Kitabı oku: «Das Honecker-Attentat und andere Storys», sayfa 4

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Warten auf Brigitte B.

Empfang in der Botschaft, die nicht Botschaft heißt, denn das wäre die Anerkennung von zwei Staaten in Deutschland – und auch wenn es zwei Staaten sind, durch Grenzen voneinander getrennt, mit eigenen Parlamenten, eigenen Gesetzen, eigenen Armeen, eigener Währung, eigenen Staatsbürgerschaften. Erforderliche Wortklaubereien. Diplomatie. Staatsrecht. Während der Staatsmaler und Oberregulierer der bildenden Kunst, Willi Sitte, Ralf Winkler, der unter dem Namen A. R. Penck im Westen mit seinen Bildern bereits anerkannt und gefragt ist, den Dresdner Maler einen Schmierfinken nennt, „den wir hier nicht brauchen“, hat der „Nicht-Botschafter“ sondern „Ständige Vertreter“ Klaus Bölling den Mann mit dem Hut eingeladen, der verkündet, jeder Mensch sei ein Künstler, der, selbst im Westen, mit Fettecken, Schlittenrudeln, Krankenbetten irritiert, niemals offiziell ins Land des sozialistischen Realismus gebeten worden wäre. Beuys ist ein Exot, nicht eine einzige Installation hätten sie ihm in der DDR gestattet, ihn stattdessen einen Pfuscher, Revanchisten, Spinner gescholten.

Zu Beuys wollen sie alle – die in Vorschriften und Genehmigungen eingezwängten Maler, Bildhauer, Schriftsteller und selbst ihre Verweigerer, die Partei-Kulturfunktionäre kommen, diskret, haben nichts zu sagen, sagen nichts, könnten sich in diesem Fall aber durchaus einverstanden erklären – Beuys zeigt Zeichnungen aus den Anfängen seiner künstlerischen Arbeit. Müller wartet nicht auf Beuys, Müller kennt ihn, den Radikaldemokraten, der sich für die neue Politik der grünen Bewegung engagiert. Müller wartet auf die Frau vom Lande. Er wartet vergebens. Sie und ihr Mann kommen nicht.

Die STäV, die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR. Ein Neubau in der Hannoverschen Straße, schräg gegenüber dem Eckhaus, in dem Wolf Biermann seine aufmüpfigen Texte gegen die vergreisten Genossen schrieb, ein paar hundert Meter vom Brechthaus und vom Dorotheenstädtischen Friedhof entfernt. Die STäV hat alles, was zu einer diplomatischen Vertretung gehört, wie Wirtschafts- und Kulturabteilung und Pressestelle. Der Kontakt zu den Korrespondenten ist besonders wichtig, weil die Beziehungen zwischen West und Ost sensibel sind, weil Äußerungen der DDR-Führung seismografisch registriert und analysiert werden. Es sind Hinweise für die Journalisten, die daraus in ihren Berichten unterschiedliche Schlüsse ziehen. Sie werden in die „Laube“ gebeten, einen abhörsicheren Metallraum, aus dem nichts herausdringen soll. Hier werden Tendenzen innerdeutscher Beziehungen „unter Drei“, nicht zur Veröffentlichung bestimmt, bekannt gegeben. Alles gilt als irgendwie brisant, die Teilnehmer als verschworene Gemeinschaft, wichtige Geheimnisträger. Günther Gaus, der erste Mann aus Bonn in der DDR, zelebriert die Treffen gekonnt lässig. Er, Ex-Chefredakteur und TV-Gastgeber, beherrscht Unterhaltung in jeder Form. Ein Moderator, der die Laubenstunde zum angenehmen Ereignis macht, selbst wenn es nur wenig Neues gibt. Gaus macht die STäV zum offenen Haus, nicht nur für West-Journalisten, sondern auch für Künstlervolk aus dem Osten. Abende, die beim Wein in heiterer Runde bis weit nach Mitternacht andauern. Sein Nachfolger ist um Fortsetzung bemüht, freilich mit zeitlich begrenzter Sperrstunde der Geselligkeit. Die Unterschiede erklären sich mit dem Wechsel in Bonn – Gaus ist der Mann Willy Brandts, Klaus Bölling der Abgesandte Helmut Schmidts.

