Kitabı oku: «Kulturbezogenes Lernen in asynchroner computervermittelter Kommunikation», sayfa 6
Kulturwissenschaftliche Ansätze im Landeskundeunterricht
In den letzten Jahren sind einige von kulturwissenschaftlicher Forschung inspirierte Arbeiten entstanden, in denen Ideen entwickelt werden, wie Lernende einen Einblick in den geteilten Wissensvorrat der fremdsprachlichen Lebenswelt erhalten können – wobei das Wie stets die Frage nach den Inhalten betrifft und nur in den seltensten Fällen nach geeigneten Methoden gefragt wird. Welche Rolle beispielsweise digitale Medien spielen können, ist ein Desiderat. Nur Biebighäuser (2014) beleuchtet das Potenzial virtueller Welten für die Arbeit mit Erinnerungsorten.
Den unterschiedlichen Ansätzen kulturwissenschaftlich orientierter Landeskunde, die im Folgenden eingeführt werden sollen, ist gemein, dass sie auf Theorien des kulturellen Gedächtnisses zurückgreifen, um über verschiedene Arten der Erinnerung die Heterogenität der Lebenswelt zu berücksichtigen. Dabei muss festgestellt werden, dass die Forschung der Fremdsprachendidaktik lediglich inspirierend zur Seite steht. Die Unterrichtspraxis, in der z.B. aus verschiedenen Gründen schnell in kulturkontrastive Vergleiche zurückgefallen wird oder in der den Lernenden für eine kulturwissenschaftliche Textanalyse die nötigen Sprachkenntnisse sowie Erfahrungen fehlen, wird dabei vermutlich auch in Zukunft kaum in der Lage sein, kulturtheoretische Prämissen mustergültig umzusetzen. Nichtsdestoweniger stellen kulturwissenschaftliche Ansätze einen Fortschritt im Hinblick auf die Vermittlung von sinnvolleren Inhalten dar als es noch der kognitiv oder kommunikativ ausgerichtete Ansatz anstrebten – sinnvoller, weil durch die Auseinandersetzung mit geteilten Wissensbeständen das Verständnis und die Teilhabe an den in der Zielsprache geführten Diskursen initiiert werden kann, was auf Faktenwissen oder Alltagskommunikation reduzierter Landeskundeunterricht nicht zu leisten vermag.
Im Folgenden sollen einige dieser Ansätze in der kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundedidaktik vorgestellt werden. Der Fokus liegt dabei auf theoretischen Überlegungen und unterrichtspraktischen Vorschlägen, die die Didaktik des Landeskundeunterrichts an der Universität Stockholm maßgeblich beeinflusst haben.
Kulturelle Deutungsmuster und Schlüsselthemen
Die Annahme, dass geteiltes Wissen einen Zugang zu der fremdsprachlichen Lebenswelt darstellt, wird von Altmayer (2004) und Hille (2009) vertreten, die im Zuge dessen vorschlagen, den Lernenden über kulturelle Deutungsmuster bzw. Schlüsselthemen Wissen zu vermitteln, das Angehörige der fremdsprachlichen Kommunikationsgemeinschaft oftmals bewusst oder unbewusst haben.
Ausgehend von den theoretischen Überlegungen zu einem Kulturbegriff im Fach Deutsch als Fremdsprache sowie auch des Begriffs des Fremdverstehens (vgl. Altmayer 2004, 66–71), spricht sich Altmayer für eine Behandlung von kulturellen Deutungsmustern aus, um das Ziel der Diskursfähigkeit1 zu erreichen, bei der es sich um eine enttrivialisierte Neubestimmung der kommunikativen Kompetenz handelt: „Gemeint ist die Fähigkeit von Menschen, an mehrsprachigen in komplexen gesellschaftlichen Prozessen und Diskursen teilhaben [sic]“ (Legutke 2010, 73). Dieses Ziel könne man durch eine „inszenierte Teilhabe an deutschsprachigen Diskursen“ (Altmayer 2006, 54)2 erreichen, durch die Lernprozesse in Gang gesetzt werden, die als kulturelles Lernen bezeichnet werden:
Von ‚kulturellem Lernen‘ soll also dann die Rede sein, wenn Individuen in der und durch die Auseinandersetzung mit ‚Texten‘ […] über die ihnen verfügbaren Deutungsmuster reflektieren und diese so anpassen, umstrukturieren, verändern oder weiterentwickeln, dass sie den kulturellen Deutungsmustern, von denen die Texte Gebrauch machen, weit gehend entsprechen, sie diesen Texten einen kulturellen angemessenen Sinn zuschreiben und dazu angemessen (kritisch oder affirmativ) Stellung nehmen können. (Altmayer 2006, 55)
Über das Entdecken von Deutungsmustern, über das Reflektieren der Bedeutung in den jeweiligen Texten sollen die Lernenden mit dem geteilten Wissensvorrat bekannt gemacht werden und schließlich in der Lage sein, die einem Text zugrunde liegenden Deutungsmuster und ihre jeweiligen Bedeutung zu identifizieren.
