Kitabı oku: «Das Osmanische Reich», sayfa 6
Timurs Invasion
Falls Timur überhaupt einen Plan hatte, der über Plündern und Brandschatzen und das abenteuerliche Leben auf einem nicht endenden Feldzug hinausging, so scheint er sich eine Wiederholung der Laufbahn Dschingis Khans und eine Wiederherstellung von dessen Tributreich vorgestellt zu haben. Bayezids Tributforderungen an seine Vasallen lieferten Timur den Vorwand, im Sommer 1400 anzugreifen.7 Bayezid ging ein kalkuliertes Risiko ein, indem er einen seiner Söhne nach dem von Timur belagerten Sivas entsandte, während er selbst einstweilen vor den Mauern Konstantinopels verblieb. Die osmanischen Heere trafen zu spät vor Sivas ein, dessen Stadtväter lebendig begraben wurden. In jenem Winter fielen Aleppo, Diyarbakır, Homs, Hama und Baalbek allesamt an Timur. Als Strafe für seinen Widerstand wurde Damaskus geplündert und seine Bevölkerung massakriert. Angesichts wenig beneidenswerter Optionen – Timurs Grausamkeit auf der einen Seite, Bayezids autoritärer Interventionismus und taktische Risikofreude auf der anderen – unterwarfen sich viele türkische Emire Timur in der Hoffnung, er werde die Osmanen schwächen und ihnen selbst bliebe das Schicksal von Sivas erspart. Ihr Abfall war entscheidend für die vernichtende osmanische Niederlage bei Ankara am 28. Juli 1402. Bayezid wurde gefangen genommen und starb in der Gefangenschaft. Timurs Armeen verheerten Kleinasien bis zur Ägäis.8
Jede ernsthafte Hoffnung auf Unabhängigkeit, die jene türkischen Emire gehegt haben mochten, welche sich auf Timurs Seite geschlagen hatten, wurde zuerst durch seine exorbitanten Tributforderungen und die willkürliche Zerstörung ihrer Besitztümer, später durch das Überleben von Bayezids Söhnen zunichte gemacht. Auch westlich der Meerenge entstand den Osmanen kein ernsthafter Herausforderer, sodass die Tatsache, dass Bayezids Erben noch lebten, bedeutete, dass die türkischen Emire dem Untergang geweiht waren. Keiner verstand es, nach Timurs Tod im Jahr 1405 Kleinasien zu vereinigen. Kaiser Manuel II. von Konstantinopel spielte eine größere Rolle als zuvor, aber letztendlich richtete er kaum mehr aus, als den unvermeidlichen Konflikt zwischen den osmanischen Prinzen in die Länge zu ziehen.
Der Erbfolgekrieg
Das Kriegsdrama zwischen Bayezids Söhnen, das mit Unterbrechungen 20 Jahre lang wütete,9 führte paradoxerweise zu einer neuerlichen Stärkung der osmanischen Einheit.10 Die Frage lautete, ob die Osmanendynastie noch über devlet verfügte, jene magische Eigenschaft innerer Autorität, die stets ein göttliches Geschenk war.11
Zwei der Brüder, Musa und Mustafa, waren von Timur zusammen mit ihrem Vater gefangen genommen worden. Musa wurde freigegeben und brachte Bayezids Leiche heim, aber Mustafa hielt man in Samarkand zurück. Nach zwei Jahren verwirrender Kämpfe war der älteste Bruder Isa tot. Mehmed hatte sein Hauptquartier in Tokat und kontrollierte die galatische Hochebene. Musa mit dem Leichnam ihres Vaters stand unter seiner Aufsicht. Die stärkste Position hatte mit den beiden osmanischen Hauptstädten Bursa und Edirne Süleyman inne. Er traf eine Abmachung mit Genua und Konstantinopel und schloss Frieden mit Venedig. Mustafa war anscheinend in Samarkand und außer Reichweite.
