Kitabı oku: «Mann und Frau und Reisehunger», sayfa 5
Wieder eine Tradition, die mich staunen lässt. Die Gold- und Geld-Geschenke eines jeden werden vor allen geöffnet und kundgetan. Der Schenker kommt daraufhin nach vorn und wird von allen johlend umtanzt. Wie liebe ich es, einzutauchen in Bräuche und Sitten, den unsrigen so unähnlich und um so spannender, ihnen beizuwohnen. Ich schwebe, ich fliege, ich drehe mich in dieser Nacht. Vor Glück, auf der unglaublichsten Reise meines Lebens zu sein.
Mit dem Isfahan aus der Zeit des Medicus hat unser Erleben heute wohl nur noch wenig zu tun. Und doch schlägt das Herz der Jahrhunderte alten Traditionen an jeder Ecke der unglaublichen Stadt. Die Kupferschmiede, Goldhändler, singenden Männer an den Brückenpfeilern des Zayandeh Rud Flusses, sie alle verkörpern für mich die tief verwurzelte feingliedrige Kultur der Perser. Neugier, Entdeckergeist, Lebenswille, Zuversicht und das Streben nach dem eigenen Stück Freiheit schwingen durch die Luft. Und so gebe ich dem Medicus der alten und jungen Zeit meinen Medi-Kuss.
Film

Der gelbe Teppich des Ali Reza.
Mit Meybod haben wir so etwas wie den Mittelpunkt des Irans erreicht. Steckt man gedacht eine Nadel in die Stadt und dreht das Land in einem Kreis drum herum, gibt es keine Unwucht, nichts klappert und beult aus. Das Herz des Irans schlägt in der Wüste. So mein Empfinden. Dabei scheint selbst die Stadt pure Wüste zu sein. Kneife ich inmitten der Altstadt stehend meine Augen zu, ist mir, als stünde ich in Dünen aus Lehm. Das gleißende Licht nimmt den sandfarbenen Gebäuden jede Kontur, nirgends sichtbare Ecken und Kanten. Alles ist umhüllt von einem Schleier purer Sonne. Es ist, als bilde ich mir die Stadt nur ein, als sei sie die Fata Morgana meines Wahns in der glutheißen Hitze des Frühlings. Was wird das erst im Sommer werden? Ich zerfließe fast in meiner Montur aus dunkler Hose, langer, bis zu den Knien reichender Jacke und dem Schal um den Kopf. Die Männer um mich herum haben sich heute für die Version luftiges Kurzarmhemd entschieden. Mir blieb die Qual der Wahl dankenswerter Weise erspart. Die Langvariante, wie an jedem Tag, und fertig. Körperkonturen dürfen bei Frauen nicht sichtbar sein. Geschweige denn Fußknöchel oder freiliegende, dem Licht ausgesetzte Schultern. Dabei liebt meine Haut nichts mehr, als das wohlige Verschmelzen mit dem Sonnenschein.
In Meybod treffen wir Ali Reza. Er ist ein Verwandter von Dr. Ali, der wiederum der Vater unseres Freundes Hassan aus Jena ist. Was ist die Welt zerwürfelt in ihre tausenden von Puzzlesteinen? Und wie geschmeidig passen mitunter die Teile ineinander, wenn wir sie zuvor in Ruhe betrachten. Im Haus von Ali Reza treffen wir zum ersten Mal im Iran auf tief verwurzelten Glauben. Die Männer tragen stolz dunkle Stellen an der Stirn. Als hätte sich Hornhaut gebildet, so sieht es aus, was sie sich tatsächlich mithilfe eines heißen Gebetssteines zum Zeichen ihres tiefen Glaubens in die Stirn gebrannt haben. Gebetssteine, Mohr genannt, sind dominogroße Tonsteine aus der Erde Mekkas oder anderer heiliger Orte. Schiiten benutzen sie im Gebet, indem sie ihren Stein vor sich auf dem Boden ablegen, auf die Knie fallen, den Kopf nach unten richten, um so mit der Stirn heilige Erde in Form des Gebetssteines zu berühren.
Ali Reza hat einen Teil seiner großen Familie um sich versammelt und obendrein zwei Freunde eingeladen. Die beiden sind pensionierte Englischlehrer und so eine große kommunikative Stütze und verbale Brückenpfeiler für uns. Als Lehrer hat man im Iran nicht unbedingt sein Auskommen. Es ist ein wichtiger Beruf. Doch sein Ansehen zeigt sich nicht durch die Entlohnung. So haben beide in ihrem Leben mehr als nur einen Job gehabt. Unter anderem waren sie jahrelang nebenher als Brotfahrer in Kuweit unterwegs. Eine Zeit, in der sie Ali Reza kennenlernten. Freunde fürs Leben also, die drei.
