Kitabı oku: «Kartellrechtliche Schadensersatzklagen», sayfa 15
(1) Reichweite und Auslegung von Schiedsvereinbarungen
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Aus deutscher Sicht ist eine Schiedsklausel anhand des (hypothetischen) Willens der Parteien beim Vertragsschluss auszulegen.225 Dabei gilt grundsätzlich, dass weite Schiedsklauseln auch deliktische Ansprüche umfassen, die in Anspruchskonkurrenz zu vertraglichen Ansprüchen stehen.226 Danach wären kartellrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Vertragspartner regelmäßig umfasst, weil bei einem Verstoß gegen Art. 101 AEUV regelmäßig auch ein konkurrierender Anspruch aus vertraglicher Pflichtverletzung und vorvertraglicher Aufklärungspflichtverletzung besteht.227 Andere begründen die Nähe zum Vertrag damit, dass einer Kartellvereinbarung erst durch ihre Durchführung in Folgeverträgen schädigende Auswirkungen zukommen. Ohne vertragliche Durchsetzung des kartellbedingt überhöhten Preises bliebe das Kartell „ja wirkungslos“.228
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Dagegen lässt sich vorbringen, dass Verstöße gegen Art. 101 AEUV nicht aus dem Lieferverhältnis folgen, sondern auf ein „Delikt einer außerhalb dieser Verhältnisse stehenden Kartellvereinbarung“ zurückgehen.229 Diese Ansprüche seien nicht mehr vom Parteiwillen erfasst.230 Während sich Schadensersatzansprüche wegen eines Marktmissbrauchs (Art. 102 AEUV) über die Vertragsbedingungen manifestieren könnten,231 weise das in Art. 101 AEUV genannte Verhalten „dem Grundsatz nach keine unmittelbare Verbindung zu der vertraglichen Beziehung“ auf.232 Zudem seien unerlaubte Handlungen, die der Vertragsverletzung zeitlich vorgelagert sind, von der Schiedsklausel ohnehin nicht erfasst.233 Der Kartellverstoß – die (Ur)Kartellabrede – sei aber gerade den späteren Lieferbeziehungen regelmäßig vorgelagert.234 Nur wenn im Vertrag auch eine Zusicherung zu rechtskonformem Verhalten und eine vertragliche Haftung bei einem Verstoß (bspw. Schadenspauschalierungsregeln, Vertragsstrafen) vereinbart seien, trete ein vertraglicher Schadensersatzanspruch neben den gesetzlichen Anspruch aus § 33a GWB.235
(2) Übertragung von CDC und ggf. Apple?
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Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheiten legte das LG Dortmund dem EuGH in der Rechtssache CDC die Frage vor, ob Schiedsklauseln in einem Kartellschadensersatzfall eingreifen und zu einer Derogation der staatlichen Gerichte führen. Nach Auffassung des Generalanwalts Jääskinen236 sind Gerichtsstands- und Schiedsklauseln identisch zu behandeln. Danach sind Kartellrechtsstreitigkeiten nicht erfasst, wenn die Geschädigten im Zeitpunkt der Vereinbarung der Schiedsklausel von dem Kartell keine Kenntnis hatten und nicht vorhersehen konnten, dass die Klausel auch auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche Anwendung findet.237 Dagegen seien Schadensersatzansprüche wegen Verletzung des Kartellverbotes in Art. 101 AEUV dann von Schiedsklauseln erfasst, wenn diese ausdrücklich auf diese Ansprüche Bezug nähmen oder dem Vertrag im Übrigen zu entnehmen sei, dass kartellrechtliche Streitigkeiten für möglich gehalten wurden und damit „vorhersehbar“ waren.238 Die Erstreckung ist überzeugend, denn der für den EuGH zentrale Aspekt, dass eine Schädigung durch ein heimliches Kartell für den Kläger nicht vorhersehbar sei, gilt für Schiedsklauseln in besonderer Weise. Wenn eine ausdrückliche Bezugnahme schon für die Wahl des zuständigen Gerichts erforderlich ist, dann erst recht, wenn die staatliche Rechtsordnung gänzlich verlassen werde.239
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Der EuGH beantwortete die Vorlagefrage indes nicht und ließ die Reichweite von Schiedsklauseln mangels „ausreichender Informationen“ für eine „sachdienliche Antwort“ offen.240 Ohnehin wäre die Kompetenz des EuGH in diesem Bereich zumindest problematisch, da die Schiedsgerichtsbarkeit gem. Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO nicht im Regelungsbereich der EuGVVO liegt und zur Bestimmung des Umfangs von Schiedsvereinbarungen nationales Recht Anwendung findet.241
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In der Folgezeit oblag es damit nationalen Gerichten darüber zu entscheiden, ob die strenge Rechtsprechung des EuGH zu Gerichtsstandsklauseln (CDC und inzwischen auch Apple, s.o.) auf Schiedsklauseln übertragbar ist. Während sich niederländische Gerichte für eine Übertragung der CDC-Rechtsprechung entschieden,242 haben sich das LG Dortmund243 und der High Court of England and Wales244 dagegen entschieden.