Im Jahr 1409 ging Mehmed in die Offensive. Er hatte mehrere Verbündete unter den türkischen Emiren und stützte sich außerdem auf den christlichen Fürsten der Walachei – all diese Bündnisse wurden durch Ehen besiegelt. Nun entsandte er Musa gegen Süleyman in Edirne, während er selber Bursa angriff. Zu einem Krieg an zwei Fronten gezwungen, konnte Süleyman keine der Städte verteidigen und verlor alle beide – Musa eroberte Edirne, Mehmed eroberte Bursa, und Süleyman starb auf der Flucht.12 Doch für Musa lief es in Edirne nicht gut. Seine kurze Herrschaft über die Stadt war ein Muster an Inkompetenz. Er belagerte Konstantinopel, doch seine übergriffige Bürokratie und seine persönliche Rachsucht verprellten just jene türkischen Plünderer, die er brauchte. Verbündete und Untergebene gleichermaßen liefen zu Mehmed über, der Musa im Juli 1413 angriff, ihn besiegte und tötete.13
Gerade schien es, als sei Mehmeds Sieg sicher, da musste er sich mit dem letzten Bruder, Mustafa, auseinandersetzen, der plötzlich wieder auftauchte, nachdem er 1415 aus Samarkand freigelassen worden war. Mehmed schlug ihn, Mustafa floh nach Konstantinopel, und Kaiser Manuel versprach, ihn nicht freizulassen, solange Mehmed lebte. Der Familienkrieg der Osmanen endete schließlich 1421 – es war Mehmeds Sohn Murad, der Mustafa gefangen nahm und hinrichten ließ und seine beiden eigenen Brüder besiegte und blendete.14
Der Aufstand der Derwische
Inmitten des dynastischen Konflikts der Osmanen stellte ein Volksaufstand das Konzept der osmanischen Oberherrschaft selbst in Frage. Auch wenn es keine realistische Alternative gab, hatte das osmanische Wiedererstarken nicht unbedingt uneingeschränktes Vertrauen aufgebaut. Der Grad der öffentlichen Enttäuschung über die osmanische Restauration zeigte sich in dem Aufstand, der von zwei abenteuerlichen Figuren, Börklüce („der Filzgekrönte“) Mustafa und Scheich Bedrettin, angeführt wurde. Er brach 1416 aus, just zu dem Zeitpunkt, als Mehmed Mustafa besiegte und ihn der Gefangenschaft in Konstantinopel überantwortete. Die verschiedenen erhaltenen Darstellungen zeigen anschaulich, welch große Herausforderung nach wie vor von jemandem ausgehen konnte, der aus dem tiefen Brunnen der türkischen Spiritualität ein glaubhaftes politisches Gefäß zu füllen verstand.15
Eine solche Schilderung ist in eine Geschichte der Osmanen eingebettet und stammt aus der Feder eines griechischen Adligen namens Dukas. Seine Ahnen hatten noch auf dem byzantinischen Thron gesessen.16 Er selbst wuchs in Aydin auf, wohin sich sein Großvater während des byzantinischen Bürgerkriegs der 1340er-Jahre geflüchtet hatte. In den Augen von Dukas war das Schicksal der byzantinischen vollständig mit dem der osmanischen Dynastie verknüpft, und der Fall von Konstantinopel 1453 – den er noch erlebte – kündigte für ihn die Vernichtung beider an.17 Dukas zeichnete seinen Helden Börklüce Mustafa als Propheten einer ironischen neuen Rechtsordnung, unter welcher Islam und Christentum vereint, das Privateigentum abgeschafft und jegliche Unterdrückung beendet sein sollten. Von einem Einsiedlermönch in Kreta erfuhr Dukas, dass Derwische, „die nur schlichte Hemden tragen, deren bloße Häupter kahlgeschoren sind und die keine Sandalen an den Füßen haben“, nachts barfuß über das Meer liefen, um sich mit ihm zu unterhalten.18 „Es wird erzählt“, ergänzte ein lokaler muslimischer Autor, „dass sie 4000 Sufis bei sich hatten. Sie alle sprachen: ‚Es gibt keinen Gott außer Gott‘ – aber ‚Muhammad ist der Prophet Gottes‘ sagten sie nicht.“19
Dukas gestaltete seine Darstellung als seltsame Verkehrung des Gleichnisses Jesu von den bösen Pächtern. Im Evangelium beschließt der Herr, nachdem die Rebellen die Knechte getötet haben, seinen eigenen Sohn auszuschicken, und die Aufrührer töten auch ihn. Dukas ließ stattdessen den Sohn die Aufrührer töten. Sultan Mehmed schickte ein Heer gegen Börklüce Mustafas Stützpunkt auf der Halbinsel Karaburun, dem entlegenen, gebirgigen Westrand des Golfs von Izmir. Als die osmanischen Truppen über den schmalen Küstenpass näherrückten, der den einzigen Zugang vom Festland aus bildet, warfen die Rebellen auf den Anhöhen sie zurück. Einer zweiten osmanischen Streitmacht erging es nicht anders. Nun schickte der Sultan ein Heer unter dem Kommando des obersten Wesirs und seines eigenen jungen Sohnes (des künftigen Sultans Murad II.). Sie bezwangen den Pass und, so Dukas, „hieben gnadenlos jeden nieder, den sie zu Gesicht bekamen, die Alten ebenso wie Kleinkinder, Männer und Frauen; kurzum, sie metzelten jeden nieder, gleich welchen Alters […].“20 Börklüce Mustafa wurde in Ketten nach Ayasoluk gebracht, verhört und gekreuzigt. Seine Leiche wurde auf dem Rücken eines Kamels in den Straßen zur Schau gestellt, eine offenkundige Parodie auf Jesu Einzug in Jerusalem auf einem Esel.21 Das osmanische Heer verfolgte Börklüce Mustafas Anhänger und griff jeden auf, der als barfüßiger Bettler gekleidet war. „Da sie den Tod freudig willkommen hießen“, schrieb Dukas über die Derwische, „hörte man sie murmeln: Dede sultan eriš, das heißt: ‚O Herr Vater, eile uns zu Hilfe.‘“ Dukas’ Übersetzung machte aus dem Gebet eine türkische Version von Psalm 38, der Eingangszeilen des tagtäglichen Stundengebets der christlichen Kirchen.
