Kitabı oku: «Herbst der Vergeltung», sayfa 5
12.
Das Meer schimmerte vor dem Fenster des Häuschens. Im Osten sah man das ganze Jahr über kleine Stücke des Horizonts durch den lichten Kiefernwald, weil sich die Kiefernkronen im Lauf der Jahreszeiten nicht veränderten. Verner hatte oft darüber nachgedacht. Hätte das Häuschen ein wenig weiter südlich an der Küste gelegen, wäre der Strand vielleicht mit Laubbäumen bewachsen gewesen, deren Blätter im Herbst herabgefallen wären und die dann wenigstens eine Zeit lang eine schöne Aussicht geboten, ein halbes Jahr lang aber die Sicht versperrt hätten.
Das Häuschen hatte nur ein Fenster. Es war ein wirklich kleines Häuschen, mit nur einem Raum, der sicherlich ausreichend war, es war aber trotzdem ein Bauwerk ohne Zwischenwände und Dachboden: Es gab einen Schornstein mit offenem Kamin, querlaufende Dachbalken, nicht gerade beeindruckend. Ein Eisenherd stand mitten im Zimmer, eine Küchenbank an der fensterlosen Südwand, zwei Betten, im Winkel zueinander angeordnet, rechts neben der Tür, ein Tisch und vier Stühle am Fenster.
Verner hatte das Sommerhäuschen von seinem kinderlosen Onkel geerbt. Einige Jahre lang hatte er sich hier oft aufgehalten, war dann nicht mehr hier gewesen, hatte das Häuschen etwas verkommen lassen, war wiedergekommen und hatte es wieder auf Vordermann gebracht.
Als es ihm richtig schlecht gegangen war, hatte er sich hierher zurückgezogen, hatte bei zugezogenen Gardinen im Bett gelegen, damals vor drei Jahren, bevor er die Medikamente bekommen hatte. Jetzt war er zurück, nicht nur in dem Sommerhäuschen, sondern auch in dem pillenlosen Zustand, vor dem die medizinischen und psychologischen Sachverständigen ihn gewarnt hatten.
Das Häuschen lag auf Singö an der åländischen See, an einer steinigen Küste mit Sanddornbüschen, Nadelwaldstränden, violettem Heidekraut, Sandbänken, Baldrian und Meerkohl. Eine karge und naturbelassene Gegend von wilder Schönheit, mit schwer zugänglichen Stränden, die nur selten von Ausflüglern heimgesucht wurden. Ein steiniger Küstenstreifen, auf dem die Häuser einzeln verstreut lagen.
Ende der vierziger Jahre hatte Verners Onkel einem Bauern für achthundert Kronen ein Stück Grund abgekauft, darauf das Sommerhaus selbst gebaut und dort mit Verner und Verners Mutter in den Ferien gewohnt. Verner war das einzige Kind, seine alleinstehende Mutter starb, als sie um die sechzig war, der Onkel bekam Lungenkrebs, als Verner gerade bei der Polizei angefangen hatte, und nach einem halben Jahr war auch er tot.
Jetzt war Aussicht aufs Meer ein Vermögen wert, genau wie das Grundstück. Baugenehmigungen am Meer gab es nicht mehr, aber jemand mit Geld könnte das Haus teuer erwerben, luxuriös renovieren und eine Wasserleitung legen. Verner hatte Angebote bekommen, einen Verkauf aber nie in Erwägung gezogen. Er sah zu, dass der Pfad zum Haus morastig und unbefahrbar war. Er hätte den Sumpfboden trockenlegen lassen und so den Mückenschwärmen entkommen können, tat es aber nicht. Er hätte den Wald abholzen und freie Aussicht bekommen können, aber dann hätte er den unterbrochenen Horizont seiner Kindheit verloren. Das Häuschen war sein Versteck, sein Fuchsbau während der Zeiten der Schwermut, der Platz, an dem er seine Wunden heilte.
So auch dieses Mal.
Im September hörte der Dauerregen auf, der den Sommer beherrscht hatte.
Verner joggte im Wald, jeden Morgen und jeden Abend. Er lief immer länger: drei Kilometer schaffte er in der ersten Woche. Oft blieb er stehen, schnaufte und hatte Schmerzen in der Seite, fand, dass sie sich wie jene Stiche aus der Kindheit anfühlten, Seitenstechen. Dann stolperte er weiter.
