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Kitabı oku: «Ligeia und andere Novellen», sayfa 4

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DIE INSEL DER FEE

Nullus enim locus sine genio est.

Servius

„La musique,“ sagt Marmontel in seinen „Contes Moreaux,“ die wir in allen unsern Übersetzungen beharrlich als „Moralische Geschichten“ bezeichnet finden, als ob man ihren Sinn verhöhnen wollte – „la musique est le seul des talents qui jouisse de lui-même: tous les autres veulent des témoins.“ Er verwechselt hier die Freude an schönen Klängen mit der Fähigkeit, sie hervorzurufen. Die musikalische Begabung ist ebensowenig wie jedes andere Talent da, wo kein zweiter ihre Äußerungen würdigt, zur Gewährung eines vollkommenen Genusses befähigt, und nur in Verbindung mit andern Begabungen bringt sie die Wirkungen hervor, die erst in der Einsamkeit ganz genossen werden mögen. Der Gedanke, den der „raconteur“ entweder nicht klar genug dargestellt oder dessen Darstellung er einer nationalen Vorliebe für Pointierung geopfert hat, ist zweifellos der sehr begründete, daß wir gute Musik am tiefsten zu würdigen verstehen, wenn wir einsam sind. Der Gedanke in dieser Form wird ohne weiteres jedem richtig erscheinen, der die Musik um ihrer selbst und ihrer seelischen Wirkung willen liebt. Doch noch eine Freude ist den verstoßenen Sterblichen vergönnt, eine, die vielleicht mehr noch als die Musik der gesteigerten Einsamkeit bedarf. Ich meine den Genuß, den die Naturbetrachtung bietet. Wahrlich, wer Gottes Herrlichkeit auf Erden recht gewahren will, der muß diese Herrlichkeit in Einsamkeit betrachten. Mir wenigstens erscheint die Anwesenheit nicht nur menschlicher, sondern überhaupt lebendiger Wesen jeder Art, außer den grünen Dingen, die aus dem Boden wachsen und keine Stimme haben, als Befleckung der Landschaft, als etwas, was der seelischen Harmonie des Bildes zuwiderläuft.

In Wahrheit! ich liebe die Vorstellung, daß die dunklen Täler und grauen Felsen und die schweigsam lächelnden Wasser und die Wälder, die in unruhigem Schlummer seufzen – und die stolzen wachsamen Berge, die auf alles herunterblicken – , daß alles dies nur ungeheure Gliedmaßen eines gewaltigen lebendigen und empfindenden Ganzen sind – eines Ganzen, dessen Gestalt (die Kugel) die vollkommenste und umfassendste ist, die es gibt; dessen Weg den andern Planeten zugesellt ist, dessen zarte Magd der Mond2, dessen mittelbarer Herr die Sonne ist; dessen Lebensdauer Ewigkeit, dessen Sinn der Wille Gottes ist; dessen Freude Wissen ist; dessen Geschicke sich in Unendlichkeit verlieren; dessen Kenntnis seiner selbst etwa unsrer Kenntnis der mikroskopischen Kleinwelt gleichkommt – eines Daseins, das wir als völlig unbelebt und rein stofflich ansehen, ähnlich, wie diese winzigen Wesen uns betrachten mögen.

Unsre Teleskope und unsre mathematischen Entdeckungen geben uns trotz des scheinheiligen Geredes der Geistlichkeit überall die Gewißheit, daß Raum und also Masse in den Augen des Allmächtigen eine große Bedeutung hat. Die Kreise, darin die Sterne sich bewegen, sind als die besten befunden worden für eine ungehinderte Bewegung der größtmöglichen Anzahl Körper. Die Form dieser Körper ist gerade so, daß sie bei einer gegebenen Oberflächengröße die größtmögliche Anhäufung von Materie gestattet, während die Oberfläche selbst so beschaffen ist, daß sie eine größere Zahl von Bewohnern aufnehmen kann, als wenn sie irgendeine andre Gestalt hätte. Auch ist die Tatsache, daß der Raum selbst unendlich ist, kein Argument dagegen, daß die Masse ein Zweck Gottes ist; denn eine unendliche Materie mag vorhanden sein, um ihn zu füllen, und da wir deutlich sehen, daß die Materie grundsätzlich von Leben erfüllt ist – in der Tat, soweit unser Urteil reicht, ein leitender Grundsatz in den Maßnahmen der Gottheit – so ist es kaum logisch, dieses Leben auf die Regionen des Kleinen, wo wir es täglich nachweisen können, zu beschränken und nicht auf die des Erhabenen auszudehnen. Da wir ohne Ende Kreis in Kreise laufen sehen, alle aber sich um eine ferne Mitte drehen, um die Gottheit, sollten wir da nicht gleicherweise Leben in Leben vermuten, das kleinere im größeren und alle im göttlichen Geiste? Kurz, wir sind infolge unsrer Selbstüberhebung in einem gewaltigen Irrtum, wenn wir annehmen, der Mensch sei in seiner zeitlichen oder zukünftigen Bestimmung von größerer Wichtigkeit für das Universum als der gewaltige Talkörper, den er beackert und verachtet und dem er eine Seele abspricht, aus keinem tieferen Grunde, als weil er sie nicht in Tätigkeit sieht3.

