehendem Ausmaß erfüllt und […] merkliche Ansätze zur Eigenständigkeit […] zeigt“. Mit „Befriedigend (3)“ ist zu beurteilen, wenn der*die Schüler*in die Aufgaben „[…] in den wesentlichen Bereichen zur Gänze erfüllt; dabei werden Mängel in der Durchführung durch merkliche Ansätze zur Eigenständigkeit ausgeglichen“. Mit „Genügend (4)“ ist zu beurteilen, wenn der*die Schüler*in die Anforderungen der Aufgaben „[…] in den wesentlichen Bereichen überwiegend erfüllt“. Mit „Nicht genügend (5)“ ist zu beurteilen, wenn der*die Schüler*in „[…] nicht einmal alle Erfordernisse für die Beurteilung mit Genügend erfüllt.“522 Öhl kritisiert die fehlende Konsistenz von Anspruch und Recht, wenn er feststellt, dass die LBVO eine positive Prüfungsbeurteilung auch bei ausschließlich reproduktiver Leistung (Wiedergabe des im Unterricht vorgetragenen bzw. erarbeiteten inhaltszentrierten Lehrstoffs) erlaubt. Sie ermöglicht aber Aufgabenstellungen, die Argumente evozieren und somit das „[…] Herausarbeiten von Prämissen und Denkmustern für die Zuordnung einer besonderen Bedeutung“523 und deren Reflexion. Werden entsprechende Aufgaben konzipiert, schlägt Öhl die „[…] Plausibilität und Triftigkeit von Argumenten und Gegenargumenten und deren Reichweite und Folgerichtigkeit“524 als Bewertungskriterien vor. Damit werde nicht eine (oberflächliche) „Meinung“ beurteilt, sondern die „Fähigkeit, einen […] Standpunkt schlüssig und unter Heranziehung geeigneter Faktoren zu argumentieren und zu reflektieren“.525 Auf diese Weise könnte eine „historische Denkleistung“526 sichtbar gemacht, gestuft und bewertet werden.527 Staatlich verordnet ist eine Passung von Kompetenzmessung und Leistungsbeurteilung nicht. Für eine*n Prüfende*n ergibt sich aus den amtlichen Bestimmungen der Auftrag zur Konzeption kompetenzorientierter Aufgabenstellungen, deren Charakteristikum die Berücksichtigung der AFB ist. Aus den Antworten der Kandidat*innen ist eine Leistungseinschätzung zu gewinnen, die in die Beurteilungsstufen der LBVO übergeführt werden muss. Das Kompetenzmodell und die Stufung der Kompetenzen sind nicht explizit berücksichtigt.
Der Bereich der Lehrpläne war im Untersuchungszeitraum (2015) eine merkwürdige Situation charakterisiert. Im Lehrplan der Sekundarstufe II, in der im Unterricht auf die Matura vorbereitet wird, war Kompetenzorientierung nicht verankert, sieht man davon ab, dass in der „Bildungs- und Lehraufgabe“ von „politische(r) Handlungskompetenz“ die Rede gewesen ist. Einen Bezug auf ein fachdidaktisches Kompetenzmodell gibt es nicht.528 Demgegenüber heißt es im Lehrplan der Sekundarstufe I seit 2008,529 der Unterricht habe den Schülern zu ermöglichen, „[…] historische und politische Kompetenzen zu erwerben“.530 Er listet die Kompetenzbereiche nach FUER auf und beschreibt sie in prägnanter Weise. Die Lehrpersonen werden ausdrücklich dazu angehalten, „[…] die Kompetenzen zum Ausgangspunkt der Unterrichtsplanung und -gestaltung“ zu machen, „die historischen und politischen Kompetenzen […] anhand konkreter Themen zu entwickeln“ und die „zukünftige Lebenssituation“ der Schüler*innen in ihre Planungs- und Unterrichtarbeit mit einzubeziehen.531 Für eine in juristischen Kategorien denkende Lehrperson des Jahres 2015 bedeutete das, dass sie entweder den Auftrag des Lehrplans der Sekundarstufe I in