Kitabı oku: «Einführung in das römische Privatrecht», sayfa 2

Yazı tipi:

1. Grundlagen

1.1 Ein Fall zu Beginn

Die Beschäftigung mit dem römischen Recht nimmt ihren Ausgangspunkt am besten vom Gerichtsverfahren. Beginnen wir daher mit einem Fall, der sich vor über 2000 Jahren, zu Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr., in Rom zugetragen hat1.

Fall 1

Publius Calpurnius Lanarius kauft ein Haus, das auf einem der sieben Hügel Roms, dem Caelius, liegt. Verkäufer ist Titus Claudius Centumalus. Die Freude an der Immobilie währt aber nicht lange. Denn bald stellt sich Folgendes heraus: Das Kollegium der Auguren, einer der Priesterschaften Roms, zuständig für die Beobachtung des Vogelfluges und die Ableitung der sich daraus ergebenden göttlichen Vorzeichen, hat festgestellt, dass das exponierte Gebäude die Sicht behindert, und daher befohlen, das Haus in dem Umfang abzutragen, in dem es die Beobachtung des Vogelfluges beeinträchtigt. Titus hatte dies beim Verkauf bereits gewusst, aber wohlweislich verschwiegen. Publius muss der Anordnung der Auguren Folge leisten und das Haus abreißen. Danach fragt er sich, was er gegen den Verkäufer unternehmen kann.

Ein zeitgenössischer Publius in Deutschland würde sich in einer solchen Situation (wir müssen uns nur einen zeitgemäßen baurechtlichen Grund für die Abrissverfügung denken) zur Rechtsberatung an einen zugelassenen Rechtsanwalt wenden und dort den Rat erhalten, wegen eines Mangels der Kaufsache vom Kaufvertrag zurückzutreten und die Rückzahlung des Kaufpreises und Schadensersatz zu verlangen. Kommt der Verkäufer dieser Forderung nicht nach, wird der Käufer Klage vor dem (hier aufgrund des mutmaßlichen Streitwertes zuständigen) Landgericht erheben, um sein Ziel zu erreichen. Das Gericht würde dem Beklagten die Klage zustellen, dann würden (ggf. zahl- und umfangreiche) Schriftsätze gewechselt, das Gericht würde einen Termin (oder mehrere) zur mündlichen Verhandlung ansetzen und die Parteien laden, den Sachverhalt durch Beweiserhebung aufklären, das Urteil verkünden und es nach einiger Zeit den Parteien bzw. ihren Anwälten schriftlich und mit ausführlicher Begründung zustellen. Daran könnten sich Berufung und ggf. Revision der unterlegenen Partei und damit ein Zug durch die Instanzen anschließen. Hat der Kläger irgendwann endgültig obsiegt und ist das Urteil auf Zahlung einer bestimmten Summe rechtskräftig, leistet der Beklagte diesem aber nicht Folge, wird der Kläger die Zwangsvollstreckung beantragen, die durch staatliche Organe, z. B. den Gerichtsvollzieher, und mit staatlichem Zwang durchgeführt wird.

Unser römischer Publius wird nun ebenfalls einen Rechtskundigen konsultieren und dann den Rechtsweg beschreiten. Soweit unterscheidet sich die römische Rechtswelt von der unseren noch nicht. Das Gerichtsverfahren ist aber in vielem anders als unser heutiger Zivilprozess; und die spezifische Form des Verfahrens hat auch dem Inhalt des Rechts seine entscheidende Prägung verliehen.

1.2 Der Zivilprozess im Überblick

1.2.1 Vor dem Prätor: Das Verfahren in iure

Im republikanischen und frühen kaiserzeitlichen Rom2 gibt es eine folgenreiche Zweiteilung des Verfahrens, die aber nichts mit einem Instanzenzug zu tun hat. Vereinfacht gesagt ist der Zivilprozess in ein Rechts- und ein Tatsachenverfahren unterteilt („Was Recht ist – wer Recht hat“3). Zunächst muss der Kläger die Gegenpartei selbst laden (in ius vocatio). Der Beklagte muss der Ladung Folge leisten, sonst drohen ihm erhebliche finanzielle Nachteile. Er kann auch Sicherheit leisten für sein Erscheinen, z. B. durch einen Bürgen (vindex). Roms erstes und grundlegendes Gesetzeswerk, das Zwölftafelgesetz aus der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr., das wir später eingehend betrachten werden, enthält hierzu bereits detaillierte Vorschriften. Um den Prozess zu führen, müssen sich die Parteien zum Prätor begeben, dem römischen Gerichtsmagistrat (Magistrate heißen die Träger eines öffentlichen Amtes). Er hat seine Gerichtsstätte auf dem comitium (Volksversammlungsplatz) oder auf dem Forum im Herzen Roms. Diese heißt – wie das Recht insgesamt – ebenfalls ius; daher kommt auch der eben erwähnte lateinische Begriff für die Ladung und die Bezeichnung dieses Verfahrensabschnitts als in iure. Beim Prätor, der zentralen Figur der römischen Rechtsgeschichte, nimmt das Verfahren nun seinen Anfang.