Solche und ähnliche Vorstellungen haben meinen Betrachtungen in den Bergen und Wäldern, an den Flüssen und am Meere eine Beimischung gegeben, die von der Alltagswelt zweifellos als „phantastisch“ bezeichnet werden würde. Meine zahllosen, meist einsamen Wanderungen in solchen Gegenden pflegten meinen Geist ungewöhnlich lebhaft zu beschäftigen, und die Hingabe, mit der ich manchen düstern Talgrund durchstreifte oder in die Himmelsspiegelung manches strahlenden Sees blickte, wurde sehr vertieft durch das Bewußtsein, daß ich allein wanderte und Umschau hielt. Welcher geschwätzige Franzose4 war es doch, der mit Beziehung auf das Werk von Zimmermann sagte: „la solitude est une belle chose; mais il faut quelqu’un pour vous dire que la solitude est une belle chose“? Dem Epigramm ist nicht zu widersprechen; aber dies „il faut“ – diese Notwendigkeit ist doch ein Unding.

Es war auf einer meiner einsamen Wanderungen in weit entfernten Gegenden, wo Berg an Berg geschlossen war und trauervolle Flüsse und schwermütige Sümpfe sich einherwanden oder schlummernd lagen, als ich an einen kleinen Fluß mit einer Insel kam. Es war im laubreichen Juni. Ich warf mich auf den Rasen unter die Zweige eines unbekannten duftenden Gesträuches, um in Betrachtung des Bildes versunken zu ruhen. Ich fühlte, nur so sollte ich es ansehen, dies entsprach seinem Charakter.

Auf allen Seiten – außer gen Westen, wo die Sonne im Untergehen war – erhoben sich grüne Waldesmauern. Der Fluß, der in seinem Lauf eine scharfe Wendung machte und sich so plötzlich den Blicken entzog, schien aus seinem Gefängnis keinen Ausweg zu haben, sondern vom grünen Laub der Bäume im Osten aufgesogen zu werden, während auf der anderen Seite (so erschien es mir, als ich da lag und nach oben sah) geräuschlos und unaufhaltsam ein gold- und purpurroter Wasserfall aus den Abendrotquellen des Himmels ins Tal herniedersprühte.

Etwa in der Mitte des beschränkten Ausschnitts, den mein träumerisches Auge faßte, ruhte eine kleine runde, üppig begrünte Insel auf der Brust des Wassers,

 
Und Licht und Schatten woben Duft,
Als hänge sie schwebend in der Luft.
 

So spiegelglatt war das glasige Wasser, daß sich kaum erkennen ließ, an welcher Stelle des grünen Rasenhanges sein Reich begann.

Meine Lage gestattete mir, mit einem einzigen Blick sowohl das östliche wie das westliche Ende der Insel zu umfassen, und ich bemerkte eine eigentümliche Verschiedenheit an ihnen. Das Westende war wie ein strahlender Harem von Gartenschönheiten. Es glühte und errötete unter den schrägen Blicken der Sonne und lachte mit heiteren Blumen. Das Gras war kurz, feucht, süß duftend und von Goldwurz durchblüht. Die Bäume waren geschmeidig, heiter, aufrecht, hell, schlank und anmutig, von morgenländischem Bau und Laub, mit sanfter, glänzender und buntfarbiger Rinde. Alles schien gesättigt von einem tiefen Bewußtsein von Leben und Lust, und obgleich vom Himmel keine Winde bliesen, so war doch alles bewegt durch das leichtbeschwingte Gaukelspiel unzähliger Schmetterlinge, die man für beflügelte Tulpen hätte halten können.5

