Kitabı oku: «Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama», sayfa 3
Im März 1990 wurden in Ostdeutschland die ersten freien Volkskammerwahlen abgehalten. Hierbei ging der konservative Politiker Lothar de Maizière als Wahlsieger hervor und ernannte Angela Merkel zur Sprecherin seiner neuen Regierung – der ersten und letzten frei- gewählten in der DDR. Sehr zur Überraschung vieler trat Merkel jedoch im April 1990 der Christlich Demokratischen Union Deutschlands (CDU) bei. Der damalige Parteivorsitzende war Helmut Kohl, zugleich Bundeskanzler und Anführer der Wiedervereinigungsbewegung in Westdeutschland. Bei der ersten Bundestagswahl nach der Wiedervereinigung im Dezember 1990 wählten die Bürger in der Region Vorpommern-Rügen Angela Merkel in den Bundestag und die Deutschen wählten Helmut Kohl zum ersten Kanzler des vereinten Deutschlands.
Kohl wollte für sein Kabinett eine Frau und jemanden aus der ehemaligen DDR. Merkel erfüllte gleich beide Voraussetzungen und Kohl ernannte sie zur Ministerin für Frauen und Jugend. Kohl wurde ihr Mentor, nannte sie oft „mein Mädchen“ und stellte sie auch so vor. 1994 beförderte Kohl Merkel zur Ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, was ihr eine größere internationale Sichtbarkeit gab und zudem eine geeignete Plattform war, ihre politische Karriere weiter auszubauen. In dieser Zeit war sie für die Organisation der UN-Klimakonferenz in Berlin zuständig, dessen Ergebnis das sogenannte „Berliner Mandat“ war – ein erstes Versprechen der beteiligten Länder, die Emission der Treibhausgase zu reduzieren.42 Merkel war klar, dass sie ihre politische Karriere Helmut Kohl zu verdanken hatte, aber sie wusste auch, dass sie sich von „dem Dicken“ – so wie der korpulente Kanzler in Regierungskreisen genannt wurde – abnabeln muss. Sie drückte es diplomatisch aus: „Ich wusste, dass ich darum kämpfen musste, als Individuum gesehen zu werden. Nicht nur in den Augen von Helmut Kohl, aber in den Augen anderer Leute. Die Menschen hatten bereits eine vorbestimmte Meinung über mich; eine Quotenfrau von links. All das hat mich sehr geärgert.“43
Merkel sollte bald nicht nur Kohl gegenüber beweisen, dass sie eine echte Bereicherung für sein Kabinett und die Administration war: Als Kohl 1998 die Bundestagswahlen verlor und die oppositionelle Sozial Demokratische Partei Deutschlands (SPD) mit ihrem Parteiführer Gerhard Schröder an die Macht kam, wurde sie von der CDU zur neuen Generalsekretärin gewählt. Nur ein Jahr später kam die CDU-Spendenaffäre: Die Partei von Kohl hatte über Jahre hinweg Gelder von Parteifreunden erhalten, diese Summen oder die Spender jedoch nicht veröffentlicht. Kohl weigerte sich, Namen zu nennen, denn schließlich habe er den Spendern sein Ehrenwort gegeben, sie würden anonym bleiben. Die meisten Mitglieder der CDU wollten den Skandal stillschweigend unter den Teppich kehren, aber Merkel hatte eine andere Meinung dazu, oder, wie einige später behaupteten, konkrete Zukunftspläne: Mit einem vernichtenden Leitartikel, der am 22. Dezember 1999 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschien, forderte sie den Rücktritt von Kohl und ermutigte ihre Partei, ohne ihn vorwärtszugehen: „Denn nur auf einem wahren Fundament kann ein richtiges historisches Bild entstehen. Nur auf einem wahren Fundament kann die Zukunft aufgebaut werden. Diese Erkenntnis muss Helmut Kohl, muss die CDU für sich annehmen. Und nur so wird es der Partei im Übrigen auch gelingen, nicht immer bei jeder neuen Nachricht über eine angebliche Spende angreifbar zu werden.“44
Diese Worte waren politischer Sprengstoff und für Merkel hagelte es Kritik: Für viele war ihr Schritt zu opportunistisch oder gar machiavellistisch. Andere sahen mit diesem Artikel eine Frau, die zu viele Male unterschätzt und unterminiert wurde, und die als kompetente Politikerin ihre eigenen Ziele und Bestrebungen verfolgt. Doch alle waren sich einig: Dieser Artikel markierte einen Wendepunkt in Merkels Karriere – der, mit dem sie sich für die Stelle als Kanzlerin positionierte.
