Kitabı oku: «Einführung in das römische Privatrecht», sayfa 3
Bei der legis actio per iudicis arbitrive postulationem entfiel dagegen der Zwischenschritt über das sacramentum; das Verfahren diente (u. a.) der Klage aus einer Stipulation, einem formgebundenen einseitigen Versprechen30. Der Vorteil, das sacramentum nicht leisten zu müssen, nahm weniger Begüterten eine nicht unerhebliche Hürde in einer Rechtsordnung, die noch keine Prozesskostenhilfe kannte. Anders als beim Sakramentsverfahren wurde hier ein Urteilsrichter eingesetzt – die danach geradezu zum Kennzeichen des römischen Zivilprozesses werdende Zweiteilung des Verfahrens war geboren31.
Vom Begriff her interessant für heutige Juristinnen und Juristen ist die spätere, nicht auf die XII Tafeln zurückzuführende legis actio per condictionem. Condicere bedeutet „ansagen“. Der Kläger sagte dem Beklagten einen Termin in 30 Tagen an, zu dem ein Richter eingesetzt werden sollte. Die Klage enthielt nicht den Klagegrund, sondern nur das, was eingeklagt wurde: eine bestimmte Sache (certa res) oder eine feste Geldsumme (certa pecunia). Sie war also abstrakt. Es liegt auf der Hand, dass sich eine solche Klage optimal eignete für einen Bereicherungsanspruch, und genau dazu wurde sie später auch (nicht nur) genutzt. Daraus erklärt sich, warum der bereicherungsrechtliche Anspruch aus §§ 812 ff. BGB bis heute „Kondiktion“ genannt wird.
Der Vollstreckung diente insbesondere die legis actio per manus iniectionem; manus iniectio war die Handanlegung an den Schuldner im Wege der erlaubten Eigenmacht, deren Berechtigung dann im anschließenden Verfahren überprüft wurde. Dies war der Fall bei vorheriger Verurteilung zur Leistung, Anerkenntnis oder Offenkundigkeit, wenn also der Prätor ohne weitere Sachverhaltsaufklärung und Beweiserhebung in iure abschließend über die Berechtigung befinden konnte (diese Form der Vollstreckbarkeit ohne vorgehendes Urteil verlor sich allerdings später). Obsiegte der Gläubiger, konnte er sich an seinem Schuldner schadlos halten durch 60-tägige Schuldhaft, dreimaliges öffentliches Anbieten des Schuldners zur Auslösung und schließlich Tötung oder Verkauf ins Ausland (trans Tiberim) – die oben erwähnte Personalvollstreckung.
1.3.2 Das Formularverfahren
Das geschilderte schwerfällige Verfahren der Legisaktionen wurde mit der Zeit aber als unzureichend empfunden und wegen seiner Spitzfindigkeiten auch unbeliebt. Viele Fallgestaltungen, die sich aus wirtschaftlichen Erfordernissen ergaben und nach Rechtsschutz verlangten, wurden von den Legisaktionen nicht abgedeckt, u. a. ein so wichtiges Geschäft wie der Kaufvertrag. Außerdem standen sie nur römischen Bürgern zu Gebote. Das Legisaktionsverfahren wurde daher allmählich durch das Formularverfahren ersetzt, endgültig unter Augustus32.
Der viel flexiblere und damit zukunftsträchtigere Prozess hat seine Wurzeln im Rechtsverkehr mit Nichtrömern und damit im Verfahren vor dem für derartige Streitigkeiten zuständigen Fremdenprätor (praetor peregrinus), setzte sich dann aber auch in Verfahren unter römischen Bürgern durch. Das äußere Verfahren, v. a. die Zweiteilung, Ladungsvorschriften etc., blieb aber unverändert. Im Formularprozess war der Prätor kraft seines Imperiums, seiner besonderen magistratischen Amtsgewalt, nicht mehr (wie im Legisaktionenprozess) notwendig an die gesetzlichen Grundlagen gebunden33 – auch wenn es natürlich weiterhin Klagen gab, die auf Gesetz beruhten (actiones civiles) –, sondern konnte durch Weisung an den iudex ihm schutzwürdig erscheinende Interessen „justiziabel“ machen. Dies erweiterte den Aktionsraum der Rechtsprechung erheblich. Damit war der ungeheuer kreativen Rechtsentwicklung durch die römischen Juristen das Tor aufgestoßen. Die Hauptzeit prätorischer Rechtsschöpfung fällt nicht von ungefähr in das 2./1. Jahrhundert v. Chr., eine Zeit großer wirtschaftlicher und sozialer Veränderungen in Rom.
