Kitabı oku: «Soziale Arbeit in der Behindertenhilfe», sayfa 3
Baumgartner (2004, 268) fasst die Menschenwürde deshalb wie folgt zusammen:
„Menschenwürde heißt nach christlichem Verständnis, dass jedem, der Menschenantlitz trägt, in jeder Phase seines individuellen Entwicklungsstands und unabhängig, von seinen Eigenschaften und Leistungen ein unbedingter Wert zukommt, der – negativ – jede instrumentalisierende Verrechnung verbietet. “
Daneben existiert spätestens seit Immanuel Kant eine philosophische Auffassung der menschlichen Würde durch das sogenannte Instrumentalisierungsverbot, das bei Kant wie folgt definiert wird:
„Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst. “
Diese, auch als praktischer Imperativ bekannt gewordene Definition von Menschenwürde, erweitert den kategorischen Imperativ, der besagt: „Handle stets so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zur allgemeinen Gesetzgebung reiche“ (Kant, zitiert nach Eisenmann 2006, 84).
2.4.1 IFSW-Kodex
Die Soziale Arbeit verfügt darüber hinaus über einen berufsspezifischen Kodex, der gemeinsam von der International Association of Schools of Social Work (IASSW) und der International Federation of Social Workers verfasst wurde und sich auch in der Definition Sozialer Arbeit durch die IFSW (2014) wiederfindet. Dort werden die Prinzipien der Menschenrechte und der sozialen Gerechtigkeit als Grundlage der Sozialen Arbeit festgehalten. Zudem bestimmt der Ethik-Kodex von 2012 die besondere Aufgabe der SozialarbeiterInnen darin, das Selbstbestimmungsrecht, die menschliche Vielfalt und das Recht auf Teilhabe („participation“) zu achten und zu befördern, die Menschen ganzheitlich zu betrachten, ihre Stärken zu identifizieren und zu fördern, für eine gerechte Ressourcenverteilung einzustehen und Diskriminierung entgegen zu wirken (IFSW 2012).
Im Einzelnen bedeutet dies für den Bereich der Menschenrechte bzw. Menschenwürde:
„1. Das Recht auf Selbstbestimmung achten: Sozialarbeiter/innen sollten das Recht der Menschen achten und fördern, eigene Entscheidungen zu treffen, ungeachtet ihrer Werte und sonstigen Lebensentscheidungen, vorausgesetzt, dass dadurch nicht die Rechte und legitimen Interessen eines anderen gefährdet werden.
2. Das Recht auf Beteiligung fördern: Sozialarbeiter/innen sollten die Teilhabe der Menschen, die ihre Dienste nutzen, fördern, sodass sie gestärkt werden können, in allen Aspekten von Entscheidungen und Handlungen, die ihr Leben betreffen, mitzubestimmen.
3. Jede Person ganzheitlich behandeln: Sozialarbeiter/innen sollten sich mit der Person als Ganzes innerhalb der Familie, der Gemeinschaft, sowie der sozialen und natürlichen Umwelt beschäftigen, und sollten darauf bedacht sein, alle Aspekte des Lebens einer Person wahrzunehmen.
4. Stärken erkennen und entwickeln: Sozialarbeiter/innen sollten den Schwerpunkt auf die Stärken des Einzelnen, der Gruppen und der Gemeinschaften richten um dadurch ihre Stärkung weiter zu fördern. “
Die Soziale Gerechtigkeit ist konkret wie folgt zu erreichen:
„1. Negativer Diskriminierung entgegentreten: Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, negativer Diskriminierung aufgrund von Merkmalen wie Fähigkeiten, Alter, Kultur, Geschlecht, Familienstand, sozioökonomischem Status, politischer Überzeugung, Hautfarbe, Rasse oder anderer körperlicher Gegebenheiten, sexueller Orientierung, oder spiritueller Überzeugung entgegenzutreten.
2. Verschiedenheit anerkennen: Sozialarbeiter / innen sollten die ethnischen und kulturellen Unterschiede von Gesellschaften in denen sie arbeiten anerkennen und respektieren und die Unterschiede von Einzelnen, Gruppen und Gemeinschaften beachten.
