Kitabı oku: «Marseille.73», sayfa 3
Freitag, 24. August
Daquin geht in die Abteilung Abhörtechnik, um zu prüfen, ob die von Percheron versprochene Telefonüberwachung bereits steht. Das ist noch nicht der Fall. Dann wartet er auf seine Inspecteurs, die aus Toulon zurück sind. Die beiden treffen zusammen ein, Daquin betrachtet sie, lächelt ihnen zu.
»Legen Sie los, ich sehe, dass Sie mir etwas zu erzählen haben.«
Delmas macht den Anfang. »Unsere Kollegen fühlten sich vor unserem Kommen ziemlich alleingelassen. Sie haben Alvarez mehrfach festgenommen wegen verbotenen Waffenbesitzes, tätlicher Angriffe und diverser Umtriebe, sie haben ihn fünfmal in Polizeigewahrsam gehabt, jedes Mal lässt man ihn auf Befehl aus Paris binnen vierundzwanzig Stunden wieder frei. Er wird geschützt, und von den Bonzen der Regionaldienststelle Marseille kam nie Unterstützung. Jetzt haben sie beobachtet, dass Joseph Ortiz, eine historische Figur der OAS, in Toulon aufgekreuzt ist. Alvarez und er sind ständig zusammen. Unsere Kollegen haben den Verdacht, dass es um Waffenkäufe für mehr oder weniger informelle Gruppen der UFRA-Bewegung geht. Und zu guter Letzt hat einer ihrer Vertrauensinformanten ihnen von einem Projekt erzählt, nämlich dass Alvarez in der Nähe von Brignoles ein militärisches Trainingscamp errichten will. Sie finden, zusammen mit dem Arsenal zum Bombenbau, das sie bei einem Alvarez-Vertrauten gefunden haben, ist das im aktuellen Klima der Gewalt ziemlich viel.«
Grimbert knüpft an: »Unsere Fährten interessieren sie. Sie haben uns bestätigt, dass die zwei Namen, die sich in Adressbüchern von mehreren Touloner Eiferern wiederfinden, Picon und Asensio sind. Wir sind auf einer Wellenlänge. Wenn wir den Auftrag bekommen, diese Arbeit weiterzuführen, dürften wir vertrauensvolle Beziehungen haben.«
»Perfekt. Da können wir ansetzen. Weiter geht’s. Ich war bei Percheron. Wir bekommen zwei Telefonüberwachungen, bei der UFRA und bei Asensio, einen Fotoapparat und das war’s. Abhörwanzen kommen nicht infrage. Das ist sehr wenig.«
»Von Percheron darf man keine Wunder erwarten. Ihm liegt mehr an der Unterstützung der Pied-Noir-Vereine als an der Verfolgung ihrer gesetzeswidrigen Aktivitäten.«
»Wir werden sehen. Erst mal rücken wir weiter vor. Grimbert, Sie gehen Ihren Spuren nach. Delmas, Sie haben mit Asensio angefangen. Bleiben Sie dran. Kümmern Sie sich nicht um Finanzmauscheleien, das ist zu kompliziert für uns. Ich werde Inspecteur Costa von den Finanzdelikten aufsuchen, wir haben im März beim Erdöl-Fall gut zusammengearbeitet. Sie versuchen mehr über Asensios Leben in Erfahrung zu bringen, über seine Beziehung zu Nadia Mokhrani, die nach allem, was Sie uns bereits erzählt haben, ziemlich undurchsichtig zu sein scheint, sowie über den Vereinsbetrieb der UFRA Marseille. Wir müssten uns Einsicht in ihre Mitgliederkartei verschaffen, dann wäre Percheron zufrieden.«
Daquin hat sich für fünfzehn Uhr mit Inspecteur Costa im Dezernat für Finanzdelikte verabredet. Der Mann geht gemächlich auf die fünfzig zu, kleines Bäuchlein und beginnende Glatze. Er empfängt Daquin mit einem Lächeln. Ihre Zusammenarbeit hat er in guter Erinnerung.