Karte 2.1: Timurs Invasion und der osmanische Bürgerkrieg
Eine zweite Darstellung des Derwischaufstands kommt im Gewand einer Heiligenvita oder Menakıbname daher. Ihr Held ist der andere der beiden Rebellen, Scheich Bedrettin, und verfasst wurde sie von dessen Enkel.22 Sie stellt die Rebellion als riesiges Missverständnis dar. Scheich Bedrettins Mutter war eine zum Islam konvertierte griechische Christin. Sein Großvater väterlicherseits war ein Neffe des letzten Seldschukensultans.23 Die Darstellung legt wenig Wert auf diesen impliziten Thronanspruch und liest sich eher wie eine Verteidigungsschrift. Sie erzählt die Geschichte des Scheichs als Protokoll seiner frommen Wanderungen „hin und wieder zurück“, von seiner Heimat in Edirne auf Pilgerfahrt zu all den bedeutenden Städten der westlichen islamischen Welt. Sämtliche Details dieses politischen Resümees lassen darauf schließen, dass Scheich Bedrettin den Osmanen treu ergeben war, es sich bei ihm um einen hervorragenden Gelehrten und Juristen handelte und er keinerlei politische Ambitionen besaß. Im gleichen Atemzug fasst das Buch die Lehren Scheich Bedrettins als eine Art philosophischen Sufismus zusammen, der im Kontext des osmanischen Islam recht unauffällig gewesen sei. Nach dieser Darstellung wurde Scheich Bedrettin, als Mehmed während des Krieges zwischen den Osmanenbrüdern Edirne einnahm, nach İznik verbannt. Später geriet sein Schiff, als er sich im Auftrag des Emirs von Sinop auf einer diplomatischen Mission zur Krim befand, unglücklicherweise auf dem Schwarzen Meer in die Hände christlicher Piraten, und Scheich Bedrettin fand sich an die walachische Küste gespült wieder. Er machte sich nach Edirne auf, in der unschuldigen Hoffnung, Sultan Mehmed ein Exemplar seines neuesten Buches als Geschenk überreichen zu können, aber der Sultan hielt sein Kommen irrtümlich für einen Aufstand.