3. Gerechte Verteilung der Mittel: Sozialarbeiter/innen sollten sicherstellen, dass die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gerecht – gemäß den Bedürfnissen – verteilt werden.
4. Ungerechte Politische Entscheidungen und Praktiken zurückweisen: Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, ihre Arbeitgeber, Gesetzgeber, Politiker und die Allgemeinheit darauf aufmerksam zu machen, wo Mittel unzulänglich sind oder wo die Verteilung von Mitteln durch Verordnungen und Praxis unterdrückerisch, ungerecht oder schädlich ist.
5. Solidarisch arbeiten: Sozialarbeiter/innen haben die Pflicht, sozialen Bedingungen entgegenzutreten, die zu sozialem Ausschluss, Stigmatisierung oder Unterdrückung führen. Sie sollen auf eine einbeziehende Gesellschaft hinarbeiten. “
Diese ethischen Prinzipien, die darüber hinaus in nationale Konkretisierungen gefasst wurden (u. a. durch den Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit e. V. 2014), sollen der Sozialen Arbeit als Leitlinie für ein angemessenes ethisches Handeln dienen.
2.4.2 Menschenrechtsprofession
Die bereits in den Definitions- und Ethikdokumenten der IFSW und der IASSW enthaltenen Implikationen hinsichtlich einer besonderen Berücksichtigung der Menschenrechtsperspektive haben dazu geführt, dass bereits 1992 vom „Center of Human Rights“ der Vereinten Nationen, von der IFSW und von der IASSW die Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession ausgerufen wurde. Die auf Grundlage einer bedürfnistheoretischen Begründung erfolgende Verortung Sozialer Arbeit bestimmt daher ihren ethischen Auftrag in der Wahrung der Menschenrechte als der menschlichen Natur eigene Rechte, ohne die
„wir als menschliche Wesen nicht existieren können. Die Menschenrechte und die grundlegenden Freiheiten erlauben uns, unsere menschlichen Fähigkeiten, unsere Intelligenz, unsere Begabungen und unser moralisches Bewusstsein voll zu entwickeln und zu gebrauchen und unsere geistigen und sonstigen Bedürfnisse zu befriedigen. Sie gründen im zunehmenden Verlangen der Menschheit nach einem Leben, in dem die unveräußerliche Würde und der Wert jedes einzelnen Menschen Anerkennung und Schutz findet“ (Vereinte Nationen 1987, zitiert nach UN-Manual 2002, 5).
Seitdem wurde die Bestimmung Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession immer wieder diskutiert (Mührel/Birgmeier 2013). Insbesondere Silvia Staub-Bernasconi hat diesen Ansatz aufgenommen und in verschiedenen Publikationen (2016) expliziert. Dabei kommt deutlich zum Ausdruck, dass sich das damit verbundene normativ-ethische Grundverständnis mittels einer Gegenstandsbestimmung Sozialer Arbeit entlang von Bedürfniskategorien für das professionelle Handeln von SozialarbeiterInnen erschließen lässt (Kap. 4.2.2).
Innerhalb dieses Konzepts werden Menschen als wissens- und handlungsfähige Biosysteme erfasst, die durch biopsychosozial zu verstehende Bedürfnisse bestimmbar sind. Damit steht die Systemtheorie der Zürcher Schule in der Tradition früherer Überlegungen innerhalb der Sozialen Arbeit, von denen die Bedürfnistheorie Ilse Arlts die bekannteste sein dürfte. Arlt verstand Bedürfnisse ebenfalls als eine conditio humana und schuf für sie den Begriff „Gedeihenserfordernisse“, deren Befriedigung die notwendige Bedingung für ein Leben bedeutet, welches sich durch die Fähigkeit zu einem ‚schöpferischen Konsum‘ auszeichnet (Arlt 1958, 60, 74).