Eigenverantwortung in die Sekundarstufe II transferierte oder in der Sekundarstufe II, unter Berufung auf den Grundsatz der Methodenfreiheit, das didaktische Prinzip der Kompetenzorientierung negieren konnte. Der Wille der Bildungspolitik, kompetenzorientierten Geschichtsunterricht zu etablieren, konnte umgangen werden. Es ist anzumerken, dass die Bildungspolitik diese Lücke inzwischen geschlossen hat. Mit dem Schuljahr 2016/17 trat ein explizit kompetenzorientierter Lehrplan für die Sekundarstufe I532 in Kraft und mit 2018/19 einer für die Sekundarstufe II533. Das bedeutet, dass frühestens 2022 nach kompetenzorientierten Lehrplänen unterrichtete Schüler*innen die Reifeprüfung ablegen.534 Der neue Lehrplan für die Sekundarstufe II rekurriert auf die Kompetenzmodelle von FUER (historische Bildung) und von Krammer et all. (politische Bildung). „Ziel ist es, in allen Schulstufen historisches Denken bzw. politisches Denken und Handeln zu vermitteln, um das angestrebte reflektierte und (selbst)reflexive Geschichts- und Politikbewusstsein zu erreichen“.535 Die historisch-politische Bewusstseinsbildung soll sich an Werten orientieren und mit Hilfe „[…] einer differenzierten Betrachtungsweise […]“536 und der Fähigkeit, „[…] Sachverhalte und Probleme in ihrer Vielschichtigkeit […]“537 zu erkennen, ausgeformt werden. Zu konkretisieren sind die Ziele anhand historischer und politischer Konzepte und Kategorien. Eine weitere Innovation besteht darin, dass sich die Pläne der Sekundarstufen I und II als Einheit verstehen. Die in der Sekundarstufe I „[…] grundgelegten historischen und politischen Kompetenzen werden in der Sekundarstufe II auf ein höheres Niveau weiterentwickelt“.538 Die Auswahl der Themen obliegt der Lehrperson mit der Auflage, sie „[…] bezogen auf die zu erwerbenden Kompetenzen sorgfältig und begründet auszuwählen“.539 Es ist darauf zu achten, dass die Schüler*innen „[…] durchgängig und ausgewogen mit verschiedenen Anforderungsbereichen (Reproduktion, Transfer und Reflexion) konfrontiert […]“540 werden. Die „anzubahnenden“ und „abzusichernden“ Kompetenzen sind verbindlich vorgegeben und Operationen zu deren Einübung werden aufgelistet. Es heißt ausdrücklich, dass „[…] alle angeführten Kompetenzen in ausreichendem und ausgewogenem Maße im Unterricht berücksichtigt werden und im Mittelpunkt des Unterrichts stehen“.541 Von der Lehrperson verlangt dieser Anspruch ein hohes Maß an fachwissenschaftlicher Kenntnis und tiefe Einsichten in die fachdidaktischen Ziele der beiden Kompetenz-Strukturmodelle. Für den Untersuchungszeitraum sind Lehrpläne und Bildungsziele jedoch widersprüchlich gewesen und haben in der Unterrichtspraxis Irritationen ausgelöst. Nicht wenige Lehrer*innen fühlten sich in einem Dilemma zwischen dem Anspruch, eine kompetenzorientierte Reifeprüfung vorzubereiten und der Erfüllung des rechtskräftigen Lehrplans aus 1985, der anderen Paradigmen verpflichtet gewesen ist. Erklärbar ist das merkwürdige Vorgehen der Bildungspolitik durch die mit der PISA-Dynamik verbundenen Eile zur Einleitung organisatorischer und strukturelle Veränderungen im Schulsystem.542 Jedenfalls wurde ein konsequenter, sachlogischer und schrittweiser Umbau des Schulunterrichts auf dem Altar jener Teilreformen geopfert, die die Bildungspolitik als prioritär festgelegt hat.