Der Wohnbereich, abermals ein großer leerer Raum mit dicken weichen Teppichen. Eine Ecke fürs Gebet, eine andere für den Fernseher. Das Leben spielt sich auf dem Fußboden ab: Zusammensitzen, Reden und Warten aufs Essen. In diesem Haus aber bitte nur die Männer. Sämtliche Frauen sind in der Küche versammelt. Und auch hier hocken alle auf dem Boden. Nüsse knacken, Kartoffeln schälen, Fleisch würfeln, Zwiebeln hacken, Limetten auspressen. Die Frauen in Ali Rezas Familie sind alle verhüllt, auch in der Wohnung. Das bedeutet auch für mich, meinen Schal auf dem Kopf zu belassen. Doch freundlich und auf ihre Art witzig sind sie auch hier. Um mich an die Regeln zu halten, habe ich mit einem weiteren Tuch meinen Haaransatz komplett abgedeckt. Ja, so fühle ich mich wohler unter all den Frauen. Nur die engsten männlichen Verwandten, so wird mir erzählt, wie der Ehemann, Vater, Bruder, Großvater, Schwiegersohn und Schwiegervater sowie der Bruder des Vaters dürfen in sehr gläubigen Gegenden und Haushalten die Frau ohne Kopfbedeckung sehen. Sten und die Englischlehrer sind definitiv fremde Männer in ihrem Haus, so dass die Frauen ihre Tschadors, die Kopfbedeckungen, die nur das Gesicht frei lassen, nicht ablegen. An der Eingangstür hängen zwei Arten von Klopfern. Links ein rund Geformter, welchen die Frauen betätigen, wenn sie zu Gast kommen. Und rechts ein länglicher Klopfer, der für die Männer bestimmt ist. So weiß die Frau des Hauses, wie verhüllt sie sich zu kleiden hat, und öffnet obendrein nicht versehentlich einem fremden Mann die Tür.

Ich setze mich ebenfalls auf den Boden, um mitzuhelfen beim Kochen. Nebenher notiere ich zügig, um die Abfolge der Handgriffe nicht zu vergessen. Die Frauen sind schüchterner hier, auch stiller und zurückgezogener. Besonders deutlich wird mir das, als es ans Essen geht. Um das auf dem im Wohnzimmer am Boden ausgebreitete Tuch sitzen außer mir nur Männer. Die Frauen setzen große Schalen und Teller mit lecker duftenden Speisen auf der Mitte des Tuches ab. Ich selbst beginne zu rutschen, damit Platz zum Sitzen für die Frauen wird. Bis ich merke, dass sie nicht kommen, sondern stattdessen in der Küche essen. Niemand außer mir scheint auch nur den Hauch eines Anstoßes daran zu nehmen. Ich fühlte mich unwohl im Kreis der Männer. Und weiß doch, dass die Frauen es auch nicht mögen würden, wenn ich zu ihnen in die Küche käme. Ich bin schließlich Gast, und als dieser ein Geschenk Gottes. Gern hätte ich die Frauen gefragt, wie sie es tatsächlich selbst empfinden, getrennt von den Männern zu essen. Doch leider bleibt uns nur die Sprache der Blicke und Gesten und Deutungen. Frage ich die beiden Englischlehrer danach, antworten sie nur kurz: Völlig normal, das ist bei uns traditionell einfach so. Womit der Fall erledigt ist. Die Atmosphäre an unserer Bodentafel ist entspannt. Auch die Frauen sehen beim Nachfüllen der Teller zufrieden aus. In mir rattert und klappert und kämpft das Frauenzahnradgerechtigkeitswerk. Und doch weiß ich, dass es ausschließlich mein Blick auf die Dinge ist und die Frauen in ihrem Glauben einen ganz anderen haben. Wochen später erreicht uns eine Nachricht. Die von Ali Rezas Tod. Als habe er es geahnt, in unseren gemeinsamen Tagen in Meybod. So großzügig seine Gesten, so bedeutungsgeladen sein Handeln. Der stille große Mann, dessen Augen intensiver mit mir sprachen, als es beide Englischlehrer zusammen vermochten. Wie viel ist Sprache am Ende tatsächlich wert? Und inwieweit lässt sie uns das Wahrnehmen mit allen Sinnen verlernen, zumindest vordergründig brachliegen, als Schatz in einer unserer geheimsten Truhen? So sehr verlassen wir uns auf die Worte und überhören, übersehen, übergehen dabei feine Regungen, die uns vielleicht vom Eigentlichen erzählen. Denke ich an Ali Reza, ist mir eines klar: Die Sprache seiner Seele war es, die mich erreichte. Gemeinsam ließen wir uns ein auf die alten Zeiten, in denen die Karawanen durch Meybod zogen und in der Karawanserei Rast abhielten. Zwanzig bis fünfundzwanzig Kilometer legte eine Karawane im Schnitt täglich zurück. Genau das ist die Distanz, in der auch wir entlang der Seidenstraße mancherorts noch auf Karawansereien stießen. Manchmal haben sich drum herum Städte entwickelt, wie hier in Meybod. Manchmal wurden die Stallungen und Schattenplätze wieder der Wüste übergeben. Dann finden sich vielleicht noch ein paar blaue Mosaiksteine verstreut irgendwo im Sand.