Der Kläger wird dort sein Anliegen vortragen und eine Klage beantragen (dazu sogleich). Publius wird also von seinem unseligen Hauskauf berichten und von Titus Schadensersatz verlangen. Der Beklagte kann bestreiten, Einwendungen vorbringen oder den Anspruch anerkennen; Titus könnte also behaupten, von der bedauerlichen Anordnung der Auguren zum Zeitpunkt des Verkaufs gar nichts gewusst zu haben. Lässt er sich überhaupt nicht auf das Verfahren ein, was nach römischem Prozessrecht anders als nach heutigem erforderlich ist, stehen dem Prätor je nach Klageart noch näher zu betrachtende unterschiedliche – auch indirekte – Wege offen, ihn dazu zu zwingen4. Die Aufgabe des Prätors besteht darin, sich den Fall anzuhören und dann darüber zu entscheiden, ob er die beantragte Klage gewährt oder das Begehren von vornherein als nicht rechtsschutzwürdig betrachtet. Er wird den Fall aber, anders als ein heutiges Gericht, nie selbst entscheiden. Er prüft nicht die Richtigkeit des Sachvortrages nach, sondern überweist den Rechtsstreit zur Entscheidung an einen Tatrichter, den iudex. Diesem kommt die Aufgabe zu, den Sachverhalt ohne weitere Mitwirkung des Prätors durch Beweiserhebung aufzuklären und ein Urteil zu sprechen. Die Parteien können sich auf einen iudex einigen, ansonsten wird er per Losverfahren aus einer Richterliste gewonnen.

Diese charakteristische Zweiteilung des römischen Zivilprozesses ist sehr alt. Sie dient der Entlastung des Prätors, der in der republikanischen Verfassungsordnung, also bis zur Kaiserzeit, Inhaber des zweithöchsten Amtes im Staate ist. Über ihm rangieren nur noch die Konsuln, die beiden nach dem Prinzip der Kollegialität verbundenen, gleichberechtigten Regierungschefs. In der römischen Frühgeschichte lag die Rechtsprechung noch in der Hand des höchsten Staatsbeamten. Die spezifisch richterliche Funktion des Prätors als des den Konsuln nachgeordneten Gerichtsbeamten bildet sich wohl im 4. Jahrhundert v. Chr. heraus. Diesem zur Ausübung der Gerichtsbarkeit vorgesehenen (später so genannten) praetor urbanus, Stadtprätor, wird Mitte des 3. Jahrhunderts v. Chr. ein praetor peregrinus (Fremdenprätor) beigegeben für Verfahren unter und mit Ausländern, den sog. Peregrinen, die nicht das römische Bürgerrecht haben. Zudem werden mit der Zeit weitere Prätorenstellen geschaffen zur Wahrnehmung des Vorsitzes spezialisierter Gerichtshöfe in Rom und wichtiger Verwaltungsaufgaben (z. B. als Provinzstatthalter). Uns interessiert hier zunächst und vor allem der praetor urbanus.

