Kitabı oku: «Einführung in das römische Privatrecht», sayfa 5
1.4.6.3 Die Juristen und ihr Werk
Die klassischen Juristen arbeiteten die in der Republik gelegten juristischen Grundlagen bis ins Feinste aus. Schlaglichtartig mag dies daran ersehen werden, dass der Kommentar des Servius zum Edikt 2 Bücher umfasste, der des Pomponius zwei Jahrhunderte später 150. Augustus hat bestimmten Juristen das ius publice respondendi verliehen (ut ex auctoritate eius responderent124), das Recht, öffentlich und im Namen des Kaisers Rechtsgutachten zu erteilen. Dies war eine besondere Ehrbezeigung des Prinzeps, es war aber anderen Juristen, die dieses „Privileg“ nicht besaßen, nicht verboten, weiterhin ihrem Beruf nachzugehen; dass es faktisch nur noch die Respondierjuristen waren, auf deren Meinung es ankam, liegt allerdings nahe. Eine rechtliche Bindungswirkung war damit zunächst ebenfalls noch nicht verbunden125. Bemerkenswert ist allerdings auch, dass das ius respondendi nur in der rechtshistorischen Einführung der Digesten vorkommt, an anderen Stellen der erhaltenen römischen Rechtsliteratur aber nicht, und sich kein Jurist auf diese besondere Autorität beruft, weder bei der Begründung einer eigenen Ansicht noch bei der eines Vorgängers126. Die Juristen selbst sahen eine solche Legitimierung von Seiten des Kaisers offenbar als unnötig an, ihre Autorität hatte ein anderes, nämlich selbstgelegtes Fundament.
Bedeutende Juristen waren vor allem in der Frühzeit Privatmänner und amtlos. Labeo (ein Schüler des Trebatius) hatte die republikanischen Ämter bekleidet; seinem Vater, der an der Verschwörung gegen Caesar beteiligt gewesen war, verdankte er vermutlich seine stramme republikanische Haltung. Diese veranlasste ihn dazu, den Konsulat von Augustus’ Gnaden abzulehnen, was den Prinzeps allerdings nicht dazu brachte, diesen umfassend gebildeten und genialen Juristen an der Ausübung seiner Tätigkeit zu hindern. Labeo lehrte in der einen Hälfte des Jahres und forschte und schrieb in der anderen, über 400 Bücher waren die Frucht dieser Arbeit (und 563 Erwähnungen in den Digesten127). Ebenfalls Privatmann blieb Massurius Sabinus, der aus einfachen Verhältnissen stammte, spät in den Ritterstand erhoben und von seinen Schülern finanziell unterstützt wurde; er war der erste Jurist aus diesem Stand, dem das ius respondendi verliehen wurde. Beide haben Bahnbrechendes für die weitere Rechtsentwicklung geleistet. Sabinus schrieb ein Lehrwerk mit dem Titel tres libri iuris civilis, dem so durchschlagender Erfolg beschieden war, dass es quasi gesetzesgleiche Autorität erlangte (wie über 1800 Jahre später das ebenfalls dreibändige Lehrbuch Windscheids128) und – genau wie das Werk des Mucius Scaevola – von späteren Autoren ihren Kommentierungen wie ein Gesetzestext zugrunde gelegt wurde (ad Sabinum). Man nennt dies auch das Sabinussystem im Gegensatz zu den Kommentierungen des Edikts (ad edictum), dem Ediktsystem.129
In dieser Zeit entstanden die beiden „Rechtsschulen“, die durch persönliche Verbindung von Juristen zur Pflege einer bestimmten wissenschaftlichen Tradition geprägt waren: die Proculianer (Stammvater war Labeo, der Name geht auf seinen Schüler Proculus zurück) und die Sabinianer (nach Sabinus), auch Cassianer genannt nach Cassius Longinus. Letzterer war sowohl mit dem gleichnamigen Caesarmörder als auch mit Servius Sulpicius verwandt. Wie die juristische Begabung lag ihm anscheinend auch die Abneigung gegen Tyrannen im Blut: Cassius geriet in ernsthafte Schwierigkeiten mit Nero und Caligula, was ihm eine zeitweilige Verbannung nach Sardinien einbrachte. Schulgründer der Sabinianer war Capito, der – im Gegensatz zu seinem Rivalen, dem aufrechten Labeo – in der Überlieferung130 als ein dem Kaiser unterwürfiger Kriecher daherkommt, als Fachjurist anscheinend aber hohes Ansehen genoss. Diese Rechtsschulen unterschieden sich durch ihre Auffassungen in Einzelfragen, nicht in den Grundsätzen; die Unterschiede verschwanden Ende des 2. Jahrhunderts wieder. Wir werden an verschiedenen Stellen auf Beispiele der zwischen ihnen ausgefochtenen Meinungsstreitigkeiten zu sprechen kommen.