Brigitte B. in den Kleveschen Häusern. Sie arbeitet an der Holzskulptur aus dem 16. Jahrhundert, ein halbes Jahrtausend überdauert, festigt, retuschiert. Zufrieden. In Ruhe. Ungestört auf der Insel ihres Gartens. Gelegentlich Besuch von künstlerischem Landvolk, Verehrern, Sommergästen aus der Stadt am Wochenende. In diese Welt bringt der Fremde aus dem Westen Unruhe, seine Hartnäckigkeit, Grüße, kurze Mitteilungen. Unmissverständliche Werbung bedeutet Störung, Ungewissheit. Trotzdem beschäftigt er sie. Neugier. Sie spricht mit ihrer Freundin, so wie sie alles mit Jutta bespricht. Jutta, Model für Exquisit, das besondere Luxuslabel der DDR. Mit der „Modekiste“ unterwegs. Vorführungen in allen Teilen der Republik zwischen Rügen und Erzgebirge, mit Damenkleidung, die es nicht zu kaufen gibt.

Zu besonderen Anlässen wird das Modelteam zu den Obergenossen nach Wandlitz beordert, zur Vorführung von Ober- und Unterbekleidung, Negligés für die Honecker-Führungsriege, Lustvolles für die Graumänner, die meinen, alle Frauen in der Republik, in ihrer DDR, könnten sich leisten, was sie anschauen.

Frauen unter sich. „Sie interessieren sich für uns, die Westmänner. Wir sind die exotischen Frauen aus dem Osten. Sie sagen, wir hätten etwas Besonderes.“

„Vielleicht, weil wir so hilfsbedürftig sind?“

„Oder so selbstbewusst! Das vermutet Lothar.“ Lothar Loewe, der ARD-Korrespondent in der DDR, verehrt Jutta.

„Was ist mir dir?“

„Ich weiß nicht. Aber – es könnte Komplikationen geben …“ „Tu, was du möchtest.“

„Was will ich?“

„Interessiert er dich?“

„Kann sein, irgendwie aufregend.“

Zur Akkreditierung des stern-Korrespondenten in Ostberlin veranstaltet der Verlag ein Fest in einem der wenigen feinen Restaurants an der Spree: Mit exquisiten Speisen und Getränken, Champagner und Weinen aus dem Kaufhaus des Westens, der Lieferadresse des Staatsratsvorsitzenden und seiner Genossen in Wandlitz. Zweihundert Gäste, Deutsche aus zwei deutschen Staaten, die einen haben die Mauer- und Stacheldrahtgrenzen mühelos passiert, die anderen sind hier, in der „Hauptstadt der DDR“ zu Hause. Ein Dialog, Ost-West-Gespräche zwischen Funktionären, Partei-Journalisten, Künstlern und Klaus Bölling, dem neuen Diplomaten aus Bonn.

Bölling, erfolgreicher Journalist, der zum Politiker wurde, einst auch Chefredakteur von Müller, erscheint mit seiner jungen burschikosen Frau, die ohne Rücksicht auf Etikette mit Henry Nannen plaudert und flirtet. Nannen ist entzückt. Seine Chefsekretärin, Uschi, Organisatorin und Kassenwart, erklärt das Fest zum gelungenen Ereignis, derweilen der Restaurantleiter und seine von der Staatssicherheit trainierten Kellner und Kellnerinnen das Treiben mit Argwohn und Ablehnung verfolgen. Im Gedränge können sie nur wenig zu Kontakten und Gesprächen ermitteln.

Dabei gibt es keine konspirativen Gespräche, nur einen kuriosen Austausch von Berichten. Die Westdeutschen erzählen auch hier, wie überall, von ihren Erlebnissen auf Transitwegen und bei Grenzkontrollen.

