Kitabı oku: «Aus dem Dunkel», sayfa 4

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Anders war es bei der Gestapo, wohin ich einmal, mitten aus der Ge­schichtsstun­de her­aus, abge­holt wurde - zum Entsetzen mei­ner Mit­schüle­rin­nen. Man brachte mich in einen großen kahlen Raum. Dort traf ich eine Reihe von Bekannten, alles ältere Herren, die irgendwelche öffentli­chen Ämter in der jüdischen Gemeinde beklei­deten. Wir mussten uns alle mit dem Gesicht zur Wand stellen, sehr lange, ohne dass et­was geschah. Ich sah, wie dem alten Herrn neben mir die Knie zitte­rten und sein Körper hin und her zu schwanken begann. Irgendwan­n fing eine Stimme hinter uns zu schreien an, zu toben, zu fluche­n, zu drohen. Ich verstand nichts, war nur beschäftigt mit der Fra­ge, ob ich den alten Herrn auffangen sollte, wenn er umfiel, oder feige an der Wand stehen bleiben würde. Aber irgendwann war alles zu Ende. Wir durften den Raum ver­las­sen, vorbei an dem Schrei­er, der unseren Auszug mit bösen Au­gen verfolgte. Kei­ner hatte Hand an mich gelegt, aber der Ton, den man mir ge­genüber an­schlug, das unsin­nige Ge­schimp­fe, Gebrüll und die offe­ne Dro­hung, das Thea­ter, das man in­szenier­te, hätte mich trotz aller Nai­vität damals schon leh­ren müssen, was sich da vorbe­rei­tete. Doch ich erzählte nie­mandem ein Ster­bens­wört­chen.

Als auch mein Vater endlich erkannte, dass sein Glaube an das "gu­te" Deutschland verfehlt war, wandte er seine ganze geistige und seelische Kraft der neuen Heimat zu, dem Land Israel. Wenn er etwas tat, tat er es ganz. Er erweiterte seine hebräi­schen Sprach­kenntnisse, las die Bibel mit Hilfe der Buber-Übersetzung, versuchte sich an neuhebräischen Schrift­stellern und Dich­tern wie A­gnon und Bialik, be­schäftigte sich mit Geografie und Geschichte von Palästina und ver­tief­te sich in die Briefe von Freun­den und Verwandten, die von den Schwierig­keiten erzählten und den Bemühungen, mit ihnen fertig zu wer­den. Be­trüblich an der neuen Orien­tierung war nur, dass sie zu spät kam. Infolge der gespannten Lage hatten die britischen Be­hörden die Ein­wan­de­rungs­poli­tik geändert. Es gab nur noch eine begrenzte Zahl von Zertifikaten, hauptsächlich für Jugend­liche und für Kapita­listen. Meinen Eltern aber war es aber unmöglich, nach fünf Jahren Hitlerregierung noch die verlangten 1ooo Pfund aufzubrin­gen.

Im Spät­som­mer 1938 erhielt ich jedoch aus Berlin ein Auswan­de­rungs­zer­ti­fi­kat für die Jugend-Alijah. In der Jüdi­schen Rund­schau für Kin­der war eine Ge­schi­chte von mir ge­druckt wor­den, dafür gab mir die Jugendhilfe ein Sti­pendi­um für das Kin­der­dorf ­Be­n She­men, das für drei Jahre galt. Ich war da­mals drei­zehn Jahre alt. Als meine Mutter mich bei dem Direk­tor des Lyzeums abmelde­te, sah er sie un­gläubig an: "Sie wollen doch nicht sagen, dass Sie ein drei­zehnjähriges Kind ohne Eltern in die weite Welt schicken?" "Was schlagen Sie denn vor, Herr Direktor?" fragte meine Mutter. Der Direktor schwieg.

­Am letzten Schultag vor dem Ab­schied kam meine Freundin Ingeborg auf mich zu und sagte: "Ich wün­sche dir viel Glück, aber glau­be mir, es ist gut, dass du uns verlässt. Denn die Kluft, die uns voneinander trennt, ist wohl doch nicht zu überbrücken". "Ja, da wirst du wohl rech­t haben", ant­wortete ich. Am Tag, bevor ich Frank­furt für im­mer, wie ich glaub­te, ver­ließ, an einem der letz­ten Sep­tem­ber­ta­ge, nahm ich mit mei­ne­m Bru­der auf einem Spa­zier­gang durch die An­lagen Ab­schied. In Frankfurt war damals schon niemand mehr von meinen früheren Freun­den. Alle waren entweder schon ausge­wandert oder zeitweilig nach Berlin gezogen.

