Kitabı oku: «Krähen über Niflungenland», sayfa 2
»Was für eine Waffe!«, hauchte Gislher.
Hagen war den anderen gefolgt, nachdem er die Übungsschwerter eingesammelt und sein Wolfsfell umgelegt hatte, das ihn als Auserwählten kennzeichnete, als Krieger des Kampfbundes im Zeichen des Wolfes. Er trug es nicht aus Eitelkeit, sondern als Mahnung an sich selbst. Es gehörte zu seinem Leben vor König Aldrian, zu einem Leben, an das er nur mit Schaudern zurückdachte. Der Pelz erinnerte ihn beständig daran, wie nahe er daran gewesen war, ein Neiding zu werden, und dass seine Dankesschuld an die Niflungen nicht hoch genug anzusetzen war.
Scheu deutete Sigfrid auf das Fell. »Ihr habt Wodans Kampfekstase über Euch kommen lassen?«
Hagen nickte gleichgültig.
»Wenige haben den Mut dazu. Ich würde fürchten, mich in der Großen Dunkelheit zu verirren und den Weg zurück nicht mehr zu finden. Habt Ihr Euer Auge in einem Berserkerkampf verloren? Oder hat das etwas mit Eurer albischen Vergangenheit zu tun?«
Die Niflungen erstarrten zu Salzsäulen. Sie konnten nicht fassen, dass jemand die Kühnheit besaß, Hagen direkt nach einer so intimen Sache zu fragen. Selbst Eckewart, der die unbekümmerte Art seines Herrn gewohnt war, zuckte zusammen.
Hagens erster Impuls war, zum Schwert zu greifen, aber er bezähmte sein heißes Blut und zwang sich zur Ruhe. Sigfrid war Gunters Gast. Außerdem hatte keine Verachtung in den Worten des Sachsen gelegen. Er war einfach ein dummer Junge, der den Mund aufmachte, ohne nachzudenken. »Das geht Euch nichts an«, erwiderte der Waffenmeister schroff.
»Habe ich Euch beleidigt? Tut mir leid. Vermutlich seid Ihr der Meinung, man sollte meinen vorlauten Mund stopfen.« Sigfrid lachte. »Mein Vater würde Euch zustimmen. Ich glaube, dies war auch sein größter Wunsch.«
Selbst auf einen Mann wirkte sein Lachen entwaffnend. Verblüfft entdeckten die Niflungen, wie Hagen, der grimmige, unzugängliche Hagen, mit einem zögernden Lächeln antwortete, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete wie Wellen in einem Teich.
2.
Aufgeregt stand Grimhild inmitten eines Haufens verschiedenfarbiger Gewänder und konnte sich für keines davon entscheiden. Beim heutigen Festmahl zu Ehren der Gäste durfte sie, der Tradition der Walküren in Wodans Halle folgend, Wein und Bier reichen und die Krieger bedienen. So etwas kam allzu selten vor, sie begrüßte die Unterbrechung der alltäglichen Langeweile. Selbst die Unfreien freuten sich trotz der zusätzlichen Arbeit, denn Gäste brachten Abwechslung und für gewöhnlich auch interessante Neuigkeiten. Besonders gespannt war Grimhild auf den Mann, dessen Taten so oft von den Skopen besungen wurden. Ob Jungherr Sigfrid der Vorstellung entsprach, die sie sich von ihm machte?
Irmgard, eine Hermionin, in deren Adern noch cheruskisches Blut floss, half ihr wie gewöhnlich beim Ankleiden. Sie war ein blässliches, farbloses Mädchen, aber Grimhild schätzte sie wegen ihrer Zuverlässigkeit und weil sie sich niemals von ihrer Aufgeregtheit anstecken ließ. In der Regel schaffte es Irmgard, sie während der Ankleideprozedur so weit zu beruhigen, dass sie anschließend den Eindruck von Gelassenheit vermitteln konnte.