Das andre oder östliche Ende der Insel war in schwärzeste Schatten gehüllt. Eine traurige, doch schöne und friedvolle Dunkelheit durchdrang hier alle Dinge. Die Bäume waren von düsterer Farbe und trauernd in Gestalt und Haltung; – wie sie sich da in trübe, feierliche und gespenstische Formen hüllten, erweckten sie eine Vorstellung von tödlichem Leid und frühzeitigem Tod. Das Gras hatte den dunklen Farbenton der Zypresse, und seine Halme ließen die Köpfe hängen, und hier und dort sah man im Grase viele kleine häßliche Hügel, schmal und niedrig und nicht sehr lang, die wie Gräber aussahen und doch keine waren, obgleich Raute und wilde Rosen sie ganz und gar überwucherten. Der Schatten der Bäume sank schwer aufs Wasser nieder, als wolle er sich darin begraben, die Tiefen des Elementes mit Dunkelheit sättigend. Ich bildete mir ein, wie die Sonne tiefer und tiefer sank, löse sich Schatten um Schatten trübe vom Stamme, der ihm Leben gegeben hatte, und werde vom Strome aufgetrunken, während jeden Augenblick neue Schatten aus den Bäumen hervortraten, um die Stelle ihrer eingesargten Vorgänger einzunehmen.

Als dieser Gedanke meine Phantasie erfaßt hatte, regte er sie weiter und weiter an, und ich versank in Träumerei. „Wenn je eine Insel verzaubert war,“ sprach ich bei mir selbst, „so ist es diese. Hier ist der Zufluchtsort der wenigen gütigen Feen, die noch vom Untergang verschont geblieben sind. Sind jene Hügel ihre grünen Gräber? – Oder geben sie ihr Leben auf, wie Menschen ihr Leben dahingeben? Ist ihr Sterben nicht vielmehr ein trauervolles Hinschwinden, so daß sie nach und nach ihr Dasein an Gott zurückgeben, wie diese Bäume Schatten um Schatten hingeben, ihr Wesen verhauchen und auflösen? Was der vergehende Baum dem Wasser ist, das seinen Schatten einsaugt und schwärzer wird von jeder solchen Beute, mag nicht das Leben der Fee für den Tod, der es verschlingt, das gleiche sein?“

Als ich so mit halbgeschlossenen Augen sann, indes die Sonne eilig zur Rüste ging und wirbelnde Strömungen rund und rund um die Insel jagten, mit tanzenden weißen Streifen der Rinde des Feigenbaumes auf den Wellen, Streifen, die in ihrer wechselvollen Lage auf dem Wasser von einer lebendigen Phantasie mit allem Erdenklichen zu vergleichen gewesen wären – während ich so sann, war mir, als nehme die Gestalt einer solchen Fee, über die ich nachgesonnen hatte, langsam aus dem Glanze der Westseite der Insel ihren Weg ins Dunkel. Sie stand aufrecht in einem seltsam gebrechlichen Kahn, den sie mit dem Schatten eines Ruders lenkte. Solange sie unter dem Einfluß der zögernden Sonnenstrahlen blieb, schien ihre Haltung Freude auszudrücken, aber Trauer wandelte sie an, als sie der Schatten berührte. Langsam glitt sie dahin und hatte schließlich die Runde um die Insel gemacht und erschien wieder auf der Lichtseite. „Der Zirkel, den die Fee soeben vollendet hat,“ sinnierte ich weiter, „ist der Kreislauf ihres kurzen Lebensjahres. Sie ist durch ihren Winter und ihren Sommer geflutet. Sie ist dem Tode um ein Jahr näher: denn es ist meinen Blicken nicht entgangen, daß, als sie in die Dämmerung kam, ihr Schatten von ihr abfiel und vom dunklen Wasser verschlungen ward, dessen Schwärze noch schwärzer davon wurde.“

Und wieder erschien das Boot mit der Fee, doch in ihrer Haltung war mehr Sorge und Unsicherheit und weniger biegsame Lust. Sie flutete wiederum aus dem Licht und ins Dunkel (das sogleich tiefer wurde), und wiederum fiel ihr Schatten von ihr ab ins ebenholzschwarze Wasser und wurde von seiner Schwärze verschlungen. Und wieder und wieder machte sie die Runde um die Insel (indessen die Sonne zu ihrer Schlummerstätte eilte), und bei jedem Heraustreten ins Licht lag mehr Trauer auf ihrer Gestalt, die schwächer und feiner und unbestimmter wurde, und bei jedem Übergang ins Dunkel sank ein tieferer Schatten von ihr ab, der von immer düstererem Schwarz verschlungen wurde. Endlich aber, als die Sonne gänzlich verschwunden war, glitt die Fee, jetzt nur noch wie das Gespenst ihres früheren Seins, mit ihrem Boot trostlos in das Bereich der ebenholzschwarzen Flut, und ob sie daraus wieder zum Vorschein kam, kann ich nicht sagen, denn Finsternis deckte alle Dinge, und ich gewahrte ihre zauberhafte Gestalt nicht mehr.