(aa) Niederländische Gerichte
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Die niederländischen Gerichte befürworten eine enge Auslegung von Schiedsvereinbarungen. Das Bezirksgericht Amsterdam entschied bereits vor dem CDC-Urteil, dass Kartellschadensersatzansprüche nicht von weiten Standardschiedsklauseln („uit hoofde van of in verband met“ [= aus oder im Zusammenhang mit]) erfasst sind. Die Geschädigten (des Natriumchlorid-Kartells) könnten nicht damit rechnen, dass Kartellschadensersatzansprüche, die aus einem, außerhalb des konkreten Liefervertrages liegenden, kartellrechtswidrigen Verhalten aller Beklagten resultieren, von den abstrakten Schiedsklauseln erfasst seien.245 Zwei Monate nach Erlass des CDC-Urteils bekräftigte das Berufungsgericht (Gerechtshof) Amsterdam die erstinstanzliche Entscheidung. Unter Bezugnahme auf die Ausführungen des EuGH entschied das Gericht, dass kein Grund bestehe, die Reichweite von abstrakten Schiedsklauseln in anderer Weise zu bestimmen als bei Gerichtsstandsvereinbarungen.246
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Entsprechend entschied das Bezirksgericht Rotterdam in zwei Entscheidungen zum Aufzugskartell im Jahr 2016247 und Ende 2019.248 Auf Schiedsklauseln seien die Grundsätze des EuGH aus dem CDC-Urteil „zumindest entsprechend“ anwendbar. Daher seien die Kartellschadensersatzansprüche von den verwendeten abstrakten Schiedsklauseln („elk geschi“ [= alle Streitigkeiten]) nicht erfasst.249 Eine andere Sichtweise würde eine beträchtliche Hürde für die Geltendmachung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen aufstellen und wäre mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsprinzip nicht zu vereinbaren.250
(bb) LG Dortmund
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In dem Verfahren vor dem LG Dortmund verlangte die Klägerin von der Beklagten aufgrund ihrer Beteiligung im sog. Schienenkartell Schadensersatz. Die Klägerin war mit der Beklagten über zwei Verträge verbunden; beide Verträge enthielten Schiedsklauseln, nach denen alle Streitigkeiten
– aus dem Auftrag (erster Vertrag – enge Schiedsklausel), sowie alle Streitigkeiten,
– die damit im Zusammenhang stehen (zweiter Vertrag – weite Schiedsklausel)
unter Ausschluss des ordentlichen Rechtsweges durch ein Schiedsgericht entschieden werden sollten.251 Nach Auffassung des LG Dortmund erfassen beide Schiedsklauseln kartellrechtliche Streitigkeit. Dies folge aus dem Grundsatz der schiedsfreundlichen Auslegung,252 wonach im Zweifel derjenigen Auslegung der Vorzug zu gewähren ist, die zur Wirksamkeit und Anwendbarkeit der Schiedsklausel führt.253 Kartelldeliktische Ansprüche gemäß § 33 Abs. 3 GWB a.F. seien solche „aus dem Vertrag“, wenn und weil zugleich konkurrierende vertragliche und bereicherungsrechtliche Anspruchsgrundlagen in Betracht kommen.254 Eine unterschiedliche Behandlung von Kartellabsprachen, die zeitlich vor dem Vertragsabschluss stattgefunden haben und missbräuchlicher Maßnahmen marktmächtiger Unternehmen, die innerhalb von Vertragsbeziehungen verübt werden, sei nicht gerechtfertigt.255 Die gegenteilige Auffassung verkenne, dass Kartellschadensersatzansprüche an den zugrunde liegenden Vertrag anknüpfen, denn die ganze Lieferbeziehung sei von dem kartellbedingt überhöhten Preis beeinflusst. Erst der Vertrag gebe der Kartellabsprache die Möglichkeit, schädigende Auswirkungen zu haben.256 Weder das Effektivitätsprinzip noch die Entscheidung des EuGH in Sachen CDC stehe entgegen.257 Das Argument fehlender Vorhersehbarkeit kartellrechtlicher Schädigung bei Abschluss des Vertrages überzeuge schon in der Sache nicht. Es gebe zudem keinen Grundsatz, wonach die für eine Gerichtsstandsvereinbarung geltenden Aspekte gleichsam automatisch für Schiedsvereinbarungen Geltung beanspruchen könnten.258 Letztlich habe sich der EuGH auch gar nicht zu Schiedsvereinbarung geäußert und eine entsprechende Kompetenz wäre angesichts von Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO, wonach das Schiedsverfahrensrecht nicht der EuGVVO unterfällt, fraglich.259
