Kitabı oku: «Kartellrechtliche Schadensersatzklagen», sayfa 8

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2. Auswahl des Beklagten

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Der Geschädigte kann entweder alle Kartellbeteiligten gesamtschuldnerisch jeweils in voller Höhe des entstandenen Schadens in Anspruch nehmen.88 Er kann aber auch nur einen Kartellbeteiligten verklagen und dadurch das Kostenrisiko im Unterliegensfall sowie die Verfahrenskomplexität und -dauer begrenzen.89 Bei hohen Schadensersatzforderungen lässt sich das Insolvenzrisiko durch die Inanspruchnahme mehrerer Kartellbeteiligter reduzieren. Es ist zu beachten, dass hierdurch möglicherweise das Prozesskostenerstattungsrisiko erhöht wird. Ferner kann auch direkt gegen die Muttergesellschaften vorgegangen werden. Das gilt nicht nur wenn die Kartellbehörde einen eigenen oder der Muttergesellschaft zugerechneten Kartellverstoß festgestellt hat.90 Zu dieser Frage, ob auch im Kartelldeliktsrecht der unionsrechtliche Unternehmensbegriff Anwendung findet und Muttergesellschaften für Kartellverstöße ihrer Tochtergesellschaften haften, wurde im Zusammenhang mit der Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie ausführlich gestritten.91 § 33a Abs. 1 GWB nimmt keinen ausdrücklichen Bezug auf dieses Konzept und überließ die Klärung letztendlich den Gerichten.92 Der Gerichtshof hat in der Rechtssache Skanska nun festgestellt, dass im Kartellzivilrecht derselbe unionsrechtliche Unternehmensbegriff wie im Kartellbußgeldrecht gilt.93 Deshalb haftet auch die Mutter für ihre am Kartell beteiligte Tochter, wenn beide eine wirtschaftliche Einheit bilden.94

3. Auswahl des Gerichtsstands

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Liegen die Voraussetzungen für eine gerichtliche Zuständigkeit in mehreren Mitgliedstaaten vor, sollte sorgfältig und einzelfallbezogen geprüft werden, wo eine Klageerhebung am sinnvollsten wäre.95

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Gemäß Art. 4 EuGVVO kommt bei Kartellgeschädigten mit Sitz in Deutschland eine Klage in einem anderen Mitgliedstaat im Wesentlichen dann in Betracht, wenn ein Kartellbeteiligter seinen Sitz im Ausland hat. Zudem genügt es, wenn der Handlungs- oder Erfolgsort in einem anderen Mitgliedstaat liegt.96 Die örtliche Zuständigkeit dürfte auch dort begründet sein, wo die mithaftende Muttergesellschaft ansässig ist und auch eine Begründung der Zuständigkeit am Sitz der Tochter- oder Schwestergesellschaften scheint möglich.97 Ist ein Gericht im Ausland örtlich zuständig, können die anderen Kartellbeteiligten gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO dort mitverklagt werden.

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Bei der Auswahl des Gerichtsstands spielt neben den Kosten(-risiken) die Verfahrensdauer und die Expertise des Gerichts in der Spezialmaterie Kartellschadensersatz eine wichtige Rolle. Ferner waren in der Vergangenheit die unterschiedlichen Vorschriften zu Verjährung und Offenlegung stets von Relevanz. Hier werden auch mit der Umsetzung der Kartellschadensersatzrichtlinie Unterschiede bestehen bleiben.

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Grundsätzlich haben sich Deutschland, die Niederlande und das Vereinigte Königreich als Foren für Kartellschadensersatzklagen in Europa etabliert.98 Wie sich der sog. „Brexit“ auf die Stellung des Vereinigten Königreichs auswirken wird,99 bleibt abzuwarten.