Laut der dritten Darstellung der Revolte war an keinem der beiden Rebellen irgendetwas Unschuldiges. Ihr Autor, Aşıkpaşazade, hatte die Geschehnisse nicht persönlich miterlebt, weil sie sich zutrugen, als er vom osmanischen Heer getrennt war und sich im Hause eines alten Derwischs, „dem Sohn von Sultan Orhans Imam“, von einer Krankheit erholte. Sein Werk Taten und Daten des Osmanenhauses24 ist eine von mehreren zusammenhängenden frühosmanischen Prosachroniken. Aşıkpaşazade stellte Scheich Bedrettin als Kazasker – das einflussreichste zivile Amt im Osmanischen Reich unterhalb des Sultans – in Musas unseligem Regime in Edirne dar, und Börklüce Mustafa sei der Mentor für Scheich Bedrettins Sohn gewesen. Nach dieser Darstellung erlaubte Sultan Mehmed es Scheich Bedrettin gnädig, mit seiner Tochter und einer kleinen Rente nach Iznik zu gehen, doch stattdessen sei Scheich Bedrettin in die Wälder am westlichen Schwarzen Meer geflohen und habe sich zum Kalifen ausgerufen. Börklüce Mustafa, sein Stellvertreter, sei zum Karaburun geflüchtet, „wo es viele Heuchler gab.“ Viele hätten sich zu ihnen gesellt, die zur Amtszeit Scheich Bedrettins in Edirne Lehen von ihm empfangen hätten. In dieser Version wurde Börklüce Mustafa zerstückelt und Scheich Bedrettin vor dem Markt in Serres gehängt. „Diese Sufis“, schrieb Aşıkpaşazade, „behaupteten: ‚Wir sind bloß Derwische‘, aber in Wahrheit waren sie keine Derwische, sie sagten: ‚Unser Scheich ist der König und wir sind seine Fürsten.‘“25
Der Autor dieser dritten Darstellung, Aşıkpaşazade, ist eine Persönlichkeit von beträchtlicher kultureller Bedeutung. Er kam aus einer langen Reihe von Sufi-Scheichs und Dichtern und stammte in sechster Generation von Baba Ilyas ab, jenem Mystiker, der zwei Jahrhunderte zuvor den Aufstand gegen die Mongolen angeführt hatte.26 Aşıkpaşazade selbst wurde fast 100 Jahre alt. Der Aufstand der Derwische ereignete sich in seiner Jugend, doch Taten und Daten schrieb er Jahrzehnte später als alter Mann nach der Eroberung Konstantinopels, zu einer Zeit, als der Konflikt mit den Safawiden den osmanischen Horizont verdüsterte. Zwei rote Fäden durchziehen das Buch – der eine fragt nach dem Wesen wahrer Frömmigkeit, der andere beschreibt die innige Beziehung der Osmanendynastie zu den heiligen Männern aus Aşıkpaşazades eigener Tradition.27 Er unterschied sorgsam zwischen geistlicher und politischer Autorität. Die Safawiden, einst ein legitimer Sufiorden, hätten sich durch ihren Glauben an den messianischen Auftrag Schah Ismails, wie Aşıkpaşazade es ausdrückte, in „die ungläubige Sekte aus Ardebil“ verwandelt. Und im Voraus abgezeichnet habe sich die safawidische Bewegung im Aufstand der Derwische. Scheich Bedrettin und Börklüce Mustafa seien nichts anderes gewesen als politisch ehrgeizige Betrüger und Scharlatane, genau wie die Safawiden.28 Unter den frühen Anhängern des Safawidenordens, schrieb Aşıkpaşazade unheilverkündend, hätten sich 25 einstige Jünger Scheich Bedrettins befunden.29 Sie „trachteten nicht etwa nach Weisheit, sondern nach der Zerstörung des heiligen Rechts und nach dem Gewinn des Sultanats“.
Türkische mystische Spiritualität
Anders als die Safawidenschahs wurden die Osmanensultane niemals mit dem Göttlichen verwechselt. Laut Aşıkpaşazade schrieben sich die osmanischen Sultane erstens eine vornehme Abstammung von den legendären türkischen Kriegerkönigen des Kayi-Clans im zentralen Eurasien zu und behaupteten zweitens, dass sie von dem abbasidischen Kalifen – vertreten durch die Seldschuken – zu Sultanen ernannt worden seien. Nach dem Sturz der Abbasiden durch die Mongolen und nachdem auch die Seldschuken verschwunden seien, verlaufe die Legitimitätslinie über die Osmanen sultane. Jetzt schmückten sie sich mit dem Status als Eroberer und Beschützer der islamischen Tradition. Vorbildliche Gläubige mochten die Osmanensultane zwar gelegentlich sein, bescheidene Gläubige waren sie aber auch. Heilige waren Heilige, Sultane waren Sultane.
Sultane und Heilige
Die Beziehung zwischen Heiligen und Sultanen gestaltete sich komplex. Die Epizentren der türkischen Spiritualität lagen anfangs nicht in den osmanischen Ländern, bei denen es sich um das bis in jüngste Zeit christliche Kleinasien und Thrakien handelte. Die von den osmanischen Muslimen am stärksten verehrten Stätten lagen in Galatien und Kappadokien und nutzten, wenn überhaupt, meist rivalisierenden Dynastien, den Akkoyunlus und den Karamaniden. Konya, das geistige Zentrum des türkischen Islam, wo sich sowohl die Schule des Sadrettin Konavi (al-Qūnawi) als auch Rumis Mausoleum befanden, stand unter karamanidischer Kontrolle. Die Janitscharen, die „neue Truppe (yeni çeri)“ aus Sultan Murads Sklavensoldaten, fühlten sich spirituell stark den Bektaşis verpflichtet.30 Sultan Murad I. hatte die Tekke der Bektaşis – das Heiligtum am Grab des Ordensgründers – reich ausgestattet, aber sie lag in einem kappadokischen Dorf westlich von Kayseri.
