Kitabı oku: «Aus dem Dunkel», sayfa 2

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Mit den sich ständig verschlechternden Lebensumständen in Frankfurt wurde schon 1933 der Besuch von Universitäten für Juden wegen ihrer „Überrepräsentation“ erschwert. Leo Lapidas studierte in Berlin an der Humboldt-Universität. Im Juli 1933 entschied die Universität nach Begutachtung eines umfangreichen Fragebogens: "Gegen ein Weiterstudieren bestehen keine Bedenken, da der Vater als Frontkämpfer anzusehen ist". Dennoch musste Lapidas die Universität bald darauf verlassen, da er, wie er schildert, in der dort herrschenden antisemitischen Atmosphäre kaum atmen, geschweige denn studieren konnte.

Viele jüdische Kinder wurden bereits 1935 von den höheren Schulen verwiesen, denn im Gefolge der Nürnberger Gesetze wurde per Numerus Clausus der Anteil der Juden in den Gymnasien dem an der Gesamtbevölkerung angeglichen. So musste Jachin Simon 1935 das Friedrichsgymnasium verlassen, obwohl der Direktor den Verlust des begabten Schülers bedauerte. Auch im Verkehr der Erwachsenen änderte sich viel, bei Ärzten, Rechtsanwälten, Geschäftsleuten nahm die Zahl der Kunden ab. Nachbarn und frühere Freunde wechselten bei Begegnungen auf die andere Straßenseite. Der Boykott am 1. April 1933 traf alle schwer. Dr. Benno Baswitz, Angehöriger einer seit Jahrhunderten in Frankfurt ansässigen Druckerfamilie, und ein Kaufleuteehepaar nahmen sich damals schon das Leben. Der beliebte Zahnarzt Gumpert wurde von SA-Leuten gezwungen, das mit Farbe auf den Bürgersteig vor seinem Haus geschmierte Wort "Jude" auf den Knien zu beseitigen.

Dennoch gibt es auch zahlreiche Gegenbeispiele. Ada Neumark betont, dass sie, solange sie das Lyzeum besuchte, bis 1938 von keiner ihrer Klassenkameradinnen jemals ein beleidigendes Wort gehört habe, einige sie auch nach wie vor zu Hause besuchten, gemeinsam Schul­arbeiten machten, Bücher tauschten oder Kanons sangen. Nicht nur unter der Bevölkerung, sondern auch unter Beamten und auch der Polizei und sogar der SA gab es immer wieder Beispiele von Sympathie oder gar Freund­schaft mit und Hilfsbereitschaft für Juden. So wurde der Synagogendiener Salo Glass noch einige Zeit vor der Kristallnacht von einem SA-Sturmführer zusammen mit SA- und SS-Leuten zu dessen 50. Geburtstag eingeladen. Leo Nehab betont, dass die Verhafteten nach der Kristallnacht im Frankfurter Gefängnis von den dort tätigen Beam­ten, meist älteren Leuten mit preußischer Tradition, freundlich behandelt wurden, ein absoluter Gegensatz zu dem schrecklichen Empfang in Sachsenhausen. Als Arnold Naftaniel Betrieb und Haus in der Dammvorstadt eingebüßt hatte, zur Zwangsarbeit rekrutiert war und seine beschränkten Lebensmittelrationen kaum noch zum Leben ausreichten, kamen seine früheren Arbeiter nachts in seine Wohnung und versorgten ihn.

Immer wieder berichten die Überlebenden von ihren Eltern, dass diese entschieden antizionistisch und meist deutschnational oder nationalliberal eingestellt waren. Die Väter waren stolz auf ihre Kriegsauszeichnungen und vertraten die Ansicht, die Judenhetze meine nicht sie, sondern nur die Ostjuden, und Hitler sei ohnehin nur eine Episode. Besonders tragisch ist die Schilderung von Ruth Naftaniel über ihre Eltern. Trotz aller schlimmen Erfahrungen, Berufsverbot, Hausenteignung, Plünderungen, Verhaftungen und Rekrutierung zu Zwangsarbeit fühlte sich ihr Vater noch immer als Deutscher, dem dies alles eigentlich nicht galt. Obwohl ihn seine Frau und seine bereits ausgewanderte Schwester beschworen, Deutschland sofort zu verlassen, weigerte er sich, bis es zu spät war. So zog er auch seine Frau mit ins Verderben.