Um ein Beispiel zu geben, wie weit der Spielraum des Prätors im Formularverfahren gehen konnte, sei die actio de dolo malo genannt:
Ulp. D. 4, 3, 1, 1
Quae dolo malo facta esse dicentur, si de his rebus alia actio non erit et iusta causa esse videbitur, iudicium dabo.
Wird vorgetragen, dass etwas arglistig geschehen ist, werde ich, wenn in dieser Sache keine andere Klage gegeben ist und ein berechtigter Grund vorliegt, eine Klage erteilen.
Diese potentiell doch recht weitgehende Arglistklage, inhaltlich heute § 826 BGB bzw. eine Ausprägung des § 242 BGB, wurde nicht durch ein Gesetz eingeführt, sondern durch den Prätor.
1.3.3 Die actio und das aktionenrechtliche Denken: Römisches Juristenrecht
Der Zivilprozess (in seinem ersten Abschnitt) bestimmte die Struktur des römischen Privatrechts in entscheidender Weise. Wir sahen schon, dass die Hauptaufgabe des Prätors in iure darin bestand, die actio zu gewähren, die dem Begehren des Klägers entsprach und Grundlage des weiteren Verfahrens vor dem iudex war. Diese actio, die Klage, wurde Ausgangspunkt und Grundlage des juristischen Denkens. Mit ihrem Aufbau, ihrem Wortlaut, mit der richtigen Klageformel beschäftigten sich die Juristen aufs Genaueste über Jahrhunderte.
Alle für die Entscheidung auch eines komplizierten Rechtsstreits maßgeblichen Voraussetzungen konnten so in einem einzigen Satz zusammengefasst werden. Die Ausgestaltung dieser Prozessformeln stellt eine geistige Leistung von ganz außerordentlichem Rang dar. Juristischer Scharfsinn hat sich dabei mit dem Sinn für möglichste Einfachheit und Zweckmäßigkeit in glücklichster Weise verbunden.34
Bei dem Versuch, sich diesem juristischen Denken zu nähern und es zumindest ansatzweise zu beschreiben, müssen wir uns vergegenwärtigen, in welche Hände diese Arbeit durch die Rechtsgeschichte gelegt wurde; denn das „Wer“ hat das „Wie“ entscheidend bestimmt. Die verantwortungsvolle Aufgabe der Verwaltung der actio oblag wie gesehen dem Prätor. Wir sagten schon, dass der Prätor das zweithöchste Amt im republikanischen Staat bekleidete (nach den Konsuln). Er war Politiker, der im seltenen Idealfall auch Jurist gewesen sein mag; aber er musste es nicht sein und war es im Regelfall auch nicht. Viel eher sah die römische Gesellschaft bei ihrem Spitzenpersonal auf militärische Fähigkeiten. Wie konnte nun von einem solchen Mann eine derart hochqualifizierte Leistung wie die rein juristische Bewertung eines als zutreffend unterstellten Sachverhaltes und das Auffinden oder sogar die Neuformulierung eines so filigranen Gebildes wie der actio erwartet werden? Die Antwort liegt darin, dass dies auch niemand von ihm persönlich erwartete. Der Prätor hatte nämlich seine Fachberater, sein consilium. Es entsprach römischer Tradition, generell vor wichtigen Entscheidungen öffentlicher wie privater Natur ein solches consilium zu befragen. Auch der Senat, politisches Zentrum republikanischer Staatsgewalt, war – in der Theorie – ein rein beratendes Gremium, dessen Meinungsäußerungen in Form eines Rates (senatus consultum)35 ergingen, dem zu folgen freilich für die Exekutivbeamten mehr als ratsam war. Das consilium des Prätors bestand gemäß der diesem Amtsträger gestellten Aufgabe aus juristischen Fachleuten, iuris consulti. Sie waren, abgesehen von der Frühzeit und dann wieder gegen Ende der klassischen römischen Rechtsgeschichte, keine Amtsträger, sondern Privatleute, die ihre Rechtskenntnisse freiwillig und unentgeltlich in den Dienst der Gemeinschaft stellten. Die Amtszeit der Prätoren dauerte wie bei allen regulären republikanischen Staatsämtern nur ein Jahr. Der neu gewählte Prätor übernahm üblicherweise das consilium der Vorgänger. Es blieb ihm auch gar nichts anderes übrig, da der republikanische Staat, anders als der kaiserzeitliche, keine von ihm organisierten „Ministerien“ und Beamtenstäbe in beachtenswertem Umfang kannte, die dem politischen Amtsträger die Ausübung seiner Funktion ermöglicht hätten; dafür hatte dieser selbst zu sorgen. Auf dem Gebiet der Rechtsprechung wurde durch die Übernahme des prätorischen consilium die persönliche und damit inhaltliche Kontinuität der Rechtsentwicklung sichergestellt.