Wo diese Bedürfnisse, deren normative Ausformung in den Menschenrechten zu sehen ist, nicht befriedigt werden, entstehen soziale Probleme. Im Zuge der Anwendung der Formel „Soziale Arbeit als eine Menschenrechtsprofession“, von Staub-Bernasconi (2003), gewinnt Soziale Arbeit zusätzlich zum doppelten Mandat (Böhnisch/Lösch 1973) ein weiteres Mandat, das als eigenständiger, von der Gesellschaft und der Klientel unabhängiger Auftrag der Sozialen Arbeit aufgefasst wird (Tripelmandat). Diese Selbstmandatierung beruht im Wesentlichen auf der Verteidigung und Wahrung der Menschenrechte in den je spezifischen Handlungskontexten der Sozialen Arbeit und einer wissenschaftlichen Basis (Ife 2012).
Tab. 1: ausgewählte Artikel der Behindertenrechtskonvention im Überblick
Artikel | Überschrift |
9 | Zugänglichkeit |
10 | Recht auf Leben |
11 | Gefahrensituationen und humanitäre Notlagen |
12 | Gleiche Anerkennung vor dem Recht |
13 | Zugang zur Justiz |
14 | Freiheit und Sicherheit der Person |
15 | Freiheit von Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe |
16 | Freiheit von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch |
17 | Schutz der Unversehrtheit der Person |
18 | Freizügigkeit und Staatsangehörigkeit |
19 | Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft |
20 | Persönliche Mobilität |
21 | Recht der freien Meinungsäußerung, Meinungsfreiheit und Zugang zu Informationen |
22 | Achtung der Privatsphäre |
23 | Achtung der Wohnung und der Familie |
24 | Bildung |
25 | Gesundheit |
26 | Habilitation und Rehabilitation |
27 | Arbeit und Beschäftigung |
28 | Angemessener Lebensstandard und sozialer Schutz |
29 | Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben |
30 | Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport |
Zuletzt haben die Vereinten Nationen mit dem „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“, das 2006 von der Generalversammlung verabschiedet und von der Bundesrepublik Deutschland 2008 ratifiziert wurde, ein menschenrechtliches Dokument und Instrument in die Welt gesetzt, das den Menschenrechtsgedanken für die spezifischen Belange von Menschen mit Beeinträchtigungen durchdekliniert (Tab. 1). Es handelt sich nicht um ein Dokument „anderer Menschenrechte“, sondern nur um eine Spezifizierung. Sie nennt Menschenrechte in verschiedensten Lebensbereichen.
In der Präambel wird daher festgehalten, dass dies in der Überzeugung geschieht,
„dass ein umfassendes und in sich geschlossenes internationales Übereinkommen zur Förderung und zum Schutz der Rechte und der Würde von Menschen mit Behinderungen sowohl in den Entwicklungsländern als auch in den entwickelten Ländern einen maßgeblichen Beitrag zur Beseitigung der tiefgreifenden sozialen Benachteiligung von Menschen mit Behinderungen leisten und ihre Teilhabe am bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben auf der Grundlage der Chancengleichheit fördern wird“ (Deutscher Bundestag 2009).
Die Behindertenrechtskonvention hat u. a. zu einer neuen Legaldefinition von „Behinderung“ geführt (Kap. 3.1.4).
2.4.3 Soziale Gerechtigkeit
Wie bereits anhand der Betrachtung der Definition Sozialer Arbeit durch die IFSW deutlich wurde, fußt diese u. a. auch auf der Idee der sozialen Gerechtigkeit. Doch was ist gerecht und wer bestimmt darüber?
Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns der Gerechtigkeitstheorie als einer Abteilung der praktischen Philosophie zuwenden. Die amerikanische Ethikerin Martha Nussbaum beschreibt in ihrer Theorie des guten Lebens solch einen Gerechtigkeitsansatz. Nussbaum baut ihre Ethik auf der aristotelischen Philosophie des guten Lebens auf und gelangt damit zu einer Konzeption der Lebensführung, der Ähnlichkeiten zum Menschenrechtsdiskurs aufweist (Nussbaum 2010, 115 ff. und Röh 2013, 157). Neben der darin enthaltenen Bedürfnistheorie entfaltet sie einen „Fähigkeitenansatz“, der sich gleichzeitig als bildungsund sozialpolitisches Programm verstehen lässt. Dies geschieht bei Nussbaum in Abgrenzung zu anderen Gerechtigkeitsvorstellungen, wie etwa dem Utilitarismus oder auch der Theorie der Gerechtigkeit von John Rawls, der mithilfe eines hypothetischen Gedankenexperimentes zu beweisen versuchte, dass Ungleichheit in dem Maße erträglich sei, wie alle Mitglieder einer Gesellschaft dieser durch freie Wahl zustimmen würden, auch wenn sie für einige von ihnen Nachteile mit sich bringe. Aufgewogen sollten diese Nachteile laut Rawls (1975, 336; 2006, 78) durch zwei Bedingungen:
a) Die Prinzipien müssen unter der Einschränkung des gerechten Spargrundsatzes den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bieten, und
b) sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offenstehen.
Für Rawls stellte eine konstitutionelle „Ur-Gemeinschaft“, an der diejenigen beteiligt sind, die zu dieser Gemeinschaft gehören und die Merkmale „frei“ und „gleich“ aufweisen, eine Grundbedingung dar. In der Situation der „Ur-Wahl“ von Gerechtigkeitsprinzipien sollen sie jedoch hinter einem „Schleier des Nichtwissens“ quasi ihre jetzige soziale Position (inkl. ihrer eigenen körperlichen und geistigen Fähigkeiten) vergessen. Nussbaum bezieht hier eine andere Position als Rawls, wenn sie gerade denjenigen, die mehr brauchen (weil sie qua Natur oder gesellschaftlichem Status weniger mitbringen), auch mehr geben will. Explizit erwähnt sie hier körperlich oder geistig / psychisch beeinträchtigte Menschen (Nussbaum 2010, 138 ff.), die ein „Mehr“ oder ein „Anderes“ an Gütern benötigen, um das gleiche Maß an Teilhabe zu erreichen. Dieses „Mehr an Abhängigkeit“ hat etwa Hahn (1999) als wesentlich zur Beschreibung der Situation von Menschen mit Beeinträchtigungen bezeichnet.
Nach Nussbaum steht am Beginn der ethischen Reflexion daher auch nicht der „gleiche Mensch“, der sich ausgehend von gleichen Startbedingungen unterschiedlich entwickelt und damit auch Ungerechtigkeit bis zu einem gewissen Maß zulässt, sondern einer, dessen Fähigkeiten (im Sinne von Verwirklichungs- oder Teilhabechancen) sich erst durch jene günstige Umweltbedingungen entwickeln, die einerseits die Herausbildung individueller Fähigkeiten (Kompetenzen) fördern und andererseits deren Anwendung auch tatsächlich ermöglichen oder zumindest nicht verhindern. Das einfachste Beispiel wäre hier sicherlich ein Mensch, der aufgrund einer Bewegungseinschränkung auf einen Rollstuhl angewiesen ist: Er braucht einen solchen Rollstuhl, den er über sozialpolitische Programme finanziert bekommt, jemanden, der ihm bei der Beherrschung des Rollstuhls initial unterstützt und eine daran angepasste Umwelt ohne diskriminierende Einstellungen oder materielle Barrieren.
Interessanterweise kommt Nussbaum also zu dem Schluss, dass neben einer Güter-Theorie auch ein Fähigkeiten-Ansatz zu einem guten Leben führen kann. Fähigkeiten sind hier jedoch nicht als individuelle Kompetenzen zu verstehen, sondern vielmehr als Verwirklichungschancen, die vor allem Ziel politischer Bestrebungen nach mehr sozialer Gerechtigkeit sein sollten, wobei sie von einer „partiellen und minimalen Gerechtigkeit“ ausgeht, die sich u. a. in der Erreichung von Schwellenwerten zeigt: „Das gesellschaftliche Ziel sollte deshalb darin bestehen, die Bürgerinnen und Bürger über diesen Schwellenwert zu heben” (Nussbaum 2010, 105).
