Kitabı oku: «Einführung in das römische Privatrecht», sayfa 4

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Die XII Tafeln sind „weltliches“ Recht. Sie kommen nicht von einem Gesetzgeber als Vermittler zwischen Gott und den Menschen (wie Moses), sondern die Bürgerschaft erlegt sich selbst Regeln auf. Die XII Tafeln werden durch die Volksversammlung ratifiziert und auf dem Forum aufgestellt. Es handelt sich um „Bürgerliches Recht“ im Wortsinne. Die XII Tafeln enthalten – nach heutigen Begriffen – Prozessrecht, Privatrecht, aber auch Strafrecht71 und Sakralrecht. Die Schwerpunkte liegen auf Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit, auf dem öffentlichen Rechtsfrieden und im Ladungs- und Vollstreckungsrecht; die Stellung der Plebejer wird aufgewertet, die soziale Ungleichheit zurückgedrängt72, die Willkür der Gläubiger v. a. im Vollstreckungsrecht eingeschränkt (das gleichwohl noch sehr hart bleibt). Außerdem regeln die XII Tafeln Materien, die wie Fristen, Maße, Summen und neue Geschäftsformen ihrer Art nach nicht dem Herkommen überlassen bleiben können, sondern positiver Regelung bedürfen73. Nicht geregelt ist das Staatsorganisationsrecht – die XII Tafeln sind keine Verfassung.

Archaische Rechtsinstitute werden bestätigt und teilweise modifiziert oder eingeschränkt, z. B. die Privatrache; neue Rechtsinstitute werden ausführlicher geregelt (wir werden eine Fülle von Beispielen dafür im jeweiligen inhaltlichen Zusammenhang betrachten). Es handelt sich aber nicht um eine systematisch-umfassende Kodifikation im modernen Sinne, die XII Tafeln ordnen den Rechtsstoff noch assoziativ an. Ins Auge sticht die rhythmische und v. a. prägnante Sprache, die in späteren, üblicherweise sehr umständlich und pedantisch formulierten Gesetzen der römischen Republik nie wieder erreicht wird; sie sticht auch stark von der umständlichen und abundanten, durch die Auguren beeinflusste Rechtssprache der archaischen römischen Rechtsgeschäfte ab74. Als Beispiel dieser Gesetzessprache sei einer der bekanntesten Regelungen der XII Tafeln gegeben, die Ladung vor Gericht (in ius vocatio), die auch am Beginn dieses Buches stand:

XII 1, 1, 2

Si in ius vocat, ito; ni it, antestamino; igitur em capito. si calvitur pedemve struit, manum endo iacito.

Wenn er [der Kläger] jemanden vor Gericht ruft, muss dieser gehen. Geht er nicht, soll er [der Kläger] Zeugen herbeirufen und ihn [den Beklagten] dann ergreifen. Wenn er [der Beklagte] sich sträubt oder fliehen will, soll [der Kläger] ihn ergreifen.

Die Normen sind bereits klar in den üblicherweise mit einem Bedingungssatz eingeleiteten Tatbestand und die in die Befehlsform gekleidete Rechtsfolge gegliedert. Dies hat auf den Stil der Juristen in ihren Schriften bis in die Klassik hinein eingewirkt75. Typisch ist der Subjektwechsel, man muss sich also immer dazudenken, wer gerade gemeint ist. Horaz macht sich über den Kommandostil der XII Tafeln später lustig76:

Der Jurist Trebatius (dem ein langes Leben und Wirken beschieden war, er wird uns noch häufiger begegnen) gibt ihm – aus hier nicht weiter zu untersuchenden Gründen – den Rat, keine Gedichte mehr zu schreiben, und wenn er deswegen nachts nicht schlafen könne: ter transnanto Tiberim – „durchschwimme dreimal den Tiber“. Die gleiche, durchweg juristisch gefärbte Satire enthält ein weiteres Spiel mit den Worten der XII Tafeln. Diese stellen carmina mala, also böse Zaubersprüche, unter Strafe; Horaz macht daraus gemäß dem Sprachgebrauch seiner Zeit aber „schlechte Gedichte“, weswegen er keinen Prozess zu fürchten habe, da er anerkanntermaßen nur gute schreibe. Der von Cicero wegen seiner Patina geschätzte77 altertümliche Wortgebrauch ist späteren Römern auch nicht mehr immer völlig verständlich. Gellius erzählt, wie einige Bürger der Kaiserzeit, also über ein halbes Jahrtausend später, über den Wortlaut einer Bestimmung der XII Tafeln rätseln und selbst ein beigezogener Jurist nicht sagen kann, was ein bestimmter Begriff wohl bedeuten mag78.