Auf der kleinen Wiese vor dem Häuschen machte er Gymnastik, Liegestütze, Kniebeugen, Situps. In den ersten Tagen schaffte er elf Liegestütze.
Nach einer Woche war er bei zwanzig, in der dritten Woche schaffte er mit Mühe zweiunddreißig. Das war schon ein schönes Stück näher an der Kondition, die er gehabt hatte, als er noch gut trainiert war. Aber er ließ nicht nach. Er wusste, dass er seine alte Kondition verloren hatte, wurde aber immer sicherer, dass er das, was er verloren hatte, wiedererlangen würde.
Seine Stimmung hatte er nicht im gleichen Maße unter Kontrolle, die Unruhe kam zurück und auch die Angst. Er versuchte sich müde zu laufen, um zu entkommen, manchmal mit Erfolg, aber es passierte auch, dass er im Bett lag und Dunkelheit und Schwere fühlte, die Hoffnungslosigkeit, die zur Furcht wuchs. Er sehnte sich nach Alkohol, aber er hatte nur Kaffee und Tee. Er fühlte ein schreckliches Verlangen nach irgendeiner betäubenden Droge, hatte aber nur das Bett, die Dunkelheit und die Schlaflosigkeit.
Plötzlich fühlte er sich verfolgt, bewacht, und er war überzeugt davon, dass jemand ihn beobachtete, fotografierte, belauschte. Er versuchte sich selbst zu Vernunft zu bringen, aber als sich das Gefühl von Bedrohung erst einmal entwickelt hatte, konnte er es nicht mehr verdrängen.
Das Haus hatte keinen Strom. Verner besaß eine Petroleumlampe, Kerzen und den flackernden Schein von brennenden Holzscheiten im Kamin. Die Abende waren dunkel, aufgehellt vom Leuchtturmlicht am Meer, Schiffslaternen weit draußen, Sternen am Himmel, vertieft durch die Stille.
An einem Samstag lag der Nebel dicht über den Stränden, als Verner seine späte Trainingsrunde lief.
Die Dämmerung hatte noch nicht begonnen die Helligkeit zu schlucken, aber der Nebel dämpfte das Licht. Als er in den Wald kam, war es dunkel zwischen den Fichten, das Moos auf den Steinen verlor seine grüne Farbe, schmolz mit der Schwärze auf dem Boden zusammen.
Verner fühlte wieder die Bedrohung, er erhöhte sein Tempo, stolperte über eine Wurzel, fiel aber nicht, rannte weiter, mitten durch das Erlendickicht, vorbei an hohen Kiefern. Die Dunkelheit wurde dichter, er hatte den Weg verlassen und kürzte durch einen kleinen Sumpf ab, hoffte dabei auf weiche Grasbüschel unter den Füßen, er behielt seine hohe Geschwindigkeit bei, fühlte aber keine Erschöpfung.
Der Sumpf wurde von steinigem Grund abgelöst, von Wacholderbüschen, niedrig gewachsenen Fichten, dichter werdendem Gestrüpp.
Die Bedrohung war noch da. Verner hatte gedacht, dass er Schritte gehört hatte, aber versucht, sich selbst einzureden, dass sie nur Einbildung waren. Jetzt hörte er schleichende Schritte hinter sich, angestrengte Atemzüge. Er war wieder im Fichtenwald, wo nur noch einzelne Streifen Tageslicht zwischen den Ästen und Stämmen hindurchleuchteten. Er blieb abrupt stehen und hechtete hinter einen dicken Fichtenstamm. Dort stand er unbeweglich, hörte die Schritte immer deutlicher, erahnte die Silhouette einer Gestalt, die sich seinem Versteck näherte. Der Verfolger war keine Einbildung.
Jemand lief dicht an der Fichte vorbei. Verner duckte sich und streckte dann sein rechtes Bein vor, fühlte, wie der Unbekannte fiel. In der nächsten Sekunde warf er sich nach vorne über den Gefallenen, der mit dem Gesicht am Boden lag. Er stemmte ein Knie mit Kraft gegen das Schulterblatt des Unbekannten, drückte ihn herunter, bekam ein Handgelenk des Mannes zu fassen und drehte es nach oben und dann nach hinten, fühlte dabei, dass das Handgelenk dünn war und der Arm schmal. Das hier war kein Mann.