In jüngerer Zeit wird der Irritation als zentrales Moment für kulturelles Lernen besondere Aufmerksamkeit gewidmet (vgl. Agiba 2016, 405f, Agiba 2017), wobei diese nicht als Störungen des Lernprozesses sondern als Lernanlass verstanden werden:
Ein (kulturbezogener) Lernprozess fängt keineswegs von Grund auf neu an, sondern es werden immer wieder neue Wissenselemente in bereits vorhandene Schemata und Wissensnetze eingefügt und erweitert. Lernen versteht sich somit als Erweiterung und Differenzierung kognitiver Schemata und Wissensnetzen. Irritationen sind insofern eng mit der Anschlussfähigkeit verbunden. (Agiba 2016, 406)
Dank Irritationen können die Lerner sich ihrer eigenen Deutungen bewusst werden, wodurch eine Ausgangslage für kulturelles Lernen geschaffen wird.
Da es Altmayer jedoch primär um die wissenschaftliche Fundierung der Landeskunde und die Etablierung einer Forschungspraxis geht, in der kulturelle Deutungsmuster herausgearbeitet werden, liefern seine Arbeiten kaum Hinweise, wie er sich kulturelles Lernen konkret in der Praxis vorstellt. Die Vorschläge, die er liefert (vgl. Altmayer 2006), schließen an Neuners ‚universelle Daseinserfahrungen‘ an, die auf
universale Sozialisations- und Enkulturationserfahrungen aufbau[en], wie sie alle Menschen in irgendeiner Form machen, gleich welchem Kulturkreis sie angehören, und deshalb zu den elementaren Daseinserfahrungen des ‚Menschseins‘ gehören […]. Wenn man die Unterrichtsplanung auf solche Themen aufbaut, kann man sicher sein, daß beim Lernenden Grundstrukturen von Erfahrungen vorhanden sind, die die Grundlage des interkulturellen Vergleichs bilden. (Neuner 1989, 361)3
Darauf aufbauend schlägt Altmayer ein Modell vor, das von den vier Kategorien ‚Raum‘, ‚Zeit‘, ‚Identität‘ und ‚Wertorientierung‘ ausgeht und verschiedene Unterpunkte liefert, die teilweise das „klassische Repertoire der Landeskunde“ (Altmayer 2006, 56) mit abdecken. Wie dies im Unterricht umgesetzt werden kann, beschreibt Rüger (2010): Ein Semester lang wurden im Landeskundeunterricht an einer kolumbianischen Universität Unterrichtsthemen behandelt, die sich der Kategorie ‚Wertorientierung‘ zuordnen lassen. Wie mit dem kulturellen Deutungsmuster ‚Heimat‘ in einer diachronen Perspektive im universitären Landeskundeunterricht gearbeitet werden kann, wird in Becker (2013a) beschrieben. Auch das Lehrwerk Mitreden – Diskursive Landeskunde für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (Altmayer 2016) beruht auf dem Deutungsmusteransatz. Im Rahmen der Module „Menschen“, „Essen“ und „Mobilität“ sollen Deutungsmuster deutschsprachiger Diskurse offengelegt und sich die Lerner eigener Deutungsmuster bewusst werden.4
Die Arbeit mit solchen Universalthemen wird jedoch nicht erst seit der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Landeskunde gefordert, denn grundsätzlich wird dies, wie auch das Zitat von Neuner zeigt, schon in interkulturellen Ansätzen beschrieben (siehe auch Zeuner 2010, 1474), vor allem wenn es darum geht, einen Fremdsprachenunterricht zu entwerfen, der von Gemeinsamkeiten anstatt Unterschieden zwischen Kulturen ausgeht. In dieser Hinsicht schlagen z.B. auch Huneke und Steinig vor, gerade in Zeiten der Globalisierung „kulturübergreifende Gemeinsamkeiten in den Mittelpunkt zu stellen und kulturspezifische Besonderheiten eher als Randerscheinungen zu betrachten“ (Huneke/Steinig 2010, 89).