LANDORS LANDHAUS

Während einer Wanderung, die mich letzten Sommer durch einige der Flußtäler der Grafschaft Neuyork führte, sah ich mich, als der Tag zur Neige ging, in gewisser Verlegenheit, welchen Weg ich einschlagen sollte. Das Land war auffallend hügelig, und in der letzten halben Stunde hatte mich der Pfad, bei meinem Bemühen, mich in den Tälern zu halten, so verwirrend um und rundum geführt, daß ich nicht mehr ahnte, in welcher Richtung das reizende Dorf B… lag, wo ich die Nacht zu bleiben gedachte. Es hatte, genau genommen, den Tag über eigentlich keinen Sonnenschein gegeben, dennoch war es ungewöhnlich warm gewesen. Ein Nebelschleier, wie lauter Altweibersommer, verhängte alle Dinge und vermehrte natürlich meine Unsicherheit. Nicht daß ich die Sache sehr wichtig nahm. Sollte ich nicht vor Sonnenuntergang, selbst nicht vor Einbruch der Dunkelheit auf das Dorf stoßen, so war es doch mehr als wahrscheinlich, daß irgendein kleines Farmhaus oder dergleichen auftauchen würde, wenn auch die Gegend (vielleicht weil sie sich mehr malerisch als fruchtbar erwies) nur spärlich bewohnt war. Jedenfalls wäre ein Biwak im Freien, mit meinem Rucksack als Kissen und meinem Jagdhund als Wächter, so recht nach meinem Geschmack gewesen. Ich schlenderte daher wohlgemut weiter und hatte meine Flinte Ponto aufgeladen, als ich schließlich, da ich eben Betrachtungen darüber anstellte, ob die zahlreichen kleinen Lichtungen, die hier- und dorthin führten, überhaupt Pfade vorstellen sollten, auf dem verlockendsten von ihnen zu einem richtigen Fahrweg geriet. Jeder Irrtum war ausgeschlossen. Leichte Räderspuren waren sichtbar, und obgleich das hohe Strauchwerk und das aufgeschossene Unterholz sich oben zusammenschlossen, gab es am Boden nicht das geringste Hemmnis, selbst nicht für ein virginisches Berggefährt, meiner Meinung nach das anspruchsvollste, hochfahrendste Vehikel seiner Art. Abgesehen davon, daß der Weg frei in den Wald führte (wenn die Bezeichnung Wald nicht allzu wuchtig ist für dieses Beieinander lichter Bäume) und daß er deutliche Räderspuren aufwies, glich er auch nicht entfernt irgendeinem der Wege, die ich je gesehen hatte. Die besagten Spuren waren kaum wahrnehmbar auf einer Fläche, die eine lebhafte Ähnlichkeit mit grünem Genueser Samt besaß. Es war Gras, gewiß, aber Gras, wie wir es außer in England selten sehen, so kurz, so dicht, so eben und von so leuchtender Farbe. Nicht das geringste Hindernis fand sich in der Radspur, nicht einmal ein Span oder ein dürrer Zweig. Die Steine, die einst den Weg gehemmt hatten, waren zur Seite der Rasenfläche sorgsam niedergelegt, nicht geworfen worden, so daß sie diese mit einer sozusagen nachlässigen Sorgsamkeit malerisch abgrenzten. Büsche wilder Blumen wuchsen in den Zwischenräumen in verschwenderischer Fülle.

Was ich aus alledem machen sollte, wußte ich natürlich nicht. Hierin lag unzweifelhaft Kunst. Das überraschte mich nicht; alle Wege sind im herkömmlichen Sinne Kunstwerke; auch kann ich nicht sagen, daß lediglich die Übertreibung des Künstlerischen so wundersam erschien; alles, was hier geschehen war, mochte hier, wo soviel natürliche „Anlage“ vorlag (wie man das in Büchern über Landschaftsgärtnerei findet) mit sehr wenig Arbeit und Ausgaben getan worden sein. Nein, es war nicht die Fülle, sondern der Charakter des Künstlerischen, was mich veranlaßte, mich auf einen der umblühten Steine niederzulassen und wohl eine halbe Stunde oder länger diese feenhafte Allee voll staunender Bewunderung hinauf und hinunter zu blicken. Eines wurde mir, je länger ich schaute, mehr und mehr deutlich: ein Künstler, und zwar ein Künstler mit außerordentlich scharfem Blick für Formen, hatte alle diese Anordnungen im voraus überlegt. Man war mit größter Sorgfalt bedacht gewesen, zwischen dem Hübschen und Anmutigen einerseits und dem „Pittoresken“, im wahren Sinne der italienischen Bezeichnung, andrerseits die rechte Mitte zu halten. Es gab wenig gerade und keine auf die Länge ungebrochene Linie. Dasselbe Bild in Krümmung oder Farbe bot sich, soweit das Auge reichte, meist zweimal, doch nicht öfter. Überall in der Einförmigkeit war Abwechslung. Es war ein Stück „Komposition“, in der selbst der anspruchsvollste kritische Geschmack kaum eine Verbesserung hätte vorschlagen können.