Juristen berieten nicht nur den Prätor, sondern auch die Parteien selbst in Rechtsgutachten, die man responsa nannte – Antworten auf gestellte Rechtsfragen. Diese Männer (Frauen hatten dazu, auch wenn sie in Rom beispielsweise im Vergleich zu Athen deutlich mehr Möglichkeiten zur Entfaltung hatten, keine Chance) waren es, die durch die tägliche Beschäftigung mit Rechtsfällen das römische Recht zu seinen Höhen führten: zugleich Rechtswissenschaftler und Praktiker. Die Juristen wendeten das Recht an, und sie bildeten es fort36. Was Cicero über den römischen Staat insgesamt sagt, kann auch für das römische Recht Geltung beanspruchen: non unius ingenio, sed multorum, nec una hominis vita, sed aliquot constituta saeculis et aetatibus37 – „begründet und fortgeführt nicht durch die geistigen Fähigkeiten eines Einzelnen, sondern vieler, und nicht in einem Menschenalter, sondern von Generation zu Generation“.
Die Rechtsfortbildung erfolgte durch die stetige Arbeit an der actio. Denn die Klagefomeln waren elastisch und konnten als Träger der Rechtsentwicklung durch den Prätor immer wieder neuen Situationen angepasst werden. Daher spricht man von aktionenrechtlicher Rechtsfortbildung und damit zusammenhängend vom aktionenrechtlichen Denken38. Der römische Jurist denkt im Prozess. Des Unterschiedes von materiellem und prozessualem Recht ist auch er sich bewusst, doch ist diese Unterscheidung – anders als bei uns – kein grundlegendes systematisches Einteilungsprinzip, ebenso wenig wie unsere Unterteilung in objektives und subjektives Recht. Die Römer kennen keinen „materiell-rechtlichen“ Anspruch, der „prozessual“ durchzusetzen wäre; diesen könnte man allenfalls als „Reflex“ sehen des Umstandes, dass die Rechtsordnung eben eine Klage gewährt. Die actio ist Anspruch und Mittel zu seiner Durchsetzung zugleich. Die Trennung von materiellem Anspruch und Klage ist, wie so vieles, was einem im deutschen Recht ausgebildeten Juristen selbstverständlich erscheint, eine Frucht des 19. Jahrhunderts39. Allerdings sollte man das Schlagwort vom aktionenrechtlichen Denken der Römer (wie alle Schlagwörter) auch nicht über Gebühr beanspruchen. Auch im römischen Recht gibt es Rechtsgebiete, z. B. Erwerb und Verlust des Eigentums, Ehe, Testamentserrichtung, Erbfolge, das wichtige Stipulationsrecht, die die Juristen unabhängig von den Prozessformeln, also gewissermaßen mit einem „materiellen Blick“, behandeln40. Entscheidend ist daher eher der Grundzug, die Tendenz, die vom aktionenrechtlichen Denken ausgeht. Denn die Juristen schöpfen und schaffen das Recht aus den ihnen vorgelegten realen Fällen, in denen sie die Justizorgane bzw. die Parteien konkret zu beraten haben. Dies führt zu einer Eigenheit der gesamten römischen Rechtswissenschaft, die allenthalben zu spüren ist: ihrer Lebensnähe41. Juristisches Denken ergeht sich nicht in theoretischer Spekulation (wie die griechische Philosophie), sondern ist stets fallbezogen und konkret. Die Fallbezogenheit der römischen Juristen bewirkt dabei auch, dass sie nicht von einem – wie auch immer zu definierendem – System, nicht in abstrakten Rechtsregeln denken. Ein oft zitierter Satz des klassischen Juristen Javolen bringt dies auf den Punkt:
Iav. D. 50, 17, 202
Omnis definitio in iure civili periculosa est; parum est enim, ut non subverti posset.
