Kitabı oku: «Lieber Barack: Die außergewöhnliche Partnerschaft zwischen Angela Merkel und Barack Obama», sayfa 4
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Als sich die politische Weltspitze im April 2009 in London traf, gab es von Anfang an zwei Fraktionen: Die Vereinigten Staaten und Großbritannien gegen Frankreich und Deutschland. Sowohl der britische Premierminister Brown als auch Präsident Obama haben wiederholt angedeutet, dass Regulierungen und Steueroasen eine nebengeordnete Rolle im Stimulus-Paket spielen sollten, während Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy das Gegenteil forderten. Beide weigerten sich, weiterhin Gelder ohne Absicherungen zur Verfügung zu stellen; wie z. B. strengere Regulierungen, die eine erneute Krise verhindern würden. In einer gemeinsamen Pressekonferenz von Merkel und Sarkozy stellten beide Politiker klar, dass sie in dieser Situation am gleichen Strang ziehen würden. Wie der Spiegel berichtete, erklärte Nicholas Sarkozy: „In Bezug auf die Regulierung der Finanzmärkte gibt es keinen Platz für Verhandlungen.“22 Merkel bekräftigte ihren französischen Kollegen als sie hinzufügte: „Für Deutschland und Frankreich stehen die Regulierungen nicht zur Debatte. Wer das nicht versteht, der ebnet den Weg zur nächsten Finanzkrise.“23 Die Zeitschrift charakterisierte das Treffen der beiden mit „Sarkozy und Merkel gingen auf die Barrikaden.“24 Dies beschrieb die anfängliche Stimmung auf dem Gipfel recht gut, doch im Verlaufe der Tagung gab es viele Diskussionen, bei denen die Politiker niemals den Zweck des Treffens aus den Augen verloren – eine finanzielle Lösung zu finden, welche die Wirtschaft stimulieren und eine erneute schwere Rezession verhindern würde.
Dem Spiegel-Artikel zufolge war die Anspannung unter den Politkern in London derart hoch, die Diskussionen hitzig und die Anschuldigungen verleumderisch, dass man sich wunderte, dass nach dem Gipfel alle noch miteinander redeten. Zum Beispiel verteidigte sich die argentinische Präsidentin Cristina Kirchner laut Spiegel gegenüber Kanzlerin Merkel in einer angeblichen Meinungsverschiedenheit über Hilfe in Afrika mit den Worten: „Was Merkel sagt, hört sich so an, als möchte ich afrikanischen Ländern nicht helfen. Sollte ich diesen Eindruck vermitteln, dann entschuldige ich mich dafür. Ich verstehe, wie die Dinge hier ablaufen. Änderungen werden in der letzten Minute gemacht. Wir können so nicht arbeiten. Und, übrigens“, mit Blick auf Merkel gerichtet, „ich bin nicht mehr böse“.25
Eine Lösung zu finden erwies sich als so starke Herausforderung, dass selbst Politiker, die normalerweise die gleiche Meinung vertraten, über die Art und Weise stritten, wie man nun am effektivsten das Problem angehen sollte. So zum Beispiel waren sich Premierminister Brown und Präsident Sarkozy darüber einig, dass eine Liste von Banken, die sich weigerten, den in London erwirkten Richtlinien zu folgen, veröffentlicht werden sollte – aber das Wie wurde zum Streitpunkt. Brown argumentierte, dass diese Namen schon über die OECD (Organization Economic Cooperation and Development) publik gemacht wurden, während Sarkozy darauf bestand, dass alle Banken im Abschlussbericht des Gipfels genannt werden sollten. Brown versuchte ihn zu beruhigen: „Nicolas, denke daran, auf was wir uns geeinigt hatten. Die Ära des Bankgeheimnisses ist vorbei.“26 Offensichtliches Fazit dieser Auseinandersetzungen ist jedoch, dass trotz der Uneinigkeit darüber, wie man nun das Ziel erreiche, alle G-20-Teilnehmer die gleiche Vision teilten – es muss das getan werden, was notwendig ist, um die Wirtschaft in ihren Ländern und für ihre Menschen zu stimulieren.