Merkels Beitritt zur CDU hatte von Anfang Verwunderung ausgelöst. Nicht nur besaß die Partei starke patriarchale Züge, ihre Hochburgen lagen im konservativen Westen und Süden Deutschlands, das überwiegend katholische Wurzeln hatte. Merkel jedoch war Protestantin und stammte aus Norddeutschland. Zudem eckte sie mit ihrem Lebensstil an – eine 45-jährige, geschiedene Frau, die mit ihrem ebenfalls geschiedenen Freund zusammenwohnte – und für viele in der Partei kein gutes Beispiel war. Darauf angesprochen gab Merkel zurück, sie sei bereits einmal verheiratet gewesen und wäre nun vorsichtig, nichts zu überstürzen.45
Trotzdem wurden ihr immer wieder Fragen über ihr Privatleben gestellt – Fragen, von denen Autor Matthew Qvortrup behauptet, die ein Mann niemals hätte beantworten müssen. So stellte Merkel immer wieder klar: „Nein, ich habe nicht entschieden, dass ich keine Kinder haben wollte. Als ich in die Politik ging, war ich 35, und jetzt kommt es nicht mehr in Frage.“46 Angela Merkel war jedoch eine wichtige Persönlichkeit in einer konservativen Partei, die an die Werte Kinder, Küche und Kirche appellierte. Mit einer aufgeklärteren Sichtweise über die Frauenrolle aufgewachsen und zudem eine Karrierefrau, fand Merkel es schwer, ständig mit derartigen Fragen bombardiert zu werden – vor allem, da sie diese für irrelevant hielt. Merkel sah jedoch ein, dass sie – wenn sie auf der politischen Bühne Deutschlands eine Hauptrolle spielen wollte – sich dieser Besorgnis zuwenden musste.
Von daher gaben Angela Merkel und Professor Joachim Sauer dem gesellschaftlichen Druck nach und sie gaben sich selbst das Ja-Wort: Am 28. Dezember 1998 heirateten die beiden im allerengsten Familienkreis.47 Man kann sagen, dass Merkels Heirat und die Bindung an soziale Normen einhergeht mit dem, was ihre Eltern ihr damals zu Ostzeiten vermittelt hatten: Dass man manchmal so tun muss, als ob man mitmachen oder den Prinzipien folgen würde; allein schon, damit das eigene Leben besser wird.
Opportunismus und Pragmatismus gehören zu den bewundernswertesten Eigenschaften von Merkel. Es ist diese Kombination, die sie die politischen Ränge hat erklimmen lassen. Der Rechtsgelehrte Guido Calabresi beschrieb Merkel so: „Sie geht in keinen Kampf, den sie nicht gewinnen kann. […] Es gibt da ein paar Leute, die ihr im Weg waren und die jetzt in ihren Gräbern liegen.“48 Kohl war der Erste von vielen Politikern – in Deutschland und weltweit – die Merkel komplett unterschätzten. Auch Gerhard Schröder, Parteivorsitzender der SPD und Bundeskanzler von 1998 bis 2005, hat sie in der Öffentlichkeit als „bemitleidenswert“49 bezeichnet. Merkels großer Tag sollte noch kommen.
Nach der Spendenaffäre legten sowohl Kohl als auch sein Nachfolger Wolfgang Schäuble ihre Ämter nieder und Merkel wurde am 10. April 2000 als erste Frau zur CDU-Parteivorsitzenden gewählt. Zwar hatte Merkel Ambitionen, bei den darauffolgenden Wahlen zum Bundestag 2002 als Kanzlerkandidatin ins Rennen zu gehen, doch fehlte ihr die Unterstützung der meisten Ministerpräsidenten und anderen Parteiführern. Im gleichen Jahr, zusätzlich zu ihrer Rolle als Parteivorsitzende, wurde sie Oppositionsführerin im Bundestag.
Am 30. Mai 2005 stellte die CDU/CSU Angela Merkel als Gegenkandidatin zum amtierenden Kanzler Gerhard Schröder auf. Als es wenige Monate später, am 18. September 2005, zu den Bundestagswahlen kam, sollte Merkel basierend auf Umfragen als klare Siegerin hervorgehen. Doch das Ergebnis war knapp: Die CDU/CSU kam auf 35,2 % der Zweitstimmen und die SPD lag mit nur einem Prozentpunkt, also 34,2 % darunter, sodass sich beide Parteien in der Nacht zum Wahlsieger erklärten. Aber weder die Wunsch-Koalition bestehend aus SPD und Grüne noch die CDU-CSU-Koalition hatte genug Sitze für die Mehrheit im Bundestag.
