Kitabı oku: «Kartellrechtliche Schadensersatzklagen», sayfa 14
f) Besonderer Gerichtsstand des Erfüllungsortes?
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Für vertragliche Ansprüche besteht gem. Art. 7 Abs. 1 EuGVVO ein besonderer Gerichtsstand am Erfüllungsort der Verpflichtung. Der Erfüllungsort für die jeweilige einzelne Vertragspflicht ist dabei grundsätzlich nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht zu bestimmen.179 Für Kauf- und Werkverträge sowie für die Erbringung von Dienstleistungen wird der Erfüllungsort indes in Art. 7 Abs. 1 lit. b EuGVVO speziell definiert. Dieser Gerichtsstand erfasst alle Ansprüche, die aus einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung resultieren.180 Schadensersatzansprüche aufgrund eines Kartellverstoßes sind jedoch deliktischer Natur.181
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Mit der Abgrenzung zwischen Delikts- und Vertragsgerichtsstand muss sich gegenwärtig der EuGH auf einen Vorlagebeschluss des BGH in der Rechtssache Booking.com befassen.182 Eine deutsche Hotelbetreiberin hatte Booking.com vor einem deutschen Gericht auf Unterlassung nach § 33 Abs. 1 GWB verklagt, weil sie bestimmte Vertragsbedingungen des zwischen den Parteien geschlossenen sog. Hotelvertrages als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ansah. Die Zuständigkeit der deutschen Gerichtsbarkeit folge aus dem deliktischen Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO. Das OLG Schleswig trat dem entgegen und urteilte, dass kartellrechtliche Unterlassungsansprüche wegen Missbrauches einer marktbeherrschenden Stellung nicht deliktischer Natur i.S.v. Art. 7 Nr. 2 EuGVVO seien, wenn sie ihren Ausgangspunkt in dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag haben.183 Der BGH neigt zu einer anderen Sichtweise und möchte den kartellrechtlichen Unterlassungsanspruch auch dann deliktisch qualifizieren, wenn das beanstandete Verhalten durch die vertraglichen Bestimmungen gedeckt ist, da es auf Basis des klägerischen Vortrags an der Freiwilligkeit fehle, die prägend für eine privatautonome Vereinbarung sei.184 Damit wären die Gerichte am (möglichen) deliktischen Erfolgsort in Deutschland zuständig.185 Allerdings stellt der BGH auch klar, dass die Abgrenzung vertraglicher und deliktischer Ansprüche im Sinne des Art. 7 Nr. 1/Nr. 2 EuGVVO autonom auszulegen ist, weswegen er dem EuGH die folgende Frage vorlegte:
„Ist Art. 7 Nr. 2 der [EuGVVO] dahin auszulegen, dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung für eine auf Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen gerichtete Klage eröffnet ist, wenn in Betracht kommt, dass das beanstandete Verhalten durch vertragliche Regelungen gedeckt ist, der Kläger aber geltend macht, dass diese Regelungen auf der missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung des Beklagten beruhen?“
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Das Verfahren wird am EuGH unter dem Aktenzeichen C-59/19 geführt, die mündliche Verhandlung fand am 27.1.2020 statt. Ein Termin zur Verkündung der Entscheidung ist noch nicht anberaumt.