Die Aufgabe des Prätors erschöpft sich jedoch keineswegs in einer Art summarischer Prüfung auf der Grundlage seines individuellen Gerechtigkeitsempfindens und Weiterleitung des Falles zur Bearbeitung an den Tatrichter. Vielmehr hat er die eigentliche juristische Vorarbeit zu leisten, indem er dem iudex einen genau definierten Entscheidungsrahmen vorgibt. Dem Prätor obliegt die schwierige Aufgabe, auf der Grundlage des Parteivorbringens darüber zu entscheiden, ob das Recht dem Kläger zur Verwirklichung seines Begehrs ein Klagerecht, eine actio, gibt (wir würden in unserer Systematik sagen: eine Anspruchsgrundlage). Wenn nicht, kann der Prätor das Verfahren bereits hier beenden und es gar nicht zu einem Prozess kommen lassen (actionem denegare, z. B. auch bei offensichtlich fehlender Aktivlegitimation oder Fehlen von Prozessvoraussetzungen). Sieht das Recht dagegen eine actio für den vor ihn gebrachten Fall vor, gewährt der Prätor diese (aus einer noch näher zu betrachtenden Sammlung von Musterformularen) und gibt dem iudex auf, die Tatbestandsmerkmale dieser actio zu prüfen. Sieht das Recht für den konkreten Fall keine actio vor, empfindet der Prätor aber das Begehren des Klägers gleichwohl als rechtsschutzwürdig, kann er selbst die Erteilung einer (neu zu schaffenden) Klage in Aussicht stellen. Übertragen auf heutige Verhältnisse wäre es also so, dass der Prätor die vom Kläger für einschlägig gehaltene konkrete Anspruchsgrundlage aus dem BGB übernimmt oder selbst eine solche formuliert und diese dem Tatrichter vorgibt mit der Anweisung zu prüfen, ob sich der Fall unter diese (und nur unter diese!) subsumieren lässt. Bereits in diesen kurzen Stichworten wird deutlich, welch anspruchsvolle juristische Funktion der Prätor auszuüben hat. Seine iurisdictio5 ist die Rechtsweisung an den Tatrichter, nicht die „Rechtsprechung“ in unserem Sinne als richterliche Sachentscheidung eines Rechtsstreits. Er beschäftigt sich also nur mit Rechtsfragen, Tatsachenfragen interessieren ihn nicht. Das Verfahren in iure mündet nun in die Erteilung einer konkreten actio. In unserem Ausgangsfall wäre dies die actio empti, die Klage des Käufers aus dem Kaufvertrag. Die dieser actio zugehörende Klageformel (formula) gibt der Prätor den Parteien mit, und sie dient, wie beschrieben, als „Gebrauchsanweisung“ für den iudex, der mit der Entscheidung des Falles beauftragt wird. Diese Klageformel ist der juristische Kern des ganzen Verfahrens. Sie muss so abstrakt gefasst werden, dass sie auf jeden Sachverhalt angewendet werden kann, der in die entsprechende rechtliche Kategorie fällt, aber auch wieder so konkret, dass der iudex alles Entscheidungserhebliche aus ihr ersehen kann und genau weiß, was er in dem an ihn verwiesenen Fall zu tun hat.

Für die Klage des Käufers aus dem Kaufvertrag sieht die abstrakte Musterklageformel in der auf uns gekommenen Form folgendermaßen aus6:

Actio empti:

Titius iudex esto (datio iudicis – Richtereinsetzung).

Quod Aulus Agerius de Numerio Negidio rem, qua de agitur, emit, qua de re agitur (demonstratio – Sachdarstellung; das qua de re agitur individualisiert/beschränkt den konkreten Streitgegenstand)

quidquid ob eam rem Numerium Negidium Aulo Agerio dare facere oportet ex fide bona (intentio – Klagegrundlage/-begehren),

eius, iudex, Numerium Negidium Aulo Agerio condemnato, si non paret, absolvito (condemnatio – Verurteilungsbefehl).

Klage des Käufers aus Kaufvertrag: Titius soll Richter sein.

Was das betrifft, dass Aulus Agerius [der Kläger] von Numerius Negidius [dem Beklagten] die Sache, um die es hier geht, gekauft hat, in dieser Angelegenheit, deretwegen hier geklagt wird: all das, was deswegen der Beklagte dem Kläger nach Treu und Glauben zu geben und zu tun verpflichtet ist,

dazu, Richter, verurteile den Beklagen zugunsten des Klägers, und wenn es sich nicht erweist [dass der Beklagte verpflichtet ist], dann sprich ihn frei [weise die Klage ab].

Bestimmte Formelelemente (deren Bezeichnung hier in den lateinischen Text eingefügt wurde) waren in der Regel vorhanden7; aber jede Klageformel wurde individuell für die jeweilige rechtliche und tatsächliche Situation entwickelt, also die Klage aus Kaufvertrag, aus Werkvertrag, aus Darlehen, aus Delikt etc. Die hier wiedergegebene kaufvertragliche Klageformel ist nun relativ einfach und klar (das ex fide bona – nach Treu und Glauben – steht nicht nur zur Verzierung da, sondern hat eine spezifische und nicht unerhebliche rechtliche Bedeutung, wie wir noch sehen werden). Der iudex weiß nun, was er zu untersuchen und worüber er zu entscheiden hat.