Ein Kommen und Gehen nicht nur der Kamele. Die Müden wurden durch erholte Tiere ersetzt. Nachdem die Männer oft mehr als nur eine Nacht gemeinsam am Ort des Schutzes, des Wassers, der Ruhe und vor allem der neuen Nachrichten verbrachten. Die Karawanserei war Zeitung und Rundfunk und TV-Nachricht und Seifenoper in einem. Die Karawanenführer sind sozusagen die Journalisten der frühen Tage. Vielleicht auch Schauspieler und Märchenerzähler? Denn wie viel von dem Berichteten entsprang der Phantasie des Erzählenden, wurde unter dem Sternenhimmel am Feuer verändert und neu weitergetragen? Menschen reden gern, besonders über andere.
Ali Reza hat sich also auf und davon gemacht. Auf einem gelben Teppich, aus festem Faden von zerfurchten Männerhänden gewebt, die aussehen, als haben sich ihre Gesichter in den Händen als Spiegel vergraben. Ich kann ihn sehen in meinen Träumen, den Mann mit dem weitherzigen Blick. Und weiß heute ganz genau, warum ihm so unglaublich daran gelegen war, uns jedem einen dieser gelben Teppiche als Zeichen unserer ewigen Verbundenheit in die Arme zu legen. Nur Ali Reza wusste in dem Moment um die Tragweite seines Schenkens. Und er war sich darüber im Klaren, dass es seine Art zu gehen sein wird. Auf dem dahinfliegenden gelben Teppich, gewoben in der Karawanserei seiner Stadt Meybod.
Fotos
Hubble-bubble mit Zarathustra.
Wasserpfeife rauchen an einem Ort, der für mich nichts anderes verkörpert als Tausend und eine Nacht. Gelbe und rote Laternen erklären dem verdutzten Mond, was eine angemessene Lichtstimmung ist. Währenddessen lümmeln wir uns auf einem der Korsi, den aus Holz reich verzierten Sitz-Liege-Tisch-Stuhl-Sofa-Varianten in einem. Einen halben Meter hoch mögen sie sein, die mit Teppichen und Kissen bestückten, meist zwei mal zwei Meter großen Gestelle. Mit gekreuzten Beinen sitzen wir darauf und genießen, was kommt. Zwei wunderreich bemalte Wasserpfeifen, hier im Iran Ghelyoun genannt. Obwohl seit dem Jahr 2011 das Wasserpfeife-Rauchen in einigen speziellen Teehäusern wieder offiziell erlaubt ist, nachdem im Jahr 2005 von der Regierung ein generelles Verbot ausgesprochen worden war, fühle ich mich, als täte ich gerade etwas Verbotenes. Öffentlich ist der Ort doch deshalb nicht unbedingt gesellschaftlich anerkannt. Ich spüre den Kitzel des Halblegalen, wie als kleines Mädchen, das vor dem zu Bett gehen Bonbons lutscht, obwohl die Zähne schon geputzt sind. Wasserpfeife-Rauchen zählt zu den menschlichen Vergnügungen. Und da nun mal dem öffentlichen Vergnügen damals im Iran ein Riegel vorgeschoben wurde, fiel das gemütliche Sitzen unter einer Traumwolke aus Apfelgeruch mit unter den Geselligkeitshammer. Für uns ist es ein weiterer Abend mit Menschen, von denen wir glauben, einander schon ewig zu kennen. Vielleicht aus einem anderen Leben? Wer weiß das schon so genau? Begegnet sind wir uns über das hier so genannte Sechs-Hände-Prinzip. Hat man im Iran ein Problem, so spricht man, wie überall anders auch, einen anderen darauf an. Erhofft man sich in unseren Breiten oft sofort eine Antwort oder