Kitabı oku: «Improvisationstheater», sayfa 2

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2SEI MUTIG

2.1Scheiter heiter

2.2Die Falle der Selbst-Etikettierung

2.3Es gibt keine Fehler – Mach was draus

2.4Freiheit vor dem Urteil anderer

2.5Wabi Sabi: Prozess statt Produkt

2.6Wovor sich Impro-Spieler fürchten

2.7Die Kanäle der Angst

2.8Wie überwinden wir unsere Angst?

2.1Scheiter heiter

Unser Alltag ist von einem seltsamen binären Code geprägt – dem Dualismus von Falsch und Richtig. Diese Prägung fängt bei der Kindeserziehung an und setzt sich später in der Arbeitswelt fort. Fehler gilt es um jeden Preis zu vermeiden. Für Fehler werden wir bestraft, ausgelacht, gerügt. Nur langsam zieht in einigen Bereichen die Erkenntnis ein, dass ohne Fehlertoleranz keine Entwicklung zu haben ist.

In manchen Bereichen des Lebens ist Präzision ja durchaus wichtig: Wer will schon einen nur ungefähren Betrag des Gehalts auf sein Konto überwiesen haben? Wer will schon, dass der Zahnarzt einen beliebigen Zahn statt des kranken anbohrt? Die Dualität von Richtig und Falsch ist vor allem dort angemessen, wo Exaktheit das primäre Kriterium ist – in Wissenschaft und Technik.

Aber schon in einer der mathematischsten Künste – der Musik – wird die Frage von Richtig und Falsch rasch sinnlos. Gewiss schmälert es den Genuss, wenn Musiker „falsche“ Töne spielen. Aber ob uns der Vortrag einer Mozartschen Klaviersonate gefällt oder nicht, hängt nicht unbedingt damit zusammen, dass der Musiker das Stück „richtig“ gespielt hat. Mehr noch: Eine schöne Interpretation wird uns wahrscheinlich selbst noch mit ein, zwei Patzern besser gefallen als dasselbe Stück, wenn es „richtig“ aber seelenlos gespielt wird. Und in der Improvisation geht es sogar noch einen Schritt weiter: „Wir improvisieren“ heißt, es gibt kein Richtig und kein Falsch, denn wer wollte das festlegen als wir allein.

Eine der Grundübungen im Improtheater ist die freie Assoziation: Ich nenne dir einen Begriff, du assoziierst möglichst flott auf diesen Begriff ein neues Wort, auf das ich wiederum eine Assoziation finden muss. Per definitionem kann es hier kein Richtig und kein Falsch geben. Was immer du assoziierst, es ist in deinem Kopf entstanden. Angenommen ich höre den Begriff Salami, dann kann es durchaus sein, dass ich dazu Punkrock assoziiere, was für Außenstehende vielleicht nicht unbedingt nachvollziehbar ist, aber das ist egal, denn es ist schließlich mein Leben, das meine Synapsen derart verschaltet hat, dass ich Punkrocker vor mir sehe, wenn ich dieses Wort höre.

Nehmen wir dasselbe Spiel. Ich sage „Punkrock“, und meine Mitspielerin versteht „Bangkok“, was man durchaus als Fehler im Sinne von Hörfehler auffassen kann. Wenn sie nun aber „Ostasien“ assoziiert, bleiben wir im Spiel.

Der Fehler wird als Fehler oft erst dann erkannt, wenn wir ihn als Fehler markieren – wenn wir die Augenbrauen skeptisch verziehen, wenn wir innehalten, wenn wir aus der Szene heraustreten, kurz – wenn wir das Spielen beenden. Solange wir spielen, können wir im Grunde gar nicht scheitern.