Die in der Formel verwandten Namen sind Blankettnamen, die aber nicht willkürlich gewählt sind. Agerius kommt von agere, klagen, und Numerius Negidius ist der, der bestreitet bzw. sich weigert (negare) zu zahlen (numerare): genau wie in modernen Klausuren, wenn z. B. ein Listig als Verkäufer auftritt, der den Käufer Gläubig arglistig täuscht, der wiederum Rechtsanwalt Kundig aufsucht usw. In unserem Ausgangsfall müssen in der Formel also Aulus Agerius durch Publius Calpurnius Lanarius und Numerius Negidius durch Titus Claudius Centumalus er- und der konkrete Streitgegenstand eingesetzt werden. Kurioserweise waren sich dessen aber nicht einmal die Zeitgenossen immer bewusst: In der Provinz wurden zuweilen statt der echten Namen der Prozessparteien die Blankettnamen verwendet, vielleicht in übertriebenem Gehorsam gegenüber der römischen Zentrale, weshalb die lex Rubria, eine 49 v. Chr. erlassene Prozessordnung für Gallia Cisalpina (Oberitalien), die Gerichtsmagistrate ausdrücklich ermahnte, dergleichen zu unterbinden.8

Das Verfahren in iure endet mit der Streiteinsetzung, der litis contestatio (etwa „Rechtshängigkeit“, aber die Begriffe sind nicht identisch; daher passender: Streitbezeugung, Streitfestsetzung, Fixierung der zu entscheidenden Rechtsfrage). In der litis contestatio unterwerfen sich beide Parteien unter das prätorische Prozessprogramm und die künftige Entscheidung des – privaten, nicht staatlichen – Urteilsrichters. Danach setzt der Prätor das Urteilsgericht durch Dekret ein. Nun ist der richterlichen Sachentscheidung des Streits der Weg geebnet.

1.2.2 Das Verfahren in iudicio oder apud iudicem

Dem eingesetzten iudex obliegt nun die Leitung des weiteren Verfahrens (iudicium). Er ist, wie im Übrigen auch der Prätor, nicht notwendigerweise ein Jurist, sondern jeder Bürger kann dieses Amt ausüben, auch wenn es in der Praxis wohl nur Angehörigen der oberen Schichten zufällt. Der im 2. Jahrhundert n. Chr. und damit zur Zeit der Blüte des römischen Rechts lebende Schriftsteller Gellius, dem wir aus seiner Anekdotensammlung noctes Atticae („Attische Nächte“, benannt nach ihrem Entstehungsort) insgesamt viele praktische Informationen zu Recht und Verfahren verdanken, berichtet uns, wie er sich durch intensive Lektüre auf dieses Amt vorbereitet habe9. Welchen Stellenwert das Recht in der römischen Gesellschaft seit früher Zeit hat, zeigt u. a., dass die aktive Beteiligung am Rechtsleben in unterschiedlichen Rollen geradezu als Bürgerpflicht angesehen wird, wie uns römische Dichter bestätigen. Juvenal, der einige Jahrzehnte vor Gellius lebte, empfiehlt, ein guter Soldat, guter Vormund, integrer Richter und wahrhaftiger Zeuge zu sein10. Und ganz ähnlich antwortet der Dichter Horaz11 auf die Frage, wer ein rechtschaffener Mann (vir bonus) sei: „Der Mann, der Senatsbeschlüsse, Recht und Gesetze achtet und vor den große und bedeutende Prozesse als Richter gebracht werden, der als Bürge Eigentum rettet und dessen Zeugnis vor Gericht Bestand hat.“12

