Kitabı oku: «13 Jahre», sayfa 7

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Edis Verhaftung

In der Nacht zum 14. September war Edi Szilagyi daheim verhaftet worden. Er wusste zu diesem Zeitpunkt bereits vom spurlosen Verschwinden Andreas’ und ebenso, dass Fredi und ich uns „vorläufig“ abgesetzt hatten. Dass wir allerdings zu diesem Zeitpunkt schon zusammen mit Dietmar, Harry und Franzi verhaftet waren, wusste er noch nicht. Vor dem Haus hielt ein Kleinlaster, eine Gruppe junge Männer sprangen ab, stürmten durch das Tor in den Hof und in das Haus. Edi wurde auf der Stelle verhaftet. Es erfolgte eine recht oberflächliche Hausdurchsuchung, bei welcher anfangs nicht einmal Edis bescheidene Schusswaffe gefunden wurde, obwohl sie in dem neben der Eingangstür hängenden Trenchcoat steckte. Einer der Häscher hatte das Kleidungsstück zwar abgetastet, die Pistole jedoch übersehen. Erst nach Ende der Durchsuchung und nach der ausdrücklichen Aufforderung durch den anwesenden Offizier, etwaige Waffen herauszurücken, wies Edi auf den bereits gefilzten Trenchcoat und meinte, er habe dort noch eine „Spielzeugpistole“ stecken. Das Erstaunen und der Ärger des Unteroffiziers, der den Mantel so oberflächlich abgetastet hatte, war groß, als im Nachfassen die Waffe noch auftauchte. Edi bekam Handschellen angelegt, musste sich im Lkw auf den Boden setzen und der Wagen fuhr los, während zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Soldaten ihn nicht aus den Augen ließen. Der Wagen rollte durch die Fabrikstadt und, wie Edi bald erkannte, in die Stefan-cel-Mare-Straße, wo er vor dem Haus Nr. 50 hielt. Sie suchten Herbert. Er war zu Hause und wartete eigentlich auf Anweisungen, ebenfalls ohne zu ahnen, dass mehrere von uns schon verhaftet waren. Zuletzt hatte er mich am Mittwoch gesehen, als ich ihm die beiden zu versteckenden Pakete übergeben hatte. Besonders eines der Pakete, welches unter anderem Anleitungen zum Fertigen pyrotechnischen Materials und Richtlinien für die Durchführung geheimer Einsätze enthielt, war brisant. Auch die Wohnung der Familie Winkler wurde durchsucht, jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Später, als sich Herbert in einer der Zellen der Securitate wiederfand, stellte er fest, dass er in einem Teil der ehemaligen Waschküche seiner Tante Luise (Rieger) einquartiert war.

Während der folgenden Verhöre gab Herbert zu, meiner Anweisung entsprechend ein Paket versteckt zu haben. Er wurde – gut gesichert – an den von ihm genannten Ort, ein damals noch unbebautes Gelände in der Verlängerung der Cermena-Straße, gefahren, wo die Securisten das pyrotechnische Material ausgruben. Das zweite Paket mit den Dokumenten „vergaß“ Herbert, und das war gut so. Auch mir wurden die aufgefundenen Gegenstände gezeigt, und ich musste den Aufbau und die verwendeten Stoffe der von uns gefertigten Rauchpatronen und Brandsätze einem mir bis dahin unbekannten Leutnant genau erklären. Nach seinen Fragen zu urteilen, muss es ein Fachmann, vermutlich ein Pionier gewesen sein. Nachdem er schon mit unseren Brandsätzen experimentiert hatte, kam er, um noch weitere Einzelheiten über den Aufbau der von uns gefertigten Kampfmittel zu erfahren. Er schien dabei von unserem Erfindergeist beeindruckt zu sein. Auf meine Frage, wie die Brandsätze funktioniert hätten, meinte er: „Zu gut für euch Banditen.“

