Kitabı oku: «Mann und Frau und Reisehunger», sayfa 3

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Harakiri in Hakkari.

Beobachte ich ihn von Weitem, meine ich, einen Pianisten vor mir zu sehen. Seine Bewegungen gezielt und sparsam, seine Gesten liebevoll und sanft. Den schlanken Körper hat er in einen schwarzen Pulli und eine ebenso dunkle Cordhose gesteckt. Worte, augenscheinlich nicht sein Ding. Dafür Blicke um so mehr. Blicke, die tiefgehen und dann dort verweilen. Wie ist das möglich, wie funktioniert so etwas?

Wir sind im quasi letzten Ort der Türkei. Ganz im Osten, im Zipfel, an dem sich Syrien, der Iran, Irak und die Türkei die Stoffenden reichen. Keine Gegend unbedingt meiner ersten Wahl. Doch genau da, an diesen Orten scheinen die Wunder zu wohnen. Ist es, weil ich hier lechze nach jedem positiven Gedanken? Macht die Härte des Alltags die Menschen hier in ihrem Wesen sanftmütiger und wohlwollend? Irgendwie scheint es etwas mit dem Gleichgewicht der Kräfte zu tun zu haben. Kein Ort ist einfach nur schön oder lebensuntauglich. Die Medaille hat immer zwei Seiten. Das ist pure Logik. Und gut. Doch so weit bin ich noch nicht, als wir durch das vom Tauwetter tropfnasse Tal in Richtung Einsamkeit fahren. Außer türkischer Armeeposten mit Sandsack-Barrikaden scheint es hier wenig Leben zu geben. Was freue ich mich, als nach Kurve Nummer Unendlich der Ungewissheit nicht nur die Sonne hinter den Wolken hervorlugt, sondern am Hang die kleine Stadt sichtbar wird. Ich komme mir vor wie in meiner eigenen Fernsehberichterstattung. Als sähe ich mich selbst im TV. Der Ort Hakkari ist gezeichnet von vielerlei Angriffen, höre ich mich ins Mikro sprechen. Stacheldraht ersetzt hier die Gartenzwerg-Romantik. Militärbasis scheint der Untertitel des Stadtnamens zu sein. Das Schmelzwasser fließt in Rinnsalen nach unten, wir tuckern im kleinsten Gang entgegengesetzt nach oben. Auch hier winken uns die Kinder zu, wie überall. Nur wohin wir wollen ist uns nicht klar. Zwei Worte haben wir auf unserem Zettel stehen, Hakkari und Ali. In Hakkari sind wir nun, doch Alis scheint es hier so viele zu geben wie in Deutschland Meyers. Und trotzdem will es unser Schicksal scheinbar auch hier, dass wir unseren Ali finden. In einem Möbelladen sitzen wir so lange und trinken Tee, bis der Besitzer alle Alis des Orts abtelefoniert zu haben scheint. Einer von ihnen meinte, Gäste zu erwarten. Das ist er, unser Ali, der im schwarzen Pulli und Cordhose. Atil aus Nemeshir hat ihn uns als einen Freund empfohlen. Und so stehen wir mit einem Mal voreinander. Sprechenden Auges, erzählender Gesten, denn die Sprache des anderen kennen wir jeweils nicht. Zu seinem Haus führt er uns. Leo, nie so sicher bewacht wie hier. Direkt neben den auf Anschlag gehaltenen Maschinengewehren im Sandsack-Bunker. Die Kamera lasse ich lieber mal stecken. Will die wachenden Posten nicht provozieren. Wie sich das anfühlen mag, so in direkter Nachbarschaft mit Gewehrläufen zu wohnen? Wahrscheinlich ist auch hier Gewohnheit alles. Und jeder Tag der friedlich endet, ein guter Tag.