„Es ist alles um vieles besser geworden, im Vergleich zu früher.“

„Die Abfertigung zügig, die Grenzsoldaten je nach politischer Wetterlage mehr oder weniger freundlich.“

„Einmal haben sie unseren Wagen regelrecht auf den Kopf gestellt, also nicht wirklich, aber wir mussten die Sitze hochheben, Koffer öffnen, Handschuhfach, alles.“

„Sie haben eine alte Wanduhr unserer Großmutter konfisziert.“ „Besser reisen Sie mit Exponaten und einer Quittung aus dem offiziellen Antiquitätenhandel der DDR“, sagt einer.

„Es war ein Familienerbstück.“

„Auch die werden von uns verkauft. Alles regulär.“

Das sind ihre Erfahrungen, die sie in Erinnerung haben, mehr nicht, als Beweis für die Untauglichkeit dieses Staates, als Entschuldigung. Sie waren in ihrem Leben weder in Weimar oder Eisenach, in Halle, Leipzig oder Dresden. Die Städtenamen Görlitz, Plauen, Zwickau, Mühlhausen sagen ihnen nichts.

Für einige, auch für Henry Nannen, ist es der erste Besuch in Ostberlin. Hierher hat er sich noch einmal aufgemacht, in diese Stadt in der Stadt, die mehr sein muss, Hauptstadt neben der Teilstadt, von der er dann doch nicht mehr sehen wird, nicht mehr sehen will nach diesem Provinzauftrieb von blassen, ängstlichen Funktionären in schlecht sitzenden Anzügen, von Genossen aus der zweiten Reihe, von Kollegen mit verklebten Augen, verschlossenen Ohren, verbissenen Mündern. Wären da nicht die Unbeherrschten! Die interessanten, angenehmen Gäste sind Schriftsteller, bildende Künstler, Schauspieler. Unter ihnen Renate Krößner, Star aus Solo Sunny, dem DDR-Road-Movie einer Sängerin, die durch die Tristesse ostdeutscher Provinz reist. Müller hatte einen Antrag für ein Interview mit Renate Krößner gestellt. Er war mit der Begründung abgelehnt worden, sie, die Krößner, habe dieses Angebot abgelehnt. Im Gespräch mit Schmitt erfährt sie zum ersten Mal von dieser Anfrage des stern. Das kleinmiefige Trio im Außenministerium hatte für sie entschieden. Die Spitzel erleben, wie die Westdeutschen und die Künstler aus der DDR, denen sie ständig nachschenken müssen, immer ausgelassener werden, sorglos, fröhlich. Der Skandal: nicht genehmigt spielen zwei Jazzer auf, ein deutsches Duo aus Hamburg und Ostberlin. Müller begrüßt, trifft gute Bekannte, knüpft neue Kontakte, verabredet sich. Unter den Besuchern auch sie, die mit ihrem Mann gekommen ist, die wichtigste Besucherin an diesem Abend, Brigitte B. In einem günstigen Augenblick lädt er sie ins Theater ein. Sie wird kommen, ihn begleiten. Glück, Hoffnung. Ein gelungenes Fest.

Erfüllung unter Kontrolle

Als sie endlich in die Stadt kommt, weiß sie, sie wird ihn nicht warten lassen, nicht länger. Die Bereitschaft, sich mit ihm einzulassen, Neugier, Interesse, ohne ahnen zu können, wohin das alles führen soll in dieser komplizierten Verbindung.

Das Ritual: Essen im Grand Hotel – asiatisch mit der Darbietung zur Benutzung von Stäbchen durch geschulte Ostberliner Kellner. Anschließend eine Vorstellung im Deutschen Schauspielhaus. Danach: Sie fahren zu ihm in den Plattenbau, passieren den Grauen vor der Tür, der gleich Meldung machen wird, benutzen den Fahrstuhl, er zeigt ihr die drei Zimmer seiner Wohnung, die er zuvor nach Männerart in Ordnung gebracht, so weit als möglich aufgeräumt hat. Als er sie in den Arm nimmt, küsst, sie auszieht, ihr sagt, wie er sich diesen Augenblick gewünscht hat, dass er sich diese Stunde mit ihr vorgestellt hat, in den Nächten der vergangenen Wochen, dass er verrückt geworden ist vor Sehnsucht nach ihr, als er ohne Hemmung ihr dies alles sagt, vergisst er die Zuhörer, die ihre Mikrofone in allen Teilen der Wohnung installiert haben.