Ein der Arbeit mit kulturellen Deutungsmustern ähnliches Vorgehen schlägt Hille für den universitären Landeskundeunterricht vor, wobei diesem Schlüsselbegriffe zugrunde liegen, die, wie auch kulturelle Deutungsmuster, wissenschaftliche Fundierung fordern. Im Unterschied zu kulturellen Deutungsmustern sind sie jedoch nicht das Resultat kulturwissenschaftlicher Forschung im Bereich Deutsch als Fremdsprache. Stattdessen nutzen sie bestehende Forschungsergebnisse zu Schlüsselthemen;5 unter Einfluss der geistes- bzw. kulturwissenschaftlichen Forschung könnte dann „[die] Aufmerksamkeit der Lernenden […] durch die Kulturvermittlung auch auf komplexe Zusammenhänge hinter Alltagskommunikation und -handlung gerichtet werden“ (Hille 2009, 17). Gerade in universitären Kontexten ist die Bewusstmachung von komplexen Zusammenhängen wünschenswert, da sie schematischen Darstellungen vorbeugt und die Grundlage für die Herausbildung generischer Kompetenzen bildet.
Die Arbeit mit kulturellen Deutungsmustern und Schlüsselwörtern ist aus einer theoretischen Perspektive interessant und stellt einen sinnvollen Rahmen für anspruchsvollen universitären Landeskundeunterricht dar. Problematisch ist es, mit diesen Ansätzen in der täglichen Praxis des Fremdsprachenunterrichts zu arbeiten, vor allem auf den Niveaus A1 und A2 und mit jüngeren Lernern, auch wenn mit Mitreden (Altmayer 2016) inzwischen auch Didaktisierungen für A2 vorliegen.6
Ein weiteres Desiderat ist in diesem Zusammenhang die empirische Erforschung landeskundlichen Lernens (vgl. Altmayer/Koreik 2010b), die dazu beitragen kann, die Unterrichtspraxis zu optimieren. Im Umfeld der Leipziger und Bielefelder Kulturstudien/Landeskunde ist in den letzten Jahren eine Forschungsaktivität zu kulturbezogenen Lernprozessen entstanden (vgl. Altmayer/Scharl 2010b, Zabel 2016, aber auch Fornoff 2016), in der es neben Fragen nach angemessenen Forschungsmethoden7 um kulturbezogene Sinnbildungs- bzw. Lernprozesse geht, die, vor allem in ihrer Nachhaltigkeit, aber eigentlich nur im Rahmen von Longitudinalstudien beantwortet werden können. Zwei Forschungsschwerpunkte lassen sich unterscheiden: Auf der einen Seite stehen Lernprozesse im Fokus, die mit Hilfe von Interviews, die vor und nach dem landeskundlichen Unterricht durchgeführt werden (z.B. Fornoff 2016), nachvollzogen werden sollen. Die Ergebnisse, an die im Analyseteil dieser Arbeit angeknüpft wird, geben einen Einblick, ob die Lernenden in der Auseinandersetzung mit deutschsprachigen Texten deutschsprachige Deutungsmuster adäquat aktivieren können, so dass sie den Texten einen „angemessenen Sinn zuschreiben und dazu angemessen (kritisch oder affirmativ) Stellung nehmen können“ (Altmayer 2006, 55).
