Kitabı oku: «Marseille.73», sayfa 2
Dienstag, 21. August
Daquin durchstreift die Gegend um das Vereinslokal der UFRA Marseille, ohne dabei viel zu gewinnen. Das Lokal mit Fensterfront zur Straße besteht aus einem Warteraum und einem Büro. Eine sehr hübsche junge Frau empfängt und berät die wenigen Personen, die kommen, es ist nicht viel los, offenbar macht sie den Bürodienst allein. Um interessante Informationen zu finden, müsste ich wissen, wonach ich suche. Ich komme wieder, wenn es so weit ist.
Grimbert hat sein Gespräch mit dem Dicken Marcel akribisch vorbereitet. Improvisation kommt nicht infrage. Um die Nachforschungen anzustellen, die ihm vorschweben, braucht er des Dicken stillschweigende Zustimmung, und das ist nicht einfach. Der Dicke Marcel hat keine klar definierte Führungsverantwortung, er begnügt sich mit dem Dienstgrad eines Brigadier-Chef mit unbestimmten Funktionen. Er taucht in keinem Organigramm auf, aber im Alltag der Police Urbaine geht nichts an ihm vorbei. Denn der Dicke Marcel kennt ihn weit besser als die amtierende Chefetage. Jeder redet mit ihm über seine Abteilung, seine Arbeit, seine Probleme, sein Leben. Quasioffiziell ruft er seine »Räte« zusammen, bedächtige Leute, womöglich etwas ausgelaugt, also ohne persönliche Ambition, die aus unterschiedlichen Abteilungen kommen und vor allem einer der mächtigen Einflussgruppen angehören, die sich in der Polizei organisiert haben – die Gewerkschaft Force Ouvrière, die Freimaurer, der SAC, die Vereine der Pieds-Noirs … –, und das Vertrauen ihrer Berufskollegen genießen. Er gibt ihnen an Informationen weiter, was zu diskutieren er für zweckdienlich hält, und gemeinsam versuchen sie polizeiinterne Konflikte zu entschärfen, für einen friedlichen Ablauf des Alltags zu sorgen. Ihre Analysen und Vorschläge werden von Marcel an die offiziellen Führungskräfte weitergeleitet, die sie meist aufgreifen und finden, dass sie gut damit fahren. Der Dicke Marcel arbeitet seit fünfzehn Jahren so, und im Großen und Ganzen hat die Marseiller Polizei auf diese Weise einiges überlebt: die Machtergreifung de Gaulles, die viel von einem Staatsstreich hatte; die Schaffung des schlagkräftigen Ordnungsdiensts SAC durch die gaullistische Staatsmacht, der wenig pingelig in seinen Methoden war und die offizielle Polizei unterwanderte; die Aufgabe Algeriens 1962, gefolgt von Attentaten und dem von der OAS geführten Minibürgerkrieg; der Massenzuzug von hunderttausend Repatriierten in der Stadt, darunter viele Polizisten aus der ehemaligen Kolonie, die auf direktem Weg in die Polizei des Mutterlands integriert wurden. Die jüngsten Erschütterungen: Im Mai 1968 beantwortet die gaullistische Staatsmacht die Proteste der Studenten und Arbeiter mit der Amnestierung aller Strafgefangenen der OAS, wahrscheinlich um Verbündete gegen »die linken Chaoten« zu gewinnen, die Gefängnisse leeren sich, viele der Begnadigten, und nicht die geringsten, lassen sich in der Region Marseille nieder. Epidemie von Überfällen, Tiefschläge und Einflusskämpfe innerhalb der Polizei, neue Probleme … Dann, 1969, ist de Gaulle weg, und jetzt wissen alle, dass an der Regierung in Paris Politiker beteiligt sind, die mit Französisch-Algerien und der OAS sympathisieren. Daraufhin leben in Marseille die Spannungen zwischen den korsischen Altmeistern und den Pied-Noir-Herausforderern, die ihre Stunde für gekommen halten, auf allen Ebenen des Polizeiapparats wieder auf. Und der Dicke Marcel ist sich der Gefahren, die ihn umgeben, sehr wohl bewusst. Deshalb nicht unfroh, über »all das« mit Grimbert zu reden, einem Burschen, den er ganz jung als Schutzpolizist in die Polizei hat eintreten und dann recht schnell aufsteigen sehen. Er hatte ihn schon früh bemerkt und erwogen, ihn zu einem seiner »Räte« zu machen, vielleicht sogar einem Vertrauten. Aber Grimbert hat ihn enttäuscht, als er das interne Auswahlverfahren zum Inspecteur durchlief und zur Kriminalpolizei wechselte. Die Kriminalpolizei, das sind Intelligenzler, keine Bullen. Trotzdem hat Marcel sich eine gewisse Zuneigung für ihn bewahrt, wie für einen brillanten Sohn, der immer nur macht, was er will.