(cc) High Court of Justice
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Der High Court of Justice, auch High Court of England and Wales, entschied ebenfalls, dass Kartellschadensersatzstreitigkeiten von einer weiten („any disputes related to this Agreement [...]“) Schiedsklausel erfasst seien. Im zugrunde liegenden Sachverhalt machte Microsoft Kartellschadensersatzansprüche gegen Sony im Zusammenhang mit dem Lithium-Ionen-Batterien-Kartell geltend.260 Nach Auffassung des Gerichts erstreckten sich die Schiedsklauseln in den Lieferverträgen, in denen Preisverpflichtungen nach Treu und Glauben („good faith pricing obligations“) enthalten waren, auch auf die kartellrechtliche Streitigkeit. Der Zusammenhang mit dem Vertrag sei gegeben, da es Microsoft auch möglich gewesen wäre, statt der tatsächlich geltend gemachten deliktischen Ansprüche, vertragliche Ansprüche geltend zu machen.261 Der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz stünde ebenfalls nicht entgegen, weil der von Generalanwalt Jääskinen erwogene Ansatz in Sachen CDC nicht bindend sei. Dem CDC-Urteil könne keine Aussage entnommen werden, die einer Erstreckung von Schiedsklauseln auf kartellrechtliche Schadensersatzansprüche entgegenstünde.262
(3) Stellungnahme
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Die besseren Argumente dürften für eine Übertragung der Rechtsprechung des EuGH zu Gerichtsstandsklauseln und damit für eine enge Auslegung von Schiedsklauseln sprechen.263 Andernfalls wäre die unionsrechtlich gebotene effektive Durchsetzung von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen in Gefahr, denn die Abdrängung von einzelnen Verfahren eines Gesamtkomplexes in die Schiedsgerichtsbarkeit würde unweigerlich zu einer Zerfaserung der Verfahren führen. Denn dann würden nur die Ansprüche zwischen den vertraglich verbundenen Parteien vor dem Schiedsgericht verhandelt werden. Eine Inanspruchnahme des Vertragspartners als Gesamtschuldner für Ansprüche gegen andere Kartellanten ist vor Schiedsgerichten nicht möglich; die gesamtschuldnerische Haftung beruht nicht auf dem Liefervertrag, sondern allein auf dem gesetzlichen Schadensersatzanspruch wegen der Beteiligung an einem Delikt.264 Die Ansprüche gegenüber den anderen Kartellanten sowie die Ansprüche aufgrund von Preisschirmschäden265 müssten weiter vor staatlichen Gerichten erfolgen, ohne dass eine Verknüpfung der Verfahren durch Streitverkündungen möglich wäre. Daraus würde nicht zuletzt die Gefahr widersprechender Entscheidungen erwachsen.266 Dies gilt umso mehr, als in Schiedsverfahren keine Bindungswirkung kartellbehördlicher Entscheidungen herrscht267 und Schiedsgerichte weder dem EuGH vorlegen können268 noch die Kommission um Beteiligung bitten können. Die Verweisung auf das nachgelagerte Anerkennungs- und Aufhebungsverfahren, in dessen Rahmen das Wettbewerbsrecht als ordre public berücksichtigt werden muss, erscheint wenig praktikabel und dürfte dem Effektivitätsgedanken kaum genügen. Selbst die Kartellanten dürften regelmäßig kein Interesse daran haben, mehrere Parallelprozesse zu führen, die Möglichkeit zur Streitverkündung gegenüber ihren Mitkartellanten zu verlieren und dadurch ihre Durchsetzung von Regressansprüchen zu gefährden.269 In dem vom LG Dortmund entschiedenen Fall stellte sich diese Problematik schon nicht, weil es die in der Praxis eher seltene Konstellation nur eines Klägers und eines Beklagten ohne grenzüberschreitenden Bezug betraf.