Zunächst fuhr auch ich nur nach Berlin. Ich meldete mich bei der Ju­gend­hil­fe in der Mei­ne­ke-Stra­ße. Die­ser Kom­plex beher­berg­te alle mög­li­chen zio­ni­sti­schen In­stitu­tio­nen. Zunächst wurden wir auf einem Gut unweit von Berlin auf unsere neue Zukunft in Palästina vorberei­tet. Wir arbeiteten in Haus, Garten und Feld, lernten Hebräisch, sangen und tanzten palästinensi­sche Volkstän­ze und diskutierten das Blaue vom Himmel herunter. Als das Lager zu Ende war, enthüllte man uns, dass für uns fünfzig Kinder nur 25 Zertifikate bereit lagen. Die Leiter des Lagers, junge Leute von 21, 22 Jahren, mussten entscheiden, wer fuhr und wer blieb. Zu ihrem Glück wussten sie damals nicht, dass sie über Tod oder Leben zu beschließen hatten. ­N­ach­her ging alles sehr schnell. Jetzt war ich die­je­ni­ge, die am Anhalter Bahn­hof im Zuge saß, und die an­dern stan­den unten am Fenster. Mein Bruder Alfred rei­ste einen Monat später aus, er bekam ein Studen­ten­zer­tifi­kat für die Mu­sik­schu­le in Jeru­sa­lem, die damals ge­gründet worden war. Gleich nach sei­ner Ab­fahrt kam die "Kri­stall­nacht".

Ich fuhr auf dem Schiff zusammen mit der verwitweten Frau Aron­heim und deren beiden jüngeren Söhnen Hermann und Peter nach Palästina. Als knapp Vier­zehn­jäh­rige kam ich in ein neues Land - kein frem­des, denn ich hatte ihm schon jahre­lang entgegen­ge­träumt. Dennoch war alles anders, das Licht, die Far­ben, Gerü­che, Stim­men, Ge­sichter, man aß andere Speisen, kleidete sich anders, las ande­re Bücher. Bäume und Blumen hatten keine Namen, und die neue Sprache reichte trotz der jah­relan­gen Studien nur für gerade das Allernötig­ste. Ich stand vor der Fra­ge, ob ich, um die­ses Neue und Fremde mir anzueignen, all das biss­chen Wissen, das ich von meinem ersten Zuhause mitgebracht habe, hin­ter mich werfen, es verges­sen, mit der Vergangen­heit bre­chen muss.

An den er­sten Tag im neuen Land er­inne­re ich mich noch ganz ge­nau. Am Abend unserer Ankunft gab es Schieße­reien, das Land war unru­hig, die Fahrt vom Hafen zum Jugend­dorf Ben Schemen leg­ten wir in einem ge­panzer­ten Wagen zu­rück. Einige der jüngeren Lehrer waren gegen Angrei­fer ausgezo­gen, wir lagen mit unseren neuen Gefährten im Dunkeln auf dem Fußboden und zit­terten um ihre Si­cherheit. Aber als uns die Kin­der am Morgen den Hügel herauf zum wöchentli­chen Schabbat­­konzert führten, war davon nichts mehr zu spüren. Die große Essba­racke, in der das Kon­zert stattfand, war vollgestopft mit jugend­lichen Zuhörern. Die beiden Musikleh­rer des Dor­fes spielten Violinsonaten von Mozart und Beet­ho­ven, ein Mädchenchor sang Duette von Mendels­sohn mit hebräi­schem Text und Lieder der Dichterin Rachel, die wir schon kann­ten. An diesem Morgen muss ich wohl glücklich gewe­sen sein, weil Mozart und Beet­hoven für die Gebor­genheit und das Zuhause Sein standen, und weil sie so schön und richtig klan­gen auf dem Hügel im neuen Land, und weil sich die hebräischen Worte so schön ein­fügten in die Melo­dien von Mendelssohn, und weil all das eine feste Brücke bildete zu den zurückgebliebenen Eltern und dem Land der Ge­burt, und weil sich plötzlich heraus­stell­te, dass etwas neu begin­nen kann und zugleich auch weiterge­hen, ohne Bruch.