4.4.3 Empfehlungen für die Unterrichtspraxis
Um den amtlichen Vorgaben den Weg in die Schulpraxis zu ebnen, hat das Bildungsministerium eine AG aus Persönlichkeiten der Lehrer*innen-Fortbildung, der Schulleitung und der Schulaufsicht mit dem Auftrag installiert,543 eine „Handreichung“544 zu verfassen, um „[…] eine rechtzeitige Einstimmung der Lehrerschaft und eine seriöse Vorbereitung der Prüfungskandidat(innen)en zu ermöglichen und Irritationen zu vermeiden.“545 Die Schrift erscheint acht Monate vor dem ersten Durchgang der kompetenzorientierten Reifeprüfung und soll, ihrem Selbstverständnis nach, als Zusammenschau und Auslegung des SCHUG, der RPVO und der LBVO gelesen werden. Die Autoren*innen stellen fest, dass es dem Gesetzgeber bei der Verordnung der mündlichen Reifeprüfung nicht primär um eine Standardisierung der Leistungsanforderungen gegangen sei, sondern darum, die „[…] Objektivität und Verlässlichkeit der Reifeprüfung zu vermehren und die Vergleichbarkeit mit europäischen Standards zu sichern […].“ Zugleich wird festgehalten, es blieben „trotz aller Standardisierung […] autonome Schwerpunktsetzungen der Schulen und individuelle Prioritäten der Kandidatinnen und Kandidaten“546 gewahrt. Die AG hebt hervor, dass das Hauptziel der Reform eine „[…] deutliche Kompetenzorientierung bei den Aufgabenstellungen und eine Rückwirkung auf den Unterricht“547 gewesen sei. Unter Berufung auf einen Beitrag in „Praxis Politik“ aus dem Jahr 2007,548 wird in einer Punktation zu verdeutlichen versucht, was unter dem Kernelement der kompetenzorientierten Aufgabenstellung, den Anforderungsbereichen (AFB), zu verstehen ist: „Eine Reproduktionsleistung (fachspezifische Sachverhalte wiedergeben und darstellen, Art des Materials bestimmen, Informationen aus Material entnehmen, Fachtermini verwenden, Arbeitstechniken anwenden etc.) und eine Transferleistung (Zusammenhänge erklären, Sachverhalte verknüpfen und einordnen, Materialien analysieren, Sach- und Werturteile unterscheiden) sowie Leistungen im Bereich von Reflexion und Problemlösungen (Sachverhalte und Problem erörtern, Hypothesen entwickeln, eigene Urteilsbildung reflektieren).“549 Und es gibt, mit der Hervorhebung des Aspekts der „Beurteilung der Eigenständigkeit“,550 einen Hinweis darauf, wie die ergründeten Kompetenzen in Noten transferiert werden können. Mit der Klärung der Funktion der AFB und der Empfehlung eines Arrangements in drei Stufen (Reproduktion, Transfer, Reflexion) gelingt den Autoren*innen eine Präzisierung der Ansprüche an eine kompetenzorientierte Aufgabenstellung.551 Zudem tritt erstmals der Begriff „Material“ in Erscheinung und das in einer apodiktischer Weise, sodass der Eindruck entsteht, die AFB I und II seien nur materialbezogen bewältigbar. Dies ist zwar didaktisch wünschenswert, trägt aber den Charakter einer Empfehlung, denn weder SCHUG noch RPVO sprechen davon, dass mit „Material“ gearbeitet werden muss. Das deutsche Zentralabitur sieht die Möglichkeit von Aufgabenstellungen ohne Materialbearbeitung vor und hat auch dafür Empfehlungen vorgelegt.552
Parallel zur Abfassung der Handreichung beauftragte das Ministerium ein Team von Fachdidaktiker*innen aus der Gesellschaft für Geschichtsdidaktik Österreich (GDÖ)553 mit der Ausarbeitung eines fachlichen „Leitfadens“,554 um die Aussagen der Handreichung domänenspezifisch einzuordnen. Der Leitfaden erklärt die Struktur der Aufgabenstellungen, deren Passung zum Geschichtsunterricht, widmet sich der Auslegung der Rolle der Operatoren für die Formulierung von TA, reflektiert in prägnanter Weise den Stand der fachdidaktischen Diskussion und weist auf die geschichtsdidaktischen und inhaltlichen Prinzipien hin, deren Beachtung den Unterricht kompetenzorientiert wendet und er beinhaltet einen Musterthemenpool samt Musteraufgaben. Michael Sörös betont in seiner Einleitung, dass es bei der Reifeprüfung um einen Transfer des Wissens in Können gehe. Da die Aufgaben nicht zentral erstellt würden, sei deren Gestaltung durch Lehrer*innen besondere Bedeutung zuzumessen. Die Aufgabenersteller hätten die AFB zu berücksichtigen, den zielgerichteten Einsatz von Operatoren und die Kongruenz von Thema und Aufgabe. Außerdem müsse jeder Aufgabe eine Quelle oder Darstellung zur Bearbeitung, die „[…] nicht nur illustrativen Charakter hat, sondern deutlich in die Aufgabenstellung einbezogen wird“555, beigegeben werden. Damit präzisiert der Leitfaden die Empfehlung vom verpflichtenden Materialeinsatz aus der Handreichung. Das Autor*innen-Team gibt sich optimistisch, dass die die Umorientierung im Unterricht von der „reinen Wissensvermittlung“ hin zu „Tools“,556 deren analytische und lebenspraktische Anwendung es jungen Menschen ermöglichen sollte, historische und politische Themen zu verstehen, gelingt, sofern den Empfehlungen Folge geleistet wird.