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Das Verfahren ist vor dem Hintergrund der Brogsitter-Rechtsprechung des EuGH zu sehen. In Brogsitter hatte der EuGH entschieden, dass selbst Ansprüche, die nach nationalem Recht als außervertraglich – etwa deliktisch (im konkreten Fall ging es um § 823 Abs. 2 BGB) – ausgestaltet sind, dennoch (nur) dem Vertragsgerichtsstand in Art. 7 Nr. 1 EuGVVO unterfallen, wenn das anspruchsbegründende Verhalten als Verstoß gegen vertragliche Verpflichtungen im Sinne der EuGVVO angesehen werden kann. In Brogsitter postulierte der EuGH, dass dies v.a. dann der Fall ist, wenn eine Auslegung des Vertrags zur Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens „unerlässlich erscheint“.186 Wann eine Auslegung des Vertrages „unerlässlich erscheint“, ist Gegenstand eines breiten Meinungsstreits mit einer Vielzahl an Vorschlägen und dürfte durch den EuGH in der Sache Booking geklärt werden. Dabei wird inzident die Frage zu beantworten sein, ob tatsächlich ein Vorrang des vertraglichen Gerichtsstands nach Art. 7 Nr. 1 EuGVVO vor dem deliktischen Gerichtsstand nach Art. 7 Nr. 2 EuGVVO besteht.
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Nach bislang überwiegender Auffassung können deliktische Ansprüche nicht gemeinsam mit vertraglichen Ansprüchen am Gerichtsstand des Erfüllungsortes eingeklagt werden.187 Ein kartelldeliktischer Anspruch kann damit nicht zusammen mit einem Anspruch wegen Vertragsverletzung am Erfüllungsort geltend gemacht werden. Dennoch kann der Gerichtsstand des Erfüllungsortes in zivilgerichtlichen Streitigkeiten mit kartellrechtlichem Hintergrund eine Rolle spielen, insbesondere, wenn es um die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung eines aufgrund eines Verstoßes gegen ein Kartellverbot unwirksamen Vertrages (Art. 101 Abs. 2 AEUV) geht.188
g) Parteivereinbarungen über die Zuständigkeit
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Vor allem in Vertragsbeziehungen mit internationalem Bezug ist der Abschluss von Gerichtsstands- und Schiedsklauseln üblich. Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen kartellrechtliche Schadensersatzansprüche von Gerichtsstands- und Schiedsklauseln erfasst sind, ist deshalb von erheblicher praktischer Bedeutung.
aa) Gerichtsstandsklauseln
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Die Parteien können durch rechtsgeschäftliche Vereinbarung die Zuständigkeit des Gerichts eines anderen als des an sich zuständigen Mitgliedstaates begründen (sog. Prorogation) und eine ansonsten gegebene Zuständigkeit abbedingen (sog. Derogation). Die Zulässigkeit derartiger Vereinbarungen zur Prorogation oder Derogation eines europäischen Gerichts richtet sich nach Art. 25 EuGVVO.189 Abweichend von der Vorgängervorschrift kommt es nach dem klaren Wortlaut für die Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung nicht mehr auf den Sitz der Parteien selbst an, weswegen die Norm auch auf außereuropäische Parteien Anwendung findet. Nur auf reine Inlandsfälle finden die §§ 38, 40 ZPO Anwendung.
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Die alte h.M. ging davon aus, dass auch kartellrechtliche Ansprüche von den üblicherweise verwandten Gerichtsstandsklauseln („alle Ansprüche aus und im Zusammenhang mit“) umfasst sind, und zwar grundsätzlich auch in allgemeinen Geschäftsbedingungen. So hatte das OLG Stuttgart 1990 etwa die folgende Gerichtsstandsklausel auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche erstreckt mit der Folge der internationalen Unzuständigkeit des angerufenen LG Stuttgart:
„Der Gerichtsstand Modena ist allein zur Entscheidung zuständig im Falle irgendwelcher Streitigkeiten, die dennoch in Verbindung mit dem vorliegenden Vertrag entstehen können.“190
(1) CDC Hydrogen Peroxide
