Kitabı oku: «Parlamentsrecht», sayfa 8

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2. Erlass der Geschäftsordnung

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Das Plenum des Bundestages beschließt die Geschäftsordnung mit einfacher Mehrheit (vgl. Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG). Grundlage des Beschlusses ist entweder ein Antrag einer oder mehrerer Fraktionen oder von fünf Prozent der Abgeordneten oder eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung (1. Ausschuss). Dieser ist befugt, in Geschäftsordnungsfragen selbst initiativ zu werden (§ 128 GO-BT).

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Da die Geschäftsordnung auf eine Willensentschließung des Parlaments in eigenen Angelegenheiten zurückgeht, wird sie auch als „autonomes Parlamentsrecht“[29] bezeichnet. Da sie in eigenen Angelegenheiten in Rechtssetzungsautonomie erlassen wird, liegt es nahe, sie als „Satzung“ zu bezeichnen. Der vom BVerfG und Teilen der Literatur verwendete Terminus der „autonomen Satzung“[30] oder die im Schrifttum teilweise zu findenden Begriffe der „Verfassungssatzung“[31] und der „Organsatzung“[32] meinen dasselbe. Zwar wird gegen den Begriff „Satzung“ angeführt, dass typischerweise Körperschaften des öffentlichen Rechts (z.B. Gemeinde und Universitäten als mittelbare Staatsverwaltung) oder Körperschaften des Privatrechts (z.B. Verein, GmbH oder AG) Satzungen erlassen, der Bundestag aber ein Verfassungsorgan und gerade keine eigenständige Körperschaft ist.[33] Aber dieser Einwand greift nicht durch. Natürlich besteht ein Unterschied zwischen dem Verfassungsorgan Bundestag und den üblichen Satzungsgebern des öffentlichen oder gar des Privatrechts. Doch hebt der Begriff „Satzung“ die Rechtsetzungsautonomie treffend hervor. Er beschreibt somit die Geschäftsordnung passend. Gleichwohl ist der Begriff „Satzung“ – wie auch die Bezeichnung als Regelungswerk eigener Art („sui generis“)[34] bzw. als „Regelungstyp parlamentarische Geschäftsordnung“[35] – eher eine Beschreibung als eine Definition. Weitere im Schrifttum vorgeschlagene Einordnungsversuche[36] überzeugen jedenfalls nicht. Alles in allem sollten diese terminologischen Fragen nicht überbewertet, insb. keine (Fehl-)Schlüsse aus einer solchen Einordnung gezogen werden.[37]

3. Umfang des geschriebenen Geschäftsordnungsrechts

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Zum geschriebenen Geschäftsordnungsrecht gehören als vollwertige Geschäftsordnungsvorschriften auch die (derzeit sieben) Anlagen zur Geschäftsordnung.[38] Sie wurden geschaffen, als neue Verfahrensweisen erprobt werden sollten, ohne die traditionelle Paragraphenfolge zu verändern. Sie sind Bestandteil des geschriebenen Geschäftsordnungsrechts, weil sie vom Plenum erlassen und damit wie eine Geschäftsordnungsänderung behandelt wurden.[39] Teil des Geschäftsordnungsrechts sind außerdem die Hausordnung (§ 7 Abs. 2 GO-BT), Richtlinien (etwa für Ausschussprotokolle, § 73 GO-BT), Ausführungsbestimmungen (z.B. zu den Verhaltensregeln nach Anlage 1 zur GO-BT[40]) und Parlamentsbeschlüsse.

4. Besonderheiten des Geschäftsordnungsrechts

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Das Geschäftsordnungsrecht weist einige Besonderheiten auf. Erstens existiert neben dem geschriebenen (kodifizierten, förmlichen) Geschäftsordnungsrecht eine Fülle an ungeschriebenen Regeln (Gewohnheitsrecht) und Traditionen (Parlamentsbrauch) mit großer Bedeutung für Verfahren und Organisation des Parlaments. Das geschriebene und das ungeschriebene Recht bilden gemeinsam die materielle Geschäftsordnung. Verfassungsvorschriften mit Parlamentsbezug wie z.B. Art. 46 GG zählen nicht zum Geschäftsordnungsrecht.[41] Die materielle Geschäftsordnung ist das allein für das Parlament geltende, abstrakt-individuelle Binnenrecht.[42] Die Geschäftsordnung besitzt mangels Außenwirkung keine Gesetzeskraft.[43]