Endlich hatte Grimhild ihre Wahl getroffen und schlüpfte in ein blaues, durch einen kostbaren Gürtel zusammengehaltenes Leinengewand, dessen Ärmel mit Goldstickereien verziert waren. Zwei silberne Ohrringe, an denen Goldkapseln mit roten und weißen Glaseinlagen hingen, und zwei mit Ornamenten versehene Armringe vervollständigten ihren Schmuck. Sie verzichtete darauf, ihr Haar zu einer kunstvollen Frisur aufzustecken, es zeigte größere Wirkung, wenn sie es auf natürliche Weise herabfallen ließ. Allerdings hieß sie Irmgard, einige farbige Bänder hineinzuwinden.
Prüfend drehte sie sich einmal um sich selbst. In den Augen ihrer Dienerin fand sie die Bestätigung, die sie suchte, und setzte sich befriedigt auf eine Bank, um sich zu färben. Irmgard, die die Vorlieben ihrer Herrin kannte, hatte bereits verschiedene Pulver vorbereitet. Wie gewöhnlich zog Grimhild ihre blonden Brauen mit Stibium nach und betonte auch die Wimpern mit dem schwarzen Pulver. Dann legte sie geriebenen Rötel auf die Wangen. Die Lippen färbte sie meist mit Heidelbeersaft, heute jedoch entschied sie sich für den roten Farbstoff aus der gemahlenen Wurzel des Krapps. Er schmeckte abscheulich. Grimhild verzog das Gesicht und ging zu einer Ablage. Unter Salbentöpfen aus Alabaster und Terrakottafläschchen mit Duftstoffen fand sie, was sie suchte. Dezent betupfte sie Hals und Ohren mit Rosenöl.
Zum Abschluss öffnete sie eine kleine Flasche, die den Saft der Tollkirsche enthielt. In geringen Dosen bewirkte er eine Erweiterung der Pupillen und erweckte so den Eindruck weiblicher Unschuld. Irmgard runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Vorsichtig träufelte sich Grimhild ein paar Tropfen der Tinktur in die Augen. Nach einer Weile stellte sich die bekannte Verminderung der Sehschärfe ein. Grimhild blinzelte ein paarmal, bis sie sich an die Wirkung gewöhnt hatte, dann war sie bereit.
Lärm und Gelächter erfüllten die Große Halle. In aller Eile hatten Unfreie den Saal mit Blumen geschmückt und den Fußboden gesäubert, um das herrliche Mosaik besser zur Geltung kommen zu lassen. Die Feiernden saßen auf den Langbänken, abgestuften Erhöhungen entlang der Wände. In der Mitte der nördlichen Langbank befand sich der Hochsitz für den Herrn der Burg, groß genug für zwei Personen. Sollte Gunter sich einmal verheiraten, würde seine Frau mit ihm dort sitzen. Die beiden Gäste durften rechts des Niflungenkönigs Platz nehmen.
Sigfrid, der die kargen Holzhäuser seiner Heimat gewohnt war, bewunderte die kostbaren Wandteppiche und Vorhänge. Auch das Licht in der Halle wurde nicht etwa von gewöhnlichen Kienspänen gespendet, sondern von teuren Talgkerzen und Tonlampen mit in Olivenöl schwimmenden Flachs- und Hanfdochten. Der Sachse hielt es für eine Verschwendung, Lebensmittel für Beleuchtungszwecke zu verwenden, aber er musste zugeben, dass die Lampen eine angenehme Atmosphäre verbreiteten. Das Unglaublichste jedoch war sein stechal. Es war nicht etwa ein gewöhnliches Rinderhorn, sondern bestand aus silberbeschlagenem Glas. Sigfrid hatte Scheu, aus einem solchen Kunstwerk zu trinken.
Das Essen wurde hereingebracht. In aller Eile hatte man an Leckereien zusammengetragen, was sich auftreiben ließ: Wildschweinlenden und Saueuter, gefüllte Gänseeier und Honigkuchen. Dazwischen wurden Schalen mit Quitten, Äpfeln und Pistazien gereicht. Geräuschvoll machten sich die Anwesenden über die Köstlichkeiten her.