Hilfe, geht das Sechs-Hände-Prinzip davon aus, dass spätestens der Sechste, der von meinem Problem erfährt, eine Lösung für mich bereithält. Fraglich zwar, ob das Problem, von dem der Sechste erzählt bekommt, noch das gleiche ist, wie mein Ausgangsproblem. Ich weiß nur, dass die Methode in unserem Fall mehr als einmal funktioniert hat. Saman und Nazanin hatten vielleicht noch nicht die sechsten Hände, doch die Vierten mit Sicherheit. Wir – erste Hand – haben einen deutschen Freund. Er ist Leiter eines OP-Bereichs in Jena – zweite Hand –, der wiederum einen Arzt im Iran kennt – dritte Hand –, der jedoch gerade zu einem Kongress unterwegs ist, aber einen Geschäftspartner – vierte Hand – für medizinische OP-Geräte hat, welcher in der Stadt Yazd lebt, tatsächlich gerade da ist, sich Zeit für uns nimmt und uns in das Haus seiner Eltern einlädt. Wie es obendrein gelingt, von einer Hand in die andere E-Mailadressen und Telefonnummern zu reichen, um sich tatsächlich zu verständigen und einen Treffpunkt zu vereinbaren, gleicht der Mühe aus den Zeiten der Karawanen. Doch damals wie heute spüren Reisende, dass sich für alles ein Weg finden lässt. So auch wir und so auch heute. Plötzlich steht Saman, der mit der vierten Hand, vor unserem Leo. Und augenblicklich ist jedes Fremdeln dahin. Vielleicht wird ja durch die Hände gleich noch die Vertrautheit vom einen zum anderen übergeben? Saman ist einer, den ich als Weltmensch bezeichne. Sein Geist reist über sämtliche Ländergrenzen hinweg. Er denkt quer und spontan, verbindet das eine Thema mit der nächsten Idee. Ist an den Geschicken der Welt interessiert und spannt seine Fäden der Vorstellung blitzschnell über die Kontinente. Gerade so, als gäben die umfänglichen Restaurierungsarbeiten an der aus dem 12. Jahrhundert stammenden und im 14. Jahrhundert erweiterten, großen Versammlungsmoschee in Yazd die schlichte Basis für das Große und Weite. Samans Großvater trug als Architekt die Verantwortung für die neuzeitlichen Arbeiten, so dass sein Name in den blauen Kachelornamenten Verewigung fand. Das Erhabene, was nur einen Gott kennt auf der ganzen Welt, der nur eben unterschiedliche Namen trägt. Wer kann in seinem Leben tatsächlich so viel hinterlassen, dass die Ahnen einmal ein Gotteshaus betreten und dabei den Namen des eigenen Großvaters auf den Lippen tragen?
Nazanin und ich sehen aus wie ein duftender Kaffee mit einer Haube aus Sahne. Sie dunkelhaarig, mit tiefschwarzen geheimnisvollen Augen. Ich blond, mit dem Blau des Wassers im Blick. Doch unsere Seelen scheinen Schwestern zu sein. Das spüren wir, während wir schwitzend in unseren dicken, langen Mänteln neben unseren Männern herlaufen, die längst wieder die Jacken von sich geworfen haben und mit leichtem Gepäck durch die Lehmziegelbauten von Yazd schlendern. Da ist der Luftzug im Inneren eines Windturms ein echtes Mädchenparadies. Führt hier der Wind doch die kalte Luft in das Innere der Räume. Gebaut, um Obst und Gemüse länger frisch zu halten, manchmal auch Menschen. Ganz ohne Strom funktioniert der Kühlschrank der alten Zeiten.