Nach stundenlangen Verhandlungen, vielen Differenzen und noch mehr Kompromissen konnten sich die politischen Akteure der Weltbühne darauf einigen, wie die größte Wirtschaftskrise seit 1930 zu meistern sei: Schlussendlich verpflichteten sich die Länder, neue Regelungen in ihren Finanzmärkten einzuführen, Steuerparadiese abzuschaffen und Kredite an ärmere Länder zu vergeben. Die deutschen Beiträge würden hierbei aus den Tresoren der Bundesbank stammen, statt aus den einzelnen Bundeshaushalten. Auch einigte man sich auf die Einführung einer neuen Kontrollinstanz, dem Financial Stability Board (FSB). Sarkozy war ebenfalls zufrieden, weil sich im G20-Abschlussbericht eine Liste von Steueroasen befand.27
Die in London erreichten Ergebnisse waren sicherlich nicht perfekt. So gab es zum Beispiel keine Lösung für das Angehen des immer größer werdenden Unterschieds zwischen Nationen mit großer Konsumentenverschuldung, wie in den USA, und Nationen wie Japan und Deutschland mit hohem Exportüberschuss.28 Ein Spiegel-online-Artikel fasste den Gipfel so zusammen: „Die G20-Teilnehmer haben es geschafft, einen offenen Konflikt zu vermeiden, aber ihre Uneinigkeit hat bestehende wirtschaftliche Unterschiede noch vergrößert. Die Welt, die wir in London sahen, war eine Welt im Wandel. Es war nicht mehr die alte Welt, aber auch noch keine neue Welt, die in der Lage ist, übereinstimmend zu denken.“29
Unter all den Übereinkünften und Zugeständnissen kam wohl das bedeutendste Entgegenkommen von Präsident Obama: Gegen Ende des Gipfels, als sich Merkel, Brown, Sarkozy und andere G20-Politiker immer noch die Köpfe heißredeten, blieb Obama ungewöhnlich still. Er beendete sein Schweigen jedoch, als der italienische Premierminister Silvio Berlusconi dem neugewählten Präsidenten direkt in die Augen schaute und anmerkte, dass die Wirtschaftskrise seinen Ursprung in den USA habe und Obama somit eine Verpflichtung habe, eine Lösung zu finden.30 Sehr zur Überraschung aller Beteiligten im Raum, insbesondere Merkel, antwortete Obama: „Was mein italienischer Freund sagt, ist richtig. Die Krise begann in den USA. Ich übernehme dafür die Verantwortung, auch wenn ich zu dem Zeitpunkt nicht Präsident war.“31
Es ist durchaus möglich, dass Obamas Kommentar als das wichtigste Zugeständnis eines Weltpolitikers der Neuzeit in die Geschichtsbücher eingehen wird. Dem Spiegel nach machte sich Obama die größte Finanzkrise seit 100 Jahren zu eigen. Er gab zu, dass sicherlich auch andere Länder für die Krise verantwortlich waren, aber dass der Großteil der entstandenen Probleme auf Amerika mit seiner schier unendlichen Gier nach Profit zurückgehe. Obamas Fähigkeit, dieser Krise die Stirn zu bieten, statt Verantwortung zu scheuen, galt als starkes Signal der Hoffnung für die anderen G20-Staaten, die nun erwarteten, dass er Maßnahmen implementieren würde, die eine zukünftige Weltwirtschaftskrise verhindern.
Merkel rief darauf sofort ihren Finanzminister an und informierte ihn über Obamas Bekenntnis.32 Obwohl es noch eine Weile dauern sollte, ehe Merkel ihre Vorbehalte gegenüber Obama komplett ablegte, so war dieses Eingeständnis die Basis für ihre Beziehung, die sich später entwickeln sollte.
Gegen Ende des Gipfels hatte Obama für seine Kollegen noch ein paar Tipps für den Umgang mit den Medien parat: „Den Journalisten die Ergebnisse des Gipfels nicht unter Wert zu verkaufen, ihnen nicht die Uneinigkeit zu zeigen, die sie so gerne sehen würden, sondern Selbstbewusstsein auszustrahlen.“33
In einem Spiegel-Artikel reflektierte die Kanzlerin besonnen die Ereignisse in London – Obamas Ratschlag im Hinterkopf behaltend – mit den Worten „ein sehr, sehr guter Kompromiss“ wurde erreicht, ein fast sogar,historischer Kompromiss‘.34 Tatsächlich hatten die Resultate des Londoner Gipfels die Welt vor einem kompletten Desaster gerettet.
