Kitabı oku: «Mann und Frau und Reisehunger», sayfa 2

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Ich. Olympiasiegerin?

Wollte ich das mal werden? Olympiasiegerin? Wohl nicht. Und wenn, dann habe ich es vergessen. Obwohl. Sport gemacht habe ich in meiner Kindheit und Jugend täglich. Beim legendären Sportfest in Leipzig bin ich aufgetreten, nachdem ich vier Jahre lang dafür über Rhönräder balancierte, mit Männern des ASK, dem Armeesportklub der DDR, die mich in schwindelerregende Höhen warfen. Kosmonautin wollte ich gar nicht werden. Doch das Training mutet mir, mit Abstand betrachtet, ganz danach an. DDR-Meisterin mit einer Keulen-Übung bin ich geworden. Was für ein Glanzpunkt. Und viele Male Spartakiade-Siegerin. Mit Bällen, Seilen, Keulen und Reifen habe ich um mich geworfen. Mich dabei gedreht, gerollt, überschlagen, um dann, wie selbstverständlich, im nächsten Sprung mein Turngerät erneut aus der Luft zu angeln. ABBA war meine Lieblingsband in diesen Tagen. Zu ihrer Musik habe ich mich wie von allein bewegt. Sport war damals mein Leben. Mein Zeitvertreib, meine Zeit mit Freunden, mein Ausfliegen am Wochenende, meine Begründung, nicht lernen zu können. Trieb ich Sport, machte ich was Vernünftiges. Legitimiert, anerkannt und geachtet. Schließlich war ich erfolgreich und bekam ein ums andere Mal klimpernde Medaillen um meinen Hals gehängt. Spartakiade-Siegerin.

Da war er wieder, dieser Teil der Wortfamilie. Hervorgegangen aus dem Ortsnamen Sparta. Von hier, dem beschaulichen Griechenland, nahm die Bewegung ihren Lauf und machte vor meinem Leben nicht Halt. Heute stehe ich am Ortseingang mit dem in meinen Ohren so verheißungsvollen Namen Olympia. Ein kleines verschlafenes Nest. Mit niedlichen Pensionen für den einen oder anderen Wanderer oder anderweitig aktiv Reisenden. Denn ganz ehrlich. Hier braucht man heute ohne atmungsaktive Kleidung und einem Gelsohlen-Leichtlaufschuh gar nicht erst aufzuschlagen. Hm, haben wir gar nicht bei uns und sind trotzdem da. Halt inkognito. Es sieht uns ja keiner, weil einfach niemand da ist.

In diesen Tagen, kurz vor dem Jahreswechsel, hat man offensichtlich auch hier anderes zu tun, als durch die altehrwürdigen Säulenreste zu joggen. Wäre das Wort verschlafen noch nicht erfunden, so wäre jetzt und hier sein Geburtsmoment. Stille herrscht, wolkenverhangener Himmel gibt der Szene einen Hauch von Düsternis und Geheimniskrämerei zu gleichen Anteilen. Hier schlendert ein Hund umher, hebt sein Bein an einer der vielen umgestürzten Säulen. Nicht minder verträumt der Ort, der alle vier Jahre für Aufsehen sorgt. Dort, wo das Olympische Feuer entfacht wird, um von hier aus in die Welt getragen zu werden. Von einem Fackelträgerarm zum nächsten. Doch auch der Platz, an dem der Parabolspiegel aufgestellt wird, um mit Hilfe der Sonnenstrahlen das Olympische Feuer zu entfachen, hält Winterschlaf und widmet sich ganz seiner inneren Einkehr.

Fackelläufe waren sehr beliebt in der Zeit der Antike. Für Olympia wurden sie damals nicht herangezogen. Eher war es ein beliebter Sport im nächtlichen Athen. Zu allen Zeiten stand Olympia für Friedfertigkeit. In den Wochen der sportlichen Wettstreite sollten alle Kämpfe und Waffen ruhen, um das faire Kräftemessen in der körperlichen Ertüchtigung nicht zu gefährden. Ölzweig gekrönte Läufer trugen die Kunde von den nahenden Wettkämpfen von Stadt zu Stadt und riefen auf diese Weise den Olympischen Frieden aus.