Mit Saman und Nazanin Teile zeitlosen Gedankenguts aufzuspüren, belebt mein schwitzendes Herz. Der Zarathustrismus kreuzt unseren Weg, dessen größte Anhängerschaft in Indien und Iran anzutreffen ist. Irgendwann in der Zeitspanne von 1.800 Jahre vor und 600 Jahren nach Christus vermutet man die Entstehung der Religion im iranischen Hochland, dem heutigen Afghanistan. Mit der Ausbreitung des Islams, emigrierten vor ungefähr 1.000 Jahren ein Großteil der Anhänger in das Gebiet Indiens, wo sie den Namen Parsen, abgeleitet von Persern, tragen. Bis heute sind die drei wesentlichen Grundsätze in der Lehre des Zarathustras die der guten Gedanken, guten Worte und guten Taten. Es geht um den guten und den bösen Geist, die in ihrem Zusammenwirken unser Leben auf der Erde bestimmen. Damit das Gute über das Böse siegen kann, muss sich der Mensch als vernunftbegabtes Wesen entscheiden. ‚Ach ja, wie aktuell‘, nicke ich mir zu. Im Feuertempel von Yazd stehend und auf die heilige, niemals erlöschende Flamme als Gottheiten-Symbol schauend. Im Iran wird der Zarathustrismus als eine Minderheit von staatlicher Seite geduldet.
In die Zeit meines Lebens in der DDR fühle ich mich zurückversetzt. Das Denken ist frei, das Reden hat viele Facetten. Ich mußte wissen, mit wem ich worüber spreche. Es hatte etwas von einem Leben mit doppeltem Boden. Es gab ein Innen und Außen, eine offizielle Meinung und eine eigene. Wie mehrsprachig aufwachsende Kinder, deren Instinkt blitzschnell weiß, welche Worte zu welcher Sprache gehören. Künstler des gedanklichen Jonglierens, hier wie da. Wenn uns so viel Luft des ungefilterten Denkens entgegenströmt, lassen auch wir unseren Worten freien Lauf. Der Qualm der Wasserpfeifen kondensiert zu Ideentropfen in unseren Köpfen. Fein säuberlich bringen wir vier sie alle miteinander im Teehaus ans gelb schimmernde Licht der verschwiegenen Laternen.

Don‘t worry, Rafsanjan.
„In Rafsanjan, da müsst ihr schauen. Das ist sehr religiös da im Süden. Dort solltest du kein buntes Tuch auf dem Kopf tragen, Elke.“ Lieber gedeckte, dunkle Farben. Alles andere geht dort gar nicht, sind die Worte Annettes in Teheran, die vorbereiten auf das, was mich im Süden des Landes erwarten sollte. Und sie muss es wissen. Der Job wehte die deutsche Familie mit ihren drei Kindern nach Persien. Mit dem Geländewagen rumpelte Annette viele Male auf eigenen Faust mit ihren Kindern durchs Land. ‚Mutig die Frau‘, denke ich mir. Als sie uns weiter warnt, bestimmte Pisten zu meiden, da dort Minen vergraben seien. Die Schönheit der Landschaft sehend, hält sich meine innere Freude ob der Ankündigungen dennoch spürbar zurück, als wir uns der Stadt Rafsanjan, im Südosten Irans gelegen, nähern. Nun schon gut zwei Monate unterwegs kostet mich das mentale Betreten von Neuland noch immer eisberggroße Überwindung. Die Türkei hat es gut mit mir gemeint, der Norden des Irans auch. Doch noch immer hält meine Entdeckerseele Winterschlaf. Suche ich Halt und Anlehnung an Vertrautem, finde ich doch nur das Fremde. „Schön“, möchte man sagen. Doch in mir drin kann ich das Licht der Neugier und des sich Öffnens leider noch immer nicht in vollem Maße finden. Ich muss wohl geduldig sein, vor allem mit mir selbst. Mag ich meinen inneren bleischweren Panzer und das flüsternde Zaudern nun verstehen oder nicht. Will ich doch die frische Weltenentdeckerin sein und kann es mir selbst nicht bieten. Wer weiß warum, wer weiß wofür, würde eine weise Oma jetzt sicher sagen. Ein schwacher Trost für mich in diesen verknoteten Tagen. Ja, wir haben Zeit, ein ganzes Jahr lang. Und nein, wir haben keine Zeit. Unser Visum für den Iran, so schwer zu ergattern, läuft in wenigen Tagen aus.