Verwundert richtete Verner sich auf, nahm sein Knie zurück und lockerte den Griff um das Handgelenk. Dann richtete er sich auf. Langsam drehte der unbekannte Verfolger sich um und zeigte sein Gesicht. Die Wangen waren erdverkrustet, die Nase hatte eine Schürfwunde, eine nasse Haarsträhne klebte auf der Stirn.
»Margret!«, flüsterte Verner.
Die junge Frau lag auf dem Rücken, ohne ein Wort zu sagen. Dann brachte sie sich mit Hilfe des einen Armes in eine sitzende Stellung. Sie war außer Atem, sie keuchte und sah immer noch erschrocken aus.
»Zum Teufel«, stöhnte sie, »musstest du wirklich so hart zulangen?«
»Es tut mir Leid, Margret, ich dachte ...«
»Ja, irgendwas wirst du dir wohl gedacht haben.«
Sie setzte sich auf, rieb sich die Erde von den Wangen, befühlte ihre Nase und bog die Handgelenke vor und zurück.
»Tut es weh?«, fragte Verner.
»Ich kann wohl von Glück reden, dass du mich nicht totgeschlagen hast, das ist schließlich das, was man so von dir hört.«
»Entschuldige, verdammt noch mal, mir ist es eine Zeit lang sehr schlecht gegangen, da hab‘ ich eben mal Mist gebaut!«
»Okay, Verner, vergiss, was ich eben gesagt habe.«
»Ich habe noch nie eine Frau geschlagen, und für das, was ich gerade getan habe, werde ich bis an mein Lebensende ein schlechtes Gewissen haben.«
»Ich kann mich verteidigen, wenn es drauf ankommt.«
»Ja, aber trotzdem.«
»Wir vergessen das hier. Was hast du eigentlich gedacht?«
»Ich dachte, es wäre jemand hinter mir her, irgendein Gespenst aus der Vergangenheit oder so etwas in der Richtung, ich weiß nicht richtig, was ich gedacht habe. Es war wohl am ehesten ein sehr beunruhigendes Gefühl.«
»Und wie fühlt es sich jetzt an?«
»Besser, es brauchte wohl etwas Gewalt, um mir den Kopf zurecht zu rücken.«
»Da bin ich ja froh, dass ich von Nutzen sein konnte.«
»Hm, sollen wir jetzt nicht vielleicht nach Hause gehen, zu mir?«
»Zum Sommerhaus?«
»Ja, zum Sommerhaus, du weißt vielleicht, wo ich wohne.«
»Ich weiß, wo du wohnst, weil ich ein Auge auf dich hatte.«
»Auf Befehl deines Chefs?«
»Na ja, ich hab‘ frei, aber ich hatte hier in der Gegend zu tun.«
»Fleißige Polizistin.«
»Lad mich auf einen Kaffee ein, dann können wir ein bisschen reden.«
Das Feuer im Herd war ausgegangen. Verner holte Feuerholz, hatte allerdings keine Späne mehr, und er war gezwungen, einige Holzklötze zu spalten, was ungefähr zehn Minuten dauerte.
Als er wiederkam, lag Margret ausgestreckt auf einem der Betten, ruhte sich aus und war fast schon eingeschlafen, als Verner mit den Herdringen klapperte.
»Kaffee?«, fragte er.
»Lieber Tee, wie letztes Mal«, antwortete Margret.
»Mit Zimtschnecke oder Butterbrot?«
»Butterbrot, oder mit beidem vielleicht, ich habe Hunger.«
»Bleibst du hier und isst mit zu Abend?«
»Werden wir sehen, es ist schon spät.«
»Du kannst hier übernachten, hier gibt es zwei Betten, wie du siehst, und du kannst mir vertrauen. Nachdem, was im Wald passiert ist, bin ich absolut ungefährlich, ich könnte mich beim besten Willen nicht noch einmal in eine Situation begeben, für die ich mich hinterher bei dir entschuldigen muss.«
»Du kommst damit nicht klar, was?«
»Schlaf ruhig hier, das ist wirklich kein Problem, aber mach was du willst.«
Das Wasser kochte, Verner goss es in die Teekanne und schmierte Butterbrote, stellte beides auf den Tisch am Fenster. Draußen hoben sich die knorrigen Kiefernstämme schwarz gegen den wolkenlosen Abendhimmel ab, der immer noch ein wenig hell schimmerte.