Gäbe es das Mittel der Zeitreise, hier würde ich es gern mit einem Zauberstab aktivieren, um zu sehen, wie sich die Tempel von selbst aufrichten, die vor mir in Bruchstücken im Gras verstreut liegen. Ich möchte die in Gewänder gehüllten Frauen und Männer sehen, wie sie gestikulierend davon schreiten. Vielleicht eine Öllampe tragend, um sich den Weg an diesem so diesigen Tag zu erhellen. Ich mittendrin. In meiner dicken Winterjacke, würde auf einer der Säulen stehen. Einen Fuß vorn, den Oberschenkel leicht eingedreht, das Gesicht würdevoll zurechtgemimt. Ganz im Stile der Zeit. Doch ach was. Ich brauche keine Zeitreise. Ich befinde mich mittendrin in meinem Traum des Vergangenen. Ich schmecke förmlich den pramnischen Wein, der mir ganz nach Art der griechischen Antike zum Deipnon, dem Hauptmahl des Tages, zu Sonnenuntergang gereicht wird. An der Blutsuppe, aus kräftig gewürztem Schaffleisch bin ich nicht ganz so interessiert. Ich hoffe, dass sich irgendwo noch ein üppiger Obstteller auftun wird, der mich allein durch seine Farbenpracht erfreut. Weiter geht es, in meinem Kältewahn, als Gäste des Hauses von weit her, mit einem Gelage beim sich anschließenden Symposion. Nicht minder viel wird hier dem Wein gefrönt. Doch obendrein werden wir in seelenerwärmende Gespräche verwickelt über den Sinn des Lebens und die Frage, in wie weit man den Göttern trauen kann. Ich bin fasziniert von so viel Offenheit den größten Themen des Lebens gegenüber. Noch scheint es keine Festschreibungen zu geben, die meinen, die Welt im Ganzen erklären zu können. Ich genieße diesen Zustand des Möglichen.


Mit einem Mal vernehme ich einen Ruf, der so gar nicht in die Szene passt. Es ist Sten, der mürrisch meint, ich möge doch nun langsam mal von meinem Säulenstummel herunterkommen. Er würde frieren und habe im Übrigen genug bemooste Steine gesehen aus einer Zeit des vielen Schwafelns, muss er hinzufügen, seiner Emotion Platz machend, bevor er platzt. Ist offensichtlich nicht sein Ding, mich auf einem Sockel stehend mit sich zu schleifen. Gut. Olympiasiegerin bin ich nicht, doch meine eigene Heldin des Tages.

360° Film

TÜRKEI


Premierenfeier. Prost Ouzo.

Istanbul im Januar. Regen am Montag, Dienstag, Mittwoch und immer so fort. Abwechslung schafft der Schnee am Freitag. Wir ziehen durch Gassen vollgestopft mit Marktständen. Beleuchtung schafft eine Glühlampe in rostiger Fassung. Gehalten einzig von einem dünnen Draht an einem Stock. Es tropft von der Lampe, es tropft von den provisorisch angebrachten Planen, denen sicher nicht bewusst ist, dass sie ein Provisorium sind. Tag um Tag wackeln sie so vor sich hin. Mal vor Sonne schützend, mal vor Regen. Es ist kalt in Istanbul und trotzdem tauen wir auf. Wir sind es also, die das ganze Wasser hier verursachen. Zumindest tragen wir eine gehörige Schippe voll dazu bei. Alles ganz egal. Wir fühlen uns pudelwohl in der Obhut von Özlem und Veli. Wie haben wir uns danach gesehnt, nun erst einmal eine Verschnaufpause einzulegen. Den Nebel Venedigs ließen wir hinter uns. Den Sturm des Mittelmeers auch. In Griechenland haben wir unser Bestes gegeben. Doch mit Weltoffenheit und Kommunikationsfreudigkeit, da war es einfach nicht so weit her bei uns. Klar, es ist Januar. Die Zeit des Rückzugs und der Besinnung. Nicht die volle Blüte und Üppigkeit. Fragt mal einen Igel. Der wird es ganz genau so sehen. Doch wir haben unser Stachelgewand abgelegt und uns stattdessen eingekuschelt in die friedliche Welt bei unseren Freunden.