Nach dreiwöchigen Verhandlungen erreichten SPD und CDU jedoch ein Abkommen, bei dem Merkel die Kanzlerposition und die SPD 16 Positionen im Kabinett erhalten sollte. Merkel wurde von dem neuen Bundestag mit 397 Ja- zu 214 Nein-Stimmen gewählt. Am Morgen des 22. November 2005 um 11 Uhr 52 wurde Dr. Angela Dorothea Merkel vor dem Deutschen Bundestag als neue Kanzlerin vereidigt. In diesem historischen Moment war Angela Merkel die erste Frau in dieser Position, die zudem aus Ostdeutschland kam, und mit nur 51 Jahren auch die jüngste Amtsträgerin.50
* * *
Obamas politische Karriere begann 1996, als ihn die Bürger von Chicagos South Side in den Senat von Illinois wählten. In seiner Amtszeit unterstützte er Gesetze, die Arbeitern mit niedrigem Einkommen größere Steuerfreibeträge zusicherten, er verhandelte Reformen im Sozialwesen und setzte sich für mehr Subventionen für Kinderbetreuung ein. Bis 2002 wirkte Obama im Senat für den Bundesstaat Illinois. Dann musste er seinen ersten Fehlschlag einstecken, als er 2002 gegen den demokratischen US-Kongressabgeordneten Bobby Rush antrat, der bereits seit vier Legislaturperioden dieses Amt innehatte. Die Niederlage fiel sehr knapp aus und Obama fühlte sich gedemütigt, doch bereits im August 2002 trieb er Gelder ein, stellte ein Wahlkampf-Team zusammen und kündigte seine Kandidatur für den US-Senat offiziell im Januar 2003 an.51
So richtig aufmerksam wurde man auf Obama, als er den Eröffnungsvortrag zur Democratic National Convention, der Parteiversammlung der amerikanischen Demokraten, im Juli 2004 in Boston hielt. In seiner später als „Audacity of Hope“ oder „Die Kühnheit der Hoffnung“ bekannt gewordenen Rede argumentierte Obama mit viel Leidenschaft: „[…] es gibt kein liberales Amerika und kein konservatives Amerika – es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika. Es gibt kein schwarzes Amerika und kein weißes Amerika und kein Latino-Amerika oder asiatisches Amerika – es gibt die Vereinigten Staaten von Amerika.“52 Nur kaum vier Monate später wurde er mit einem erdrutschartigen Wahlsieg in den US-Senat gewählt.
Aufgrund seiner bewegenden Rede mehrfach dazu aufgefordert, bewarb sich Obama schließlich am 10. Februar 2007 für das US-Präsidentschaftsamt. Er kündigte seine Kandidatur vor dem symbolträchtigen Old State Capitol an, dem Regierungsgebäude in Springfield, Illinois, in dem Präsident Lincoln 1858 seine historische „House Divided“-Rede gehalten hatte. Obama, der erste schwarze Präsidentschaftskandidat, plädierte in seiner Ankündigung für ein schnelles Kriegsende im Irak, für mehr Energieunabhängigkeit und Reformen im Gesundheitswesen.53
Ähnlich wie Merkel oft nach ihrem Privatleben gefragt wurde – hauptsächlich über ihre Entscheidung zur Heirat und zur Kinderlosigkeit – musste sich Obama häufig zu den Themen Rasse oder ethnische Herkunft äußern. Dabei hat Obama diese kritischen Punkte während seines Wahlkampfes nie gescheut, er hat sie aber auch nie in den Vordergrund gestellt – bis Reverend Jeremiah Wright, er war Pastor in der Kirche, die Obama und seine Familie seit 20 Jahren besuchte, im März 2008 einen rassistischen Kommentar machte. Die Medien reagierten darauf heftig und „drohten Obamas Kampagne zum Entgleisen zu bringen,”54 berichteten E.J. Dionne und Joy Reid, Herausgeber von Obamas gesammelten Redewerken. Reverend Wright war der Meinung, dass die Vereinigten Staaten die Terroranschläge vom 11. September mit ihrem eigenen „Terrorismus“ selbst verursacht hätten und behauptete, dass schwarze Amerikaner lieber „Gott verdamme Amerika“ singen sollten, statt „Gott segne Amerika“, denn sie würden in einem Land leben, das seine Bürger nicht wie Menschen behandelte.55 Obamas Antwort auf diese Krise war eine Rede mit dem Titel „A More Perfect Union“, oder „Eine perfektere Union“, die er am 18. März 2008 im National Constitution Center in Philadelphia hielt.56