Als ich diesen Weg betrat, hatte ich mich nach rechts gewandt, und nun erhob ich mich und verfolgte dieselbe Richtung. Der Pfad war so gewunden, daß ich seinen Lauf nie mehr als zwei, drei Schritte weit vor mir sah. Seine Anlage erfuhr nicht die geringste Wandlung.

Plötzlich traf das sanfte Murmeln eines Wassers mein Ohr, und einige Augenblicke später, als der Pfad mich noch überraschender als bisher um die Ecke führte, gewahrte ich, daß am Fuße eines gerade vor mir liegenden sanften Hanges irgendein Gebäude lag. Ich konnte infolge des Dunstschleiers, der das ganze kleine Tal drunten erfüllte, nichts deutlich erkennen. Jetzt erhob sich jedoch ein leichter Wind, denn die Sonne war am Untergehen, und während ich auf dem Hügelkamm stehen blieb, zerteilte sich der Nebel in krause Fetzen und flutete über die Szene.

Wie die Dinge so allmählich zum Vorschein kamen, Stück um Stück, hier ein Baum, da ein Wasserblinken und hier wieder ein Stück Schornstein, war mir nicht anders zumute, als sei das Ganze eines jener geschickten Trugbilder, wie sie zuweilen unter der Bezeichnung „Vexierbilder“ dargeboten werden.

Mit der Zeit jedoch, als der Nebel sich völlig verzogen hatte, war auch die Sonne hinter die sanften Hänge hinabgesunken, kam nun aber, als habe sie ein leichtes „chassez“ nach Süden gemacht, wieder in volle Sicht, indem sie in purpurnem Glanz durch eine Kluft im Westen des Tales hereinschimmerte. Plötzlich also und wie mit Zauberhand wurde dieses ganze Tal und alles, was darin war, strahlend sichtbar.

Der erste „coup d’œil“, als die Sonne in die angegebene Stellung glitt, machte mir einen ähnlichen Eindruck, wie ihn mir in meiner Knabenzeit das Schlußbild eines gut inszenierten Schauspiels oder Melodramas hervorrief. Nicht einmal die Ungeheuerlichkeit in der Farbengebung fehlte, denn die Sonne drang durch die Kluft in sattem Orangerot und Purpur, während das lebhafte Grün des Grases im Tal durch den Dunstschleier, der noch immer darüber schwebte, als widerstrebe ihm die Trennung von einem so zauberhaft schönen Bild, mehr oder weniger auf alle Dinge zurückgestrahlt wurde.

Das kleine Tal, in das meine Blicke so unter der Nebelschicht hinabtauchten, konnte nicht mehr als vierhundert Meter Länge haben, die Breite wechselte von fünfzig zu hundertundfünfzig oder auch zweihundert Metern. An seinem Nordende war es außerordentlich schmal und verbreiterte sich, aber nicht gerade regelmäßig, nach Süden hin. Die größte Breite erreichte es ungefähr achtzig Meter vor dem südlichen Ende. Die Hänge, welche das Tal umgaben, konnten nicht eigentlich Hügel genannt werden, höchstens an ihrer Nordseite. Hier erhob sich eine steile Felswand bis zu einer Höhe von neunzig Fuß und mehr, und wie ich schon sagte, war das Tal hier nicht breiter als fünfzig Meter. Wer sich aber von diesem Felsenriff nach Süden wandte, der fand zur Rechten und Linken Abhänge, die sowohl weniger hoch wie auch weniger steil und weniger felsig waren. Mit einem Wort, nach Süden hin wurde alles schräger und sanfter, und doch war das ganze Tal von mehr oder weniger hohen Erhebungen umgürtet, abgesehen von zwei Punkten. Von einem derselben habe ich schon gesprochen. Er lag gegen Nordwesten, und hier war es, wo die Sonne in der geschilderten Weise in das Amphitheater ihren Weg fand, durch eine sauber geschnittene natürliche Kluft in der granitenen Umfassung. Dieser Einschnitt mochte an seiner breitesten Stelle zehn Meter betragen – soweit das Auge das zu schätzen vermochte. Er schien wie eine natürliche Chaussee sachte aufwärts zu führen, in die Gründe noch undurchforschter Berge und Wälder. Die andere Öffnung befand sich genau am südlichen Talende. Hier waren die Hügel im allgemeinen kaum mehr als sanfte Wellungen, die von Osten nach Westen in einer Breite von etwa hundertundfünfzig Metern verliefen. In der Mitte dieser Strecke lag eine Senkung, die bis auf die Bodenhöhe des Tales herabging. Wie in allem andern, so bot die Szene auch hinsichtlich der Vegetation ein nach Süden hin niedrigeres und sanfteres Bild. Nach Norden, an dem steilen Felshang, erhoben sich nicht weit vom Gipfel die prächtigen Stämme vom weißen und schwarzen Walnußbaum, vom Kastanienbaum und vereinzelten Eichen, und die besonders von den Walnußbäumen streng wagerecht gebreiteten Äste sprangen weit über den Felsrand vor. Nach Süden fortschreitend sah man zunächst dieselben Baumarten, nur weniger hochgewachsen und majestätisch; dann begegnete man der schlankeren Ulme, dem Sassafras und der Robinie – diesen folgte die sanftere Linde, der Judasbaum, Trompetenbaum und Ahorn – und schließlich kamen noch anmutigere und bescheidenere Arten. Die ganze südliche Hügelwelle war nur mit wildem Strauchwerk bedeckt bis auf ein paar vereinzelte Silberweiden und Silberpappeln. Drunten im Tale selbst (denn man muß beachten, daß die genannte Vegetation nur auf den Felsen oder Hügelwänden wuchs) sah man drei einzeln stehende Bäume. Der eine war eine Ulme von schöner Größe und herrlicher Gestalt; sie stand als Wächter am südlichen Eingang des Tales. Der zweite war ein Nußbaum, viel größer als die Ulme und alles in allem ein viel edlerer Baum, wenngleich beide ausnehmend schön waren. Er schien den nordwestlichen Zutritt zu bewachen, wie er da aus einer Felsengruppe seine vornehme Gestalt mitten in den offenen Rachen der Schlucht hinausreckte, in einem Winkel von fast fünfundvierzig Grad, weit hinaus in den Sonnenschein des Amphitheaters.