Also, Rafsanjan, mit den Rädern kurz antippen, Blinker setzen, Schulterblick links und ab in den Norden. Ein Haken, wie ihn ein Wild-Hase schlagen würde, im deutschen Gefilde. Wir erreichen die Stadt, wir durchqueren die Stadt, wir lassen die Stadt hinter uns. Nun mal ehrlich. So unwirtlich, wie meine graue Phantasie die Stadt gemalt hat, will sie sich im Wüstenlicht gar nicht zeigen. Warum nur mischt meine Vorstellung die dunklen Farben zusammen? Habe ich den Pinsel lange nicht ausgewaschen? Sollte ich das Wasser mal wechseln? Irgendwas ist, dass ich den Lichtschalter in meinem Kopf nicht finde. Ein leuchtendes Gelb ist alsbald ein matschiger Eiter-Ton, sobald es das Papier meiner Vorstellung erreicht. Wie lange noch will dieses beklemmende Gefühl in mir wohnen? Kann es nun bitte mal gehen? Mir reicht es. Echt eine hammerschwere Lektion, die mir mein Leben gerade erteilt. Das, wie ich sein will, ist das eine, das, wie es mir gerade tatsächlich geht, etwas vollkommen anderes. Sage einmal den Sicherheiten deines Lebens „Goodbye“ und du wirst sehen, was sich da alles an Farbe abwäscht, bevor du irgendwann auf die reinen Pigmente stößt. Ein langwieriger Prozess. Doch muss der nur wirklich so weh tun? Geht es nicht ein klein wenig sanfter und schneller? Offensichtlich wohl nicht. Danke, Illusion! Also weiter, immer weiter. Inzwischen bergauf, zwanzig Kilometer hinter Rafsanjan. Leo schnauft und kämpft sich durch die engen Kurven der Bergeinschnitte. Die Kulisse macht mir nicht unbedingt Mut, doch lädt sie mich ein zum Fotografieren. Einsamkeit, am offensichtlichen Ende der Welt, wohin ich blicke. Und trotzdem, Ede, schau hin, befehle ich mir. Sieh das Einzigartige darin. Und hör endlich auf mit dem Selbstmitleid. Das stinkt ja zum Himmel. Es stinkt wahnsinnig, höre ich mich tatsächlich schreien. Es qualmt wie verrückt. Anhalten, Sten, Stopp! Sofort! Er mag wohl denken: Dreht sie jetzt komplett durch? Doch er tut, was ich sage. Auch wenn er nicht wirklich weiß, warum. Und dann irgendwie doch. Ein ohrenbetäubendes Zischen scheint die nahende Explosion von Leo anzukündigen. Motor abstellen, aus dem Leo springen und gehörig Abstand nehmen sind eins. Das giftschlangengleiche Zischen will nicht enden, doch eine Explosion bleibt aus. Der Gestank und Qualm lässt uns verbrannten Gummi vermuten. Ratlos, ja komplett ohne Rat, stehen wir da, im Wind der schattenkalten Berge. Sicher ist nur eins. Die Sonne geht unter. Sehr bald. Was ist zu tun? Keine Ahnung. Was können wir machen? Keine Ahnung. Wie in Schockstarre stehen wir da. Sehen uns an. Stumm. Zu mehr reicht es gerade nicht. Was kann das sein? Und wie ist es zu beheben, allein, hier draußen in den engen Gebirgskurven? Weltreisen ist Schwerstarbeit. In jedem Fall für Schutzengel. Was haben die zu schuften, im Auge zu behalten, sind hier und da unterwegs. Wenden nicht unbedingt ab, doch haben ein Ass unter dem Flügel, wenn es brenzlig wird. Echte Spaßvögel, unsere Engel. Setzen die nicht tatsächlich zwei Männer in der Kurve direkt vor uns ab? Wo kommen die her? Weiß nicht. Wo wollen die hin? Ich habe keinen blassen Schimmer. Nur eins will ich, schreien vor Erleichterung. Die beiden sprechen kein Englisch, egal. Wir verstehen kein Farsi, macht nichts. Doch die Männer haben ein Telefon und wir einen Wasserkocher. Denn wenn nichts funktioniert, Tee trinken geht immer. Auf dem nächsten Hügel findet der eine mit seinem Telefon einen Hauch von Empfang. Einen Freund ruft er an und noch einen. Und die Polizei. Und immer so fort. Inzwischen hat ein Fahrer mit seinem Sattelschlepper gehalten. Der Mann liegt im Staub unter unserem Leo. Ein Auto voll mit Tschador umhüllten schwarzen Frauen hält an. Sie geben der Szene den Segen. Mit dem Traktor kommt Dramatik ins Spiel. Alle wollen helfen. Auf ihre Art. Energiegeladen, laut, inbrünstig reden und gestikulieren sie wild durcheinander. Ob die sich verstehen? Ich kapiere nichts. Der Menschenauflauf ist keine Lösung. Trotzdem macht er mir Mut. Ich richte mich innerlich darauf ein, hier draußen die Nacht zu verbringen und zeige mich als Gastgeberin großzügig. Einen Tee nach dem anderen, einen Kaffee nach dem nächsten trage ich zu unseren Mental-Unterstützern. Helfen können sie uns alle nicht wirklich. Doch sie würden gern und zeigen das mit aller Hingabe und Emotion. Sie wünschen sich wohl, dass alles bald gut werde, entnehme ich ihren hoffenden Gesten.
Film
Derweil überlege ich mit Sten im Stillen, was uns tatsächlich weiterbringen kann. Gedanklich blättern wir unsere iranischen Telefonnummern durch und stoßen dabei auf Dr. Ali aus Mashhad, im Norden des Landes. Der kennt uns noch nicht. Genauso wenig wie wir ihn. Doch wir wissen um sein umtriebiges und unkonventionelles Wesen, genauso wie um seine gigantische Vernetzung im ganzen Land. Treffen sich im Iran zwei Fremde, ist es zu jeder Zeit und unter noch so großem Zeitdruck das Erste, die Telefonnummern auszutauschen. Man weiß nie, wann man wen wofür braucht. Der Kontaktfanatismus ist der mit Liebe gewebte Boden, auf dem im Iran das Leben gedeiht. Dr. Ali spricht Englisch. Ein großes Plus in unserer Situation. Und er reagiert prompt. Mashhad liegt zwei Tagesreisen von uns entfernt. Doch das Sechs-Hände-Prinzip ist wieder einmal unsere Lösung. Dr. Ali kontaktiert Ali Reza, der ausschließlich Persisch spricht, in Meybod. Der wiederum hat einen Bekannten in Rafsanjan. Dieser kennt jemanden, der Englisch spricht und auf den Namen Mister Hashemi hört. Mister Hashemi also ist unser Mann. Am Eingang der Stadt Rafsanjan würde er auf uns warten, heißt es in einer Textnachricht auf dem in der Dunkelheit leuchtenden Display kurz.
Bewegung kommt ins Bild, als Männer in schwarzen Lederjacken erscheinen. Die Leute von der Sicherheit, hm, also Geheimpolizei, erfahren wir später. Sie bilden unsere blinkende Eskorte auf dem wahnsinnigen Geschwindigkeitsritt von zehn Kilometern pro Stunde zurück in die Stadt nach Rafsanjan. Zwei Stunden für zwanzig Kilometer, ist unsere Spitzenbilanz. Schneller kann Leo nicht. Schneller wollen wir nicht, zumal wir die Krankheit von Leo nicht kennen. Schon toll, dass sich seine Räder überhaupt noch drehen. Unsere Zeremonienmeister von der Polizei geben sich alle Mühe, Leo bei seiner Schneckentempofahrt würdevoll aussehen zu lassen. Mit ihren Sirenen und dem rot-weißen Licht kommen sie zu ihrem Höhepunkt, als auch noch ein Sandsturm das Szenario in kaum überbietbare Dramatik stürzt. Keine Ahnung, wer sich dieses Schauspiel nun wieder ausgedacht hat. Sind wir doch einfach nur froh, durch die undurchsichtige Sandwand der Nacht ein paar blinkende Anhaltspunkte zu erahnen. Bis unser Konvoi mit einem Mal stoppt. Wir bleiben sitzen und warten ab. Irgendwer scheint an jemand anderen übergeben zu haben. Ein weißes Fahrzeug ohne Lichtsignale hat die Führung übernommen. Einen Fahrer sehen wir nicht, während das Blinken der Polizei grußlos in der Sandkasten-Nacht verschwindet.