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Zweitens ist das Geschäftsordnungsrecht – gerade wegen seines fragmentarischen Charakters[44] – flexibler als andere Rechtsgebiete.[45] Dies liegt zum einen an der Bedeutung der Parlaments-(rechts-)wirklichkeit und zum anderen an der Möglichkeit, im Einzelfall mit einer Zweidrittelmehrheit (§ 126 GO-BT) abzuweichen. „Abweichung“ bedeutet Durchbrechung im Einzelfall.[46] Ein ausdrücklicher oder – nach Hinweis auf eine abweichende vorherige Vereinbarung – konkludenter Beschluss ist nötig; das Ausbleiben eines Widerspruchs genügt für eine zulässige Abweichung nicht.[47] Der Abweichungsmöglichkeit sind verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Was aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht Geschäftsordnungsrecht werden kann, darf auch nicht nach § 126 GO-BT beschlossen werden. Die Flexibilität ist vorteilhaft, da sie es dem Parlament ermöglicht, innerhalb des Verfassungsrahmens schnell auf aktuelle politische Ereignisse zu reagieren und sein Verfahren lebendig fortzuentwickeln.[48] Üblich ist die Erprobung bestimmter Verfahrensweisen nach einer interfraktionellen Absprache. Einige der einstmals erprobten Verfahrensweisen sind dadurch leicht zu erkennen, dass sie als Anlage ihren Weg in das geschriebene Geschäftsordnungsrecht gefunden haben (vgl. z.B. Anlage 5 zur GO-BT).

5. Verhältnis von Gesetz und Geschäftsordnung

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Das Rangverhältnis von Gesetz und Geschäftsordnung ist umstritten. Das BVerfG und Teile der Literatur halten das Gesetz für höherrangig.[49] Die Gegenansicht plädiert für die Gleichrangigkeit.[50] Für den höheren Rang des Gesetzes spricht, dass die Geschäftsordnung wegen der Abweichungsmöglichkeit (§ 126 GO-BT) und der nach h.M. begrenzten Geltung für jeweils eine Wahlperiode (sachliche Diskontinuität) im Vergleich zum Gesetz schwächer erscheint. Gegen den höheren Rang des Gesetzes spricht nicht, dass das Grundgesetz, anders als in den sonstigen Vorrangsituationen Verfassung – Gesetz (vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3), Gesetz – Rechtsverordnung (vgl. Art. 80 Abs. 1 S. 1) sowie Gesetz/Rechtsverordnung – Satzung (vgl. Art. 28 Abs. 2 GG), den Vorrang des Gesetzes vor der Geschäftsordnung nicht ausdrücklich regelt.[51] Ein Bedürfnis für eine solche Regelung besteht schlicht nicht. Ohnehin entstehen Konflikte nur ausnahmsweise, etwa wenn eine Vorschrift der GO-BT einer Gesetzesnorm widerspricht.[52] Denn das Gesetz und die Geschäftsordnung haben unterschiedliche Anwendungsbereiche: Gesetze wirken nach außen, die Geschäftsordnung nur nach innen, ins Parlament hinein.[53] Außerdem kennt die Verfassung Fälle, in denen Geschäftsordnungsfragen ausdrücklich durch Gesetz zu regeln sind – in denen mit anderen Worten eine Geschäftsordnungsvorschrift nicht genügt. Solche Fälle liegen dann vor, wenn Regelungen Grundrechte (Art. 10 Abs. 2 S. 2, 45b S. 2, 45c Abs. 2) oder grundrechtsgleiche Rechte (Art. 41 Abs. 3 GG) betreffen.[54]