Ein Kapitel für sich war die Herkunft der verschiedenen Waffen, die als mein Eigentum erklärt waren. So hatte ich Harry bei unseren geheimen Besprechungen in den ersten Tagen nach unserer Festnahme versprochen, den Harington-Revolver auf mich zu nehmen. Als ich nach der Herkunft dieser Waffe und auch der Frommer-Baby befragt wurde, erklärte ich einfach, dass ich beide Waffen 1946 oder 1947 von einem unbekannten Mann gekauft hätte. Zuerst wollte man mir diese Erklärung nicht abnehmen, da ich aber trotz Drohungen und einiger Ohrfeigen dabei blieb, konnte ich Neda mehr oder weniger überzeugen, und er ließ mich fortan mit dieser Sache in Ruhe. Nach der Herkunft des Derringer gefragt gab ich ohne Umschweife zu, dass er ebenfalls mir gehörte und dass ich ihn schon seit der Kriegszeit besessen hatte. Der jüngere Bruder meiner Mutter hatte ihn mir einmal überlassen, weil er kaputt war, und es gelang mir später, als ich schon Schlossereikenntnisse hatte, ihn wieder instand zu setzen.

Einmal, als ich bereits im Zimmer Leutnant Nedas auf diesen wartete, erschien der junge Unterleutnant Tiberiu Simand, den ich noch als Kollegen aus der Gewerbeschule kannte und von dem ich nun erfuhr, dass er zwischenzeitlich Offizier der Securitate geworden war. Er sprach mich freundlich an und gab mir sogar die Hand, wobei er mir sagte: „Ich habe gehört, dass du hier bei uns bist. Was hast du dir vorgestellt, als du solche Dummheiten getan hast? Dachtest du, dass wir dich nicht erwischen? Es tut mir leid, dich hier zu sehen. Sicher wirst du deine verdiente Strafe bekommen. Wie viel, weiß ich nicht, aber es wird viel sein.“

In der Folgezeit war ich auch noch einige Male bei „Goldzahn“, welcher immer wieder die früheren Verhörprotokolle durchging, ohne jedoch Wesentliches zu finden. Über diesen Offizier habe ich, solange ich bei der Securitate war, nichts erfahren, weder seinen Namen noch dass er Deutscher war. Erst später erfuhr ich durch meine Kameraden, dass er, Martin Schnellbach, sich – obwohl illegales KP-Mitglied – zur Waffen-SS gemeldet hatte, dort jedoch schon bald fahnenflüchtig geworden und ins Banat zurückgekehrt war. Er tauchte unter und schloss sich einer Gruppe kommunistisch eingestellter Ungarn und Rumänen an, die den ersten Partisanenverband in den Banater Bergen bildeten und schon bald Sabotage- und Kampfeinsätze gegen das rumänische Militär und die Polizei durchführten. Nach der Machtergreifung der Kommunisten wurde er Securitate-Offizier und brachte es bis zum Generalmajor. Jahrzehnte später, als Rentner, wollte er sich in der Bundesrepublik niederlassen, wogegen der Schriftsteller Hans Bergel mit Erfolg protestierte und seine Ausweisung erwirkte.