Dies zeigt sich auch in unserem realen Ausgangsfall. Denn als Richter bestellt wurde ein Zeitgenosse mit einem berühmten Familiennamen, der geradezu idealtypisch für diese Werte steht: Marcus Porcius Cato. Allerdings handelte es sich nicht um den berühmtesten Namensträger, Cato den Älteren, der aufgrund seines Amtes den wohl auch charakterlich durchaus treffenden Beinamen Censorius trug. Er lebte von 234 bis 149 v. Chr. und war v. a. durch seinen unbeugsamen Hass gegen die Karthager bekannt (Ceterum censeo Carthaginem esse delendam … – so sein permanenter, nach seinem Tode schließlich auch umgesetzter Antrag im Senat auf Zerstörung der verhassten und besiegten Stadt). Dieser Cato war allerdings auch in Rechtsfragen bewandert, und wir verdanken seinen Schriften nicht wenige Kenntnisse über das Recht seiner Zeit. Und es war auch nicht Cato Uticenis, der unbeugsame (und letztlich gescheiterte) Kämpfer gegen Caesars Machtergreifung, der mit seinem Selbstmord im Jahre 46 v. Chr. zum Märtyrer der gerade untergehenden Republik wurde. Sondern Richter in unserem Verfahren war des Ersteren Enkel und des Letzteren Vater, bei weitem nicht so berühmt wie die beiden anderen und auch nicht wie der in der römischen Rechtsliteratur als bedeutender juristischer Schriftsteller erwähnte weitere Cato, sein Onkel13. Dafür war es ihm aber durch sein Richteramt in diesem Fall vergönnt, Teil der überlieferten praktischen Rechtsgeschichte zu werden.

Auf der Grundlage des Streitprogramms, der actio, der Klageformel, die der Prätor ihm vorgegeben hat, erhebt der iudex die Beweise, um zu einem Urteil zu kommen. Ihm steht, wie auch dem Prätor, gewöhnlich ein consilium, ein Beratergremium, von Fachleuten zur Seite14 – was durchaus sinnvoll ist, denn es geht nicht immer ausschließlich um Sachverhaltsfragen, sondern auch vor dem iudex können zuweilen Rechts- und Wertungsfragen bedeutsam werden15. Gerichtsort kann ein öffentlicher Platz, aber auch das Privathaus des Richters sein. Die Parteien haben die Beweise beizubringen. Es gelten der Grundsatz der freien Beweiswürdigung anstelle fester Beweisregeln16 und bereits gewisse Regeln zur Beweislast17. Der Richter ist verpflichtet, zu einem Urteil zu kommen. Nur wenn er schwört, dass ihm die Sache nicht klar sei (sibi rem non liquere), kann er den Fall zurückgeben, dann wird ein neuer Richter bestellt. Daher kommt unser heute noch bekannter Begriff non liquet („es ist unklar“) für einen nicht mehr aufzuklärenden Sachverhalt. Wieder ist es Gellius, der uns ein Beispiel dafür liefert, allerdings kein wirklich vorbildliches18. Er erzählt uns, wie er selbst als iudex berufen ist: Der Kläger in diesem Fall ist ein rechtschaffener Mann und Gellius offenbar sympathisch, im Gegensatz zum Beklagten. Leider kann der Kläger seinen Anspruch nicht beweisen. Der Fall ist eigentlich völlig klar, so wird Gellius auch durch seine juristischen Fachleute beraten. Da er aber dem Beklagten nicht zum Sieg verhelfen will, gibt er den Fall als unaufklärbar zurück. Dass die non-liquet-Regel für diesen Fall natürlich nicht gedacht ist, steht auf einem anderen Blatt, und keine Rechtsordnung kann stets vor richterlichen Fehlentscheidungen im Einzelfall (mögen sie auch auf menschlich nachvollziehbaren Gründen beruhen) schützen. In den voller rechtlicher Anspielungen steckenden Tierfabeln des Phaedrus tritt in einem Fall ein prozessrechtlich unbedarfter Affe als Richter auf, in einem anderen dagegen eine sachverständige und sich ihrer Verantwortung bewusste Wespe, die ein weises und geradezu salomonisches Urteil fällt19. Sicherlich standen hier Phaedrus – er wirkte zur Zeit des frühen Prinzipats unter Augustus und Tiberius, also im ersten Drittel des 1. Jahrhundert n. Chr. – unterschiedliche Typen real erlebter iudices vor Augen.

Die Parteien können im gesamten Verfahren einen Beistand hinzuziehen; dies kann ein iuris consultus, ein Jurist, sein oder auch ein Redner, was sich insbesondere für das Verfahren apud iudicem anbietet. Rechtsanwaltsgebühren gibt es nicht, diese sind sogar verboten. Der Satiriker Juvenal20 beschwert sich einmal über die mangelnde Lukrativität dieser Tätigkeit21. Der Römer wird in solchen Angelegenheiten für andere im Rahmen eines unentgeltlichen Auftrages tätig, erst später werden Honorarvereinbarungen rechtlich anerkannt. Schenkungen, Vermächtnisse etc. in Anerkennung der rechtlichen Unterstützung sind dagegen zulässig und üblich; und für Politiker, v. a. für solche, die wie Cicero keine Hausmacht haben, ist die Prozessvertretung ein probates, wenn nicht unverzichtbares Mittel, um bekannt zu werden und sich eine Wählerschaft zu sichern22.