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Noch ist unklar ob nach der Übergangsfrist, in der das Withdrawal Agreement100 die Beziehungen des Vereinigten Königreichs zur EU regelt, ein Handelsabkommen in Kraft treten wird und wie dessen Regeln ausgestaltet sein werden. Das Withdrawal Agreement sieht im Grundsatz vor, dass das Unionsrecht auch während einer Übergangsphase in Kraft bleibt. Die Brüssel I Recast Verordnung101 findet, insbesondere mit ihren Zuständigkeitsregeln die z.B. auch das Vorgehen bei Parallelverfahren regeln, weiterhin auf Verfahren Anwendung, die vor dem Ende des Übergangszeitraums eingeleitet wurden.102 Zudem bleiben die Rom I-Verordnung103 und die Rom II-Verordnung104 sowie das Lugano-Abkommen 2007,105 das im Verhältnis zwischen EU-Mitgliedstaaten und den EFTA-Staaten gilt, anwendbar. Die Europäische Kommission bleibt in diesem Zeitraum auch zuständig für die Durchsetzung des Unionsrechts im Vereinigten Königreich und darüber hinaus für bereits anhängige Verfahren.106 Während des Übergangszeitraums bleibt der EuGH für alle neuen und laufenden Verfahren zuständig, für anhängige Verfahren auch nach dem Ende des Übergangszeitraums.107 Zumindest hat das Vereinigte Königreich im April 2020 die Aufnahme zum Lugano-Abkommen 2007 beantragt, doch es bleibt abzuwarten ob die Europäische Union neben den EFTA Staaten auch ihre Zustimmung erteilen wird.

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Sollte die Übergangsphase ohne ein Abkommen enden, gilt Folgendes: Für bereits laufende Gerichtsverfahren im Vereinigten Königreich sollte sich auch ohne Abkommen nichts ändern. Die Gerichte werden auf der Grundlage des Withdrawal Agreements die prozessualen Regeln über die gerichtlichen Zuständigkeiten und zur Vollstreckung anwenden, wie sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung (d.h. vor dem Brexit bzw. während des Übergangszeitraums) galten.108 Dies gebieten neben rechtlichen auch praktische Erwägungen, da die andernfalls eintretende Unsicherheit dazu führen dürfte, dass die Justiz im Vereinigten Königreich de facto handlungsunfähig würde. Für neue Klagen auf Kartellschadensersatz nach Ende des Übergangszeitraums ohne Abkommen gilt hingegen, dass die nach dem Übergangszeitraum erlassenen Entscheidungen der Europäischen Kommission keine Bindungswirkung mehr entfalten.109 Unionsrecht müsste dann als Tatsachenvortrag (ausländische Rechtstatsachen) in einen Prozess eingebracht werden.110 In jedem Falle scheinen dann Wertungswidersprüche im Zusammenspiel von Entscheidungen der britischen Wettbewerbsbehörde, der CMA, und der Europäischen Kommission vorprogrammiert. Die CMA wird regelmäßig in Fällen die sowohl den EU-Binnenmarkt als auch das Vereinigte Königreich betreffen ein Parallelverfahren zu einem Verfahren der Europäischen Kommission einleiten. Dies würde sich nicht nur auf die öffentliche Durchsetzung des Kartellrechts, sondern auch auf die private Durchsetzung auswirken.111 Eine Änderung ergäbe sich auch hinsichtlich der nach dem Brexit ergangenen Entscheidungen des EuG und des EuGH; diese wären– sofern keine anderweitige Regelung getroffen wird – nicht mehr bindend für die nationalen Gerichte des Vereinigten Königreichs.112

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Schlussendlich müssten die Gerichte im Vereinigten Königreich voraussichtlich im Verhältnis zu einigen Mitgliedstaaten die Regeln des Brüsseler Übereinkommens von 1968,113 im Übrigen die allg. Common Law-Regeln des innerstaatlichen Rechts anwenden, die derzeit in Fällen Anwendung finden, in denen der Beklagte nicht aus der Europäischen Union stammt und ein Kläger dennoch vor einem Gericht des Vereinigten Königreichs klagen möchte. Zudem wären Urteile von Gerichten des Vereinigten Königreichs dann allerdings nicht mehr wie bisher nach der Brüssel I Recast Verordnung automatisch in (anderen) Mitgliedstaaten anzuerkennen und vollstreckbar.114