In dieser inspirierenden Rede entschuldigte sich Obama nicht für die Sünden der amerikanischen Vergangenheit. Stattdessen wies er darauf hin, dass er es nur der Einmaligkeit und Großartigkeit seines Landes zu verdanken habe, dass jemand mit seiner Herkunft überhaupt die Chance hatte, sich für das Amt des Präsidenten zu bewerben: „Ich bin der Sohn eines schwarzen Mannes aus Kenia und einer weißen Frau aus Kansas […] Ich habe eine der besten Schulen Amerikas besucht und ich habe in einem der ärmsten Länder der Welt gelebt. Ich bin mit einer schwarzen Amerikanerin verheiratet, die das Blut der Sklaven und Sklavenbesitzer trägt. Ich habe Brüder, Schwestern, Nichten, Neffen, Onkel und Cousinen jeglicher Rasse und mit jeder Hautfarbe verteilt über drei Kontinente. Und solange ich lebe, werde ich nie vergessen, dass meine Lebensgeschichte in keinem anderen Land der Welt möglich ist.“57
Er verkündete leidenschaftlich, dass eines seiner Hauptwahlkampfziele sei, den Amerikanern dabei zu helfen, eine tolerantere, gerechtere und wohlhabendere Nation zu werden – unabhängig von Rasse, ethnischer Herkunft oder nationalem Ursprung. Obama sprach an, dass er von einigen Gruppen als „zu schwarz“ kritisiert wurde, während andere Gruppen ihn als „nicht schwarz genug“ fanden. Dabei gäbe es doch trotz der vielen Differenzen in Amerika eine Sache, die allen wichtig sei, nämlich eine sichere Zukunft für Kinder und Enkelkinder. Darauf sollten die Menschen achten, und nicht nur auf die Unterschiede schauen. Er betonte, dass die Menschen aus der afro-amerikanischen Gesellschaft die Herausforderungen der Vergangenheit annehmen müssen, doch ohne dabei selbst zum Opfer zu werden.58
Obama realisierte auch, dass Rassismus und der Kampf um Gleichberechtigung tief in der amerikanischen Gesellschaft verwurzelt sind und dass eine einzige Wahl nicht alles ändern kann, sondern nur ein Schritt von vielen Schritten ist, die in den nächsten Jahren zu gehen sind. Auf charismatische Weise beschrieb er, dass Rassengleichheit nur dann eintreten wird, sobald die Träume und Hoffnungen von einer Gruppe nicht zu Lasten einer anderen Gruppe gehen. Wenn Investitionen im Sozialwesen für jeden Amerikaner gleichermaßen stattfänden, dann würde schlussendlich das ganze Land davon profitieren.59
Sowohl bei den Vorwahlen als auch bei den Hauptwahlen konnte Obamas Kampagne immer neue Rekorde an Wahlspenden verbuchen. Am 19. Juni 2008 war Obama der erste Präsidentschaftskandidat in der Geschichte der USA, der freiwillig auf öffentliche Wahlkampfgelder verzichtete – sie werden in den USA seit 1976 vergeben. Noch im gleichen Jahr, am 4. November 2008, wurde Barack Obama zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt, sowohl vom Volk durch das „Popular Vote“ also auch von den Wahlmännern. Dabei ging er als klarer Sieger hervor: Von den Wahlmännern erhielt er 365 Stimmen im Vergleich zu seinem republikanischen Gegenkandidaten, dem Senior-Senator John McCain aus Arizona, der 173 Stimmen bekam. Auch das Volk sprach klare Worte: 52,9 % der Bevölkerung stimmte für Obama, nur 45,7 % für McCain. Nach diesem phänomenalen Wahlsieg wurde Barack Hussain Obama II am 20. Januar 2009 um die Mittagszeit zum 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten vereidigt.