Jede Definition ist im Zivilrecht gefährlich, denn nur selten ist es so, dass sie nicht umgestürzt werden könnte42.
Die juristische Begriffsbildung ist nur Hilfsmittel zur Lösung solcher Fallprobleme; Abstraktion wird nicht angestrebt. „Kasuistische, der abstrakten Formulierung konstant ausweichende Methode“ hat sie ein berühmter Romanist – so nennt man die Historiker des römischen Rechts – genannt43. Es ist aber doch nicht nur eine reine Kasuistik, ein Aneinanderreihen von Fällen, eine reine Rechtskunde. Die römischen Juristen – und hierin liegt ihre wissenschaftliche Leistung – arbeiten durch Fallvergleich die entscheidungserhebliche Rechtsfrage heraus und gewinnen dadurch eine Regel. Sie arbeiten induktiv und zuweilen auch intuitiv, nicht wie wir heutigen kontinentaleuropäischen Juristen deduktiv, also durch das Anstreben einer den konkreten Fall lösenden, streng logischen Ableitung von Rechtssätzen aus einer übergeordneten Regel. Dies ist dem römischen Juristen fremd:
Paul. D. 50, 17, 1
Non ex regula ius sumatur, sed ex iure quod est regula fiat.
Das Recht ist nicht aus einer Regel abzuleiten, sondern aus dem Recht entsteht erst die Regel.
Die römischen Juristen zeigen daher, auch in ihrem umfangreichen Schrifttum, wenig systematisches Interesse. Das römische Recht kennt keinen „Allgemeinen Teil“ mit vor die Klammer gezogenen, für alle Teilrechtsgebiete gleichermaßen geltenden abstrakten Regeln. Für viele Rechtsinstitute fehlt ein allgemeiner Begriff, obwohl der Gedanke und das zugrunde liegende Konzept als solche sehr wohl vorhanden sind. Man hat es auch das „institutionelle Rechtsdenken“ der Römer genannt: Das Recht wird weniger in systematisch aufgebauten Rechtsgebieten erfasst als in individuellen Rechtsfiguren und konkreten Institutionen44. Der innere Zusammenhang ergibt sich „zwar nicht aus den Quellen, aber aus der Überschau über die Quellen“45. Mit nachhaltigem Erfolg wagt sich erst ein Rechtslehrer in der Mitte des 2. Jahrhunderts n. Chr., Gaius (wir werden auf ihn noch vielfach zurückkommen), an eine echte Systematisierung, und dies aus didaktischen Gründen. Die vor ihm wirkenden großen Juristen bezwecken eine solche Systematisierung des Rechtsstoffes noch nicht. Die Errichtung eines in sich widerspruchsfreien Lehrgebäudes hat kein römischer Jurist im Sinne; daran versuchen sich erst viel später ihre hochmittelalterlichen Nachfolger. Es zeigt sich hier ein auch ansonsten im römischen Wesen und in der römischen Geschichte deutlich zu beobachtender Grundzug: Anschauung der Idee, vorausschauender Grundriss und planmäßiger Aufbau sind Sache des Römers nicht (Wieacker). Daher gelangen sie auch nicht zu einer methodischen und systematischen Rechtskritik. Überkommene Dogmen und durch die Tradition geheiligte Prinzipien werden nicht grundsätzlich und kritisch hinterfragt, auch wenn sie sich als hinderlich erweisen.
Iul. D. 1, 3, 20
Non omnium, quae a maioribus constituta sunt, ratio reddi potest,
Nicht für alles, was von unseren Vorfahren [als Recht] eingeführt worden ist, kann man einen Grund angeben46,
Ner. D. 1, 3, 21
et ideo rationes eorum, quae constituuntur, inquiri non oportet: alioquin multa ex his quae certa sunt subvertuntur.
und darum soll man nicht nach den Gründen für das, was [als Recht] eingeführt ist, forschen. Sonst wird vieles von dem, was gesichert ist, umgestoßen.
All das lässt sich theoretisch zwar durchaus beschreiben. Viel besser, ja „römischer“ lassen sich die daraus folgenden praktischen Konsequenzen für die Entwicklung und v. a. Anwendung des Rechts jedoch im Zuge der Behandlung konkreter Rechtsfragen und Fälle in den folgenden Kapiteln aufzeigen.