Das Vollstreckungsrecht wurde schon einige Male erwähnt. Hier nun eine zentrale Vorschrift daraus, die uns immer noch hart erscheint, aber eigentlich schuldnerschützend gedacht war:

XII 3, 1–4

Aeris confessi rebusque iudicatis XXX dies iusti sunto. post deinde manus iniectio esto. in ius ducito. ni iudicatum facit aut quis endo eo in iure vindicit, secum ducito, vincito aut nervo aut compedibus XV pondo, ne maiore aut si volet minore vincito. si volet suo vivito. ni suo vivit, qui eum vinctum habebit, libras farris endo dies dato. si volet, plus dato.

Bei einer vor Gericht anerkannten Geldschuld und bei rechtskräftigen Urteilen sollen 30 Tage [Erfüllungsfrist] rechtmäßig sein. Danach soll die Ergreifung [des Schuldners] erfolgen. Er [der Gläubiger] soll ihn vor Gericht führen. Erfüllt er [der Schuldner] seine Urteilsverpflichtung nicht oder übernimmt niemand für ihn vor Gericht die Bürgschaft, soll ihn der Gläubiger abführen, fesseln, entweder mit einem Strick oder mit Fußfesseln von 15 Pfund, nicht mit schwereren, wenn er aber will, mit leichteren. Wenn er will, darf der Schuldner sich selbst verpflegen. Verpflegt er sich nicht selbst, soll ihm der, der ihn gefesselt hält, täglich ein Pfund Speltbrei geben. Wenn er will, kann er ihm mehr geben.

Rätsel gibt schließlich eine gruselige und daher ebenfalls sehr bekannte Norm in den XII Tafeln auf79:

XII 3, 6

Tertiis nundinis partis secanto. si plus minusve secuerunt, se fraude esto.

Am dritten Markttag sollen [die Gläubiger] sich die Teile [des Schuldners? Seines Vermögens?] schneiden. Wenn sie mehr oder weniger abgeschnitten haben, soll dies ohne Nachteil sein.

Haben die Römer hier wirklich angeordnet, den verurteilten Schuldner, der weder selbst leisten noch einen Einstandsbereiten finden kann, zu zerstückeln, also brutal zu töten? Oder bezieht sich dies nicht eher auf sein Vermögen oder den Erlös des Verkaufs des Schuldners in die Sklaverei? Man weiß es nicht, auch wenn sehr viel spätere Quellen die praktische Anwendung dieser Regel als lediglich zur Abschreckung gedacht verneinen80; ein konkreter Fall der Tötung und Zerstückelung eines Schuldners ist uns jedenfalls nicht überliefert81. Die Literaturgeschichte ist dankbar für das Motiv, bildet es doch den Kern von William Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ mit der v. a. für Juristen lesenswerten (wenn auch sehr nachdenklich stimmenden) Gerichtsszene im 4. Akt.

Die XII Tafeln enthalten schließlich auch Regeln zum rechtlichen Gehör und zum Versäumnisurteil, das damit ein 2500 Jahre altes, heute noch bestehendes Rechtsinstitut ist.

XII 1, 7–9

Ni pacunt, in comitio aut in foro ante meridiem caussam coiciuntur. com peroranto ambo praesentes. post meridiem praesenti litem addicito.

Wenn sie [die Parteien] sich nicht einigen, sollen sie im Comitium oder auf dem Forum am Vormittag den Rechtsstreit verhandeln. Beide Teile sollen zusammen persönlich anwesend [ihre Sache] vortragen. Nach dem Mittag soll er [der Prätor] der anwesenden Partei den Streitgegenstand zusprechen.