Etwa Anfang November öffnete eines Abends der Unteroffizier vom Dienst meine Zellentür und teilte mir mit, dass ein weiterer Häftling in meine Zelle käme, der ein wenig „feucht“ sei. Ich solle auf ihn achten und, falls er versuchen sollte, Selbstmord zu begehen, ihn daran hindern und an die Tür um Hilfe klopfen. Seine Mitteilung überraschte mich dermaßen, dass ich vorerst sprachlos blieb. Gleich darauf brachte er den Mann. Dieser war etwa von meiner Statur. Ich schätzte sein Alter auf ungefähr 40 Jahre, seine athletische Figur verriet die Kraft und Härte eines Bauern. Ich reichte ihm die Hand und nannte meinen Namen, worauf er jedoch nicht antwortete. Bekleidet war er mit einer Drillichhose, Hemd und einer alten Jacke. Seine Jacke stand offen und so konnte ich sehen, dass sein Hemd vorne an der Brust von frischem Blut durchtränkt war. Nachdem er anfangs noch stumm und teilnahmslos auf dem freien, unteren Bett der Zelle gesessen hatte, brach er sein Schweigen und stellte sich als Milan Disics vor, ein serbischer Kleinbauer, der wegen illegalen Waffenbesitzes verhaftet worden war. Man hatte ihn beim Verhör schlimm misshandelt. Ich fragte ihn, ob das Blut an seinem Hemd von diesen Misshandlungen stamme? Er verneinte und sagte mir, dass man ihn hauptsächlich auf die Fußsohlen und das Gesäß geschlagen hätte, wollte ansonsten aber nicht näher auf meine Frage eingehen. Erst später, ich war schon halb eingeschlafen, stand er plötzlich vor mir und erklärte, dass er diese dummen Schweine, er meinte damit die Securisten, doch reingelegt habe! Dabei zeigte er grinsend in Richtung seines Herzens. „Ich werde ihnen ein Schnippchen schlagen. Wenn sie mich noch einmal prügeln, werde ich mich selbst töten.“ Dabei öffnete er sein über und über mit geronnenem Blut getränktes Hemd und wies auf seine linke Brustseite. Bei dem schlechten Licht in der Zelle konnte ich vorerst außer Blut nichts erkennen und sah erst beim näheren Hinschauen etwas aus der Wunde herausragen. Er griff hin und zog mit triumphierendem Blick ein etwa sieben Zentimeter langes Stück Draht heraus. „Ich habe diesen Draht geklaut und zugespitzt. Mit ihm habe ich mich einige Mal in die Brust gestochen. Es hat sehr geblutet, aber ich habe mein Herz nicht getroffen, deshalb bin ich noch am Leben. Ich möchte den Draht weiter aufheben, nur fürchte ich, dass die Securisten ihn bei mir finden und ihn mir wegnehmen.“ Ob ich den Draht für ihn verbergen könnte, wollte er wissen. Seine Schilderung hatte mir buchstäblich den Atem verschlagen, denn ich hatte mir nie vorstellen können, dass jemand mit einem Draht tief in der eigenen Brust herumzustochern imstande wäre. Ich war erschüttert. Den Draht nahm ich und versteckte ihn in meinem Strohsack. In der folgenden Nacht, es muss schon spät gewesen sein, wachte ich plötzlich auf, als Disics neben meinem Bett stand, mich an der Gurgel gepackt hatte und zu würgen begann. Dabei schrie er: „Du Deutscher, gib mir meinen Draht wieder!“ Ich wähnte mich in höchster Lebensgefahr. Glücklicherweise konnte ich in dem oberen Bett die Beine anziehen und ihn wegstoßen. Als ich wieder Luft bekam, schrie ich laut um Hilfe und sprang von meinem Bett. Auch er brüllte irgendetwas und versuchte hochzukommen, während bereits der Unteroffizier vom Dienst die Zellentür mit Getöse öffnete. Nachdem ich den Vorfall geschildert hatte, ergriffen zwei ebenfalls herbeigeeilte Unteroffiziere den Serben, der sich jetzt ganz ruhig verhielt, und führten ihn weg. Ich war gar nicht unglücklich, wieder allein in meiner Zelle zu sein. Disic sah ich erst fast zwei Jahr später in der Fabrik der Haftanstalt Gherla wieder.