Während diese Untersuchung einen Einblick gibt, ob kulturbezogene Lernprozesse stattgefunden haben oder nicht,8 bleibt darin die Frage, wie das Unterrichtsgeschehen die kulturellen Lernprozesse beeinflusst, außen vor. Die Unterrichtspraxis steht also nur selten im Fokus, wobei abgesehen von Aussagen über die individuellen Sinnbildungsprozesse Erkenntnisse über das Unterrichtsgeschehen und darüber, wie dort landeskundliches Lernen angeregt oder gehemmt wird, notwendig sind, um über geeignete Methoden, Potenziale und problematische Faktoren eine gültige Aussage treffen zu können. Gleichwohl können Erkenntnisse über kulturelle Sinnbildungsprozesse von Lernern auch aufzeigen, welche Mechanismen, z.B. Apologetik (vgl. Fornoff 2016, 487–489), Übergeneralisierungen und eigenkulturelle Deutungen, in der Unterrichtspraxis eine Rolle spielen, weil sie Lernprozesse beeinflussen und bei der Berücksichtigung von Methoden und Lehrmaterialien beachtet werden sollten.
Das Konzept der Erinnerungsorte, auf das im Folgenden eingegangen wird, stellt einen weiteren konkreten Ausgangspunkt dar, der sich fruchtbar in der Unterrichtspraxis umsetzen lässt. Im hier untersuchten Seminar wurde beispielsweise die Berliner Mauer als (heterogener) Erinnerungsort thematisiert.
Erinnerungsorte
Die Arbeit mit Erinnerungsorten ist in den letzten Jahren zu einer fest etablierten unterrichtspraktischen Herangehensweise geworden, wie z.B. an dem Lehrwerk Erinnerungsorte – Deutsche Geschichte im DaF-Unterricht (Schmidt/Schmidt 2007a) deutlich wird.1 Es basiert auf dem Konzept der lieux de mémoires, das Pierre Nora ausgehend von Maurice Halbwachs’ Theorie des kollektiven Gedächtnisses entwickelte. Demnach handelt es sich bei Erinnerungsorten um Kristallisationskerne des kollektiven Gedächtnisses, die aus einem Netz aus materiellen und immateriellen Erinnerungsfäden bestehen (vgl. François/Schulze 2009, 8f), wobei Erinnerungsorte sowohl als Orte im strengen Sinne, aber auch als historische und mythische Personen, Texte, Dinge, Ereignisse etc. gedacht werden, die Erinnerungen gleichsam an sich knüpfen.2 Diese Erinnerungen sind nicht festgeschrieben, sondern veränderbar, so dass neue hinzukommen, gleichzeitig mit anderen existieren oder diese überlagern können. Fornoff führt weiter aus, wie das Konzept der kulturellen Deutungsmuster mit gedächtniswissenschaftlichen Perspektiven zusammengeführt werden kann,3 bzw. zeigt auf, dass beispielsweise bei Assmann im Grunde von einer „vollständigen Ineinssetzung von Wissen und Gedächtnis“ (Fornoff 2016, 111) gesprochen werden kann.
Im Deutsch-als-Fremdsprache-Unterricht ist der Ansatz, über Erinnerungsorte Lernenden die Geschichte eines Landes näher zu bringen, inzwischen Gang und Gäbe, wie eine Vielzahl an Publikationen belegt.4 Zentral ist dabei die Annahme, dass Erinnerungen sowohl für das Individuum als auch für eine Gruppe die Funktion haben,
eine Brücke von der Vergangenheit in die Gegenwart und möglicherweise in die Zukunft zu schlagen. Sie bilden eine konnektive Struktur, die Menschen über die Zeit hinweg mit ihren Vor- und Nachfahren und innerhalb einer Gruppe untereinander verbindet. Erinnerungen dienen der individuellen Sinnstiftung, indem sie Identität und Kontinuität schaffen. (Schmidt/Schmidt 2007b, 422)
Für den Fremdsprachenunterricht ist die Auseinandersetzung mit Erinnerungsorten sinnvoll, weil die Lernenden sich mit Hilfe von entsprechenden Didaktisierungen mit der impliziten symbolischen Konstruktion (Koreik/Roche 2014, 22) und der zeitlichen und räumlichen Perspektivgebundenheit von Geschichtsbildern und kulturellen Deutungsmustern auseinandersetzen (vgl. Schmidt/Schmidt 2007b, 423) und erfahren, wie diese umgedeutet werden können. Erinnerungsorte sind daher nicht nur interessant, um sich der ‚deutschen Geschichte‘ zu nähern, sondern auch, um die Sedimente von kulturellen Deutungsmustern freizulegen und nachzuvollziehen.5
Politische Mythen