In der Regel waren es die Frauen, die ihre Männer dazu bewogen, zunächst die Kinder in Sicherheit zu bringen und dann auch selbst endlich die Konsequenzen zu ziehen. Den jüdischen Familienvätern war der Zionismus und der Gedanke an eine jüdische Zukunft in Palästina 1933 weitgehend fremd. Auch die Frankfurter Rabbiner, Maybaum ebenso wie Cassell, standen dem Zionismus kritisch gegenüber und sahen die jüdische Zukunft weiterhin in der Diaspora. Immerhin haben Vertreter der jüdischen Gemeinde die Eltern schon früh zu überzeugen versucht, ihre Kinder ins Ausland zu schicken. Tatsächlich erkannten viele Familien schon 1933, spätestens nach den Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte am 1. April, dass es ratsam sei, ältere Kinder mit abgeschlossener Berufsausbildung nach Palästina zu schicken. So kam es schon 1933 zu einer ersten Auswanderungswelle, an der nicht nur die wenigen Zionisten beteiligt waren.

Zu den Zionisten der ersten Stunde gehörte der Rechtsanwalt Hirschberg vom Wilhelmsplatz. Er hatte sich 1919 in Frankfurt als Anwalt und Notar niedergelassen, gehörte der orthodoxen Synagoge an und besaß ein großes Villengrundstück mit Garten und Gärtner am Buschmühlenweg. Obwohl er als Kriegsversehrter des ersten Weltkriegs mit EK noch gewisse Rechte besaß, gab er bereits 1933 das Notariat auf, verkaufte sein Grundstück und wanderte bereits im August nach Palästina aus. Dort baute er sich ein neues Leben als Farmer in Pardes Hannah in der Scharon-Ebene zwischen Tel Aviv und Haifa auf.

Pardes Hannah ist eine typische Rothschild-Siedlung, 1929 gegründet. Pardes bedeutet Zitrusplantage, Hannah ist der Name einer Nichte des französischen Barons Edmond de Rothschild, dem großen Förderer der ersten Alijah (Einwanderungswelle) zwischen 1881 und 1896. Aufgrund der autoritären Führung durch französische Agrarexperten wurde das auch wegen seiner Monokulturen umstrittene Unternehmen um 1900 von der ICA, später PICA (Palestine Jewish Colonisation Association) übernommen. Sie kaufte Land in großem Rahmen und verkaufte es weiter an jüdische Siedler. Die von ihr gegründeten Siedlungen trugen oft Namen von Angehörigen der Rothschildfamilie. Hier erwarb Hirschberg bewässertes Land und verwandelte sich vom Rechtsanwalt in einen Plantagenbesitzer. Sein Sohn Michael Hirschberg, der 1933 in Frankfurt noch die Sexta des Friedrichsgymnasiums besucht hat, baute hier bis vor wenigen Jahren noch Avocados und Zitrusfrüchte an.

Diese Fälle der Emigration wurden durch "Kapitalisten-Zer­ti­fikate" ermöglicht, wobei der Einwanderer den Besitz eines Vorzeigegeldes in Höhe von 1000 Palästina-Pfund nachweisen musste. Von deutscher Seite wurde diese Form der Auswanderung durch das im August 1933 abgeschlossene Haavara-Abkommen zwischen der Jewish Agency, der zionistischen Vereinigung für Deutschland und dem Reichswirtschaftsministerium unterstützt4. Danach konnten die Auswanderer einen Großteil ihres Vermögens über Clearingstellen transferieren. Damals war die NS-Regie­rung vor allem an der Auswanderung der Juden interessiert, diese Politik wurde bis zum Kriegsbeginn verfolgt. Die transferierten Gelder wur­­den durch entsprechende Wareneinkäufe palästinensischer Importeure in Deutschland ausgeglichen. So wurde ebenso die deutsche Wirtschaft durch Exportlieferungen wie die Wirtschaft des Jischuw, der jüdischen Siedlung in Palästina, durch den Transfer beachtlicher Vermögen gefördert.