Unser Vater wurde in der Kristallnacht mit vielen anderen ver­haf­tet und kam nach Sach­sen­hau­sen. Da­mals hieß es, wer ein Ein­reise­visum für irgend­ein Land ­vor­wei­sen kann, wird entlas­sen. Zu die­ser Zeit woll­ten sie die Juden nur los wer­den, noch nicht um­brin­gen. Aber wie an ein Zertifikat kommen, das für die Einreise in Palä­stina ­erforderlich war? Ei­ne Schwe­ster unse­rer Mut­ter, Lucy Nel­ken, Frau eines ange­sehe­nen Arztes hier in Jerusa­lem, im Grunde eine sehr schüch­ter­ne, zurück­hal­ten­de Frau, ist damals von Haus zu Haus gepil­gert, um von allen Bekannten, Freunden und Patienten ihres Mannes Geld zu er­bit­ten. So hat sie tat­säch­lich die erforderlichen 1000 Pfund zu­sam­men­gebet­telt. Was sie das geko­stet haben muss, kann man sich gar­ nicht vor­stel­len.

Nun war das Pro­blem, wie man dieses Geld sicher nach Deutsch­land brin­gen konnte, denn meine Mutter musste der britischen Botschaft einen Bankbe­leg vorweisen. Wir hatten eine Ver­wandte, eine Cousine zweiten Grades meiner Mutter, die Tochter des sephar­dischen ­Chief Rab­bi von London, Irene Gaster. Sie hat sich in Isra­el für geist­esschwache Kin­der enga­giert und Heime und eine Gesell­schaft für behinderte Kinder, Akim, gegrün­det. Sie kam als eng­li­sche Staats­bürgerin mit dem Geld nach Deutsch­land. Tat­säch­lich erhielt meine Mutter dann das letzte Zer­tifikat, das da­mals aus­gege­ben wurde. Sie stand in der Reihe vor der Visumaus­ga­be, und gerade als sie dran war, ging der Schal­ter zu. Sie war völlig ver­zwei­felt und prote­stier­te so ener­gisch, dass sie schließ­lich das Zerti­fikat doch noch bekam. Später wur­den keine Zer­ti­fikate mehr aus­gegeben.

­Auf­grund dieses Zerti­fi­kats wurde ­dann mein Vater freigelassen. Im März 1939 kamen die Eltern nach Palästina. Mein Bruder und ich durften sie im Hafen von Tel Aviv in Emp­fang nehmen. Der neue Hafen war wegen der arabi­schen Unruhen in aller Hast instandgesetzt und ausge­baut worden. Mein Vater kam völ­lig verändert ins Land, ein gebrochener Mann. Er hatte schon im Lager einen Parkinson-Anfall bekommen, vor­her war er kerngesund gewesen. Er konnte hier auch zunächst nicht mehr praktizie­ren. Als er nach längerer Zeit doch die Lizenz be­kam, war er bereits zu krank und wurde immer kränker. Mei­ne Eltern hatten es sehr schwer. Wir waren auch zu jung, um ihnen hel­fen zu können.

In Ben Shemen gab es ein Kinder- und ein Jugenddorf, geleitet von dem berühmten Erzieher Dr. Sieg­fried Lehmann, einer großen Persönlichkeit. Wir hat­ten auch sonst die be­sten Lehrer, einer von ihnen wurde später einer der berühm­testen israelischen Schriftsteller. Wir hatten auch Orches­ter und Chöre, es war ein Kulturpa­radies. Mit dem Jugenddorf war auch eine landwirtschaftliche Schule ver­bunden. Ich wollte aber schrecklich gern weiter auf das Gymnasium gehen, und so wurde mir schließlich das dritte Jahr von Ben Shemen ausbe­zahlt, damit ich in Jeru­salem ein Gymnasium besuchen konnte.