Erst später, sie liegen nebeneinander, er streichelt sie, erinnert er sich an die Genossen und erklärt ihr, sie müsse keine Furcht haben. Zu den Unbekannten gewandt, in Richtung Zimmerdecke und zu ihr sagt er: „Sollten sie dich behelligen, die Genossen Voyeure, werden wir unsere Geschichte erzählen. Dann werde ich über uns schreiben und über euch Herrschaften und eure verantwortungsvolle Arbeit dort oben oder unten, im 13. oder im zweiten Stock. Ich werde über euch und über uns schreiben und unsere besondere Beziehung, Genossen. Drushba!“

Er spielt die Szene, spielt sich in Szene, will ihr zeigen, wie sehr er Herr der komplizierten Lage ist, wie er umgehen kann mit denen von der Staatssicherheit, die sich aber längst in sein Leben eingemischt haben, es kontrollieren und mit beherrschen. Sie hört seinen Monolog, fühlt sich beklommen amüsiert, bleibt, vergisst die Zuhörer, schläft neben dem Deutschen aus Westdeutschland.

Er weiß um ihre ständige Anwesenheit, ihr Dasein; Tag und Nacht, eingeteilt in Schichten, kommen sie zum Dienst. Sie haben gefrühstückt, die Kinder versorgt, in den Hort oder in die Schule gebracht, haben mit ihren Partnern über das Wochenende gesprochen, über Verwandtenbesuche, Familienfeste, die Zensuren der Kleinen, den Einkauf von Lebensmitteln in der Kaufhalle und im Sonderverkauf für Mitarbeiter der Organisation. Der Innendienst erfordert besondere Aufmerksamkeit, weil es gilt, aus scheinbar harmlosen Telefongesprächen mögliche Verabredungen und geheime Informationen herauszuhören und zur Überprüfung weiterzuleiten. Gründlich geschult, können sie zwischen normaler Konversation und konspirativen Unterhaltungen unterscheiden. Er hat sich bereits häufiger an sie gewandt, sie mit Bruckner in voller Lautstärke erschreckt, ihnen einen guten Morgen gewünscht, ihnen zugeprostet, auch für sie ein Glas eingeschenkt. Eines Tages haben sie sich revanchiert und auf einem Hut im Flur eine grüne Wanze hinterlassen.

Landidyll

Das Dorf bestand ursprünglich aus sieben Häusern, gegründet von sieben Familien aus Kleve, die Kleveschen Häuser zwischen Löwenberg und Gransee. Es heißt, sie seien im 18. Jahrhundert gekommen, als der alte Fritz die Streusandbüchse Brandenburg fruchtbar machen wollte und die Holländer nach Preußen rief, in den wilden Osten. So ein Nest hätte Müller nicht gesucht und nie gefunden.

Wären rundherum nicht die großen Schläge der Großgenossenschaft, führen nicht jeden Morgen in der Dämmerung die Großtraktoren zum Pflügen, Säen, Ernten auf die Felder, der Mensch lebte vor fünfzig Jahren, es gäbe keinen Arbeiter- und Bauernstaat, keine LPG, dafür die alten Großgrundbesitzer und die Nachfahren der Holländer mit kleinen Höfen.


In den Kleveschen Häusern: Brigitte B. mit ihrer Tochter, Freunden und dem „Mann aus dem Westen“

Hier, eine Autostunde von der Hauptstadt entfernt, zwischen Löwenberg und Gransee, so wie auch im Oderbruch oder an der Müritz, siedeln nun die Kulturflüchtlinge, die kleine Freiheit von Regisseuren, Malern, Musikern, Schriftstellern. Keine Dissidenten, nur Unzufriedene, Nörgler, weil sie ihre Filme nicht drehen, ihre Bücher nicht drucken, ihre Lieder nicht aufnehmen können. Gescheitert an Kapazitäten, an Papierknappheit, an Zensoren, an sozialistischen Bürokraten, saufen sie sich ihren Frust aus dem Herzen, schimpfen sich durch die Nächte. Sind unglücklich, glücklich, unfrei und frei, haben sich eingerichtet, abgefunden, miteinander, ohne finanzielle Sorgen (achthundert Mark im Monat genügen ihnen selbst mit Kraftfahrzeug), heiraten, bekommen Kinder, trennen sich, verreisen in ihren Grenzen und mit Glück bis nach Ungarn, sogar Georgien.