Für diejenigen, die keine Mittel besaßen, bestand die Möglichkeit der Auswanderung durch den Erwerb von Zertifikaten für Handwerker und Arbeiter. Dies erforderte den Nachweis entsprechender Ausbildung. Diese wurde wiederum vom Hechaluz, dem zionistischen Pionierverband durch den großzügigen Ausbau des Systems von Hachschara-Betrieben ermöglicht, in denen die jüdische Jugend in landwirtschaftlichen und handwerklichen Berufen ausgebildet wurde. Dass der größte Teil der jüdischen Jugendlichen (über 18 Jahren) aus Frankfurt durch Absolvierung der Hachschara noch vor Kriegsbeginn gerettet werden konnte, ist vor allem der Tätigkeit des deutsch-jüdischen Wanderbundes "Die Kameraden" bzw. dem aus ihnen hervorgegangenen zionistischen Jugendbund "Werkleute" und ihrem aus Frankfurt stammenden Leiter, Hermann Gerson zu verdanken5.

Die "Kameraden", später die "Werkleute" waren durch Gerson die Organisation, die in Frankfurt einen Großteil der jüdischen Jugend nicht nur auffing und organisierte, sondern auch aus der bürgerlich-natio­nal­deutschen Haltung ihrer Eltern löste und zum Judentum zurückführte. Jeden Sonntag ging es fort vom Elternhaus zur Fahrt, in der Woche fanden Heimabende statt. Die Werkleute gingen auch eifrig zum Hebräischunterricht, den in Frankfurt der Rabbiner Ignaz Maybaum erteilte. Anfangs ging es nur darum, innerhalb Deutschlands eine landwirtschaftliche Siedlung zu errichten. Erst 1933 wurde auf Gersons Initiative hin der Beschluss gefasst, nunmehr einen Kibbuz, also eine landwirtschaftliche Kollektivsiedlung, in Erez Israel, in Palästina selbst, zu gründen. Gerson wusste, dass die städtische Jugend nicht ohne vorherige Schulung ein solches Experiment wagen konnte. Deshalb wurde ein ganzes System geschaffen, um möglichst schnell die Jugendlichen auf ihre neuen Aufgaben vorzubereiten. Die vom Hechaluz bereits eingerichteten Hachschara-lager wurden nun auch von den Werkleuten in Anspruch genommen.

Durch diese Lager ist auch ein Teil der heute in Israel lebenden ehemaligen Frankfurter gegangen. Es waren Güter wie etwa das Rittergut des jüdischen Verlegers Schocken in Winkel bei Fürstenwalde oder Schniebinchen-Jessen bei Sommerfeld, wo die Jugendlichen meist halbtägig in der Landwirtschaft arbeiteten, um nachmittags und abends dann in Schulungskursen mit der hebräischen Sprache, Geographie Palästinas, jüdischer Geschichte und Religion vertraut gemacht zu werden. Vielfach leisteten die Jugendlichen auch bei Bauern der Umgebung schwere und schlecht bezahlte Arbeit. Neben den Lagern für landwirtschaftliche Ausbildung gab es auch die städtische Einrichtung des Beth Chaluz, des Pionierhauses. Dies waren Wohnungen, in denen die Jugendlichen ähnlich wie in den späteren Kommunen lebten, allerdings strikt nach Geschlechtern getrennt. Tagsüber gingen sie zur Ausbildung bzw. zur Arbeit, die Jungen meist in Handwerksbetriebe, die Mädchen in Kinder- und Säuglingsheime, Krankenhäuser oder Hauswirtschaftsschulen. Nach der Arbeit waren auch hier Unterrichtsstunden vorgesehen. Für den, der die strenge Disziplin und die Strapazen der Hachschara-Lager nicht ertragen konnte oder wollte, bot sich auch die Möglichkeit, in „Einzelhachschara“ bei einem Bauern oder Handwerker sich ausbilden zu lassen. So verließ etwa Eugen Berlowitz das Lager in Schniebinchen und ging nach Dänemark, wo er bei einem Bauern arbeitete, bis der drohende Zugriff der Gestapo ihn wie die meisten anderen in Dänemark befindlichen Juden in Schweden Zuflucht suchen ließ.