Atil scheint Ali am Telefon von unserem Kochprojekt erzählt zu haben. Doch wie nun weiter in unserer stummen Konversation? Alis Frau Cimen bereitet uns Tee, den ich wegen seiner Stärke nach dem vierten Glas zitternd ruhen lasse. Ihr kleines Kind wacht auf, beschaut die so anders aussehenden Besucher. Wieder eine Erkenntnis für mich. Überall wollen die Menschen einfach nur in Frieden ihr Familienglück leben. Wollen sehen, wie ihre Kinder aufwachsen, in der Hoffnung, dass es ein gutes Leben ist, in welches sie die Kleinen hineingebären.

Das Buch mit den Bildern unserer Familie hilft uns in dem sprachlosen Moment weiter. Zu zeigen, wer die eigenen Kinder sind, die Eltern und nahen Verwandten. Dieses Blättern zwischen den Seiten unserer Liebsten ist ein erster Brückenpfeiler des Vertrauens. Zwei weitere Asse haben wir noch im Ärmel. Da wäre zum einen unser Erklärbär-Text, der in jeder Sprache unserer geplanten Reiseländer erzählt, wer wir sind und warum wir mit den Menschen kochen wollen. Den Text lesen Ali und Cimen aufmerksam. Gleich darauf hebt sich ihr Blick und sie lächeln. Ein wenig mehr scheint nun klar zu sein. Doch was zu tun ist, bleibt weiter offen. Also Zeit für unser letztes Ass. Von unseren ersten Kochabenteuern schnitt Sten jeweils einen Videoclip zusammen. Das ist er, der Schlüssel zum Verstehen. Die bewegten Bilder bewegen Ali und Cimen. Sie freuen sich, ihren Freund Atil aus Kappadokien im Film zu sehen und verstehen, worum es geht. Entlang unseres Wegs mit den Menschen, denen wir begegnen, gemeinsam ihre Lieblingsrezepte zu kochen. Das pure Leben auf der Seidenstraße in unserer heutigen Zeit zusammenzutragen, um es miteinander in Verbindung zu bringen. Aktivität kommt in die Szene. Das Ehepaar berät sich, was sie kochen wollen und welche Zutaten wir hierfür benötigen. Dann geht es los, auch für uns. Vorbei an dem Sandsack-Bunker, hin zum nächsten Fleischer. Bei dem liegen die halben Schafe auf dem Hackklotz. Nun darf man sich das nicht vorstellen wie bei einem Fleischer in Deutschland. Hier geht es wirklich zur Sache. Da ist der Fleischer, was der Name sagt. Und der heißt nicht Herr Wurstscheibenverkäufer. Hier steht das Zerhacken großer Fleischteile im Vordergrund des Geschehens. Obendrein ist sein Laden Sammelstelle der Männer aus der Straße. Ein Tee für jeden, das ist Standard und gehört zum guten Ton. Nun noch zum Gemüsehändler, zwei aus der Angel gehobene Türen weiter. Frisch sieht alles aus. Zumal im Kontrast der klirrenden Ernsthaftigkeit des eisernen Militärstützpunktes. Das gelbe Licht der Glühlampe macht Auberginen noch kräftiger in ihrem Lila und Zucchini leuchtender in ihrem Grün. Zurück an den Herd, natürlich die Gewehrmündungen passierend, nicht ohne Leo zugezwinkert zu haben und uns schon mal unsere sicheren Schlafplätze in seinem Inneren vorstellend, geht es hoch in die Wohnung zum Kochen. Alper ist inzwischen eingetroffen. Ein guter Freund des Hauses, der Englisch spricht. Gekocht wird ganz normal am Herd, gegessen später auf dem Boden. Ein Tuch wird dazu ausgebreitet und festtagstafelgleich gedeckt. Diese Art des gemeinsamen Essens begegnete uns bei der kurdischen Familie in den Bergen zum erste Mal und wird von nun an Begleiter unseres Weges, bis in die Mongolei hinein.

Warum nur vertrauen uns die Leute in der Stadt? Wir Fremden wollten einen Ali treffen. Wäre das in einer so gebrandmarkten Gegend nicht Grund genug, misstrauisch zu sein? Ich überrasche mich selbst in meiner Angstfreiheit an diesem unruhegeplagten Pulverfass-Ort.

