Kitabı oku: «Europäisches Prozessrecht», sayfa 6

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I. Verfahrenseinleitung

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In den Direktklageverfahren wird das Verfahren durch Erhebung der Klage in Gang gesetzt. Diese muss den in Art. 21 I GHEU-Satzung genannten Anforderungen entsprechen, und damit u.a. den Namen und Wohnsitz des Klägers, die Bezeichnung des Beklagten, den Streitgegenstand und die Anträge und Klagegründe enthalten.

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Fehlt es an den Voraussetzungen des Art. 21 I GHEU-Satzung, liegt ein sog. konstitutiver Mangel vor, der dazu führt, dass bereits keine Klage i.S.d. Art. 120 VerfO-EuGH vorliegt. Damit wird die laufende Klagefrist nicht unterbrochen, da die Klage auch nicht registriert wird. Allerdings eröffnet der Gerichtshof bei nicht-konstitutiven Mängeln die Möglichkeit, den Mangel zu heilen (Art. 122 III VerfO-EuGH). Gleiches gilt analog für konstitutive Mängel, wobei der Zeitpunkt der Klageeinreichung nicht auf den Zeitpunkt der unvollständigen Klageeinreichung rückdatiert wird.

102

Im Vorabentscheidungsverfahren übermittelt das vorlegende Gericht einen Vorlagebeschluss an den Kanzler des Gerichtshofs (Art. 23 GHEU-Satzung, Art. 20 I VerfO-EuGH). Der Beschluss muss neben den Vorlagefragen eine kurze Darstellung des Streitgegenstands nebst anwendbaren Rechtsvorschriften und einschlägiger Rechtsprechung sowie die Begründung für Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit des Unionsrechts und des Zusammenhangs mit dem anwendbaren nationalen Recht enthalten (Art. 94 VerfO-EuGH).[23]

103

Der Kläger kann nach Art. 36, 37 I VerfO-EuGH die Verfahrenssprache innerhalb der 24 bestehenden Amtssprachen der EU frei wählen. Richtet sich die Klage gegen einen Mitgliedstaat, so ist dessen Amtssprache allerdings automatisch auch die Verfahrenssprache. Gleiches gilt für die Verfahrenssprache bei Vorabentscheidungsersuchen, die die Amtssprache des vorlegenden Gerichts ist. In der Verfahrenssprache erfolgt sodann das gesamte schriftliche und mündliche Verfahren sowie schließlich das Urteil, das nur in der Verfahrenssprache verbindlich ist (allerdings regelmäßig auf Französisch aufgesetzt wird). Einzige Ausnahme sind hier die Schlussanträge der Generalanwälte, die in deren Muttersprache erstellt werden können und in die Verfahrenssprache übersetzt werden.

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Nach der Einleitung des Verfahrens wird die Rechtssache in das Register der Kanzlei eingetragen (Art. 21 VerfO-EuGH), ein richterlicher Vorberichterstatter bestimmt und die Rechtssache einem Generalanwalt zugeteilt.

II. Schriftliches Verfahren

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Im anschließenden schriftlichen Verfahren (Art. 20 II GHEU-Satzung) werden Schriftsätze ausgetauscht, bis die letzte Frist für die Einreichung eines Schriftsatzes verstrichen ist.

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Im Einzelnen umfasst dies in direkten Klageverfahren die Zustellung der Klageschrift und die Einreichung der Klagebeantwortung (nach deutscher Terminologie: der Klageerwiderung) binnen Zweimonatsfrist unter den in Art. 123 I VerfO-EuGH genannten Voraussetzungen. Diese können durch Erwiderung und Gegenerwiderung (Replik und Duplik) ergänzt werden. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Präklusionsvorschrift des Art. 127 I VerfO-EuGH, nach der

„[d]as Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Laufe des Verfahrens (…) unzulässig [ist], es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.“

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In diesem Zusammenhang ist außerdem die (teilweise kritisierte) Begrenzung der Schriftsatzlänge zu erwähnen, die sich aus Art. 58 VerfO-EuGH i.V.m. Nr. 12 ff. der Praktischen Anweisungen für die Parteien ergibt. Danach sollen die Klageschrift und die Klagebeantwortung 30 Seiten, die Erwiderung und die Gegenerwiderung etwa 10 Seiten nicht überschreiten. Die erlaubte Schriftsatzlänge kann allerdings im einzelnen Verfahren ggf. konkretisiert wird.