Gerson jedoch wollte nicht warten, bis alle „Werkleute“ durch die Hachscharalager geschult ausreisen konnten. Die ersten "Werkleute" waren 1933 schon bereit, sofort nach Palästina zu gehen. Gerson organisierte es, dass diese die Hachschara im Lande selbst in dort bereits bestehenden Kibbuzim absolvieren konnten. Er bestimmte im Übrigen, dass auch die in Deutschland Ausgebildeten erst in befreundeten Kibbuzim sich an die Bedingungen der Arbeit im Lande gewöhnen, vor allem auch lernen sollten, sich schon hebräisch zu verständigen, bevor die Gründung eines eigenen Kibbuz eingeleitet wurde. Zu den ersten Werkleuten, die mit der Jugend-Alijah schon im Oktober 1933 nach Palästina gingen, gehörte Ernst Nehab, Sohn des uns bereits bekannten Rechtsanwalts. In seinen Berichten schildert er anschaulich die schwie­rige Eingewöhnung in das Kibbuzleben.

Man muss sich in der Tat vorstellen, wie schwer es den oft verwöhnten Kindern großbürgerlicher Familien fiel, die zuhause an Kindermädchen, Köchin und Chauffeur gewöhnt waren, sich nun an das raue Leben, die schwere Arbeit und das ungewohnte Klima in Palästina anzupassen. Im Gegensatz zu den Ostjuden und anderen Gruppen von Einwanderern gab es in Palästina noch kein Netz von einheimischen deut­schen Juden, welches die Neuankömmlinge auffangen und mit den Gegebenheiten einigermaßen vertraut machen konnte. Bis 1933 hatten sich nur etwa 2000 deutsche Juden in Palästina niedergelassen, viel zu wenig, um den Scharen der Neuankömmlinge eine Stütze sein zu können.

Diese waren vielmehr auf die Ostjuden angewiesen, die den Stamm der Kibbuzniks, der Kibbuzgründer ausmachten. Sie sprachen jiddisch in verschiedenen Dialekten oder hebräisch, was die Deutschen entweder nur mit Mühe oder gar nicht verstanden. Schon von der Herkunft her war die Mentalität eine ganz andere, sie kamen aus dem städtischen oder ländlichem Proletariat Osteuropas und begegneten den bürgerlichen deutschen Juden zumeist mit Herablassung. Dass diese dennoch die schwere und ungewohnte Arbeit der Urbarmachung meist unkultivierten oder versumpften Landes unter unbeschreiblich schwierigen Bedingungen gemeistert und eine staunenswerte Aufbauarbeit geleistet haben, hat sie mit Recht stolz gemacht. Dies betrifft nicht nur die Männer, die jungen Frauen sahen sich den gleichen Anforderungen gegenüber.

Was hier geleistet wurde, erkennt jeder, der heute den von den "Werkleuten" 1936 gegründeten Kibbuz Hasorea im westlichen Jesreel-Tal südöstlich von Haifa besucht. Als die Werkleute hier ankamen, gab es keinen Baum, nur Steine, Geröll und Morast. Sechzig Jahre später ist eine parkähnliche Anlage mit hübschen Einfamilienhäusern, Schwimmbad und blitzsauberen Gemeinschaftshäusern entstanden. Der Stolz auf das Geleistete glich den nach herkömmlichen Maßstäben sozialen Abstieg der Einwanderer aus. Doch waren die Maßstäbe der israelischen Gesellschaft andere. Auch die Arbeiter, die Kibbuzniks, wahrten und wahren dort stets ein kulturelles Niveau, das Standesunterschiede einebnet.