Die Impro-Welt ist voller Spiele, die das heitere Scheitern trainieren. Praktisch alle Spiele, bei denen Spieler der Reihe nach ausscheiden, eignen sich. Eines meiner Lieblings-Scheiter-Spiele, das sich für Gruppen aller Levels eignet ist „Verlierer-Ball“ von Jill Bernard4:

Spiel „Verlierer-Ball“

Die Spieler stehen im Kreis und werfen sich einen imaginären Ball zu. Aber statt den Ball zu fangen, verlieren ihn die Spieler. Sie lassen ihn fallen, fangen schlecht usw. Jedes Mal, wenn der Ball fallengelassen wird, applaudiert die Gruppe, und man lobt den Verlierer wie eine stolze Mutter ihr Kind lobt: „Toll gesehen!“ oder „Schön nachgegriffen!“ usw. Es gibt keinerlei Bedauern. Es muss gelobt werden. Der Effekt auf die Stimmung innerhalb der Gruppe ist erstaunlich.

Keith Johnstone5 hat mit seinen Spielen und Formaten das Scheitern wunderbar aufgefangen. Im „Buchstaben-Vermeidungs-Spiel“ dürfen zwei oder mehrere Spieler einer Szene einen Buchstaben nicht benutzen, zum Beispiel „F“.

A: „Ihr Paket. Unterschreiben Sie bitte hier ff…vielmehr hier.“ (Das Publikum lacht, weil es den Spieler ringen sieht.)

B: „Gerne, ach kommen Sie doch herein.“

A: „Oh! … Mademoiselle, sehr gern.“ (Wieder Lachen. Wir sehen, dass er eigentlich „Fräulein“ sagen wollte und im letzten Moment noch die Kurve gekriegt hat.)

B: „Ich liebe Sie, seit Sie das erste Mal an meiner Tür geklingelt haben.“

A: „Das sagen Sie mir erst jetzt. Ich hatte mich schon gefragt … Aaah!“

Und wie in jedem theatersportmäßigen6 Spiel scheitert der Spieler demonstrativ heiter und scheidet aus der Szene aus.

Die Herausforderungen der klassischen Theaterspiele haben an sich oft keinen besonderen dramatischen Wert.7 Sie geben uns aber die Chance, ganz offensichtlich zu scheitern und dieses Scheitern mit Humor zu nehmen. Die Form fängt das Scheitern des Spielers auf, das Scheitern einer Szene, das Scheitern eines Teams. Die Zuschauer erleben im Theatersport einen Pseudowettbewerb und freuen sich sowohl auf die Spiele, die Mannschaften, die Spieler und (hoffentlich) auch auf die eine oder andere gute Story, die wir dort sehen.

Aber was, wenn wir uns künstlerische Ziele gesetzt haben, an denen wir immer und immer wieder scheitern? Was, wenn wir nicht eine Szene, sondern eine Show komplett in den Sand gesetzt haben, wenn Zuschauer, Mitspieler und wir selber davon überzeugt waren, dass die Show einfach übel war? Was, wenn die schlechte Show kein Einzelfall war? Kann man dann nicht seinen Frust ablassen? Darf man dann nicht zornig sein? Können wir nicht mal „unheiter“ scheitern?

Die Frage ist dann zunächst: Was wollen wir überhaupt? Frustpotential entsteht, wenn wir unsere Ansprüche zu hoch ansetzen.8 Wenn ich als Klavier-Dilettant innerhalb eines halben Jahres so klingen will wie Swjatoslaw Richter, werde ich unter Garantie scheitern. Wenn ich mir aber ein erreichbares Ziel setze, schaffe ich mir schneller Erfolgserlebnisse.

Für Improtheater-Anfänger ist es oft schwierig, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen. Sie lieben vielleicht bestimmte Formate, die sie bei anderen Gruppen gesehen haben und verzweifeln, wenn sie diese nicht so gut umsetzen können. Wenn eure Stärke eher in verbaler Comedy liegt, warum solltet ihr dann auf Teufel-komm-raus musikalische Formate auf die Bühne zwingen, nur weil ihr das bei einer anderen Gruppe toll findet. Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht, um ein Format bühnentauglich zu meistern. Aber umgekehrt solltet ihr, wenn die Früchte reif sind, nicht zu lange warten. Das Impro-Format beweist sich auf der Bühne. Gebt dem Format auch eine Chance zu scheitern.