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Im Vorabentscheidungsverfahren wird das Ersuchen zunächst in alle Amtssprachen übersetzt und den Parteien des Ausgangsrechtsstreits, den Mitgliedstaaten und den beteiligten EU-Institutionen mit der Möglichkeit zur Stellungnahme zugestellt (Art. 23 GHEU-Satzung, Art. 98 VerfO-EuGH).

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In allen Verfahren entscheidet die Generalversammlung über die Verweisung der Rechtssache an die Spruchkörper auf Grundlage des Vorberichts des Berichterstatters (Art. 59 f. i.V.m. Art. 25 VerfO-EuGH). Die Zuweisung an den Vorberichterstatter durch den Präsidenten des EuGH und die Entscheidung der Generalversammlung nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens, die Rechtssache einem bestimmten Spruchkörper zuzuteilen, sind mit dem deutschen (Recht auf den) gesetzlichen Richter nach Art. 101 I 2 GG schwer zu vereinbaren. So muss in den deutschen Gerichtsbarkeiten bei Eingang der Rechtssache ohne Ansehung ihres konkreten Gegenstandes oder der Beteiligten anhand von abstrakt-generellen Kriterien bereits feststehen, welcher Spruchkörper die Rechtssache entscheiden wird. Damit soll unsachlichen Manipulationsversuchen der Rechtsschutzsuchenden, aber auch anderer Staatsgewalten und der Judikative selbst vorgebeugt werden.[24] Freilich ist dieser Grundsatz für den GHEU nicht bindend; die Anwendbarkeit seiner Ratio auf den GHEU kann aber durchaus kontrovers diskutiert werden.[25]

III. Mündliches Verfahren

110

Das mündliche Verfahren (Art. 20 IV GHEU-Satzung) dient den Beteiligten dazu, ihren Standpunkt zu den strittigen Sach- und Rechtsfragen noch einmal darzustellen und erfüllt insofern den Anspruch auf rechtliches Gehör. Daneben haben die beteiligten Richter und der Generalanwalt die Möglichkeit, klärungsbedürftige Fragen zu stellen. Auf das mündliche Verfahren kann, ebenso wie auf eine Beweisaufnahme, verzichtet werden.

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Den Abschluss der mündlichen Verhandlung bilden die (in der Praxis häufig zu einem späteren Zeitpunkt gestellten) Schlussanträge des Generalanwalts (Art. 82 I VerfO-EuGH), soweit gem. Art. 20 V GHEU-Satzung nicht auch darauf verzichtet wird.

IV. Verfahrensabschluss

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Die geheime Beratung der Spruchkammer bildet den gerichtsinternen Verfahrensabschluss, an dessen Ende die Kammer mit einfacher Mehrheit über die Rechtssache entscheidet. Abweichende Meinungen oder Sondervoten sind nicht möglich. Auch das Abstimmungsergebnis wird nicht veröffentlicht.

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Bei vorangegangener mündlicher Verhandlung wird durch Urteil entschieden, das in öffentlicher Sitzung verkündet wird. Ansonsten entscheidet das Gericht durch Beschluss, der den Parteien zugestellt wird. Die notwendigen Entscheidungsinhalte ergeben sich aus den Art. 87 bzw. Art. 89 VerfO-EuGH. Mit Verkündung bzw. Zustellung erwachsen die Entscheidungen in Rechtskraft. Die Urteils- oder Beschlussformel wird im Amtsblatt der EU und im Volltext auf der Homepage des GHEU veröffentlicht. Gleichzeitig werden ausgewählte Urteile in die amtliche Sammlung des GHEU aufgenommen.

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Zur Information der Öffentlichkeit und zur Bearbeitung am Gerichtshof, dessen Arbeitssprache Französisch ist, werden die Verfahrensdokumente ins Französische übersetzt. Urteile und Entscheidungen, die in der amtlichen Sammlung, d.h. auf der EUR-Lex-Website[26] veröffentlicht werden, werden in alle Amtssprachen der EU übersetzt. Andere Urteile und Entscheidungen werden in der Beratungs- und Verfahrenssprache, d.h. in französischer und ggf. einer weiteren Sprache auf der Website des Gerichtshofs veröffentlicht. Ob eine Entscheidung in die Sammlung der Rechtsprechung aufgenommen wird, richtet sich nach der Wichtigkeit der Rechtssache und der Einschätzung des entscheidenden Spruchkörpers.