Dass es deswegen einen gewissen Wettbewerb zwischen den muslimischen Ordensgemeinschaften darum gab, eine enge dynastische Beziehung zwischen ihren jeweiligen Heiligen und den Osmanensultanen auszumachen, wird in einem prophetischen Traum ersichtlich, der in wechselnder Form in allen osmanischen Chroniken der Frühzeit auftaucht. Es heißt dort, der osmanische Sultan sei ein guter Muslim gewesen, der seine Gebete sprach und Gottes Namen stets auf den Lippen führte. Eines Nachts träumte ihm, er sehe den Mond in der Brust seines Scheichs auf- und in seiner eigenen Brust untergehen, wo daraufhin ein großer Baum Wurzeln geschlagen habe. Nach dem Traum bat der Sultan seinen Scheich darum, den Traum zu deuten. In den Chroniken herrscht Uneinigkeit über die Akteure – wer den Traum hatte und welcher Scheich dessen Bedeutung enthüllte.31 Eine Gruppe anonymer Chronisten schrieb übereinstimmend, dass Osmans Vater den Traum gehabt habe, war aber verschiedener Ansicht über den Traumdeuter.32 Aşıkpaşazade jedoch wies den Traum Osman persönlich zu und ließ ihn von einem gewissen Scheich Edebali auslegen. Der Scheich sprach: „Osman, mein Sohn, es ist ein günstiges Zeichen. Gott, gepriesen sei er, hat dir und deinen Nachkommen die Herrschaft verliehen. Mögest du wahrhaft gesegnet sein.“33 So verdankte sich der Erfolg der Osmanendynastie Scheich Edebali und keinem anderen heiligen Mann. Tatsächlich war Edebalis Tochter gar nicht, wie diese Version andeutet, die Mutter Orhans – Orhans Mutter war eine andere Frau.34 Aşıkpaşazade, der selbst dem Orden Scheich Edebalis angehörte, überging dieses Detail.
Abb. 2.1: Tekke („Ordenshaus“) von Hacı Bektaş in einem kappadokischen Dorf
Man beachte, dass die verschiedenen Parteien in der Debatte es alle für selbstverständlich nahmen, dass Träume eine Art Nachricht aus dem Jenseits seien, die mithilfe eines erfahrenen Sehers entschlüsselt werden könne. Zumindest gingen alle davon aus, dass die mystische Spiritualität von Derwischen schlichte islamische Frömmigkeit sei.
Moschee, Medrese und Tekke
Die muslimischen Mystiker (heutzutage üblicherweise als Sufis bezeichnet) fanden die Realität in Gott auf dem Weg des authentischen persönlichen Erlebens. Gott kannten sie aus der unmittelbaren Begegnung mit Gottes liebender Gegenwart. Von dieser göttlichen Begegnung sprachen die Sufis als von etwas Berauschendem. Wie von einem Geschlechtsakt. Gottes Liebe könne überwältigend sein – gewöhnlich bringe sie einen Menschen aus dem Gleichgewicht. In einer solchen Begegnung gebe es nichts als Güte und Gnade, und nichts anderes zähle daneben. Unter Anleitung eines Scheichs, eines Lehrers, der im Rahmen einer bestimmten erzieherischen Tradition wirke, würden die Schüler lernen, diese Erfahrung vermittels eines geistigen Reifungsprozesses zu bewältigen.
Nicht alle sahen das so. Nüchterne Muslime beeindruckte eher Gottes Ehrfurcht gebietende Reinheit. Sie verspürten das Bedürfnis, Gottes heilige Macht von den schnöden weltlichen Dingen abzugrenzen und mit nachdrücklich durchgesetzten Schranken zu schützen. Sufis fanden solche Grenzen fragwürdig und frustrierend. Einig waren sich alle darin, dass Gott sich in den „Zwei Büchern“ offenbare – einem heiligen Buch und der Schöpfung –, und dass das Leben der Menschen durch Beachtung dieser beiden „Bücher“ geordnet werde. Doch für Mystiker kam die Gotteserfahrung zuerst, und die Person des Menschen war ein Mikrokosmos. Die beiden „Bücher“, die Schöpfung und der Koran, besaßen jedes eine innere Struktur, die auf diese Erfahrung verwies und sie erläuterte.