Überraschend ist die Zahl der Frankfurter Juden, die nach ihrer Emigration außergewöhnliche Karrieren machten. Der Frankfurter Rechtsanwalt Heinrich Aronheim, mit der größten Kanzlei in Frankfurt, war Zionist und hatte schon früh ein Grundstück in Palästina erworben. Er nahm seinen ältesten Sohn, den vierzehnjährigen Hans Josef schon 1933 aus dem Friedrichsgymnasium und schickte ihn nach Palästina, wo er die Schule fortsetzen konnte. Während der arabischen Unruhen errictete dieser 1938 mit andern Studenten deutsch-jüdischer Herkunft eine Turm-und-Palisaden-Siedlung6, das Kibbuz Alonim in Westgaliläa. Diese Siedlungen wurden in einer Nacht aus Fertigteilen mit Wachtturm und Pallisade erbaut, um arabischen Angriffen oder englischen Maßnahmen zuvorzukommen. Hans besuchte dann die hebräische Universität in Jerusalem und wurde als Jochanan Aharoni ein berühmter Archäologe, Direktor des archäologischen Instituts der 1956 neu gegründeten Universität von Tel Aviv. Der zweitälteste Sohn, Hermann, ging zur englischen Armee und später zum Moschad, dem israelischen Geheimdienst. Nach 1960 wurde er als Zvi Aha­roni der Welt bekannt als derjenige, der nach früheren fehlgeschlagenen Versuchen Eichmann endlich aufspürte und nach Israel vor Gericht brachte. Heinrich Aronheim selbst sah Erez Israel nicht mehr, er starb 1937 an Krebs.

Viele junge Juden verließen freiwillig das Gymnasium, um ein Handwerk zu lernen, doch auch unter ihnen gab es beachtliche Fälle eines außergewöhnlichen Aufstiegs. So ging etwa der Sohn von Bettfedern-Neumann, Gerhard, schon 1933 mit dem Einjährigen, der Versetzung in die Obersekunda, vom Friedrichsgymnasium ab, um eine zweijährige Lehre als Automechaniker zu absolvieren. Wie Neumann beschreibt, waren diese Lehrjahre Grundlage seiner Karriere, die über die Wartung amerikanischer Kampfflugzeuge in Nationalchina zur Konstruktion von Strahltriebwerken führte. Welche Rolle deutsch-jüdische Emigranten bald in ihrer neuen Heimat spielen sollten, verdeutlicht auch der Lebenslauf des jungen Rechtsanwalts Hermann P. Gebhardt. Von Frankfurt aus gelangte er mit seiner Frau Margarethe nach Montevideo in Uruguay, wurde dort Journalist und erwarb bald Rechte am Rundfunk, wo er eine Sendung für deutsche Emigranten, die „Voz del día“, gründete und Jahrzehnte lang betrieb. Die während des Krieges und noch in der Nachkriegszeit blühende deutsche Theaterkultur in Südamerika trug ebenso wie seine Sendung entschieden dazu bei, den Emigranten die Eingliederung in die neue Heimat zu erleichtern.