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Gleich im Anschluss an den G20-Gipfel in London trafen sich Obama und Merkel mit anderen Politikern im Rahmen des 60-jährigen Bestehens der NATO. Die Konferenz begann gleich am nächsten Tag und fand am 3. und 4. April 2009 in Baden-Baden und im französischen Straßburg statt. In Baden-Baden gab es das erste bilaterale Treffen mit anschließender gemeinsamer Pressekonferenz.
Gemäß dem Protokoll für den Besuch eines ausländischen Würdenträgers, wurden der amerikanische Präsident und First Lady Michelle mit vollen militärischen Ehren empfangen. Dieser Besuch lockte viele Menschen auf die Straßen, die den Präsidenten und die Kanzlerin begrüßten. Sie riefen begeistert „Obama“ und schwenkten deutsche und amerikanische Fahnen. Die zwei Staatsführer posierten mit ihren Ehepartnern für das offizielle Pressefoto und schüttelten den Schaulustigen die Hände. Dies entspricht in jeder Hinsicht dem, was zu erwarten ist, wenn ein Staatsoberhaupt einer verbündeten Nation zu Besuch kommt – insbesondere für jemanden so populärem wie dem amerikanischen Präsidenten.
Der Ehemann der Bundeskanzlerin, Professor Sauer, nahm ebenfalls an der Zeremonie teil. Dies sprach von der Bedeutung dieses Ereignisses, denn normalerweise blieb er den öffentlichen Veranstaltungen seiner Frau fern – selbst bei der Vereidigung seiner Frau zur ersten deutschen Bundeskanzlerin hatte er sich nicht einmal freigenommen.35 Weil Sauer das öffentliche Rampenlicht mied und er Merkel lediglich zu den Bayreuther Festspielen begleitete, nannte ihn die deutsche Boulevardpresse das ‚Phantom der Oper‘.36 Wie bei vielen „ersten Malen“ in der Beziehung zwischen Merkel und Obama, war es das erste Mal, dass Professor Sauer einen öffentlichen Auftritt im Rahmen einer Veranstaltung mit dem US-Präsidenten hatte, es sollte aber nicht der Letzte sein.
Nach dem Militärempfang und dem Bad in der Menge auf der Straße hielten Merkel und Obama eine gemeinsame 30-minütige Pressekonferenz, bei der beide eine Erklärung abgaben und sich den Fragen der Presse stellten. Die Begeisterung und Sympathie der Deutschen für den amerikanischen Präsidenten gingen an der Kanzlerin nicht unbemerkt vorbei. Ihre einleitenden Worte sollten das reflektieren: „[…] wir möchten Sie wirklich sehr herzlich willkommen heißen. Ich denke, dass Sie gesehen haben, dass die Presse Sie auch sehr herzlich willkommen geheißen hat; und Sie haben ja auch die Leute entlang des Weges gesehen, die mit ihren kleinen Fähnchen stundenlang auf Sie gewartet haben; und wir freuen uns, dass Sie da sind.“37
Nach dieser Begrüßung fasste sie die Themen zusammen, über die sie und Obama in ihrem privaten Meeting diskutiert hatten. Dabei ging es hauptsächlich um Afghanistan und die Ergebnisse vom G20-Gipfel. Als sie den andauernden Konflikt in Afghanistan ansprach, unterstrich Merkel die weitere Unterstützung aus Deutschland in dieser Angelegenheit und „Verantwortung“ für eine Lösung. In Bezug auf den G20-Gipfel in London sprach sie von einem produktiven Treffen, weil „[…] auch die Vereinigten Staaten ihre Kooperationsbereitschaft demonstrierten […] Ich denke, dass es unsere gemeinsame Aufgabe ist, Allianzen in diesem Moment der Kooperation zu formen, da diese transatlantische Beziehung uns helfen kann, die gegenwärtige Wirtschafts- und Finanzkrise zu bewältigen.“38
Zwischen den Zeilen ist hier zu erkennen, dass Merkel die von Obama auf dem G20-Gipfel gemachten Zugeständnisse würdigt. Die Kanzlerin berichtete von der Wichtigkeit und der langen Freundschaft und Partnerschaft der beiden Länder und hoffte, Obamas Versprechen, die getrübte Beziehung zwischen Deutschland und den USA wiederherzustellen, sei aufrichtig. Obwohl ihr Lob über die Freundschaft und die Beziehung zu Amerika offen und ehrlich war, schien ihr Kommentar über den Präsidenten eher höflich und deutlich reserviert. Sie schien immer noch skeptisch, aber das Eis fing langsam an zu schmelzen.