6. Formenwahlrecht?

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Umstritten ist, ob Geschäftsordnungsfragen auch ohne Ermächtigung durch das Grundgesetz in Gesetzesform geregelt werden dürfen. Solche Regelungen finden sich z.B. im ParlBG, in § 6 BVerfGG zur Wahl der Richter des BVerfG und § 10a Abs. 2 BHO zur Ausgabenbewilligung für die Nachrichtendienste des Bundes. Auf den ersten Blick scheint die Antwort klar zu sein. Das Parlament ist ein Gesetzgebungsorgan und kann Rechtsfragen per Gesetz klären. Man kann sich fragen, warum es ihm verwehrt sein sollte, Geschäftsordnungsfragen auf diese Weise zu regeln. Doch ist der Bundestag nicht das alleinige Gesetzgebungsorgan. Der Bundesrat ist zu beteiligen (Art. 78 GG), selbst wenn er ein Geschäftsordnungsfragen regelndes Gesetz letztlich nicht aufhalten könnte. Auch der Bundespräsident ist an der Gesetzgebung beteiligt, da er das beschlossene Gesetz ausfertigen und verkünden muss (Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG). Bei einer Regelung in Gesetzesform ist für jede Rechtsänderung ein neues Gesetzgebungsverfahren mit Beteiligung des Bundesrates und des Bundespräsidenten zu durchlaufen. Mit anderen Worten: Der Bundestag wäre nicht mehr alleiniger Herr seiner Geschäftsordnung, wenn er sie durch Gesetz regelte.[55] Einer Auffassung nach ist daher eine ausdrückliche Ermächtigung durch das Grundgesetz zwingende Voraussetzung dafür, dass eine Geschäftsordnungsfrage durch Gesetz geregelt werden darf.[56] Solche Ermächtigungen finden sich in Art. 10 Abs. 2 GG für das G-10, Art. 23 Abs. 7 GG für das EUZBBG, Art. 41 Abs. 3 GG für das WPrüfG, Art. 45b S. 2 GG für das WBeauftrG, Art. 45c Abs. 2 für das Befugnisgesetz, Art. 45d Abs. 2 GG für das PKGrG, Art. 48 Abs. 3 S. 3 GG für das AbgG). Eine weitergehende Ansicht lässt die Regelung in einem formellen Gesetz nur zu, wenn eine grundgesetzliche Ermächtigung vorliegt oder nicht nur Abgeordnete, sondern auch andere Rechtssubjekte verpflichtet werden sollen[57] (wie z.B. beim PUAG). Andere Autoren meinen sogar, der Bundestag habe ein freies Formenwahlrecht.[58] Zu prüfen sei nicht, welche Rechtsform gewählt werde, sondern ob ein Vorhaben – wegen der Drittwirkung mancher Regelungen – verfassungsgemäß sei.[59] Eine vermittelnde Auffassung, die vom BVerfG und von Teilen des Schrifttums vertreten wird[60] besagt, der Bundestag dürfe seine Organisation grundsätzlich auch durch Gesetz regeln. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn erstens der Bundesregierung keine ins Gewicht fallenden Einwirkungsmöglichkeiten auf das Verfahren und die Willensbildung des Bundestags eröffnet würden, wenn zweitens weder das Gesetz noch dessen Aufhebung der Zustimmung des Bundesrates bedürften, wenn drittens der Kern der Geschäftsordnungsautonomie unberührt bleibe und wenn viertens gewichtige sachliche Gründe für die Wahl der Gesetzesform sprächen.