Veli kennen wir aus Deutschland. Vor Jahren arbeitete er ein halbes Jahr lang in unserer Firma als Designer. Lange nach Hause zurück gekehrt ist er es nun, der uns willkommen heißt. Eine Art Schnitzeljagd haben wir miteinander betrieben. Wir, in unserem Elf-Tonnen-LKW, standen irgendwo in der knapp fünfzehn Millionen Einwohner zählenden Stadt. Fahrzeuge unserer Größe dürfen eigentlich nicht so weit rein, ins Zentrum des Molochs. Doch was bitte blieb uns übrig, als weiterzufahren trotz der Schilder, auf denen “Für LKW verboten“ stand? Meinen Blick hielt ich starr nach oben gerichtet, immer gewahr “Stopp“ zu schreien, falls sich Schildermaler und Tunnelhöhe mal nicht einig sein sollten. 3,73 Meter Höhe.

Das gibt richtig Späne, wenn es klemmt. Einen Straßennamen fest vor Augen, halten wir darauf zu, wovon das Navi meint, es sei richtig. Um dann mit einem Mal am Ziel zu sein. Ach nee, dass ich nicht lache, am Ziel in Istanbul… Wie eine Wohngegend sieht es hier nicht aus und Gebäude, die uns Veli am anderen Ende der Verbindung durchs Telefon ruft, können wir auch nicht sehen. Wir haben keine Ahnung, wo wir sind. Dumm nur, Veli geht es ganz ähnlich.

Später sind wir in solchen Situationen geschickter. Wir geben Einheimischen an diesen Orten unser Telefon in die Hand. Die können dann jeweils erklären, wo wir gerade sind. Doch soweit waren wir in dem Moment noch nicht. Und trotzdem geschah das Wunder und Veli stand irgendwann vor uns. Einer der seltsamen Augenblicke, die einem bewusst nur auf Reisen zu begegnen scheinen. Die Fügungen, die den wundersamen Reiz dessen ausmachen, dass es immer weitergeht.

Jahrelang nicht gesehen und doch gleich in die Arme geschlossen finden wir uns später in der Wohnung von Özlem und Veli wieder. Unseren Leo im bewachten Gelände des Hauses zu parken, ist uns tatsächlich gelungen. Obwohl so manche Ecke des Gebäudes zu weit vorstand und einige Balkone gefährlich nah an Leos Haut zu schrammen drohten. Millimeterarbeit mit Schrecksekunden, in denen wir uns anschickten, unseren elefantengleichen Leo durch einen Edelporzellanladen zu rangieren. Doch irgendwann war es gut.

Schließlich stand das Essen auf dem Tisch und wir hatten zu kommen. Ehrlich, ich fühlte mich wie im Paradies. Warme Wohnung, schön gedeckter Tisch, wohlige Atmosphäre, weiches Bett. Keine klammen Klamotten, feuchtkalten Betten und eiskalten Füße, die sich nach Wärme sehnen. Alles da, alles gut. Ich bin selig und augenblicklich hundemüde. Trotzdem retten wir mit unseren Gesprächen in dieser Nacht noch schnell mal die Welt, leeren die eine oder andere Weinflasche und fallen ins Bett, nicht ohne uns zu schwören, dass morgen unser Kochprojekt steigt. Noch im Bett reden wir darüber, dass es eben für alles den passenden Moment geben müsse und der nun hier gekommen sei. Silk Route Cooking startet in Istanbul, gemeinsam mit Veli und Özlem. Zwei Industriedesigner für Waschmaschinen, Radios, Toaster und Co. Sowie engagiert im Betreuen von Großprojekten, wie dem Bau eines kompletten Hotels mit allem Pi, Pa, Po. Nicht schlecht Herr Specht. Obwohl bei beiden der Samstag ein selbstverständlicher Arbeitstag ist, nehmen sie Urlaub, denn es wird gekocht.