Während Obamas zehnminütiger Ansprache berichtete er von unangenehmen Nachrichten, von denen er kurz zuvor erfuhr: Eine aktuelle Statistik aus den USA zeigte den Verlust von 663 000 Arbeitsplätzen im Vergleich zum Vormonat, was die Arbeitslosenquote auf 8,5 % katapultierte – die höchste Zahl in den letzten 25 Jahren. Insgesamt haben 5,1 Millionen Amerikaner seit Beginn der Finanzkrise ihre Arbeit verloren.39 Trotz der Schwere dieses Themas, gelang es dem Präsidenten, die Situation ein wenig aufzuhellen: Auf die Frage eines Reporters in Bezug auf die Wirtschaft antwortete Obama: „[…] die USA will der größte Verbrauchermarkt bleiben und wir werden sicherstellen, dass er offen bleibt […] Es ist nicht die Schuld der Deutschen, dass sie gute Produkte herstellen, welche die Vereinigten Staaten kaufen möchten; und wir müssen sicherstellen, dass wir Produkte herstellen, die die Deutschen kaufen wollen.“40 An dieser Stelle brach die sonst eher reservierte Kanzlerin in kurzes Gelächter aus.
In seinem Statement sprach Obama auch über die NATO und erkannte an, dass es das erfolgreichste Staatenbündnis in der modernen Geschichte sei, aber fügte hinzu: „Wenn die NATO alles wird, dann ist sie nichts.“41 Zudem bedankte er sich bei Merkel und den Deutschen für die Unterstützung der Aktivitäten in Afghanistan: „Sie haben gerade gehört wie Kanzlerin Merkel betonte, dass das, was die NATO in ihrem Kern so effektiv gemacht hatte, auf dem Prinzip von Artikel 5 beruhte – wenn ein Verbündeter angegriffen wird, dann kommen alle Verbündeten zusammen, um sich dem Problem zu stellen […] Das ist das Wesen einer erfolgreichen Allianz.“42
Es gab auf beiden Seiten des Atlantiks Spekulationen, dass Obama in Bezug auf Afghanistan nach mehr Ressourcen fragen würde und dass es dazu von den europäischen Alliierten Widerstand geben würde. Aber sowohl in Merkels als auch Obamas Kommentaren war nichts über einen möglichen Konflikt über Truppen in Afghanistan zu spüren. Merkel, als Verbündete und NATO-Mitglied, war sich darüber bewusst, dass Deutschland die amerikanische Mission dort so gut wie möglich zu unterstützen hatte.
Obama und Merkel unterschieden sich von Anfang an in einer Sache: nämlich wie sie mit den Fragen von Journalisten auf Pressekonferenzen umgingen. Merkel gab normalerweise kurze und präzise Antworten. Obama hingegen besaß die Rhetorik eines typischen amerikanischen Politikers, nämlich um den heißen Brei herumzureden und alles andere als die gestellte Frage zu beantworten. Seine Antworten waren normalerweise recht lang und detailreich und enthielten allerlei Zahlen und Daten. Obama, der sich dieses Talents bewusst war, genoss diese besonderen Momente der Pressekonferenz. Ein deutscher Reporter hakte nach: „Was bedeutet das konkret für die Europäer und für die NATO?“43, worauf Obama sagte: „Ich glaube, das ist ein Hinweis darauf, dass meine Antworten zu lang waren. Also werde ich diese jetzt kürzer geben.“44
Etwas, was in den späteren Pressekonferenzen und anderen Auftritten immer offensichtlicher wurde, war die Zuneigung der beiden Politiker füreinander und das Verteilen von Komplimenten. Von Anfang an bezeichnete Obama Angela Merkel als seine „Freundin“, ein Kompliment, das Merkel erst später zurückgab: „Ich möchte Merkel für ihre Führung, ihre Freundschaft danken […] Ich habe recht viel Zeit mit Merkel verbracht und ich bin weiterhin von ihrer Weisheit, Führungskraft und ihrem Fleiß in Bezug auf das Verfolgen der Interessen ihres Volkes beeindruckt.“45
Hierzu kommentierte der Wissenschaftler für deutsche Geschichte Hans W. Gatzke: „Amerikaner sind eher bereit, das Wort Freundschaft zu benutzen als die meisten Deutschen.“46 Auch die Journalistin Lisa Schwesig bietet eine Erklärung mit Bezug auf typisch deutschen Umgangsformen: „Das Verteilen von Komplimenten deckt sich nicht unbedingt mit dem Wesen der Deutschen […] Die Deutschen lernen, demütig zu sein und sich nicht zu entblößen.“ Außerdem, so Schwesig, könnten Komplimente missverstanden werden und ergänzt: „Viele befürchten, dass sie jemanden mit einem Kompliment kränken oder zu nahetreten.”47 Es ist daher nicht verwunderlich, dass Obama seine Freundschaft gegenüber Merkel offener zum Ausdruck brachte.