Höre ich in den Monaten danach von Luftangriffen in der Provinz Hakkari sehe ich nur eines vor mir, den stillen, warmherzigen Blick Alis.

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IRAN


Ramins Schutzwall der Bücher.

Teheran, ich machte mir keinen Begriff von dir. Schon Istanbul ist in meinen Augen eine Mega-City, die nicht zu überbieten war. Und doch erlebe ich in dir, wie du auf alles noch mal eine Kelle obendrauf legen kannst. Autoverkehr, wie ich nicht glaubte, dass es ihn gibt. Von Verkehr, wie ich ihn bisher verstand, keine Spur. Wenn ich damit ein wie auch immer geartetes, geordnetes Vorankommen verbinde. Das einsilbige Wort Stau trifft einfach nicht, was in Teherans Straßen Tag für Tag abgeht.

Stell dir beim Lesen eine Strecke von einhundert Kilometer Länge vor. Denke dann weiter, dass es auf dieser Distanz eine Straße gäbe, die acht Spuren breit in beide Richtungen verläuft, nur keine Spur von einer Spur. Also, komplett ohne jede Linie, die im leisesten anzeigen könnte, wo es langgeht und wo auch nicht. Schnapp dir nun einen Sack voller Autos und kippe sie allesamt auf dieses breite Bitumenband. Stelle sie eng an eng. Doch nicht, als würden sie mit ihrem Jutebeutel geduldig nach Sonntagsbrötchen anstehen. Nein, vollkommen ineinander verschachtelt baust du sie auf. Ein rechter hinterer Kotflügel streichelt den linken vorderen eines anderen Gefährts. Kofferklappen küssen Frontschürzen. Seitenspiegel lieben eher die harten Liebkosungen. Straßenverkehr im wörtlichsten aller Sinne. Es geht nicht um Schnelligkeit und Ankommen. Wohl mehr ums Mitmischen und Dabeisein. Als zöge das Heer von Dschingis Khan durch die Lande. Minimale Lücken, die zufällig doch noch entstehen, füllst du mit massenhaft Mofas, also den leichtberittenen Recken, aus. Betreibe das so lange, bis wirklich, aber auch wirklich kein einziger Zentimeter mehr vom Schwarz des Asphalts zu sehen ist. Nun bewege dieses Knäuel irgendwie vorwärts. Doch bitte nicht im Ganzen, sondern so, dass sich in den nicht vorhandenen Zwischenräumen Mofas und Autos versuchen, aneinander vorbei zu quetschen. Wahrscheinlich reichen deine zwei Hände allein nicht aus. Du wirst Helfer brauchen, die mit schieben, drängeln, versuchen, sich mit ihren Mobilen an anderen vorbeizuzwängen. Bei all dem Spaß wird es langsam dunkel und alle schalten ihre Scheinwerfer ein. Zum Höhepunkt deines Straßenevents fängt es nun auch noch an zu regnen. So stark, dass durch die verschmierten Frontscheiben nur noch ein verschleiertes Meer an rot leuchtenden Rück- und Bremslichtern wahrzunehmen ist. In diesem Gewimmel, stell dir nun unseren Elf-Tonner-Leo vor. Nicht wendig und flexibel, schon gar nicht spritzig und spontan. Für Leo ist es das Beste, wenn er viel Platz um sich hat, er sein Tempo fahren kann und abruptes Bremsen ausbleibt. Genau das gibt es hier nicht. Millimeterweise kämpfen wir uns voran, wohin auch immer der Weg hier führt. Im Schneckentempo vorbei an den rasenden Polizisten, die uns mehr als wütend deutlich machen, dass es mit einem LKW verboten ist, in die Stadt zu fahren. Doch wir verstehen einfach nicht. In Ermangelung von tatsächlichen Alternativen.