Um dies zu erreichen, bedarf es nach Nussbaum eines Gerechtigkeitskonzepts, das die Fähigkeiten des Einzelnen, Güter zu nutzen und soziale Positionen zu erreichen, mit der Aufgabe der Gesellschaft verknüpft, für Jede/n eine chancengerechte Erreichbarkeit zu gewährleisten. Nussbaum sieht die Aufgabe des Staates darin, eine ausreichende Güterausstattung und gleichzeitig die Förderung der Fähigkeiten eines jeden Einzelnen zu gewährleisten. Erreicht würde so im besten Fall die Möglichkeit aller Bürger, vorhandene, tatsächliche Chancen zu nutzen. Bezüglich dieses Doppelfokus ergeben sich für Menschen mit Beeinträchtigungen wichtige Impulse, wobei auch die Limitationen dieses Gerechtigkeitsansatzes betrachtet werden müssen.
Am besten versteht man dies, wenn man sich die verschiedenen Fähigkeitstypen einmal genauer anschaut. Dabei unterschied Nussbaum ursprünglich zwischen internen (I-), externen (E-) und (G-)rund-Fähigkeiten (Nussbaum 1999, 102 ff.), wobei diese Unterscheidung neuerdings von ihr aufgehoben wird (Nussbaum 2015, 26 ff.):
■ I-Fähigkeit wird wie folgt definiert: „Ein Mensch hat zum Zeitpunkt t dann und nur dann die I-Fähigkeit, die Tätigkeit A auszuüben, wenn dieser Mensch zum Zeitpunkt t so ausgestattet ist, dass er unter den geeigneten Umständen eine Handlung A wählen kann. “
■ Die I-Fähigkeit(en) sind für Nussbaum Resultat von Erziehung und insbesondere bedeuten sie die Fähigkeit zum Urteilen, d. h. bei Nussbaum: zum guten Wählen.
■ E-Fähigkeit bedeutet: „Ein Mensch hat zum Zeitpunkt t dann und nur dann die E-Fähigkeit, die Tätigkeit A auszuüben, wenn der Mensch zum Zeitpunkt t die E-Fähigkeit zu A hat und keine äußeren Umstände ihn daran hindern, A auszuüben. “
■ E-Fähigkeiten sind damit eher als günstige Umstände aufzufassen, unter denen die I-Fähigkeit entwickelt werden kann.
■ G-Fähigkeit heißt: „Ein Mensch besitzt die G-Fähigkeit, die Tätigkeit A auszuüben, dann und nur dann, wenn dieser Mensch eine individuelle Konstitution hat, die so beschaffen ist, dass er nach der angemessenen Ausbildung, dem angemessenen Zeitraum und anderen notwendigen instrumentellen Bedingungen die Tätigkeit A ausüben kann. “
Die G-Fähigkeiten stellen somit die natürliche Grundlage dar, auf der nach Nussbaum die I-Fähigkeiten unter Berücksichtigung der E-Fähigkeiten entwickelt werden können. Sprich, wenn jemand die G-Fähigkeit, also die grundsätzliche Entwicklungsfähigkeit zu I-Fähigkeiten nicht besitzt – wie etwa Menschen mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen –, wird diese Person von politischen Angeboten weiterhin nicht profitieren können, es sei denn sie bekommt eine Unterstützung, die die fehlende Grundfähigkeit und die daraufhin unterentwickelten internen Fähigkeiten kompensiert (Nussbaum 2010, 259). So sind viele der von Nussbaum aufgeführten Grundfähigkeiten nur eingeschränkt für Menschen mit schweren geistigen Beeinträchtigungen zu entwickeln bzw. die auf der Ebene von Schwellenwerten vorhandenen Fähigkeiten nicht nutzbar. Neben dieser doch recht kleinen Gruppe von Menschen mit schweren kognitiven Beeinträchtigungen wird der weitaus größere Teil der geistig, körperlich und psychisch Beeinträchtigten von einem solchen Gerechtigkeitsverständnis profitieren. Denn mithilfe einer derart konzipierten Bildungsund Sozialpolitik können teilhabefördernde Umwelten geschaffen und Menschen mit Unterstützungs- und Assistenzprogrammen zur Teilhabe „befähigt werden“ oder besser: dazu in die Lage versetzt werden zu entscheiden, ob, woran und in welchem Ausmaß sie teilhaben wollen.
Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass der Theorie Nussbaums eine problematische semantische und evtl. auch praktische Annahme innewohnt. Ein semantisches und damit auch moralisches Problem kann in der, allerdings abwägenden, Formulierung gesehen werden, dass das von ihr als Beispiel für eine schwere geistige Beeinträchtigung genannte Mädchen „Sesha einer ganz anderen Lebensform angehört“ (Nussbaum 2010, 260). Etwas später bezieht sie auch andere Formen der geistigen Beeinträchtigungen ein, nämlich Anenzephalie oder Wachkoma, die aber aus medizinischer Sicht nicht vergleichbar sind. Schlussendlich kommt Nussbaum (2010, 261) zwar zum Ergebnis, dass Seshas Leben als menschliches Leben gesehen werden sollte und verteidigt die „Spezieszugehörigkeit“ damit, dass diese von moralischer und politischer Bedeutung ist (Nussbaum 2010, 493), jedoch kann kritisiert werden, dass sie ihre begrüßenswerte Position, Menschen mit Beeinträchtigungen mehr soziale Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, mit dieser Formulierung schwächt. Meines Erachtens zieht Nussbaum zudem die Grenzen der Gerechtigkeit für Menschen mit Beeinträchtigungen zu eng, was jedoch eher an ihrem fehlenden oder mangelhaften Wissen über die Ausprägung und Entwicklung von Fähigkeiten von Menschen mit Beeinträchtigungen liegt. Gleichwohl sind die von ihr dargestellten Beispiele dreier Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen (Jamie, Sesha und Arthur) insofern instruktiv als sie die Grenzen der Gerechtigkeit verdeutlichen und zwar sowohl jene ihres eigenen als auch objektiven Verständnisses dieser Grenzen (Nussbaum 2010).
Übungen zu Kap. 2.4
9. Verständnisfrage: Weshalb kann man Soziale Arbeit als eine Menschenrechtsprofession bezeichnen?
10. Verständnisfrage: Wie versteht Nussbaum soziale Gerechtigkeit und wie kann diese ihrer Ansicht nach erreicht werden?
11. Diskussions-/ Reflexionsfrage: Warum verspricht der Ansatz von Nussbaum für Menschen mit Beeinträchtigungen mehr Gerechtigkeit als der von Rawls?
2.5 Methodisches Handeln
Neben ethischen braucht die Soziale Arbeit auch methodische Grundlagen zur Ausübung ihrer professionellen Rolle. Daher werden in diesem Abschnitt allgemeine handlungstheoretische Begründungen skizziert und dafür plädiert, nur methodisch geleitetes Handeln als professionelles sozialarbeiterisch-sozialpädagogisches Handeln zu bezeichnen.
Soziale Arbeit als berufliches Handeln, im Sinne sozialprofessionellen, erlernten Handelns, besteht seit ca. 120 Jahren in Deutschland im Anschluss an die frühe Tradition der Ausbildung verschiedenster fürsorglicher und pädagogischer Berufe (Kindergärtnerinnen durch F. Froebel, Heimbetreuern durch J. H. Wichern und der Fürsorgerinnen durch A. Salomon) und kann daher auf eine beachtliche Berufstradition zurückgreifen. Diese wurde allerdings durch den Nationalsozialismus ebenso wie durch die verschiedenen, z. T. gegensätzlichen methodischen Ausrichtungen der Nachkriegszeit in ihrer weiteren Entwicklung hin zu einer Profession erheblich verlangsamt. Ebenso war die disziplinäre, wissenschaftliche Entwicklung durch die unterschiedlichen Ausbildungsniveaus der universitären Sozialpädagogik und der zunächst auf höherem Fachschulniveau, dann seit den 1970er Jahren auf Fachhochschulniveau stattfindenden Ausbildung von Sozialarbeiter-Innen und SozialpädagogInnen in ihrer vollen Entfaltung behindert. Erst die seit Mitte der 1990er Jahre erfolgenden Bemühungen um die Etablierung und Entwicklung einer Sozialarbeitswissenschaft haben zu einer immer klareren Konturierung eines Professionalisierungs- und Verwissenschaftlichungsprozesses beigetragen, sodass heute durchaus von der Sozialen Arbeit als einer Wissenschaft und von Sozialarbeiter-Innen und SozialpädagogInnen als wissenschaftlich ausgebildeten PraktikerInnen (Lüders 1989) gesprochen werden kann.