Grimhild betrat die Halle mit einer Amphore Wein, und sogleich wandten sich ihr zahllose Augenpaare zu. Die schöne Fränkin bot aber auch einen erfreulichen Anblick und weckte in einem Mann den Wunsch, ihr gefällig zu sein, für keine andere Belohnung als ein Lächeln von ihren Lippen. Nun ja, der eine oder andere mochte eine größere Gunst im Sinn haben. Sie bemerkte es kaum, die Bewunderung der Krieger war für sie ein alltäglicher Vorgang.
»Ah, meine Schwester Grimhild!«, stellte Gunter sie vor.
Die Gäste begrüßten sie ehrerbietig.
»Ich wusste nicht, dass die Franken einen Schatz haben, gegen den der Hort des Stillen Volkes verblasst«, erwiderte Sigfrid höflich.
Grimhild verfluchte die Wirkung der Tollkirsche. Sie erkannte kaum mehr als einen konturlosen, von einem blonden Haarkranz umgebenen Fleck, dabei hätte sie gar zu gern gewusst, wie der Sachse aussah! Jede Regel des Anstands vergessend, beugte sie sich vor, um ihn besser betrachten zu können. Aus dem verschwommenen Fleck tauchte ein herzliches Lachen auf.
»Ihr seht mich an wie eine Walküre, die sich ihr Opfer erwählt.«
Über dem Lachen entdeckte Grimhild jetzt zwei verträumte blaue Augen, in die sie sich unwillkürlich hineingesogen fühlte.
Plötzlich wurde ihr bewusst, wie unhöflich sie war. Mit einem raschen Blick schätzte sie die Entfernung zu den Trinkhörnern, die die Sachsen ihr hinhielten, lenkte die Männer mit ihrem süßesten Lächeln von ihren Händen ab und hoffte, dass sie beim Einschenken nichts verschüttete.
Pflichtschuldig goss Eckewart etwas Wein auf den Boden als Trankopfer für den Hausgeist, ehe er sich selbst einen Schluck gestattete. Das Schicksal meinte es gut mit ihm! Der Tisch bog sich unter der Last der Gerichte, es herrschte eine ausgelassene Stimmung, wie er sie in den Diensten seines neuen Herrn allzu lange entbehren musste, und darüber hinaus zeigten sich hübsche Mädchen bestrebt, die Trinkhörner nicht leer werden zu lassen. Die Franken besaßen eben Lebensart. Ganz anders als die sauertöpfischen Sachsen, die nur Kampf und Tod kannten. Man brauchte bloß an den Jarl von Bertangenland zu denken, seinen früheren Herrn. Er war großzügig gewesen, gewiss, aber auch besessen davon, sich mit anderen im Kampf zu messen. Kämpfen, immer nur kämpfen!
Und Sigfrid war auch nicht besser. Zu Anfang hatte es Eckewart überhaupt nicht behagt, dass sein Gefolgsherr ihn bei jedem Auftrag dem Sachsen als Begleiter mitgab. Mittlerweile hatte er Sigfrid schätzen gelernt, so sehr, dass er den Jarl von Bertangenland dazu gebracht hatte, ihn von seinem Eid zu entbinden, um in Sigfrids Dienste treten zu können, aber zu Anfang … Sigfrid war für seinen Geschmack viel zu unstet und ruhmesdurstig. Aber wenigstens verstand er zu feiern. Deshalb hatte Eckewart schließlich seinen Frieden mit dem Schicksal gemacht und die Zeit zwischen den Festgelagen als Intermezzo betrachtet, das man eben ertragen musste als Preis für die anschließenden Freuden. Zumal er herausfand, dass man in jeder Küche einen zusätzlichen Bissen bekam, wenn man den Unfreien die Geschichte vom Kampf mit dem Drachen erzählte. Dass er nicht dabei gewesen war und die Größe des Lindwurms mit der Anzahl der in Aussicht gestellten Bierbecher wuchs, bereitete ihm keine Magenschmerzen. Half es doch, den Ruhm seines neuen Herrn zu mehren.