»Es wird eine sternenklare Nacht«, sagte Verner. »Das bedeutet Kälte, wenn wohl auch nicht Frost, das Meer behält die Sommerwärme immer noch ein wenig länger als die Luft.«
»Das klingt richtig schön, wenn du das sagst«, meinte Margret.
»Es ist einfach so.«
»Aber es ist trotzdem schön, ich sollte wohl die Gelegenheit nutzen und einen Blick auf die Sterne werfen.«
»Wir können einen Abendspaziergang machen, dann kannst du sehen, wie schön der Himmel ist und auch die Leuchtfeuer.«
»Geht es dir jetzt wieder gut?«
»Ja, richtig gut.«
»Was ist denn eigentlich passiert?«
»Draußen im Wald?«
»Das hast du doch schon erklärt, nein, ich meine damals, als du bei der Polizei aufgehört hast.«
»Ach so, das.«
»Du könntest es mir erzählen, dann könnte ich vielleicht auch endlich begreifen, worum es geht.«
»Das meiste hast du ja wohl schon gehört, die Kollegen wissen es wohl alle.«
»Es wird darüber gesprochen, aber vielleicht übertreiben sie, woher soll ich das wissen?«
»Nein, was weißt du überhaupt schon?«
Verner klang plötzlich bitter. Margret verstand nicht, fühlte eine gewisse Unsicherheit, was seine Stimmungen betraf. Er war ruhig gewesen, vertrauenerweckend, und nun schlug es um.
»Nun erzähl es doch«, bat sie.
Verner saß da und blickte zur Seite, und für einen Augenblick schien es, als würde er ihr Gesprächsangebot ausschlagen.
»Erzähl es doch«, bat Margret. »Gib mir eine Chance, das alles zu begreifen.«
Sie erhob die Stimme ein wenig und bedachte Verner mit einem entschlossenen Blick, drückte die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens durch ihre ausgestreckte Handfläche über der Teetasse aus. Verner antwortete nicht gleich, saß stumm da und atmete schwer, seufzte tief, blickte zu Boden, hob den Kopf und traf Margrets auffordernden aber auch besorgten Blick.
»Das ist das erste Mal, dass ich das alles erzähle«, sagte er.
»Dann wird es ja Zeit.«
»Ich habe einige Typen verprügelt.«
»Das weiß ich.«
»Es fing während meiner Zeit bei der Kripo an. Ich wusste, was diese Scheißkerle verbrochen hatten, denn ich hatte ja die Ermittlungen über sie geleitet. Es ging um die Misshandlung von Frauen, um richtige und wiederholte Gewalt, meine ich. Ich sprach mit den Frauen, sah ihre Kinder, begegnete den Schweinen, die versuchten herunterzuspielen, was sie getan hatten. Als es das erste Mal passierte, war da so ein Kerl, der grinste und mich auf seine Seite ziehen wollte. Ich sei doch schließlich auch ein Mann, ich wüßte doch, wie die Weiber manchmal nervten und so weiter. Einen Tag später kam ich wieder, unangemeldet, und erwischte ihn in flagranti, als er schon wieder auf die Frau einschlug. Da ging ich dazwischen, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Wie oft ist es passiert, dass du Leute verprügelt hast?«
»Ich weiß es nicht, ich habe es nicht gezählt.«
»Aber es ist mehrfach passiert?«
»Ja, obwohl es mir so vorkam, als wäre das gar nicht wirklich ich gewesen. Ich wurde zu etwas Ähnlichem wie diese misshandelten Frauen, wenn auch in einer anderen Rolle, es war nicht ich, der schlug, ich stand nur daneben und sah dabei zu, wie ich mich in eine gefühllose Kampfmaschine verwandelte. Danach konnte ich mich kaum daran erinnern, was vorgefallen war. Aber das passierte nur, wenn ich die Gewalt gegen Frauen direkt miterlebt habe. Ich habe niemals im Nachhinein zugeschlagen, nie für etwas, was jemand getan hatte, wenn ich nicht dabei war, immer nur, wenn ich selbst Zeuge des Ganzen wurde, da hat es dann immer direkt geknallt.«
»Und dann bist du gefeuert worden.«