Diese Grundzüge des römischen Rechtsdenkens und der römischen Rechtsentwicklung ähneln auf geradezu frappierende Weise denen des englischen Rechts. Auch dieses stellt in seinen mittelalterlichen Anfängen in einem zweigeteilten Verfahren allein die Frage nach der richtigen Klageformel oder Prozessformel (writ oder original writ), nicht aber die abstrakte, vom Prozessgeschehen losgelöste materielle Rechtslage in den Mittelpunkt der juristischen Erörterung eines Rechtsfalles47. In der fallbezogenen und Generalisierungen vermeidenden Art ähneln die römischen Juristen stark ihren englischen Nachfolgern. Das römische Recht wurde in England nicht rezipiert, und die Rechtsordnung blieb inhaltlich – anders als die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen – vom römischen Recht weitgehend unbeeinflusst48; aber die methodische Ähnlichkeit, die sich unabhängig vom römischen Recht entfaltete, ist sehr erstaunlich. Die oben beschriebene vorzugsweise kasuistische römische Methode erinnert stark an das angelsächsische Case Law, freilich mit dem Unterschied, dass dieses (bindendes) Richterrecht ist, das römische dagegen Juristenrecht, das nicht kraft staatlicher Anordnung, sondern kraft der Autorität und der logischen Überzeugungskraft seines jeweiligen Schöpfers, einer Privatperson, gilt. In beiden Rechtsordnungen bildet aber nicht formelles Gesetzesrecht die Grundlage der Rechtsentwicklung, was es gerechtfertigt erscheinen lässt, auch das englische Recht als Juristenrecht anzusehen. Dies sind im Übrigen nicht die einzigen Punkte, in denen sich englisches und römisches Recht so sehr ähneln49; eine „Seelenverwandtschaft“ werden wir noch an weiteren Stellen bemerken:
(There is) more affinity between the Roman jurist and the common lawyer than between the Roman jurist and his modern civilian successor […]; they were more anxious to establish a good working set of rules […] than to set up anything like a logical system.50
1.3.4 Gesetzesrecht
Wie das englische Recht, das – in dieser Vereinfachung zu Unrecht – als angeblich reines Case Law oft dem kontinentaleuropäischen Gesetzesrecht gegenübergestellt wird, kam auch das römische Recht nicht völlig ohne positive Rechtsetzung aus. Aber diese war nicht die Trägerin der Privatrechtsentwicklung; die leges51 dienten eher punktuellen, organisatorischen Zwecken, der konkreten Fixierung bestimmter Fristen oder Termine, der Regelung politisch umkämpfter, oft auch sozialer Fragen und gehörten daher vorwiegend dem Staats-, Verfassungs- sowie Strafrecht an52. Zudem bezweckten die vorhandenen Gesetze privatrechtlichen Inhalts nie eine Systematisierung oder den Ausbau des ius civile; sie waren eher Gelegenheitsgesetzgebung („gesetzgeberischer Impressionismus“53). „Das Volk des Rechts ist nicht das Volk des Gesetzes“54. Erst in der Kaiserzeit stellten sich Änderungen ein.
Bei der grundsätzlich ablehnenden Haltung gegenüber zivilrechtlichen Gesetzen wäre eine umfassende Kodifikation des Rechts nicht möglich gewesen; erst Caesar plante sie55, aber die Iden des März kamen dem zuvor. Mit dieser kodifikationsfeindlichen Einstellung, die noch Savigny56 im 19. Jahrhundert vertrat, ging es einher, dass Rom in klassischer Zeit nie über eine amtlich veranstaltete und allgemein zugängliche Gesetzessammlung verfügte. Man musste sich auf die Schriften der Juristen verlassen, wenn man keine Zugriffsmöglichkeit auf das stadtrömische Archiv hatte. Cicero beklagt diesen Zustand: Legum custodiam nullam habemus – „Um die Bewahrung unserer Gesetze kümmern wir uns nicht“57.