Ein Verhör bei Leutnant Neda drehte sich um die Frage, wie oft ich an den in der Milleniumskirche von den Pfarrern Emmerich Vormittag und Dr. Josef Fodor organisierten Jugendgottesdiensten teilgenommen hatte. Ich verneinte jegliche Kenntnis oder Teilnahme an Versammlungen in der genannten Kirche, auch leugnete ich, die genannten Priester Fodor und Vormittag zu kennen. Dr. Fodor kannte ich tatsächlich nicht, weil weder meine Eltern noch ich in die Kirche in der Fabrikstadt zu gehen pflegten. Herrn Vormittag kannte ich noch von der Banatia-Schule her, dort unterrichteten er und die Herren Nischbach und Hauptmann Religion. Ich hatte keine Ahnung, dass zu diesem Zeitpunkt Pfarrer Hauptmann ebenso wie die anderen drei mit weiteren Priestern, Ordensfrauen und unserem Bischof verurteilt einsaßen. Neda wollte mir nicht abnehmen, dass ich von diesen Versammlungen nichts gewusst hätte. Er überraschte mich sogar mit der Mitteilung, dass mein Freund Emil K. behauptet habe, ich sei dabei gewesen. Ich leugnete nicht, K. zu kennen, er war sowohl in der Banatia als auch in der Gewerbeschule mein Kollege, Freunde waren wir jedoch nie gewesen, und nach der Gewerbeschule hatte ich ihn auch nicht mehr gesehen. Bei dieser Aussage blieb ich dann auch trotz der angedrohten Schläge. Später, nach meiner Haftentlassung, erfuhr ich erst, dass aus Emil K. ein strammer Parteigenosse geworden war, der als Chef aller Juwelierläden der Stadt beste Beziehungen zur Securitate unterhielt und dem – unter den damaligen Umständen eine Sensation – sogar gestattet war, Waffensammler zu sein.

Der Grund für die Fragen nach meinen Verbindungen zu den Priestern erschloss sich mir erst Tage später, als ich in eine größere Zelle mit drei Betten verlegt wurde, in welcher ich noch zwei Häftlinge vorfand, einen jungen Mann etwa in meinem Alter und einen älteren Herrn. Mit Herrn Dr. Josef Waltner, dem älteren Herrn, bahnte sich recht schnell ein intensives Gespräch an, zumal er den Laden meiner Familie in der Mercy-Gasse gut kannte. Unser Gespräch wurde am Anfang kurz unterbrochen, als der Unteroffizier in die Zelle stürmte und den jungen Mann schimpfend hinauszerrte. Ich bekam noch so viel mit, dass er dem jungen Mann vorwarf, verschwiegen zu haben, dass er mich nicht treffen dürfe. Dieser Blödsinn war mal wieder typisch. Schließlich konnte der Beschuldigte bestimmt nichts dafür, dass man mich in diese Zelle gebracht hatte. Abgesehen davon kannten wird uns überhaupt nicht. Über diesen Vorfall habe ich später mit Dr. Waltner noch herzlich gelacht. Von ihm erfuhr ich jedenfalls, dass der Bischof Augustin Pacha zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden war. Der Prozess hatte im November 1951 stattgefunden. Er, Dr. Waltner, war mit 18 Jahren Zwangsarbeit bedacht worden. Mich bestürzte die Höhe der Strafe, und als ich ihm meinen Fall geschildert hatte, antwortete er auf meine Frage nach der von mir zu erwartenden Haft, dass ich mit einer ähnlich hohen Strafe rechnen müsse, dass es aber auch noch mehr werden könnte. Jedoch keine Todesstrafe, denn ich sei jung und stark, also würde man mich zur Arbeit einsetzen. In den drei bis vier Tagen, die wir gemeinsam in der Zelle waren, sprachen wir viel miteinander. Er riet mir, niemandem Geheimnisse anzuvertrauen und nur das zu sagen, was ich schon beim Verhör zugegeben hatte. Dieser wertvolle Rat leuchtete mir ein und ich hielt mich daran.

Ein oder zwei Tage darauf wurde ich mit der üblichen Blechbrille auf den Augen in die ehemalige Waschküche des Hauses geführt, wo ein Kerl in gestreifter Sträflingskleidung auf mich wartete. An dem Haarschneider in seiner Hand erkannte ich, worum es ging. Meine Haare und mein Bart waren seit meiner Festnahme noch nicht geschnitten worden und zwischenzeitlich total verfilzt. Der Häftling mit seiner pockennarbigen Visage sah genauso aus wie ein typischer Schwerverbrecher im Kriminalfilm oder besser noch, wie dessen Karikatur. Er sprach natürlich kein Wort mit mir. Es war alles andere als ein Vergnügen, als er meine verfilzte Haarpracht schnitt und dabei vom dabeistehenden Feldwebel zur Eile angetrieben wurde. Auch meinen Bart kürzte er zuerst mit der Maschine, was noch relativ erträglich war, aber das nachfolgende „Rasieren“ mit einem stumpfen Messer war eine einzige Schinderei. Das alles geschah für den „Fototermin“, welcher gleich im Anschluss stattfand. In einer größeren Zelle gab es einen Stuhl und einen Tisch, auf dem unsere Waffen, Sprengstoffe, Munition und Brandsätze lagen. Der Fotograf – einer der offiziellen Sportfotografen, der auch mich bei zahlreichen Wettkämpfen geknipst hatte – machte ein überraschtes Gesicht, als er mich erkannte. Es wurden dann neben den üblichen Karteiaufnahmen von vorne und aus dem Profil noch weitere Bilder von mir mit meinen Waffen in der Hand oder neben dem Tisch mit dem Sprengstoff und der Munition stehend gemacht.