Mit fortschreitender Zeit wurden die Juristen immer mehr zu Staatsbeamten, zuweilen in den höchsten Ämtern. So war der Jurist Javolen, der auch das ius respondendi besaß, Statthalter in Dalmatien, Britannien, Germanien, Syrien und Afrika – also alles andere als ein Stubengelehrter! Die Kaiser hatten wie die Prätoren ihr consilium, dem mit der Zeit die Funktion eines Staatsrates und dann auch institutionalisierten Gerichtshofs zukam131. Es wurde zum Kabinett aus fest besoldeten Mitgliedern, Regierung und oberstes Rechtsprechungsorgan zugleich, in dem die Juristen dienten und mit der Zeit die Führung der Jurisprudenz übernahmen. Zu diesen gehörten die bedeutendsten Hochklassiker, z. B. Neraz, Vorstand der prokulianischen Rechtsschule, der möglicherweise sogar selbst als Kandidat für die Kaiserwürde in Erwägung gezogen wurde. Die durchaus repräsentative Tätigkeit des Javolen beschreibt Plinius: Interest officiis, adhibetur consiliis atque etiam ius civile publice respondet132 – „Er versieht seine Ämter, nimmt an Sitzungen des Rates teil und erteilt sogar offizielle Rechtsgutachten“. Dem bedeutenden Julian sind wir schon begegnet und werden dies noch mehrfach tun. In Nordafrika geboren, führte ihn seine berufliche Laufbahn nach Spanien, Afrika und als Statthalter von Germania inferior auch nach Köln; Justinian wird ihn einige Jahrhunderte später den „Weisesten aller Rechtsgelehrten“ nennen133. Julians Autorität war überragend, seine Entscheidung vieler Streitfragen wurde als abschließend akzeptiert und oft war er es, der neue Wege beschritt. Auch Celsus, einer der eigenwilligsten Charaktere in der langen Reihe der Juristen, ist hier zu nennen. Celsus hatte eine besondere Gabe zur Formulierung eindringlicher Sentenzen; hier eine kleine Auswahl der auch heute noch verbreiteten und oft zitierten, die sich an prominentester Stelle, nämlich am Anfang der Digesten, finden:
D. 1, 1, 1 pr.: Ius est ars boni et aequi – Recht ist die Kunst des Guten und Gerechten.
D. 1, 3, 17: Scire leges non hoc est verba earum tenere, sed vim ac potestatem – Gesetze kennen heißt nicht, ihren Wortlaut zu kennen, sondern ihren Sinn und Zweck.
D. 1, 3, 24: Incivile est nisi tota lege perspecta una aliqua particula eius proposita iudicare vel respondere – Es ist unjuristisch, ohne das Gesetz als Ganzes zu berücksichtigen, nach irgendeinem Teil desselben ein Urteil zu sprechen oder ein Gutachten zu erteilen.
Insbesondere Letzteres wird ja auch heute noch jedem Erstsemester ins Stammbuch geschrieben.
Allerdings war dieser brillante Geist – Wieacker nennt ihn als den neben Labeo originellsten römischen Juristen134 – persönlich wohl mit Vorsicht zu genießen. Einen Fragesteller fertigte Celsus folgendermaßen ab: Non intellego quid sit, de quo me consulueris, aut valide stulta est consultatio tua135 – „Entweder verstehe ich deine Frage nicht oder sie ist außerordentlich dumm“. Der unglückliche Adressat, ein gewisser Domitius Labeo (nicht zu verwechseln mit dem früher lebenden und genialen Antistius Labeo), hatte bei Celsus anzufragen gewagt, ob derjenige, der für einen anderen ein Testament auf dessen Diktat geschrieben habe, auch als Zeuge dieses Testaments in Frage komme. Celsus antwortete mit dem zitierten Satz und dass es mehr als lächerlich sei, dies überhaupt in Zweifel zu ziehen. In der Rechtsgeschichte sind sprichwörtlich geworden die quaestio Domitiana für eine, jedenfalls aus Sicht des Befragten, alberne Frage und das responsum Celsinum für eine grobe Antwort.