Heute kann man folgende Formaldefinitionen Sozialer Arbeit vornehmen, wobei die jeweiligen inhaltlichen Gegenstands- und Funktionsdefinitionen je nach Theorie (Kap. 4.2) variieren:
■ Soziale Arbeit ist als Profession die wissenschaftlich gesicherte, methodisch geleitete, ethisch sensible und damit professionelle Praxis des/der […Gegenstands- und Funktionsdefinition]
■ Soziale Arbeit ist als Wissenschaft die Lehre und Erforschung der historischen, theoretischen, methodischen und ethischen Grundlagen der/des […Gegenstands- und Funktionsdefinition]
Zudem ist seit den 1990er Jahren der durch neue Steuerungsmodelle, Ökonomisierung und neue Fachlichkeit ausgelöste Druck auf die Soziale Arbeit, ihre Wirkung (Effizienz, Effektivität) und Handlungsweise (Konzepte, Methoden) unter Beweis zu stellen (Sommerfeld/Hüttemann 2007; Albus et al. 2011; Borrmann / Thiessen 2016), zwar ebenfalls in Richtung einer Professionalisierung wirksam, jedoch auf seine tatsächlich förderlichen Aspekte weiterhin kritisch zu betrachten.
Der von einzelnen Vertretern verfolgten These, Soziale Arbeit sei nicht in der Lage, eine eigenständige Profession zu werden (Schütze 1992; Bommes / Scherr 2000; Baecker 2000), sondern allerhöchstens fähig, professionell zu handeln, sei hier weiter keine Aufmerksamkeit geschenkt (zur Gegenthese siehe Merten 2000; Staub-Bernasconi 2007).
Grundsätzlich ist der von Heiner (2004a, 15 f.; 2010, 160 ff.) eingeführten Unterscheidung strukturbezogener und kompetenzbezogener Modelle zu folgen, da diese die Professionalisierung unabhängig von den klassischen Merkmalen alter Professionen charakterisiert. Klassische Merkmale wie abgegrenzte Kompetenzdomäne, weitgehende Autonomie und autonome Entscheidungsräume sind zwar noch nicht oder nur in Teilen umgesetzt, jedoch sind auch bereits die strukturbezogenen Professionsmerkmale für die Soziale Arbeit zu verzeichnen: akademische Ausbildung, Betreuung mit Aufgaben grundlegender Bedeutung, kodifizierter beruflicher Ethos und spezielle Expertise.
Als Teil dieser speziellen Expertise kann das methodische Handeln gelten. Es soll deshalb an dieser Stelle in seinen Grundzügen erläutert werden. Die einzelnen methodischen Konzepte einer professionellen Sozialen Arbeit werden später in Kapitel 4.3 bezogen auf das Handlungsfeld der Behindertenhilfe erläutert. Hier sind lediglich einige methodologische bzw. handlungstheoretische Erörterungen im Nachvollzug der aktuellen Literatur angebracht.
Als Grundlage ihrer Handlungstheorie stellt Staub-Bernasconi das systemtheoretische Paradigma der Sozialen Arbeit theoretisch begründet dar und leitet daraus konkrete Handlungspfade im Sinne eines „transformativen Dreischritts“ (Staub-Bernasconi 2007, 252 ff.) ab (Kap. 4.2.2).