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Die Vollstreckbarkeit der Urteile richtet sich aufgrund des Verweises in Art. 280 AEUV nach den in Art. 299 II bis IV AEUV geregelten allgemeinen Grundsätzen über die Vollstreckung von Rechtsakten des Rates, der Kommission oder der EZB. Vollstreckt wird nach innerstaatlichem Recht und durch innerstaatliche Behörden. Vollstreckungsfähig sind Leistungsurteile. Gestaltungs- oder Feststellungsurteile sind es nicht. Daher können im Vertragsverletzungsverfahren ergangene Urteile (vgl. Art. 260 I AEUV) nicht vollstreckt werden.[27]

§ 3 Der Gerichtshof der EU › E. Auslegung des Unionsrechts

E. Auslegung des Unionsrechts

116

Unter der „Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge“ (Art. 19 I UA 1 S. 1 EUV), mit der der GHEU beauftragt ist, ist die Konkretisierung des Unionsrechts und die Subsumtion von Sachverhalten, die den zu entscheidenden Rechtsstreitigkeiten zugrunde liegen, zu verstehen. Der GHEU widmet sich dieser Kernaufgabe – wie andere nationale und internationale Gerichte – anhand des klassischen juristischen Kanons der Auslegungsmethoden. Auch wenn insoweit weitgehende Deckungsgleichheit mit den aus der deutschen Rechtsdogmatik bekannten Methoden besteht, gibt es im Detail durchaus erwähnenswerte Besonderheiten im Unionsrechtssystem.

I. Anerkannte Auslegungsmethoden

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Zu den anerkannten und praktizierten Auslegungsmethoden zählen die grammatikalische, die systematische, die historische und die teleologische Auslegung. Während die historische Auslegung im Kontext des internationalen Rechts nur mit Einschränkungen heranzuziehen ist, ist die teleologische Auslegung im Unionsrecht besonders ausgeprägt.

1. Grammatikalische Auslegung

118

Die wortlautorientierte Auslegung fragt nach dem Bedeutungsgehalt des Begriffs vor dem Hintergrund des in der Sprachgemeinschaft vorherrschenden Verständnisses. In der EU mit ihren 24 gleichberechtigten Amtssprachen (Art. 55 I EUV, Art. 358 AEUV) sind daher grundsätzlich alle Sprachfassungen einzeln zu berücksichtigen und abzugleichen. Insofern wohnt der grammatikalischen Auslegung immer ein vergleichender Aspekt inne, der in vollem Umfang freilich häufig nicht praktikabel ist. In der Rechtsprechungspraxis kommt deswegen zum einen den am weitesten verbreiteten Amtssprachen (d.h. dem Englischen, Französischen und Deutschen) größere Bedeutung zu, zum anderen kommt es regelmäßig zu einer eigenständig unionsrechtlichen Begriffsbildung,[28] die sich von nationalen Begriffsverständnissen löst.

119

Dadurch wird gleichzeitig der Autonomie der Unionsrechtsordnung Rechnung getragen. Dieser in den Entscheidungen Van Gend en Loos[29] und Costa/ENEL[30] entwickelte Grundsatz besagt, dass das Unionsrecht eine eigenständige Rechtsordnung darstellt. Sie hat absoluten Vorrang vor den nationalen Rechtsordnungen und darf durch nationales oder zwischenstaatliches Recht nicht beeinträchtigt oder in ihrem Bedeutungsgehalt verändert werden. Bereits im Rahmen der Auslegung soll vermieden werden, dass nationale Rechtsbegriffe auf das Unionsrecht übertragen werden und dieses determinieren könnten. EU-Vorschriften sind folglich unionsrechtlich-autonom auszulegen.

Beispiel:

In der Entscheidung Lawrie-Blum stellte der EuGH fest, der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Artikel 48 EWG-Vertrag [nun Art. 45 AEUV] habe eine gemeinschaftsrechtliche Bedeutung.[31] Als Arbeitnehmer wird danach grundsätzlich jeder eingestuft, der während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält.[32] Auf die Arbeitnehmereigenschaft nach nationalem Recht kommt es damit nicht an. Deutschland durfte somit Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten den Vorbereitungsdienst für ein Lehramt nicht auf Grundlage ihrer Nationalität verweigern.

2. Systematische Auslegung

120

Im Rahmen der systematischen Auslegung wird die Stellung einer Rechtsnorm im Zusammenhang mit anderen Normen der gleichen Vorschrift, des gleichen Abschnitts oder des gesamten Rechtstextes gewürdigt. Die Grundannahme dabei ist, dass der Normgeber gleichen Begriffe eine konsistente Bedeutung geben wollte und dass Normen in ihren Verwendungszusammenhängen sinn- und wirkungsvoll auszulegen sind.