In klassischer Zeit hob auch eine Art organisierter Rechtsunterricht an, für den Einführungswerke (institutiones) geschrieben wurden, im Unterschied zur Literatur für Einzelprobleme und Responsensammlungen auf hohem Niveau, die sich an den Fachmann richteten (digesta, pandectae, quaestiones, disputationes). Als Hauptform der Klassik entstanden Großkommentare zum ius civile des Sabinus und zum Edikt neben Kommentaren zu einzelnen Gesetzen und Monographien. Die Klassiker erreichten einen besonderen Stil, der durch Präzision, Schlichtheit, Klarheit der Gedankenführung und Beschränkung auf das Wesentliche besticht. Bereits die Mitteilung des Sachverhaltes ist eine eigene Kunst („Sprachkunstwerk an epigrammatischer Verdichtung“136) und beinhaltet häufig bereits die Lösung: Entscheidungsgründe werden oft nicht angegeben, weil sie als dem fachkundigen Leser evident vorausgesetzt werden (wir werden zu all dem Beispiele sehen). Wie ihre zeitgenössischen Nachfolger haben auch die römischen Juristen ihre sprachlichen Besonderheiten und Vorlieben. Der deutsche Jurist gebraucht liebevoll „insoweit“, „hilfsweise“ oder „grundsätzlich“, also vom Laien kaum oder in anderem Sinne benutzte Begriffe; der iuris consultus pflegt dumtaxat (nur, höchstens) oder intra zu schreiben, Letzteres nicht in der üblichen Bedeutung „innerhalb“, sondern „vor“. Aulus Gellius, dem als iudex aufgetragen wird, intra Kalendas zu urteilen, muss daher eigens bei einem befreundeten Philologen nachfragen, wie diese Fristsetzung denn genau zu verstehen sei137.
Neben den Juristen mit großer Karriere im Staatsdienst finden wir Schuljuristen, unter ihnen Pomponius und Gaius, beide Privatleute ohne öffentliche Ämter, die sich allein der Lehre und der juristischen Schriftstellerei widmeten. Beide wirkten Mitte/ Ende des 2. Jahrhunderts. Pomponius hinterließ ein riesiges Werk, Großkommentare wie Einzelschriften; am bekanntesten ist sein Enchiridium (wörtlich: Handbüchlein) mit dem Abriss der Geschichte des römischen Rechts, das – in allerdings bearbeiteter Form – an den Beginn der Digesten gestellt wurde.
In seiner Bedeutung für uns kaum zu überschätzen ist Gaius. Von seiner Person wissen wir nahezu nichts mit Sicherheit. Er wirkte wohl, vielleicht nach einer Ausbildung in Rom, als Rechtslehrer in den östlichen (griechischen) Provinzen, worauf vieles hindeutet, u. a. sein ausgeprägtes rechtsvergleichendes Interesse. Sein bedeutendstes Werk ist ein um 161 geschriebenes Einführungslehrbuch: die Institutionen.
Sie sind uns als einziges Werk der gesamten römischen Rechtsliteratur (fast) vollständig erhalten und damit als Gesamtwerk die einzige unveränderte Originalquelle des klassischen römischen Rechts. Die Institutionen wurden erst 1816 in der Stiftsbibliothek von Verona entdeckt. Der auf Pergament geschriebene Text war ausradiert und wieder überschrieben worden (ein Palimpsest; dieses Verfahren war im Mittelalter üblich zur Wiedernutzbarmachung des teuren Schreibstoffes). Er ließ sich aber zu großen Teilen wiederherstellen. Gaius versucht eine wirkliche Systematisierung des Rechts. Das Werk ist nach der als „Institutionensystem“ bezeichneten Aufteilung des Rechtsstoffes gegliedert in personae/res/actiones, also Personen (Rechtssubjekte), Sachen (Rechtsobjekte) und Klagen, Ansprüche, Einreden etc. Diese Struktur erwies sich in der Rechtsgeschichte als sehr einflussreich und liegt auch vielen neuzeitlichen Kodifikationen zugrunde. Das BGB übernimmt sie im Allgemeinen Teil als Personen/Sachen/Rechtsgeschäfte, sein Fünf-Bücher-System (auch Pandektensystem genannt) geht als mittelbare Fortentwicklung ebenfalls auf die Institutionen zurück. Neben Pomponius ist Gaius der Einzige, der über die Geschichte des römischen Rechts berichtet. Er schreibt auch einen Kommentar zum Zwölftafelgesetz, denn „gewiss ist der wichtigste Teil jeder Sache ihr Anfang“138, und wer die Geschichte des Rechts übergehe, fasse es sozusagen „mit ungewaschenen Händen“ (illotis manibus) an. Sein Interesse ist in erster Linie pädagogisch. Er will nicht die Rechtswissenschaft durch originelle Schöpfungen vorantreiben (von den – zeitgenössischen und späteren – Klassikern wird er auch nicht zitiert139), sondern Juristen ausbilden. Er war damit außerordentlich erfolgreich, wie die weite Verbreitung seines Lehrbuches bereits in der Antike beweist. Zusammen mit dem ius civile des Sabinus sind es damit zwei (Einführungs-)Lehrbücher und nicht die großen dogmatischen Schriften, die System und Rezeption des römischen Rechts für immer geprägt haben.