»Immer noch so kämpferisch, Commissaire Daquin?«
»Um ehrlich zu sein, ist das gesamte Team in letzter Zeit etwas erschlafft.«
»Das Marseiller Klima vielleicht?«
»Kann gut sein. Aber derzeit starten wir eine etwas interessantere Ermittlung. Deshalb bin ich gekommen.«
»Legen Sie los.«
»In dieser Ermittlung taucht die Peugeot-Konzession von Asensio und Paolini auf, ob am Rande oder nicht, das hängt davon ab, was wir finden werden. Wir haben weder die Mittel noch die Kompetenz, um den finanziellen Aspekten nachzugehen, aber wir fragen uns, ob diese Firma vollkommen vorschriftsmäßig arbeitet.«
Costa lächelt nicht mehr, er überlegt. »Wir haben da ebenfalls unsere Zweifel und beobachten sie. Im Moment haben wir nichts, die Firma wird sehr gewissenhaft geführt. Wir haben unsere Ermittlung gerade auf die Elfenbeinküste ausgeweitet.«
Costa unterbricht sich. Er betrachtet Daquin, um zu sehen, ob er über die afrikanischen Ableger der Peugeot-Konzession im Bilde ist.
Daquins Hirn rotiert, dann erinnert er sich. »Ja, Paolini und die Niederlassung für Neu- und Gebrauchtwagen …«
Also, sagt sich Costa, wissen sie mehr, als er mir erzählt, ich kann den Handel fortsetzen. »Das wird unsere Ermittlung vielleicht in die Gänge bringen. Aber im Moment kann ich Ihnen nichts sagen.«
»Wenn Sie etwas finden, könnten Sie uns dann ein Zeichen geben?«
»Das mache ich, aus Freundschaft zu Ihnen, Commissaire, und zu Grimbert. Grüßen Sie ihn von mir.«
Delmas hat seinen Nachmittag damit verbracht, einen Observierungstag rund um die UFRA vorzubereiten, indem er akribisch die Zugänge, die Öffnungszeiten, das Besucheraufkommen in den Vereinsräumen und in den umliegenden Cafés erkundet hat. Er geht zurück zum Évêché, bespricht sich mit Daquin: Die Observierung wird für Montag angesetzt. Danach wartet er am Ausgang ihres Büros im Speicherhafen auf seine Lebensgefährtin. Im Anschluss Kino mit Freunden. Seit er mit einer Marseillerin zusammenlebt, beginnt er die Stadt zu lieben.
Sonntag, 26. August
Le Quotidien de Marseille
Über die gesamte Titelseite:
Blutbad im Bus
14:30 Uhr, Rocade du Jarret: In einem Anfall von Wahnsinn schneidet ein Mann dem Busfahrer am Steuer die Kehle durch und verletzt vier Fahrgäste mit Messerstichen. Nach kurzem Handgemenge wird er von mehreren Zeugen überwältigt, darunter der ehemalige französische Boxmeister Gratien Lamperti. Wie es heißt, hat der Busfahrer seinen Angreifer lediglich aufgefordert, seine Fahrkarte zu entwerten.
Foto des Unglücksbusses.
Sehr heftige Reaktionen von den Beschäftigten der Marseiller Verkehrsbetriebe. Arbeitsniederlegungen seit gestern. Heute Generalstreik.
Fotos von Opfer und Mörder.
Über die gesamte letzte Seite:
Tragödie im 72er
Es ist 14:30 Uhr, Émile Guerlache, 49, vier Kinder, lenkt seinen Bus 439EV13 der Linie 72 von der Place Bougainville zur Strandpromenade. An der Haltestelle Jarret-Mayer steigt Salah Bougrine zu, stempelt seinen Fahrschein ab, setzt sich. Der Bus fährt an. Bougrine zieht ein großes Messer aus der Tasche, nähert sich dem Fahrer von hinten und schneidet ihm mit einem einzigen Schnitt die Kehle durch. Das Blut spritzt auf die Windschutzscheibe, der Fahrer bricht zusammen, Bougrine stürzt sich auf den Körper. Im Bus bricht Panik aus. Die Fahrgäste springen auf, drängeln durcheinander, der Bus fährt führerlos weiter, der Algerier sticht wahllos auf die Mitfahrenden ein, der Boden ist glitschig vor Blut, der Bus prallt gegen den Mittelstreifen und kippt halb auf die Seite, die Türen verklemmen sich, die Fahrgäste fallen übereinander. Ein vorbeikommender Autofahrer, Ex-Boxmeister Gratien Lamperti, hält an, bewaffnet sich mit einer Handkurbel, schafft es in den Bus und schlägt Bougrine nieder. Das Bezirkskommissariat und die Sûreté-Einheit zur Bekämpfung der Bandenkriminalität treffen am Tatort ein und übernehmen den bewusstlosen Täter. Er wird ins Krankenhaus Hôtel-Dieu gebracht. Bougrine hatte 2500 Francs bei sich. Was er in Marseille zu tun hatte, ist nicht bekannt.