Nach ihrem gemeinsamen Auftreten in Baden-Baden hatten Merkel und Obama gleich danach erneut Gelegenheit auf dem NATO-Gipfeltreffen in Straßburg zusammenzuarbeiten. Die Spannungen zwischen den beiden Politikern, so die Experten, waren immer noch groß. Doch Obama intervenierte im Namen von Merkel und half somit, ein politisches Desaster zu verhindern: 27 NATO-Mitglieder waren bereit, den Dänen Fogh Rasmussen als neuen NATO-Generalsekretär des transatlantischen Militärbündnisses zu wählen. Doch die Wahl muss aufgrund der Statuten einstimmig ausfallen und die Türkei weigerte sich, dem Nominierten ihre Stimme zu geben. Der türkische Premierminister Recep Tayyip Erdoğan begründete seine Entscheidung damit, dass 2005 in einer dänischen Zeitung ein politischer Cartoon über den Propheten Mohammed veröffentlicht wurde und Rasmussen daher für diese Position nicht infrage käme. In einer für sie eher unüblichen Aktion hatte Angela Merkel am Freitagnachmittag bereits angekündigt, dass Fogh Rasmussen später am Abend zum neuen NATO-Chef ernannt werden sollte. Am Samstag wurde jedoch immer noch über die Nominierung verhandelt und als Gastgeberin des Gipfels wäre ein Dissens für Merkel zur politischen Pleite geworden. Doch Obama griff am Samstag zum Telefon, sprach mit Erdoğan und sagte ihm gewisse Garantien zu – einschließlich Top-NATO-Positionen für die Türkei und den in Dänemark lebenden kurdischen Berichterstatter Roj RV. Dieser kommentierte in einem späteren Spiegel-Artikel: „Der US-Präsident, dessen ursprüngliches Ziel das Beschwichtigen der transatlantischen Beziehungen war, wirkt manchmal wie ein Eheberater.“48
Obwohl Obama hier einschritt und Merkel vor einer Blamage in ihrem eigenen Land und international bewahrte, so hüllte sich die Kanzlerin Obama gegenüber in Schweigen. Es gab ein Foto mit ihr, lächelnd neben dem französischen Präsidenten Sarkozy auf dem Titelblatt von Der Spiegel, aber keinerlei öffentliche Anerkennung oder gar Dankbarkeit gegenüber Obama. Vielleicht gehörte dieses „Übersehen“ zum Verhaltensprotokoll deutscher Politiker und war nicht unbedingt als Unfreundlichkeit seitens Merkel zu werten.
Dass die Kanzlerin Bedenken gegenüber dem neuen Präsidenten hatte, insbesondere zum Thema Weltwirtschaftskrise, deutete Merkel bereits in ihrem Interview mit der New York Times vor dem G20-Gipfel an. Doch ihre Bedenken sollten sich mit Obamas überraschenden Zugeständnissen in London sowie seiner Bereitschaft, die Verantwortung für die Finanzmisere zu übernehmen, immer mehr zerstreuen. Auch sein persönlicher Anruf bei Präsident Erdoğan wusste einen desaströsen Ausgang des NATO-Gipfels zu verhindern und zeigte der Kanzlerin, dass Obamas Versprechungen durchaus Substanz hatten. Dies schuf eine aussichtsreiche Grundlage für die Arbeitsbeziehung von Obama und Merkel, die aber in den folgenden Monaten getestet werden sollte.