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DeutschlandNiederlande115UK
VerfahrensdauerUneinheitlich, in der Regel mindestens 2–3 Jahre in der ersten InstanzIn der Regel 1–2 Jahre, insbesondere beschleunigt die Möglichkeit, über prozessuale Vorfragen zügig vorab zu entscheiden, das VerfahrenIn der Regel 1–4 Jahre, zügiger aber insb. vor dem Competition Appeal Tribunal (CAT), da große Expertise und hohe Kapazitäten („Summary Judgments“, „Fast-Track“ für einfache Verfahren)
Eigene KostenÜberschaubar, abhängig von Klagesumme, Erfolgshonorare sind grundsätzlich verbotenÜberschaubar, abhängig von Klagesumme, Erfolgshonorare sind bei Kartellschadensersatzfällen nicht vorgesehenHoch, insb. für Disclosure, Unterlegener zahlt Verfahrenskosten voll (High Court) bzw. Aufteilung der Verfahrenskosten im Ermessen des Gerichts (CAT), Erfolgshonorare sind zulässig
KostenerstattungsrisikoÜberschaubar; Unterlegener zahlt gedeckelte Verfahrenskosten voll; Prozessfinanzierung möglichÜberschaubar; Unterlegener zahlt gedeckelte Verfahrenskosten voll (in der Regel rund 20 % der angefallenen Kosten); Prozessfinanzierung möglichHoch, keine Kostendeckelung aber Möglichkeit einer sog. ATE (after the event)-Versicherung und Prozessfinanzierung
OffenlegungWenig Erfahrung mit Offenlegung, aber neuer eigener materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch; Kostenerstattungsanspruch gemäß § 33g Abs. 7 GWBEingeschränkte Erfahrung mit Offenlegung; Vorschriften sehen vorgerichtliche Zeugenvernahme sowie Herausgabe von Dokumenten vorUmfangreiche Offenlegung („Disclosure“); Parteien müssen vorab verfahrensrelevante Dokumente benennen
Verjährung5 Jahre kenntnisabhängig;10 Jahre kenntnisunabhängig5 Jahre kenntnisabhängigHigh Court und CAT: 6 Jahre kenntnisabhängig
Kollektiver Rechtsschutzkollektive Klagemöglichkeit für Verbraucher (Musterfeststellungsklage) ohne Schadensersatz, für Unternehmen nur Anspruchsbündelungneues Gesetz seit 2020 schafft Opt-out-Sammelklage auf Schadensersatz durch gesetzlich festgelegte Vertreter; daneben bleibt Anspruchsbündelung möglichOpt-out-Klage auf Schadensersatz seit 2015

4. Auswahl der Klageart

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Vor deutschen Gerichten kommen als mögliche statthafte Klagearten die Leistungs-, Stufen- und Feststellungsklage in Betracht. Mit § 33g GWB wurde ferner ein materiell-rechtlicher Auskunftsanspruch geschaffen, der nicht nur im Rahmen einer Stufenklage, sondern auch eigenständig geltend gemacht werden kann. Soweit der Schaden schon hinreichend bezifferbar ist, bietet sich eine bezifferte Leistungsklage an. Ist das nicht der Fall, kann zunächst eine Leistungsklage mit einem unbezifferten Zahlungsantrag gestellt werden.116 Besteht Unsicherheit, ob überhaupt ein Anspruch vorliegt, bietet sich eine Auskunftsklage an. Die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs gegen Kartellbeteiligte hemmt auch die Verjährung. Eine Stufenklage ist immer dann sinnvoll, wenn die Schadensschätzung oder die sonstige Substantiierung des Anspruchs im Wesentlichen von auf der Beklagtenseite vorhandenen Informationen abhängt. Bei drohender Verjährung kann neben dem Auskunftsanspruch auch vorab eine Feststellungsklage erhoben werden. Der Feststellungsantrag kann dann später auf einen Leistungsantrag umgestellt werden. Dies bietet sich jedenfalls auch dann an, wenn zu befürchten ist, dass der Klagegegner aus prozesstaktischen Gründen eine negative Feststellungsklage erhebt, um den Geschädigten in ein für ihn nachteiliges Forum zu zwingen.117 Solche „Torpedoklagen“ sollten unzulässig sein.118 Generalanwalt Jääskinen vertritt die Auffassung, dass wenn „die Kommission erst einmal über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung entschieden [hat], eine negative Feststellung aufgrund der Bindungswirkung der Entscheidung der Kommission über die Tatsachen und ihre rechtliche Qualifizierung jedoch nicht mehr möglich sein [sollte]“.119 Die Grundsätze des fairen Verfahrens und des effektiven Rechtsschutzes verbieten die Zulässigkeit von „Torpedoklagen“, mit denen ein Kartellbeteiligter versucht, sich einen vermeintlich günstigeren Gerichtsstand zu sichern, in allen Fällen, in denen die Kommission einen Verstoß gegen europäisches Kartellrecht festgestellt hat oder eine nationale Kartellbehörde unter Anwendung des parallelen nationalen Kartellrechts eine solche Entscheidung trifft.120 Eine negative Feststellungsklage soll daher auch ausscheiden, wenn lediglich eine Feststellung begehrt wird, dass trotz eines Verstoßes keine Betroffenheit oder Schädigung vorliegt. Sollte ein Gericht ein solches Feststellungsbegehren doch akzeptieren, wird es bei der Auslegung des Klageantrags nicht den Wortlaut dahingehend umdeuten dürfen, dass Anträge, in denen die Kartellbeteiligung in Abrede gestellt wird, sich auch auf die fehlende Kausalität und den fehlenden Schaden beziehen.