Das Haupt der Gesetzgebungskommission, Appius Claudius, soll ein ungutes Ende genommen haben. Der späteren Überlieferung zufolge82 weigert sich Appius nach vollbrachtem Werk zurückzutreten und regiert als Tyrann. Ein eklatantes Unrechtsurteil – des „Begründers“ des römischen Rechts! – läutet sein Ende ein: In Begierde entbrannt zu einer bereits verlobten Bürgerstochter spricht er diese in einem inszenierten Freiheitsprozess dem Kläger, einem von ihm selbst eingesetzten Strohmann, zu, woraufhin der Vater seine Tochter auf offenem Markt ersticht, um ihr das sichere weitere Schicksal zu ersparen. Dies facht einen Volksaufstand an, der den Tyrannen und seine Mittäter hinwegfegt und die Regierung wieder auf ordentlich gewählte Magistrate übergehen lässt83. Die Geschichte trägt allerdings vielfach legendenhafte, topische Züge und erinnert in wesentlichen Punkten an die Vorgeschichte der Vertreibung des letzten römischen Königs, Tarquinius Superbus, die wenige Jahrzehnte zuvor stattgefunden haben soll.

Die Gesetzestafeln gingen beim Galliereinfall in Rom 387 v. Chr. verloren, der Text wurde aber tradiert; noch Cicero hat ihn als Schüler auswendig gelernt. Die heutige Textfassung und übliche Einteilung ist Rekonstruktion aus anderen Quellen, vollständig ist der Text nicht erhalten. Zu den XII Tafeln wurden noch in der Kaiserzeit Kommentare geschrieben, die Digesten verweisen über 200 Mal ausdrücklich auf sie84. Sie wurden, auch wenn das Recht in vielen Fragen schon ganz andere Wege genommen hatte, stets als der Kern des althergebrachten römischen Rechts, des ius civile, angesehen. Sie zeigen „neben archaischen magisch befangenen, vielleicht auch barbarischen Zügen weitblickende politische Klugheit, sozialen Realismus und eine juristische Treffsicherheit, die auf die künftige Größe der römischen Jurisprudenz vorbereitet“85.

1.4.4 Pontifikale Jurisprudenz

Die Auslegung und Fortbildung (interpretatio) der XII Tafeln und damit des Rechts lag fortan bis zur Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. in den Händen des (gegenüber den Auguren jüngeren) Priesterkollegiums der pontifices. Die pontifices, zu deren illustren Kreis ab 300 v. Chr. auch Plebejer Zutritt hatten, waren zuständig für die Aufzeichnung der wichtigsten staatlichen Ereignisse, darunter Staatsverträge und Gesetze, und die Pflege des auch für die Rechtsprechung maßgeblichen Festkalenders. Ursprünglich fiel die korrekte Pflege der Beziehung zu den Göttern (Gebete, Spruchformeln) in ihren Aufgabenkreis, dieser weitete sich dann auf die korrekten Formeln in weltlichen Angelegenheiten aus. Alles juristische Wissen konzentrierte sich bei ihnen. Die pontifices bildeten sich als die für das Zivilrecht wichtigste Priesterschaft heraus. Priester sind aber in Rom nicht wie im heutigen Sinne zu verstehen als „Geistliche“ (zur Pflege einer göttlichen Offenbarung), sondern die pontifices waren angesehene (aktive oder ehemalige) Staatsbeamte, Honoratioren, alle mit erfolgreicher Politikerkarriere. Sie waren keine frommen Kleriker, keine Heilsvermittler, sondern „Sakralexperten“ mit erheblichem politischen Einfluss. So bemühte sich Julius Caesar in noch relativ jungen Jahren und mit Erfolg um das Amt des pontifex maximus, des Vorstehers der Priesterschaft, bevor er Konsul, Feldherr und letztlich Alleinherrscher wurde. Der Titel hat sich bis heute erhalten bei einem anderen für die Beziehung zur göttlichen Sphäre zuständigen obersten Amtsträger in Rom: dem Papst.

Die pontifices übten keine richterliche Tätigkeit aus, indem sie vor sie gebrachte Fälle verbindlich entschieden, sondern sie wirkten allein durch mündliche Rechtsgutachten (responsa)86, um die sie gebeten wurden. Es gab keine Rechts-, sondern lediglich eine gesellschaftliche Pflicht bzw. das Eigeninteresse des Anfragenden, diese Gutachten zu befolgen. Sie konnten kautelarer Natur sein, d. h. sie gaben Hinweise, wie ein bevorstehender Rechtsakt durchzuführen sei, oder „judiziell“, indem sie einen bereits abgeschlossenen Sachverhalt bewerteten, der aber nicht nachgeprüft wurde; das Gutachten erging vorbehaltlich der Wahrheit der vorgetragenen Tatsachen87. Die pontifices schufen das Recht aus ihrer auctoritas88 heraus, daher bedurften ihre Gutachten keiner Begründung. Sie erteilten auch keinen Rechtsunterricht. Ihre Autorität beruhte mehr auf Fachkenntnis als auf religiösem Charisma. Diese Autorität übertrug sich dann später auf die (amtlosen) Fachjuristen, deren Gutachten den von den pontifices vorgezogenen Bahnen folgten.