Nach der Kristallnacht setzte eine neue Ausreisewelle ein, da viele bis dahin in Frankfurt Verbliebene jetzt erkannten, dass bei der wachsenden Brutalität der Nazis und dem seit der Annexion des Sudetenlandes drohenden Kriegsausbruch nur die Emigration noch Rettung versprach. Doch wurde es im letzten Vorkriegsjahr immer schwieriger und teurer, noch Visa zu erhalten. Der Schneidermeister Wollmann musste sein großes Mietshaus seinem Nachbarn, einem bekannten SA-Sturm­führer, gegen die Garantie überschreiben, mit seiner Familie nach Palästina ausreisen zu dürfen. Außer den Einreisesperren beschnitt auch die zunehmende Verarmung der Juden fast alle Möglichkeiten, ein Visum zu bekommen. Schließlich organisierte der Leiter des Judenreferats im Reichssicherheitshauptamt, Adolf Eichmann, in Verbindung mit der zionistischen Organisation im Rahmen der sogenannten Alijah Beth auf der Donauroute illegale Transporte nach Palästina. Gleichzeitig mit den Transporten verbreiteten deutsche und italienische Rundfunksender die Nachricht, dass auf britische Einladung hin Schiffe voll mit Juden kämen, um die Araber aus Palästina zu vertreiben. Die Engländer waren fest entschlossen, den Einwanderern den Zutritt zu verwehren, schon weil sie die Einschleusung von Spionen fürchteten. Für die Transporte wurden alte Flussdampfer und Seelenverkäufer, meist mit griechischen Kapitänen gechartert, die dann von Wien aus die Donau abwärts über Rumänien und den Bosporus nach Palästina fuhren. Mit einem dieser Transporte konnte Salo Glass mit seiner Frau noch nach Kriegsbeginn Ende 1939 nach Palästina gelangen. Doch verliefen diese Transporte nicht immer so glimpflich.

Ruth Naftaniel schildert anschaulich die dreimonatelange qualvolle Fahrt, auf der zuletzt auch die Bettgestelle zum Feuern verheizt wurden und die Nahrungsmittel ausgingen. Als zwei der kaum noch seetüchtigen Schiffe schließlich vor Haifa anlangten, wurden sie von den Engländern gestoppt und die Insassen, 1700 Menschen, auf den Truppentransporter "Patria" umgeladen, der sie in Internierungslager nach Mauritius bringen sollte. Die jüdische Verteidigungsorganisation der Haganah wollte dies um jeden Preis vereiteln und ließ am Schiff eine Sprengladung anbringen. Die Detonation war jedoch so stark, dass das Schiff sank, bevor alle Passagiere das Schiff verlassen konnten, etwa 260 Flüchtlinge ertranken. Ein schlimmeres Schicksal ereilte den Dampfer „Struma“. Mit 769 jüdischen Flüchtlingen an Bord wurde ihm vor Istanbul die Weiterfahrt und den Insassen auch die Landung verweigert. Am 24. Februar 1942 wurde das Schiff dann nahe der Bosporusmündung von einem sowjetischen U-Boot torpediert7, nur ein Passagier überlebte die Katastrophe.

Im November 1941 wurde durch Erlass die weitere Auswanderung von Juden verboten, die "Endlösung" kündigte sich an. Dennoch war es in Einzelfällen durch Bestechung auch später noch möglich, aus Deutschland herauszukommen. Den Eltern von Eva Gumpert gelang durch Einsatz des gesamten Ver­mögens noch 1942 die Ausreise nach Kuba. Sie waren wohl die letz­­ten, die aus Frankfurt noch in die Freiheit gelangen konnten.

Auch für zahlreiche andere Juden aus Frankfurt war das Ziel der Ausreise nicht Palästina, sondern ein anderes westliches Land, vorzugsweise Nord-, aber auch Mittel- und Südamerika. Dies war auch bedingt durch die zunehmende Abschließung der westlichen Länder gegen die jüdische Einwanderung. Bekannt ist die Irrfahrt der "St. Louis" mit 937 Juden, denen überall die Landung verweigert wurde. Eine ähnliche Odyssee, allerdings mit glücklicherem Ausgang, findet sich im Bericht der damals 8-jährigen Lilo Holzheim über ihre Dampferfahrt nach Brasilien. Von der tödlichen Gefahr, welche die trotz Visum verweigerte Aufnahme durch den Diktator Vargas heraufbeschwor, ahnte das Kind nichts.

In den von Deutschland inzwischen besetzten Gebieten waren die Juden, die sich zunächst gerettet glaubten, erneut höchster Lebensgefahr ausgesetzt. In Holland war auch der Frankfurter Jachin Simon wieder in den Machtbereich der Gestapo gelangt. Nach der deutschen Besetzung betreute er vor allem die in Holland verbliebenen Kinder und Jugendlichen und wurde schließlich damit beauftragt, Fluchtwege für sie zu organisieren. Da Frankreich und die Schweiz jüdische Flüchtlinge an Deutschland auslieferten, leitete er die Transporte nach Spanien. Auf einem dieser Wege verhaftete ihn die holländische Polizei. Um der Auslieferung an die Gestapo zuvorzukommen, wo er womöglich unter der Folter Mitstreiter hätte verraten können, nahm er sich am 23. Januar 1943 im Gefängnis das Leben.