Das Opéra-Viertel im Zentrum von Marseille, Heimat der Bars, Nachtclubs und Prostituierten, ist ausgestorben, alles geschlossen. Es ist noch zu früh. Nur Le Foudre hat geöffnet, die Bar der Familie Pereira, eine Flucht von engen, dunklen Räumen, die Ausstattung ganz in Holz, pseudorustikal, und allenthalben Porträts des portugiesischen Diktators Salazar. Die Familie Pereira hat aus ihren Anschauungen nie einen Hehl gemacht. Diskrete Kollaborateure während der deutschen Besatzung, dann in den Sechzigern entschieden pro Französisch-Algerien und antigaullistisch.
Der Sohn, Dario Pereira, hat bei einem Mord und Attentaten der OAS in der Region wiederum diskrete, aber hochgeschätzte Hilfe geleistet. Man hat nie etwas beweisen können, pflegt er zu sagen, trotzdem zog er es vor, vier Jahre nach Portugal ins Exil zu gehen, und kehrte nach der Amnestie von 1968 zurück. Heute dient sein Café-Bar-Restaurant als Treffpunkt der Pied-Noir-Bewegung, die hier bis zum Rausch Nostalgie und Anisette Cristal tankt. Die Mutter kocht – sehr gut – für den engsten Kreis, und der Sohn stockt seine Einkünfte mit einer kleinen Sicherheitsfirma auf, deren Dienste Bürgermeister Gaston Defferre systematisch nutzt.
Heute Morgen sind Pereiras Vertraute spontan schon zu frühester Stunde gekommen, um Neuigkeiten zu erfahren. Ein Dutzend Männer drängen sich um drei Tische, und Mutter Pereira serviert ihnen ein reichliches Frühstück. Es wird heftig diskutiert.
»Die Situation ist ideal … Wir müssen die Gelegenheit mit beiden Händen beim Schopf packen … Vor uns eröffnet sich ein Boulevard, da müssen wir reindrängen …«
»Und konkret, was machen wir?«
Pereira schlägt vor, dem Beispiel von Grasse zu folgen und ein Verteidigungskomitee zu gründen.
»Mit dem Slogan ›Die Sicherheit der Marseiller verteidigen, eine öffentliche Aufgabe, die der Staat nicht mehr zu bewältigen vermag‹, das klingt stark, oder?«
»Ja, klingt gut, aber nicht zu vergessen: ›Stoppt die wilde Einwanderung‹, das hatten sie in Grasse auch, der Bougrine passt gut zum Bild eines illegalen Einwanderers.«
»Im Büro vom Front National gibt es einen Vorrat an Ordre-Nouveau-Plakaten mit diesem Slogan, die können wir abholen. Und wo der Ordre Nouveau nach seiner Schlacht gegen die linken Zecken in Paris gerade verboten wurde, müssen wir nur die Signatur unten am Plakat abschneiden, das geht mit einer Papierschneidemaschine.«
Der Vorschlag stößt auf allgemeine Zustimmung. Einer der Männer erklärt sich bereit, die Plakate zu organisieren, Pereira wird wegen der Schneidemaschine eine Druckerei auftreiben. Und mobilisiert fürs Plakatekleben seine Sicherheitsfirma.
»Das sind Spezialisten. Morgen ist die ganze Stadt tapeziert.«
»Und wir rufen zu einer Demo auf. Wir kontaktieren alle befreundeten Organisationen und die Presse. Das wird unser Komitee zum Leben erwecken. Ich kümmere mich um das Kommuniqué und die Kontakte.«
»Wann soll die Demo stattfinden? Die Beerdigung von Guerlache ist am Dienstag, es darf nicht auf ihre Kosten gehen.«
»Am Tag drauf? Mittwoch, der 29.? Bis wir uns organisiert haben …« Angenommen.
An diesem Punkt der Diskussion kommt Madame Pereira, die auf dem Markt ihren Tageseinkauf erledigt hat, mit den Zeitungen zurück. Le Quotidien de Marseille und Le Méridional. Die Männer stürzen sich auf den Méridional, ihre persönliche Tageszeitung. Pereira liest ein paar Passagen aus dem Leitartikel von Chefredakteur Gabriel Domenech vor.