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Mit Blick auf die erheblichen Konsequenzen, die eine Abwahl der staatlichen Gerichtsbarkeit mit sich bringt, sollten Schadensersatzansprüche wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV danach nur dann von einer Schiedsvereinbarung umfasst sein, wenn sich die Schiedsklausel ausdrücklich hierauf bezieht. Zumindest sollten sich im Vertragstext sonstige Klauseln finden, die erkennen lassen, dass die Parteien kartellrechtliche Schadensersatzansprüche in ihren Willen aufgenommen haben, z.B. Compliance-Klauseln oder Regelungen zu einem pauschalierten Kartellschadensersatz.270
(4) Nachträgliche Vereinbarung eines Schiedsverfahrens
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Ohne Weiteres zulässig ist die Vereinbarung eines Schiedsverfahrens nach Entstehung der Streitigkeit (ex post) und kann als alternativer Streitbeilegungsmechanismus prozesstaktisch in Erwägung gezogen werden. Dabei gilt es, die jeweiligen Vor- und Nachteile im konkreten Fall gegenüberzustellen.271 Als Vorteile werden regelmäßig die Vertraulichkeit272 und Schnelligkeit des Verfahrens, die vereinfachte Vollstreckbarkeit von Schiedssprüchen im Ausland nach dem New Yorker Übereinkommen sowie die Expertise der Schiedsrichter hervorgehoben. Insbesondere letzteres kann für Kartellschadensersatzprozesse Bedeutung erlangen, da für die Schadensbeurteilung i.d.R. komplexes wettbewerbsökonomisches Wissen über Märkte erforderlich ist. Von Vorteil kann es auch sein, dass das Schiedsverfahren freier gestaltet werden kann, z.B. können Ökonomen beider Seiten gleichzeitig vor einem Schiedsverfahren im Wege des Kreuzverhörs befragt werden.273
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Soweit ersichtlich spielen nachträglich vereinbarte Schiedsverfahren in Kartellschadensersatzfällen – anders etwa als Mediationen274 – noch keine große Rolle. Dieser Eindruck mag freilich auch der Vertraulichkeit der Verfahren geschuldet sein.
h) Rügelose Einlassung
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Die Zuständigkeit des Gerichts wird gemäß Art. 26 Abs. 1 EuGVVO auch dadurch begründet, dass sich der Beklagte auf das Verfahren einlässt. Als Rechtsfolge des Unterlassens einer Rüge wird „das Gericht“ zuständig, es wird mithin die internationale Zuständigkeit des Gerichtslandes und auch die örtliche Zuständigkeit innerhalb der nationalen Jurisdiktion begründet.275 Da Einwendungen gegen die internationale Zuständigkeit für die Rechtsverteidigung der Beklagten von großer praktischer Bedeutung sind, gilt es, eine nicht beabsichtigte Begründung der internationalen Zuständigkeit durch rügelose Einlassung in jedem Fall zu vermeiden.