5. Anspruchsbündelung

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Die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen ist risikobehaftet und kann für Unternehmen schnell sehr teuer werden.121 Honorare für Anwälte und Sachverständige übersteigen den Anspruch auf Erstattung der Verfahrenskosten im Falle des Obsiegens häufig erheblich. Das Kostenrisiko steigt für den Kartellgeschädigten mit der Anzahl der Schädiger. Auch wenn er nur einen Kartellbeteiligten verklagt, wird dieser allen anderen Kartellbeteiligten den Streit verkünden.122 § 89a Abs. 3 Satz 2 GWB enthält nun jedoch eine Kostendeckelung bei Streitverkündungen auf insgesamt den Streitwert der Hauptsache, so dass das Risiko vom Gesetzgeber bewusst begrenzt worden ist. Hinzu tritt, dass der Geschädigte im Falle der Klageabweisung in vielen Jurisdiktion die vollen Kosten des Rechtsstreits trägt.123 Zudem kann es in bestimmten Fällen zur Beeinträchtigung der Geschäftsbeziehungen oder zu „Vergeltungsmaßnahmen“ kommen. Um diese Risiken zu minimieren oder jedenfalls zu streuen, bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Anspruchsbündelung an.

a) Streitgenossenschaft

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Zunächst können Ansprüche im Wege der Streitgenossenschaft geltend gemacht werden. Die Geschädigten klagen dann in einem Rechtsstreit gegen die Kartellbeteiligten, ohne untereinander verbunden zu sein.124 Damit bleibt jeder Geschädigte Anspruchsinhaber und somit „Herr des Verfahrens“. Ferner verbessert ein streitgenossenschaftliches Vorgehen die Datenlage und bringt Synergien, insbesondere finanzieller Natur, bei der Beauftragung von Prozessvertretern und ökonomischen Beratern für die Gutachtenerstellung. Allerdings birgt ein solches Vorgehen auch die Gefahr, dass widerstreitende (wirtschaftliche) Interessen der Streitgenossen den Verfahrenserfolg gefährden. Zudem besteht das Risiko, dass das Gericht das Verfahren trennt. Zur Verfolgung und Durchsetzung von Massen- und Streuschäden wird die Streitgenossenschaft als ungeeignet angesehen.125

b) Sammelklagen

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Gerade in den USA werden bereits seit langer Zeit Sammelklagen („Class Actions“) von Kartellgeschädigten zur Anspruchsdurchsetzung genutzt.126 Dort machen bei sog. Opt-out-Klagen einzelne Geschädigte die Ansprüche im Namen aller geltend, solange diese nicht ausdrücklich aus dem Kollektiv austreten.127 Zunächst muss in der Regel die Zertifizierung der Sammelklägergruppe beantragt werden. Erst wenn eine sog. „Class“ zertifiziert ist, kann der Fall weitergeführt werden. Die Zertifizierungsanforderungen unterscheiden sich je nach Gerichtsbarkeit. Im Vereinigten Königreich hingegen ist das Sammelklagesystem gerade erst im Entstehen begriffen. Auch dort gibt es ein Zertifizierungssystem für Klägergruppen. Über die Auslegung der Zertifizierungskriterien herrscht im Detail noch Unsicherheit. Hinweise zur Auslegung werden durch eine erste Entscheidung des Obersten Gerichtshof zu diesen Kriterien in der Rechtssache Merricks v. MasterCard erwartet.128 Nach Abschluss eines Vergleichs mit einem Beklagten, werden die Gruppenmitglieder über den Vergleich informiert und erhalten die Möglichkeit, zu dem Vergleich vor Gericht gehört zu werden. Die Mitglieder der Sammelklägergruppe werden dann regelmäßig aufgefordert, ihr Einkaufsvolumen des kartellierten Produkts oder der kartellierten Dienstleistung zu quantifizieren und einem Anspruchsverwalter zu melden, der dann den Anteil jedes Mitglieds der Sammelklägergruppe an den Erlösen berechnet und verteilt. In einigen Rechtsordnungen ist es zu diesem Zeitpunkt selbstverständlich noch möglich jeweils für einen Einzelvergleich ein Opt-out zu erklären. Die Geschädigten trifft kein Kostenrisiko. Dieses wird in der Regel auf die tätigen Anwaltskanzleien (z.B. durch die Vereinbarung von Erfolgshonoraren) abgewälzt oder von Prozessfinanzierern getragen. In Deutschland sind Erfolgshonorare gemäß § 49b Abs. 2 Satz 1 BRAO, § 4a Abs. 1 RVG nur in Ausnahmefällen zulässig. Gruppen- oder Sammelklagen kennen neben dem angelsächsischen Raum inzwischen auch viele andere Europäische Rechtsordnungen. Im deutschen Zivilprozessrecht gibt es für Verbraucher nur die Musterfeststellungsklage nach § 606 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.129 Diese mag zwar Verbrauchern die Geltendmachung von Kartellschadensersatzansprüchen potenziell erleichtern,130 kartellgeschädigten Unternehmen steht die Aufnahme zu Musterfeststellungsverfahren aber nicht offen.131