1.2.3 Das Urteil

Das Verfahren vor dem iudex endet mit dem Urteil (sententia). Das römische Leistungsurteil23 hat eine wichtige Besonderheit: Es kann immer nur auf eine Geldsumme lauten. Dies ist der Grundsatz der condemnatio pecuniaria24, der Geldverurteilung, der viele Auswirkungen hat. Eine vollstreckbare Verurteilung auf eine vertretbare Handlung, z. B. die Herausgabe einer Sache, ist nicht möglich. Der Grund ist darin zu sehen, dass im archaischen Recht die Personalvollstreckung geübt wurde, d. h. der Schuldner haftete immer mit seinem Körper (wir werden darauf zurückkommen), diese Haftung aber durch eine Geldzahlung abgelöst werden konnte. Die condemnatio hat in dieser Ablösung ihren Ursprung. Allerdings ist es v. a. der im deutschen Recht beheimatete Jurist, dem dies ungewohnt erscheint, da er den Grundsatz der Naturalerfüllung (oder Naturalkondemnation) gewohnt ist. Das ist aber keineswegs die Regel in allen Rechtsordnungen; im englischen Recht wird beispielsweise „specific performance“ nur dann gewährt, wenn das Gericht nach seinem Ermessen im konkreten Fall die Zahlung von Schadensersatz für nicht ausreichend hält. Der Grundsatz der Naturalerfüllung geht – wie andere vertragsrechtliche Prinzipien auch – auf das kanonische Recht zurück, also das im Mittelalter entstandene und viele Lebensbereiche durchdringende Recht der römisch-katholischen Kirche.

Das Urteil des iudex ist endgültig und unabänderlich (also formell rechtskräftig); es gibt keinen Instanzenzug, eine Berufung sieht das republikanische/klassische Prozessrecht nicht vor. Ein Urteil kann allenfalls nichtig sein wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung oder schwerer Verfahrensfehler. Das Urteil schafft Recht grundsätzlich inter partes und ist damit auch materiell rechtskräftig. Wird eine Partei nach einem rechtskräftigen Urteil erneut verklagt, muss sie die Einrede der Rechtskraft erheben. Wie der iudex Cato unseren Fall entschieden hat, werden wir bei der Betrachtung des römischen Schuldrechts sehen25. Aber so viel sei schon verraten: Er erwies sich als seines großen Namens würdig.

1.2.4 Die Vollstreckung

Die in früher Zeit geübte Personalvollstreckung wurde allmählich von der Realvollstreckung zurückgedrängt, deren Ziel nicht mehr im Zugriff auf die Person, sondern auf das Vermögen des Schuldners liegt. Der Schuldner hat nach dem Urteil 30 Tage Zeit zur Leistung. Zahlt er innerhalb dieser Frist nicht, muss der Gläubiger eine eigene Vollstreckungsklage, die actio iudicati erheben. Darin wird nur geprüft, ob ein Vollstreckungstitel, also ein rechtmäßiges Urteil oder Anerkenntnis, vorliegt. Bestreitet der Beklagte die Wirksamkeit des Urteils, bringt er im Erkenntnisverfahren nicht berücksichtigte Einwendungen oder nach Erlass des Erkenntnisurteils eingetretene neue Tatsachen vor26, kommt es ausnahmsweise zu einem erneuten Streitverfahren, mit dem indirekt auch das Ziel eines – nicht vorgesehenen – Rechtsmittels verwirklicht werden kann. Unterliegt er darin aber erneut, verdoppelt sich die Urteilssumme (lis infitiando crescit in duplum). Eine Folge der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens ist die Infamie, „Ehrlosigkeit“, die mit erheblichen Einschränkungen der bürgerlichen Rechtsstellung verbunden ist. Es ist also sinnvoll, irgendwann einen aussichtslosen Widerstand aufzugeben und zu zahlen.