Akzeptiert, wenn eine Show scheitert. Es gibt keinen Grund, Trübsal zu blasen. Denn in dem Moment, als ihr euch dafür entschieden habt, Improtheater öffentlich aufzuführen, seid ihr einen Pakt mit dem Impro-Teufel eingegangen: Ihr werdet großartige Momente der Kreativität erleben, ihr werdet euch selbst und einander überraschen, aber der Preis dafür ist, immer wieder mal, aus heiterem Himmel zu scheitern – in den Augen eures Publikums, in den Augen eurer Mitspieler oder vor euch selbst.

2.2Die Falle der Selbst-Etikettierung

„Ich kann nicht singen.“

„Ich assoziiere nun mal etwas langsamer.“

„Im Storytelling bin ich eher schlecht.“

Wer hat nicht schon mal diesen oder ähnliche Sätze gehört? Das Problem ist, dass uns diese Glaubenssätze einsperren. Selbst wenn wir hier und da mit einem kräftigen „Au ja!“ an den Stäben des Käfigs gerüttelt haben, schrauben wir sie durch solche Selbst-Bezeichnungen wieder fest.

Nun zeugt es sicherlich von Bescheidenheit und Selbstreflexion, wenn wir von Zeit zu Zeit unsere eigenen Fähigkeiten einer kritischen Revision unterziehen. Schließlich sind wir erst dann in der Lage, an diesen Fähigkeiten zu arbeiten. Aber es ist ganz und gar kontraproduktiv, sich von vornherein in die Position des „So bin ich nun mal“, zu manövrieren. Denn wenn ich so „bin“, dann hülfe ja alles Lernen und Trainieren nichts.

Manche Impro-Schüler sind dermaßen in dieser Geisteshaltung gefangen, dass sie sich kaum für irgendein neues Spiel, eine Übung oder ein Format einlassen. Man bittet sie auf die Bühne und sie betreten sie mit einer um Mitleid flehenden Miene, die uns sagen soll: „Na, wenn ich unbedingt muss …“ Diese Haltung zu ändern, ist die entscheidende Aufgabe beim Lehren und Lernen von Improtheater.

Aufgrund schlechter Erfahrungen trägt fast jeder ein bisschen etwas von dieser Haltung mit sich herum:

„Ich werde nun mal schnell wütend.“

„In Mathe war ich schon immer schlecht.“

„Ohne Zigaretten würde ich mich niemals richtig konzentrieren können.“

Es ist eine Sache, ein Defizit bei sich zu erkennen und daran arbeiten zu wollen. Es ist etwas anderes, dieses Defizit als unabänderliche Charaktereigenschaft zu bezeichnen:

„Wir sind doch eher eine ruhige Langform-Impro-Gruppe“, wenn der Coach anmerkt, dass die Spieler zu sehr im Nachdenken verharren.

„Mit klassischem Theater kenne ich mich sowieso nicht aus“, wenn es darum geht, sich mal fünfzig Seiten Shakespeare durchzulesen.

„Ich will mich nicht verbiegen, sondern authentisch bleiben.“

Erkenne dich selbst, aber glaube nicht, dass du unveränderbar seist.

2.3Es gibt keine Fehler – Mach was draus

Die Grundhaltung beginnt im Kopf. Ich kann jedes Phänomen in dieser Welt offenherzig oder skeptisch betrachten – egal ob einen Satz, den jemand zu mir spricht, einen Wetterumschwung, ein neues Mittagsgericht. Je skeptischer ich bin, umso unwahrscheinlicher ist es, dass ich mit dem Gesagten etwas anfangen kann, den Regentag freudig nutzen werde, mir das Gekostete schmecken wird. Je offener ich ja sage, um so mehr bin ich in der Lage, den Schwung dessen, was mir angeboten wird, auszunutzen.9

Wenn man es genau bedenkt, kann man im Improtheater gar nichts Falsches sagen; denn wir bringen ja in aller Regel fiktive Figuren und eine fiktive Welt in einem soeben geschaffenen künstlerischen Stil auf die Bühne. Insofern ist Platz für alle möglichen Dinge auf der Bühne, die einem vielleicht im ersten Moment „fehlerhaft“ vorkommen mögen.