Neben Erinnerungsorten eignen sich politische Mythen für das landeskundliche Lernen, da sie als „Erzählungen, die auf das politisch-soziale Geschehen gemünzt sind und diesem Geschehen eine spezifische Bedeutung verleihen“ (Becker 2005, 131), einen Einblick in das Selbstbewusstsein einer Gemeinschaft geben.1 Aus diesem Grund thematisiert ein Hauptteil des hier untersuchten Unterrichts politische Mythen und besonders Gründungsmythen. Auf die Bedeutung von großen Erzählungen geht auch Anderson ein, der eine Nation als eine „vorgestellte politische Gemeinschaft“ (Anderson 1996, 15) betrachtet, die ihre Identität auch über politische Mythen konstruiert (vgl. Anderson 1996, 284–286). Dies stellt auch Müller-Funk fest:
Zweifelsohne sind es Erzählungen, die kollektiven, nationalen Gedächtnissen zugrunde liegen und Politiken der Identität bzw. Differenz konstituieren. Kulturen sind immer auch als Erzählgemeinschaften anzusehen, die sich gerade im Hinblick auf ihr narratives Reservoir unterscheiden. (Müller-Funk 2008, 14)
Politische Mythen erzählen primär über den Ursprung und die Entwicklung einer Nation. Jan Assmann zeigt beispielsweise das Verhältnis von Geschichte und Mythen auf und definiert damit die Funktion des Mythos:
Für das kulturelle Gedächtnis zählt nicht faktische, sondern nur erinnerte Geschichte. Man könnte auch sagen, daß im kulturellen Gedächtnis faktische Geschichte in erinnerte und damit in Mythos transformiert wird. Mythos ist eine fundierte Geschichte, eine Geschichte, die erzählt wird, um eine Gegenwart vom Ursprung her zu erhellen. (Assmann 1992, 52)
Assman bringt also nicht nur zum Ausdruck, dass erinnerte Geschichte in Mythos transformiert wird, sondern betont außerdem die Bedeutung von Mythen für die Gegenwart: Sie erzählen nicht nur, wie es war, sondern geben auch Handlungsanweisungen für Gegenwart und Zukunft. Münkler weist darauf hin, „dass Mythen nicht bloß weitererzählt, sondern auch fort- und umerzählt werden und dass die dabei zu beobachtenden Variationen spezifisch politische Deutungsleistungen darstellen“ (Münkler 2011, 15). Die Gründe für Umdeutungen von Mythen lassen sich aus einer diachronen Perspektive analysieren und sind im Hinblick auf die historische Entwicklung des nationalen Selbstbewusstseins aufschlussreich.
Im Hinblick auf den fremdsprachlichen Landeskundeunterricht argumentiert Schumann, dass Mythen kollektive Selbstbilder sichtbar werden lassen und dass die Beschäftigung mit ihnen und ihren verschiedenen Erscheinungsformen kulturelle Konstruktions- und Dekonstruktionsprozesse offen zu legen [vermag]. Die Arbeit an kollektiven Mythen entwickelt ein kulturelles Wissen, das nicht nur landeskundliche Kontexte einbezieht und kulturelle Sinngebungsprozesse erhellt […]. (Schumann 2005b, 121)
In ihren Unterrichtsentwürfen beschreibt Schumann, wie der französische Mythos von der Einheit von Land, Volk und Nation, der sich im Symbol des Hexagons widerspiegelt, in verschiedenen Kontexten und Erscheinungsformen aufgegriffen wird, deren Behandlung im Unterricht einen Einblick in aktuelle französische Diskurse liefert und spezifisches kulturelles Wissen vermittelt.
Auch Koreik argumentiert für die Behandlung von Mythen im landeskundlichen Unterricht:
Wenn es so ist, daß Mythen und Legenden das Geschichtsbild breiter Bevölkerungskreise prägen oder zumindest eine größere Rolle darin spielen, dann wäre genau dies ein zu bearbeitender Themenkomplex, aus dem sich einzelne Beispiele für die Behandlung im Unterricht anbieten. Indem ausländische Deutschlernende Faktoren kognitiv verarbeiten, die die im Inland sozialisierten Deutschen auf welche medial vermittelte Weise auch immer […] als Mythen und Legenden aus dem Vorrat des ‚kollektiven Gedächtnisses‘ zum großen Teil zum Bestandteil ihres subjektiven Geschichtsbildes gemacht haben, erhalten sie eine Möglichkeit zu einer besseren Nachvollziehbarkeit prägender Einflüsse deutscher Geschichts- und Gesellschaftsbilder. (Koreik 1995, 70)
Mythen stellen also nach Koreik einen Zugang zu den Geschichtsbildern dar, die eine Gruppe hat, so dass über diesen Weg die Perspektivgebundenheit von Geschichtsbildern sichtbar wird. Eine Möglichkeit, wie dies konkret im universitären Landeskundeunterricht geschehen kann, wird in Becker (2015a und 2015b) aufgezeigt.