In den letzten Wochen des Jahres wurde ich kaum mehr zu Vernehmungen geführt. Auch der bullige Feldwebel, der mich früher öfter schikaniert und geschlagen hatte, verhielt sich auffallend anständig, trieb mich nicht mehr so oft an und schrie und fluchte auch nicht grundlos wie früher. Ich hatte meine Zeitrechnung mit viel Mühe aufrechterhalten. Mein Vorbild war diesbezüglich Edmond Dantès, der Graf von Monte Christo, der trotz seines langjährigen Aufenthaltes in der Festung Château d’If mithilfe in die Wand geritzter Kalender nie die Zeitrechnung verloren hatte.

Dann kam der erste Weihnachtstag, der bis zum Abend sehr ruhig verlief. Spät am Abend holte mich der Feldwebel, er hatte Nachtschicht, aus der Zelle, führte mich ohne Blechbrille in den Waschraum und forderte mich auf, den Dielenfußboden des ganzen Korridors sauber zu machen. Die Arbeit dauerte etwa zwei Stunden, und als ich fertig war, sagte er, ich könne auch meine Wäsche gründlich waschen, ich bräuchte mich nicht zu beeilen. Als ich meine Utensilien in den Waschraum brachte, fand ich zu meiner großen Freude auf dem dort stehenden Stuhl ein großes Stück Hefeteigkuchen, dass mir offensichtlich der Feldwebel hier als Weihnachtsgeschenk zurückgelassen hatte. Ich griff sofort zu, verschlang auf der Stelle ein Stück des Kuchens und nahm den Rest, in meinen Rock eingewickelt, mit in die Zelle.

Gleich zu Neujahr, welches – der Musik und dem Krach nach zu urteilen – auch von den Securisten ausgiebig gefeiert wurde, kam ich für wenige Tage in eine Einzelzelle, die direkt an der Loga-Straße lag. Durch ein schachtartiges Fenster erreichten mich sogar die Geräusche der anliegenden Straße, und ich konnte morgens die Schritte der vorbeieilenden Menschen vernehmen. Vom gegenüberliegenden Loga-Lyzeum hörte ich das Pausenläuten und das Geschrei der Kinder wie einen Klang aus einer fernen Welt.

Miodrag

Etwa am 5. oder 6. Januar wurde ich innerhalb desselben Gebäudetraktes wieder verlegt. Die neue Zelle war etwa zwei Meter lang und hatte zwei übereinanderliegende Betten, neben welchen es einen etwa 80 Zentimeter breiten Freiraum gab, den man nutzen konnte, um sich die Füße zu vertreten. Ein festes Eisengitter und ein Drahtnetz bedeckten das Fenster. Diese Zelle – das war eine ganz neue Erfahrung – wurde sogar ein wenig beheizt. Mein Zellengenosse war 23 Jahre alt, brünett, schlank, etwas kleiner als ich und stellte sich als Miodrag Vucsetici, ein Serbe aus der jugoslawischen Stadt Niš, vor. Er war ehemaliger Berufssoldat, hatte davor seit seinem vierzehnten Lebensjahr bei den Partisanen gekämpft und war während seiner Dienstzeit beim Militär vom Nachrichtendienst als Agent rekrutiert worden. Als guter Schwimmer wurde er zu Kurierdiensten über die Donau zwischen Jugoslawien und Rumänien eingesetzt, wozu er auch die rumänische Sprache in einem Intensivkurs erlernt hatte. Im Jahre 1950 hatte er mehrmals die Donau überquert und dabei den in Rumänien operierenden jugoslawischen Agenten Befehle übermittelt oder deren Berichte nach Jugoslawien zurückbefördert. Bereits am Tag unserer Zusammenlegung ließ mich „Goldzahn“ rufen und teilte mir mit, dass mein neuer Zellengenosse selbstmordgefährdet sei und ich daher ein wachsames Auge auf ihn haben solle. Er sagte mir, dass Vucsetici schon einmal die Scherben eines Trinkglases verschluckt habe, um sich umzubringen, und nur durch eine Notoperation gerettet worden sei.