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Zutr. ist die Rechtsmeinung, die von einem Formenwahlrecht des Bundestages ausgeht. Die Einschränkungen, die das BVerfG und Teile der Literatur anbringen, sind zu unscharf.[61] Erst recht nicht zu überzeugen vermag die Auffassung, die Gesetzesform sei nur dann gestattet, wenn das Grundgesetz ausdrücklich dazu ermächtige. Die Begründung dafür, dass der Bundestag entscheiden kann, welche Rechtsform er wählt, ergibt sich allerdings nicht aus der nach h.M. bestehenden Höherrangigkeit des Gesetzes im Verhältnis zu Geschäftsordnung. Der vorliegende Streit dreht sich nämlich nicht um ein Rang-, sondern um ein Kompetenzproblem.[62] Entscheidend ist Folgendes: Es leuchtet nicht ein, warum der Bundestag als Gesetzgeber, der unter bestimmten Bedingungen sogar in Grundrechte eingreifen darf, nicht auch sein eigenes Verfahren per Gesetz soll regeln dürfen. Der Schutzzweck der Geschäftsordnungsautonomie, der aus dem Konstitutionalismus herrührt, ist im parlamentarischen Regierungssystem größtenteils bedeutungslos.[63] Ein „Hineinregieren“ anderer an der Gesetzgebung beteiligter Verfassungsorgane in den Geschäftsgang und in die Organisation des Bundestages ist kaum zu befürchten, weder durch „aufgedrängte“ Gesetzesinitiativen mit geschäftsordnungsrechtlichem Inhalt noch durch eine Ablehnung einer vom Bundestag gewünschten Regelung einer Geschäftsordnungsfrage in Gesetzesform: Jedes Gesetz muss vom Bundestag beschlossen werden (Art. 77 Abs. 1 GG). Ein faktisches Argument tritt hinzu. Die Bundesregierung wird durch die Parlamentsmehrheit gestützt. Warum sollte sie versuchen, dem Parlament Verfahrens- und Organisationsregelungen per Gesetzesinitiative aufzudrängen? Der Bundesrat wird ebenfalls kein Interesse daran haben, den Geschäftsgang oder die Organisation des Bundestages rechtlich zu binden. Manche Gegner einer Regelung von Geschäftsordnungsfragen in Gesetzesform tragen vor, ein Gesetz binde den Bundestag stärker als eine Regelung in der Geschäftsordnung. Das Parlament dürfe von einem Gesetz nicht nach § 126 GO-BT mit Zweidrittelmehrheit abweichen; es dürfe ein Gesetz nicht gemäß § 127 GO-BT authentisch und ad hoc interpretieren; ein Gesetz sei – anders als nach h.M. die GO-BT – nicht diskontinuierlich. Aber diese Erwägungen sprechen nicht gegen die Gesetzesform. Zum einen zielen sie eher auf die Zweckmäßigkeit eines Handelns ab. Zum anderen hat eine stärkere Rechtsbindung durchaus Vorteile. Dies zeigt sich vor allem, wenn die Rechtsbeziehungen zu anderen Verfassungsorganen (wie durch das ParlBG, EUZBBG, IntVG oder durch § 10a FMStFG, § 1 Abs. 4, 5, §§ 2-5 StabMechG) oder zu den Mitgliedern und Fraktionen des Bundestages (wie durch das AbgG) auf eine verlässliche, die Wahlperiode überdauernde Grundlage gestellt werden[64] oder Regelungen auch nach außen (im Verhältnis zu Dritten, wie z.B. § 29 PUAG) wirken sollen.[65] Auch weitere mögliche Einwände gegen die hiesige Auffassung überzeugen nicht: Der Wortlaut des Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG steht einer Regelung per Gesetz nicht entgegen. Der Begriff „Geschäftsordnung“ beschreibt den Inhalt der Regelung, aber nicht ihre Form. Dass die Geschäftsordnungskompetenz im III. Abschnitt des Grundgesetzes und die Gesetzgebungsbefugnisse im VII. Abschnitt geregelt werden, steht der hier vertretenen Auffassung ebenfalls nicht entgegen. Der III. Abschnitt regelt unter anderem (v.a. in Art. 40 GG) die Binnenstruktur des Bundestages, der VII. Abschnitt hingegen die Gesetzgebungsfunktion. Eine Regelung der Binnenstruktur durch Gesetz schließt die Verfassungssystematik nicht aus. Das von Mahrenholz vorgebrachte Argument[66], dass der Minderheitenschutz, dem die Geschäftsordnung (auch) dient, durch die Nutzung des Gesetzgebungsverfahrens, in dem die Mehrheit entscheidet (Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG), nicht ausgehebelt werden dürfe, widerspricht der hier vertretenen Ansicht ebenfalls nicht. Denn auch die Geschäftsordnung wird mit Mehrheit verabschiedet, wenngleich in der Praxis zumeist alle oder die meisten Fraktionen einer Änderung zustimmen. Natürlich dürfen die einer parlamentarischen Minderheit zugeschriebenen Rechte, sofern sie Verfassungsrang besitzen, auch durch ein Gesetz nicht beschnitten werden.