1.3.5 Das prätorische Edikt
Ein anderes Medium lag den Römern da viel näher. Die einzelnen actiones und weitere Rechtsbehelfe wurden vom Prätor zu Beginn seiner Amtszeit veröffentlicht, auf geweißter Holztafel (album) und damit auf einem der einjährigen Amtsdauer entsprechenden vergänglichen Material. Dies war das Edikt des Prätors58 (edictum praetoris), die zu Beginn erwähnte „Musterformelsammlung“, aus der der Prätor die konkret anzuwendende actio auswählte. Edikte waren verbindliche Regelungen, Rechtsverordnungen, römischer Amtsträger; nicht nur der Prätor konnte edizieren. Im prätorischen Edikt konnte nun jedermann nachsehen, in welchen Fällen er klagen konnte, welche Einreden bestanden, ob also die Führung eines Rechtsstreites erfolgversprechend war oder nicht. Künftige Prätoren waren rechtlich daran in keiner Weise gebunden, und der edizierende Prätor selbst jedenfalls gesetzlich auch erst seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. Er war auch nicht daran gehindert, während seines Amtsjahres neue, im Edikt nicht angekündigte Formeln zu gewähren. Natürlich überlegte sich jeder Prätor nicht zu Beginn seiner Amtszeit alles von Neuem, sondern übernahm wie das consilium und sonstiges die Kontinuität verbürgendes Personal auch die Edikte der Vorgänger. Das Edikt des Prätors wurde damit zum edictum perpetuum oder edictum tralaticium: zu einem ewigen, überlieferten Edikt59. Die evolutionäre, nicht revolutionäre Rechtsfortbildung geschah genau an dieser Stelle: durch Einführung neuer Klagen dort, wo die soziale Realität dies erforderlich machte, und nicht durch formelle Gesetzgebung, sondern durch von Juristen ersonnenes, vom Prätor übernommenes Recht.
Im Jahre 130 n. Chr. wurde das prätorische Edikt auf Anordnung des Kaisers Hadrian abschließend redigiert durch den Juristen Julian, der als bedeutendster Jurist der Klassik gilt. Ab diesem Zeitpunkt wurde das Edikt nicht mehr verändert und nunmehr endgültig zum edictum perpetuum. Das Edikt war eine überragend wichtige Rechtsquelle und Gegenstand zahlreicher Juristenkommentare, ganz wie heute unser Gesetzestext. Der Text selbst ist nicht unmittelbar erhalten, konnte aber durch den Rechtswissenschaftler Lenel 1883 rekonstruiert werden, dessen Ausgabe bis heute maßgeblich geblieben ist. Das Edikt enthielt – nach moderner Systematik – nicht nur Verfahrensrecht, sondern v. a. materielles Recht, und nicht nur die Prozessformeln und Einreden, sondern auch sonstige Rechtsschutzverheißungen; es ist weder BGB noch ZPO und mangels Systems ganz sicher keine Kodifikation im modernen Sinne. Die Rechtsfortbildung ging nach der Endredaktion, dem „Erstarren“ des Ediktes, zunehmend auf andere Stellen über, v. a. die Kaiserkonstitutionen, die in der kaiserlichen Kanzlei verfasst wurden; der Prätor, dem zudem das Formularverfahren als sein „home turf“ abhandenkam, konnte sie ja nun nicht mehr leisten.
1.3.6 Verfahren und Recht
Am Ende dieses Abschnittes ist es vielleicht klargeworden, warum die vorliegende Darstellung ihren Ausgangspunkt vom Zivilprozess nimmt und worin die anfangs erwähnte enorme Beeinflussung des Privatrechts durch das Verfahren besteht. Theodor Mommsen, der alles überragende Althistoriker des 19. Jahrhunderts und Träger des Literaturnobelpreises60, hat dies unvergleichlich so beschrieben:
Dieser Trennung [des Verfahrens] hat das römische Privatrecht seine logische und praktische Schärfe und Bestimmtheit wesentlich zu verdanken […]. Man pflegt die Römer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels anzustaunen […]; die Ursachen der Trefflichkeit des römischen Zivilrechts liegen hauptsächlich in zwei Dingen: einmal darin, daß der Kläger und der Beklagte gezwungen werden, vor allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in bindender Weise zu motivieren und zu formulieren; zweitens darin, daß man für die gesetzliche Fortbildung des Rechtes ein ständiges Organ bestellte und dies an die Praxis unmittelbar anknüpfte. Mit jenem schnitten die Römer die advokatische Rabulisterei, mit diesem die unfähige Gesetzmacherei ab, soweit sich dergleichen abschneiden läßt, und mit beiden zusammen genügten sie, soweit es möglich ist, den zwei entgegenstehenden Forderungen, daß das Recht stets fest und daß es stets zeitgemäß sein soll.61
1.4 Das Werden des römischen Rechts und seine Quellen: Übersicht über die römische Rechtsgeschichte
1.4.1 Vorbemerkung
Die bisherigen Ausführungen sollten dazu dienen, einen Eindruck von den Charakteristika des entwickelten römischen Rechts zu vermitteln. Bevor wir uns nun einigen ausgewählten Rechtsinstituten aus dem Kernbereich des Zivilrechts zuwenden, ist es unerlässlich, sich die Entwicklung dieses Rechts zumindest in Grundzügen vor Augen zu führen, soweit dies im Rahmen einer Einführung leistbar ist. Jedes Recht ist geschichtlich bedingt; und gerade im römischen Recht, das – wie wir sogleich sehen werden – organisch wuchs, selten etwas abschaffte, sondern lieber erst einmal Neues neben das Alte stellte, um zu sehen, was sich am Ende durchsetze, muss man sich dessen besonders bewusst werden.