»Genug! Genug! Genug!« »Natürlich wird man uns sagen, der Mörder sei geistesgestört, schließlich braucht es eine Erklärung, nicht wahr … Wahnsinn ist keine Entschuldigung … Wir haben genug von den algerischen Dieben, den algerischen Einbrechern, den algerischen Maulhelden, den algerischen Störenfrieden, den algerischen Syphiliskranken, den algerischen Vergewaltigern, den algerischen Irren, den algerischen Mördern. Wir haben genug von dieser wilden Einwanderung, die von der anderen Seite des Mittelmeers den gesamten Abschaum in unser Land bringt … Man muss ein Mittel finden, um sie zu brandmarken und ihnen den Zutritt zu französischem Boden zu verwehren.«
Applaus. Der schreibt verdammt gut, dieser Domenech.
Während der Nacht bedecken sich die Mauern von Marseille mit Schwarzweißplakaten »Stoppt die wilde Einwanderung« und schnell hingesprühten Graffiti in leicht verlaufener schwarzer Farbe: »Marseille hat Angst«. Ohne die Signatur einer Organisation entwickeln diese Slogans eine gefährliche Kraft, der Schrei eines Volkes.
Montag, 27. August
Le Quotidien de Marseille
Unter der Schlagzeile:
Der Mörder, immer noch im Koma, konnte nicht befragt werden.
Presseerklärung der Verkehrsgewerkschaften: »Die Bestattung von Guerlache findet am Dienstag, den 28. August in der Kirche Sainte-Émilie-de-Vialar statt, im Viertel La Pauline, wo er wohnte. Die Gewerkschaften rufen die Bevölkerung dazu auf, sich durch Arbeitsniederlegung an dieser Beerdigung zu beteiligen, aus Freundschaft zu Guerlache und um gegen die unsicheren Arbeitsbedingungen der Verkehrsbeschäftigten zu protestieren. Die Tatsache, dass der Mörder ein Gastarbeiter ist, darf nicht zur Zunahme des Rassismus führen. Viele Aggressoren sind keine Nordafrikaner.«
Auf Seite 2 Abdruck einiger Unterstützungserklärungen:
»Die Belegschaft der Wartungsbetriebe der Stadt Marseille drückt ihre Bestürzung und Solidarität aus. Sie fordert eine strengere Einwandungskontrolle in unserem Land.«
»Front National, GUD, ULN, UGT und das Verteidigungskomitee der Bürger von Marseille (CDM) rufen für Mittwoch, den 29. August zu einer Protestdemonstration gegen die illegale Einwanderung auf.«
Daquin begibt sich sehr früh zum Évêché. An den Mauern des Panier-Viertels Schwarzweißplakate »Stoppt die wilde Einwanderung«, handgemalte Slogans, und ein Wort, das sich von Wand zu Wand in großen schwarzen Lettern herauskristallisiert: Angst. Eine Gewissheit: Über der Stadt hat sich ein Sturm erhoben und wird sie durchschütteln. Was sollen wir tun, mein Team und ich?
Er geht als Erstes bei der Abhörtechnik vorbei, um zu sehen, wie weit die von Percheron zugesagten Telefonüberwachungen sind. Sie laufen seit Freitagnachmittag. Nicht schlecht. Auf dem Vereinsanschluss ein Dutzend Anrufe, im Wesentlichen Bitten um Auskunft, uninteressant. Ein Gespräch auf Asensios Privatleitung. Datum: Freitag, 24. August, 19:50 Uhr. Ein externer Anruf, er notiert die Nummer und schreibt den Dialog sorgfältig mit.
Unbekannt: Gute Rede neulich Abend im Club. Im Évêché wird viel darüber gesprochen.
Asensio: Ich hoffe, nicht zu viel. Wir bereiten Initiativen von großer Tragweite vor, weißt du?
Unbekannt: Keine Sorge … Also, ich wollte dich um einen Gefallen bitten.
Asensio: Das trifft sich gut, ich dich auch. Wir sollten uns sehen. Ich bin gerade fertig mit Abendessen, komm auf einen Verdauungsschnaps in die Bar unten in meiner Straße …
Unbekannt: Bin gleich da.
Daquin geht eilig zum Büro seines Teams. Die Atmosphäre ist angespannt.
»Die Touloner haben mit einer Explosion gerechnet. Ist es so weit?«
»Es ist nur der erste Akt …«
Daquin hat sein Kriegszeitengesicht, weniger kantig, mehr zerklüftet, Nase und Lippen schmaler, vorstehende Brauenbögen und Wangenknochen, die Augen tief in den Höhlen.