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Das LG Dortmund hatte in dem CDC-Verfahren über ähnlich weit gefasste Gerichtsstandsklauseln zu befinden, die seine Zuständigkeit für einige Ansprüche gegen einige der Beklagten derogierten. Es legte dem EuGH daher die Frage vor, ob es „das unionsrechtliche Gebot einer effektiven Durchsetzung des Kartellverbots“ gebiete, entsprechende Gerichtsstandsklauseln außer Acht zu lassen, wenn sie zur Derogation des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO) oder des Sachzusammenhangs (Art. 8 Nr. 1 EuGVVO) führen. Der EuGH stellte fest, dass durch Vereinbarungen über die internationale Zuständigkeit die Effektivität der Durchsetzung des europäischen Kartellrechts nicht per se unterlaufen werde.191 Dies begründet der EuGH mit der Erwägung, dass das europäische Kartellrecht im Ausgangspunkt europaweit gleich effektiv durchgesetzt werde.192 Andernfalls würde die missliche Situation entstehen, dass das derogierte Gericht darüber entscheiden müsste, ob das prorogierte Gericht das europäische Kartellrecht gleich effektiv wie es selbst durchsetzt. Sodann bestätigte der EuGH seine ständige Rechtsprechung, dass nicht nur der allgemeine Gerichtsstand, sondern auch die besonderen Gerichtsstände der unerlaubten Handlung (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO) und des Sachzusammenhangs (Art. 8 Nr. 1 EuGVVO) derogiert werden können.193
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Zu den konkret in Frage stehenden Klauseln führt der EuGH zunächst aus, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, ihre Reichweite auszulegen.194 Sodann erteilte der EuGH indes klare Segelanweisungen195 und erläutert, dass sich die Gerichtsstandsklausel nur auf Rechtsstreitigkeiten beziehen kann, die in einer gewissen Verbindung zu dem Vertragsverhältnis stehen, anlässlich derer die Gerichtsstandsklausel geschlossen wurde.196 Klauseln, die sich lediglich „in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen“ (bspw. „alle Ansprüche aus und im Zusammenhang“) beziehen, sollen einen Rechtsstreit nicht erfassen, „in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seines einem rechtswidrigen Kartell entsprechenden Verhaltens belangt wird“.197 Denn für den Vertragspartner sei mangels Kenntnis des Kartelldelikts zum Zeitpunkt des Abschlusses der Gerichtsstandsklausel das Entstehen entsprechender Ansprüche nicht „hinreichend vorhersehbar“, weswegen nicht davon ausgegangen werden könne, dass diese Ansprüche auf dem Vertragsverhältnis beruhten.198 Anderes gelte nur, wenn sich die Gerichtsstandsklausel ausdrücklich „auf Streitigkeiten aus Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht bezieht“.199
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Diese Begründung überzeugt nicht vollumfänglich. Warum nur vorhersehbare Ansprüche auf dem Vertragsverhältnis beruhen sollten, erklärt der EuGH nicht. Zunächst hat die Vorhersehbarkeit nichts mit dem Bezug des Anspruchs zu dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu tun. Auch ein wenig vorhersehbarer Anspruch kann durchaus eng mit dem Grundverhältnis verbunden sein. Und gerade mit der abstrakten Formulierung der Gerichtsstandsklausel bringen die Parteien zum Ausdruck, dass alle Rechtsstreitigkeiten – und damit auch solche, an die zum Zeitpunkt des Abschlusses nicht gedacht wurde – von einem bestimmten Gericht entschieden werden sollen.200 So sind nach ständiger Rechtsprechung „normale“ deliktische Ansprüche von Schiedsklauseln umfasst, ohne dass verlangt wird, dass das deliktische Verhalten des Vertragspartners vorhersehbar war.201 In den wenigsten Fällen wird ein solches Fehlverhalten vorhersehbar sein; andernfalls wäre es auch wenig ratsam, sich vertraglich zu binden. Dennoch werden sich die europäischen und deutschen Gerichte am CDC-Urteil orientieren und kartellrechtliche Schadensersatzansprüche nicht mehr als von weit gefassten Gerichtsstandsklauseln umfasst ansehen, wie zuletzt etwas das LG München I.202