Etwa dreißig Meter östlich von diesem Baum stand jedoch der Stolz des Tales und ohne Frage der prächtigste Baum, den ich je gesehen habe, ausgenommen vielleicht die Zypressen von Itchiatuckanee. Es war ein dreistämmiger Tulpenbaum – ein Liriodendron tulipiferum – eine der wilden Magnolienarten. Die drei Stämme trennten sich vom Mutterstamm in etwa drei Fuß Höhe, strebten nur ganz allmählich auseinander und waren dort, wo der breiteste Stamm Laub ansetzte, nicht mehr als vier Fuß auseinander. Das war in einer Höhe von ungefähr achtzig Fuß. Die ganze Höhe des Baumes betrug einhundertundzwanzig Fuß. Nichts kommt an Schönheit dem leuchtkräftigen Grün der Blätter des Tulpenbaumes gleich. Gegenwärtig waren sie volle acht Zoll breit; ihre Pracht aber wurde übertroffen von dem schwellenden Prunk üppiger Blüten. Man stelle sich eine Million dicht zusammengedrängter strahlendster Tulpen vor! Nur so kann sich der Leser eine Ahnung von dem Bilde machen, das ich ihm vermitteln möchte. Und dann die stolze Anmut der sauberen, zart gekerbten säulenartigen Stämme, deren größter zwanzig Fuß vom Boden einen Durchmesser von vier Fuß hatte. Die unzähligen Blüten erfüllten im Verein mit den Blüten anderer, kaum weniger schöner, allerdings weit weniger majestätischer Bäume das Tal mit Wohlgerüchen, die köstlicher waren als die Wohlgerüche Arabiens.

Den eigentlichen Boden des Amphitheaters bildete Gras von derselben Beschaffenheit, wie ich es auf dem Weg gefunden hatte, höchstens noch weicher, üppiger und von einem noch wundervolleren sammetartigen Grün. Es war schwer zu fassen, wie all diese Schönheit erzielt werden konnte.