Obwohl Obama die politische Karriereleiter nicht ganz so schnell erklomm wie Angela Merkel, so war sein Aufstieg durchaus beeindruckend. Zumal er, anders als Merkel, in seiner historischen Wahl als überwältigender Sieger hervorging. Die Rekordsummen an Spendengeldern, die während seiner Kampagne zusammenkamen, in Kombination mit seiner beispiellosen Agenda, zeigten, dass die Amerikaner bereit waren, einem jungen, relativ unbekannten Senator unabhängig von seiner Hautfarbe – oder vielleicht gerade wegen seiner Hautfarbe – eine Chance zu geben. Mit seinen Reden und Wahlversprechen hatte es Obama mit Leichtigkeit geschafft, das amerikanische Volk für sich zu gewinnen. Es würde jedoch noch ein beschwerlicher Weg für ihn werden, die Beziehungen zwischen den USA und seinen Verbündeten in Europa, insbesondere Deutschland, wieder zusammenzuflicken.
Diese Partnerschaften standen zwar auf wackeligem Boden, doch eines war sicher: Obama und Merkel hatten nichts mit ihren jeweiligen Vorgängern gemein. Obama drückte es so gegenüber seiner deutschen Kollegin aus, als er in einer Rede über die Fortschritte im 21. Jahrhunderts sprach und über die ungewöhnlichen historischen und persönlichen Umstände, die beide Politiker auf ihre Rolle im Öffentlichen Dienst vorbereitet hatten: „Kriege können enden. Gegner können zu Verbündeten werden. Mauern können fallen. Zu guter Letzt können Länder sich wieder vereinigen und frei sein. Frau Bundeskanzlerin, unsere Lebenswege stehen in diesem Geiste.“
Kapitel 2: „Ich übernehme die Verantwortung“
Januar – April 2009
Als der Deutsche Bundestag im November 2005 die neue Kanzlerin Merkel einschwor, hatte auf der anderen Seite des Atlantiks George W. Bush gerade zum zweiten Mal in Folge die Präsidentschaftswahlen gewonnen. Das Verhältnis zwischen den USA und Deutschland war zu diesem Zeitpunkt getrübt – das erste Mal seit dem Kalten Krieg – da die Bush-Regierung 2003 in den Irak einmarschierte. Obwohl viele europäische Politiker in Bush „Satans Vertreter auf Erden“1 sahen, ging Merkel mit ihrem US-Kollegen nicht ganz so hart ins Gericht.
Sie hatte aber schon eine andere Meinung über das Gefangenenlager Guantanamo und keine Probleme, diese publik zu machen: In einem Interview mit Der Spiegel erklärte sie, dass es zwar eine Notwendigkeit für das Bekämpfen des Terrorismus gäbe, sie Bushs militärische Vorgehensweise jedoch ablehne: „Eine Institution wie Guantanamo kann und darf langfristig nicht operieren. Es müssen andere Wege gefunden werden, mit den Gefangenen umzugehen.“2
Aufgrund seiner vom Isolationismus bestimmten Politik waren weltweit viele Politiker froh, dass die Ära Bush 2009 zu Ende war. Sie hofften, dass Barack Obama die Beziehungen, die Bush zerstört hatte, reparieren könnte. Merkel sah das ein wenig anders, denn sie und Bush hatten eine gute Arbeitsbeziehung. Sie gab sogar zu, dass sie ihn vermissen würde.3 Dabei darf man nicht vergessen, dass Merkel im kommunistischen Ostdeutschland aufgewachsen ist. Daher empfand sie den Vereinigten Staaten gegenüber stets Dankbarkeit und sah möglicherweise den ehemaligen Präsidenten durch eine leicht rosarot gefärbte Brille. Dass die Politik von Bush nicht nur ihre europäischen Kollegen verstimmte, sondern auch ihre Mitbürger, entging der Kanzlerin sicherlich nicht.
Ihr war klar, dass sie eine Gratwanderung machen musste, denn die Deutschen waren von Barack Obama begeistert und sie selbst hatte Bedenken. So schrieben Ralf Beste, Dirk Kurbjuweit, Christian Schwägerl und Alexander Szandar in einem Spiegel-Artikel: „[…] 85 % der Deutschen würden auch Obama gewählt haben. Kaum ein anderes Thema genießt einen ähnlichen Konsens.“4 Ein Teil von Obamas Faszination ist möglicherweise auf die Hoffnung zurückzuführen, die er mit seinem Wahlkampf verbreitet hatte, und die Aussicht, dass Obama die von Bush geschwächten Beziehungen zu den USA wieder stärken könnte. Im Laufe seiner Präsidentschaft entwickelte Obama eine echte Zuneigung für die Deutschen, was ihnen nicht entging und das Gefühl der Hoffnung nur bestärkte. Dass die Deutschen den Präsidenten verehrten war ansteckend – und sollte schlussendlich auch die Kanzlerin befallen.