Prägend für diese Zeit war einerseits eine starre Interpretation des Gesetzes (Rigorismus), andererseits aber auch die Anlage und Ausbildung vieler Rechtsinstitute, die den Grundbestand des ius civile bildeten, nach den Erfordernissen der Praxis: der Keim der künftigen Rechtswissenschaft. Die pontifices waren konservativ und streng, aber keine realitätsfernen Dogmatiker:

Kennzeichnend für sie ist die Spannung zwischen einem rigiden Fomalismus, der sich jeder Rücksicht auf die soziale und wirtschaftliche Tragweite der Rechtswirkung des gesprochenen Wortes zu verschließen scheint, und einem treffsicheren Wirklichkeitssinn, der mit einem beschränkten überkommenen Formenschatz beständig neue soziale Aufgaben löst.89

Auch hierzu werden die konkreten Beispiele an geeigneter Stelle folgen.

Der Legende nach soll die pontifikale Jurisprudenz durch einen Cn. Flavius beendet worden sein, der um 300 v. Chr. die in den pontifikalen Archiven gehüteten Klageformeln (und den priesterlichen Festkalender) veröffentlichte und dadurch jedermann Einsicht ins Recht verschaffte (sog. ius Flavianum): ein „demokratischer Prometheus“. Man beachte: Es ist dasselbe Jahr, in dem Plebejer zum Pontifikalkollegium zugelassen wurden. Sicherlich kein Zufall ist es, dass die Überlieferung ihn als Sekretär des Politikers Appius Claudius Caecus („der Blinde“) nennt. Denn dieses Allroundgenie, der „kühnste Neuerer, den die römische Geschichte kennt“90, erbaute nicht nur die nach ihm benannte und heute in Teilen noch sichtbare, einstmals durch halb Italien führende Via Appia sowie die erste Wasserleitung nach Rom (und den Buchstaben „R“ soll er auch noch erfunden haben91), sondern verfolgte seinerseits eine volksfreundliche und gegen den Adel gerichtete Politik, und man darf annehmen, dass er seinen Sekretär bei seinem Vorhaben, wenn es denn so stattgefunden hat, gefördert haben wird. Appius Claudius war außerdem Nachfahre des gleichnamigen Mitschöpfers der XII Tafeln. Und wie sein Vorfahr, der als Dezemvir nach Abschluss der XII Tafeln zum Tyrannen wurde, das Recht setzte und gleich wieder brach, weigerte sich Appius Claudius, die gesetzliche zeitliche Befristung seines Zensorenamtes anzuerkennen. Die römische Rechtsgeschichte besetzt also an zwei entscheidenden Momenten die Hauptrollen mit zwei gleichnamigen Figuren, und beide nahmen es für ihre eigene Person mit dem Gesetz nicht immer allzu genau92. Ob die Flavius-Erzählung sich wirklich so zugetragen hat, ist zweifelhaft; offensichtlich ist ihre antipatrizische Spitze. Von geheimen Formeln und dergleichen kann wohl kaum die Rede sein, wenn jeder, der wollte, sie in den öffentlichen Prozessen stets hören konnte. Außerdem waren die beiden Protagonisten gar keine Mitglieder des Pontifikalkollegiums, hätten die geheimen Formeln also ohnehin nicht gekannt93. Wie die meisten Legenden bringt aber auch diese etwas auf den Punkt: Es war eine in vielem umwälzende Epoche (die Einführung des Münzgeldes fällt u. a. auch in diese Zeit), und sie brachte den Übergang von einer priesterlichen zu einer profanen Rechtswissenschaft und vom kollektiv respondierenden Gremium zur juristischen Einzelpersönlichkeit. Wenige Jahre später wird uns als einer der ersten dieser Persönlichkeiten Tiberius Coruncanius entgegentreten, erster Konsul und pontifex maximus plebejischer Herkunft. Die Juristen lehren und treten nun, anders als bisher, in ihrer juristischen Funktion öffentlich auf. Dies führt uns zur nächsten Epoche.