Kapitel 3: „Wilde Spekulationen“
Juni 2009
Anlässlich des 65. Jahrestages zur Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 2009 befand sich Präsident Obama auch zu Besuch in Deutschland. Er war gerade zwischen zwei Meetings, einem in Ägypten, dem anderen in der Normandie. Während seines Aufenthalts in Kairo hielt Obama seine inspirierende „New Beginning“-Rede an der Universität Kairo. Dabei sprach er über bestimmte politische Maßnahmen, die er bei seinem bevorstehenden Treffen mit Merkel aufgreifen wollte, insbesondere die Notwendigkeit für ein Zweistaatensystem für Israel und Palästina und das Thema Atomwaffen im Iran. Er argumentierte sehr leidenschaftlich für einen Neubeginn zwischen den Muslimen weltweit und den Vereinigten Staaten: „Ein [Neubeginn]basierend auf gegenseitigem Interesse und gegenseitigem Respekt und einer basierend auf der Wahrheit, dass Amerika und der Islam nicht exklusiv sind und nicht miteinander konkurrieren müssen. Sie überlappen sich und teilen die gleichen gemeinsamen Prinzipien – die Prinzipien von Gerechtigkeit und Fortschritt, Toleranz und Menschenwürde.“1
Obama war klar, dass eine Rede nicht das jahrelange Misstrauen auslöschen würde, aber er forderte die Menschen auf „einander zuzuhören, zu respektieren und voneinander zu lernen, um eine gemeinsame Grundlage zu finden.“2
In seinen Anmerkungen erinnerte Obama seine Zuhörer daran, dass die Vereinigten Staaten und Israel aufgrund ihrer historischen und kulturellen Beziehungen eine untrennbare Verbindung hätten. Vor dem Hintergrund des jahrelang bestehenden Antisemitismus verstand Obama auch den Wunsch der Juden nach einem eigenen Heimatland.3 Gleichzeitig betonte der Präsident die Wichtigkeit der Diplomatie und ermutigte die Menschen, den Konflikt von beiden Seiten aus zu betrachten. Er erklärte den Israelis, dass eine Ignoranz gegenüber den vielen Palästinensern, die seit Jahrzehnten in Flüchtlingslagern lebten, ebenfalls ein moralisches Dilemma darstelle. Obama argumentierte, dass die einzig sinnvolle Lösung zu dieser jahrzehntelangen Krise ein Zweistaatensystem wäre, in dem sowohl Palästinenser als auch Israelis in Frieden und Sicherheit miteinander leben könnten.4
Von diesem Kompromiss würden nicht nur die beteiligten Völker profitieren, sondern auch die Vereinigten Staaten und die restliche Welt.5 Mit Nachdruck wies Obama darauf hin, dass die USA den Frieden nicht aufoktroyieren kann, er aber für die notwendige Unterstützung sorgen würde, damit beide Gruppen ihre Ziele erreichen.6 Dabei umriss er eine Reihe von Maßnahmen, die beide angehen sollten, damit Verbesserungen eher früher als später eintreten.7 Obama schlug vor, dass die Palästinenser von Gewalt absehen sollten und die Israelis damit aufhören müssten, den Palästinensern ein Recht auf einen eigenen Staat abzusprechen.8 Der Präsident gestand, dass die Israelis, wenn man mit ihnen privat unter vier Augen sprach, die Notwendigkeit eines palästinensischen Staates durchaus verstanden. Obama schlug daher vor: „Es ist an der Zeit, dass wir das machen, von dem alle wissen, dass es das Richtige ist.“9
Der Konflikt zwischen zwischen Israel und Palästina war nicht der einzige Brennpunkt im Mittleren Osten. Obama war klar, dass er auf die Befürchtungen der Öffentlichkeit eingehen musste, der Iran sei im Besitz nunklearer Waffen. Obama brachte daher das Thema in einem historischen Zusammenhang zur Sprache. Er gab zu, dass die Vereinigten Staaten und der Iran eine eher schwache Beziehung zueinander hätten, weil zu Zeiten des Kalten Krieges die USA beim Sturz der demokratisch gewählten iranischen Regierung involviert war. Obama stellte jedoch klar, dass die Vereinigten Staaten und der Iran in die Zukunft, statt in die Vergangenheit blicken sollten. Er sprach über sein Ziel: Eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen, weil „keine einzelne Nation bestimmen soll, welche Nationen nukleare Waffen besitzen dürften“.10
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Einen Tag nach seiner Ansprache in Kairo reiste Obama nach Deutschland. Thema seiner Kurzreise war der Besuch von historisch signifikanten Schauplätzen des Zweiten Weltkrieges, zu dem auch ein Abstecher nach Dresden gehörte, einschließlich einer Führung durch das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Stadt Dresden zum Ziel verheerender Bombenangriffe, die von den britischen und amerikanischen Streitkräften durchgeführt wurden. Über 25 000 Menschen kamen bei diesen Luftangriffen ums Leben.11 Aufgrund seiner großen Beliebtheit organisierte Dresden auf dem historischen Marktplatz eine 2-tägige Feier. Die damalige Bürgermeisterin, Helma Orosz, sprach von Obamas Besuch als „bedeutsames Ereignis“12, das in die Geschichtsbücher der Stadt eingehen würde.