Dabei ist auch darauf einzugehen, woher unser Wissen vom römischen Recht eigentlich stammt und was die Quellen des römischen Rechts sind. „Quellen“ ist hier in einem doppelten Sinne zu verstehen: als „Rechtsquellen“, also Geltungsgrundlage von Normen; aber auch als historische Quellen, die uns über den Inhalt des römischen Rechts unterrichten, ohne selbst einen normativen Anspruch zu erheben. Neben den juristischen Fachtexten sind die Zitate rechtlichen Inhaltes bei nichtjuristischen Schriftstellern zu nennen, auf deren Bedeutung bereits im Vorwort hingewiesen wurde. Der bereits mehrfach genannte Gellius mit seiner Anekdotensammlung noctes Atticae und den darin zahlreich enthaltenen Zitaten ist eine reiche Quelle. Die kaiserzeitlichen Historiker wie Livius (in seinem monumentalen, leider nur unvollständig erhaltenen Werk ab urbe condita) und Tacitus geben eine Fülle von, selbstverständlich stets kritisch zu hinterfragenden, Informationen. Sodann ist Cicero hervorzuheben. Er war kein Rechtswissenschaftler, sondern Staatsmann, Redner, Schriftsteller – aber juristisch hochgebildet; seine Reden, Bücher und Briefe geben uns an vielen Stellen Einsichten in das Recht seiner Zeit (und seine Meinung dazu). Er ist uns schon begegnet und wird dies noch an vielen weiteren Stellen dieses Buches tun. Briefe sind generell eine gute Informationsquelle, nicht nur solche von Cicero, sondern z. B. auch von Plinius dem Jüngeren. Die Komödie (Plautus, Terentius) erzählt uns über die Rechtswirklichkeit und Rechtsvorstellungen in der Gesellschaft des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. Der zur gleichen Zeit lebende Cato der Ältere und der im letzten vorchristlichen Jahrhundert tätige Universalgelehrte Varro berichten in ihren jeweiligen Fachschriften auch Rechtliches. Die Satiren des Horaz und des Juvenal und auch die anderen Zweige der Dichtung dürfen hier ebenfalls nicht fehlen. Insbesondere die Dichter treten natürlich nicht mit juristischem Anspruch auf, und die von ihnen gegebenen Informationen sind entsprechend zu würdigen. Schließlich sind privatrechtliche Urkunden, Verträge, Testamente etc. unmittelbar aus der Praxis ebenfalls auf uns gekommen; ein Originalarbeitsvertrag wird uns am Ende des Buches beschäftigen.
Die kurze Darstellung folgt der üblicherweise vorgenommenen Periodisierung der römischen Rechtsgeschichte, in dem Wissen um deren unvollkommenen und der Geschichte niemals gerecht werdenden, zugleich aber didaktisch wohl unverzichtbaren Charakter.