Nach Obamas Vereidigung am 20. Januar 2009 gab Merkel ein Interview für Spiegel Online, in dem sie die historische Bedeutung seines Wahlsieges hervorhob und betonte, dass seine Funktion als erster schwarzer Präsident „eine große Stunde für Amerika ist, was viele Möglichkeiten bietet.”5 Ohne seinen Vorgänger überhaupt zu erwähnen, verteilte sie hier Seitenhiebe an Bush und seine Politik und hoffte, dass Obama einen anderen Ansatz haben würde, um die komplexen Probleme dieser Welt zu lösen – einen, der auf Kollaboration und den Dialog mit anderen baut.
Die deutsche Kanzlerin wählte ihre Worte sehr diplomatisch. Aus persönlicher Sicht hatte sie eine gute Beziehung zu Bush, aber auf professioneller Ebene war sie sich der Herausforderungen bewusst, die sich aus einigen seiner politischen Maßnahmen ergaben. Von daher gelang es ihr, die Verhängnisse der Bush Administration zu diskutieren, ohne dabei seinen Namen zu nennen und ihn öffentlich bloß zu stellen. Merkel zählte ganz einfach heiße Themen auf wie Afghanistan, Iran und die Beziehung zu Russland, die dringend Aufmerksamkeit bedurften, und verdeutlichte: „Ich hoffe, dass unsere Kooperation dadurch gekennzeichnet sein wird, dass wir einander zuhören und darauf basiert, dass ein einziges Land alleine die Probleme dieser Welt nicht lösen kann, sondern wir es nur gemeinsam tun können.“6
Merkel gab zu, dass die Situation in Afghanistan zukünftig problematisch sein würde und bot für diese Region nichtmilitärische Unterstützung an. Sie machte jedoch klar, dass sie nicht von ihrem Standpunkt abweichen würde, keine militärischen Truppen zu schicken: „Wir haben dieser Entscheidung unsere Kapazitäten und Fähigkeiten zugrunde gelegt – nicht wer Präsident ist.“7 Obwohl es damals Spekulationen der Medien und anderer Politiker gab, dass Obama auf mehr militärische Unterstützung seitens seiner europäischen Verbündeten pochen würde, war das nicht der Fall.
Ein später veröffentlichtes Spiegel-Interview vom 2. Februar 2009 diskutierte die scheinbare Gleichgültigkeit der Kanzlerin gegenüber dem neu gewählten Präsidenten und den Konflikt der beiden Staatsführer in Bezug auf den Verbleib der Guantanamo-Insassen. „Es gibt nicht die kleinste Spur von Enthusiasmus für den Mann, auf dessen Schultern momentan die Hoffnung der ganzen Welt ruht. Merkel ist nicht darauf vorbereitet, den Amerikanern bei ihrem ersten konkreten transatlantischen Anliegen schnell entgegenzukommen, nämlich der Aufnahme von Häftlingen aus Guantanamo.“8 Dafür, dass Merkel in dieser Angelegenheit eine derart starke Meinung besaß, hätte man aus der Perspektive der USA ihre Unterstützung bei der Schließung der Anstalt durchaus erwarten können.