121

Im Unionsrecht ist daher eine Norm in Übereinstimmung mit dem gesamten hierarchisch gleich- oder übergeordneten Recht auszulegen.

Beispiel:

Als Beschränkungsmöglichkeiten der Grundfreiheiten nach den Art. 36, 45 III und Art. 51 AEUV werden gleichlautend die Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit genannt. Mittels systematischer Auslegung kann damit die sog. Konvergenz der Grundfreiheiten,[33] d.h. der Gleichlauf ihrer Prüfungen, auch auf Rechtfertigungsebene begründet werden.

122

Eine besondere Ausprägung der systematischen Auslegung ist die sog. primärrechtskonforme Auslegung des abgeleiteten EU-Rechts. Die Normenhierarchie des Unionsrechts sieht die Unwirksamkeit von Normen vor, die gegen höherrangiges Recht verstoßen.[34] Deshalb muss zuvorderst versucht werden, die niederrangige Norm im Einklang mit dem höherrangigen Recht auszulegen, da die Norm nur so ihre Wirksamkeit behalten kann. Umgekehrt gilt dies jedoch nicht: Eine am Sekundärrecht orientierte Auslegung des Primärrechts verkennt, dass das Primärrecht Geltungsgrund allen Sekundärrechts ist und die EU-Mitgliedstaaten als Herren der Verträge das primärrechtliche Programm und damit auch den Handlungsrahmen des Unionsgesetzgebers vorgeben, und nicht umgekehrt.[35]

123

Keine Auslegung im eigentlichen Sinne stellt die mitunter erforderliche wertende Rechtsvergleichung des EuGH zur Ermittlung des Unionsrechts dar. Hierbei handelt es sich um Rechtsfindung, die anhand eines Vergleiches mitgliedstaatlicher Regelungen erfolgt und die konstitutiv für die sodann in Anwendung gebrachte Norm ist. Damit die wertende Rechtsvergleichung die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung nicht überschreitet, bedarf es jedoch einer „Ermächtigung“ in Form eines primärrechtlichen Anknüpfungsmomentes. Solche finden sich teilweise explizit in den EU-Verträgen. Beispielsweise haftet die Union nach Art. 340 II AEUV außervertraglich für Schäden ihrer Organe und Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeiten nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.

124

Daneben können auch (andere) allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts einer Zusammenschau mitgliedstaatlicher Regelungen entnommen werden (arg. e. Art. 6 III EUV).[36]

3. Historische Auslegung

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Die historische Auslegung leitet aus der Entstehungsgeschichte einer Norm deren Bedeutungsgehalt ab. Dies setzt eine Dokumentation der Entstehungsgeschichte voraus, die nicht immer gegeben ist. Außerdem kommt dem Abschluss vertraglicher Regelungen, insbesondere im zwischenstaatlichen Bereich, häufig ein Kompromisscharakter zu, dem nicht allein sachliche Erwägungen zugrunde liegen. Teilweise wird daher vorgeschlagen, der historischen Auslegung, zumal bei älteren Rechtstexten, nur eine Hilfsfunktion bei fortbestehenden Unklarheiten zukommen zu lassen. Dafür spricht auch die Einordnung als ergänzendes Auslegungsmittel in Art. 32 der Wiener Vertragsrechtskonvention[37].

Beispiel:

In der Rs. C-583/11 P (Inuit) hatte der EuGH als Rechtsmittelgericht über die Voraussetzungen der dritten Individualklagevariante bei Nichtigkeitsklagen (Art. 263 IV 3. Var. AEUV) zu entscheiden. Mit systematischen und historischen Auslegungsargumenten – lesenswert die Rn. 59 f. des Urteils – kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass Verordnungen nicht als „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ zu qualifizieren sind.[38]

126

Schließlich wird die historische Auslegung dem dynamischen Charakter der Europäischen Integration nicht immer gerecht, da sie begriffsnotwendig rückwärtsgewandt ist. Hier wird ein immanentes Spannungsverhältnis mit der insofern wirkmächtigeren teleologischen Auslegung (dazu sogleich) sichtbar.