Nehmen wir faktische Unrichtigkeiten: Angenommen, in einer Szene landen Astronauten auf dem Mars und einer von ihnen behauptet, nun endlich den größten Planeten unseres Sonnensystems besiedeln zu wollen. Die reflexhafte Reaktion vieler Impro-Spieler wird darin bestehen, der Figur des Mitspielers Dummheit oder Wahnsinn anzudichten, etwa, dass wir uns in einer Szene befinden, in der die dümmsten Menschen der Erde auf den Mars evakuiert wurden. Aber so wird jedem klar: Alle markieren nun den Satz des Mitspielers als Fehler. Eine gewandtere Variante wäre, das Ganze als Witz des Astronauten umzudefinieren, aber auch hier würde das Scheitern oder Unwissen des Mitspielers markiert. Am elegantesten wäre es, den Satz überhaupt nicht als Problem aufzufassen. Denn selbst wenn der Mars in unserer Welt nicht der größte Planet ist, so kann es doch in der fiktiven Welt auf der Bühne stimmen. Entweder aus künstlerisch Gründen oder weil wir uns in einem Paralleluniversum befinden.

Es ist die Aufgabe aller Spieler, das Spiel aufrechtzuerhalten, statt Szenen oder Dialoge durch die Markierung oder umständliche Rechtfertigung von „Fehlern“ zu verlangsamen oder gar zu stoppen.10

Wir allein legen fest, was auf der Bühne stattfindet. Und wenn dabei eine Form entsteht, die niemand sonst bisher gespielt hat, so kann das wunderbar oder auch grottig anzusehen sein. Aber ein „Fehler“ ist es sicherlich nicht.

Was Außenstehenden am Improtheater-Spielen so ungewöhnlich erscheint, ist der Umstand, dass wir andauernd mit seltsamen und unvorhersehbaren Angeboten konfrontiert sind, auf die wir reagieren müssen. Das wirkt dann oft so, als seien die Reaktionen wahnsinnig originell, als würden die Spieler pausenlos mit neuen, verrückten Ideen um sich werfen. Dabei geschieht hier in der Regel etwas ganz anderes: Auf den unerwarteten Satz meines Mitspielers reagiere ich mit meiner Offensichtlichkeit. Ich reagiere und führe den Gedanken oder das Spiel mit Gedanken in einer für mich offensichtlichen Weise fort. Aber da diese Offensichtlichkeit eben nur meine Offensichtlichkeit ist, wirkt sie auf andere originell. Sie wird meinen Mitspieler vielleicht überraschen und ihn zu einer Reaktion die für ihn offensichtlich ist, herausfordern.

Natürlich können Szenen so schlecht sein, dass weder die Spieler noch die Zuschauer Freude daran hatten. Damit müssen wir als Improvisierer leben, und ich kenne keinen Impro-Spieler, der durch diese Hölle noch nicht gegangen wäre. Es kann sein, dass wir uns gegenseitig unterstützt haben, unsere Sätze und Gedanken weitergeführt haben, aber das alles endete im großen Nichts. Ein Trost mag sein, dass es im Laufe der Zeit immer seltener passiert. Aber es hat nichts mit „Richtig“ oder „Falsch“ zu tun. Das Einzige, was euch auch dann noch bleibt, ist, euer Scheitern heiter zu nehmen.

2.4Freiheit vor dem Urteil anderer

Die Angst, in der Öffentlichkeit zu sprechen (also das Lampenfieber), gilt im Buddhismus als eine der fünf großen Ängste.11 Sie ist im Prinzip nachvollziehbar: Wir setzen uns dem Urteil anderer aus. Und dieses Urteil kann uns, so sachlich es auch formuliert sein mag, persönlich treffen. Jeder Künstler lebt mit seinen spezifischen Kritik-Ängsten, die teilweise sehr tief sitzen. Tänzer werden für ihren Körper und ihre Bewegungen kritisiert, Sänger für ihre Stimme, Schriftsteller für ihre Sprache. Bei Improtheater-Spielern kommt vieles zusammen. Die Mannigfaltigkeit dieser Kunst – Grazie des Ausdrucks, sinnvoller Inhalt, Bewegung, Timing – all das lässt sich nicht nur genießen, sondern eben auch kritisieren. Als Impro-Spieler müssen wir uns von dieser Angst, die auf subtile Weise selbst den scheinbar lockeren Impro-Profi befällt, befreien. Dafür müssen wir drei große gedankliche Schritte gehen.