Die Spätklassik im Ausgang des 2., zu Beginn des 3. Jahrhunderts v. Chr. fiel zeitlich mit der Regierungszeit der Severer und der Militärmonarchie zusammen. Die Juristen gelangten in die allerhöchsten Staatsämter; von den drei bedeutendsten Spätklassikern Papinian, Paulus und Ulpian waren jedenfalls der Erst- und der Letztgenannte Prätorianerpräfekten, praefecti praetorio. Damit bekleideten sie ein Amt, bei dem hierarchisches Gewicht und damit verbundene Lebensgefahr für seinen Inhaber einander die Waage hielten, wie (nicht nur) Ulpians Ermordung durch seine eigenen Untergebenen, vermutlich 223, zeigt. Die Prätorianerpräfekten waren nicht nur die Kommandeure der in Rom stationierten Prätorianergarde, sondern in dieser Zeit auch die höchsten Reichsbeamten in Verwaltung und Rechtsprechung, also nach heutigen Maßstäben Premierminister, Präsident des obersten Gerichtshofs und General in einem. Papinian, der Lehrer Ulpians, wurde auf Befehl des Kaisers Caracalla 212 ermordet, weil er sich geweigert hatte, die Ermordung von dessen Bruder und anfänglichem Mitregenten Geta juristisch zu rechtfertigen, und wurde damit zum Märtyrer des Juristenstandes. Papinian war eine überragende Autorität, auch in späteren Zeiten: Kaiser Konstantin verfügte im Jahre 321 gar gesetzlich, dass Schriften jüngerer Zeitgenossen Papinians, wie solche von Paulus und Ulpian, die ihn kritisierten, zu vernichten seien140; und der Barockdichter Gryphius machte ihn zum Helden einer Tragödie. Ulpian, syrischer Herkunft, sammelte das Rechtswissen seiner Zeit und legte damit eine wesentliche Grundlage für die 300 Jahre später geschaffene Kodifikation Justinians. Er verfasste einen Großkommentar zum Edikt (81 libri ad edictum) und zu Sabinus (51 libri ad Sabinum); eines seiner bekanntesten Zitate ist wohl seine Zusammenfassung der Gebote des Rechts: honeste vivere, alterum non laedere, suum cuique tribuere – „ehrenhaft leben, niemanden verletzen, jedem das Seine gewähren“141.
1.4.6.4 Rechtsquellen der Kaiserzeit
In der Kaiserzeit erweiterte sich, durch die politische Verfassung bedingt, das System der Rechtsquellen gegenüber der Republik erheblich. Zu den überkommenen Quellen der bestehenden Gesetze, der magistratischen Edikte und des Juristenrechts traten hinzu:
Das senatus consultum (SC), der Senatsbeschluss. Die Republik erkannte die Senatsresolutionen noch nicht als gesetzesgleiche Normsetzungsakte des ius civile an, sondern wie bereits erwähnt als politische Empfehlung oder Rat (so die Übersetzung von consultum), welchem aber aufgrund der überragenden Autorität des Senats gefolgt wurde. In der Kaiserzeit wurden sie zu einer üblichen Form der Gesetzgebung. Sie nahmen Bezug auf den „Gesetzesantrag“ des Kaisers im Senat (oratio principis in senatu habita), daher findet sich auch zuweilen die Bezeichnung oratio. Die Legislative lag also inhaltlich beim Kaiser. Ein SC wurde nach dem antragstellenden Magistrat benannt, wie früher die Volksgesetze.