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Lösung Fall 1 (Rn. 87):

Nach hier vertretener Auffassung besitzt der Bundestag ein Formenwahlrecht. Auch wenn man die Rechtsprechung des BVerfG und die Sichtweise der ihr folgenden Literatur zugrunde legt, sind die Gesetze verfassungsgemäß. Nur die Ansicht, die eine ausdrückliche Ermächtigung durch das Grundgesetz vorsieht, wird sie für verfassungswidrig halten.

In den Bundesländern stellt sich das Problem der richtigen Rechtsform nicht auf dieselbe Weise wie im Bund. Ein dem Bundesrat vergleichbares Organ kennen die Landesverfassungen nicht. Allerdings besteht auch hier der semantische Unterschied zwischen Geschäftsordnung und Gesetz sowie die systematische Stellung von Geschäftsordnungsautonomie und Gesetzgebung. Nur im Saarland gilt kraft ausdrücklichen Verfassungsrechts etwas anderes: Der dortige Landtag regelt nach Art. 70 Abs. 1 SaarlVerf. seine inneren Angelegenheiten durch Gesetz und Geschäftsordnung. Er hat die Wahl, in welcher Form er Geschäftsordnungsfragen normiert.

Allerdings besitzt der geschilderte Meinungsstreit auch im Bund keine große praktische Bedeutung. Sofern die Verfassung aufgrund ausdrücklicher Ermächtigung selbst die Gesetzesform verlangt oder wenn Dritte betroffen sind, scheidet eine Regelung in der Geschäftsordnung von vornherein aus, selbst wenn auf den ersten Blick Angelegenheiten des Parlaments betroffen sind. Geht es hingegen um innere Angelegenheiten des Parlaments, insb. um dessen Verfahrensgang oder um dessen Organisation, ändert der Bundestag in der Regel schon aus praktischen Erwägungen die Geschäftsordnung. Es wird nicht etwa eine Gesetzesinitiative ergriffen, die eine Befassung des Bundesrates, in der Regel drei Lesungen im Bundestag und sodann eine Ausfertigung und Verkündung durch den Bundespräsidenten erfordern würde.