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Das CDC-Urteil enthält eine weitere wichtige Aussage, und zwar zum Verhältnis von Abtretungen zu Gerichtsstandsklauseln. Geklagt hatte in dem Fall eine Zweckgesellschaft auf Basis zedierter Ansprüche. Der EuGH teilt nun (ungefragt) mit, dass eine Gerichtsstandsklausel nur zwischen den Parteien wirke, die dieser Klausel zugestimmt haben. Ein Dritter müsse, „damit ihm eine solche Klausel entgegengehalten werden kann, eine entsprechende Zustimmung erteilt haben“.203 Nur wenn der Dritte nach dem anwendbaren Sachrecht „in alle Rechte und Pflichten der ursprünglichen Vertragspartei eingetreten ist“, gelte die Gerichtsstandsklausel ohne eigenständige Zustimmung.204 Dies wurde teilweise so verstanden, dass die Gerichtsstandsklausel nur bei einer kompletten Vertragsübernahme fortbestehe, die schlichte Abtretung einzelner Ansprüche (z.B. kartellrechtlicher Schadensersatzansprüche) hingegen zum Entfall der Gerichtsstandsklausel führe.205 Diese Aussage ist stark kritisiert worden, denn der Schuldner des zedierten Anspruchs wirkt an der Abtretung nicht mit und würde einseitig des vereinbarten Gerichtsstandes beraubt.206 In anderem Zusammenhang hat der EuGH erklärt, dass die Abtretung einer Forderung nicht zum Entfall der damit verbundenen Gerichtsstandsklausel führe.207 Ob der EuGH diese Rechtsprechung aufgeben wollte, kann derzeit nicht mit Sicherheit beantwortet werden.
(2) Apple Sales International
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Der EuGH hat in der Folgezeit weitere Vorgaben zur Auslegung vertraglicher Gerichtsstandsklauseln aufgestellt. In der Entscheidung Apple befasste er sich mit der Frage, ob eine zwischen Apple und einem französischen Vertragshändler vereinbarte Gerichtsstandsklausel auch auf eine Schadensersatzklage auf Grundlage eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV Anwendung findet.208 Trotz einer Gerichtsstandsklausel zugunsten irischer Gerichte im Vertriebsvertrag erhob der Händler seine auf Marktmissbrauch gestützte Haftungsklage in Paris. Der Händler beanstandete, dass ihm Apple – nach Eröffnung eigener Stores in Frankreich – die Apple-Produkte zu schlechteren Konditionen als in den eigenen Apple Stores anbot und er gleichzeitig nach dem Vertriebsvertrag verpflichtet war, fast ausschließlich Apple-Produkte zu verkaufen. Das Vorabentscheidungsersuchen des Cour de Cassation betraf die Frage, inwiefern das CDC-Urteil auf eine auf Art. 102 AEUV gestützte Klage übertragbar ist und ob eine Anwendung der Gerichtsstandsklausel von einer vorherigen Feststellung eines Wettbewerbsverstoßes abhängt.
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Der EuGH bestätigte, dass der EuGVVO kein Prorogationsverbot für Ansprüche aus Art. 101 und 102 AEUV entnommen werden kann.209 Gerichtsstandsvereinbarungen seien auch unabhängig davon zulässig, ob eine Stand-alone- oder eine Follow-on-Klage vorliege.210
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Weiter legte der EuGH dar, dass die Feststellungen aus dem CDC-Urteil nicht übertragbar seien, sondern nach Art des Wettbewerbsverstoßes zu differenzieren sei.211 Der EuGH stellte darauf ab, ob die Berücksichtigung einer vertraglichen Gerichtsstandsklausel im Rahmen einer Streitigkeit „als für eine der Parteien überraschend [...] angesehen werden kann“.212 Die Einbeziehung der Kartellschadensersatzklage im CDC-Urteil wäre deswegen überraschend gewesen, weil das Kartell keine unmittelbare Verbindung zur vertraglichen Beziehung zwischen einem Kartellbeteiligten und Direktabnehmer aufweise.213 Demgegenüber könne sich der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung sehr wohl in den vertraglichen Beziehungen und Vertragsbedingungen manifestieren.214 Folglich sei die Einbeziehung von Ansprüchen nach Art. 102 AEUV in den Anwendungsbereich einer allgemein gefassten Gerichtsstandsklausel nicht überraschend und nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil die Klausel nicht explizit Schadensersatzklagen wegen eines Verstoßes gegen Wettbewerbsrecht nennt.215
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Teilweise wird die Unterscheidung zwischen Art. 101 und 102 AEUV aufgrund der jeweils unterschiedlichen Deliktsnaturen als gerechtfertigt angesehen.216 Andere meinen, die Differenzierung sei jedenfalls mit der Begründung des EuGH nicht überzeugend. Auch ein Kartell i.S.v. Art. 101 AEUV könne sich im Inhalt des zwischen einem Kartellbeteiligten und seinem Vertragspartner abgeschlossenen Vertrags manifestieren.217 Feststeht jedenfalls, dass die Entscheidung einen klaren Bezug zu Art. 102 AEUV aufweist und daher die Rechtsprechung des EuGH zu Gerichtsstandsklauseln bei Art. 101 AEUV nicht berührt.