Ich habe von den zwei Öffnungen im Tal gesprochen; aus der ersten gen Nordwesten ergoß sich ein Bächlein, das mit sanftem Murmeln und einigem Schäumen die Schlucht herunterkam, bis es gegen die Felsengruppe prallte, aus der der einzelstehende Walnußbaum aufschoß. Hier umkreiste es den Baum und wandte sich dann etwas nach Nordwesten, den Tulpenbaum einige zwanzig Fuß südlich lassend; nun veränderte es seinen Lauf nicht eher, als bis es etwa die Mitte zwischen der östlichen und westlichen Grenze des Tales erreicht hatte. An dieser Stelle bog es nach mehreren Krümmungen im rechten Winkel ab und verfolgte eine im allgemeinen südliche Richtung, bis es sich eilig in einem kleinen See von unregelmäßiger, aber ziemlich ovaler Form verlor, der schimmernd nahe am südlichen Talausgang lag. Dieser See hatte vielleicht an seiner breitesten Stelle hundert Meter Durchmesser. Kein Kristall konnte klarer sein als seine Wasser. Sein Grund, den man deutlich sehen konnte, bestand überall aus strahlend weißen Kieseln. Seine Ufer, von besagtem Smaragdgrün, rundeten sich in den klaren Himmel hinunter, und so klar war dieser Himmel, so vollkommen spiegelte er zuzeiten alle Gegenstände von oben, daß es schwer festzustellen war, wo das wirkliche Ufer aufhörte und das widergespiegelte begann. Die Forelle und einige andre Fischarten, von denen es im Weiher wimmelte, erweckten alle den Anschein von fliegenden Fischen. Es war schwer, nicht anzunehmen, daß sie einfach in der Luft hingen. Ein leichtes Birkenboot, das friedlich auf dem Wasser lag, wurde von dem so köstlich polierten Spiegel bis in seine feinsten Rippen mit unerhörter Treue wiedergegeben. Eine kleine Insel im heitern Schmuck vollerblühter Blumen und nur gerade groß genug, um ein malerisches kleines Bauwerk zu tragen, offenbar ein Wasservogelhaus, erhob sich im See, nicht weit von seinem nördlichen Ufer – mit dem es durch eine unbegreiflich zierlich wirkende und doch ganz primitive Brücke verbunden war. Sie bestand aus einer einzigen breiten und dicken Planke aus Tulpenholz. Sie war vierzig Fuß lang und überspannte den Raum zwischen Ufer und Ufer in leichtem, doch gut wahrnehmbarem Bogen, der jede Schwankung ausschloß. Aus dem Südende des Sees ergoß sich wieder der Bach, der sich ungefähr dreißig Meter in Windungen ergötzte und dann schließlich durch die (schon beschriebene) Niederung inmitten der südlichen Hänge hindurchfloß und, in eine Tiefe von hundert Fuß hinuntertaumelnd, seinen vielfach gewundenen Weg zum Hudson nahm.

Der See war tief – an manchen Stellen bis zu dreißig Fuß, der Bach aber hatte selten mehr als drei, während seine größte Breite etwa acht betrug. Sein Bett und die Ufer glichen denen des Weihers – wenn etwas daran auszusetzen war, so war es dies, daß die malerische Wirkung vielleicht durch übertriebene Sauberkeit beeinträchtigt wurde.

Die Weite des grünen Feldes wurde gelegentlich durch einen Zierstrauch unterbrochen, wie Hortensie, Schneeball oder duftendes Jasmingesträuch; häufiger noch durch eine Geraniumgruppe, die in allen Varietäten üppig blühte. Diese letzteren standen in Töpfen, die sorgfältig in die Erde gegraben waren, um den Eindruck wildwachsender Pflanzen hervorzurufen. Überdies war der Wiesensammet anmutig von Schafen belebt, die als stattliche Herde das Tal durchstreiften, in Gesellschaft dreier zahmen Rehe und einer beträchtlichen Anzahl strahlendgefiederter Enten. Ein sehr großer Bullenbeißer schien allen diesen Tieren, dem einzelnen wie der Gesamtheit, eine wachsame Aufmerksamkeit zu widmen.

An den östlichen und westlichen Felsen – dort, wo die Begrenzung nach den höhergelegenen Teilen des Amphitheaters hin mehr oder weniger steil war – zog sich in verschwenderischer Fülle Efeu hin, so daß man nur hie und da ein Fleckchen vom nackten Fels hindurchschimmern sah. Der Westabhang war gleicherweise fast vollständig mit selten prächtigen Reben bedeckt, die zum Teil vom Fuße des Felsens aufstrebten, zum Teil am Hange selbst hervorwuchsen.

Die geringe Erhebung, welche die untere Abgrenzung dieser kleinen Besitzung bildete, wurde von einer sauberen Steinmauer gekrönt, deren Höhe genügte, das Entweichen des Wildes zu verhindern.

Nirgends sonst war eine Einfriedigung zu bemerken; denn nirgends sonst war ein künstlicher Abschluß nötig. Würde zum Beispiel ein versprengtes Schaf versuchen, sich durch die Schlucht aus dem Tal zu entfernen, so würde es sein Vorwärtskommen nach wenigen Schritten durch den steilen Felsenvorsprung gehemmt sehen, über den der Wasserfall herabstürzte, der gleich, als ich mich der Ansiedlung näherte, meine Aufmerksamkeit erregt hatte. Kurz, der einzige Ein- und Ausgang bestand in einem Tor, das einen Felspfad sperrte, wenige Schritte unterhalb der Stelle, auf der ich stehen blieb, um die Szene zu betrachten.