c) Abtretung

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Daneben kommt eine Bündelung der Ansprüche bei einem Geschädigten oder einem Klagevehikel durch Abtretungen in Betracht.132 Die Vorteile einer derartigen Vorgehensweise sind vielschichtig:133 Durch das Mehr an Vertragsbeziehungen wird die Datenbasis verbreitert, was die Schätzung des kartellbedingten Schadens und damit die Substantiierung des Anspruchs erleichtert. Zudem vergrößert das Innehaben einer größeren Zahl an Ansprüchen (critical mass) die Vergleichsbereitschaft der Gegenseite. Ferner liegt dem Gebührenrecht eine Kostendegression zugrunde, so dass ein höherer Streitwert im Vergleich mit der singulären Durchsetzung in mehreren Prozessen günstiger ist. Aber auch aus Sicht der Justiz und der Gegenseite ist die gebündelte Verfolgung der Ansprüche positiv zu bewerten. Es ist nur eine Beweisaufnahme erforderlich, und die Beklagten sind im Falle ihres Unterliegens nur einem Kläger gegenüber ersatzpflichtig.134 Diese Vorteile erkennt auch ein Teil der Rechtsprechung an.135 Zudem steht die Europäische Union einer kollektiven Rechtsdurchsetzung grundsätzlich ebenfalls positiv gegenüber.136 Rechtspolitisch erscheint dies auch wünschenswert.137