Bei Étienne zwängen sich Grimbert und der Dicke Marcel an einen kleinen Tisch. Marcel wendet dem Raum den Rücken zu, was bedeutet: Nicht stören. Supion für den einen, Fleischbällchen für den anderen, zwei Bier. Kein Vorgeplänkel, die Zeit läuft, Grimbert kommt sofort zum Kern der Sache.
»Mein Team hat von der Kriminalpolizei Toulon einen Wink bekommen, die Kollegen stellen im Umfeld der UFRA die Zunahme von Gewalttaten fest, immer häufiger bewaffnet. Sie fürchten, es könnte sich um eine Art Testlauf für den Aufbau einer gut strukturierten Untergrundorganisation mit terroristischen Aktivitäten handeln. Sie fragen, wie es bei uns aussieht, hier in Marseille und insbesondere bei der Marseiller Polizei.«
»Warum sprichst du mich darauf an? Bildest du dir ein, ich weiß es und verrate es dir?«
»Nein. Aber ich glaube, dass auch du dir Sorgen machst, Marcel. Hinter dieser Art Organisation steckt ein Machtkampf, es geht um die Macht innerhalb der Polizei, deine Macht. Wenn Polizisten sich systematisch an einem mehr oder weniger geheimen Netzwerk außerhalb deiner Kontrolle beteiligen, wirst du irgendwann abserviert, und das weißt du.«
Marcel schweigt, Grimbert sieht ihm beim Denken zu. Dann entschließt er sich zum Reden.
»Was hast du bei der Kriminalpolizei verloren? Du fehlst mir, Grimbert. Was willst du?«
»Ich informiere dich, dass ich herumzuschnüffeln gedenke. Du weißt es und behinderst mich nicht.«
»Und du hältst mich auf dem Laufenden, Schritt für Schritt.«
Grimbert nickt und lächelt.
»Étienne, zwei Espresso.«
Sobald er Marcel verlassen hat, ruft Grimbert seine Frau an.
»Es wäre eine gute Idee, deine Freundin Françoise heute oder morgen zum Abendessen einzuladen, sie hat Ferien, es sollte klappen.«
Mélanie Grimbert ist eine blühende Frau. Sie ist Lehrerin, sie liebt ihren Beruf, sie liebt die zwei hübschen Bengel, die sie mit Grimbert fabriziert hat, sie liebt Grimbert selbst, ein zuverlässiger Mann und mit seiner Arbeit hinreichend ausgelastet, um ihr in der Familie die Schlüsselhoheit zu überlassen. Das ist es durchaus wert, ihm hin und wieder unter die Arme zu greifen, so wie heute Abend. Sie hat die Jungs zum Abendessen und Übernachten zu Freunden geschickt und Françoise eingeladen, ihre Freundin aus Kindertagen, die in der Verwaltung der Marseiller Polizeipräfektur arbeitet und in den Sechzigerjahren damit beauftragt war, die Eingliederung der aus Algerien heimgekehrten Pied-Noir-Polizisten in den Polizeiapparat des Mutterlands zu beaufsichtigen.
Die zwei Frauen schwätzen bei einem Weißwein-Apéritif, Françoise, eine hübsche kraushaarige Brünette im Blümchenkleid, lässt sich mit einem Lächeln auf den Lippen ungeniert die Knabbereien schmecken, Grimbert, im Sofa versunken, Aufmerksamkeit in der Schwebe, gönnt sich einen Whisky.
Man setzt sich zu Tisch. Mélanie bringt eine Daube à la niçoise, der Rinderschmortopf ist ihre Spezialität, und füllt die Teller. Erste Bissen in anerkennendem Schweigen. Dann beginnt Mélanie, die die Szene am Nachmittag mit Grimbert geprobt hat, über ihre Schüler zu sprechen, es läuft recht gut dieses Jahr, aber mit gewissen Eltern haben die Lehrkräfte ihre Schwierigkeiten.