»Einige, die ich verdroschen habe, sagten nichts, vielleicht dachten sie, dass sie es verdient hatten, aber einige andere zeigten mich an. Ich leugnete alles, aber als es sich mehrfach wiederholte, dauerte es nicht mehr lange, bis es zum Problem wurde. Damals wurde Philipsson Dezernatsleiter, und er mochte mich nicht. Aber ich bekam die Chance zu kündigen, und ich wurde nicht offiziell entlassen und auch nicht angeklagt.«
»Warum hast du es getan? Alle Polizisten werden auch schon mal wütend, wenn sie es mit solchen Arschlöchern zu tun haben, aber wir schlagen sie doch normalerweise nicht gleich halbtot. Warum bist du so brutal geworden, Verner?«
»Damals wusste ich nicht, warum. Es war irgendeine Kraft in mir, die Überhand nahm, aber jetzt beginne ich zu begreifen, dass vor langer Zeit etwas passiert ist, das mich zu dem gemacht hat, der ich bin. Ich habe wieder angefangen, mich an eine Menge Sachen zu erinnern. Ich konnte auch schon als junger Kerl solche Anfälle bekommen, wenn sich jemand an einem Mädchen vergriff.«
»Hast du jemanden zum Reden gehabt, seit du die Polizei verlassen hast?«
»Nein. Ich verfiel in eine tiefe Depression und bekam eine Menge Tabletten. Ein Doktor hat mich befragt, aber das war wohl mehr, um zu kontrollieren, ob ich mir nicht vielleicht das Leben nehmen würde.«
»Hast du daran gedacht?«
»Ich weiß nicht, ich glaube nicht, aber die Pillen halfen ja. Das Leben wurde zwar ziemlich trist, war aber auszuhalten.«
»Deine Wutausbrüche verschwanden?«
»Ja, komplett. Ich konnte Kerlen dabei zusehen, wie sie sich schlecht ihren Frauen gegenüber benahmen, ohne dass es mich aufgeregt hätte.«
»Und jetzt?«
»Jetzt laufe ich stattdessen im Wald.«
»Keine Pillen mehr?«
»Nein, damit ist Schluss.«
»Und wenn die Wut wiederkommt?«
»Das wird man dann sehen.«
»Vielleicht hat Philipsson deswegen von dir wie von einem potentiellen Gewalttäter gesprochen.«
»Er hat mich schon immer gerne schlecht gemacht.«
»Es war aber Philipsson, der dir die Möglichkeit gegeben hat, selbst um deine Entlassung zu bitten. Er hätte auch dafür sorgen können, dass du ins Gefängnis wanderst.«
»Schon, aber wir haben uns nie gemocht.«
»Ich denke, er ist ein guter Chef.«
»Sag bloß, dass er jetzt nicht wieder Mist über mich erzählt.«
»Du bist in der letzten Zeit in einer Reihe interner Gespräche vorgekommen, das kann ich nicht abstreiten.«
»Siehst du.«
»Du bist auch noch nicht aus der Ermittlung gestrichen.«
»Stehe ich unter Mordverdacht?«
»Nein. Du weißt, wie das funktioniert. Ein Name ist interessant, taucht immer wieder auf, kommt in allen Gesprächen vor, ohne dass jemand einen konkreten Verdacht äußert, und trotzdem wissen es alle.«
»Und was weißt du, Margret?«
»Es gibt Beobachtungen, die dich belasten, aber ich persönlich bin sicher, dass du mit dem Mord nichts zu tun hast. Trotzdem glaube ich, dass du am Rande des Ganzen eine Rolle spielst, allerdings auf meiner Seite. Es geht um etwas, das du tief in dir fühlst. Ich glaube, du kennst die Gewalt, Verner. Besser als irgendein anderer Polizist, den ich kenne.«
»Ehemaliger Polizist.«
»Ach was. Du wirst es niemals los, du wirst niemals etwas anderes sein als Polizist. Aber du hattest selbst mit Gewalt zu tun, Verner. Du warst ein Gewalttäter, und gleichzeitig hasst du die Gewalt, nicht wahr?«
»So etwas in der Richtung.«
»Ich fange wohl an zu verstehen, was meinst du?«
»Hm.«
»Jetzt ist der Himmel sternenklar, sollen wir jetzt unseren Spaziergang machen?«
»Schläfst du dann hier?«
»Nein, Verner, ich fahre nach Hause. Das ist wohl besser so.«
13.