Mit dem genossenen Alkohol nahm der Lärm in der Halle zu. Da die Trinkhörner keine Standflächen besaßen, waren die Krieger gezwungen, sie ununterbrochen kreisen zu lassen oder in einem Zug zu leeren, ein Zwang, der manchem gelegen kam. Ansgar, ein großmäuliger, aber allseits geschätzter Gefolgsmann Gunters, war schon jetzt sturzbetrunken. Er lallte ein Lied und grölte nach Volker, dem Skopen, der ebenso unbekümmert vom anderen Ende der Halle zurückbrüllte, dass er zu singen bereit sei, sobald Ansgar sein Gekrächze aufgebe. Die Umsitzenden amüsierten sich über den Schlagabtausch.
Während Grimhild Wein einschenkte und sich hie und da auf ein paar Scherzworte oder eine Unterhaltung einließ, kehrte allmählich ihre Sehschärfe zurück. Immer wieder suchten ihre Augen den blonden Sachsen. Seine Unbeschwertheit hob ihn unter allen Anwesenden hervor. Die meisten Krieger konnten ihre Wachsamkeit auch bei einem Gelage nie vergessen, nicht so Sigfrid. Er genoss den Frohsinn des Augenblicks wie kein zweiter und strahlte eine Entspanntheit aus, die dafür sorgte, dass sich jedermann in seiner Nähe wohlfühlte. Und dann waren da noch seine Augen …
Grimhild hörte ihn über irgendeinen Scherz lachen, laut und unmelodisch, und doch traf sie dieses Lachen mitten ins Zentrum wie ein Albstich. Sie wünschte, er würde hersehen, aber er unterhielt sich angeregt mit Gunter. Warum ließ er nicht von Zeit zu Zeit seine Blicke zu ihr gleiten wie andere Männer? Ob sein Desinteresse nur vorgetäuscht war? Grimhild beschloss, es herauszufinden. »Darf ich Euch Wein nachschenken, frō Sigfrid?«
»Gern. Habt Dank für Eure Güte, frūa!«
Sein sächsischer Akzent gefiel ihr. »Es bereitet mir Freude, Euch zu dienen«, kokettierte sie und atmete tief ein, als sie sich vorbeugte. Sie wusste, welch reizvolles Bild sie damit bot. »Ist der Wein zu Eurer Zufriedenheit?«
»Er ist das Beste, was ich seit langem zu kosten bekam.« Sigfrid dankte ihr artig und wandte sich wieder dem Gespräch mit ihren Brüdern zu.
Sein Betragen war tadellos, es gab nichts daran auszusetzen. Aber es war offenkundig, dass ihm ihre Reize nichts bedeuteten. Warum wirkte ihr Zauber nicht bei ihm?
Volker hatte derweil seine Hände in einer Wasserschale gesäubert, die fünfsaitige lyra mit den geschwungenen Jocharmen ergriffen und zupfte nun ein paar Töne. Eckewart, der auf dem linken Ohr mehr oder weniger taub war, legte den Kopf schräg, um besser zuhören zu können. Die Gespräche verstummten.
»Einst war die Zeit,
da Ymir lebte.
Nicht war Stein noch Wellen
noch Baum und Strauch.
Nicht Grund unten
noch Sterne oben.
Leblose Leere,
und überall Stille.«
So sang der Skop, und seine Stimme erfüllte die Halle. Volker war ein Meister seiner Zunft. Er besaß Wodans Gabe, die Gabe der Dichtkunst. Seine Stimme war weich und voll wie Honig und rührte die Herzen der Zuhörer. Vor ihren Augen und Ohren erstanden Walhall und Hel, Helden und Dämonen. Volker sang von fernen Zeiten, als die Welt aus dem Körper des Riesen Ymir erschaffen wurde, und dann sang er vom Tod des Gottes Balder und von seinem Vater Wodan, der dem Leichnam seines Sohnes eine Rune ins Ohr flüsterte, das Geheimnis aller Geheimnisse.