Wann immer es ihm möglich ist, fährt er nun zu ihr, abends, nach Einbruch der Dunkelheit, als könnte er sich so den Kontrollen entziehen, unbemerkt bleiben. Die Strecke wird ihm vertraut und behagt ihm, die Alleen, der notdürftig geflickte Asphalt, das Kopfsteinpflaster in Löwenberg, die Bahnschranke, vor der er, wenige Kilometer vor dem Ziel, aufgehalten wird. Die Dunkelheit in den Dörfern. Er parkt den Wagen hinter einer Scheune, als bliebe er dort vor den Augen der Bauern unbemerkt. Macht er sich morgens, oft früh um sieben oder acht, auf den Rückweg in die Stadt, sind die Männer mit ihren Traktoren, Landmaschinen, Mähdreschern längst unterwegs, blicken sie zu ihm, winkt er ihnen zu, ein paar erwidern seinen Gruß, heben kurz die Hand. Jutta wird zu seiner Verbündeten. Sie ermuntert Müller: „Wenn es so ist, dann ist es so! Wenn du sie liebst, dann liebst du sie!“

„Wir sind uns unsicher, wir wissen nicht, was werden soll.“

„Liebt euch! Alles andere spielt erst einmal keine Rolle.“ Juttas Lebensbejahung. Kein Zögern.

Sie sind auf den Sandwegen unterwegs, morgens, nach den langen Nächten in der Küche, nach Wein, Bier und Schnaps, bei denen die Männer kein Ende finden und Brigitte B. selbst in der Morgendämmerung auf Bitten der Kerle noch eine Flasche Whisky, in den Tiefen der Schränke versteckt, auf den Tisch stellt, die Suffköppe, die nicht müde werden, sich ihre Geschichten zu erzählen, von sturen Kulturfunktionären, die nach Belieben genehmigen oder verbieten, von den Schlichen, sie zu übertölpeln, von immer neuen Möglichkeiten, Verbotenes zu sagen, zu spielen, zu schreiben.

Die größten Sorgen haben die Filmemacher, mehr als die anderen auf Zustimmung und Material angewiesen. Brigittes Mann, Dramaturg bei der DEFA, benötigt mehrere Jahre zur Herstellung eines Dokumentarfilms über C. D. Friedrich, den Maler der Romantik, der nicht in die Kulturpolitik der DDR passt. Trotzdem: Bei aller Kontrolle entstehen Filme, Kabarettsketche, Inszenierungen, Bilder, mit denen Kritik geäußert, Veränderung gefordert wird, oft nur angedeutet, von allen verstanden. Filme wie Die Legende von Paul und Paula, Solo Sunny, Dokumentationen von Jürgen Böttcher und Volker Köpp, Programme der Distel, der Pfeffermühle und der Herkuleskeule.

Nach durchzechten Nächten, kurzem Schlaf laufen sie sich dämmerig-frisch, fühlen sich gut – unter ihnen, als wäre nichts, ereignete sich nichts, sei nichts geschehen, Brigitte und ihr Mann, Müller und Jutta, Juttas Mann. Sie haben Zeit, weil hier die Zeit keine Rolle spielt, weil sie kein vorbildliches sozialistisches Kollektiv sind, weil sie keine Pläne erfüllen.

Es ist das Dorf, es sind die Wege entlang der Wälder, zum See, märkischer Sand, nicht asphaltiert und begradigt wie im Westen mit dem Grünen Plan. Die Mangelwirtschaft als glücklicher Umstand. Hier scheint alles in Ordnung. Eine trügerische Enklave, wie die Fachwerkdörfer in Thüringen, deren Umgebung sich für Großflächen nicht eignet, während weiter im Norden und im Osten im unteren Odertal alles nutzbar gemacht wurde, ohne Rücksicht auf Natur, ohne Rücksicht auf die verheerenden ökologischen Folgen.