Wir sind verabredet. An irgendeinem Platz, ganz im Zentrum Teherans, mit Ramin, dem Schriftsteller und Journalisten. Und Leo ist außerdem kein Lastkraftwagen. Leo ist unsere mobile Hütte. Und die tragen wir wie ein Schneckenhaus auf unser beider Rücken. Das Band der Seidenstraße führt uns nun also zu Ramin. Auch er ein Freund Atils aus Kappadokien. Als würden wir behutsam von Hand zu Hand gereicht. Auserkoren, Menschen zu treffen, die uns ihre Stadt, ihre Kultur, ihre Art zu denken, zu sein und damit ihr Leben nahebringen. Was für eine Gabe. Mit stummen Mündern, gespitzten Ohren, geweiteten Augen und offenen Händen empfangen wir. Nun also Ramin. Doch wo bitte ist Ramin? Vielmehr, wo ist der Platz, auf dem er sich in der Dunkelheit mit uns treffen möchte? Und wie erkennen wir ihn, falls wir ihm tatsächlich begegnen? Zu seinem Telefon baut sich keine Verbindung auf. Also bleibt uns nur, im Moloch der Tausenden mitzuschwimmen und darauf zu hoffen, dass wenigstens unser Navi den Schimmer einer Ahnung hat, was es hier gerade tut. Hochgradig angespannt versuche ich ein ums andere Mal, verbal eine Pufferzone zwischen Leo und die anderen Fahrzeuge zu stopfen. Doch Leo liebt Körperkontakt und rammt ein kleines weißes Auto.

Eine schwarz umhüllte Frau springt aufgeregt heraus. Oh nein, nicht noch so was, stöhnt es durch mein Hirn. Ob das physikalische Gesetz, dass da, wo ein Körper ist, kein anderer sein kann, in Teheran seine Gültigkeit verloren hat? Was heißt, wenn Leo an einer Kreuzung steht, kein weißer Flitzer vorbei flutschen kann, als sei er aus Luft oder Schaumstoff. Mit dem Gedanken des griechischen Philosophen Heraklit „Alles fließt“ könnte ich ja mitgehen. Doch auch dieser Satz wird augenscheinlich seiner sichtbaren Wirkung enthoben. Hier fließt es nicht, hier stockt es und das nun schon seit Stunden. Auf eine Diskussion voller Sprachbarrieren mit der Polizei und der aufgebrachten Fahrerin haben wir momentan so gar keine Lust. Doch erspart bleibt sie uns deshalb nicht. Ob Ramin noch auf uns wartet oder längst das Weite gesucht hat? Vor zwei Stunden schon war die vereinbarte Zeit verstrichen. Er ist unsere einzige Verbindung in der Stadt, in der es für uns mit Leo keinen Platz zu geben scheint.

Doch wie hat es unser Schicksal auch heute mit uns gemeint? Gut! Aus dem Lautsprecher des Navis vernehmen wir fassungslos die Worte: Sie haben ihr Ziel erreicht. Und tatsächlich, steht da ein Mann, in unsere Richtung winkend, mitten im Kreisverkehr. Ramin. Er ist tatsächlich da. Seine fröhlichen Augen und die wehenden grauen langen Locken zeugen schon jetzt von einem Humor, den ich wenig später lieben werde. Ramin ist Optimist, Weltverbesserer und ein herzensguter Mensch. Interessiert scheint er an allem und jedem. Wie es für ihn funktioniert, als Journalist frei zu denken und vor allem sein Gedachtes auch veröffentlicht zu bekommen, das weiß ich nicht. Doch eines kann ich sehen. Bei allem, was schwer ist an seinem Leben. Mut, Neugier und einen ganzen Sack voller Lebendigkeit, die wippen locker auf Ramins Locken herum. Koste es, was es wolle.

Wir bei Ramin und seiner Frau Zohreh zum Kochen geladen. Das Haus, weiß, kubisch, voller Selbstvertrauen in seinem ganz eigenen offenen Stil, inmitten von schnörkeligen Fassaden und hohen Metallumzäunungen.