»Funktionäre von Repatriiertenvereinen haben in der Elternvertretung das Ruder übernommen und machen uns mit allem möglichen Blödsinn das Leben schwer, ohne dass wir dahinterkommen, was sie wirklich wollen.« Grimbert hat sich in den aktiven Ruhemodus versetzt. Nicht nötig, Druck zu machen. Françoise wird anbeißen, das weiß er, sie liebt die Erinnerung an jene Jahre. »Sie lassen all ihren echten oder eingebildeten Frust an uns aus, das ist anstrengend.«
»Wir hatten damals auch einige Probleme, weißt du. Wir sind zunächst dem Grundsatz gefolgt, die eingegliederten Polizisten auf alle Abteilungen zu verteilen, um zu verhindern, dass sich homogene Zellen bilden. Aber viele von ihnen haben versucht, über die Schiene Versetzung-Beförderung zueinanderzukommen, zusammen fühlten sie sich wohler, und da gab es manchmal Ärger.«
Grimbert ist jetzt hellwach, Françoise lächelt ihm zu.
»Hast du die Geschichte neulich mitbekommen von diesen zwanzig Pied-Noir-Bullen in Nizza, die die Kontrolle über ein Funkstreifenteam übernommen hatten? Sie verständigten sich auf Arabisch oder Spanisch und klauten aus den Haushalten, zu denen sie gerufen wurden, alles, was nicht niet- und nagelfest war.«
»Ja, gerüchtehalber. In Marseille hat es so was noch nie gegeben.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Ich habe von einer Untersuchung gehört, die im Dezernat Interne Ermittlungen heißläuft …«
Grimbert merkt sich das. Tauschobjekt im Handel mit Marcel?
»Wir hatten in meiner Abteilung mehrere Hinweise bekommen, es gab viel Ärger mit einer Gruppe von Pieds-Noirs im Kommissariat des 15. Arrondissements, das war nach meinem Ausscheiden, ich habe nie erfahren, worum es genau ging.«
Grimbert zuckt nicht mit der Wimper, maximale Alarmbereitschaft. »Da muss ich schon bei der Kriminalpolizei gewesen sein, ich habe auch nie was darüber gehört.«
Dann wendet sich das Gespräch Françoise’ Tochter zu, die so alt ist wie Mélanies Söhne, unerschöpfliches Thema. Grimbert wartet geduldig, dass Françoise auf den Punkt zurückkommt, der ihn interessiert, was sie auch tut, als die Pflaumentarte auf den Tisch kommt.
»Weißt du, Mélanie, man darf nicht alles so schwarzsehen. Eure Scherereien werden sich langfristig erledigen. Ich hatte in meiner Abteilung ein paar echte Erfolge. Man muss den richtigen Hebel finden. Ich hatte einen Schutzpolizisten, der aus Algier kam. Dort hat er ehrenamtlich einen Sportverein für Kollegen geleitet. Nach dem, was er erzählte, hat er sich voll eingebracht, er kannte viele Leute, hatte viele Freunde. Hier war er plötzlich allein, verunsichert, mit Alkohol- und Gewaltproblemen, er hat sogar angefangen, seine Frau zu verprügeln, und um ein Haar wäre er aus dem Dienst entlassen worden. Ich habe mich um ihn gekümmert. Ich fand einen Schießclub, der der Stadt gehörte und aufgegeben worden war. Ich habe ihm vorgeschlagen, dass er ehrenamtlich die Leitung übernimmt. Er war einverstanden, hat den Club neu aufgebaut, ein spektakulärer Erfolg. Jeden Sonntag hat er für seine Freunde ein Abendessen ausgerichtet. Vor meinem Ausscheiden hat er mich zweimal dazu eingeladen. Es war sehr nett. Um die zwanzig Kumpel, Musik, seine Frau und seine Tochter kochten für die ganze Mannschaft Riesengerichte vom Typ Couscous. Genau wie drüben, sagten sie. Es wurde reichlich geredet und getrunken, alles nostalgische Anhänger von Französisch-Algerien, klar, aber diese Momente der Geselligkeit und des Unter-sich-Seins machten sie glücklich. Für meinen Kandidaten war das der Hebel. Er hat sich in sein berufliches Umfeld gut integriert. Man muss dazusagen, dass seine Frau ihm sehr geholfen hat. Sie ist Katholikin und eine fleißige Kirchgängerin, mit der dazugehörigen Opferbereitschaft. Inzwischen ist er Brigadier.«
Pied-Noir, Brigadier … Picon, der Mann, dem er ein-, zweimal begegnet ist, als er noch bei den Uniformierten war, und von dem er später im Zusammenhang mit Marcels Entourage gehört hat?