Berichteten die alten Mitglieder der LPG, in Krackow am See oder hier in den Kleveschen Häusern, wie sie in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften gezwungen, wie aus Landwirten Landarbeiter wurden, welche Folgen die Massentierhaltung von zehntausenden Schweinen hatte, erzählten sie von Seuchen und Massensterben, wie sich Seen in Güllekloaken verwandelten, berichtete der spätere alternative Nobelpreisträger Professor Succow, wie die Idylle des Oderbruchs entwässert und nur noch nutzbare Riesen-Produktionsfläche war – keiner wäre ohne Strafe davongekommen. Die Zeitzeugen bleiben stumm. Müller bleiben nur die Romane Strittmatters, Gotsches, der anderen Staatsschreiber, die das freie Leben der Genossenschaftsbauern rühmen.

Katja hätte erzählen können, Katja, Robert Havemanns junge Frau, deren Vater an der zweiten Bodenreform zerbrochen ist, das eigene Land enteignet – nach dem Vorbild sowjetischer Kolchosen, zusammengelegt mit dem Besitz anderer Bauern, zur Massenfläche, mit dem Ziel den größtmöglichen Nutzen ohne Rücksicht auf die Natur, das Auspressen des Bodens. Der freie Bauer auf seiner Scholle – antiquiertes Denken. Die neue Zeitrechnung.

Und doch scheint dieser Ort nicht zeitgemäß. Die Kleveschen Häuser. Seit Jahrzehnten unverändert, unangetastet. Ein Telefon im Dorf – ein einziges Telefon. Das Telefon befindet sich im Büro des LPG-Vorsitzenden. Wer telefonieren möchte, muss zu ihm, einem freundlichen Mann, vierzig und ein paar Jahre dazu. Auslandsgespräche werden über eine Vermittlung angemeldet. Die BRD ist Ausland. Selbstverständlich wird alles registriert und abgehört. Später wird Müller Abschriften finden – Abschriften seiner Gespräche mit der „Beziehung“, aus denen Rückschlüsse über ihr „Verhältnis“ zu ziehen waren.

„Hallo, mein Schatz. Ich bin zurück.“ Zum Beispiel aus Gdansk oder Hamburg, wenn er nicht direkt von der Autobahn abfährt, der Weg über Neuruppin. In den Abhörprotokollen ihre Frage: „Hast du den passenden Kühlschrank gefunden?“ Er wird sich zu erinnern versuchen, ob er nach einem Kühlschrank gesucht und ihn gekauft hatte oder ob zwischen ihnen ein Codewort vereinbart worden war.

Müller weiß um seine Selbsttäuschung, begreift, wie sehr die Idylle täuscht, hinwegtäuscht über den so genannten „real existierenden Sozialismus“, der mit seiner propagandistischen Krake in die letzten Winkel vorgedrungen ist, der das Land ausbeutet, die Natur zerstört. Die Kleveschen Häuser sind kein unangetastetes Refugium. Ringsherum gibt es die großen Schläge der LPG, Seen, mit Gülle vergiftet, zerrüttete Straßen, verfallene Herrenhäuser und Schlösser. Der erste „Ständige Vertreter“ aus Bonn, Günter Gaus, hatte das fatale Wort von der „Nischengesellschaft“ erfunden und damit gemeint, die Bevölkerung der DDR schaffe sich ihre Freiräume durch den Rückzug ins Private. Das betulich kleinbürgerliche Leben in den Datschen oder in den kleinen Gemeinschaften von Kirchenleuten, die es nett miteinander fanden, unter ihnen der Gast aus dem Westen. Die Wortschöpfung suggerierte für die Westdeutschen, irgendwie ließe es sich doch angenehm leben, drüben, in der DDR, ärmlich, aber doch nicht ganz so schlimm.

„Du könntest hier leben!“

„Es wäre unmöglich.“

„Du bleibst.“

„Wie könnte ich bleiben?“

„Du kehrst zurück und beantragst die Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik.“

„Eine absurde Idee.“

„Eine Möglichkeit immerhin.“

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26 mayıs 2021
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