Los geht es mit dem Erklären. Was wir so vorhaben und warum das ganze Projekt. Die beiden hören aufmerksam zu, lieben unsere Idee und viel mehr noch, dass sie die ersten sind, mit denen wir kochen. Die Messlatte legen sie selbst dahin, wo sie mögen. Alles auf Anfang und alles auf Start: Lieblingsrezepte aus dem Hirn kramen, Einkaufsliste schreiben, Autoscheibe frei kratzen, Motor starten und ab durchs Winter-Nachmittags-Lichtermeer Istanbuls. Gemüse kaufen, vom ganz frischen, Fleisch dazu, getrocknete Kräuter, Reis, Zucker und vieles mehr. Die offenen Besorgungen auf unserem Zettel werden weniger, der Platz im Kofferraum auch. Es scheint, als wollten wir halb Istanbul verköstigen. Also doch gleich mal ganz nach oben gelegt, die Latte der Kochkunst. Zurückgekehrt erst mal einen Ouzo als Startschuss, während Özlem konzentriert mit ihrer Mutter telefoniert. Wie genau mache ich die Grundsubstanz hier? Und wie ist die Abfolge der Schritte da? Gekocht die halbe Nacht, gegessen in der zweiten Hälfte, fallen wir überglücklich satt am frühen Morgen in die Federn. Unsere Arbeit ist getan, die unserer Mägen noch lange nicht. Die Premiere ist gelungen. Der Anfang ist gemacht. Unser Kochprojekt beginnt zu leben. An einem Winternachmittag kühn zu Hause erdacht, wird es nun langsam real. Wenn wir beginnen, an uns und unser Projekt zu glauben, tun es die anderen garantiert auch. Es ist wie im richtigen Leben.

Film

Heiße Luft um die morbide Dame.

Kappadokien. Das Land der Tuffstein-Architektur. Zerklüftete Höhlen, Wohnstätten, in den weichen Stein gehauen. Mitunter unterirdisch, als Schutzbehausungen der einfachen Leute. Zum Teil zwanzig Stockwerke tief. Wie riesenhafte Bienenhäuser sehen sie aus, auch wie Pilze oder miteinander schwatzende Penisse. Sorry. Wir streunen hindurch, besteigen sie, halten die Fingerspitzen für ein Foto an die passende Stelle. Und lachen dazu. Tauchen ein in den Nebel des Januars.

Sobald wir die Küste verlassen haben, wo wir offensichtlich im Schutz der Meeresgötter standen, nahm er uns hämisch grinsend erneut in seine Fänge. Der Winter. Ohne Erbarmen zeigt er uns, wer hier, im Landesinneren der Türkei, das Sagen hat und wer sich, seiner Meinung nach, doch besser mal fügen sollte. Dass er dadurch Kulissen schafft, die ein Sommer kaum erzeugen kann, dessen ist er sich wiederum nicht bewusst. Doch tatsächlich ist er ein Künstler, der augenscheinlich um sein Können nicht weiß. Tuffsteinzipfel ragen unvermittelt aus Nebelseen heraus. Andernorts scheint das Gemisch aus Luft und Wassertropfen wie ein Hauch aus Samt auf den ruhenden Feldern zu liegen. Oder, jede Berührung vermeidend, einen Meter darüber zu schweben. Also doch ein Feinsinniger, der hart scheinen wollende Knabe. Ein Bild, beinahe zu kitschig, um es zu beschreiben, mag ich es trotzdem und behalte es für mich selbst.

Kappadokien. Der Name war mir ein Begriff. Doch was wissen wir, wenn wir meinen, ein Wort schon einmal gehört zu haben? Nichts bis nicht viel. Ich zumindest. Ich will sehen, anfassen, erleben. Dann wird aus dem Begriff ein Wort, ein Bild, eine ganze Geschichte. Atil lernen wir hier kennen. Einen, der täglich einen Berg besteigen muss, um sich selbst im mindesten zu spüren. Jahrelang ein Ungestüm ist er nun Vater und Ehemann. Chef seiner eigenen Agentur. Eine für Reisende, die das Wagnis suchen, zumindest ein klein wenig.