Präsident Obama und Kanzlerin Merkel hatten ihr erstes offizielles Telefongespräch in der letzten Woche im Januar 2009. Während ihrer 25-minütigen Unterhaltung sprachen sie über brisante Themen wie die Wirtschaftskrise, Iran und Afghanistan. In einem Spiegel-Artikel war später darüber zu lesen, dass Obama jede Möglichkeit genutzt habe, der Kanzlerin zu verdeutlichen, dass er sie nicht mit Forderungen bombardieren, sondern sie stattdessen überzeugen wolle.9 Merkel berichtete später ihrem Stab, dass Obama während des Telefonats nicht eine einzige Forderung gestellt habe – noch nicht einmal die nach mehr Truppen für Afghanistan. Zudem gäbe es zwei neue Bestandteile: Obamas Ton und seine Pausen zwischen seinen Sätzen. Im Gegensatz zur vorherigen Administration, die dazu tendierte, nur Ansprüche an die Verbündeten zu stellen, habe Obama auch zugehört. „Das Weiße Haus von Barack Obama ist ein Haus mit zwei Knöpfen, und nicht nur eines mit einem ‚Versenden-Knopf‘“, sagte Jackson Janes, ein vom Spiegel befragter Deutschland-Experte an der Johns-Hopkins-Universität in Washington. „Amerika möchte nicht mehr länger das Stinktier auf der Gartenparty sein.“10
Die Kunst des Zuhörens im Gegensatz zum bloßen Stellen von Forderungen sollte Obama noch häufig im Verlauf seiner Präsidentschaft an den Tag legen und eine Eigenschaft sein, die Merkel sehr schätzen und respektieren würde. Trotz ihrer höflichen Gespräche miteinander waren beide Politiker zunächst sehr zögerlich, wie sie einander einschätzen sollten. Merkel befürchtete, dass die große Begeisterung der Deutschen nichts weiter wäre als „ein allzu hastiger Ausdruck der Verehrung für den neuen Präsidenten, der – so sagen es die Leute – einfach besser sein muss als sein Vorgänger.“11 Sie vertrat in puncto Obama eine „Abwarten-und-Tee-trinken“-Haltung. Gegenüber der damaligen Außenministerin Hillary Clinton beschrieb Journalist und politischer Berater Sidney Blumenthal Merkels Skepsis wie folgt: „[…] sie mag nicht das atmospährische Umfeld, das mit dem Obama-Phänomen einhergeht; das steht komplett im Gegensatz zu ihrer Vorstellung von Politik und wie man sich allgemein benimmt. Sie würde eine Beziehung mit Ihnen begrüßen, die sich mehr auf Dialoge aufbaut.“12
Auf der anderen Seite des Atlantiks hatten der amerikanische Präsident und sein Stab eine ähnlich zurückhaltende Meinung über die Kanzlerin. Merkels ablehnende Antwort in Bezug auf Obamas Rede vor dem Brandenburger Tor verstärkte zunächst seine Skepsis. Zudem wurde laut Spiegel ihre Absage, den Präsidenten in Washington nach seiner Amtseinführung zu besuchen, von Obamas Mitarbeitern als „taktlos und unhöflich“ angesehen.13 Auch lehnte Obamas Administration die von Deutschland durchgeführte „Scheckbuch-Diplomatie“ ab: Die Bundesregierung hatte 50 Millionen Euro für einen Treuhandfond bewilligt, der zum Aufbau und zur Ausbildung einer afghanischen Armee genutzt werden sollte – statt selber Truppen in den Süden Afghanistans zu schicken; etwas, was die Amerikaner als „einen Freikauf aus der Verantwortung ansahen.“14
Doch war zu jenem Zeitpunkt die Wirtschaftskrise der größte Streitpunkt. Merkel hatte bei ihren Kollegen den Ruf, alles immer auf die lange Bank zu schieben, weil sie eine Situation überanalysierte. Viele Politiker, sowohl innerhalb als auch außerhalb Deutschlands, empfanden diese Art von „Verschleppung“ als sehr lästig. Die Wirtschaftskrise war genauso eine Situation. Vertreter in Washington glaubten, dass Merkels Mangel an politischer und wirtschaftlicher Kompetenz diese Verzögerungen auslöste, was das Problem nur noch verschlimmerte. Hier sei anzumerken, dass Obama in der Anfangsphase in diesem Punkt die gleiche Meinung wie seine europäischen Kollegen vertrat. Doch in den folgenden Jahren sollte es gerade jener analytischer Entscheidungsprozess sein, den beide bevorzugten und etwas werden, was Obama an Merkel am meisten schätzen würde.
Die große Rezession begann im Dezember 2007, als der zu einem Wert von 8 Billionen Dollar aufgeblasene amerikanische Immobilienmarkt plötzlich zusammenbrach. Die wirtschaftlichen Folgen waren nicht nur für die USA desaströs, sondern auch für die restliche Welt. Vor der Katastrophe lag die Arbeitslosenquote in den USA bei bescheidenen 4,9 Prozent; doch bis zum Oktober 2009 stieg die Zahl auf 10,1 Prozent.15 Diese Werte waren ähnlich in Europa, wobei Spanien von der Arbeitslosigkeit mit 18,7 Prozent und 37 Prozent bei den Jugendlichen am härtesten betroffen war.16 Trotz der weltweit spürbaren Folgen der Rezession, blieb der Euro stabil, wobei Deutschland hier eine entscheidende Rolle spielte.