Mehr Glück hatten die Flüchtlinge in Dänemark, insgesamt etwa 1500. Dänemark hatte in großzügiger Weise jungen deutschen Juden schon in den 30er Jahren Arbeitsstellen bei Bauern angeboten. Von dieser Möglichkeit machten auch mehrere Frankfurter Ge­brauch. So ging schon 1935 Susi Pincus mit anderen Jungen und Mädchen nach Dänemark auf "Einzelhachschara". Zu Kriegsbeginn befanden sich von den Frankfurtern noch die Söhne von Arnold Naftaniel und Max Berlowitz in Däne­mark. Dort lebten damals etwa 8000 Juden. Als im Oktober 1943 auch die dänischen Juden deportiert werden sollten, gelang es dank gezielter Warnung von deutscher Seite der dänischen Widerstandsbewegung in einer Nacht-und-Nebel-Aktion, mit Fischerbooten 7200 Juden zu retten. Nur etwa 500 konnten noch verhaftet werden. Auch diese wurden aufgrund der energischen Proteste von dänischer und schwedischer Seite schließlich geschont. Zu den mit Fischerbooten Geretteten gehörten auch Herbert Naftaniel und Eugen Ber­lowitz aus Frankfurt.

Inzwischen erfüllte sich auch das Schicksal der letzten noch in Frankfurt verbliebenen Juden. Einige jüdische Frauen aus dem Altersheim, die in den ersten Kriegsjahren starben, wurden noch im Kriege auf dem jüdischen Friedhof in der Dammvorstadt beigesetzt. Der nichtjüdische Friedhofsgärtner Billerbeck beerdigte die Toten nach jüdischem Ritual mit den entsprechenden Gebeten, die er als langjähriger Augen- und Ohrenzeuge beherrschte. Die letzten "Volljuden", die nicht durch "arische" Ehepartner geschützt waren, wurden in zwei Transporten, im August 1942 24, im Juni 1943 noch 3 Personen, nach Theresienstadt deportiert. Von diesen sind nur zwei zurückgekehrt.

Damit rundet sich das Schicksal der Frankfurter Juden in der NS-­Zeit zu einer Geschichte von extremen Tiefen und Höhen mensch­lichen Verhaltens. Superlative nutzen sich hier rasch ab. Jeder Schritt, den ich in Israel oder London in die Häuser der einst Verfolgten tat, führte zu Begegnungen mit tüchtigen und erfolg­reichen Menschen, die sich aus dieser so unendlich entwürdigenden und erniedrigenden Situation Wege in eine neue Zukunft gebahnt haben. Mit Menschen, die sich nicht in Hass verzehrten, sondern dem Besucher aus dem Land, das ihnen so Schlimmes angetan hat, in der Regel mit freundlicher Offenheit begegneten.

Letztlich haben sie auch für die gesprochen, die nicht mehr reden können, von denen nicht einmal Gräber geblieben sind. Ich möchte dieses Vorkapitel nicht schließen, ohne auch an diese oft alten und hilflosen oder auch ganz jungen Menschen zu erinnern, denen der Ausweg verschlossen blieb. Angesichts dieses Geschehens ist alles Gerede von „Wiedergutmachung“ oder „Verzeihung“ ebenso hohles Geschwätz wie die Forderung nach einem "Schlussstrich". Das Geschehene kann nicht wieder gut gemacht, den Schuldigen kann kein Leben­der verzeihen. Wenn wir eines tun können, so dies, die Schicksale nie in Vergessenheit geraten zu lassen. Diese Verpflichtung gilt auch für die Generationen derer, die persönlich keine Schuld auf sich geladen haben.

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