Sein heimliches kleines Großprojekt zeigt er uns abends im Licht der Taschenlampe. Ein Haus, wie eine gealterte Lady. Man sieht ihr den Glanz der glamourösen Zeiten noch an. Müll wegschaffen, Löcher stopfen, Treppen begehbar machen, war schon lange nicht mehr das Interesse der alten Dame. Sie bröckelt geräuschvoll vor sich hin. Doch Atil hat einen Traum. Er will sie neu einkleiden. Davor mal richtig waschen, parfümieren und frisch frisieren. Ein Gehstock wird nötig sein, vielleicht sogar ein fahrbarer Untersatz. Alles, alles will Atil ihr geben. Seiner alten Dame, dem Haus. In vier Wochen soll sie, äh es, frisch verputzt und renoviert sein. Klar, den Zeitplan bestimmt hier gerade nicht das Machbare. Die Saison sagt, wann das Agenturgebäude fertig zu sein hat. Und Saisonstart ist in einem Monat. Basta. Glaube versetzt Berge. Betrachte ich das Haus, glaube ich nicht daran, dass in vier Wochen ganze Treppenhäuser erneuert sind, Decken und Fußböden ihre klaffenden Löcher gegen Tritt- und Schallschutz eingetauscht haben, Strom fließt und Wasser mehr kann, als aus den Wänden zu tropfen. Schaue ich hingegen in Atils entschlossenes Gesicht, habe ich keinen Zweifel am Gelingen seines Vorhabens. Und wir? Erheben uns morgens im ersten Licht des Tages in die Lüfte. Rauchen gen Himmel eine Art Wasserpfeife mit unserem warmen Atem der Nacht, nicht geschmacklos, doch in jedem Fall ohne Apfelaroma. Aufstieg in einem der frühen bunten Vögel. Ballons um mich herum. Die Morgenthermik ist ihre Geliebte. Wie die Andacht zu einer zeitigen Sonntagsstunde. Der Pfarrer hält wortlos inne. Die Geste seiner ausgebreiteten Arme reicht aus. Mehr ist nicht nötig, um zu verstehen. Traue den Menschen mehr zu. Sie brauchen nicht alles als Brei vorverdaut in der Schüssel. Ihre eigene Geschichte verknüpft sich mit dem, was im Moment mit ihnen geschieht. Der Pfarrer der Lüfte hat es begriffen. Schweigend fahren wir, an Höhe gewinnend, winken Atils mondäner Dame zu und geben ihr den Segen der heißen Luft. Sekttrunken von der Taufzeremonie der Ballonfahrer rollen wir später in Atils Küche. Leo muss draußen bleiben. Atil, nicht nur Liebhaber der steinernen, bröckelnden Dame, mehr noch mein Verführungskünstler in der Welt des Kochens, ganz heimlich in Nemeshir in Kappadokien.

360° Film


Großkopftag.

„Ich will dahin.“ drängelt Sten. Ja, ich auch, doch bei dem Wetter? „Ich will dahin!“ Hm, bin ja dabei, mich meinen Befürchtungen zu stellen und schenke dem Schicksal mein Vertrauen. Es hat mich nicht enttäuscht in den vergangenen Wochen. Also wird es wissen, was heute das Beste für uns ist. Mardin, die letzte Stadt vor der zwanzig Kilometer entfernten syrischen Grenze, hat mich in der vergangenen Nacht extrem unruhig schlafen lassen. Gekämpft wird in diesem Gebiet seit Monaten. Von MAN Fahrzeugen wurde uns erzählt, die das Militär hier fährt. Also Achtung, extreme Verwechslungsgefahr! Ich kann nur sagen, ein merkwürdigeres Gute Nacht habe ich uns noch nie gewünscht. Wissen wir denn, ob uns in der Dunkelheit nicht jemand einen Sprengsatz an den Leo bastelt? Wissen wir nicht. Folglich haben wir keine Ahnung, ob wir am nächsten Morgen gemeinsam aufwachen werden und wenn, wo wir dann sind. Nun, lange Rede, kurzer Sinn. Unser Schutzengel hat ganze Arbeit geleistet. Wir leben noch! Die Stadt unbeschadet hinter mir zu lassen, fühlt sich gut an. Auch wenn sie zu anderen Zeiten bestimmt ihren architektonischen Reiz hat. Mir war das hier ehrlich gesagt gerade völlig egal. Angst ist Angst und Gefahr ist Gefahr. Da merke ich einfach nur, wie ich an meinem Leben hänge. Also, nach vorn geschaut, den Bergen entgegen. Und eben da gibt es am Gipfel, dem Nemrut Dagi, unweit des Oberlaufs des Euphrats, im nördlichen Mesopotamien, die Götterköpfe, welche die griechische und persische Mythologie in der Zeit 69 bis 36 v. Chr. miteinander vereinen sollten. Sten will sie sehen. Ich auch. Und was sagt Leo zu den steilen, vereisten Straßen mit engen Kurven und schroffen Abhängen? Sten fährt. Ich halte den Mund. Verkralle mich in meinem Sitz. Als ob mir das was nützen würde, wenn wir abstürzen.