Obwohl die Osmanensultane sich häufig für den Sufismus empfänglich zeigten, förderten sie auch den akademischen Islam und gewährleisteten die Kontinuität der islamischen Hochkultur. Die Integration von Sufismus und akademischem Islam durch die Osmanen wird aus Aşıkpaşazades Bericht darüber ersichtlich, wie die Sultane Medresen, höhere Bildungseinrichtungen, unterstützten.35 Viele frühosmanische Gelehrte waren Mystiker. Davud von Kayseri, der allererste Professor an der allerersten osmanischen Medrese in Bursa, war in dritter Generation ein Schüler von Sadrettin Konavi und verfasste einen Kommentar zu Ibn al-Arabis Einfassungen der Weisheit.36 Davuds Nachfolger an der Medrese von Bursa, Molla Fenari, der größte Gelehrte zur Zeit Bayezids, war der Sohn eines weiteren Koranschülers und verfasste neben einem Ibn-Arabi-Kommentar ein einflussreiches Lehrbuch der Logik. All das beschrieb Aşıkpaşazade als nichts Besonderes.
Institutionell waren die Medresen eng verknüpft mit der Autorität und dem Reichtum der Erobererdynastie und mit dem Vakıf, jenem leistungsfähigen Finanzinstrument, das ursprünglich entstanden war, um die Medrese auszustatten und zu finanzieren. Der standardisierte Lehrplan der Medrese bestand aus der Lektüre und dem Verständnis klassischer Texte unter strenger Aufsicht des Lehrpersonals. Er umfasste Koranexegese (tafsir), Rechtskunde (fıkıh), Hadithstudien, philosophische Theologie (kalam) und arabische Grammatik, aber auch Medizin, Mathematik, Astronomie und Mystik (tasavvuf). Die Absolventen der Medresen besetzten die Ämter und Gerichtshöfe der Sultane. Die Scharia – also die Zusammenfassung des Korans und der gelebten Praxis des Propheten Mohammed (der Sunna), ausgelegt im Rahmen einer der vier anerkannten Schulen des islamischen Rechtsdenkens – bildete die Grundlage der islamischen Gesellschaft. Wie türkische Herrscher überall in der afroeurasischen Welt forderten die osmanischen Sultane die hanafitische Rechtsauslegung, welche gewöhnlich die Ernennung weltlicher Herrscher qua göttlicher Vorsehung guthieß. Doch die Scharia allein hat damals wie heute nie genügt, um eine islamische Gesellschaft zu regieren. Stets stand sie neben dem dynastischen Recht, den weltlichen Dekreten der Sultane.
Die Medrese war in den Ländern der Osmanen nicht das einzige Institut für höhere Bildung. Auch die führenden Sufi-„Ordenshäuser“, die Tekken, dienten als Akademien zur Ausbildung in Künsten und Wissenschaften. Das Studium der Schöpfung und des Korans wurde hier durch Quellen und Methoden vertieft, welche die Verbindungen zwischen beiden offenlegen sollten, einschließlich der esoterischen Wissenschaften. Die hierarchische Struktur und das Meister-Schüler-Verhältnis in der Tekke gaben der dortigen Bildung einen anderen Anstrich als jener in der Medrese. In der Tekke bedeutete höhere Bildung nicht bloß Wissensvertiefung, sondern auch geistige Reifung mittels einer zielgerichten betreuten Ausbildung in den geistigen Disziplinen und eines Studiums der Grundlagentexte.