Sodann ist das eigentliche Kaiserrecht zu nennen in seinen verschiedenen Formen, die mit dem Oberbegriff Konstitutionen bezeichnet werden und wie Gesetze galten142:
Reskripte waren Einzelentscheidungen des Kaisers auf konkrete Rechtsfragen zumeist aus anhängigen Verfahren, die verallgemeinert wurden; hierfür waren eigene Kanzleien innerhalb der kaiserlichen Verwaltung zuständig, der die tüchtigsten Juristen vorstanden. Die Reskripte waren keine Urteile, da sie den mitgeteilten Sachverhalt als zutreffend unterstellten; dies zu prüfen war Sache des Tatrichters, der – sollte sich der Sachvortrag als zutreffend erweisen – an die im Reskript mitgeteilte Entscheidung der Rechtsfrage gebunden war. Sie nahmen mit der Zeit die Stelle der juristischen Gutachten (responsa) ein, die aber weiterhin erteilt wurden. Von Bedeutung waren auch kaiserliche Endurteile (sententiae, decreta) in Verfahren vor dem Kaisergericht.
Andere kaiserrechtliche Rechtsetzungsakte waren edicta (Anordnungen allgemeinen Inhalts) und mandata (Verwaltungsanweisungen). Diese konnten durchaus von weittragender Bedeutung sein. Durch die constitutio Antoniniana verlieh Kaiser Caracalla 212 allen freien Bewohnern des Reiches das römische Bürgerrecht; und durch Dienstanweisungen an die Heereskommandeure wurde im Prinzipat ein eigenes, von den Prinzipien des überkommenen Erbrechts völlig abweichendes Testamentsrecht für Soldaten geschaffen143. Schließlich ist auch das Gewohnheitsrecht zu nennen (mos, consuetudo)144.
1.4.7 Nachklassik
Nach dem Ende der Severer geriet das Reich in eine große Krise. Es begann die Zeit der Militäranarchie (Soldatenkaiser, 235–284), nach traditioneller Sichtweise des wirtschaftlichen und kulturellen Verfalls, der politischen Instabilität und Verarmung weiter Bevölkerungsteile: ein unfruchtbares Feld für Zivilrecht und Zivilprozesse. Literatur aus dieser Zeit ist nicht auf uns gekommen. Die kaiserliche Reskriptenpraxis und die Kaiserkonstitutionen blieben als Rechtsquelle allerdings bestehen. Mit Diokletian (284–305) begann die herkömmlicherweise als Dominat bezeichnete und durch Absolutismus, Staatswirtschaft, drückende Steuerlast und Unfreiheit gekennzeichnet angesehene Regierungsform: der „spätantike Zwangsstaat“. Die massive Inflation begünstigte die Naturalvollstreckung. Das hochentwickelte klassische Recht war im Niedergang. Ein stark vereinfachendes Recht breitete sich aus, das man traditionell als „Vulgarrecht“ bezeichnet: Es beruhte auf Laienanschauung, „Volksmeinung“145 (daher der Name), und unterschied sich dadurch von dem wissenschaftlichen Recht der Klassik. So kannte es z. B. keine Unterscheidung von Eigentum und Besitz mehr, der Kauf war kein Verpflichtungsgeschäft, sondern reiner Barkauf etc.146 Es brachte in einzelnen Rechtsinstituten aber auch Fortschritte147. Zeitgleich mit dem klassischen Recht verfiel übrigens auch die klassische lateinische Literatur.148
Das Auseinanderstreben von Ost und West mündete in die Reichsteilung (395). Im Ostteil des Reiches bewahrte sich ein höheres juristisches Niveau, ohne das die Justinianische Kodifikation nicht möglich gewesen wäre. Eigenständige Rechtsschöpfung fand nicht mehr statt. Die Literatur bestand aus vereinfachenden Bearbeitungen und Exzerptensammlungen der als höchste Autorität verstandenen Klassikerschriften. Seinen Gipfel fand dies im sog. Zitiergesetz von 426: Nur die Schriften des Papinian, Paulus, Ulpian, Modestin und Gaius (sowie die von diesen Zitierten) durften vor Gericht zitiert werden, sie galten gesetzesgleich. Bei Meinungsverschiedenheiten musste der Richter der Mehrheit, bei Stimmengleichheit der Meinung des Papinian folgen; hatte sich Papinian zu der Frage nicht geäußert, war der Richter bei Stimmengleichheit unter den anderen „Zitierjuristen“ in seiner Entscheidung frei. Was uns als bloßes Abzählen recht geistlos erscheint, wird allerdings aus praktischen Notwendigkeiten und dem Bestreben heraus geboren worden sein, in unsicheren Zeiten zumindest ein gewisses Maß an Rechtssicherheit zu schaffen.