Ramins Haus zeigt, was es hat. Es will nichts verbergen und mag sich selbst noch viel weniger verstecken. Tuch auf dem Kopf? In diesem Haus sofort hinter der Eingangstür Fehlanzeige. Das Wohnzimmer ist Arbeitszimmer, ist Lebensraum. Ramin und Zohreh leben mit ihren Büchern, umgeben von Büchern. Die Einrichtung klassisch. Der Bauhausstil atmet aus jeder Kante der Stuhlbeine heraus. Schon wochenweit von zu Hause entfernt, flüstern meine Füße davon, hier heimischen Boden zu betreten. Es stellt sich keine Frage nach dem passenden Benehmen, den einzuhaltenden Regeln, der Reihenfolge meines Tuns. Hier spüre ich, die Abläufe zu kennen. Wie ein Kurzurlaub vom Reisen fühlt sich der Abend an. Das Kochen, eine andere Nummer. Voll persisch, mit allem, was die bunteste aller Küchen zu bieten hat. Was das Schönste für mich ist an diesem Abend? Es ist die Ausgelassenheit, mit der wir gemeinsam von einem Witz zum nächsten lachen, von einer Anekdote aus Persien leichtfüßig zur nächsten aus Mitteleuropa hüpfen. Gleicher Humor hat etwas so unfassbar Vereinendes. Niemals zuvor habe ich erfahren, dass Humor, erwachsen in räumlich so entfernt liegenden Kulturen, einander so nah sein kann.

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Avas Nachtgesang.

Mit einem Taxi nach Paris. Ach nein, mit einem privaten PKW durch Teheran. Was für ein Wellnessausflug für uns. Luxus pur. Mal treiben lassen, Verantwortung abgeben, nicht selbst unentwegt aufpassen müssen. Für uns heute, als säßen wir in einer rosafarbenen Samtkutsche und lassen uns kutschieren. Ob vorwärts, das wissen wir nicht, doch wir sind in Bewegung. Wir sitzen im Auto der Englischlehrerin Pouri, die die unfassbare Mühe auf sich genommen hat, zwei Stunden lang zu fahren, um uns am Verteidigungsmuseum, mitten im Stadtzentrum, abzuholen. Genau dort, beschützt von Panzern mit dem holperigen Namen ZSU-23-4 Schilka, russischer Bauart, steht Leo. Und der will um nichts in der Welt dort wieder weg. Keinen Millimeter weit bewege ich mich mehr in diesem Wahnsinnsverkehr, hat er uns durch den Auspuff zugefaucht.

Nun also legt Pouri eine gekonnte Wende hin, um mit uns an Bord zwei Stunden lang in die Richtung zu fahren, aus der sie soeben kam. Alltag in Teheran nennt sie das und lacht gelassen. Wir laufen dir schon mal entgegen, hätten wir sagen können. Doch geholfen hätte es nichts. Also lassen wir es geschehen und uns fallen in der so überaus großen Gastfreundschaft der Perser.

Es ist abends, doch noch immer sind sämtliche Straßen verstopft. ‚Hört das hier nie auf? Darf die Stadt niemals schlafen? Wann kommt sie zur Ruhe und wie‘, denke ich, während wir endentspannt auf der Rückbank des Wagens vor uns hindösen. Pouri ist die Freundin von Ali und Atefeh. Das ist die Schwester von Haleh. Die wiederum lebt mit ihrem Mann Hassan, dem Anästhesisten, bei uns in Jena. Unser Netz der Verbindungen scheint engmaschig und offensichtlich ziemlich belastbar zu sein. Von zu Hause aus ist es inzwischen um die halbe Welt gespannt.

Irgendwann kommen wir an bei Atefeh. Und betreten zum ersten Mal in unserem Leben eine richtige persische Wohnung. Heller, spiegelnder Marmor kleidet den Boden, der einer Großräumigkeit Entfaltung schenkt. Hier ist nichts klein und verschachtelt. Möbel selbst hat man nicht viele im öffentlichen Areal der Wohnungen im Iran. Ein anderer Teil bleibt ganz der Familie vorbehalten. Dort vielleicht finden sich dann Schränke und Co.