Ich verstand mich mit Miodrag ganz gut, zumal es in unserer Lage ohnehin töricht gewesen wäre, in Feindschaft zu leben. Auf den Selbstmordversuch habe ich ihn nie angesprochen, konnte jedoch beim Duschen seine Operationsnarbe deutlich erkennen. Uns war klar, dass uns noch Schweres bevorstand und auch unsere Hinrichtung nicht ausgeschlossen war, wovon er auch gelegentlich sprach. In der neuen Zelle bekam ich – obwohl Nichtraucher – täglich drei Zigaretten Marke Regale-RMS und, was mich mehr freute, das viel bessere Essen, nämlich die Schonkost, die Miodrag wegen seiner Magenoperation zugedacht war und in deren Genuss ich nun auch kam. Was mich aber am allermeisten freute, war die nunmehr von vormals täglich 250 auf 400 Gramm erhöhte Brotration. „Goldzahn“ meinte einmal, ich hätte diese Vergünstigung zwar nicht verdient, denn ich sei nach wie vor „unaufrichtig“, aber er hätte sich trotzdem beim Kommandanten zu meinen Gunsten ausgesprochen und ich müsse daher weiterhin wachsam bleiben und einen neuen Suizidversuch Miodrags verhindern. Dieser freilich machte keineswegs den Eindruck eines Lebensmüden, sondern sprach im Gegenteil oft von seiner Furcht, zum Tode verurteilt zu werden. Ich versuchte, ihm diese Angst mit dem Argument auszureden, dass die seit 1948 bestehende Spannung zwischen den beiden Ländern nicht mehr lange andauern dürfte und es nach einer Phase der Entspannung sicher zu einem Agentenaustausch kommen würde. Allerdings war ich bei dieser optimistischen Einschätzung nicht ganz ehrlich, denn eigentlich vermutete ich – wie viele andere Zeitgenossen auch –, dass ein großer Ost-West-Konflikt in naher Zukunft unvermeidlich wäre, eine Überzeugung die uns ja auch bei der Gründung unserer Organisation geleitet hatte. Miodrag meinte dazu – und hatte recht –, dass der Streit eigentlich nicht zwischen Rumänien und Jugoslawien, sondern zwischen Moskau und Belgrad bestand und dass die Hauptakteure Stalin und Tito seien.

Im Zusammenhang mit der damals regen Agententätigkeit zwischen den beiden Staaten stellte sich später heraus, dass zum Beispiel auch die in Temeschburg tätigen Securitate-Offiziere Sava Bugarski und Vidosa Nedici (Vida), beide Serben aus dem rumänischen Banat und zu unserer Zeit berüchtigte Verhöroffiziere, Agenten des jugoslawischen Geheimdienstes waren. Zumindest Bugarski landete 1954 nach seiner Entlarvung im Gefängnis von Piteşti, wo damals neben vielen Hochverrätern und Spionen verschiedener Nationalitäten auch etwa 50 bis 60 Serben einsaßen. Unser Kamerad Herbert Winkler durchlebte als deutscher Staatsbürger ebenfalls eine mehrmonatige schwere Zeit unter lauter Serben in Piteşti und war dabei den täglichen Schikanen und Morddrohungen seiner Mitgefangenen ausgesetzt. Seine Lage besserte sich erst nach dem Genfer Treffen im Sommer 1955 zwischen Eisenhower (USA), Bulganin (UdSSR), Eden (Großbritannien) und Faure (Frankreich), infolge dessen sich unter anderem die Lage zwischen Rumänien und Jugoslawien entspannte und alle Tito-Spione aus der Haft entlassen wurden. Übrigens erwähnt Ion Ioanid in seinem Buch „Închisoarea noastră cea de toate zilele“ („Unser tägliches Gefängnis“) viele der 1954 in Piteşti inhaftierten Serben namentlich, jedoch nicht Miodrag Vucsetici. Da auch Herbert sich nicht erinnert, diesen Namen je gehört zu haben, könnte es tatsächlich sein, dass mein Zellengenosse von den rumänischen Behörden später liquidiert wurde.