Die Zeit der Nachklassik war auch die der ersten Kodifikationsbemühungen. Private (oder halbamtliche) Sammlungen der Kaiserkonstitutionen wurden veranstaltet, so der Codex Gregorianus (zwischen 291 und 295), der Konstitutionen von Hadrian bis Diokletian enthält, und der ihn ergänzende Codex Hermogenianus (295). Diese Zusammenstellungen wurden als solche allerdings nicht mit Gesetzeskraft versehen. Der Codex Theodosianus (438 für Ost-, 439 für Westrom in Kraft getreten) umfasste und kodifizierte das Kaiserrecht ab Konstantin. Daneben traten die germanischen Gesetzbücher (leges Romanae); sie wurden im 5., Anfang des 6. Jahrhunderts von den Königen der germanischen Reiche auf dem Territorium des ehemaligen (west-)römischen Reiches für ihre römischen Untertanen geschaffen, die gemäß dem Personalitätsprinzip nach römischem Recht lebten.
1.4.8 Die Kodifikation Justinians („Corpus Iuris“), insbesondere Digesten und Institutionen
Am Anfang und am Ende der 1000-jährigen Entwicklung des römischen Rechts steht wie bereits gesagt ein Gesetzeswerk. Die XII Tafeln sind uns nicht erhalten, und die Kenntnis ihres Inhaltes beruht auf Rekonstruktion. Anders das (später so genannte) Corpus Iuris Civilis des oströmischen Kaisers Justinian: Es nimmt unter den Quellen in der Chronologie die letzte, seiner Bedeutung nach die erste Stelle ein.
Das Justinianische Gesetzeswerk stammt aus einer Zeit, nämlich um ca. 530 n. Chr., in der das zum Inhalt der Kodifikation genommene Recht in Rom überhaupt nicht mehr angewandt wurde. Im Osten hatte sich dagegen nach der Reichsteilung die staatliche Gewalt stabilisiert und mit ihr Pflege und Unterricht des römischen Rechts auf hohem Niveau. Zur Ausübung der Advokatur musste man ein Rechtsstudium vorweisen können. In Konstantinopel, der Hauptstadt, und Beryt (Beirut) bestanden Rechtsschulen, an denen besoldete Professoren das römische Recht anhand der klassischen lateinischen Texte auf Griechisch unterrichteten. Diesen Rechtsschulen ist die Bewahrung der klassischen Rechtsliteratur als Voraussetzung der Justinianischen Kodifikation zu verdanken.
Justinian regierte als oströmischer Kaiser von 527 bis 565. Im Westen war das römische Reich untergegangen, sein Gebiet stand unter der Herrschaft germanischer Könige. Justinian wollte das römische Reich wieder in altem Glanz erstehen lassen, wozu nicht nur die Rückeroberung Nordafrikas, Italiens und Spaniens gehörte, sondern auch die Renaissance des klassischen Rechts (Klassizismus Justinians). Er stammte aus einfachen Verhältnissen und machte am Hof seines Vorgängers und Onkels Justin I. Karriere. Er war verheiratet mit der legendenumwobenen Theodora, einer ehemaligen Schauspielerin und außergewöhnlichen Frau, die aktiv an der Regierung mitwirkte. Justinian war durchdrungen vom Gedanken des Gottesgnadentums; er selbst war tief religiös und griff wiederholt und massiv in kirchliche und theologische Streitigkeiten ein. Reichseinheit, Religionseinheit und Rechtseinheit waren die Ziele seiner Politik.
Nach Kriegen im Osten mit den Persern, die über Tributzahlungen beendet werden konnten, nahm Justinian die Rückeroberung und Wiederherstellung des alten römischen Reiches in Angriff. 533 eroberte er Nordafrika von den Vandalen, danach begann die Rückeroberung Italiens und die Vertreibung der Ostgoten, letztlich mit Erfolg, der aber teuer bezahlt war und dennoch nicht von Dauer. Die Gotenkriege zogen sich bis 552 hin und hinterließen ein völlig erschöpftes Land; und 568 endete diese letzte „römische“ Herrschaft in Italien schon wieder mit der Ankunft der Langobarden. Südspanien konnte zurückgewonnen werden, wurde aber 625 wieder westgotisch.