5. Zum Methodenproblem bei der Untersuchung historischer Kompetenzen
5.1 Zur „empirischen Wende“ in der Fachdidaktik und zum Diagnosebedarf fachlicher Kompetenzen, ein Problemaufriss
In der Geschichtsdidaktik ist man sukzessive zur Auffassung gelangt, dass es opportun ist, eigene theoretische Modelle empirisch zu überprüfen, weil die in den Sozialwissenschaften dominante quantitative Forschung die inhaltliche Durchdringung didaktischer Fragen mitunter zurücksetzt. Im Gefolge des „PISA-Schocks“ haben sich mehrere Richtungen empirischer Geschichtsdidaktik-Forschung ausgebildet, deren Kategorisierung einer grundsätzlichen Orientierung dient, denn festgelegte Abgrenzungen werden, um des Erkenntnisinteresses willen, mit Absicht vermieden.557 Somit beschreibt und analysiert die Phänomen-Forschung tendenziell Erscheinungsformen des Unterrichts. Ihre Desiderate präsentieren und kommentieren vor allem „Good-Practice-Examples“ und liefern Erkenntnisse für die Curriculums-Entwicklung.558 Während die Ergebnisforschung Schüler*innen-Leistungen, aber auch Interessen, Einstellungen und Fähigkeiten der jungen Menschen im Kontext konkreter Unterrichtsarbeit untersucht,559 hat die Wirkungsforschung die Analyse der Zusammenhänge von Bedingungen für Unterrichtsarbeit und deren Produkten zum Inhalt, um deren Faktoren für Unterricht zu identifizieren und für Lernangebote nutzbar zu machen.560 Die Auswirkung von Impulsen von außen auf das komplexe Gefüge von Unterricht beobachtet und untersucht Interventionsforschung.561 Geschichtsbewusstseinsforschung berücksichtigt entwicklungspsychologische Faktoren zum Zweck des Verstehens und Nutzens individueller Lern- und Denksysteme. Ihr Ziel ist es, Unterricht so zu beeinflussen, dass er die Entwicklung des historischen Bewusstseins fördert.562
Es gibt somit Konsens darüber, dass Kompetenzen (bildungspolitische Fragen, Überprüfung fachspezifischer Modelle auf deren Tauglichkeit für die schulische Praxis) untersucht werden müssen. Die Eignung von Modellen wird in erster Linie im Erreichen bestimmter Kompetenzniveaus durch Schüler*innen evident, weshalb die Untersuchungsmethode „Kompetenzmessung“ heißt. Zugeordnet wird sie Ergebnis- und der Geschichtsbewusstseinsforschung. Das Vorhaben ist herausfordernd, weil die domänenspezifische Theoriebildung nicht abgeschlossen ist und sich die Ausdifferenzierung theoretischer Zusammenhänge als komplex darstellt. Voraussetzung einer seriösen Kompetenzmessung wäre eine „[…] eindeutige Definition grundlegender theoretischer Konstrukte und eine Kontrolle von Interdependenzen zwischen einzelnen Konstrukten eines größeren theoretischen Zusammenhangs“.563 Während das in den Theorie-Modellen der Unterrichtssprachen, Fremdsprachen und Mathematik mittels Standardisierung gelungen ist, gibt es in geisteswissenschaftlichen Fächern Dissens darüber, ob Denkvorgänge adäquat beschrieben und bewertet werden können und folglich Diskussionen über Messmethoden.564 Dazu tritt das Fehlen abgesicherter Progressionsvorstellungen, sodass eine empirisch generierte Erfassung der Lernprozesse kaum geleistet werden kann. Das betrifft auch Geschichte, wo die Klärung der systematischen Verknüpfung der Inhalte des Fachs mit den Teilkompetenzen fehlt. Daher stehen zwei Zugänge zum Forschungsproblem in Diskussion. Eine Richtung propagiert die Nutzung von sozialwissenschaftlichen Verfahren und deren Adaptierung auf historisches Verstehen hin. Da es um die Beschreibung von Kompetenzen und deren – zumindest tendenzielle – Messung geht, werden ausschließlich positivistisch-empirische Verfahren abgelehnt und es wird die Anwendung konstruktivistisch-phänomenologischer