Ich erhielt dann noch ein Stipendium, das mir den weite­ren ­Be­such des Gymnasiums ermöglichte. Das war schon wäh­rend des Krie­ges. Für mich war es eine große Sache, denn das Gymna­sium zu besuchen war sonst bei den Neuein­wande­rern nicht üb­lich. Die an­dern Kinder stammten aus eta­blierten Familien. Ich mach­te auch immer die Schul­ar­bei­ten, wäh­rend die an­dern Schüler fau­lenz­ten. Aber sie hatten Ver­ständ­nis dafür, dass bei mir die Dinge anders lagen. Nach drei Jahren, 1943, habe ich das Ab­itur abge­legt. An­schlie­ßend lebte ich ein Jahr in dem Kib­buz Dorot in der Negev, öst­lich von Gaza. Das war ein jun­ger Kibbuz, damals erst ein Jahr alt. ­Dann ging ich an die Uni­ver­sität in Jeru­sa­lem, studierte Ju­dai­stik und jüdische Geschichte. Ich hatte dort berühmte Leh­rer, Baer, Al­lon, Dinur. Ich habe auch hebräi­sche Literatur ge­hört und schließ­lich an einem Kurs für engli­sche Litera­tur teilge­nommen. Den hielt ein Pro­fes­sor Isaacs, der ei­gens aus Lon­don kam. Die ganze Universität wollte zu ihm, er nahm aber nur zwölf Schü­ler, ich war da­bei - ein ganz großes Privileg.

Das Studium habe ich jedoch nicht beendet. Kurz vor dem Ab­schluss wurde ich nach Zypern geschickt, wo die großen Lager für die inter­nierten Immi­granten waren, welche die Engländer nicht ins Land lie­ßen. Vor allem Dinur schickte seine Schüler nach Zy­pern. Die Je­wish Agency küm­mer­te sich um die Inter­nierten und gab Geld für deren Ausbil­dung. Wir haben dort ein Seminar für Jugend­liche aufge­baut, die die Schule ver­lassen und nichts zu tun hatten. Es gab ein Som­mer- und ein Win­ter­la­ger. Es war eine gute Sa­che, die Schüler waren vor­bild­lich, sie sogen jedes Wort auf.

Auf Zypern habe ich gehei­ra­tet. Mein Mann, David Brodski, war aus Polen am Anfang des Krieges über Russland und Japan nach Ame­rika geflüchtet. Er wurde dann ame­ri­ka­ni­scher Sol­dat und bekam bei der Ent­las­sung eine Geld­summe von der Armee. Für Sol­daten, die stu­die­ren wol­lten, gab es die GI-Bill, monat­lich eine reich­liche Summe für das Stu­dium. Er stu­dierte in Jeru­salem, ging jedoch dann wie ich nach Zypern, und dort haben wir uns kennen gelernt.

Ich erinne­re mich noch an die Nacht, als der Staat Israel ausge­rufen wurde. Als ich von Zypern zu­rück­kam, war schon der Be­frei­ungs­krieg im Gange. Ich ging nicht mehr an die Uni­ver­sität, sondern auf die Musikaka­demie. Musik zu studie­ren war mein ei­gentlicher Wunsch. Auch mein Bruder war Musi­ker. Musik war ein wichtiger Bestandteil unserer Jugend­zeit gewe­sen, sie steht für das, was uns das Land unserer Ge­burt nicht nehmen konnte, als es uns verstieß, dahin, wo wir hingehö­ren, und wohin wir ohne den Druck der Verfolgung wahrscheinli­ch nie ge­langt wären.

Ich habe dann ­l­ange Zeit in der Mu­sik­ab­tei­lung am is­rae­li­schen Rund­funk gear­beitet. Ich wurde durch Serien über Komponi­sten be­kannt, die mit Schau­spie­lern und Musi­kern gestaltet wurde. Eine ganze Gene­ration hat ihre musika­lische Bil­dung aus die­sen Pro­gram­men bezo­gen. Ich habe mich dann 1986 frühzei­tig pen­sio­nie­ren las­sen. Ich wollte mich noch meinen literarischen Interessen widmen, einige Bücher schreiben. Jahrelang habe ich dann an einer Rilke-Bio­gra­phie gear­beitet, mit Gedichten und Briefen. Etwas Derarti­ges gab es in Ivrit, in Neuhebräisch, über­haupt nicht. Dann habe ich noch eine Anthologie deutscher Lieder her­ausge­geben, Texte in Ivrit zu der entsprechenden Musik. 1994 er­hielt ich in Weimar vom Goethe-Institut eine Me­dail­le für meine Aktivitäten auf dem Gebiet des literarischen und künst­lerischen Kulturaustausches zwischen Deutschland und Israel. Jetzt (1995) ar­beite ich an der Bio­gra­phie eines is­raeli­schen Kom­poni­sten, der auch aus dem Ge­biet von Posen stammt.

Bericht von Eldad (Alfred) Neumark, London, 23.6.1996.