Anderes dagegen ist von Dauer: die von ihm erbaute weltberühmte Hagia Sophia und vor allem sein Gesetzeswerk, von ihm „Tempel der Gerechtigkeit“149 genannt. Dieses nahm schon kurz nach seinem Regierungsantritt mit dem Auftrag zur Zusammenstellung der Kaiserkonstitutionen seinen Anfang. Bereits 529 lag diese Sammlung vor: der Codex Iustinianus (zitiert „C.“), eine Sammlung von ca. 4600 Kaiserkonstitutionen seit Hadrian in 12 Büchern (erhalten ist die zweite Fassung, die nach Erscheinen der Digesten 534 erforderlich wurde). Justinian konnte hier auf den bereits vorhandenen, oben erwähnten Gesetzessammlungen aufbauen. Nachdem dieses Werk schneller als geplant vollendet war, holte Justinian nun zum ganz großen Wurf aus. 530 setzte er eine aus Professoren und Praktikern bestehende Kommission zur Schaffung der Digesten ein. Er ließ die in großer Zahl vorhandenen klassischen Juristenschriften auswerten und daraus ein Gesetzbuch erstellen. Der Name leitet sich ab von digerere – „planmäßig zusammenstellen“, in griechischer Sprache pan dechesthai – „alles umfassen, aufnehmen“, woher die Bezeichnung „Pandekten“ stammt. Werke mit dem Titel „Digesten“ hatten schon die klassischen Juristen geschrieben, u. a. Julian. Die Leitung dieses Unternehmens übertrug er dem genialen Justizminister Tribonian, „the last Roman jurist“ (Honoré), dem wir die erfolgreiche Durchführung dieses gigantischen Werkes und damit den Erhalt des römischen Rechts überhaupt zu verdanken haben. Auch diese Herkulesarbeit wurde aufgrund einer ausgeklügelten Arbeitsorganisation in Rekordzeit abgeschlossen. Bereits 533 traten die 50 Bücher der Digesten in Kraft (für Ostrom; für Westrom nach dem Sieg über die Goten 554). Sie wurden verkündet und waren nach einer Frist von 14 Tagen anzuwenden – auch auf noch anhängige Verfahren (!). Justinian wollte jegliche Rechtsunsicherheit für alle Zeiten beenden, rückschauend durch abschließende Entscheidung der Meinungsstreitigkeiten unter den klassischen Juristen, und in die Zukunft gerichtet durch ein – in seinem genauen Gehalt allerdings unklares und auch nicht eingehaltenes – Verbot, die Digesten zu kommentieren150.
Über die Zielsetzung des Gesetzes und die Arbeitsweise der Kommission geben uns die Einführungserlasse Auskunft, die in lateinischer und in griechischer Sprache verfasst sind und – wie heute noch päpstliche Enzykliken – nach ihren Anfangsworten benannt werden. Der Auftrag an die Kommission lautet in des Kaisers eigenen Worten:
Wir gebieten euch also, die das römische Recht betreffenden Bücher der alten Rechtsgelehrten, denen die allerheiligsten Kaiser die Befugnis gewährt haben, Rechtsnormen zu setzen und und auszulegen, sowohl zu lesen als auch zu reinigen, damit aus diesen der gesamte Stoff gesammelt wird, und zwar ohne dass (soweit das möglich ist) irgendeine Wiederholung oder irgendein Widerspruch übrigbleibt, vielmehr so, dass aus diesen Büchern jeweils das ausgewählt wird, was allein für alles Übrige stehen kann151.
Das tat die Kommission gründlich. Ihr lagen nach eigenen Angaben fast 2000 Bücher in einem Umfang von 3 Millionen Zeilen vor, die am Ende auf 150.000 Zeilen zusammengefasst wurden152. Die Digesten enthalten Fragmente aus über 200 Werken. Die Löwenanteile entfallen auf Ulpian (ca. ein Drittel) und Paulus (ca. ein Sechstel); einen hohen Anteil haben auch Pomponius, Julian, Gaius, Papinian und Afrikan. Republikanische Juristen und solche vor Trajan werden kaum direkt zitiert (2 Prozent), obwohl deren Werke den Kompilatoren (so werden die Mitglieder der Kommission genannt, nach lat. compilare – „ausbeuten, plündern“) noch vorlagen. Man muss sich das einmal auf die Gegenwart übertragen vorstellen: Es wäre „ein Gesetzbuch, das Zitate aus dem Sachsenspiegel enthielte, dessen Hauptmasse aus der Rechtsliteratur der Zeit um den 30jährigen Krieg stammte, und das aus dem 19. und 20. Jahrhundert nur eine verhältnismäßig bescheidene Anzahl ziemlich spezieller Gesetze wiedergäbe“153. Und doch hat es die Privatrechtsgeschichte wie kein anderes Werk geprägt.