Geschichtliche Themen
Mit den obigen Ausführungen zu Erinnerungsorten und politischen Mythen habe ich versucht deutlich zu machen, dass geschichtliche Themen aus einem kulturwissenschaftlich orientierten Landeskundeunterricht nicht wegzudenken sind. Mythen und Erinnerungsorte liefern historisches Wissen, d.h. die Hintergrundinformationen, ohne die sie nicht zu verstehen sind. Auch für die Gegenwart besitzt die Vergangenheit eine wichtige Erklärungskraft und ist daher für den landeskundlichen Unterricht von hoher Relevanz (vgl. Koreik 2010a, Maijala 2004, Ghobeyshi 2000, 635), wie es auch 1990 in den ABCD-Thesen formuliert ist:
Landeskunde ist in hohem Maße auch Geschichte im Gegenwärtigen. Daher ergibt sich die Notwendigkeit, auch historische Themen und Texte im Deutschunterricht zu behandeln. Solche Texte sollten Aufschluß geben über den Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über unterschiedliche Bewertungen sowie über die Geschichtlichkeit der Bewertung selbst. (o.A. 1990, 307)1
Das übergeordnete Ziel der Auseinandersetzung mit geschichtlichen Themen im landeskundlichen Unterricht ist somit nicht die Vermittlung von reinem Faktenwissen, ähnlich einem ereignisgeschichtlichen Ansatz, in dem Epochen und Ereignisse chronologisch aneinandergereiht werden. Stattdessen erhält Geschichte eine unterstützende Funktion, sie wird nicht um ihrer selbst willen behandelt, sondern stets um Perspektivgebundenheit und Entwicklungslinien zu verdeutlichen.
Es stellt sich die Frage, welche geschichtlichen Themen für den Landeskundeunterricht relevant sind, wobei diese Frage selbstverständlich immer im Hinblick auf die spezifische Unterrichtssituation beantwortet werden muss. Als ein Leitfaden könne u.a. der Aktualitätsbezug sowie der zu erwartende Erkenntniswert der Themen gelten (vgl. Koreik 2012, 4); indem man Entwicklungslinien zu aktuellen Themen nachvollziehe, könne man kulturelle Deutungsmuster verdeutlichen (vgl. Koreik 2010a, 1479). Es böten sich Themen wie der Zweite Weltkrieg an, weil diese Jahrhundertkatastrophe nach wie vor die Gegenwart präge (vgl. auch Fornoff 2015a). Insgesamt aber seien verstärkt das kollektive Gedächtnis2 sowie sozial- und alltagsgeschichtliche Fragestellungen zu berücksichtigen, wolle man das Verständnis für die Gegenwart fördern:
Die Kategorien Erinnerung und kollektives Gedächtnis haben dabei in den letzten Jahren zu Recht auch im Fach DaF/DaZ einen gewissen Stellenwert bekommen, da Sprachunterricht kein Geschichtsunterricht ist und die Näherung an die Menschen im Zielsprachenland das vorrangige Ziel sein muss – und diese sind geprägt durch ihr Geschichtsbewusstsein. Hier werden allerdings die harten geschichtswissenschaftlichen Deutungen verlassen und Erkenntnisse aus der oral history oder sozialwissenschaftliche Studien […] bilden die Basis für fundierte Materialerstellung. (Koreik 2010a, 1482)
Koreik greift hier die kulturwissenschaftliche Transformation der Landeskunde auf sowie die Bedeutung des kollektiven Gedächtnisses für das landeskundliche Lernen: Ohne den Einbezug geschichtlicher Themen kommt der kulturwissenschaftlich orientierte Landeskundeunterricht nicht aus.