Ich wurde 14 Tage nach der Ankunft meiner Eltern in Frankfurt geboren. Seit Ostern 1930 besuchte ich das Friedrichs­gym­nasium und hatte dort auch nach der Machtergreifung keine besonderen Schwierigkeiten mit Mitschülern. Das Problem war nach 1933 ganz allgemein, sich als Jude auf der Straße zu bewegen. Vor allem im ersten Jahr nach der Machtübernahme zogen dauernd Abteilungen der SA oder Hitler­jugend mit Fahnen die Straßen entlang. Wenn man die Hand nicht zum Hitlergruß hob, war das gefähr­lich, wenn man es aber tat und dann stellte sich heraus, dass man Jude war, war es noch gefährlicher.

Im Friedrichsgymnasiums hatte ich nur einmal ein unschönes Erlebnis. Während des Potsdamer Tages am 21. März war ein großer Fackelzug der gesamten Frankfurter Jugend geplant. Auch die Schüler des Friedrichs­gymnasiums sollten geschlossen daran teilnehmen. Meine Eltern waren damals noch verwirrter als viele andere und schickten mich mit. Ich marschierte also mit den andern mit einer Fackel. Natürlich wussten viele, wer ich war, und meine Hintermänner verpassten mir dauernd Fußtritte. Ich war völlig konfus.

Damals, mit zwölf Jahren, verstand ich nicht, warum ich an der deutschen Erhebung keinen Anteil haben sollte. Was hatte mein Judentum damit zu tun? Die Eltern konnten mir nicht helfen, sie waren selbst ratlos. Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich durch die Jugendbewegung der "Werkleute" all-mählich meine jüdische Identität fand und verstand, dass ich ein anderer war. Ich begriff auch, dass dieses Anderssein keineswegs etwas Negatives war, dass ich im Gegenteil auf mein Jüdischsein stolz sein konnte.

Die Schule selbst vertrat keine anti­semi­tische oder prosemitische Haltung. Sie war sozusagen neutral. Es hing völlig von den einzelnen Lehrern ab. Ich erinnere mich gut an unsern Klas­sen­lehrer Dr. Schmidt, der zu sagen pflegte: "Ihr HJ-Jungen arbei­tet alle nicht, ihr geht raus, marschiert, schwenkt Fahnen. Was soll aus dem armen Deutschland werden, wenn nur die Juden hier arbeiten, denn das sind die einzigen, die noch etwas tun!" Zu uns war er jedenfalls sehr nett. Es gab nur zwei Juden in der Klasse, Herbert Cohn und mich. Ein Mitschüler und hoher HJ-Führer, Wolf, hat die Klas­se gewarnt, mir auch nur ein Haar zu krümmen. Erst später habe ich erfahren, dass seine Schwester und Ada gute Freundinnen waren.

Trotzdem spürte auch ich immer deutlicher, dass ich isoliert war, dass der kamerad­schaftliche Umgang innerhalb der Klasse mich ausschloss. Wir gingen mit zu allerhand Veranstaltungen, Wandertagen, besuchten Manöver der Wehrmacht, aber wir gehörten nicht wirklich mehr dazu. Unsere Eltern pflegten ihre verschiedenen Interessen. Der Vater liebte die Berge, die Mutter das Meer. So fuhr mein Vater in den Ferien ins Gebir­ge, meine Mutter mit uns an die See, und der Vater kam dann vielleicht noch für eine Woche zu uns. Er liebte Bäume und Blumen, kannte sie alle. Die Mutter war sehr musikalisch, sie fuhr jede Woche nach Berlin zum Gesangsunterricht. Auch ich fuhr nach Berlin zu Klavierstunden. In Berlin lebten auch meine Großeltern. Bei unsern Besu­chen dort wohnten wir bei ihnen.

Mit der Übersiedlung unserer Eltern nach Berlin bin ich 1936 an die jüdi­sche Schule im Siegmundshof übergewechselt. Die Schule war sehr fromm. Wir Schüler, die von deutschen Gymnasien kamen, waren das nicht. Die Lehrer versuchten zunächst, auch aus uns fromme Juden zu machen. Wir mussten täglich Talmud und Rabbinerschriften lernen. Irgendwann haben die Lehrer aufgegeben. Im Übrigen war es eine ausgezeichnete Schule. Die Nazis hatten damals die Oberprima abgeschafft, weil sie Soldaten für die Wehrmacht brauchten, und so habe ich mit 17 Jahren 1938 dort noch regulär das Abitur abgelegt. Die Prüfung wurde unter Aufsicht einer vom Kultus­ministe­rium entsandten Kommission vorgenommen. Das Abitur war völlig in Ordnung, die Anforderungen entsprachen denen deutscher Gymnasien.