Was nicht in die Digesten Eingang fand, war fortan bedeutungslos und damit dem Untergang geweiht, mindestens 95 Prozent des antiken juristischen Schrifttums. Abgesehen von den Institutionen des Gaius sind uns außerhalb des Corpus Iuris nur noch Bruchstücke dieser Literatur in Exzerpten und späteren Bearbeitungen erhalten, so v. a. in den fragmenta Vaticana, Ulpiani epitome, Pauli sententiae und der Collatio legum Mosaicorum et Romanorum (einem Vergleich von Stellen aus dem Alten Testament mit römischem Recht), die alle im 4. Jahrhundert angefertigt wurden (die Pauli sententiae vielleicht auch schon Ende des 3. Jahrhunderts). Im Übrigen ist sie uns auf immer verloren. Die Kompilatoren begnügten sich nicht mit Exzerpieren und redaktioneller Bearbeitung, sondern scheuten sich auftragsgemäß nicht, in die Texte einzugreifen und diese auch inhaltlich zu verändern, um sie an die geänderte Rechtslage anzupassen. Sie schufen ein Gesetzbuch, kein Museum. Diese Änderungen nennt man Interpolationen (von interpolare – „auffrischen, Altes erneuern“). So wurden Rechtsinstitute, die zu dieser Zeit längst abgestorben waren, durch solche ersetzt, die mittlerweile ihren Platz eingenommen hatten, z. B. das altertümliche und umständliche, förmliche Übereignungsgeschäft der mancipatio154 durch die formlose Übergabe, traditio. Aber auch darüber hinausgehend nahmen die Kompilatoren inhaltliche Änderungen vor. Dies erschwert es uns, den klassischen Rechtszustand zu rekonstruieren. Die Auseinandersetzung mit der Frage, wie weit diese – von den Kompilatoren nicht offengelegten! – Eingriffe gingen, nennt man Interpolationenkritik. Anfang/Mitte des letzten Jahrhunderts war die Rechtswissenschaft deutlich stärker geneigt, Interpolationen anzunehmen; man hat dies auch als regelrechte „Interpolationenjagd“ bezeichnet. Mittlerweile ist man hier sehr viel zurückhaltender.
Zur Zitierweise: Die Digesten (abgekürzt D.) werden zitiert nach Buch, Titel, Fragment (der „herausgebrochene“ Teil aus dem Originalwerk) und (falls vorhanden) Paragraph (Absatz). Hier ist eine Besonderheit zu beachten: der 1. Paragraph wird abgekürzt mit „pr.“, dies steht für principium, Anfang. Erst der folgende Paragraph trägt die Ziffer 1. Außerdem enthalten die Digestenstellen eine Überschrift, Inskription, die den Namen des Autors angibt und das Originalwerk, aus dem das jeweilige Exzerpt stammt; Letzteres wird bei Digestenzitaten allerdings zuweilen auch weggelassen. Das Zitat „Ulp. D. 1, 1, 10 pr.“ bedeutet also: Ulpian, 1. Buch der Digesten, 1. Titel, darin das 10. Fragment, 1. Paragraph155.
Die Digesten können allerdings nicht wie ein modernes, abstrakte Regeln enthaltendes Gesetzbuch gehandhabt werden. Abstrakte Normen und typische gesetzliche Tatbestände bilden die Ausnahme. Die Digesten enthalten v. a. Falllösungen, Argumentationen, Fortentwicklungen des Rechts; oft werden die entscheidungserheblichen Punkte gar nicht explizit ausgesprochen, sondern vorausgesetzt. Wir werden auch hierzu viele Beispiele sehen. Man darf niemals vergessen, dass die Digesten nicht unmittelbar aus Gesetzestexten exzerpiert wurden, sondern aus juristischen Lehrbüchern. Das erkennt man auch am Stil. Wir finden sogar Briefe156 (unter Wiedergabe der Einleitungsformel salutem dicit, oder mit persönlichen Bemerkungen wie derjenigen Ulpians: „wie ich meinem Schüler Modestin geschrieben habe“157) und ganze Sitzungsprotokolle des kaiserlichen consilium im Wortlaut wiedergegeben158. Auch die oben zitierte Ausfälligkeit des Celsus gegen aus seiner Sicht dumme Fragensteller hat ihren Weg in die Digesten gefunden. Und an einer Stelle enthalten die Digesten sogar so etwas wie einen Scherz (wiedergegeben im letzten Kapitel dieses Buches). Das macht die Lektüre und die Auseinandersetzung damit so ungeheuer spannend, was sich von der Lektüre moderner Gesetze nicht immer sagen lässt.
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