»Sprichst du von Brigadier Picon?«
»Ja. Kennst du ihn?«
»Nein, bin ihm im Évêché über den Weg gelaufen, mehr nicht.«
Eine Problemgruppe von Pieds-Noirs im 15. Arrondissement, Picon und sein Schießsportverein als möglicher Sammelpunkt, ich habe meinen Abend nicht vergeudet. Danke, Mélanie.
Mittwoch, 22. August
Ausgestattet mit der Erlaubnis vom Dicken Marcel, unverzichtbar beim Navigieren im Polizeiapparat, geht Grimbert zur Personalabteilung. Die Freundin seiner Frau hat ihn einer Kollegin empfohlen, er wird freundlich empfangen und so diskret wie möglich in einer Regalecke untergebracht. Er vertieft sich ins Personalregister vom Kommissariat des 15. Arrondissements seit 1961, erstellt eine Liste der Neuzugänge durch Versetzung ab 1962, findet die Namen von vier Polizisten, die 1964 etwa zur gleichen Zeit eintreffen. Fabiani, Solal, Girard, Picon. Er holt sich von jedem Einzelnen die Personalakte. Alle vier sind 1962 repatriierte Schutzpolizisten, drei unterschiedlichen Kommissariaten zugewiesen, gleich 1963 beantragen sie ihre Versetzung ins 15. Arrondissement. Warum gerade das 15.? Freie Stellen? Vielleicht. Er macht weiter. Fabiani kommt 1965 zur Sûreté, durchläuft 1969 das interne Auswahlverfahren zum Inspecteur und wird zur Kriminalabteilung der Sûreté versetzt, wo er immer noch arbeitet. Picon wird 1966 zum Sous-Brigadier befördert, Girard und Solal 1969. Zu diesem Zeitpunkt wird Picon zum Brigadier befördert und dem Zentralkommissariat im Évêché zugewiesen. Grimbert sieht darin die Handschrift des Dicken Marcel. Dann, 1970, wird Girard vom Polizeidienst ausgeschlossen. Keinerlei Information zu den Gründen für diese Sanktion. Der Ärger, den Françoise erwähnt hat? 1970, das ist nicht so lange her, Grimbert durchforstet sein Gedächtnis. 1969–70, die Riesenaffäre um die Raubüberfälle der Susini-Bande. Susini, Nummer zwei der OAS, im Exil, 1968 begnadigt, Aufenthalte in Marseille, Pied-Noir, die Überfälle. Könnte der Ausschluss von Girard mit einer Komplizenschaft mit der Susini-Bande zusammenhängen? Die Geschichte ist noch virulent, da der Prozess nächsten Januar stattfindet. Ich wage einen Versuch, habe nichts zu verlieren.
Zurück zur Kriminalpolizei, um Benoit und Varin zu befragen, die mit der Vorbereitung des Prozesses betraut sind. Gleich nach seinen ersten Sätzen unterbrechen die beiden Männer Grimbert.
»Ultraheikle Geschichte. Die Susini-Bande besteht aus acht Leuten, alles harte Hunde, darunter ein paar Mörder der OAS, keine Spaßvögel, und auf ihr Konto gehen neun fette Überfälle. Die Commissaires, die die Ermittlung geleitet und unter deren Befehl wir gearbeitet haben, bekamen Todesdrohungen und wurden auf eigenen Wunsch versetzt. Das ist der Grund, warum der Prozess so schwer zu organisieren ist. Es gibt echte Sicherheitsprobleme. Diese Geschichte ist eine Bombe. Darum haben wir keine Lust, darüber zu reden.«
»Ich interessiere mich für Girard, nicht für Susini, und ihr kennt mich, ich habe mich noch nie unfreiwillig verquatscht.«
Benoit entschließt sich. »Bei ihrem größten Überfall, dem auf die Banque nationale de Paris im Belle-de-Mai-Viertel, war die ganze Bande als Polizisten verkleidet, was ihr die Arbeit erheblich erleichtert hat. Uniformen, die ein bisschen zu neu waren, picobello. Wer hat sie ihnen geliefert? Ein Kleinganove hat spontan Girard bezichtigt, wir haben seine Spur mehrere Monate lang verfolgt, und wir haben es geschafft, die ganze Bande zu schnappen. Girard ist im Knast, in Sicherheit, und sein Prozess wurde von dem gegen die Bankräuber abgekoppelt, damit er diskret ablaufen kann. Bis zu seinem Prozess hältst du die Klappe, Grimbert, hermetisch.«
»Ich halt die Klappe.«
Girard also, vom Kommissariat des 15. Arrondissements, aufs Engste verstrickt mit den echten Schwergewichten der OAS. Keine Ahnung, ob Marcel davon weiß. Ich werde ihn nicht darauf ansprechen. Nicht jetzt, meine gute Beziehung zu Benoit und Varin erhalten. Stellt Girard im 15. einen Einzelfall dar oder ist die ganze Mannschaft auf der gleichen Wellenlänge? Die Sache wird tatsächlich interessant.