Auch später waren es die großen Wohnräume der Perser, die mich in ihren Bann zogen. Weil Stuhl an Stuhl entlang der Wände stand. In der Mitte viel freier Platz, zum Gehen und Stehen. Doch sind die zahlreichen Männer der großen Familien miteinander sitzend im Gespräch, so fliegen die Satzfetzen durch den Raum, von einer Wand zur anderen. Obst steht überall in großen, reich bestückten Schalen. Dazu ein kleines Messer, einzig um die Früchte aufzuschneiden. Ansonsten kommt die persische Küche beim Essen vollkommen ohne Messer aus. Jede Speise ist so zart und mürbe gegart, dass Gabel und Löffel die Herrschaft auf den Tischtüchern übernehmen.

Die Atmosphäre bei Ali und Atefeh ist entspannt. Wir sind bei jungen Leuten zu Hause und genießen den lockeren Umgang im Miteinander. Das öffentliche und das private Leben scheinen sich oft in großem Maß voneinander zu unterscheiden. Habe ich in der Öffentlichkeit sehr auf meine Verhüllung zu achten, so erlebe ich es in vielen iranischen Familien ganz anders. Heute jedenfalls darf mein Tuch wieder zusammengefaltet neben mir Platz nehmen. Ich trage meine Kleidung, wie ich es zu Hause täte. Bewege und fühle mich frei und lasse vielen meiner Fragezeichen freien Lauf. Ali frage ich, wie es ihm gelingt, überhaupt jemals pünktlich am Morgen seinen Job zu beginnen, bei der so vollkommenen zeitlichen Unkalkulierbarkeit auf der Straße. Seine Antwort ist der extrem frühe Beginn und das genauso späte Ende. Zu Terminen am anderen Ende der Stadt rechtzeitig zu erscheinen sei geradezu eine Unmöglichkeit. Ist ein Meeting auf drei Stunden angesetzt, so trudelt nicht selten die Mehrheit der Eingeladenen erst gegen Ende der Veranstaltung ein. Das sei einfach Normalität und wird in keinem Fall als unhöflich erachtet, klärt uns Ali auf, während Ava singt. Ava tanzt, Ava malt, Ava ist top fit. Ava ist die Tochter von Atefeh und Ali. Ein fünf jähriges Mädchen, quietschvergnügt, aufgeweckt und neugierig. Wie passt ihre offene und natürliche Art zum offiziellen Auftreten und verhüllten Erscheinen, welches in ein paar Jahren wahrscheinlich von ihr verlangt werden wird? Wie geht das überhaupt mit dem Innen und Außen des sich Gebens der Frauen im Iran? Eine Frage, die ich oft stelle und auf die es viele Antworten gibt. Von traditionell und im Glauben verwurzelt bis hypermodern und in ständiger Rebellion ist alles dabei. Ava ist die Unterhalterin des Abends, bringt uns alle miteinander ins Gespräch, hält die Stimmung über Stunden auf ihrem höchsten Punkt und ist auch dann nicht müde, als sämtliche Speise-Gangfolgen nicht nur vorbereitet, zubereitet, sondern schon lange in unseren Bäuchen verschwunden sind. Wenn ich Speisenfolge im Iran sage, dann ist das nicht einfach ein Hauptgang mit Salat. Mehrere Vorspeisen, eine geschmacklich verführerischer als die nächste, gefolgt von einer Perlenkette an Hauptgerichten. Und selbst beim Nachtisch bleibt es nicht allein beim Obst. Allmählich verliebe ich mich in unser Kochprojekt. Nichts kann es für uns geben, was uns den Seelen der Länder auf so intensive Weise nahebringen kann, wie unser Erleben des gemeinsamen Kochens. Es sagt so viel über die Kultur eines Volkes, ihre klimatischen Bedingungen und menschlichen Gepflogenheiten aus. Überglücklich strahlen wir. Spüren wir doch, dass es genau das ist, was uns vorschwebte, als wir die Idee zu unserem Kochprojekt entlang der Seidenstraße in unser beider Leben riefen. So ist es uns ein Fest, mit Ali Naderis Unterschrift nun schon die fünfte auf unserem anderthalb Meter großen Metalllöffel mit uns auf die weitere Löffelreise zu nehmen.

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Yaş sınırı:
0+
Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
418 s. 165 illüstrasyon
ISBN:
9783946769118
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Автор
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