Von Spiegel versteht methodisches Handeln etwas anders:
„Methodisches Handeln bedeutet in diesem Sinne, die spezifischen Aufgaben und Probleme der Sozialen Arbeit situativ und eklektisch wie auch strukturiert und kriteriengeleitet zu bearbeiten, wobei man sich an Charakteristika des beruflichen Handlungsfeldes sowie an der wissenschaftlichen Arbeitsweise orientieren sollte“ (von Spiegel 2013, 104).
Von Spiegel beschreibt hier ein allgemeines Methodenkonzept der Sozialen Arbeit, welches sich explizit als Rahmenmodell versteht, dabei weniger konkrete Methoden, als vielmehr Analyse- und Planungs-Raster zur Verfügung stellt. Dieses folgt einer von ihr beschriebenen Abfolge von Handlungen, die jedes methodische Handeln (an-) leiten: Analyse der Rahmenbedingungen, Situations- und Problemanalyse, Zielentwicklung, Planung und Evaluation. Sie werden ergänzt durch „Planungstypen“ (Situationsgestaltung, Hilfeplanung, Konzeptionsentwicklung, Projektplanung und Selbstevaluation) (von Spiegel 2013, 105 f.) und können mit einem Werkzeugkasten kombiniert werden (von Spiegel 2013, 139 ff.).
Heiner (2004a) entwickelte auf der Basis einer empirischen Untersuchung bei Fachkräften aus diversen Praxisfeldern der Sozialen Arbeit ein handlungstheoretisches Modell mit den Merkmalen: Auftrag, Handlungstypus, Tätigkeitsfeld, Aufgabenspektrum und Interventionsformen.
Sie beschreibt den Auftrag der Sozialen Arbeit darin, „zwischen Individuum und Gesellschaft, System und Lebenswelt zu vermitteln“, wobei die intermediäre Funktion der Sozialen Arbeit sich im Handeln innerhalb eines Spannungsgefüges von „gesellschaftlichen Anforderungen und individuellen Bedürfnissen bzw. Fähigkeiten“ zeigt und die besondere Kompetenz im „Austarieren von Selbstbestimmung und Fremdbestimmung, Hilfe und Kontrolle, Disziplinierung und Akzeptanz, Hilfegewährung und Hilfeverweigerung“ besteht (Heiner 2004a, 155). Als Handlungstypus finden wir bei ihr die „Verschränkung von strategischem und verständigungsorientiertem Handeln“, dieser Handlungstypus findet Anwendung in den verschiedensten Handlungsfeldern.
Interessant ist, dass Heiner (2004a, 157) dabei nicht die typische Doppelmandatierung benennt, sondern eine „trifokale“ Perspektive vorschlägt: Soziale Arbeit ist „(1) die fallbezogene Unterstützung der Klienten zur Optimierung ihrer Lebensweise, (2) die fallbezogene Veränderung ihrer Lebensbedingungen und (3) die fallunabhängige und fallübergreifende Optimierung der sozialen Infrastruktur“. Sie entwirft damit ein Modell, welches die sozialpolitische Nachrangigkeit des Berufes, also seine Stellung als Zweitsicherung, dadurch kompensiert, dass neben der fallabhängigen auf das Verhalten der Individuen einwirkenden Kraft gleichzeitig ein die Verhältnisse, in denen die Individuen leben, veränderndes Potenzial gesehen wird.
Schließlich sei der Vollständigkeit halber mit Geißler / Hege (2001, 24) darauf hingewiesen, dass Methoden ein „konstitutiver Teilaspekt von Konzepten“ sind und Verfahren (oder Techniken) wiederum „Einzelelemente von Methoden“). Zum Konzept eines sozialraumorientierten Handelns in der Behindertenhilfe gehört beispielsweise die Methode der Sozialraumanalyse und zu dieser wiederum beispielsweise die Sozialraumbegehung als Technik (Kap. 4.3.8).
Übungen zu Kap. 2.5
12. Verständnisfrage: Wie definiert von Spiegel „methodisches Handeln“?
13. Diskussions-/ Reflexionsfrage: Warum ist das methodische Handeln konstitutiv für die Soziale Arbeit als Profession?