Es war schon in der zweiten Februarhälfte, als ich eines Vormittags wieder zum Verhör hinaufgeführt wurde. Schon etwa sechs Wochen davor hatte man mir mitgeteilt, dass unser Untersuchungsverfahren abgeschlossen sei und man uns nunmehr dem Gericht überstellen werde. Gleich nach meiner Ankunft trat ein Oberleutnant in den Raum, der zu meiner Überraschung sogar seinen Namen nannte, den ich allerdings nicht klar verstehen konnte. Er meinte, er habe gerade etwas Zeit und wolle mich daher kennenlernen, bevor ich mit meinen Kameraden (er sagte wirklich „Camarazi“) vor Gericht gestellt und verurteilt würde. Dann erkundigte er sich nach meinen Eltern, nach unseren Vermögensverhältnissen, der Schule und dem Sport. Was den Sport anging, machte er mir heftige Vorwürfe mit der Begründung, es gäbe im sozialistischen Rumänien für einen so hervorragenden Sportler wie mich doch beste Bedingungen und Chancen, um die ich mich nun leichtfertig gebracht hätte. Ob ich es nicht bereue, meine zehn Kameraden verführt und ins Unglück gestürzt zu haben, wollte er wissen, worauf ich antwortete, dass es sich meiner Meinung nach nicht um eine Verführung, sondern um den freiwilligen Zusammenschluss Gleichgesinnter gehandelt habe. Er gab zu, dass dies möglich sei, dass aber dennoch ich und die „faschistische“ Erziehung in der Lehranstalt Banatia die Hauptschuld trügen. In den uns bevorstehenden langen Gefängnisjahren hätten wir noch genügend Gelegenheit, festzustellen, dass wir einer falschen Ideologie gedient hatten und dass das einzig Richtige der Kommunismus unter der Führung des großen Stalin sei. Der Kapitalismus mit den US-Amerikanern an seiner Spitze müsse zwar noch ausgeschaltet werden, dozierte er, doch bedürfe es hierzu keines Krieges, denn die Volksmassen in den USA und in Westeuropa würden den Wandel zum Sozialismus selbst erkämpfen. Am Schluss seiner Ausführungen, die ich mir schweigend anhören musste, erkundigte er sich noch nach Miodrag und ermahnte mich, ihm Mut zuzusprechen und auf jeden Fall zu verhindern, dass er einen Fehler – also Selbstmord – begehe. An seinem Verbrechen, bemerkte er, trüge nicht das jugoslawische Volk Schuld, sondern vielmehr die von den USA gestützte Clique Tito/Ranković.

Nach diesem langen Gespräch – ich schätze, es hatte zwei Stunden gedauert – wurde ich in meine Zelle zurückgeführt. Diese sonderbare Begegnung und das Verhör, das eigentlich keines war, beschäftigten mich noch eine ganze Weile, und ich erzählte auch Miodrag davon. Zwei Tage später wurde ich zu einem weiteren kurzen Verhör diesmal zu „Goldzahn“ geführt, wobei sich mir Sinn und Ziel der Fragen erneut nicht recht erschlossen; als ich jedoch in meine Zelle zurückkam, war Miodrag verschwunden und ich sah ihn nie wieder.

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