»Ja, es wird kabbelig. In der Stadt kann ich körperlich spüren, wie sich die Lage verschlechtert, aber verschwenden wir keine Zeit mit Spekulationen über die Zukunft, dafür sind wir nicht qualifiziert. Und wir müssen sofort eine Entscheidung treffen. Unsere Ermittlung ist unwichtig verglichen mit dem, was gerade passiert. Wir können sie einfrieren und uns möglichst ans aktuelle Geschehen halten. Oder aber sie weiter vorantreiben, das Tempo erhöhen. Was mich betrifft, wäre das meine Wahl, ich bin überzeugt, dass wir in der kommenden Krise die Männer, die wir bereits ausgemacht haben, an vorderster Front wiederfinden werden, Asensio, Picon, die anderen. Bevor Sie mir antworten, möchte ich Ihnen das hier zeigen.«
Er reicht ihnen das Abhörprotokoll. Delmas tritt näher, um über Grimberts Schulter mitzulesen. Daquin fährt fort:
»Anruf am Freitagabend, also vor der Ermordung des Busfahrers. Aber ›gute Rede‹ und ›Initiativen von großer Tragweite‹ passt in den Gesamtzusammenhang. Wir müssen die eingehende Rufnummer und den Gesprächspartner identifizieren. Grimbert, können Sie das machen?«
»Kann ich. Ich werde mir die Stimmen anhören. In so einem Moment tut es gut, sich nicht vollkommen nutzlos zu fühlen.«
Grimbert begibt sich zur Abteilung für Abhörtechnik. Die Techniker erklären ihm, dass es sich um eine Nummer im Évêché handelt, ein frei zugänglicher Anschluss auf einer der Etagen der Police Urbaine. Er hat nicht übel Lust zu fragen, warum sie Daquin nicht darauf hingewiesen haben, aber er hält sich zurück, die Antwort liegt auf der Hand: Man erzählt den Parisern so wenig wie möglich, vor allem wenn es um Évêché-interne Angelegenheiten geht. Dann hört er sich die Aufnahme an, zunächst ganz unbefangen, nur ein erster Eindruck. Asensios Gesprächspartner hat einen winzigen Pied-Noir-Akzent, die Stimme hat er schon mal gehört, aber sie ist ihm nicht vertraut. Er hört die Aufzeichnung noch zweimal mit maximaler Konzentration, bedankt sich bei den Technikern und stürmt zu seinem Büro. Ohne ein Wort zu Delmas und Daquin sucht er aus dem internen Telefonverzeichnis eine Nummer heraus, wählt.
»Hallo, Marcel?«
»Nein, hier ist nicht Marcel, Sie haben sich verwählt, alter Knabe, überprüfen Sie die Durchwahl.«
»Können Sie sie mir nicht geben?«
»Ich bin doch keine Telefonistin, ich hab anderes zu tun.« Damit legt er auf.
Grimbert wendet sich Daquin und Delmas zu. »Asensios Gesprächspartner, das ist Picon. Irrtum ausgeschlossen.«
Delmas folgert: »Das beantwortet Ihre Frage, Commissaire. Wir beschleunigen die Ermittlung.«
Daquin lächelt. »An die Arbeit. Wir haben drei mögliche Baustellen. Die erste: Asensio, seine ›guten Reden‹, seine ›Initiativen von großer Tragweite‹ und seine Beziehung zu Nadia Mokhrani. Die Telefonüberwachung steht. Zweite Baustelle: Brigadier Picon, eng verbunden mit Asensio und folglich mit der UFRA. Die beiden Männer tauschen Gefallen aus, außerdem sind es die zwei Namen, auf die die Regionaldienststelle Toulon gestoßen ist. Der Schießsportclub kann eine Schlüsselrolle in der extremistischen Pied-Noir-Bewegung spielen. Und schließlich das Kommissariat vom 15. Arrondissement, das wahrscheinlich einen weiteren Ankerpunkt dieser Bewegung darstellt. Wir sind zu dritt, wir haben einen Fotoapparat und zwei Telefonüberwachungen, mehr bekommen wir vermutlich nicht. Und wir steuern auf eine Periode mit heftigen Turbulenzen zu, die uns ebenfalls fordern und unsere Zeitpläne strapazieren werden. Wir können also nicht alles abdecken, welche Baustelle wählen wir?«
»Das 15. in den Mittelpunkt zu rücken ist ausgeschlossen, wir haben nicht genug in der Hand. Und es ist bestimmt das Halsbrecherischste.«