Die "Kameraden" haben mir unendlich viel bedeutet. Gerson muss eine faszi­nierende Persönlichkeit gewesen sein. Er versuchte, aus den Werkleuten eine liberal-religiöse Gemeinschaft zu machen. Im Harz, im Riesen­gebirge wurden Lager veranstaltet, jeweils eine Woche, am Vormittag Wandern oder Ski­fahren, am Nachmittag Vorträge und Seminare. ­Wir hat­ten Win­ter- und Som­mer­lager mit Bi­bel- und Bub­er-Studien, aber auch Jack London und Rosa Luxemburg wurden gelesen. Die Hälf­te haben wir nicht ver­stan­den. Wir soll­ten uns da auch mit Mäd­chen treffen, aber nur, um über Kunst, Reli­gion, Juden­tum zu disku­tie­ren. Es gab einen sozialistischen Trend, ande­rer­seits war auch noch der Einfluss der Wander­vogel­bewegung spür­bar. Es verging kein Mo­nat, ohne dass man am Lager­feuer am Frei­tagabend den "Kor­nett" von Rilke zu hören bekam. Später allerdings, im Kibbuz, brauchte man keine Philosophen mehr.

Bis Oktober 1938 war ich noch in Berlin. Dort war das Leben bis zur Kri­stall­nacht noch er­träg­lich. Ich konnte noch in Konzerte und die Oper gehen, mich stun­den­lang anstellen, ohne belästigt zu werden. Das war alles spä­ter nicht mehr möglich. Nach dem Abitur in­ter­es­sier­te mich nur noch, ob ich in Israel Musik studieren konnte, ob der Kibbuz das zuließ. Man sagte mir, dass ich erst einmal eine Hachschara ma­chen und dann in einen Kibbuz gehen müsste. Nach ein paar Jahren würde man dann sehen, ob man mich Musik studie­ren ließe. Das hat mich nicht begeistert.

Ich bewarb mich nun um ein Stipendium für das Jerusalemer Kon­servatori­um, das Palestine Music Conservatory, das Emil Hauser 1933 gegründet hatte. Heute ist es die Israel Aca­demy of Music. Hauser bekam jedes Jahr 30-40 Zer­ti­fi­ka­te von der britischen Mandatsregierung für Stu­denten und prüfte die Be­wer­­ber in Ber­lin. Ich hatte das Glück, die Prüfung zu bestehen, und konnte im Oktober 1938 ausreisen. Unsere Eltern kamen erst An­fang 1939. Unser Vater war krank, er bekam auch jahre­lang keine Er­laub­nis, als Arzt zu arbeiten, denn es gab in Palästina einen Numerus clau­sus für Ärzte. Ich habe drei Jahre am Konservatorium Klavier und Flöte studiert und er­hielt 1941 mein Abschlusszeug­nis. 1949 hei­ratete ich eine Französin, die ich in Tel Aviv kennen gelernt hatte.

Bit 1980 gehörte ich dem Israel Phil­harmo­nic Orchestra an, dann ging ich in Pension. Ich habe viel Kammermusik gemacht, etwa Barockmusik, in Quar­tetts und Trios mitgespielt. Neben Klavier und Flöte spiele ich auch Cembalo. Nach der Pensionierung gin­gen wir nach Pa­ris, wo die Mut­ter mei­ner Frau pfle­ge­be­dürf­tig war. Wir lebten wechsel­weise in Paris und in Tel Aviv. ­Mei­ne Frau hatte den Krieg in Frank­reich er­lebt, teil­weise in Pa­ris, teil­weise in Südfrank­reich. Ihr Vater kam aus Indien, und die Eltern hatten sich getrennt, als der Vater dorthin zu­rück­keh­ren wollte.

Nach dem Tod meiner Schwie­germutter vor etwa 10 Jahren sind wir nach Eng­land gezogen. Meine Frau arbeitet als englisch-französi­sche Dol­metscherin. Ich habe hier viele Freunde und gebe gelegent­lich auch noch Kon­zerte. Ich fühle mich aber als Israeli und bin in Israel zu Hause. Wir verbringen jedes Jahr zwei bis drei Monate in Tel Aviv. Ich lese Hebräisch und Eng­lisch, aber wenn ich die Wahl habe, lese ich lieber und besser Deutsch.

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