Donnerstag, 23. August
Das Team Daquin zieht Bilanz in Sachen UFRA-Ermittlung. Grimbert hat zwei ernst zu nehmende Fährten, die man verfolgen kann.
»Das Kommissariat des 15. Arrondissements ist möglicherweise mit der Susini-Bande verquickt …«
Das macht Eindruck auf Daquin und Delmas. Man hat es mit der Spitzenklasse zu tun.
»Eine andere Fährte: Brigadier Picon, dem ich mal begegnet bin. Ich war noch bei den Uniformierten, als er 1962 kam. Er ist kein guter Bulle, nicht zuverlässig, nicht sorgfältig, nicht geduldig. Aber er verfügt über eine Form von Schläue und ein Gespür für Kontakte, was ihm erlaubt hat, Karriere zu machen. Er gehört zum engen Kreis vom Dicken Marcel, der ihn als Brücke zu den Pieds-Noirs braucht.«
»Und wie wird der Dicke Marcel reagieren?«
»Keine Sorge. Ich war bei ihm. Ich habe meinen Passierschein.«
»Jetzt Sie, Delmas.«
»Ich habe mich für Asensio interessiert, den UFRA-Verantwortlichen für das Departement Bouches-du-Rhône. Sagen wir, ein Werdegang wie aus dem Bilderbuch. Er hatte eine schöne Weinhandelsfirma in Oran, verheiratet, kinderlos. Seine Frau stirbt 1960. 1961 kommt er mit der ersten Heimkehrerwelle nach Marseille. Da ist er fünfundvierzig und hat alles verloren, als er Algerien verließ, aber er geht vor der großen Welle und lässt sich in Marseille nieder. Weniger als ein Jahr später: Geniestreich, er tut sich mit einem Korsen zusammen – ungewöhnlich für einen Pied-Noir –, um eine Peugeot-Konzession zu erwerben. Umso ungewöhnlicher, als sein Partner, Battiste Paolini, ein Vertrauter von Charles Pasqua ist, diesem Gaullisten der ersten Stunde und Mitgründer des SAC, des gaullistischen Ordnungsdiensts. Der führte damals einen geheimen und brutalen Krieg gegen de Gaulles Gegner, zu deren erbittertsten die Männer der OAS gehören, die wiederum eng mit dem Pied-Noir-Milieu verflochten sind. Paolini wird sehr schnell eine wichtige Figur im SAC. Ich habe in der Presse Artikel und Fotos gefunden. Als guter Korse erweist er den Guérini-Brüdern einige Dienste, den Bossen der Marseiller Unterwelt, was leichte Spuren in seinem Strafregister hinterlässt. Unterdessen baut Asensio seine Beziehungen zu den Pied-Noir-Verbänden aus und freundet sich mit Alvarez an, dem Gründer der UFRA. Ich war in der Handelskammer, wo ich ein Dokument gefunden habe, das ein Loblied auf die Peugeot-Konzession singt und uns außerdem ein paar Orientierungspunkte gibt. Die Firma wächst, diversifiziert sich. 1965, als Pasqua Marseille verlässt, um nach Paris ›aufzusteigen‹, reist Paolini nach Abidjan, um dort eine Verkaufsniederlassung für Peugeot-Neu- und Gebrauchtwagen aufzumachen. Zwei Jahre später gründet er eine Tochterfirma in Marseille, die Luxusautos mit Chauffeur-Leibwächter vermietet und sechs oder sieben Wagen besitzt. Die Kundschaft besteht aus durchreisenden Milliardären, die in der Region und bis in die Umgebung von Nizza unterwegs sind. Das Geschäft scheint zu brummen.