Während die Bürger Dresdens sich über die Anwesenheit des amerikanischen Präsidenten freuten, löste seine Städtewahl – traditionell wäre ein offizieller Staatsbesuch in der Landeshauptstadt Berlin angebracht – eine Kontroverse auf beiden Seiten des Atlantiks aus: Kritiker in Deutschland interpretierten diese Entscheidung als Affront gegenüber Merkel, denn sie machten die Kanzlerin dafür verantwortlich, dass sich die Beziehung zu den USA seit Obamas Amtsantritt verschlechtert hätte.13 Auch in Washington gab es Schelte: Einer von Obamas schärfsten Kritikern, der konservative Blog Power Line, brachte die Schlagzeile: „Dresden: Die nächste Station bei Obamas Entschuldigungs-Reise“ und bemängelte, dass der Präsident mit seinem Aufenthalt in Dresden die unschönen Momente der amerikanischen Geschichte hervorhob.14
Trotz der kritischen Worte an beiden Fronten, nutzten die beiden Staatsführer ihre gemeinsame Zeit. Neben Gesprächen standen auf ihrer Agenda der Besuch der Frauenkirche, eine Tour der Gedenkstätte Buchenwald sowie eine gemeinsame Pressekonferenz.
Zunächst besuchten die beiden Staatsführer Dresdens berühmte Frauenkirche, die während der Bombenangriffe 1945 fast komplett ausbrannte und nach der Wende in den 1990er-Jahren wiederaufgebaut wurde. Diese Kirchentour bot Gelegenheit für die Politiker, die sich zu diesem Zeitpunkt noch fremd waren, einander in einem relativ informellen Rahmen zu begegnen – abseits der Herausforderungen, welche die Formalitäten eines traditionellen Staatsbesuchs sonst mit sich bringen.
Dann gab es eine Besprechung der beiden Staatsführer, gefolgt von einer gemeinsamen Pressekonferenz. Diese hatte das übliche Format: Beide Politiker hielten eine kurze Ansprache und beantworteten anschließend Fragen aus dem Pressekorps. Scheinbar von den Spekulationen um Obamas Absage an Berlin unbeeindruckt, hieß die Kanzlerin den Präsidenten willkommen und dankte ihm für seinen Besuch: „Es ist sehr schön, dass der amerikanische Präsident Barack Obama zuerst nach Dresden kommt. Dresden ist eine Stadt von hoher Symbolkraft, zerstört während des Zweiten Weltkrieges, dann wiederaufgebaut. […] Die Menschen in den neuen Bundesländern freuen sich sehr, dass der Besuch hier stattfindet; denn das ist auch ein Stück Anerkennung für die Leistung, die in den 20 Jahren nach dem Mauerfall erbracht wurde.“15
Sollte Merkel tatsächlich darüber enttäuscht oder gar beleidigt gewesen sein, dass Obama nicht nach Berlin gekommen ist, dann hat sie es sich zumindest nicht öffentlich anmerken lassen. Auch empfand sie es als unnötig, auf die kleinkarierten Kommentare der Medien einzugehen. Vielmehr wollte sie die Chance ergreifen, Obama den Fortschritt zu zeigen, den ihr Land seit Ende des Zweiten Weltkrieges gemacht hatte – einen Fortschritt, der zum großen Teil aufgrund der guten Beziehungen zwischen den USA und Deutschland möglich war.