Bengt hatte am Freitag frei. Nach dem Mittagessen war er in Farsta gewesen und hatte Autos angeschaut, er dachte darüber nach, einen besseren Gebrauchten zu kaufen, am liebsten einen Audi, so um die hundertzwanzigtausend Kronen. Einen roten, denn er mochte rote Autos. Sein Mazda fing an, alt zu werden.
Er war kurz vor Birgitta zu Hause; als sie kam, saß er mit einem Bier auf dem Balkon. Sie aßen Hühnchen und sahen fern, die Olympischen Spiele in Sydney hatten gerade begonnen, und sie zeigten die Einweihungsfeier mit viel Glanz und Glamour. Bengt zog Fußball vor.
»Die Mädels haben von Brasilien den Arsch vollgekriegt«, sagte er.
»So, haben sie?«, antwortete Birgitta, die aus der Küche kam.
»Interessiert dich das?«
»Na ja, nicht wirklich, das weißt du ja.«
»Sollen wir einen Spaziergang machen?«
»Ja, gerne, sollen wir vorher Kaffee trinken oder erst, nachdem wir wieder zu Hause sind?«
»Wir trinken jetzt Kaffee.«
Birgitta holte den Kaffee, legte einige Plätzchen zurecht und goss Kaffeesahne in ein kleines Kännchen. Sie warf die Packung ins Spülbecken und sah dort die leeren Bierdosen liegen, zählte fünf.
Sie machten doch keinen Spaziergang. Bengt hatte seine Meinung geändert, sagte, dass er einen kaputten Blumenkasten zum Müll hinuntertragen wolle. Er nähme auf dem Balkon nur Platz weg, und er hätte sich schon oft über ihn geärgert, denn er stände nur im Weg.
»Wir gehen zusammen runter«, sagte Birgitta, »ich nehme eine Tüte Altpapier und anderen Krempel mit.«
»Ja, hast du im Ernst daran gedacht, hier sitzen zu bleiben?«
»Nein, nein, natürlich nicht.«
Birgitta fühlte, dass Bengt anfing, ärgerlich zu werden, verstand aber nicht, was die Ursache dafür war. Die wurde ihr selten klar, eigentlich nie, aber sie hatte gelernt, die Zeichen zu deuten, die herannahende Gefahr zu wittern. Und wie immer wurde sie unterwürfig, als sie begriff, dass sie Bengts schlechte Laune ausgelöst hatte. Sie hatte angefangen zu glauben, dass ihre Angst seinen Groll noch verstärkte, die Wut erst richtig anheizte. Aber was sollte sie schon tun?
Sie nahmen den Fahrstuhl nach unten, standen still mit ihren Lasten, sagten nichts.
Sie gingen zum Müllplatz, Birgitta schloss auf und ließ Bengt zuerst hineingehen. Als sie ihm folgte, drehte er sich hastig um und stieß sie an. Sie ließ die Tüte fallen, bückte sich und nahm sie wieder auf.
»Pass doch auf!«, brummte er.
»Ja, natürlich, entschuldige.«
Als sie ihm immer noch im Weg stand, schubste er sie, und sie fiel, landete auf dem Hinterteil, stützte sich aber mit der Hand auf und stand sofort wieder auf.
»Verdammt, du solltest ...«
Sie hörte nicht, was er murmelte, beeilte sich stattdessen abzuschließen, er ging wieder vor. Als sie sich dann umwandte, sah sie, dass Bengt bereits verschwunden war, aber auch, dass dort jemand anderes stand, weniger als zehn Meter entfernt von ihr. Ein Mann mit dunkler Jacke, er musste auf dem Bürgersteig gegangen und dann an der Hauswand stehen geblieben sein, er hatte alles gesehen, gehört und verstanden, das wusste sie. Als sie weiterging, verschwand der Mann in die andere Richtung, sie hatte es nicht geschafft, sein Gesicht zu sehen. Birgitta beeilte sich, Bengt einzuholen und erwischte ihn am Hauseingang.
Zur gleichen Zeit kam der Mann mit der dunklen Jacke zurück. Er ging schnell in den Hof, blieb hinter einem Gebüsch stehen und betrachtete das Haus, in dem Birgitta und Bengt wohnten. Er wartete und sah, wie sie auf dem Laubengang des dritten Stocks herauskamen, die erste Wohnungstür passierten und vor der zweiten stehen blieben.