Der erste Schritt ist die Annahme, dass das, was ich mache, für mich selber OK ist. Es gibt das Klischee des etwas abgehobenen Künstlers, der sich nicht darum schert, was das Publikum von seinem Werk hält. So wichtig auch die Verbindung zum Publikum ist – eine kleine Prise dieser Abgehobenheit braucht jeder Künstler und jeder Impro-Spieler. Gäbe es sie nicht, hätte sich die Kunst nie weiterentwickelt. Hätten nicht in den 30er und 40er Jahren ein paar besessene Jazz-Musiker die alten Schemata aufgebrochen und dafür in Kauf genommen, vor kleinerem Publikum zu spielen, dann stünde Jazz immer noch auf der Stufe des Dixieland. Als Impro-Spieler weiß ich, dass ich scheitern kann. Aber ich weiß auch, dass ich ein theatrales Ziel verfolge: eine kurze Szene, ein kleines Spiel, eine Langform, eine packende Story. Und allein der Versuch ist es schon wert. Wenn es Zuschauer gibt, die sich das anschauen wollen und sogar Geld dafür bezahlen – umso besser. Wenn es einigen Zuschauern dann nicht gefällt, lohnt es sich, Gedanken darüber machen, wie man das, was man ausdrücken möchte, besser auf der Bühne kommuniziert und wie man sein Handwerk verbessert. Aber selbst erfolgreiche Filme und Bücher finden ihre scharfen Kritiker. Wenn man unsere Show nicht mag, ist das in Ordnung. Die Freude der Spieler ist nämlich ebenfalls ein legitimer Kompass.

Der zweite Schritt besteht darin, dass wir mit Kritik zu leben lernen. Kritik wird uns immer wieder begegnen, sie kann uns weiterhelfen, sie kann uns abstrus vorkommen, vielleicht erkennen wir erst Jahre später ihren Wert. Sie ist jedenfalls Teil der Abmachung „Künstler auf der Bühne“. Wer andere einlädt, ihre Zeit im Zuschauersaal zu verbringen, muss auch damit leben, kritisiert zu werden. Oder anders gesagt: Wer das Lob liebt, kann vor Kritik nicht die Ohren verschließen. Jeder muss lernen, wieviel Kritik er selbst ertragen kann. Ich kenne Kollegen, die nach der Show ihr Gästebuch nach kritischen Eintragungen abscannen, und wenn sie welche gefunden haben, entweder das gesamte Publikum verteufeln oder sich die Kritik dermaßen zu Herzen nehmen, dass sie kaum mehr ruhig schlafen können. Andere lassen Kritik völlig von sich abperlen, egal von wem sie kommt.

Ich denke, dass man sich mit der Zeit ein Immunsystem zulegen kann, das einem hilft, mit Kritik immer besser umgehen zu können. Der erste Trainings-Schritt für dieses Immunsystem besteht darin, Kritik nicht persönlich zu nehmen, selbst wenn sie auf die Person bezogen ist. Jede einzelne Kritik, egal von wem sie kommt – vom Zuschauer in der ersten Reihe, vom Impro-Lehrer, vom Techniker oder vom Pressekritiker – ist eben immer auch nur eine Stimme.

Die Angst vor dem Urteil anderer kann sich, wie wir wissen, sehr konkret äußern, und zwar selbst bei Spielern mit langjähriger Bühnenerfahrung. Zum Beispiel wenn ein Zuschauer im Publikum sitzt, vor dessen Augen wir glänzen wollen. Oder ein Vertreter eines Unternehmens, der unsere Show anschaut, da er mit dem Gedanken spielt, uns für einen hochbezahlten Auftritt zu engagieren. Oder wenn man sich bei einer Improgruppe in einem Vorspiel bewirbt. Das Scheitern wird uns wahrscheinlich in solchen Situationen nicht so leicht fallen wie in einer Show, bei der das missglückte Synchronisations-Spiel vergessen ist, sobald das Publikum wieder „Fünf-vier-drei-zwei-eins-Los!“ gerufen hat. Welche äußere Situation die Angst auslösen kann, mag bei jedem unterschiedlich sein. Wichtig ist, sie zu erkennen und mit ihr umzugehen.