Beispiel:

Verpflichtungsadressaten der Grundfreiheiten waren nach dem Wortlaut der EU-Verträge und dem Gründungsgedanken der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Mitgliedstaaten, deren unterschiedliche nationale Regelungen grenzüberschreitendes Wirtschaften erschwerten. Später erweiterte die Rechtsprechung des EuGH den Kreis der Verpflichteten auf sozial mächtige Berufsverbände und schließlich auf private Akteure, die den Marktzugang wirtschaftlich Tätiger faktisch beschränken können.[39]

4. Teleologische Auslegung

127

Nach Sinn und Zweck der Norm fragt die sog. teleologische Auslegungsmethode (telos, grie. = Ziel). Der Normzweck wird unionsrechtlich unter Rückgriff auf die Präambeln der Verträge, die Werte und Ziele der EU (Art. 2 f. EUV) sowie die jeweiligen sektoriellen Ziele bestimmt. Im Sekundärrecht ergeben sich die konkreten Ziele häufig aus den in den Präambeln des jeweiligen Rechtsakts enthaltenen Erwägungsgründen.

128

Dieser Auslegungsmethode kommt besondere Bedeutung zu, da die EU ausweislich der Präambel des EUV insgesamt integrationsoffen und dynamisch angelegt ist. Die teleologische Auslegung hat daher in der Rechtsprechung des EuGH unter dem Hinweis auf den sog. „effet utile“, d.h. die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts, eine besondere Ausprägung gefunden. Danach ist Unionsrecht so auszulegen, dass es seinen Zweck effektiv verwirklicht.[40] Die Auslegung soll eine weitest gehende Anwendbarkeit, Wirkmächtigkeit und Durchsetzungsstärke des Unionsrechts sichern.

Beispiel:

Entsprechend begründete der EuGH in den verb. Rs. C-6/90 und C-9/90 (Francovich) die Einführung der Staatshaftung bei Verletzungen des Unionsrechts damit, dass ansonsten „die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts (…) beeinträchtigt“ wäre.[41]

129

Ausprägungen der effet-utile-Auslegung sind außerdem die enge Auslegung von Ausnahmeregelungen und die Wahrung der Funktionsfähigkeit der gesamten EU.[42]

130

Nach Auffassung des BVerfG ist diese auf Wirksamkeit bedachte Kompetenzauslegung und die damit einhergehende politische Fortentwicklung der EU systemimmanent und mit dem Integrationsgedanken des Grundgesetzes zu vereinbaren.[43] Der einschlägige Art. 23 I GG lasse, so das BVerfG, diese Dynamik bis zur Grenze der Änderung der vertraglichen Grundlagen der EU zu. Darüber hinaus sei die Änderung der Verträge nach Art. 48 EUV und ein deutsches Zustimmungsgesetz erforderlich, damit Unionsrecht in der deutschen Rechtsordnung Anwendung finde.[44]

II. Grenzen der Auslegung

131

Die Grenzen zulässiger Auslegung ergeben sich ganz allgemein aus dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm. Eine Auslegung oder Rechtsfortbildung „contra legem“ ist nicht möglich.

132

Darüber hinaus muss der GHEU in der Auslegung des Unionsrechts seine Zuständigkeiten wahren (vgl. Rn. 80 ff.). Die begrenzte Verbandszuständigkeit der EU verbietet die Auslegung mitgliedstaatlichen Rechts. Die auf „Auslegung und Anwendung“ begrenzte Organzuständigkeit des GHEU sichert das interinstitutionelle Gleichgewicht der EU. Insbesondere ist richterliche Zurückhaltung in Bereichen geboten, in denen die EU-Mitgliedstaaten primärrechtlich dem Unionsgesetzgeber politischen Gestaltungsspielraum eingeräumt haben.

§ 3 Der Gerichtshof der EU › F. Reformen am GHEU

F. Reformen am GHEU

133

In den letzten Jahren, und insbesondere seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, stellt sich die Frage, wie der GHEU seiner Rechtsprechungsaufgabe aus Art. 19 I 1 EUV, die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge zu sichern, effektiv nachkommen kann. Mit der Aufnahme neuer Mitgliedstaaten in die EU, neuen Sachbereichskompetenzen für den GHEU und dem voranschreitend direkten Verwaltungsvollzug durch EU-Stellen geht ein beständig ansteigender Arbeitsaufwand für den GHEU einher.

134

Zur Reform des Gerichtshofs wurden in den letzten Jahren zahlreiche Vorschläge gemacht.[45] Drei Reformansätze werden im Folgenden kurz beleuchtet.

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