Die Moschee richtete die Gläubigen auf die Erfüllung der Ziele des Lebens aus, und zwar durch die Zugehörigkeit zur Bundesgemeinschaft des Gottesvolkes. Der Gottesdienst in der Moschee war die organisierte Antwort des Menschen auf Gott. Er gipfelte in jenem liturgischen Augenblick beim Freitagsgebet, wenn der Imam auf die Kanzel stieg, um die Ansprache (hutbe) zu halten, und die Versammelten die Antwort des Menschen auf Gott in der rituellen secd, der Niederwerfung, der Überantwortung an die Einzigkeit Gottes, verwirklichten. Dem gingen Ermahnungen und Erläuterungen der heiligen Schriften voraus. Als abschließende Verkündigung erkannte die Hutbe auch den Monarchen an, dessen irdischer Schutz, legitimiert durch den Kalifen, diese Versammlung ermöglichte. Mit den täglichen Gebeten wurde den Muslimen eingeschärft, stets rechtzeitig auf Gott zu antworten; die wöchentlichen Predigten sorgten im Verein mit regelmäßigen Rezitationen aus dem heiligen Buch für eine straffe Disziplin in der Gemeinde; und der Jahreszyklus aus Fasten und Feiern, Pilgerfahrt und Rückkehr war die gelebte menschliche Hidschra; der Koran drückt es folgendermaßen aus (2,156): „Wenn ein Unglück sie trifft“, dann ist unser einziger Trost im Leben und im Tod: „Wir gehören Gott, und wir kehren zu Ihm zurück.“37
Für Aşıkpaşazade und die Mystiker jedoch erfolgte die Gottesverehrung nicht nur in der Moschee, sondern auch in der Gesellschaft von Scheichs und Derwischen in der Tekke. Es gab verschiedene Arten von Tekken, darunter einige, die mit ihren ortsansässigen Derwischen an Klöster erinnerten. Alle verfügten über einen Betsaal. In den Versammlungen hörten die Gläubigen zunächst dem Scheich zu, der über einen spirituellen Stammbaum vom Gründer und dessen designierten Stellvertretern abstammte; Höhepunkt war der als zikr (Erinnerung) bezeichnete rituelle Sprechgesang, mit dem der Name Gottes angerufen wurde. So wie der Sprechgesang einen Menschen dazu anhielt, den Namen auf den Benannten zurückzuführen, bedeutete die Liturgie des Ordenshauses (sema) eine Annäherung an die echte Begegnung mit Gott, eine Begegnung, die sich vielleicht nur einmal im Leben ereignete. In einem sozialen Umfeld, in dem diese Begegnung geachtet wurde, konnte die Tekke zu jenem Ort werden, wo man sie erwartete, suchte und möglicherweise in jeder weltlichen Begegnung erhoffte. Für die Sufis waren nicht nur die Koranverse Zeichen (ayet) Gottes, vielmehr offenbarten sich Gottes Eigenschaften in jedem Teil der Schöpfung. Der Scheich unterwies seine Schüler in der Auflösung des Ich, dem Tod des Selbst, der jede echte Gotteserfahrung begleitete und an ihrem Ende stand.
War die secd in der Moschee die fußfällige Reaktion der Geschöpfe auf den Ganz-Anderen, so war die sema in der Tekke die Umarmung der Liebenden. Musik und Tanz prägten die Gottesverehrung in der Tekke, und das Tor zu ihrer geistigen Tradition war die Lyrik. Sammlungen klassischer Dichtung (Divane) wurden zu einer Theologie mit anderen Mitteln, und Literaturgeschichte fungierte zugleich als Glaubensgeschichte.
Die Landschaft aus Meistern und Sekten war vielfältig, die Kanäle, über die sie sich gegenseitig beeinflussten, waren vielschichtig und veränderlich.38 Manche Gemäßigte, darunter Rumi und Hacı Bektaş, hatten Wurzeln in Chorasan und im zentralen Eurasien, aber die Herkunft zählte weniger als der emotionale Kontext des türkischen Lebens. In diesem Sinne waren die osmanischen Muslime die eigentlichen Erben von Ibn Arabi. Dieser andalusische Meister hatte nach seiner Pilgerfahrt nach Mekka 1203 zwei Jahrzehnte in den Seldschukenländern verbracht. Sadrettin Konavi, dessen Tekke in Konya ein führendes geistiges Zentrum bildete, waren Ibn Arabis adoptierter Stiefsohn und sein einflussreichster Ausleger.39 Neben dem Koran und den Hadithen waren Ibn Arabis Fusûs al-Hikam („Einfassungen der Weisheit“),40 die üblicherweise mit Hilfe von Konavis Kommentar studiert wurden, einer der beiden weiteren maßgeblichen Texte des osmanischen Islam. Der andere war Rumis Mesnevi, ein spiritueller Klassiker und eine in Verse gefasste schier unbeschreibliche Fundgrube kultureller Verweise. Das menschliche Verlangen nach Transzendenz, das in Ibn Arabis begrifflichem Wortschatz und in Rumis Poesie Ausdruck fand, verband alle osmanischen Sufis. Jedes Mitglied einer Tekke kannte und studierte diese Texte, kopierte und übersetzte sie. Ihr Einfluss durchzog das gesamte kulturelle Leben der Osmanen.