Lange war es still, als er schließlich endete. »Es liegt Macht in deinen Worten«, brach Gunter das Schweigen. »Du kannst Bilder der Seele heraufbeschwören und tapfere Männer weinen machen.« Er zog einen kostbaren Ring vom Finger und warf ihn dem Skopen zu, der ihn geschickt auffing. »Nimm dies als Lohn für deine Kunst.«
Volker verneigte sich dankbar und schlug einen neuen Ton an. Den Gästen zu Ehren sang er von der Landung der Nordmänner in Haduloha, vom Kampf um den Hafen und der folgenden Zeit des Handels mit den Einheimischen. Seine Stimme veränderte sich mit der Stimmung, die er beschrieb, sie wurde bitter, wenn er von Enttäuschung sang, und schwermütig angesichts eines harten Schicksals, doch immer behielt sie ihre Klarheit. Dann schlich sich ein listiger Tonfall ein, als er erzählte, wie ein Nordmann Goldschmuck an die Einheimischen verteilte im Austausch für etwas Erde, die er in seinem Rockschoß forttrug. Die Zuhörer wurden Zeuge, wie die Nordmänner die getauschte Erde dünn über die Äcker streuten, um dann Anspruch auf das damit bedeckte Land zu erheben, und nickten einander zu. Tiefe Wahrheit lag in Volkers Worten, denn die Einheimischen hatten das Heil und die Seele der Erde fortgegeben. Ja, das war erdmegin, von solcher Macht war die Kraft der Erde!
Sigfrid war den Tränen nahe. Der Gesang des Skopen wühlte ihn auf. Plötzlich meinte er, das Meer zu riechen. Obwohl die Sachsen seit langem sesshaft waren, floss noch immer das Blut von Nordmännern in seinen Adern. So ergriffen war er von Volkers Worten, dass es eine Weile dauerte, bis er entdeckte, dass der Sänger geendet hatte. Bewegt zog er ein edelsteinbesetztes Amulett aus einem Beutel und warf es ihm zu. »Ich will hinter König Gunters Freigebigkeit nicht zurückstehen«, sagte er. »Euer Gesang ist wahrlich eines Königs würdig.«
Volker bedankte sich und beendete seine Darbietung.
Ansgar boxte ihm in die Seite. »Nicht übel für einen Schönling«, grinste er.
Die Unterhaltungen, die während des Vortrags unterbrochen worden waren, setzten wieder ein. Grimhild näherte sich Sigfrid von neuem, um ihm einzuschenken.
»Wollt Ihr mich betrunken machen, frūa?«, lachte er.
Seine Hand streifte ihren Arm, als er ihr das stechal entzog, und ein weiterer Stich traf sie, diesmal in der Lendengegend. Verzweifelt suchte sie nach einer Möglichkeit, eine Unterhaltung mit ihm zu beginnen, doch er hatte sich bereits wieder umgedreht, um sein Gespräch mit Gunter fortzusetzen. Grimhild kochte vor Zorn. Sie war es nicht gewohnt, derart beiläufig behandelt zu werden. Wütend drehte sie sich um und stürmte aus der Halle.
Sigfrid bekam ihren Abgang gar nicht mit. Seine Gedanken waren weder bei ihr noch bei dem, was ihr Bruder ihm gerade erzählte, sondern daheim. Nachdem er den letzten Auftrag seines ehemaligen Gefolgsherrn ausgeführt hatte, war er nun frei, nach Tarlungenland zurückzukehren. Er hatte gelernt, was ein Krieger lernen musste, und sich eigenen Ruhm erworben. Seine Sippe würde ihn mit offenen Armen empfangen. Er konnte es kaum erwarten, mit den Seinen am Feuer beisammenzusitzen, sich am Frieden zu erwärmen und von der Kraft des Sippengefühls zu trinken. Und um Brünhild zu freien, dachte er bei sich, und ein süßer Schmerz schnürte ihm die Brust zu. Die Svawenkönigin war die streitbarste Frau, die er je getroffen hatte, aber ihr nachtdunkles Haar war wie Seide, und in ihren Augen loderte ein Feuer, das jeden Winter fernhielt. Mit ihr zu streiten barg größere Leidenschaft als anderer Leute Liebesgeflüster. Sie war die eine, mit deren Seele er unauflöslich verbunden war.
Über seine Gedanken waren ihm Gunters letzte Worte entgangen. »Was habt Ihr gesagt?«, erkundigte er sich.