Eine weitere Besonderheit des römischen Prozessrechts ist zu vermerken: Es kennt grundsätzlich keine Einzelvollstreckung, bei der nur so viele Gegenstände veräußert werden, wie zur Befriedigung des Gläubigers erforderlich sind, sondern es wird – egal wie hoch die Forderung ist – immer die Gesamtvollstreckung (missio in bona) betrieben. Die Gläubiger versammeln sich (concursus creditorum, der Zusammenlauf aller Gläubiger, daher unser Begriff „Konkurs“), lassen das Vermögen en bloc versteigern und werden aus dem Erlös anteilmäßig befriedigt. Das römische Vollstreckungsrecht ist also zu allen Zeiten sehr hart. Der Vorteil der – nicht infamierenden – Einzelvollstreckung kommt als Standesprivileg seit der frühen Kaiserzeit nur Senatoren zu.

1.2.5 Weitere Entwicklung des Verfahrensrechts

Hier soll, um das Bild abzurunden, ein Blick auf die weitere Entwicklung geworfen werden. Neben das obligatorisch zweigeteilte Formularverfahren trat ab der Kaiserzeit nach und nach ein einheitlicher Prozess, der unserem heutigen viel stärker ähnelte: der Kognitionsprozess (von lat. cognoscere – „untersuchen, erkennen“) des Kaisergerichts. Er sah eine Berufungsmöglichkeit (appellatio, provocatio) und damit einen bis zum Kaiser gehenden Instanzenzug vor. Das Verfahren wurde insgesamt durch staatliche Organe geführt (Konsuln, besondere Prätoren, später beamtete Richter), begann mit der amtlichen Ladung, unterlag freieren Grundsätzen, endete mit einem Urteil, das nicht zwingend auf Geld lauten musste, und konnte in die Einzelvollstreckung münden. Die cognitio gab es auch schon in der Republik in bestimmten Fällen. Augustus weitete das Verfahren auf andere Felder aus; wie, werden wir bei der Betrachtung des Erbrechts sehen. Im 2. Jahrhundert n. Chr. wurde der Formularprozess mit der Zeit verdrängt, im Jahre 342 offiziell abgeschafft.

Dies zum äußeren Verfahrensablauf. Wir wenden uns nun dem für die Entwicklung des Privatrechts Entscheidenden zu: der im Zentrum des Prozesses stehenden Klageformel.

1.3 Die Klageformel (actio) und das Rechtsdenken der Römer

1.3.1 Vorläufer: Das Legisaktionenverfahren

Die Klageformel, die formula, und das darauf beruhende und nach ihr benannte, oben skizzierte Formularverfahren sind eine Leistung des weiter- oder hochentwickelten römischen Rechts. Die Parteien tragen wie gesehen in freier Rede vor, und das Prozessprogramm für den iudex wird schriftlich in einer Formel zusammengefasst (daher wird dieses Verfahren auch als Schriftformelprozess bezeichnet). Das war aber nicht immer so: Im altrömischen Recht, also schon vor den XII Tafeln, konnten die Parteien noch nicht einfach dem Prätor formlos den Sachverhalt vortragen und die für erfolgversprechend gehaltene actio beantragen, sondern sie mussten die richtige Klageformel im Vorfeld selbst auswählen (bzw. durch einen juristischen Berater auswählen lassen) und dann die komplizierte Formel (certa verba) vor Gericht fehlerfrei vortragen. Diese Formeln hießen legis actiones, Legisaktionen, und gaben dem Verfahren seinen Namen. In der römischen Rechtsliteratur wird der Begriff zum einen damit erklärt, dass die Formeln durch Gesetz eingeführt worden seien (obwohl allerdings die XII Tafeln die Legisaktionen schon vorfanden), zum anderen damit, dass sich die Parteien exakt an den Wortlaut zu halten hatten, anderenfalls der Prozess bereits deshalb verloren ging. So gab es eine Klage wegen des Abhauens von Bäumen (lat. arbores). Weinstöcke (lat. vites) fielen nachvollziehbarerweise ebenfalls darunter. Der Kläger musste in diesem Fall dennoch das Wort arbores gebrauchen, sonst wurde die Klage bereits wegen falscher Formulierung abgewiesen27. Es gab eine genau bestimmte Anzahl von Legisaktionen (drei zur Einsetzung des Erkenntnisverfahrens, zwei zur Vollstreckung). Vor Gericht klagbar war nur, was diese Legisaktionen erfassten; in Sachverhalten, die sich nicht darunter fassen ließen, auch nicht durch Auslegung, gab es keinen Rechtsschutz.