Methoden präferiert.565 Der andere Zugang erwächst aus dem Bemühen um die Entwicklung domänenspezifischer Untersuchungsmethoden. Ein aufschlussreicher Debattenbeitrag zur Frage, wie genuin geschichtsdidaktische Messverfahren aussehen könnten, stammt von Borries, der schon in der 1990er Jahren empirische Studien zum Geschichtsbewusstsein junger Menschen vorgelegt hat.566 Borries weist darauf hin, dass in der Geschichtsdidaktik zunächst eher Stoff-Canones untersucht worden sind (Lernstandserhebungen). Messungen dieser Art („Richtig-Falsch-Verfahren“) sind methodisch einwandfrei, die Ergebnisse erscheinen als objektiv, sind aber nicht zufriedenstellend, weil sie aus eindimensionalen Aussagen (Wissensdefizite) bestehen. Kompetenzgrade können damit nicht erhoben werden, da es an Parametern (Perspektivität, Kontroversialität, Pluralität etc.) mangelt. Wesentliche Denkoperationen bleiben unbeachtet, weil falsche Ergebnisse nicht zählen, wodurch mentale Prozesse, die Proband*innen zwar weitergebracht, aber nicht zur Lösung der operationalisierten Fragestellungen geführt hätten, keine Berücksichtigung finden. Somit eignen sich herkömmliche Unterrichtsdiagnosen nicht als Messinstrumentarium für die Erhebung und Skalierung historischen Denkens. Borries hat daher vorgeschlagen, Analyseverfahren auszudifferenzieren. Zunächst sollte sich die Forschung auf einzelne wesentliche Aspekte beschränken, das Untersuchungsinteresse präzise beschreiben und auf der Basis der Prinzipien der Reliabilität, Validität, Objektivität und Ökonomität Mess-Systeme entwickeln. Damit würden zumindest einige spezielle Denkleistungen sichtbar zu machen sein und eingeschätzt werden können. Da die Voraussetzung für eine sinnvolle Kompetenzmessung eine Vorstellung von der Graduierung der Kompetenzen ist,567 propagiert Borries eine Standardisierung und breit angelegte Messung der Erreichung der Standards. Zuvor sollte auf der Basis von Einzeldiagnosen die praktische Anwendbarkeit eines Modells überprüft werden. Borries plädiert für das Sichtbar-machen von Kompetenzentwicklung in Intervallen, weil nur so Modelle der Lernförderung entwickelt werden könnten und schulpraktischer Nutzen aus der Empirie gezogen werden würde.568
Der Vorschlag einer schrittweisen Annäherung an taugliche Kompetenzmessungen wird innerhalb der Fachdidaktik kontrovers diskutiert. Pandel stimmt mit Borries darin überein, Kompetenzmodelle auf ihre Anwendbarkeit im Unterricht hin zu untersuchen. Auch für ihn ist eine „Theorie der Lernprogression“569 eine conditio sine qua non einer sinnvollen Messung von Kompetenzen. Pandel gibt aber zu bedenken, dass die Berücksichtigung entwicklungspsychologischer Einflüsse auf das Lernen einen gravierenden Komplikationsfaktor jedes Messverfahrens darstellt, denn es sei zu bezweifeln, dass die Verknüpfung von Kompetenzen (Progression) mit dem Reifungsprozess junger Menschen gelingen kann. Auf der einen Seite sei es „[…] eine unabweisbare plausible Forderung, dass man historische Lernprozesse gemäß den Lebens- und Lernaltern der Schülerinnen stufen muss“,570 auf der anderen Seite hätten bisherige Erkenntnisse gezeigt, dass in der gewünschten Weise nicht gelingt. Pandel gibt zu bedenken, dass das Fach Geschichte über keine „innere Logik“ verfügt. Es sei „[…] geradezu das Fach par excellence, dessen Aufgabe es ist, Kontingenzerfahrungen zu verarbeiten, der Zufälligkeit von Ereignissen Sinn zu geben.“571 Daher schlägt er vor, bloß einzelne zentrale Operationen zu messen. Seiner Ansicht nach sollte das die Sinnentnahme aus Quellen sein, weil deren Untersuchung Erkenntnisse über grundlegende historische Fähigkeiten ermöglicht und in jeder Schul- und Altersstufe durchführbar ist.572 EPA attestiert er, seine Vorstellungen zu verwirklichen. Das Format erscheint ihm für die Abiturprüfung geeignet, solange es kein konsensfähiges domänenspezifisches Messverfahren entwickelt gibt.573 Borries lehnt den Vorschlag Pandels als „Scheinlösung“ und „Taschenspielertrick“574 scharf ab. Er gewährleiste keine differenzierte Messung von (Teil-)Kompetenzen und deren Stufung,575 fördere die Konstruktion prototypischer Aufgaben und die Erstellung von Aufgabenkatalogen.576 Untersuchungen dieser Art könnten auch Sozialwissenschaften leisten.577
Abweichend von Pandel und von Borries rückt Gautschi die „narrative Kompetenz“ ins Zentrum seiner Überlegungen zur Kompetenzmessung und lenkt damit die Aufmerksamkeit von Ergebnis-Messung auf die Kategorie Wirkungsforschung („guter Geschichtsunterricht“). Narrative Fähigkeiten zu entwickeln und auszudifferenzieren hält er für die vorrangige Aufgabe von Schulunterricht, in ihnen manifestiere sich historisches Lernen. Er kritisiert eine Verengung des Diskurses auf den Aspekt „Output“ und sieht darin die Gefahr, den Unterricht aus dem Auge zu verlieren. Zwar begrüßt Gautschi die Entscheidung, Kompetenzorientierung als Denk- und nicht als Lernmodell zu verstehen und erwartet sich dadurch eine „[…] langfristige Veränderung von Wissen, Überzeugungen, Fähigkeiten und Interessen“,578 was zur gewünschten Orientierung in der und durch die Geschichte führe. Vorerst scheint ihm jedoch der Fokus „[…] auf den real stattfindenden Unterricht“ essenzieller und der „[…] Schlüssel für die schulische Qualitätspflege“579 zu sein. Daher schlägt er die Erarbeitung von Messverfahren vor, die das Gelingende der täglichen Unterrichtsarbeit zum Interesse empirischer Forschung machen. Da noch nicht ausreichend geklärt ist, an welchen Indikatoren Unterrichtsqualität festzumachen ist und welche Wechselwirkungen zwischen ihnen bestehen, plädiert er für triangulative Verfahren, da sie die Arbeit der Lehrenden und die Ergebnisse der Schüler*innen beleuchten und beides zu einem Bild zusammenfügen können.580 Die Resultate würden sowohl Beiträge zur Qualitätsverbesserung im Unterricht liefern als auch Anregungen zur Theoriebildung und zur methodischen Weiterentwicklung in der empirischen Fachdidaktik-Forschung.581 Zieht man aus der älteren fachdidaktischen Debatte der 2000er Jahre ein Zwischenresümee, so zeigt sich eine Übereinstimmung renommierter Vertreter*innen der Geschichtsdidaktik in der Auffassung, dass Kompetenzen und deren Progressionen zu messen sind, dass adäquate Messverfahren erst entwickelt werden müssen und dass es, ungeachtet des frühen Entwicklungsstadiums der Theorie, wegen deren Implementierung der Kompetenzmodelle in die Schulsysteme provisorischer Mess-Systeme bedarf, um den Paradigmenwechsel im Unterricht forschend zu begleiten und zumindest punktuelle Ergebnisse zu liefern. Dissens herrscht darüber, was und wie gemessen werden soll. Die Vorschläge reichen von der Analyse einzelner, als relevant anzusehender Teilkompetenzen mittels spezieller Aufgaben (Pandel) über die Messung spezieller Fähigkeiten und Fertigkeiten mit Hilfe offener Verfahren (v. Borries) bis zur triangulativ angelegten Untersuchungen des real stattfindenden Unterrichts mit Blick auf die Progression anhand von narrativen Kompetenzen (Gautschi). Ungeklärt geblieben ist vorerst die Frage nach genuin fachdidaktischen Messverfahren. In der Folge werden einige interessante Versuche der Fachdidaktik exemplarisch gewürdigt, valide Messverfahren zur Erfassung von Kompetenzen zu entwickeln und auf ihre Funktionalität zu prüfen.