(3) Konsequenzen für die gerichtliche Praxis und offene Fragen
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Vorab ist zu beachten, dass die Bedeutung von Gerichtsstandsklauseln bei Kartellschadensersatzklagen geringer sein dürfte, als es zunächst erscheint. Denn Gerichtsstandsklauseln sind nur gegenüber Vertragspartnern und ihren Rechtsnachfolgern wirksam, weshalb sich Kartellteilnehmer nur begrenzt auf Gerichtsstandsvereinbarungen berufen können. Schon bei der gesamtschuldnerischen Inanspruchnahme durch einen Nicht-Abnehmer helfen sie nicht. Auch im regelmäßig anzutreffenden Fall der Weitergabe eines kartellbedingten Schadens innerhalb einer Lieferkette kann sich ein beklagter Kartellteilnehmer gegenüber Folgeabnehmern nicht auf eine Gerichtsstandsklausel berufen, weil diese nicht als Rechtsnachfolger des unmittelbaren Abnehmers klagen, sondern gegenüber dem Kartellteilnehmer einen Direktanspruch aus eigenem Recht geltend machen.218 Ebenso wenig kann sich ein Kartellteilnehmer im Falle einer Regressklage eines anderen Kartellteilnehmers auf eine Gerichtsstandsklausel berufen.
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Für die Praxis kann die folgende Differenzierung für kartellrechtliche Schadensersatzklagen festgehalten werden: Vorbehaltlich einer abweichenden Ausgestaltung der Klausel sind vertragliche Gerichtsstandsvereinbarungen auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche anwendbar, die sich auf eine Verletzung von Art. 102 AEUV, nicht aber auf solche, die sich auf einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV stützen.
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Sollen auch Letztere von Gerichtsstandsklauseln umfasst sein, müssen die weiten Standard-Gerichtsstandsklauseln („alle Ansprüche aus und im Zusammenhang“) angepasst werden. Es empfiehlt sich, etwaige kartelldeliktische Ansprüche mit aufzunehmen (ggf. durch einen „including but not limited to“-Zusatz wie: „einschließlich aber nicht beschränkt auf kartelldeliktische Schadensersatzansprüche“). Ob der Verwender einer solchen Klausel damit bereits seine eigene Täuschungsabsicht offenlegt, erscheint zweifelhaft.219 Dies gilt umso mehr, als der konkret kartelldeliktisch Handelnde in den allermeisten Fällen jemand anderes sein wird als derjenige, der den Vertrag samt Gerichtsstandsklausel geschlossen hat. Eng damit verbunden ist die Frage, ob nicht – konsequenter- und überzeugenderweise – auch weitere deliktische Ansprüche (Produkthaftung, Umwelthaftung usw.) in die Klausel mit aufgenommen werden sollten.