Die wichtigste war die legis actio sacramento in rem (gegen die Sache gerichtet, „dingliche Klage“) bzw. in personam (gegen eine Person, „schuldrechtliche Klage“, Geltendmachung einer persönlichen Haftung). Als Beispiel für das Verfahren der legis actio sacramento in rem sei die Vindikation, also der Streit um das Eigentum (bzw. ein anderes Herrschaftsrecht), geschildert. Hier geht es um einen Sklaven:

Gai. 4, 16

Si in rem agebatur, mobilia […] in iure vindicabantur ad hunc modum: qui vindicabat, festucam tenebat; deinde ipsam rem adprehendebat, velut hominem, et ita dicebat: HUNC EGO HOMINEM EX IURE QUIRITIUM MEUM ESSE AIO; SECUNDUM SUAM CAUSAM SICUT DIXI, ECCE TIBI, VINDICTAM IMPOSUI, et simul homini festucam inponebat. Adversarius eadem similiter dicebat et faciebat. cum uterque vindicasset, praetor dicebat: MITTITE AMBO HOMINEM. Illi mittebant. qui prior vindicaverat, sic dicebat: POSTULO, ANNE DICAS, QUA EX CAUSA VINDICAVERIS. Ille respondebat: IUS FECI, SICUT VINDICTAM INPOSUI. deinde qui prior vindicaverat, dicebat: QUANDO TU INIURIA VINDICAVISTI, D AERIS SACRAMENTO TE PROVOCO, adversarius quoque dicebat similiter: ET EGO TE […]28.

Wenn dinglich geklagt wurde, wurden bewegliche Sachen […] am Gerichtsort auf folgende Weise unter Berufung auf das Eigentum herausverlangt: Derjenige, der die Eigentumsbehauptung erhob, hielt eine Rute; dann berührte er die Sache selbst, zum Beispiel einen Menschen, und sprach folgendermaßen: ICH BEHAUPTE, DASS DIESER MENSCH NACH QUIRITISCHEM29 RECHT MIR GEHÖRT; GEMÄSS SEINER RECHTSSTELLUNG, WIE ICH GESAGT HABE, SIEH HER, HABE ICH IHM DEN STAB ANGELEGT, und zugleich legte er dem Menschen die Rute an. Der Gegner sprach und tat dasselbe in ähnlicher Weise. Nachdem jeder sein Eigentum behauptet hatte, sprach der Prätor: LASST BEIDE DEN MENSCHEN LOS! Sie ließen ihn los. Derjenige, der zuerst sein Eigentum behauptet hatte, sprach folgendermaßen: ICH FORDERE DICH AUF ZU SAGEN, AUFGRUND WELCHER RECHTSLAGE DU DEIN EIGENTUM BEHAUPTET HAST. Der andere antwortete: ICH HABE RECHT AUSGEÜBT, SO WIE ICH DEN STAB ANGELEGT HABE. Daraufhin sprach der, der zuerst sein Eigentum behauptet hatte: WEIL DU ZU UNRECHT DEIN EIGENTUM BEHAUPTET HAST, FORDERE ICH DICH MIT EINEM GELDEINSATZ VON 500 KUPFER-AS HERAUS. Der Gegner sprach auch in ähnlicher Weise: UND ICH DICH AUCH […].

Dieses, wie man leicht erkennen kann, formstrenge und ritualisierte (und von Späteren auch ironisierte) Verfahren wurde durch einen Geldbetrag eingesetzt, den beide Parteien leisteten. Ursprünglich war das sacramentum eine bedingte Selbstverfluchung für den Fall des Prozessverlustes. Denn beide Parteien behaupteten ihr Eigentum, also musste einer von beiden die Unwahrheit gesagt haben. Daher hinterlegten vorher beide diese Geldsumme als vorsorgliches Sühneopfer: denn derjenige, der den Prozess letztendlich verlor, hatte damit ja einen falschen Eid geleistet. Sein Einsatz verfiel (heute würden wir es als – dem römischen Recht allerdings unbekannte – „Gerichtskosten“ ansehen, die vor den ordentlichen Gerichten auch nur die unterlegene Partei zu tragen hat). Unmittelbarer Gegenstand des Verfahrens war nun allein die Frage, wessen sacramentum iustum war, also wer die Wahrheit gesagt hatte und wer nicht. Die eigentliche Rechtsfrage, hier die Frage des Eigentums, um die es den Parteien ging, war nur Vorfrage dazu. Das Verfahren war ursprünglich noch nicht zweigeteilt, sondern wurde von Anfang bis Ende vor dem Gerichtsmagistrat durchgeführt.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
382 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783846357002
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre