Kitabı oku: «Herbst der Vergeltung», sayfa 4

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Eine Stunde später fing er an zu weinen.

10.

Birgitta hatte keinen Ausdruck für die Misshandlung, der sie ausgesetzt war; wäre sie gezwungen worden, darüber zu sprechen, hätte sie gesagt der Vorfall, oder das, was passiert ist. Aber sie sprach niemals darüber.

Einmal hatte Leila sie gefragt, warum sie blaue Flecken auf dem Arm hatte. Sie hatte versucht auszuweichen, aber als Leila die Frage wiederholte und wissen wollte, ob sie geschlagen worden war, hatte Birgitta es widerstrebend zugegeben, vielleicht gesagt, aber es sei ja nur ein einziges Mal passiert, und dieser Vorfall sei nicht der Rede wert. Danach hatte sie zu vergessen versucht, dass Leila gefragt hatte. Von dieser Begebenheit rührte wohl dieser Ausdruck her: Der Vorfall damals.

Aber sie war seitdem noch oft misshandelt worden, viele viele Male, und viele Male davor.

Birgitta wollte über das, was passiert war, nicht nachdenken, sie hielt es von sich fort, dachte es sich weg, ließ es zu einem Nichts schrumpfen, zu etwas, das weit weg war, etwas Nebensächlichem. Ja, es passierte neben ihr. So, als ob es jemand anderem passierte, so, als ob sie selbst unbeteiligt daneben stand und zusah, so, als ob es nur etwas war, das sie gehört und wieder fast vergessen hatte.

Am Morgen nach dem letzten Vorfall hatte Bengt lange geschlafen. Birgitta selbst war eine Weile vor den Söhnen aufgestanden, hatte sich gewaschen, sich gepudert und versucht, sich stark zu schminken, um die schlimmsten Spuren zu verbergen. Sie hatte eine Schramme am Kinn und eine geschwollene Lippe, die Zunge hatte eine Wunde, aber das war nicht zu sehen.

Das Gesicht war noch recht gut davongekommen, das Schlimmste waren die Schmerzen in der Seite und im Bauch. Da hatten Bengts Fäuste sie viele Male getroffen, er hatte hart und mit Wucht zugeschlagen.

Bengt schlug sie selten ins Gesicht. Es war, als wolle er keine all zu deutlichen Spuren hinterlassen.

Als er aufwachte, war Birgitta in der Küche. Er murmelte ›Guten Morgen‹, ging ins Badezimmer und blieb ziemlich lange dort.

Als er wieder herauskam, war der Kaffee fertig. Sie saßen einander stumm gegenüber. Bengt vermied es, sie anzusehen. Als er sich erhob und sagte, dass er einen kleinen Spaziergang machen wolle, wusste sie ziemlich sicher, was er jetzt vorhatte.

Und es kam, wie sie vermutet hatte. Nach einer halben Stunde war er zurück mit einer Tortenschachtel und einer Tüte.

»Oh, das wird ja ein Festschmaus«, sagte Birgitta, »Marzipantorte und Plunderteilchen.«

»Bitte sehr, nicht der Rede wert«, antwortete Bengt.

Mehr wurde nicht gesagt. Bengt rasierte sich, Birgitta machte die Betten, die Söhne kamen, schauten in die Küche und sahen die Torte.

»Lecker, nicht wahr?«, sagte Birgitta.

Die Jungen freuten sich, sie wussten, dass Torte gegen elf oft zum Samstag gehörte. Es war schon fast eine Gewohnheit. Obwohl es manchmal auch am Sonntag so war.

Birgitta hatte eine Weile in der Küche gesessen. Als sie sich erheben wollte, schoss ein gewaltiger Schmerz durch ihren Bauch, er durchfuhr sie wie eine scharfe Messerklinge, sie stöhnte auf. In diesem Augenblick kam Bengt in die Küche. Birgitta ging schnell zu einem Husten über, hielt die Hand vor den Mund. Hinter einem gespielten Reizhusten versuchte sie den Schmerz zu verbergen.

Sie hätte stillsitzen und vorsichtig atmen sollen. Nun verschlimmerte sich der Schmerz im Magen stattdessen noch. Bei jedem Husten war es, als risse eine Wunde tief im Zwerchfell auf.

»Bist du erkältet?«, fragte Bengt.

»Ach, halb so wild«, murmelte Birgitta.

»Dann hole ich wohl den Kaffee.«

»Nett von dir.«

»Setz dich, ich mache das schon.«

Dann rief er seine Söhne, sie kamen sofort. Bengt sagte, dass sie nicht extra fragen müssten, sie dürften sich so viele und so große Stücke Torte nehmen, wie sie wollten.

Birgitta meldete sich am Montag krank, sagte, dass sie wieder ihre starken Kopfschmerzen bekommen hätte, diejenigen, die ohne Vorwarnung kamen und ein oder zwei Tage blieben.

Ja, man wusste auf der Arbeit, dass sie an diesen Schmerzen litt. Die Sekretärin des Bürovorstehers, mit der sie telefoniert hatte, sagte, Birgitta solle sich pflegen, es ruhig angehen lassen und wieder auf die Beine kommen. Sie sagte das, was man erwarten konnte. Aber Birgitta wollte gerne glauben, dass sie meinte, was sie sagte, sie war eine freundliche Frau, die bald in Rente gehen würde, ein herzlicher Mensch, den alle mochten.

Am Abend, als die Jungen schliefen, kam Leila zu Birgitta herüber. Bengt war für einige Tage weggefahren zum Arbeiten, dieses Mal nach Köping, etwas zu weit entfernt, um jeden Tag nach Hause zu fahren.

Leila hatte eine Flasche spanischen Wein von einer guten Sorte mitgebracht, eine von mehreren, die sie in der Weinlotterie gewonnen hatte.

Wenn sie sich auf ein Glas trafen, lud Leila sie immer ein.

Birgitta hatte ihr gesagt, dass sie für ihren Anteil bezahlen wolle, aber Leila hatte das jedes Mal abgelehnt, weil Birgitta oft Knabberzeug bereitstellte. Und Birgitta wollte keinen Alkohol für sich alleine kaufen, weil sie wusste, dass Bengt es nicht mochte, wenn sie ohne ihn trank.

Sie saßen meistens bei Birgitta, jedesmal, wenn Bengt fort war in Sachen Arbeit, was oft vorkam, denn Bengt war Elektriker und Leihmonteur, er war bei einer Firma angestellt, die Generatoren und Energiezentralen in ganz Mittelschweden wartete.

Leila arbeitete in der mobilen Krankenpflege, sie hatte keine Kinder und lebte allein mit zwei Vögeln im Käfig. Manchmal ging sie aus zum Tanzen, und es kam vor, dass sie mit einem Mann zu ihm nach Hause ging, aber der durfte niemals mit zu ihr nach Hause kommen, sie gab niemals ihre Adresse heraus und nannte falsche Namen, Therese, Brigitte, gerne auch Vendela; warum gerade diesen Namen, wusste sie nicht. Die Anonymität war zu einer Angewohnheit geworden, zuvor war sie absolut lebenswichtig gewesen.

Der Wein, zu dem sie Birgitta einlud, hieß Torremilanos, ein ausgezeichneter Jahrgang, der in der Weinrubrik in der Zeitung Bestnoten bekommen hatte.

»Ich bin in Griechenland gewesen, aber niemals in Spanien«, sagte Leila. »Aber sie haben guten Wein.« »Meinst du jetzt Spanien oder Griechenland?«, fragte Birgitta.

»Beide«, antwortete Leila und lachte.

Sie tranken, Birgitta öffnete das Küchenfenster einen Spalt, sie zündeten sich jede eine Zigarette an und versuchten, den Rauch zum Fenster zu blasen.

»Was hast du mit deinem Gesicht gemacht?«, fragte Leila.

»Ich hatte meine Kopfschmerzen«, antwortete Birgitta, »und da ist mir so schwindelig geworden, dass ich im Bad über die Badematte gestolpert und gegen das Waschbecken gefallen bin.«

»Genau wie mit der Küchentür«, sagte Leila.

»Wie?«

»Sonst ist es immer die Küchentür, gegen die sie laufen. Oder die Treppe, die sie runterfallen.«

»Wer?«

»Die Mädels, die verprügelt werden.«

»Aber ich bin ja gestürzt.«

»Du brauchst mir nichts vorzumachen, ich weiß Bescheid, und ich hab‘ schließlich früher schon mal gefragt. Erinnerst du dich?«

»Ja, ich kann mich erinnern.«

»Ich hab‘ es selbst schon mal erlebt, ich weiß, wovon ich rede.«

Birgitta saß stumm da, zündete sich noch eine Zigarette an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte.

»Sprich endlich darüber«, sagte Leila, »es ist viel besser, wenn du darüber sprichst, mir kannst du vertrauen, ich erzähle nichts weiter.«

»Es ist ... es ist«, versuchte Birgitta, »es ist ... oder ...«

Weiter kam sie nicht. Es fühlte sich an, als würde sie anfangen zu weinen, aber es kamen keine Tränen. Stattdessen wurde der Schmerz im Bauch stärker und auch in der Brust tat es weh. Sie konnte nicht ausmachen, ob der Bauch am meisten schmerzte oder ob es ihre Trauer war, die jetzt hervorbrach. Alles floss zusammen, es war wie ein Krampf im Körper. Sie starrte vor sich hin.

»Erzähl es mir«, sagte Leila, »jetzt oder ein anderes Mal, aber du musst es erzählen, sonst gehst du kaputt.«

Da fing Birgitta an zu weinen. Erst langsam und leise, aber dann immer heftiger. Sie versuchte, die Hände vor Augen und Mund zu pressen, um die Schluchzer zurückzuhalten, aber die Tränen flossen zwischen ihren Fingern hindurch, und ihre Nase schniefte, die Trauer wurde übermächtig. Das Weinen steigerte sich und wurde zu einem gedämpften und langgezogenen Schrei lang unterdrückter Verzweiflung.

Ihre Söhne wachten auf. Sie lagen still in ihren Betten, sagten nichts zueinander. Sie versuchten, die Laute zu dämpfen, indem sie ihre Kissen auf die Ohren drückten. Das hatten sie vorher schon gemacht, aber da waren es Schläge gewesen, die sie gehört hatten, Poltern auf dem Boden und der Zorn des Vaters. Das hier war etwas anderes.

Langsam erstarb das Weinen. Die Jungen lagen trotzdem noch eine Weile wach, bevor sie wieder einschliefen.

Leila hielt die Hand ihrer Freundin. Jetzt lockerte sie langsam ihren Griff, goss Wein nach, schob Birgitta das Glas herüber.

»Ich habe das alles schon lange gewusst«, sagte sie.

»Wie lange?«, schniefte Birgitta.

»Lange.«

»Wie hast du es herausgefunden?«

»Ich sagte ja schon, dass ich es wusste, weil ich so etwas selbst kenne.«

»Hat dich auch jemand geschlagen?«

»Ja, davon reden wir ja schließlich, oder?«

»Kannst du mir davon erzählen? Also, ich meine, natürlich nur, wenn du willst.«

»Ich habe für einige Jahre mit einem Typen zusammen gelebt, erst war er nett, ein echt netter Kerl, aber er veränderte sich und fing an mich zu kontrollieren, ließ mich nirgends mehr allein hingehen, denn er war absolut eifersüchtig. Dann schlug er mich einige Male, bis ich schließlich Schluss machen wollte. Das akzeptierte er nicht und wurde dann erst richtig gewalttätig. Ich zog aus, wir waren schließlich nicht verheiratet und hatten keine Kinder. Aber er suchte nach mir. Ich zog wieder um, aber er bekam immer heraus, wo ich wohnte. Und er schlug mich wieder, auf die übelste Weise. Ich musste mich verstecken, er nahm mir praktisch mein Leben weg, ich saß nur herum und zitterte hinter zugezogenen Vorhängen in irgendeinem Versteck.«

»Du brauchst nicht weiterzuerzählen.«

»Doch, ich werde dir die ganze Geschichte erzählen. Zu guter Letzt verschwand er, er hat wohl eine andere gefunden, die er terrorisieren konnte, aber zu dem Zeitpunkt hatte ich schon eine Menge Hass auf dieses verdammte Arschloch entwickelt, ich lief herum und malte mir unterschiedliche Methoden aus, wie ich ihn wohl töten konnte. Und obwohl ich eigentlich froh war, dass er verschwunden war, konnte ich nicht aufhören, ihn zu hassen. Er war LKW-Fahrer, und noch immer hoffe ich jedesmal, wenn ich in der Zeitung etwas von einem Autounfall lese, dass er es war, der dort gestorben ist. Besonders wenn es ein richtig schlimmer Unfall war, ein Brand zum Beispiel, wo jemand langsam gestorben ist, hoffe ich darauf. LKW-Unfälle lese ich immer mit dem größten Vergnügen. Und als die Estonia sank, dachte ich, dass er vielleicht an Bord war, man weiß ja nie, LKWs fahren ja oft ins Ausland. Manchmal sind Unfälle das einzige, was mich interessiert. Es ist sogar schon vorgekommen, dass ich in die Stadtbücherei gegangen bin und Massen von Tageszeitungen durchgeblättert habe, nur um alle schlimmen Unfälle mitzubekommen. Und immer denke ich dasselbe, hoffentlich ist es dieser verfluchte Mistkerl, ich hoffe, dass er verbrannt ist, in Stücke gerissen, langsam gestorben ist. Ich ergötze mich an Unfällen, kann kaum genug davon kriegen. Er hat mich kaputt gemacht.«

»Himmel, Leila.«

»Hm, es ist furchtbar, aber ich weiß, wie es dir ergeht, und ich habe es die ganze Zeit über mitgekriegt, von Anfang an, seit ich eingezogen bin. Warum verlässt du den Kerl nicht?«

»Ich kann nicht, nicht jetzt, wir haben ja schließlich die Jungs, und er ist ja schließlich nicht immer so, ich hoffe, dass er sich ändern wird, dass er wieder so wird wie in der ersten Zeit, als wir zusammen waren.«

»Aber er ändert sich nicht.«

»Wie kannst du das wissen?«

»Ich weiß es, weil es so ist.«

»Aber ich hoffe es trotzdem.«

»Das tun all die, die ausgenutzt werden, das sage ich dir.« Sie tranken ihren Wein aus, rauchten weiter, trennten sich gegen halb zwölf. Birgitta schaute bei den Jungen hinein, lauschte eine Weile, hörte, dass sie schliefen und hoffte, dass sie sie nicht gestört hatten. Als sie unter ihre Decke kroch, kamen die Bauchschmerzen wieder.

11.

Donnerstagnachmittag in der dritten Augustwoche änderte sich das Wetter innerhalb einer Stunde. Am Morgen hatte es geregnet, es war kühl und windig gewesen. Der Regen hörte zwar um die Mittagszeit auf, aber die Kälte und der Wind blieben. Als die Turmglocke der Hedvig-Eleonora-Kirche drei schlug, waren es elf Grad und der Himmel dunkelgrau.

Um viertel vor vier schien die Sonne, um halb fünf waren es dann fünfzehn Grad in Stockholm.

Der Mann, der mit einer Einkaufstüte in der rechten Hand aus der Östermalmshalle kam, hatte gerade den halben Marktplatz überquert, als er stehen blieb. Er stellte die Tüte ab und sah zur Kirche hinüber. Dann knöpfte er den Mantel auf, steckte seine Kappe in die Manteltasche und öffnete den obersten Hemdknopf, bevor er weiterging. Sein Mantel war dunkelgrau, die Mütze, die er in die Tasche gestopft hatte, war dezent gemustert. Jetzt, da er keine Kopfbedeckung mehr aufhatte, sah man seine kahle Stirn. Über den Ohren und im Nacken hatte der Mann kurzgeschnittenes, blondes Haar.

Auf dem Platz waren viele Leute in Bewegung. Der glatzköpfige Mann mit der Einkaufstüte ging an einigen Verkaufsständen vorbei, ohne stehenzubleiben. Er ging zur Sibyllegata, um die Straßenecke, wo der Eingang zur U-Bahn liegt.

Gerade als er um die Ecke gebogen und die ersten Treppenstufen nach unten gegangen war, trat ein anderer Mann aus einem Hauseingang in der Sibyllegata gegenüber dem U-Bahn-Eingang. Er war mit einer Sportjacke bekleidet. Er war groß, ziemlich breit gebaut und dunkelhaarig. Der Mann mit der Jacke ging schnell über die Straße, hielt kurz am Treppenabsatz inne und ging dann rasch hinunter. Er wurde wieder langsamer, als er in die Halle mit den Sperrgittern kam, er hielt am Kiosk an, sah kurz auf die Zeitungsaushänge, schielte auf die Schlange vor dem Fahrkartenschalter, bevor er weiterging. Als er sich dem Sperrgitter näherte, hatte er bereits das Ticket in der Hand.

Der Mann mit der Einkaufstüte stand auf dem Bahnsteig, als der Zug einfuhr. Er ließ einige Jugendliche vor, bevor er selbst in den Wagen stieg. Gleichzeitig, oder vielleicht einige Sekunden danach, stieg auch der Dunkelhaarige durch eine andere Tür in denselben Wagen ein. Er stellte sich mit dem Rücken zum Glatzköpfigen, der die Einkaufstüte immer noch in der rechten Hand hielt. Mit der anderen Hand hielt er sich an der Haltestange fest. Am Bahnhof stieg der Mann mit der Tüte aus, der andere Mann tat es ihm gleich.

Der glatzköpfige Mann dachte an alles Mögliche. Der breit gebaute Mann mit der Jacke dachte nur an eines: den Mann, dem er folgte, nicht aus den Augen zu verlieren, nicht, nachdem er ihn endlich aufgespürt hatte, seine alltäglichen Wege und Beschäftigungen herausgefunden hatte. Tagelang war er dem Mann gefolgt, ohne etwas Besonderes zu fühlen, keinen Hass, keine Unruhe, auch nicht diese spezielle Konzentration, die Kälte, die im Bauch entstand und sich durch den Hals hochschlich und einen bestimmten Geschmack im Mund verursachte. Es passierte, dass es sich für ihn wie eine reine Alltagsroutine anfühlte, wenn er auskundschaftete, Nachforschungen anstellte, dem Mann, den er ausgewählt hatte, folgte.

Aber heute war nicht so ein ruhiger Tag. Nun kam die Kälte wieder und mit ihr der Hass. Er betrachtete den Mann aus der Distanz, sah nur ihn, alles andere um ihn herum wurde zu konturlosen Schatten.

Der Mann mit dem Mantel ging hinauf zum Sergels Torg. Dort wählte er den unteren Weg zu Åhléns hinein und kaufte eine Abendzeitung, bevor er die Rolltreppe nach oben zur Etage für Herrenbekleidung nahm.

Er kaufte zwei Paar Unterhosen, Modell Shorts, und ein Paar dünne schwarze Socken. Neben einem großen Tisch mit karierten Flanellhemden stand der Dunkelhaarige und tat so, als würde er zwischen den Kleidungsstücken wühlen, während er in Wirklichkeit dem anderen Mann folgte. Der hatte keine Eile, hatte Zeit im Überfluss, er hatte ein vereinbartes Treffen in einigen Stunden.

Um halb acht sollte er in der Humlegårdsgata sein. Er würde dorthin laufen oder die U-Bahn nehmen. Der Mann, der ihm folgte, wusste das, oder nahm es zumindest an, aus gutem Grund, denn der Mann, den er im Auge behielt, legte sehr viel Wert auf diese ziemlich regelmäßigen Besuche in der Humlegårdsgata. Der Mann mit der Tüte entschied sich, zu Fuß zu gehen, aber das änderte nichts für den, der ihm folgte, nicht jetzt. Erst später am Abend musste alles stimmen.

Der Mann mit dem Mantel war von seinen Gewohnheiten ein paar Mal abgewichen in der letzten Zeit, andere Wege gegangen, zu früh zurückgekommen, als noch viele Leute in der U-Bahn waren. Deswegen hatte der Dunkelhaarige seine Pläne verwerfen müssen. Und ihm war klar, dass er vielleicht noch öfter dazu gezwungen sein würde. Aber er war trotzdem bereit, seinen Plan in die Tat umzusetzen, wenn sich die günstige Gelegenheit bot.

Kurz nach halb acht ging der Mann mit der Einkaufstüte in einen Hauseingang in der Humlegårdsgata, nicht weit von dem Platz, von dem aus der Mann mit der Jacke einige Stunden zuvor die Verfolgung aufgenommen hatte. Bis hierhin stimmte der Plan des Verfolgers. Nun würde er eine halbe Stunde warten müssen, vielleicht auch eine Dreiviertelstunde.

Seine Wartezeit war kürzer, als er gedacht hatte. Der Glatzköpfige kam nach einer knappen halben Stunde wieder heraus. Jetzt hatte er seinen grauen Mantel wieder zugeknöpft und die dezent karierte Mütze wieder aufgesetzt. Er ging zur U-Bahn-Station am Östermalmstorg. Dieses Mal nahm er den Eingang an der Nybrogata.

Das passte dem Mann mit der Jacke ausgezeichnet. Der Zeitpunkt war der Richtige. Es waren kaum noch Leute unterwegs, die Rush hour war vorbei, noch war es aber zu früh, um sich amüsieren zu gehen.

Auch der weitere Fortgang entwickelte sich so, wie er gehofft hatte. Aber jetzt dachte er nicht länger an seinen Plan, er sah nur den Mann, gegen den sich sein Hass richtete, und der nicht das Geringste davon zu ahnen schien. Der Bewacher bewegte sich schnell, sein Körper fühlte sich federleicht an, er hörte das leiseste Geräusch, nahm jeden Geruch wahr, er hatte weiterhin nur die Kontrolle über einen begrenzten Wahrnehmungsbereich, aber der Mann, den er beobachtete, trat in Detailschärfe hervor.

Der Glatzköpfige, der seine Glatze jetzt mit der Mütze bedeckt hatte, ging langsam zum Bahnsteig hinunter, lenkte seine Schritte in Richtung des abgelegenen Teils des Bahnsteigs, wo sich gerade niemand aufhielt. Er schien in Gedanken versunken. Vielleicht dachte er über den Besuch bei der Frau nach, die er zu besuchen pflegte, oder er dachte, wie er gleich seiner eigenen Frau begegnen würde, was ihm aber wohl keine größeren Probleme bereitete, denn sie stellte niemals Fragen darüber, wo er gewesen war oder was er getan hatte. Deswegen hatte er sich auch eine Frau aus Thailand ausgesucht, eine Frau, die ihm Respekt erwies. Oder er dachte überhaupt nicht nach, lief nur und wartete auf den Zug, war müde und arglos.

Nun war er bis zu der Betonwand geschlendert, an der der Bahnsteig endete. Er hatte noch einige Meter vor sich. Sein Verfolger war sehr nah. Vom Tunnel her kam ein leichter Luftzug, ein anschwellendes Grollen, ein Zug näherte sich von Gärdet. Der Luftzug wurde stärker, presste den Geruch von Feuchtigkeit vor sich her, Feuchtigkeit, Keller, Berg, Kälte, gleichzeitig steigerte sich der Lärm zu einem Donnern.

Da fühlte der Mann einen festen Griff rund um seinen Nacken und seinen einen Arm. Bevor er nach vorne geschoben wurde, gelang es ihm, zu begreifen, dass ihn jemand von hinten gepackt hatte. Er durchlebte unmittelbare Angst und versuchte, sich dagegen zu stemmen, aber derjenige, der sich hinter ihm befand, war schwer und stark.

Der Mann wurde mit großer Kraft nach vorne gestoßen, über die Bahnsteigkante, bis zur Betonwand und der Gittertür, die den Übergang zum verbotenen Bereich markieren, wo der Tunnel beginnt. Gleichzeitig kam der heranrauschende Zug aus dem Tunnel. Der Mann befand sich für eine halbe Sekunde in der Luft, bevor sein Körper auf die Front des Führerhauses traf. Er wurde unmittelbar danach unter den Zug gezogen, seine beiden Beine wurden seitlich verdreht und landeten auf den Gleisen, wo sie direkt unterhalb der Hüfte von den rollenden Stahlrädern abgeschnitten wurden. Dadurch wurde sein Körper hochgewirbelt, und sein Kopf krachte gegen das nächste Rad. All das geschah innerhalb weniger Sekunden.

Derjenige, der den nun toten Mann gestoßen hatte, war schon längst wieder auf dem Rückweg. Noch bevor der Zug es geschafft hatte anzuhalten, hatte er den Bahnsteig schon verlassen, mit dem Fahrstuhl, den er schon eine gute Weile zuvor heruntergerufen und dessen Tür er offen gehalten hatte – mit Hilfe einer zusammengerollten Zeitung, einer Metro, der kostenlosen Pendler-Zeitschrift, die er in der Eingangshalle mitgenommen hatte.

Der Dunkelhaarige mit der Jacke ging die Humlegårdsgata hinunter in Richtung Stureplan, vorbei an dem Hauseingang, in dem er zuvor gestanden und auf den Mann gewartet hatte, den er eine lange Zeit verfolgt hatte, seit er sich entschieden hatte, ihn zu töten.

Die Konzentration nahm weiter ab, der Hass war fort. Er begann sich müde und leer zu fühlen und trocken im Mund. Jetzt, da er seinen Plan endlich in die Tat umgesetzt hatte, fand er, dass es viel zu schnell gegangen war. Leicht war es gewesen, aber der Glatzköpfige war zu einfach davongekommen.

Ich hätte es nicht so eilig haben sollen, dachte er, ich hätte mir die Zeit nehmen sollen, etwas zu ihm zu sagen, er hätte die Chance haben sollen zu begreifen. Das war überhaupt nicht gut.

Je mehr er darüber nachdachte, desto rastloser fühlte er sich. Das war letztes Mal anders gewesen.

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