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Dabei muss der Beklagte beachten, dass eine Zuständigkeitsbegründung nach Art. 26 Abs. 1 EuGVVO nicht mit einer rügelosen Einlassung i.S.d. deutschen § 39 ZPO identisch ist. Die internationale Zuständigkeit kann bei Anwendbarkeit von Art. 26 Abs. 1 EuGVVO bereits durch eine Verteidigungshandlung im Vorfeld der mündlichen Hauptverhandlung begründet werden, nicht erst durch rügeloses Verhandeln in der mündlichen Hauptverhandlung, siehe § 39 ZPO. Auch bei Zweifeln an der Anwendbarkeit von Art. 26 EuGVVO sollte die Rüge der internationalen Zuständigkeit seitens des Beklagten vorsorglich immer auch den strengeren Maßstab von Art. 26 EuGVVO erfüllen. Zudem sollte der Beklagte stets ausdrücklich klarstellen, dass sich seine Rüge der örtlichen auch auf die internationale Zuständigkeit bezieht, auch wenn die Rüge der internationalen Zuständigkeit konkludent erfolgen kann276 und die Rüge des Beklagten im Zweifel als auf die Rüge der internationalen Zuständigkeit bezogen auszulegen ist.277
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Die Anwendung von Art. 26 Abs. 1 EuGVVO, der in seinem Anwendungsbereich § 39 ZPO verdrängt, setzt voraus, dass ein internationaler Sachverhalt und kein reiner Inlandsfall vorliegt.278 Auf den Wohnsitz der Parteien soll es nach wohl h.M. nicht ankommen, wobei nach Rechtsprechung des BGH dann zumindest ein Bezug zu einem Vertragsstaat der EuGVVO vorliegen muss,279 während der EuGH in einem obiter dictum angedeutet hat, dass auch dieses Kriterium entbehrlich sei.280
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Was eine zuständigkeitsbegründende (rügelose) Einlassung darstellt, ist autonom zu interpretieren.281 Danach muss keine Einlassung zur Hauptsache vorliegen, sondern es genügt bereits jede Verteidigungshandlung, die auf Klageabweisung abzielt.282 Nicht erforderlich ist, dass es sich um eine Einlassung zur Hauptsache handelt. Zur Rügepräklusion führen bereits Einwendungen, die nur das Verfahren betreffen.283 Die internationale Zuständigkeit kann also schon dann nicht mehr wirksam gerügt werden, wenn sich der Kläger zuvor auf das Fehlen anderer Zulässigkeitsvoraussetzungen berufen hat.284 Beispiele sind der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit, die Rüge der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit, die Behauptung des Fehlens sonstiger Sachurteilsvoraussetzungen oder auch die Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit.285 Aber auch das Bestreiten des klägerischen Anspruchs oder das Behaupten und Bestreiten von Tatsachen oder das Stellen von Beweisanträgen sind erfasst.286
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Letztlich gibt es mit Ausnahme der Rüge der internationalen Zuständigkeit selbst keine Konstellation, in der eine Einlassung auf das Verfahren nicht als zuständigkeitsbegründend angesehen werden kann.287 Auch spielt keine Rolle, ob das Verteidigungsvorbringen mündlich oder schriftlich erfolgt.288 Kein rügeloses Verhandeln liegt jedenfalls in einem bloßen Verstreichenlassen einer dem Beklagten gesetzten Frist.289 Deshalb kann ein Beklagter, der die Klageerwiderungsfrist hat verstreichen lassen, die internationale Unzuständigkeit des Gerichts auch noch zu Beginn der mündlichen Verhandlung rügen, wenn dies sein erstes Verteidigungsvorbringen darstellt.290 Freilich riskiert der Beklagte dann die Präklusion seines weiteren Verteidigungsvorbringens.