Als Birgitta die Tür öffnete, sah der Mann auf dem Hof das. Er verließ seinen Platz hinter den Büschen, blieb aber auf dem Hof. Nach einer Weile ging er zu dem Eingang gegenüber dem Haus, in dem Bengt und Birgitta wohnten, gab einen Code in die Sicherheitsanlage ein, die Ziffernkombination der Gegend, die auch die Polizei und Notärzte benutzten.
Der Mann in der dunklen Jacke nahm nicht den Fahrstuhl, sondern schlich langsam die Treppe hoch, blieb kurz vor der Tür zum Laubengang der dritten Etage stehen. Dann ging er hinaus, setzte sich auf einen Hocker an der Ziegelwand zwischen zwei Wohnungstüren und zog den Hocker dann näher an die Brüstung.
Genau gegenüber, auf der anderen Seite des Hofes, sechzig Meter von dem Platz, an dem er sich befand, verlief ein ähnlicher Laubengang mit Türen zu drei verschiedenen Wohnungen: einer Zweizimmerwohnung, einer Vierzimmerwohnung und zu Bengts und Birgittas Dreizimmerwohnung.
Der Mann konnte genau in die Küche sehen. Er sah die Frau an der Spüle stehen. Sie wandte ihm den Rücken zu, stand leicht vornübergebeugt, sie bereitete wohl das Essen vor, vielleicht schnitt sie gerade irgendetwas klein, der Mann draußen auf dem Laubengang nahm das zumindest an, denn sie bewegte die Schultern recht schnell vor und zurück, mit kurzen, ruckartigen Bewegungen. Sie schneidet Gemüse, dachte der Mann. Oder Fleisch, Hühnchen vielleicht. Nach einer Weile entschied er, dass die Frau bestimmt Fleisch schnitt. Das, was sie bearbeitete, bot Widerstand, sie beugte sich noch tiefer, griff fest zu. Am Küchentisch saß der Mann, der mit der Frau am Müllplatz gewesen war. Er blätterte in einer Zeitung, nahm ab und zu einen Schluck aus einem Glas. Dann stand er auf, ging zum Kühlschrank und nahm etwas heraus, vielleicht Bier, ja, auf jeden Fall etwas, das er aus einer Dose in sein Glas schüttete.
Der Mann auf dem Hocker saß völlig bewegungslos. Niemand hatte ihn bemerkt. Wäre jemand gekommen, wäre er aufgestanden, hätte den Blick gesenkt und schnell das Weite gesucht. So hatte er es jedenfalls geplant. Aber es kam niemand. Er kauerte hinter den Stahlgittern der Brüstung. Fünfzehn Minuten waren vergangen, seit er seinen Beobachtungsposten bezogen hatte. Er wusste, dass er sich natürlich auch geirrt haben konnte, aber das, was er da unten auf dem Müllplatz gehört und gesehen hatte, hatte ihn überzeugt. Er dachte, dass er die Fähigkeit besaß, diese Männer zu erkennen, genauso wie deren Frauen, sogar wenn sie gerade nicht zusammen waren. Wenn ein solches Paar gemeinsam auftrat, irrte er sich so gut wie nie. Und wenn sich sein Verdacht bestätigte, befiel ihn ein bestimmtes Gefühl: eine Mischung aus hoher Konzentration, wachsender Überzeugung, innerer Kälte und unermüdlichem Eifer. All das durchlebte er jetzt. Also wartete er ab.
Es dauerte noch weitere sieben Minuten, bis in der Küche gegenüber etwas passierte. Die Frau wandte sich dem Mann am Tisch zu, vielleicht antwortete sie auf etwas, das er gesagt hatte. Der Mann holte mit der Hand aus, erhob sich und schlug der Frau ins Gesicht. Sie taumelte zurück, blieb aber stehen. Der Mann folgte ihr nicht, sondern setzte sich wieder an den Tisch. Aber als die Frau die Küche verließ, erhob er sich erneut und folgte ihr hastig. Beide verschwanden aus der Küche.
Da erhob sich auch der Bewacher von seinem Hocker. Er hatte genug gesehen; nun, fand er, hatte er das Wissen, das er benötigte. Es war acht Minuten nach acht Uhr abends, er notierte das im Geiste, aufschreiben würde er es später. Seine Aufmerksamkeit war nur zufällig auf diesen Mann gefallen, aber das war auch vorher schon vorgekommen. Es war dunkel, als er zum Bahnhof von Älvsjö ging.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.