Ich habe geschildert, wie der Bach in seinem Laufe viele unregelmäßige Windungen machte. Seine beiden Hauptrichtungen liefen, wie ich sagte, zuerst von West nach Ost und dann von Norden nach Süden.

Da, wo die Strömung den Bogen machte und wieder nach rückwärts lief, schloß sie eine fast kreisrunde Schlinge, so daß eine Halbinsel entstand, die beinahe eine Insel war. Auf dieser Halbinsel stand ein Wohnhaus – und wenn ich sage, daß dieses Haus, gleich der Höllenterrasse, die Vathek sah, „était d’une architecture inconnue dans les annales de la terre“, so meine ich lediglich, daß das Ganze mich durch seine Eigenart wie auch durch seine Zweckmäßigkeit ungemein verblüffte – mit einem Wort, durch „Poesie“ – (denn ich könnte kaum mit anderen Bezeichnungen, als den vorstehend gewählten, eine genaue Definition für abstrakte Poesie geben) – und ich meine nicht, daß das „outre“ in irgendeiner Hinsicht bemerkenswert war.

In der Tat, nichts hätte wohl einfacher – unaufdringlicher wirken können als dieses Landhaus. Sein wundersamer Eindruck lag ausschließlich in seiner künstlerischen bildhaften Anlage. Während ich hinsah, hätte ich mir vorstellen können, ein hochbedeutender Landschaftsmaler habe es mit seinem Pinsel hergestellt.

Der Aussichtspunkt, von dem aus ich das Tal zum ersten Male sah, war zur Betrachtung des Hauses nicht der beste, aber doch fast der beste Platz. Ich will es daher so beschreiben, wie es sich mir später bot – von dem Steinwall am Südende des Amphitheaters aus gesehen.

Das Hauptgebäude hatte eine Länge von ungefähr vierundzwanzig Fuß und eine Breite von sechzehn – sicher nicht mehr. Seine Gesamthöhe vom Boden bis zur Dachspitze konnte nicht mehr als achtzehn Fuß betragen. An der Westseite dieses Bauwerks war ein zweites angefügt, das in allen seinen Teilen etwa ein Drittel kleiner war: – seine Vorderseite stand etwa zwei Meter hinter der des größeren Hauses zurück, und sein Dach verlief natürlich beträchtlich niedriger als das benachbarte. In rechtem Winkel zu diesen Gebäuden und am Ende des Hauptbaues – der nicht genau die Mitte einnahm – erstreckte sich ein dritter, sehr kleiner Bau – im Ganzen ein Drittel kleiner als der westliche Flügel. Die Dächer der beiden größeren Bauten waren sehr steil – glitten in einer langen konkaven Kurve vom First hernieder und griffen mindestens vier Fuß über die Frontmauern hinaus, so daß sie noch die Bedachung zweier Laubengänge bildeten. Als solche bedurften sie selbstredend keiner Stützen; da sie aber dem Anschein nach Stützen brauchten, so waren nur an den Ecken leichte und völlig glatte Säulen eingeschaltet worden. Das Dach des nördlichen Flügels war nur eine Verlängerung des Hauptdaches. Zwischen dem Hauptgebäude und dem westlichen Flügel erhob sich ein sehr hoher und ziemlich schlanker viereckiger Schornstein aus harten schottischen Ziegeln, abwechselnd schwarzen und roten – mit einer schmalen Kranzleiste ausladender Ziegel am oberen Ende. Auch über die Giebel sprangen die Dächer sehr weit vor – am Hauptbau etwa vier Fuß nach Osten und zwei nach Westen. Die Eingangstür befand sich nicht genau in der Mitte, sondern etwas mehr östlich, während die beiden Fenster westlich davon lagen. Sie reichten nicht bis zur Erde, waren aber viel länger und schmaler als üblich – sie hatten einflügelige Fensterladen, die wie Türen aussahen – die Glasscheiben hatten Rautenform, aber von ziemlicher Größe. Die Tür selbst bestand in ihrem oberen Teil aus Glas, ebenfalls in Rautenform – durch einen beweglichen Schalter nachts verschließbar. Die Tür für den Westflügel befand sich in der Giebelseite und war sehr einfach – ein einziges Fenster wies hier nach Süden. Am Nordflügel gab es keine Außentür, und er hatte auch nur ein Fenster nach Osten.

2.Mond im Englischen weiblich, Sonne männlich. A. d. Üb.
3.Wo Pomponius Mela in seiner Abhandlung „De Situ Orbis“ von Flut und Ebbe spricht, sagt er: „Entweder ist die Welt ein großes Tier, oder“ usw.
4.Balzac, dem Sinne nach; ich weiß nicht mehr die Worte.
5.Florem putares nare per liquidum aethera. – P. Commire
Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
22 ekim 2017
Hacim:
130 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
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