1.4.5 „Hellenistische Jurisprudenz“, „Vorklassik“: Mittlere und späte Republik

Nach dem Ende des Zweiten Punischen Krieges gegen Karthago (201 v. Chr.) und der Ausweitung der römischen Herrschaft nach Griechenland im 2. Jahrhundert v. Chr. beginnt die griechische Kultur in Rom wirkmächtig zu werden. Damit einher gehen immer stärker werdende internationale Verflechtungen, im Besonderen mit der hochentwickelten Wirtschaftswelt und Kultur der hellenistischen Staaten94 (es ist übrigens auch die Zeit der Geburt der lateinischen Literatur). Diese Entwicklung führt zur Zurückdrängung des Formalismus des altzivilen Rechts und zur Ausbildung von Geschäftsformen, die Römern und Nichtbürgern gleichermaßen zugänglich sind. Handel und Geldverkehr verlangen nach einem anderen Recht als die bäuerlich geprägte Kultur der frühen römischen Zeit. Die Juristen bedienen sich nun griechischer wissenschaftlicher Methode, insbesondere der Dialektik; auch beschäftigen sie sich, durch griechische Philosophie beeinflusst, mit der Idee der Gerechtigkeit an sich. Sie bleiben aber stets Praktiker: Immer steht die Falllösung im Zentrum, nicht die philosophische Spekulation. Das Recht entsteht so durch die Verbindung römischen Rechtsdenkens und griechischer Methodik, nicht aber durch Übernahme griechischer Rechtsinstitutionen in großem Stil95. Die römische Treue zur althergebrachten Rechts- und Staatstradition ist stets stärker. Ja, man erhebt sich über das griechische Recht, und ausgerechnet der glühende Griechenbewunderer Cicero schreibt im Zusammenhang mit den großen griechischen Gesetzgebern: Incredibile est enim, quam sit omne ius civile praeter hoc nostrum inconditum ac paene ridiculum – „Denn unglaublich ist es, wie ungeordnet und quasi lächerlich jedes Zivilrecht sich doch neben dem unseren ausnimmt“96.

Die Juristen dieser Zeit, insbesondere die dem sog. Scipionenkreis nahestehenden (einem illustren Kreis aus Neuem gegenüber aufgeschlossenen Persönlichkeiten der römischen Oberschicht und griechischen Philosophen), aber auch die späteren sind mit griechischem Denken und hellenistischer Wissensorganisation vertraut. Beispielsweise hat Servius, einer der bedeutendsten Juristen der späten Republik, selbst in Griechenland studiert. Die Rechtskunde wird zur Rechtswissenschaft – und ist es bis heute geblieben, eine der größten Errungenschaften der römischen Juristen überhaupt. Am Übergang zu dieser Periode steht das erste uns bekannte juristische Buch, die tripertita des Sextus Aelius Paulus Catus („der Schlaue“97), Konsul im Jahr 198. Es war vielleicht schon aufgebaut wie heutige Kommentare bzw. Praxishandbücher: Dem Text der XII Tafeln folgten eine Kommentierung und sodann die Prozessformeln (also ein dreiteiliger Aufbau, daher der Name des Werks).

Die Träger der Rechtsentwicklung sind nun nicht mehr die pontifices, sondern „weltliche Praktiker“ (erst Ulpian wird Jahrhunderte später wieder und auch in einem ganz anderen Sinne die Juristen als „Priester der Gerechtigkeit“ bezeichnen98). Zumeist entstammen sie der Nobilität (also der aus den alten Patrizierhäusern und dem nach den Ständekämpfen sich bildenden plebejischen Amtsadel bestehenden Oberschicht); zum Teil finden wir seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. aber auch schon Ritter unter ihnen, also Angehörige der zweithöchsten und insbesondere wirtschaftlich maßgeblichen gesellschaftlichen Schicht. Diese Juristen sind die iuris consulti. Auch wenn die meisten von ihnen hohe politische Ämter bekleiden, so ist ihr juristisches Wirken davon unabhängig und entspringt „privater“ Tätigkeit, wobei der Begriff nicht missverstanden werden darf. Die juristische Tätigkeit als solche ist, wie oben bereits gezeigt, nicht an ein Staatsamt gebunden. Aber auch die als iuris consulti sich auszeichnenden Männer wirken öffentlich, ihre auctoritas beruht nicht allein auf ihrem juristischen Scharfsinn, sondern auch ihren politischen, gesellschaftlichen und militärischen Verdiensten um die res publica. Beredtes Zeugnis davon legt der rechtsgeschichtliche Exkurs des Pomponius ab99, der die politischen Errungenschaften, Ehrungen und Ämter der erwähnten Juristen genau vermerkt. Dem Juristen Servius wird nach seinem Tode, der ihn bei einer Gesandtschaft des Senats zu Marcus Antonius ereilt, eine Bronzestatue errichtet, aber vermutlich weniger in Anerkennung seiner – epochalen – juristischen als eher seiner politischen Verdienste.