»Die Antwort, die sich aus der Anfrage der Regionaldienststelle Toulon ergeben würde, wäre vielleicht Asensio, aber ich tendiere zu Picon und seinem Schießclub, ein Ort, wo Begegnungen stattfinden und Wege sich kreuzen können. Ich habe da so ein Gefühl.«
»Was Asensio angeht, haben wir die Telefonüberwachung, das reicht nicht, aber es ist ein Türchen. Für den Club sind keine Vorkehrungen getroffen, wir müssen uns also vorrangig damit befassen.«
»Beschluss einstimmig gefasst. Und das hindert Sie nicht, Delmas, in Ihrem Rhythmus mit dem weiterzumachen, was Sie zu Asensio und zur UFRA begonnen haben. Kleines Problem: Percheron hat uns vorgewarnt, wir bekommen keine weitere Telefonüberwachung und keine Abhörwanzen. Wenn wir am Club weiterarbeiten, brauchen wir Wanzen, das ist ein Sammelpunkt, wir müssen wissen, was dort gesprochen wird. Wir werden die Arbeit aufteilen. Sie, Grimbert, fahren heute Nachmittag nach Toulon, Sie erklären unseren Kollegen, wie es bei uns steht, und bitten sie um Abhörwanzen. Machbar?«
»Ich glaube schon.«
»Wir geben sie ihnen zurück. Aber Sie unterschreiben nichts, insgesamt nichts Schriftliches. Sollten wir später Ärger mit Percheron bekommen, nehme ich das persönlich auf mich. Sobald wir sie haben, falls wir sie bekommen, befassen wir uns damit, wie wir sie installieren können. Wir treffen uns morgen früh hier, vor Ihrem Aufbruch zur Beerdigung von Guerlache.«
Am späten Nachmittag ist die Bar Le Foudre im Opéra-Viertel rappelvoll. Viel Kommen und Gehen, rastlose Betriebsamkeit. Pereira weiß, man muss die Gelegenheit von Guerlaches Beerdigung für einen ersten lautstarken Auftritt des Verteidigungskomitees nutzen. Im Laufe des Tages hat er ein Banner mit der Aufschrift »CDM – Verteidigungskomitee der Bürger von Marseille« malen lassen. Heute Abend stellt er die Führungsriege des Komitees zusammen, die es während des Trauerzugs tragen soll. Man muss auch auf der gesamten Strecke Plakate kleben, der Vorrat von »Stoppt die wilde Einwanderung« wird aufgebraucht werden. Um das Kürzel CDM einzuführen, hat Pereira es geschafft, im Namen des Komitees zwei Plakatserien drucken zu lassen. Jetzt organisiert er die Gruppen, die heute Nacht an der Strecke der Prozession plakatieren sollen. Zu guter Letzt wurde ein Flugblatt des Komitees in mehreren tausend Exemplaren gedruckt. Pereira verteilt sie in kleinen Bündeln, damit sie in allen Teilen des Trauerzugs präsent sind.
Pause fürs Abendessen, man kann etwas verschnaufen, Madame Pereira hat eine Feijoada gekocht, die Gäste übernehmen das Servieren selbst. Telefonklingeln. Madame Pereira nimmt ab, wie sie es immer tut. Sie und sie allein. Eine Männerstimme, Französisch ohne Marseiller Akzent:
»Könnte ich Monsieur Pereira sprechen, bitte?«
»Bleiben Sie dran.«
Sie legt den Telefonhörer ab, geht zu ihrem Sohn, der mit Freunden trinkt und diskutiert, flüstert ihm ins Ohr: »Die Präfektur«, Pereira nimmt das Gespräch an, Rücken zum Saal.
»Pereira am Apparat.«
»Wir haben aus der Presse entnommen, dass Sie für Mittwoch zu einer Demonstration aufrufen …«
»Richtig, und wir sind nicht die Einzigen.«
»Aber auf Sie kommt es an. Wir befürchten hochgradig gewalttätige Zusammenstöße mit den Linksextremen, so wie sie sich in Paris ereignet haben, was uns nötigen würde, hart durchzugreifen, und das möchten wir nicht. Ich habe mich heute Nachmittag mit den Gewerkschaften getroffen. Sie werden gegen Sie Stellung beziehen, in deren Augen instrumentalisieren Sie ihre Mobilisierung. Überlegen Sie sich das gut.«
»Ich überlege immer, was ich tue.«
»Ich weiß, und das ist umso besser. Guten Abend.«