1.4.2 Archaisches Recht
Bis zu den Mitte des 5. Jahrhunderts geschaffenen XII Tafeln liegt vieles im archaischen Dunkel der Geschichte. Das Recht ist religiös bestimmt, seine Pflege obliegt verschiedenen Priesterkollegien (pontifices, augures, fetiales, decemviri sacris faciundis). Es ist durch starken Ritualismus gekennzeichnet und bildet den „Versuch, mit der Götterwelt Verträge über die künftige Entwicklung zu schließen“62. Alle Akte und Rituale sind genau und bis ins Kleinste bestimmt63, da die Essenz römischer Religion (anders als nach modernen Glaubensvorstellungen) in der Form selbst liegt, die sich vom Inhalt nicht trennen lässt. Bestimmend ist der Glaube an die Mächtigkeit des Wortes, das in sich die Kraft trägt, seinen Inhalt zur Wirklichkeit werden zu lassen. Missverständnisse im Verkehr mit den göttlichen Mächten sind unter allen Umständen auszuschließen. Dem dienen die überlieferten und nicht zur Disposition stehenden Formen, eine „Technik des religiösen Verhaltens“. Sie führt zu, sich an Präzedenzfällen orientierenden, kasuistischen Verhaltensweisen64. Diese Auswirkungen auf das Recht, dessen bestimmende Grundzüge soeben geschildert wurden (man denke an die Legisaktionen), liegen offen zutage: Denn in dieser Zeit werden die Grundlagen gelegt für die Ausbildung genuin römischer und die weitere Rechtsgeschichte bestimmender Rechtsinstitute. Das Priesterkollegium der Auguren ist bereits zu Beginn dieses Buches aufgetreten, was seiner Bedeutung für die römische Rechtsgeschichte durchaus entspricht: Der Stil der archaischen Rechtshandlungen (wie z. B. der Legisaktionen) und der dabei benutzten Sprache (z. B. condicere, vocatio) geht in vielem auf die von dieser Priesterschaft ausgeübte Disziplin zurück65. Die Bindung des Rechts an die Religion wird von den Römern in der Folgezeit aber schon bald überwunden, und die scharfe Trennung der beiden Bereiche ist eine ihrer vielen, bis heute wirkmächtigen Leistungen.
1.4.3 Die XII Tafeln
Römisches (Privat-)Recht ist wie schon erwähnt zuvörderst Juristenrecht. Das Gesetzesrecht spielt in der Politik, nicht aber im Privatrecht eine herausragende Rolle. Gleichwohl beginnt die für uns fassbare römische Rechtsgeschichte mit einem gesetzgeberischen Akt (und sie wird auch mit einem solchen enden). Den Ausgangspunkt bildet ein Gesetzeswerk, die XII Tafeln. Sie gelten den Römern als „Grundgesetz des römischen Volkes“, die Quelle des ius civile im umfassenden Sinne66. Entstanden im Jahre 451 v. Chr., sieht man dieses Gesetz als das Ergebnis der Ständekämpfe, des langen Ringens zwischen Patriziern, den Angehörigen des alten Hochadels, und Plebejern um eine gerechtere Gesellschaftsordnung. Der Ruf der Plebs, des „einfachen Volkes“, nach Rechtssicherheit und Abhilfe gegen adelige Willkür, insbesondere im harten Vollstreckungsverfahren, führt nach der Überlieferung zur Berufung von zehn Männern anstelle der für diese Zeit ausgesetzten ordentlichen Magistraturen; ihnen wird die als notwendig erkannte gesetzgeberische Aufgabe übertragen (decem viri consulari imperio legibus scribundis). Zunächst sind es zehn Tafeln, die von der Kommission vorgelegt und dann 449 v. Chr. um zwei weitere ergänzt werden. Zum Vorbild nimmt sich die Gesetzgebungskommission die griechischen Rechte, die Historiker berichten von römischen Gesandtschaften nach Athen und in die unteritalischen griechischen Städte zum Studium der dortigen Gesetze67. Der griechische Einfluss ist jedenfalls zu erkennen in der Idee einer planmäßigen Gesetzgebung an sich (die sich danach in republikanischer und Prinzipatszeit allerdings nicht wiederholen sollte68); teilweise werden sogar Detailregelungen auf griechische Vorbilder zurückgeführt69. „Griechenland hat uns das Recht geschickt, und nicht etwa nach einem Siege, sondern auf unsere Bitten hin“, so beschreibt es viele Jahrhunderte später Plinius70. Mit einer reinen Kopie des Vorbildes haben sich die Römer allerdings nicht zufriedengegeben, sondern dieses – wie stets alles von anderen Übernommene, sei es das griechische Alphabet oder karthagische Kriegsschiffe – eigenen Bedürfnissen optimal angepasst und dadurch weiterentwickelt.