Die Tätigkeit der iuris consulti wird beschrieben – strikt praxis- und immer auf den gerade anstehenden Fall bezogen – als respondere, agere, cavere100: Sie erteilen wie vormals die pontifices Rechtsgutachten für einen konkreten Rechtsfall (respondere) und beraten den Richter und die Prozessparteien (agere)101. Sie treten aber meistens nicht direkt vor Gericht auf, das überlassen sie den oratores, den Gerichtsrednern. Anders als diese102 dienen die Juristen dem Recht, nicht den Parteien, unparteiisch und unentgeltlich. Schließlich beraten sie kautelarjuristisch (cavere), also bei der Formulierung von Verträgen, Testamenten etc. Die Leistung dieser Juristen besteht in der Kautelarjurisprudenz und der Entwicklung der Formeln, die die starren Legisaktionen ersetzen; so zeigt sich im Übergang der pontifikalen zur profanen Jurisprudenz auch derjenige von den Spruch- zu den Schriftformeln103. Sie erteilen Rechtsunterricht, wenn auch nicht in systematischer, schulischer („griechischer“) Weise, sondern dadurch, dass sich junge Männer ihnen als „Assistenten“ anschließen und in der Praxis lernen: pugnare in proelio discere – „den Kampf in der Schlacht erlernen“ nennt Tacitus diese Ausbildungsmethode treffend104. Und so schreibt Cicero in einem Brief, wiederum an Trebatius: „Kann man euer Zivilrecht etwa aus Büchern lernen?“105 Erneut stoßen wir im Übrigen auf eine der vielen Parallelen zur Entwicklung des englischen Rechts. Auch die mittelalterlichen Repräsentanten dieses Rechts studierten nicht an Universitäten, sondern erlernten ihren Beruf an den genossenschaftlich organisierten, bis heute bestehenden Innungen der Rechtsanwälte, den Inns of Courts; und noch immer werden den angehenden barristers und solicitors nach Abschluss des – im Vergleich zu Deutschland – relativ kurzen Studiums die Grundlagen der Ausübung ihres Berufes v. a. in der Praxis vermittelt.