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Der Beklagte hat die Möglichkeit, die internationale Zuständigkeit des Gerichts zu rügen und sich nur hilfsweise zur Sache einzulassen.291 Er stellt dann seine Einlassung auf das Verfahren unter die innerprozessuale Bedingung, dass seine Rüge der internationalen Zuständigkeit zurückgewiesen wird. Der Beklagte muss also nicht wählen, ob er nur die internationale Zuständigkeit rügen und im Misserfolgsfall das Risiko tragen möchte, nach nationalem Zivilprozessrecht mit sonstigen Verteidigungshandlungen ausgeschlossen zu sein, oder ob er weitere Einwendungen gegen die Klage vorbringt und deshalb möglicherweise sein Recht verliert, die internationale Zuständigkeit des Gerichts zu rügen.292
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Die Wirkungen von Art. 26 Abs. 1 EuGVVO treten auch dann nicht ein, wenn der Beklagte den Mangel der Zuständigkeit gleichzeitig und nur hilfsweise mit seiner ersten Verteidigungshandlung nach der lex fori erhebt.293 Kläger und Gericht müssten bei der ersten Einlassung des Beklagten nur erkennen können, dass sich diese gegen die Zuständigkeit des Gerichts richtet.294 Diese Erkennbarkeit sieht der EuGH sowohl dann als gegeben an, wenn der Beklagte neben der Zuständigkeitsrüge hilfsweise andere Verteidigungsmittel vorbringt als auch, wenn er die fehlende Zuständigkeit gegenüber anderen Verteidigungsmitteln nur hilfsweise geltend macht.295
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Die vom Beklagten erhobene Rüge der internationalen Zuständigkeit ist ebenso wie alle sonstigen Prozesshandlungen im Anwendungsbereich der EuGVVO nach allgemeinen Grundsätzen der Auslegung zugänglich.296 Es genügt also, wenn sich bei Anwendung allgemeiner Auslegungsgrundsätze ergibt, dass der Beklagte den Einwand fehlender internationaler Zuständigkeit erheben möchte.297 Ein bloßer Vorbehalt der Zuständigkeitsrüge ist nicht ausreichend.298 Allerdings können sich weitere Anforderungen an die Art und Weise der Erhebung der Zuständigkeitsrüge, beispielsweise die Notwendigkeit einer Vertretung durch einen zugelassenen Rechtsanwalt, aus der jeweiligen lex fori ergeben.299
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Das Gericht hat mit Ausnahme der für kartellrechtliche Schadensersatzverfahren nicht relevanten Sonderfälle in Art. 26 Abs. 2 EuGVVO keine Pflicht, auf die mögliche Rechtsfolge der Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung hinzuweisen.300 Zudem muss sich der Beklagte an einer einmal erfolgten Zuständigkeitsbegründung festhalten lassen. Da die rügelose Einlassung eine Prozesshandlung darstellt, ist sie keiner Anfechtung o.Ä. zugänglich.301
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Es empfiehlt sich für einen Beklagten, der die internationale Zuständigkeit rügen möchte, bereits bei Abgabe der Verteidigungsanzeige kenntlich zu machen, dass das weitere Verteidigungsvorbringen nur hilfsweise erfolgt. Bislang ist keine höchstrichterliche Klarstellung erfolgt, ob die Verteidigungsanzeige bereits ein Verteidigungsvorbringen des Beklagten darstellt. Zwar handelt es sich bei der Verteidigungsanzeige nach ganz h.M. nicht um ein Verteidigungsvorbringen im Sinne von Art. 26 EuGVVO, da diese einen rein rechtswahrenden Charakter besitzt.302 Gegen diese Auffassung könnte aber sprechen, dass das Vorverfahren nach § 276 ZPO nicht rein vorbereitender Natur ist. Der Beklagte gibt durch die Abgabe der Verteidigungsanzeige zu erkennen, dass er sich gegen den ihm bekannten Sachvortrag des Klägers wendet und den eingeklagten Anspruch nicht anerkennt. Dies dürfte jedenfalls dann gelten, wenn der Beklagte zusammen mit der Verteidigungsanzeige einen Klageabweisungsantrag ankündigt. Spätestens aber muss die Rüge der internationalen Zuständigkeit in der schriftlichen Klageerwiderung (zumindest hilfsweise) enthalten sein.303
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Weiter kann die zuständigkeitsbegründende Wirkung von Art. 26 EuGVVO auch noch während des laufenden Verfahrens eintreten, wenn der Beklagte an der Rüge der Zulässigkeit nicht weiter festhält.304 Obgleich der Beklagte seinen Verzicht auf eine einmal erhobene Rüge unmissverständlich zum Ausdruck bringen müsste,305 empfiehlt es sich aus Beklagtensicht, in jedem weiteren Schriftsatz klarzustellen, dass an der Rüge der internationalen Zuständigkeit festgehalten wird. Nicht zuletzt ist zu beachten, dass der Beklagte eine in erster Instanz wirksam vorgebrachte Zuständigkeitsrüge in der Rechtsmittelinstanz wiederholen muss, bevor er sich zur Sache einlässt.306