Um auf Asensio selbst zurückzukommen, so hat er keine Geldsorgen. Er bewohnt ein Appartement in einem Gebäude der UFRA, das hat er gekauft, als der Verein sich im selben Haus eingerichtet hat. Die Sekretärin, Nadia Mokhrani, wohnt ebenfalls dort. Ich frage mich, ob nicht ein Finanzschwindel dahintersteckt …«
Daquin unterbricht ihn. »Oder etwas anderes. Nadia Mokhrani ist eine sehr schöne Frau.«
»Richtig. Ich habe ein bisschen gegraben, um herauszufinden, in welcher Beziehung sie zu Asensio steht. Ich war überrascht. Vor 1967 habe ich nichts über sie gefunden. Zu diesem Zeitpunkt ist sie fünfzehn und Asensio wird ihr gesetzlicher Vormund, und zwar dank einem surrealistischen Procedere: Über das Mädchen existieren keinerlei Daten zur Person, sie kommt aus dem Nichts, kein gesetzlicher Elternteil am Horizont, aber dank zahlreicher Fürsprecher, darunter Alvarez, der UFRA-Geschäftsführer, geht der Vorgang glatt durch. Asensio übernimmt im gleichen Jahr die Leitung der Vereinsniederlassung im Departement Bouches-du-Rhône, Alvarez und er werden unzertrennlich. Jetzt ist Nadia einundzwanzig, sie ist volljährig, und sie hat gerade einen französischen Ausweis bekommen.«
»Asensio und Alvarez, eine politische oder eine geschäftliche Verbindung?«
»Beides ist möglich und dürfte sich kombinieren lassen.«
»Sehr guter Start, vielversprechend. Sie haben beide genug für ein Treffen mit den Toulonern. Wie wir weitermachen, schauen wir nach Ihrer Rückkehr. Ich übernehme es, Percheron zu informieren und ihn um technische Ausrüstung zu bitten.«
Daquin sucht Percheron in seinem Büro auf. Die beiden Männer sitzen einander gegenüber, Percheron mit steifem Oberkörper, nach hinten gelehnt, in der Defensive. Die Antipathie ist eindeutig gegenseitig. Daquin umreißt in aller Kürze die zwei Ermittlungsrichtungen seines Teams.
»Fährten, noch keine Ergebnisse. Meine beiden Inspecteurs sind heute in Toulon, um unsere Kollegen zu treffen.«
»Gut. Ich erneuere meinen Rat: Vorsicht, was die Marseiller Polizisten betrifft.«
»Ist notiert. Weiß der Staatsanwalt von Marseille von der Mission, mit der Sie uns betraut haben?«
»Ich habe ihn informiert. Er wird den Staatsanwalt von Toulon kontaktieren. Er hält es für verfrüht, in Marseille ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen …«
»Da hat er recht.«
»… und sollte es Ärger geben, haben wir seine Rückendeckung.«
Daquin lächelt skeptisch. »Ich habe verstanden. Außerdem brauche ich technische Unterstützung. Für den Anfang die Telefonüberwachung der Marseiller Vereinsniederlassung und der Privatleitung ihres Geschäftsführers.«
»Die beschaffe ich Ihnen. Ergibt sich logisch aus dem Kontext des Auftrags, den ich Ihnen erteilt habe. Sie haben sie bis morgen. Aber mehr ist bis auf Weiteres nicht drin.«
»Ich bräuchte auch einen guten Fotoapparat, um die Leute zu identifizieren, die das Vereinslokal aufsuchen. Und vielleicht Abhörwanzen.«
»Fotoapparat ja. Abhörwanzen nein. Das gehört nicht zu den Gepflogenheiten der Brigade Criminelle.«
»Genauso wenig wie die Sorte Auftrag, die Sie uns erteilt haben. Wir agieren an der Grenze zur Geheimdienstarbeit.«
Die beiden Männer Auge in Auge, angespannt. Daquin denkt: ›Spuck’s aus, sag mir, warum du uns in diese Scheiße schickst. Willst du die Kontrolle behalten und misstraust dem Geheimdienst, der sich deinem Einfluss entzieht? Willst du uns reinreiten?‹, und das sieht man ihm an.
»Gut, belassen wir es dabei, Daquin. Und halten Sie mich auf dem Laufenden.«