Trotzdem versuchte die deutsche Regierung mehrere Wochen lang im Vorfeld des G20- Gipfels, die „Charter for Sustainable Economic Activity“ zu verabschieden. Hierbei ging es darum, die Verschuldung von Staaten einzuschränken: Länder dürfen sich nur so stark verschulden, wenn gewährleistet ist, dass sie sich finanziell wieder erholen können. Deutschland und Frankreich kämpften für strengere wirtschaftliche Regulierungen. Insbesondere die europäischen Politiker forderten eine Überwachung der Banken auf europäischer Ebene, erweiterte Hedgefonds-Regulierungen und für Banken eine größere Summe an Eigenkapital. Die Regulierung von Hedgefonds und Steuern wurde zum größten Streitpunkt zwischen den Amerikanern und Europäern. Obwohl die Amerikaner zögerlich in Bezug auf die vorgeschlagenen Reformen blieben, erwartete die deutsche Regierung, dass Obama sich der Finanzreform des G20-Gipfels anschloss.
Bereits vor dem G20-Gipfel in London trafen sich mehrere führende EU-Politiker in Brüssel, um an einer Strategie zur Bewältigung der Finanzkrise zu arbeiten. Dies ging auf Merkel zurück, die darauf bestand, dass die EU mit einer gemeinsamen Stimme sprechen sollte. Die Gruppe kam zu der Entscheidung, dass es keine weiteren Finanzhilfen geben sollte, und dass die EU eine Führungsrolle in der Reform der Weltfinanzmärkte einnehmen wollte.17
Die EU-Politiker waren in hartnäckiger Opposition zu weiteren Konjunkturprogrammen und zunehmend über die Position der USA beunruhigt – insbesondere nachdem sie erfuhren, dass Obamas Finanzminister die Empfehlungen des International Monetary Fund (IMF) unterstützte; hiernach sollten alle Nationen 2 % ihres Bruttoinlandproduktes in ein Stimulus-Paket einzahlen.18 Die Regulierung der Hedgefonds und die Steuern wurden zur größten Streitfrage zwischen den Amerikanern und den Europäern. Denn die Amerikaner waren der Meinung, dass Gelder durch die Förderprogramme einen besseren und nachhaltigeren Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten würden als bloße Regulierungen.
Einem durchgesickerten Dokument zufolge, das für US-Außenministerin Hillary Clinton bestimmt war, hatte Merkel „tiefe Befürchtungen, dass die Obama-Regierung sich auf einem katastrophalen Wirtschaftskurs befindet.“19
Im Vorfeld des bevorstehenden G-20-Gipfels in London gab die deutsche Kanzlerin ein exklusives Interview für die New York Times, das den auffälligen Titel trug „Merkel ist bereit, Obama zu treffen, um ihm dann zu widerstehen.”20 Diese Schlagzeile dokumentierte Merkels große Befürchtungen gegenüber dem neuen Präsidenten. Während des einstündigen Interviews unterstrich Merkel ihre Position, dass sie nicht vorhabe, die Europäische Zentralbank dahingehend zu ermutigen, der Federal Reserve zu folgen und mehr Geld in das System zu pumpen. Auch würde sie es nicht zulassen, dass Deutschland weitere Gelder in wirtschaftliche Hilfspakete einzahlt. Sie sagte in ihrer Abschlussbemerkung, sie erwarte von Obama, dass er zu seinen Versprechungen stehe – nämlich, die amerikanische Staatsverschuldung zu kontrollieren, so wie es seine inländischen Konjunkturmaßnahmen vorsahen.21
Obwohl die Amerikaner den vorgeschlagenen Maßnahmen gegenüber zögerlich blieben, erwartete die deutsche Regierung, dass sich Obama der Wirtschaftsreform-Bewegung auf dem bevorstehenden G-20-Gipfel in London am 20. April 2009 anschloss. Viele von Merkels unsprünglichen Bedenken dem neuen Präsidenten gegenüber stützten sich darauf, dass dieser zu viel rede und – so befürchtete sie – nicht in der Lage sei, seine Versprechen zu halten. Ihre in der New York Times genannten Abschlussbemerkungen demonstrierten diese Zögerlichkeit gegenüber Obama. Jetzt hatte sie ihre „Abwarten-und-Tee-trinken“-Haltung gegenüber dem US-Präsidenten an den Tag gelegt. Keine Frage, Merkel und Obama waren unterschiedlicher Meinung, wie die Wirtschaftskrise angegangen werden sollte. Aber Merkel war weder auf Obamas Demut vorbereitet, mit der er der Situation begegnen sollte, noch auf seine Bereitschaft darauf hinzuarbeiten, dass es in Zukunft solche Krisen nicht mehr geben würde.