Stopp, stopp, scheint ein Mann in dünnen Slippern mit Ledersohle zu rufen, doch wir nehmen ihn vor lauter Fokussierung auf die Straße kaum wahr noch ernst. Er muss sich uns fast vor den Leo werfen, bevor wir begreifen und halten. Es ginge hier nicht weiter. Sechs Meter hoch läge der Schnee auf der Straße. Ein Vor und Zurück ist nicht möglich, kehrten wir nicht an diesem Punkt um. So seine aufgeregte Rede. Zwei Wanderer hätten sich in der Morgendämmerung auf den Weg zu den Köpfen gemacht. Ein Nothilfesignal haben sie nun abgegeben und werden gerade gesucht. Stille. Sten ist stumm. ‚Was macht er jetzt‘, fragt es in mir. Wie schafft er es, sich nun selbst davon zu überzeugen, dass ein Umkehren keine Blöße wäre. Ich sag lieber nichts. Jedes Wort kann in solch einem Moment das falsche sein! Na ja, wenn der sagt, dass es zwecklos ist, dann wende ich jetzt mal. Hören meine Ohren ihn tonlos sagen. Ich, weiter stumm, warte ab. Rückwärts Rutschen hat voll seinen Reiz. Nur mit elf Tonnen dahinter hat das schnell was von einem Geschoss. Ganz behutsam bewegen wir uns Zentimeter für Zentimeter. Sten hat den Ernst der Lage erkannt. Wir beginnen wieder miteinander zu reden. Wie wir das Manöver auf der engen Bergstraße angehen. Wie wir versuchen, rückwärts bergab aus der Kurve zu kommen, an welcher Stelle wir beschließen, zu wenden. Ich weiß nicht mehr wie, doch wir haben es geschafft, irgendwann in Fahrtrichtung zu stehen.

Und da ist er wieder. Unser Mann in den Lederschühchen. Die sind hin, denke ich, während ich gleichzeitig höre, dass er uns zum Frühstück in das Haus seiner Mutter einlädt. Schicksal, ich küsse dich! Was bist du für ein Zauberer der passenden Momente! Ein kleiner Eisenofen ist der unangefochtene Mittelpunkt des Raumes. Ein dreijähriger Junge schaut verschämt. Seine dunklen Augen fixieren uns. Eine Frau tritt ein, seine Mutter. Groß und schlank, mit langen raschelnden Röcken. Ein Tuch bedeckt ihren Kopf. Doch es verhüllt sie nicht. Hebt mehr noch ihre natürliche Schönheit hervor. Ein schlafendes Baby auf dem Arm. Sie steht, wir sitzen auf dem Boden. Vor uns ein großes handgefertigtes rundes Tablett aus Metall. Darauf Schüsseln und Schälchen voller Honig, Nüsse und Streichkäsearten. Wir sind bei Kurden zu Gast. Und fühlen uns so unglaublich wohl in ihrem Haus, in den Händen ihrer Freundlichkeit. Wechselseitig sind wir das Betrachtungsobjekt des jeweils anderen. Ja, wir sind uns fremd, und ja, wir sind uns bewusst, dass eine Begegnung alles ändert. Für mich ein Atem-Anhalte-Moment. Einer von denen, die mich in meinem Inneren umbauen.


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Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
418 s. 165 illüstrasyon
ISBN:
9783946769118
Telif hakkı:
Автор
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