Nach ihren Willkommensworten listete die Kanzlerin die Themen auf, die sie mit Obama besprochen hatte und erwähnte sowohl Konsens als auch Dissens. Dabei war aus ihren Bemerkungen dem Präsidenten gegenüber ein immer größer werdender Respekt herauszuhören. Dementsprechend nahm sie Bezug auf Obamas Rede in Kairo vom Vortag: „Präsident Barack Obama hat gestern eine bedeutende Rede in Kairo gehalten, die der Ausgang für viele politische Aktivitäten sein kann, insbesondere im Hinblick auf den Friedensprozess im Mittleren und Nahen Osten. […] Ich habe für die Bundesrepublik Deutschland erklärt, dass wir mit dem, was wir an Erfahrungen, an Kenntnissen und an Möglichkeiten haben, in diesem Friedensprozess hilfreich sein wollen. Wir brauchen eine Zweistaatenlösung. […] Alles, was Deutschland tun kann, wird es tun, um diesen Prozess konstruktiv und möglichst erfolgreich zu begleiten.“16
Merkels Worte waren in zweierlei Hinsicht wichtig: Sie signalisierte, dass sie mit seiner Ansicht vertraut war und dass die USA und Deutschland in dieser besonderen politischen Angelegenheit an einem Strang ziehen würden. Die Tatsache, dass Merkel über „die Bundesrepublik Deutschland“ sprach – also den vollen, offiziellen Namen wählte, statt schlicht „Deutschland“ sagte – zeigte sicherlich auch die Dringlichkeit, mit der sie dieses Problem lösen wollte.
In Bezug auf die Verhandlungen mit dem Iran über das Atomprogramm versprach die Kanzlerin, sie würde nicht nur mit den Vereinigten Staaten eng zusammenarbeiten, sondern auch mit allen anderen Verbündeten, um eine befriedigende Lösung zu finden. „Deutschland möchte mit seinen Kontakten und seinen Expertisen also auch hier wieder seinen Beitrag leisten.“17
Merkel sprach auch das kontroverse Thema Weltmärkte an. In ihrer pragmatischen Art wies sie auf eine Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden Politikern hin: „Auch die Vereinigten Staaten arbeiten an einem sehr ehrgeizigen Plan. Wir werden die Dinge vor allen Dingen auch beobachten.“18 Merkel erwähnte die Notwendigkeit der Länder, den auf dem G20-Gipfel vereinbarten politischen Maßnahmen nachzukommen und war erleichtert, dass sowohl die USA als auch Europa diese umsetzen wollten. Ihr Statement über die Finanzkrise war wichtig, denn zwischen den Zeilen ist hier ihre Besorgnis über Obamas Plan herauszuhören. Sie schien kurz davor, ihn zu kritisieren – ganz anders als noch vor ein paar Monaten in ihrem New York Times-Interview zum G20-Gipfel, „Widerstehe Obama“.
Ehe Merkel ihrem Amtskollegen das Wort übergab, wies sie darauf hin, wie wichtig eine amerikanische Beteiligung für die Erlassung von Klimaschutzgesetzen sei. Während sie die Zuhörer an die bevorstehende Klimakonferenz in Kopenhagen erinnerte, die später im Jahr stattfinden sollte, stieß sie die USA direkt mit der Nase darauf und betonte, dass die Vereinigten Staaten ihren Beitrag leisten müssen: „Wir wissen, dass dies politisch ein sehr dickes Brett ist, das man bohren muss; wir kennen das auch aus den Diskussionen, die wir hier zu Hause haben, und verfolgen die Gesetzgebung sehr intensiv.“19
Der Mangel an Klimaschutzgesetzen war ein Streitpunkt zwischen Merkel und der Administration von Obama. Mit ihren Bemerkungen spielte sie darauf an, dass ein teilnahmsloser US-Kongress keine Entschuldigung dafür sei, keine Gesetze zu verabschieden, die von einer derart globalen Wichtigkeit wären. Sie wolle beobachten, was die Vereinigten Staaten in Bezug auf Maßnahmen zum Klimaschutz vorhaben.
In seiner gewohnt charmanten Art begann Obama seine Rede, indem er sich bei der Kanzlerin und bei den Deutschen für ihre Gastfreundschaft bedankte und Bewunderung über die „schöne und historisch-signifikante Stadt Dresden“20 aussprach. Wie wichtig ihm die Freundschaft zu Deutschland war, formulierte er so: „Deutschland ist ein enger Freund und kritischer Partner für die Vereinigten Staaten; und ich glaube, dass Freundschaft nicht nur für unsere zwei Länder essenziell sein wird, sondern für die Welt, wenn wir Fortschritte bei den wichtigen Themen machen wollen, mit denen wir konfrontiert sind – seien es die nationale Sicherheit, wirtschaftliche Aspekte oder Aspekte, die den ganzen Globus betreffen, wie der Klimawandel.“21