Reden macht im Leo aus vielerlei Grund keinen Sinn. Ob das weiße Fahrzeug überhaupt noch etwas mit unserer Aktion zu tun hat? Wir hoffen einfach. Im großen Bogen umrollen wir Meter für Meter die Stadt. Manchmal lenkt Aktionismus ja ab. Auch wenn der aus einem Kriechgang besteht, welcher in einer Toreinfahrt sein jähes Ende erfährt. „Halt hier“ und „Stopp“, sind die mimischen Anweisungen der Zeichensprache. Und plötzlich ist er da, unser Mann, Mister Hashemi. Sympathisch sieht er aus, elegant im Anzug gekleidet. Professionell sein Habitus. Charmant seine Rede. Ohne mit einer Silbe darauf einzugehen, wer er ist und wo wir sind, unterrichtet er uns in glockenklarem Englisch, dass heute ein großes Familienfest anstünde, wir das kaputte Fahrzeug vergessen mögen und mitzukommen haben zur Familie auf das Fest. Was für ein Szenenwechsel. Wie nennt sich dieser dramaturgische Kniff aus dem Handgelenk doch gleich? Wer kann seinem Zuschauer so viel Flexibilität im wilden Wandel der Ereignisse zumuten? Da kommt doch keiner mehr mit und glauben tut es auch niemand. Doch das Leben schreibt seine eigenen Geschichten, mitunter die kuriosesten. Muss ja keiner glauben. Das Leben ist sich selbst genug. Ein Wohnhaus. Darin ein Saal, dessen Wände den Schmuck einer Perlenkette aus Königsstühlen tragen. Anders kann ich die opulenten Sitzgelegenheiten nicht bezeichnen. Denen es definitiv keinen Abbruch tut, ihre Goldstickereien von einem Plastiküberzug vor dem Sand der Wüste schützen zu lassen. Und wer sitzt darauf? Sämtliche Männer. Der Familienälteste findet sich an der Stirnseite. Die Reihenfolge folgt der Rangfolge. Frauen sind keine dabei. Sie finde ich erst bei einem geübten Blick in die Küche. Um die zwanzig Frauen sitzen dort auf dem Boden, nehmen reihenweise Hühner aus, füllen sie mit Gewürzen, kochen gelbgoldenen Safranreis, zaubern Salate, Suppen und Pasteten. Wie in die Küche des gestiefelten Katers fühle ich mich versetzt. Mein Bild der königlichen Küchen, angefüllt mit den sich vor Üppigkeit biegenden Schüsseln und Tellern aus den Märchen meiner eigenen Kindertage. Der Anblick der vielen Frauen auf dem mit flauschigen Teppichen ausgelegten Boden hockend, sitzend und kniend, schwatzend und lachend, brennt sich augenblicklich für den Rest meines Lebens tief in mir ein. Ich kann das Zischen der Verewigung körperlich spüren. Wohin ich gehöre, weiß ich nicht recht. Natürlich zu den Frauen in die Küche, denke ich. Doch die schicken mich winkend weg. Ich, der Gast. Bei den Männern habe ich aber gleich gar nichts verlorenen. Vor allem geht es nicht, mich einen Augenblick lang neben Sten zu setzen, der vom Familienoberhaupt an die Stirnseite gebeten wurde. Keine Ahnung, wie viele Verhaltensregeln ich hier gerade auf einen Schlag verletze. Dann lieber doch die Küche. Bei den Männern mache ich ein paar stilechte Fotos. Bei den Frauen fange ich die Atmosphäre mit meiner Kamera ein. Der beste Job, wenn ich nicht weiß, wohin ich gerade gehöre.

Dann gibt es da noch ein anderes Zimmer. Das der alten, auf ihre Art schönen, faltigen Frauen und zartjungen Babys. Dort werden Säuglinge auf den Armen in den Schlaf gewiegt, Wippen geschaukelt, Nuckel in die suchenden Münder gesteckt, Tränen getrocknet und all das mit der unendlich weisen Gelassenheit von Frauen, für die Kinder aufzuziehen ein Kinderspiel ist. Dann das Zeichen: Essen ist fertig! Die Männer wechseln in aller Ruhe ihre Sitzposition von den Stühlen, indem sie nach unten gleiten auf den Boden. Mit verschränkten Beinen finden sie sich vor dem großen, weit ausgebreiteten Tisch- ähm, Boden-Tuch wieder. Darauf nun die Speisen in Schüsseln, auf Tellern, in Krügen und Körben, um die Münder und Mägen der gut vierzig Familienmitglieder zu erfreuen. Es klappert und befüllt sich, gießt ein und verteilt sich, es feixt und kichert um mich herum. Ich sitze bei den Frauen, an einem Seitenarm des Tuches. Doch den Moment, in dem der Familienoberst das erste Mal seine Gabel zum Mund führt, bekommt jeder mit. Denn erst jetzt ist der Startschuss zum gemeinsamen Essen gefallen. Ich koste von allem und verliebe mich einmal mehr in die persischen Speisen. Auf Sauer trifft Süß und Pikant trifft auf Pfeffrig. Das Gelb des Safrans hat seine Freude am Rot des Granatapfelsaftes und aalt sich kontrastierend im Violett der Auberginen. Phantasiereich und ungewöhnlich kombiniert. Da ist einfach liebevolle Hingabe im Spiel. Hinzu kommt das lange schonende Garen, das Marinieren und Einlegen. Mit Hand, Löffel und Gabel zaghaft bearbeitet, zerfällt noch das größte Stück Fleisch ergeben auf dem eigenen Teller.
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