7. Auslegung der Geschäftsordnung

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Die Auslegung der formellen Geschäftsordnung geschieht grundsätzlich in gleicher Weise wie bei anderen Rechtssätzen auch; der übliche Methodenkanon ist anzuwenden.[67] Dabei ist nach Ansicht des BVerfG für die Auslegung der Geschäftsordnung „die parlamentarische Tradition und Praxis mitheranzuziehen, wie sie durch die historische und politische Entwicklung geformt worden ist“.[68] Die Parlamentstradition ist folglich für die Auslegung besonders bedeutsam, sofern sie bereits aus dem Bundestag stammt oder jedenfalls auf ihn übertragbar ist.[69] Zuständig für die Auslegung während einer Plenarsitzung ist der sitzungsleitende Bundestagspräsident (§ 127 Abs. 1 S. 1 GO-BT). Im Übrigen – also insb. außerhalb von Plenarsitzungen (etwa im Ausschussbetrieb) – ist der Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität oder Geschäftsordnung (1. Ausschuss) zur Auslegung berufen; jedoch können der Präsident, fünf Prozent der Mitglieder des Bundestages, ein Ausschuss, eine Fraktion oder ein Viertel der Mitglieder des 1. Ausschusses verlangen, dass das Plenum über die Auslegung befindet (§ 127 Abs. 1 S. 2 GO-BT). Die Auslegungsentscheidungen des 1. Ausschusses haben – anders als die ad-hoc-Auslegungen durch den sitzungsleitenden Präsidenten – in manchen Fällen „rechtsfortbildenden Charakter“ und reichen insoweit über eine bloße Auslegung hinaus.[70] Allerdings schafft der 1. Ausschuss durch seine Auslegungsentscheidungen nicht neues Geschäftsordnungsrecht. Er unterbreitet lediglich einen Vorschlag für die künftige Handhabung des Geschäftsordnungsrechts.[71] Die Befugnis zur letztgültigen authentischen[72] Interpretation und zur Änderung der Geschäftsordnung besitzt allein das Plenum. „Das Haus bleibt Herr seines Verfahrens.“[73] Dies zeigen Art. 40 Abs. 1 S. 2 GG und § 127 Abs. 1 S. 2 GO-BT. Nur durch eine Auslegungsentscheidung des Plenums würde neues Geschäftsordnungsrecht geschaffen (wenngleich in der Praxis zur Klarstellung die GO-BT geändert wird). Gleichwohl sind die mittlerweile über 220 Auslegungsentscheidungen des 1. Ausschusses in der Parlamentspraxis sehr bedeutsam. Das Parlament folgt ihnen bei der Handhabung der Geschäftsordnung. Neben dem Plenum und dem 1. Ausschuss kann auch die Handhabung der Geschäftsordnung durch den Ältestenrat, das Präsidium, den Präsidenten außerhalb von Sitzungen, die Ausschussvorsitzenden und andere Amtsträger die Auslegung prägen.[74] Dies gilt z.B. im Bereich der Verhaltensregeln, die dem Präsidenten und dem Präsidium Einzelfallentscheidungen ermöglichen (§§ 7, 8 der Anlage 1 zur GO-BT). Normcharakter hat eine Auslegungsentscheidung, wenn sie entweder vom Plenum getroffen wurde oder wenn sie vom 1. Ausschuss getroffen wurde, das Plenum ihr nicht widersprochen hat, und sie seit ihrer Verabschiedung mehrmals im Bewusstsein ihrer Verbindlichkeit angewandt wurde.[75] Sofern dies alles nicht der Fall ist, besitzt eine Auslegungsentscheidung keine Normqualität. Sie wirkt aber in der Praxis bis zu einer gegenteiligen Entscheidung oder Praxis als Konkretisierung der Geschäftsordnung, die zu beachten ist und auf die sich Parlamentsmitglieder berufen können.[76] In der Parlamentspraxis wird die Frage des Normcharakters nicht aufgeworfen. Dasselbe gilt für die Frage, ob Auslegungsentscheidungen nicht ebenfalls dem Prinzip der sachlichen Diskontinuität unterliegen. Grundsätzlich ist dies der Fall, da sich die Auslegungsentscheidungen auf die nach h.M. ebenfalls diskontinuierliche Geschäftsordnung beziehen. Sofern sie aber – wie im Regelfall – mindestens stillschweigend in jeder Wahlperiode, seitdem sie gefällt wurden, akzeptiert und befolgt werden, gelten Auslegungsentscheidungen als Teil des ungeschriebenen Geschäftsordnungs(gewohnheits)rechts auch über Wahlperiodenwechsel hinweg fort.

8. Änderung der Geschäftsordnung

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Der Bundestag ändert die Geschäftsordnung, wie er sie erlässt: durch einen einfachen Mehrheitsbeschluss des Plenums (vgl. Art. 42 Abs. 2 S. 1 GG). Üblicherweise geht dem Beschluss ein Antrag mehrerer (oder aller) Fraktionen voraus, den das Plenum an den 1. Ausschuss überweist. Der Ausschuss gibt zu dem an ihn überwiesenen Änderungsantrag eine Beschlussempfehlung ab, über die dann im Plenum abgestimmt wird. Möglich ist auch eine direkte Abstimmung über einen Änderungsantrag im Plenum, ohne Ausschussüberweisung. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der 1. Ausschuss gemäß § 128 GO-BT der Initiator der Änderung ist. Die vom Plenum entschiedene Geschäftsordnungsänderung gilt ab dem Beschluss unmittelbar.[77] Eine Verkündung im Bundesgesetzblatt ist nicht erforderlich,[78] geschieht aber üblicherweise. Vor Geschäftsordnungsänderungen stehen – in Abweichung von § 126 GO-BT – oftmals Verfahrenserprobungen. Diesen liegen interfraktionelle Absprachen im Ältestenrat (sog. Erprobungsbeschlüsse) zugrunde. Zu beobachten war dieses Vorgehen z.B. bei den „Reden zu Protokoll“ im Rahmen der Gesetzesberatung. Diese wurden in der 16. Wahlperiode zunächst erprobt. Seit 2009 sind sie fester Bestandteil der Geschäftsordnung (vgl. § 78 Abs. 6 GO-BT).

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741 s. 3 illüstrasyon
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9783811488526
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