Die römischen Juristen dieser Zeit mühen sich um Begriffsbildung und das Herausarbeiten allgemeiner Regeln aus den Einzelentscheidungen (Regularjurisprudenz). Die Überzeugungskraft ihrer Gutachten beruht, wie früher diejenigen der pontifices, allein auf ihrer auctoritas. Daher müssen auch sie ihre Responsen, deren Kürze und Einsilbigkeit geradezu sprichwörtlich wird, nicht unbedingt begründen106. Responsen ergehen mündlich und werden oft erst später schriftlich herausgegeben. Eine Spur davon hat sich z. B. in einer Digestenstelle erhalten, in der es heißt: „[…] und dieses Gutachten habe Servius erteilt, wie seine Zuhörer berichten“107. Die römische Jurisprudenz gelangt jetzt zu einem ersten Gipfel. Einige ihrer Träger seien hier genannt, auf sie werden wir im Verlaufe dieser Darstellung immer wieder treffen: an vorderster Stelle Q. Mucius Scaevola (der übrigens, als Ausnahme in dieser Zeit, pontifex ist und daher zur Unterscheidung von ebenfalls bedeutenden Juristen aus seiner Verwandtschaft diesen Beinamen trägt), unerschrockener Verteidiger juristischer Prinzipien. Er schreibt das erste Lehrbuch des Zivilrechts, das späteren Kommentierungen noch nach Jahrhunderten wie ein Gesetzestext zugrunde gelegt wird. Oder C. Aquilius Gallus, der Schöpfer der actio doli, die wir oben schon als Beispiel prätorischer Rechtsetzungsmacht gesehen haben. Er bekleidet gemeinsam mit Cicero im Jahr 66 v. Chr. die Prätur, bewirbt sich aber nicht um den Konsulat, um sich ganz auf seine juristische Tätigkeit konzentrieren zu können. Bekannt ist auch seine an Ratsuchende gerichtete Aufforderung, sich an (den orator) Cicero zu wenden, wenn sich herausstellt, dass es eigentlich nur um Sachverhaltsfragen geht, von denen er als Rechtsgelehrter unbehelligt zu bleiben wünscht: Nihil hoc ad ius, ad Ciceronem!108 Und schließlich sein Schüler Servius Sulpicius, wohl der größte unter den republikanischen Juristen, dessen umfangreiche Werke sehr häufig zitiert werden. Sein Freund Cicero rühmt ihn des Öfteren, u. a. als denjenigen, der die Rechtswissenschaft durch Anwendung der aus der griechischen Philosophie übernommenen Dialektik zu einer ars (Kunst) erhoben habe109. Derselbe Cicero lobt auch die (früheren) Juristen, wie Sextus Aelius: Diese hätten nicht nur das juristische, sondern sämtliches Wissen der Zeit beherrscht, und der Bürger habe sich an sie nicht nur in Fragen des Rechts gewandt, sondern in allen des Lebens110; „das Haus des Juristen ist das Orakel des ganzen Gemeinwesens“111. Juristische Tätigkeit verspricht gesellschaftliches Ansehen112.

Die Autorität der jeweiligen Juristen kann manchmal auch die Argumente für eine bestimmte Rechtsansicht ersetzen. Sehr oft werden angesehene Juristen als Beleg für eine vorgetragene Rechtsmeinung zitiert, genau wie heute. Cicero macht sich in einem seiner Briefe an den damals jungen, aber bereits für seine Rechtskenntnisse bekannten Juristen Trebatius, der bei Caesars Legionen in Gallien weilt, darüber lustig: „Ich fürchte sehr, dass du im Winterquartier frierst; daher bin ich der Ansicht, dass du ein Kaminfeuer anzünden sollst – die gleiche Ansicht vertreten Mucius und Manilius“113. Man sieht: Hohes Ansehen schließt, gerade bei den der Komödie generell zuneigenden Römern, satirischen Spott und Kabarett nicht aus. An dieser Stelle muss daher die jedem Juristen als Lektüre zu empfehlende Rede Pro Murena von Cicero erwähnt werden. In diesem Prozess (es geht um den Vorwurf der Wählerbestechung) ist er wie nahezu immer Verteidiger, die Rolle des Anklägers hat sein Freund, der soeben erwähnte Servius Sulpicius, übernommen. Hier aber muss er, der Prozessgegner, als Zielscheibe für die Karikatur eines weltfremden und „fachidiotischen“ Juristen herhalten114, der in scharfen Gegensatz zum Angeklagten gebracht wird, der auf beachtliche zivile und v. a. militärische Leistungen zugunsten des Staates blicken dürfe. Die Rechtswissenschaft betreffe doch nur Kleinkram und bestehe vor allem aus Wortklauberei; die Juristen bedienten sich bewusst unverständlicher Sprache. Als Beispiele führt Cicero schwierige Prozessformeln und die Legisaktionen an. Am Ende sei aber doch alles nutzlos, da sich die Juristen in der langen Zeit des Bestehens ihres Metiers nicht einmal über Gebrauch und Bedeutung selbst der grundlegendsten Begriffe einig geworden seien. Dabei sei die Materie doch so einfach zu lernen: Er selbst könne, wenn er es nur wolle, leicht in drei Tagen zum Rechtsgelehrten werden115. Dass das Ganze alles nicht so ernst gemeint gewesen sei, sagt Cicero später in einem Brief an Servius quasi entschuldigend; es sei ja nie um die Sache selbst gegangen, sondern er habe eben dem ungebildeten Publikum etwas bieten wollen116.