aa) Rechtlicher Rahmen

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In Deutschland wird eine gebündelte Geltendmachung von abgetretenen Ansprüchen durch Dritte in der Regel als Inkassodienstleistung anzusehen sein.138 Da es sich bei solchen Abtretungen jeweils um eine Inkassozession handelt, bedarf der Zessionar im Zeitpunkt der Abtretung einer Registrierung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1 RDG. Der BGH hat (wenn auch in einem Fall, der nur die Geltendmachung abgetretener, nicht aber gebündelter Ansprüche betraf) inzwischen klargestellt, dass der Begriff der Inkassodienstleistung weit auszulegen ist, wobei stets anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen ist, ob die Grenzen der Inkassobefugnis eingehalten wurden.139 Zudem hat der BGH noch einmal an die Rechtsprechung des BVerfG erinnert, nach der Inkassodienstleistern umfassende Befugnisse bei der Forderungsdurchsetzung zustehen.140 Ebenso hat er bestätigt, dass die Vereinbarung einer erfolgsabhängigen Vergütung für Inkassodienstleister entgegen wiederholt in der Literatur geltend gemachten Bedenken keinen grundsätzlichen Bedenken, etwa aufgrund möglicher Interessenkonflikte zwischen Inkassodienstleister und Kunden, begegnet.141 Das LG Braunschweig hat in einer Entscheidung aus dem April 2020 diese Rechtsprechung auch für die Bündelung von Ansprüchen durch Abtretung an Klagevehikel und die anschließende (gerichtliche) Geltendmachung der abgetretenen Ansprüche durch das Klagevehikel als anwendbar angesehen und dabei explizit einer anders lautenden, kurz zuvor ergangenen Entscheidung des LG München I widersprochen.142 Im zu entscheidenden Fall hatte das LG Braunschweig letztendlich aber dennoch einen RDG-Verstoß angenommen, da die Erbringung von Rechtsdienstleistungen im ausländischen – Schweizer – Recht durch die Klägerin zu einem Wertungswiderspruch führe, der in der Annahme der Überschreitung der Dienstleistungsbefugnis münde.143 Das LG München I hat im Februar 2020 entschieden,144 dass die gebündelte Geltendmachung von Ansprüchen aus dem LKW-Kartell von über 3.000 Geschädigten, die ihre Ansprüche an ein als Inkassodienstleister registriertes Klagevehikel abgetreten hatten, finanziert durch einen externen Prozessfinanzierer, nicht mit dem RDG vereinbar sei.145 Dabei verwies das Gericht auf vermeintlich fehlende Befugnisse des Inkassodienstleisters zur – vom Gericht unterstellt: ausschließlich intendierten – gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche sowie auf vermeintliche Interessenkonflikte, sowohl mit Blick auf die angeblich jeweils unterschiedlichen Interessen der einzelnen Zedenten als auch bezüglich der angeblich divergierenden Interessen von Zedenten und Prozessfinanzierer, denen der Inkassodienstleister nicht beiden gerecht werden könne.146 In der Zwischenzeit hat auch das LG Hannover die Zulässigkeit der Anspruchsbündelung in einem Verfahren zum Zuckerkartell verneint,147 und das LG Ingolstadt verneinte die Zulässigkeit der Anspruchsbündelung in einem konkreten Fall zum Dieselskandal aufgrund einer erweiternden Auslegung bzw. analogen Anwendung von § 4 RDG.148 Es ist fraglich, ob diese Auffassung in nachfolgenden Instanzen Bestand haben wird. Der BGH hat in einem aktuellen Urteil über einen Fall entschieden, bei dem Kartellschadenersatzansprüche zweier Marktstufen in einer Hand gebündelt worden waren und die Zulässigkeit der Bündelung nach dem RDG gar nicht problematisiert.149 Nicht nur in der Rechtsprechung des LG Braunschweig, sondern auch in der Literatur hat insbesondere das Urteil des LG München I bereits Kritik erfahren.150 So begegnet schon die Annahme Zweifeln, dass Inkassodienstleister ihre Befugnisse überschreiten, wenn sie eine gerichtliche Forderungsdurchsetzung anstreben. § 79 Abs. 2 Satz 1 ZPO trifft Regelungen für die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen durch Inkassodienstleister und ordnet an, dass ein Rechtsanwalt mit der Vertretung zu beauftragen ist.151 Zudem wäre – bei absehbarer Zahlungsunwilligkeit des Schuldners – der Inkassodienstleister, um den Ansprüchen des LG München I zu genügen, gezwungen, wirtschaftlich erwartbar sinnlose vorgerichtliche Maßnahmen zu treffen, was auf eine „reine Förmelei“152 hinausliefe. Dass die Interessen der Zedenten untereinander divergierten, da bei einem Vergleich „schlechte Ansprüche“ zulasten der „guten Ansprüche“ bevorzugt würden, behauptet einen Interessenkonflikt, der voraussetzen würde, dass sich ein Inkassodienstleister grundsätzlich vertragsbrüchig verhielte und bei Vergleichsverhandlungen völlig undifferenziert vorgehe.153 Insgesamt sieht das LG München I für seine Bewertung die Umstände des konkreten Einzelfalls als entscheidend an: gerade wenn – wie im entschiedenen Fall – die positive Entscheidung über einen Vergleichsschluss nur voraussetze, dass eine ausgehandelte Vergleichssumme unter kaufmännischen Gesichtspunkten als aus Sicht des Inkassodienstleisters insgesamt ausreichend erscheine, sei eine quotale und unabhängig von den individuellen Erfolgsaussichten erfolgende Auszahlung an die Zedenten kritisch.154 Bei anders gelagerten Fällen können diese Bedenken wohl ausgeräumt werden, z.B. indem individuelle Kriterien für die Höhe der auf die einzelnen Zedenten entfallende Zahlung definiert würden.155 Zur Vermeidung der Einordnung der Abtretung als sittenwidrig gem. § 138 BGB156 ist erforderlich, dass es die finanzielle Ausstattung des Zessionars im Zeitpunkt der Abtretung erlaubt, im Falle des Unterliegens den Beklagten die zu erstattenden Anwaltskosten und die Gerichtskosten über drei Instanzen zu tragen, nicht aber die Erstattungsansprüche der Streitverkündeten.

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