Die Klage der Rohrflöte
Die einleitenden 18 Doppelverse von Rumis Mesnevi, der Klage der Schilfrohrflöte über ihre Trennung vom Schilfbeet, aus dem sie fortgerissen wurde, waren Zeilen, die alle Osmanen sofort wiedererkannten:
Hör’ auf der Flöte Rohr, was es verkündet,
Hör’, wie es klagt, von Sehnsuchtsschmerz entzündet,
„Als man mich abschnitt am beschilften See,
Da weinte alle Welt bei meinem Weh.
Ich such’ ein sehnend Herz, in dessen Wunde
Ich gieße meines Trennungsleides Kunde:
Sehnt doch nach des Zusammenweilens Glück
Der Heimatferne allzeit sich zurück.
Klagend durchzog ich drum die weite Welt,
Und Schlechten bald, bald Guten beigesellt,
Galt jedem ich als Freund und als Gefährte,
– Und keiner fragte, was mein Herz beschwerte.
Und doch – so fern ist’s meiner Klage nicht,
Den Sinnen nur fehlt der Erkenntnis Licht.
So sind auch Seel’ und Leib einander klar,
Doch welchem Aug’ stellt je ein Geist sich dar?“
Kein Hauch, nein, Feuer sich dem Rohr entwindet.
Verderben dem, den diese Glut nicht zündet!
Der Liebe Glut ist’s, die im Rohre saust,
Der Liebe Seufzen, das im Wein aufbraust.
Getrennter Liebenden Gefährtin sie,
Zerreißt das Innerste die Melodie.
Als Gift, als Gegengift stets unvergleichlich,
An Mitgefühl und Sehnsucht unerreichlich,
Gibt sie vom Pfad im Blute uns Bericht,
Von Medschnuns Liebe singt sie manch Gedicht.
Vertraut mit diesem Sinn ist nur der Tor,
Gleichwie der Zunge Kundsmann nur das Ohr.
In Leid sind unsre Tage hingeflogen,
Und mit den Tagen Plagen mitgezogen!
Und ziehn die Tage, lass sie ziehn in Ruh’,
O du der Reinen Reinster, daure du!
Den Fisch nur sättigt nie die Flut, doch lang
Sind dem, der darbt, die Tage, lang und bang.
Aber mein Wort sei kurz; versteht doch nicht
Der Rohe, was der Vielgeprüfte spricht.
Mesnevi oder Doppelverse des Scheich Mewlānā Dschelāl ed dīn Rūmī. Aus dem Persischen übertragen von Friedrich Rosen. München: Georg Müller, 1913, S. 55–57.
Manchmal gab es durchaus Spannungen zwischen Medrese und Tekke. Yunus Emre, der mystische türkische Dichter des vorausgegangenen Jahrhunderts, hatte die geistige Armut der Ulema karikiert, und bei Rumi findet sich die Zeile: „Ein Intellektueller weiß nicht, was der Betrunkene spürt.“ Und die Mystik hatte ihrerseits unter den osmanischen Ulema ihre Kritiker. Doch während es im osmanischen Islam an Kontroversen nicht mangelte, blieb die gegenseitige Feindseligkeit einstweilen begrenzt. Die arabischen Streitschriften von Ibn Taymiyya aus Damaskus und seinen Schülern hatten noch keinerlei Widerhall in den osmanischen Ländern gefunden. Osmanische Mystik war nicht gleichbedeutend mit Geistfeindlichkeit, und der osmanische akademische Islam versuchte die Berechtigung mystischen Suchens nicht in Abrede zu stellen und lehrte Mystik (tasavvuf) als Unterrichtsfach im Lehrplan der Medresen.
Yunus Emre über die Ulema
Den Sinn des Wahren erkannte niemand durch Exegesen, Ihr Derwische, Männer, zum Leben fand nie man mit heuchelndem Wesen!
Scharia ist nur ein Nachen, das Reale des Ozeans Flut, Die Vielen zum Sprung in das Meer vom Nachen nicht fanden den Mut. Sie kamen nur bis an die Tür und blieben in der Scharia stecken, Sie traten nicht ein. Was innen, das konnten sie nicht entdecken. Wer „Heilige-Schrift“-Exegese betreibt, ist im Wahren Rebell, Er liest den Schriftkommentar, doch der Sinn wird ihm dabei nicht hell.a