Eindeutig historisch widerlegt wurde Cicero mit seiner in der derselben Rede getroffenen Aussage, die Rechtswissenschaft habe außerhalb von Rom und in den römischen Gerichtsferien keinerlei Bedeutung117: Den späteren Siegeszug des römischen Rechts in der Welt konnte sich Cicero sicher nicht vorstellen (anders als nach ihm, freilich in dichterischer Überhöhung, Vergil118). Die Voraussetzungen dafür haben diese republikanischen Juristen (die späteren kaiserzeitlichen Juristen bezeichnen sie als veteres, die „Altvorderen“), von deren Werken so gut wie nichts erhalten ist, geschaffen. Sie haben die Grundlage der Rechtsinstitutionen gelegt, auf der sich die Arbeit der hochklassischen Juristen entfalten konnte. Das römische Recht war zur Zeit Ciceros „ein fertiges Gebilde, welches aber in vielen Einzelheiten präzisiert und weiterentwickelt werden musste. Diese Aufgabe übernahm die Rechtswissenschaft der Kaiserzeit.“119

1.4.6 Klassische Jurisprudenz

1.4.6.1 Kennzeichnung

Damit sind wir am Höhepunkt angelangt. Die klassischen Juristen vollendeten im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. den Bau des römischen Rechts.

Die klassische Rechtswissenschaft befasste sich im wesentlichen mit dem Privatrecht; ihr Gegenstand waren die Rechtsbeziehungen autonomer Menschen, die frei von staatlicher Gewalt ihre Verhältnisse selbst ordnen. Damit hat das klassische Recht eine von den jeweiligen Staatsverfassungen unabhängige Rechtsordnung geschaffen; man kann sogar sagen, dass die klassische Rechtswissenschaft die grundlegenden Beziehungen der menschlichen Gemeinschaft untersucht und allgemeingültige Lösungen für ihre Probleme gefunden hat. So wurde das klassische Privatrecht zur Grundlage fast aller Privatrechtsordnungen.120

Das römische Privatrecht war „unpolitisches“ Recht. Es blieb unbeirrt von den gesellschaftlichen Umwälzungen der Zeit. Während nach einem halben Jahrtausend die Republik in blutigen Bürgerkriegen unterging und die neue, wenn anfangs auch nicht als solche offengelegte oder gar bezeichnete, Staatsform der Monarchie anhob, verlief die Privatrechtsentwicklung vollkommen bruchlos. Diese „Isolierung“ des römischen Rechts (Fritz Schulz) ist bemerkenswert (und vielleicht auch diskussionswürdig121); sie ist aber zugleich die Grundlage seiner weiteren weltgeschichtlichen Bedeutung.

1.4.6.2 Historische Rahmenbedingungen

Die klassische römische Rechtswissenschaft erreichte ihren Zenit unter dem Prinzipat; sie endete um 230 n. Chr. mit dem Ende der Severerkaiser122. Die als Prinzipat bezeichnete Herrschaftsform (von princeps, der Erste) folgte auf das Ende der Republik, deren äußere Form sie anfänglich noch aufrechterhielt. Die zwei Jahrhunderte von der Herrschaft des Augustus (27 v. Chr.) bis zum Tode Marc Aurels (180 n. Chr.) waren im Innern des Reiches, verglichen mit dem letzten vorchristlichen Jahrhundert, eine im Großen und Ganzen friedliche Epoche (pax Augusta). Politische Machtlosigkeit des Einzelnen ging einher mit großer wirtschaftlicher Liberalität. Das römische Bürgerrecht breitete sich immer mehr aus. Die Zeit war durch Rechtssicherheit, politische Stabilität und steigenden Wohlstand geprägt. Ein hervorragend ausgebautes Fernstraßennetz und die Ausweitung der Geldwirtschaft im Mittelmeerraum begünstigten (Fern-)Handel und Wirtschaft. Manchem Kaiser, insbesondere des 2. Jahrhunderts, wird ein „aufgeklärtes Herrscherethos“ zugeschrieben (es sind die nach der Übertragungsform der Regierungsgewalt als Adoptivkaiser bezeichneten Trajan, Hadrian, Antoninus Pius123, Marc Aurel, die „guten Kaiser“, wie sie oft genannt werden). Der Gedanke der Humanität begegnet verstärkt, z. B. im Ausbau des Schutzes der Sklaven. Es waren Idealbedingungen für Rechtswissenschaft und -pflege. Die Fachjuristen erlangten eine zentrale Stellung im Reich: Es entstand das „Bündnis der Adoptivkaiser mit der Jurisprudenz“ (Wieacker).

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