Und so kommen wir zu dem dritten Schritt: Auf der Bühne zählt das alles nichts mehr. So wichtig dir es auch sein mag, in die Impro-Super-Group gecastet zu werden, so wichtig dir auch das Geld oder die Anerkennung sein mögen, die dir in Aussicht gestellt werden – auf der Bühne gilt nur der Prozess des gemeinsamen Erschaffens. Jedes Gunst-Erheischen Richtung Publikum zerstört den Moment. Jede unechte Reaktion kratzt am großen Ganzen. Wenn wir den Geschmack des künstlerischen Leiters, des Geschäftsmenschen oder der einen Person im Publikum, die uns wichtig ist, nicht treffen, so heißt das ja nicht unbedingt, dass wir versagt haben, sondern dass das dann nicht der richtige Augenblick war oder wir tatsächlich nicht zusammen passen. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Geld und Eitelkeit unseren Spielfluss hemmen, indem sie sich als Angst in unsere Hirne schleichen.

2.5Wabi Sabi

Im japanischen Zen gibt es das ästhetische Konzept Wabi Sabi, das sich an der Wertschätzung des Unperfekten orientiert. Natur kennt keine Perfektion. Alles ist vergänglich, alles ist im Prozess. Diese Beobachtung können wir auf die Kunst und die Gestaltung übertragen. Eine alte Kirche ist nicht trotz sondern wegen ihrer Patina schön. Asiatische Tusche-Zeichnungen wirken lebendig, weil wir den Strich in seinem Schwung und seiner Imperfektion sehen. Der Zeichner versucht erst gar nicht, den Prozess des Zeichnens zu verbergen. Durch den Strich, dessen Ansatz und Ende wir erkennen, das Auslaufen der Tinte, erleben wir gewissermaßen den Prozess des Zeichnens, der vielleicht vor Hunderten von Jahren stattgefunden hat, nach.

Da wir im Improtheater keine Möglichkeit zur Korrektur haben, müssen wir ebenso wie jede andere improvisierte Kunst mit dem Unperfekten leben. Mehr noch: Wir genießen den Prozess, das Unperfekte zu erschaffen. Und wir genießen es, anderen dabei zuzuschauen.

Was sich aus Wabi-Sabi-Perspektive in der Keramik als unbeabsichtigte hauchdünne Glasur-Riss darstellt, in der Architektur als Patina, in der Malerei als Spuren der Pinselhaare, das ist im Improtheater die kaum wahrnehmbare Geste des Suchens nach dem nächsten Satz, der kleine verstolperte Schritt, der Versprecher und so weiter. Diese Mikro-Fehler sollten wir freilich nicht forcieren (gleichsam um zu zeigen, dass wir improvisierend Fehler begehen), so wie auch der Töpfer seinem Gefäß nicht absichtlich Risse zufügt, um es „auf alt“ zu töpfern.

Das Unperfekte macht die Improvisation menschlich und lebendig. Wenn wir aber wissen, dass Improtheater von Natur aus fehlerbehaftet ist, dass es nie die absolut perfekte Show geben wird, ja nicht einmal die perfekte Szene, dass wir praktisch immer scheitern, manchmal minimal, manchmal grandios, dann brauchen wir uns vorm Scheitern nicht zu fürchten.

Lerne zu scheitern, und lerne deine Perspektive zu verändern. Weg vom Produkt, hin zum Prozess. Das Erschaffen selbst wird das sein, was uns erfreut. Improtheater ist eine flüchtige Kunst. Die Impro-Szene, die man gespielt hat, wird es nie wieder geben. Genauso wenig wie es sich lohnt, eine Szene vorauszuplanen, so wenig brauchen wir einer Szene hinterherzutrauern. Wir werden mal mehr, mal weniger im Moment gewesen sein. Je stärker wir uns auf den Prozess einlassen, umso mehr wird auch unser Publikum diesem Prozess folgen.

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