»Ich sagte: Warum erholt Ihr Euch nicht eine Weile, ehe Ihr Euch auf die weite Heimreise macht? Ihr seid herzlich eingeladen, Mittsommer mit uns zu feiern.«
Sigfrid wollte Gunter nicht vor den Kopf stoßen, und ihre Pferde konnten Ruhe gebrauchen, deshalb sagte er: »Bis zum Fest können wir nicht bleiben, aber für ein paar Nächte nehmen wir Eure Gastfreundschaft gern an.«
Er konnte nicht ahnen, wie folgenschwer diese Entscheidung sein sollte.
3.
Es war ein herrlicher Morgen. Die Sonne schien in die hintersten Ecken der Räume, als wollte sie alles, was atmete, ins Freie locken. Irmgard blickte sehnsüchtig aus dem Fenster, während sie die Haare ihrer Herrin in einer louga aus Ziegenfett und Buchenasche bleichte. Sie tat diese Arbeit gern, es machte ihr Freude, die Finger durch Grimhilds vollen Haarschopf laufen zu lassen. Ein Lied vor sich hinsummend seifte und spülte sie und massierte dabei die Kopfhaut der Niflunge.
»Hör endlich mit dem Geplärre auf!«, fuhr Grimhild sie an.
Erschrocken verstummte Irmgard. Sie kannte ihre Herrin; wenn sie sich in einer solchen Stimmung befand, benahm man sich tunlichst unauffällig, bis der Sturm vorüber war.
Grimhilds Kopf ruckte hoch. »Lass mich allein! Ich kämme mich lieber selbst, ehe du mit deinen ungeschickten Händen noch alles durcheinanderbringst.« Kaum war die Dienerin fort, bereute Grimhild auch schon ihre Worte. Es war nicht recht, ihre schlechte Laune an Irmgard auszulassen. Das Schuldbewusstsein machte sie noch wütender, sie trat nach einer Truhe. Au! Alles hatte sich heute gegen sie verschworen! Ihr Zeh schmerzte, der Saum ihres Gewandes blieb ständig irgendwo hängen, und der Kamm war nirgends aufzutreiben. Grimhild stieß einen Schrei der Frustration aus. Der Anblick ihrer Mutter, die ungehört hereingekommen war und sie mit einem wissenden Lächeln bedachte, steigerte ihren Zorn ins Unermessliche. »Was willst du?«, fauchte sie.
Oda nahm einen neutralen Gesichtsausdruck an und bemühte sich, nicht zu zeigen, wie sehr die leicht durchschaubaren Gefühle ihrer Tochter sie amüsierten. »Dir helfen, dich herzurichten«, erwiderte sie und ergriff den Kamm, der sich arglistig hinter einer Schale versteckt hatte.
Grimhild biss sich auf die Lippen und schwieg, weil ihr kein Grund einfiel, sich zu widersetzen. Mit zusammengebissenen Zähnen ließ sie zu, dass ihre Mutter sich hinter sie stellte und die nassen Haare entwirrte.
»Ich sah Irmgard aus deinem Zimmer kommen«, sagte Oda. »Sie schien es eilig zu haben.«
»Ich nehme an, sie hat zu arbeiten«, schnappte Grimhild. Die Vögel vor dem Fenster gingen ihr auf die Nerven. Sie sollten endlich still sein und ihre gute Laune für sich behalten!
Oda kannte ihre Tochter gut genug, um zu wissen, dass eine direkte Frage nach der Ursache ihrer schlechten Laune der falsche Weg war, ihr zu helfen. Sie würde sich nur verschließen wie ein trotziges Kind. An der Art, wie Grimhild den Rücken gerade hielt, erkannte die Königin, dass ihre Tochter die Hände zu Fäusten ballte, doch sie hütete sich wohlweislich, das Mitleid, das sie empfand, zu zeigen. »Das war ein schönes Fest gestern, findest du nicht?«, fragte sie stattdessen.