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Ungeklärt ist die Frage, wie es sich verhält, wenn in den vertraglichen Bedingungen bzw. den AGB pauschalierte Schadensberechnungen für Kartellschäden vorgesehen sind. Oder wenn die Vertragsvereinbarung einer oder beiden Parteien Compliance-Schulungen zur Verhinderung von Kartelldelikten auferlegt. In einem solchen Fall ließe sich auch nach der Auslegung des EuGH kaum argumentieren, dass den Parteien die Gefahr eines Kartelldelikts nicht vorhersehbar gewesen sei. Denn dann hätten sie entsprechende Klauseln nicht vereinbart. Konsequenterweise müssten dann auch nach Auffassung des EuGH die angesprochenen weiten Klauseln kartelldeliktische Ansprüche umfassen.
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Dem nachträglichen Abschluss von Gerichtsstandsvereinbarungen stehen ebenso wie der rügelosen Einlassung nach Art. 26 EuGVVO keine Wirksamkeitshindernisse entgegen.220
bb) Schiedsvereinbarungen
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In (grenzüberschreitenden) Lieferverträgen finden sich häufig Schiedsklauseln. Lieferant und Abnehmer einigen sich darauf, die staatliche Gerichtsbarkeit auszuschließen und einen alternativen Weg zur Streitbeilegung einzuschlagen. Beschreitet eine der Parteien (dennoch) den Rechtsweg zu einem staatlichen Gericht, kann die Gegenseite die Schiedseinrede erheben. Sofern eine wirksame221 Schiedsvereinbarung vorliegt, welche die konkrete Streitigkeit umfasst, ist die Klage von den staatlichen Gerichten gem. § 1032 Abs. 1 ZPO als unzulässig abzuweisen.
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Schiedsklauseln folgen in der Praxis regelmäßig Musterklauseln der jeweiligen Schiedsinstitution. Dabei lassen sich zwei Phänotypen von Schiedsklauseln unterscheiden: die häufigere sog. weite und die seltenere sog. enge Schiedsklausel. Von einer engen Schiedsklausel wird gesprochen, wenn vertragliche Streitigkeiten durch ein Schiedsgericht geklärt werden sollen. Beispiele für solche Klauseln sind Formulierungen wie:
– „Streitigkeiten aus diesem Vertrag“
– „any potential disputes regarding the performance or the interpretation of this Contract“
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Von weiten Schiedsklauseln spricht man, wenn das Schiedsgericht umfassender zur Entscheidung berufen ist. Beispiele für solche Klauseln sind Formulierungen wie:
– „alle Streitigkeiten aus oder in Zusammenhang mit diesem Vertrag“
– „all disputes arising out of or in connection with the contract“
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Die grundsätzliche Schiedsfähigkeit von kartellrechtlichen Schadensersatzstreitigkeiten ist inzwischen anerkannt.222 Das angerufene Schiedsgericht in einem Mitgliedstaat hat die wettbewerbsrechtlichen Normen in gleicher Weise wie das staatliche Gericht zu berücksichtigen. Dies ergibt sich für nationale Vorschriften aus der Bindung des Schiedsgerichts an das anwendbare Recht, für das europäische Wettbewerbsrecht aus der Stellung der Art. 101f. AEUV als Bestandteil des ordre public.223
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Mit Anerkennung der Schiedsfähigkeit dem Grunde nach geht jedoch noch nicht zwingend einher, dass jede Schiedsklausel stets auch kartellrechtliche Streitigkeit umfasst. Vielmehr muss eine Auslegung der Schiedsklausel den Schluss rechtfertigen, dass die Parteien auch Kartellrechtsstreitigkeiten vor Schiedsgerichten austragen wollten. Die Ermittlung der Reichweite einer Schiedsvereinbarung richtet sich dabei nach dem Recht des voraussichtlichen Schiedsorts (lex arbitri), wenn eine ausdrückliche oder konkludente Parteivereinbarung über das Schiedsstatut fehlt.224