»Sie haben gesoffen wie die Schweine.«
»Ich hatte meinen Spaß. Mir gefällt es, wenn so viele kühne Recken in unserer Halle sitzen.«
»Er hat mich nicht einmal beachtet!«, platzte Grimhild heraus.
»Wer?« Wenn ihre Tochter sich verstellen konnte – Oda war Meisterin in diesem Spiel. Nicht umsonst hatte sie damals Aldrian, der eigentlich um ihre Schwester freien sollte, für sich gewonnen. Die Erinnerung daran schmerzte, aber es war ein süßer Schmerz, dem sie gern nachgab. Als er in jenem Jahr zur Burg ihres Vaters kam, besaß er noch keinen großen Namen, kein Skop sang Lieder von seinen Heldentaten. Doch sie hatte gewusst, was in ihm steckte. Sie wollte ihn. Und sie handelte, ehe er Gelegenheit bekam, die verhängnisvolle Werbung auszusprechen. Ein absichtlich zerbrochener Krug, dessen Scherben aufzusammeln er half, gab ihr die Möglichkeit, ihm nahe zu kommen. Mehr brauchte sie nicht. Wie er sie ansah, als er schließlich um sie freite, als fürchte er, sie könne ablehnen! Ihre Augen wurden feucht bei dem Gedanken. Sie hatte ihre Wahl nie bereut. Aldrian hatte Königsheil besessen und den Kampf außerhalb der Grenzen seines Reiches gehalten. Vor allem aber war er ein wundervoller Gemahl gewesen.
»Sigfrid.«
Oda brauchte einen Moment, um sich zu erinnern, worüber sie gerade sprachen. »Tatsächlich? Das ist mir gar nicht aufgefallen.«
Das war nun eine Spur zu dick aufgetragen. Grimhild sah sie argwöhnisch an und seufzte: »O Mutter! Du weißt genau, wovon ich spreche.«
»Mag sein. Ich sah ein albernes Mädchen, das vor einem fremden Recken herumkokettierte.«
Grimhild brach in Gelächter aus, und ihr mühsam aufrecht erhaltener Schutzwall stürzte zusammen.
Oda fiel nicht in das Lachen ein. »Und einen Krieger, der sich nicht für dieses Mädchen interessierte«, sagte sie ernst.
»Warum hat er mich nicht angesehen? Bin ich nicht schön? Jeder Mann dreht sich nach mir um. Warum er nicht?«
»Dafür kann es viele Gründe geben. Wahrscheinlich ist sein Herz schon vergeben. Schlag ihn dir aus dem Kopf, Kind! Es gibt genug Männer, die deiner würdig sind.«
»Ich will Sigfrid und keinen anderen!«, sagte Grimhild, und erst, als sie es ausgesprochen hatte, wusste sie, dass es die Wahrheit war.
Oda antwortete nicht, sondern fuhr fort, ihr die Haare zu kämmen. Argumente waren hier verschwendet, das wusste sie. Wenn Grimhild sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte nur ragnarök sie daran hindern. Und war es denn so verwunderlich, dass ihre Tochter ihr nachschlug und dem Schicksal auf die Sprünge helfen wollte?
Grimhild ließ sich jetzt willig kämmen. Eine andere Frau. Ja, das war nur allzu wahrscheinlich. Sigfrid sah gut aus, war der Sohn eines reichen Königs und besaß ein gewinnendes Wesen. Sie würde aufpassen müssen, wenn sie erst seine Gemahlin war! Gedankenverloren spielte sie mit einer Strähne ihres Haares. Eine andere Frau. Sie erinnerte sich jetzt an seinen verschleierten Blick und die heimwehkranke Stimme während des Festes. Sie hatte angenommen, er vermisse seine Sippe, aber natürlich … Eine andere Frau. Es machte Sinn.
Thiota fiel ihr ein. Die Seherin konnte mehr als nur die Zukunft aus dem Vogelflug lesen und Runenstäbe werfen. Sicher hatte sie eine Lösung für ihren Kummer. Bestimmt wusste sie, was zu tun war! Grimhild lächelte, schloss die Augen und dachte an Sigfrid. Ja, sie wollte ihn! Und sie würde ihn bekommen!