Kitabı oku: «Wege zur Rechtsgeschichte: Das BGB», sayfa 5
Für Puchta war ein System mit Schelling ein „Ganzes von gegenseitig sich bedingenden und voraussetzenden Gliedern“. Auch er ging also davon aus, dass das Recht ein sich selbst entwickelnder Organismus sei. Dieser sei, so wie er existiere, also allseitig verknüpft, nicht als Klassifikation darstellbar. Puchta verglich dies mit einer Statue, die auf einem Blatt Papier auch nicht räumlich abgebildet werden könne, sondern immer nur aus einer bestimmten Blickrichtung (von vorne, von einer Seite etc.). Eine Anordnung des Rechts müsse sich daher eine bestimmte Perspektive, einen „Plan der Darstellung“ suchen und diesen dann möglichst konsequent umsetzen.64 Puchtas „Plan“ war sein Rechtsbegriff, der Privatrecht verstand als „die Anerkennung der rechtlichen Freiheit, die sich in den Personen und ihrem Willen, ihrer Einwirkung auf die Gegenstände äußert“.65 Puchtas Rechtssystem war damit nicht nach Rechtssätzen, sondern nach subjektiven Rechten, insbesondere nach Ansprüchen gegliedert. Im Rahmen des rechtlich Erlaubten konnte der menschliche Wille sich Gegenstände unterwerfen: „[D]er Berechtigte bezieht einen Gegenstand auf sich, und diese Beziehung ist den Rechtsvorschriften gemäß“.66
Das entsprach im Ausgangspunkt einer durchaus neuen Eigentumsvorstellung: Eigentum als vollständige Unterwerfung einer Sache unter den Willen des Subjekts. Hiervon ausgehend entwarf er eine sog. Klassifikation des Privatrechts, die an den Gegenständen orientiert war, die der Wille unterwerfen konnte:
1) Sachen 2) Handlungen 3) Personen, und zwar a) Personen ausser uns, b) Personen, welche ausser uns existiert haben, aber in uns übergegangen sind, c) unsre eigene Person.67
Damit entstand ein Ordnungssystem, dessen Verwandtschaft mit unserem BGB-System, zeitgenössisch also dem Pandektensystem,68 nicht zu verkennen war: (1) Sachenrecht, (2) Schuldrecht, (3a) Familienrecht, (3b) Erbrecht und (3c) die allgemeine Rechtsfähigkeit als Recht an sich als Person. Der Unterschied war, dass Puchta nun ein Prinzip benannte, das all dem zugrunde lag: Der rechtlich erlaubte Wille unterwirft sich Gegenstände. Er glaubte, damit ein Ordnungsschema gefunden zu haben, welches es ermöglichte, das Privatrecht als Gesamtzusammenhang, als System darzustellen. Damit behauptete er nicht, dass der Rechtsorganismus wirklich so organisiert war. Sein Ziel war es vielmehr, den Privatrechtsorganismus nach diesem Ordnungsschema so darzustellen, dass man einen Zusammenhang zwischen dem Rechtsbegriff und jedem einzelnen subjektiven Recht eines Privatrechtssubjekts über Mittelglieder wie Begriffe und Prinzipien sah. Damit wurde dem menschlichen Geist eine Ordnung bereitgestellt, die das Recht als einen vernünftigen Zusammenhang verständlich machte. Sonst stand man verständnislos vor Massen von Rechtssätzen. Da diese gewählte Anordnung der Eigenstruktur des Privatrechts aber nie ganz entsprechen konnte, immer nur Perspektive sein konnte, war klar, dass es unmöglich sein musste, das gesamte Privatrecht bruchlos als einen Zusammenhang zwischen Rechtsbegriff und den einzelnen Rechten darzustellen. Manchmal entsprach eine solche Darstellung den in den Rechtssätzen und im Gewohnheitsrecht statuierten Rechten, manchmal auch nicht. Es ergab sich ein schwieriges Zusammenspiel zwischen Induktion vom einzelnen Recht zum obersten Rechtsbegriff und Deduktion vom obersten Rechtsbegriff zum einzelnen Recht. Was sich in einen solchen Zusammenhang nicht integrieren ließ, musste dem System als Ausnahme oder als anderen Prinzipien als dem Rechtsbegriff unterworfenes Teilsystem angegliedert werden. Puchta erläuterte das angestrebte Zusammenspiel zwischen Induktion und Deduktion am Beispiel eines durch eine Grunddienstbarkeit (§§ 2018 ff. BGB), lateinisch Servitut, eingeräumten Wegerechts. Dieses Beispiel wird im Folgenden genauer beleuchtet:
Nur der besitzt diese systematische Erkenntnis, welcher des Zusammenhangs der Rechtssätze sich bemächtigt, ihre Verwandtschaft unter einander erforscht hat, so dass er die Abstammung eines jeden Begriffs durch alle Mittelglieder, die an seiner Bildung Antheil haben, auf und abwärts verfolgen vermag. Wenn wir z. B. das einzelne Recht über ein Grundstück zu gehen, welches der Eigenthümer dieses Grundstücks dem Eigenthümer eines benachbarten bestellt hat, betrachten, so muß dem Juristen […] seine Stellung im System der […] Rechte, also seine Herkunft bis zum Begriff des Rechts hinauf zum Bewußtsein kommen, und er muß ebenso von diesem herab zu jenem einzelnen Rechte gelangen können, dessen Natur erst dadurch vollkommen bestimmt wird […]. Es ist ein Recht, also eine Macht über einen Gegenstand; ein Recht an einer Sache, also der besonderen Natur dieser Rechte teilhaftig; ein Recht an einer fremden Sache, also eine parthielle Unterwerfung derselben; die Seite, von welcher die Sache unterworfen ist, ist die der Benutzung, es gehört zu dem Geschlecht der Rechte an Sachen auf Benutzung; die Benutzung ist für ein gewisses Subjekt bestimmt, über das sie hinausgeht, also ist das Recht eine Servitut; für ein Grundstück, also Prädialservitut; für dieses Bedürfnis eines Grundstücks, Wegservitut. Ich nenne dies eine Genealogie der Begriffe.69
Dieses Zitat ist berüchtigt. Es klingt nach einer bloßen Begriffsmathematik, einem logischen Spiel ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche, soziale und politische Dimension des Rechts. Schon sprachlich arbeitete Puchta aber hier nicht mit mathematischen Begriffen, sondern mit „Verwandtschaft unter einander“, „Geschlecht der Rechte auf Sachen auf Benutzung“, „Genealogie“. Puchta klassifizierte, schuf eine vom Allgemeinen zum Besonderen und zurückblickende begriffliche Einteilung, in die er sein Wegerecht einordnen konnte: Wegeservitut – Prädialservitut – Servitut – Recht an Sachen auf Benutzung – Recht an einer fremden Sache – Recht an einer Sache – Macht über einen Gegenstand. Damit erreichte er, die Wegeservitut von anderen Rechten abzugrenzen. Ein perfektes, fehlerfreies System wäre dies gewesen, wenn es ihm gelungen wäre, alle Rechte des Privatrechts als einen solchen Zusammenhang bis zum Rechtsbegriff darzustellen. Daran war freilich auch im Servitutenrecht gar nicht zu denken. Dies zeigte auf engstem Raum seine Darstellung der Servitutenlehre in seinem Pandektenlehrbuch. Es begann mit einem Begriff der Servitut, der ganz in die eben erörterte Klassifikation passt:
Servituten sind Rechte an fremden Sachen auf Benutzung derselben für ein individuell bestimmtes Subjekt: ein persönliches, Servituten für Personen, servitutes personarum, oder ein Sachindividuum, Servituten für Grundstücke, servitutes rerum s. praediorum.
Schon im nächsten Satz machte er deutlich, dass seine Verknüpfung mit dem Rechtsbegriff nur einen Bruchteil der Regeln des Servitutenrechts erklären konnte:
Die Grundprincipien derselben fließen theils aus ihrer Eigenschaft als jura in re, theils aus dem eigenthümlichen Charakter der Servituten selbst.
Ein Teil der Prinzipien des Servitutenrechts ließ sich vom Rechtsbegriff und den daraus abgeleiteten jura in re, also Rechten an Sachen erklären. Dienstbarkeiten sind Rechte an Sachen. Daraus folgte:
1) Jede Dienstbarkeit braucht einen Inhaber, keine Gegenstandsunterwerfung ohne Willen;
2) es gibt keine Dienstbarkeiten an Dienstbarkeiten, da jede Dienstbarkeit direkt auf eine Sache, nicht auf ein Recht bezogen sein muss;
3) es gibt keine Dienstbarkeit des Eigentümers, da sein Eigentum als Vollrecht ja Nießbrauchsrechte sowieso mitumfasst.
Diese drei Rechtsprinzipien hingen also direkt mit Puchtas Rechtsbegriff, der Unterwerfung von Gegenständen unter den menschlichen Willen, zusammen.
Daneben gab es jedoch eine Reihe von Prinzipien des Servitutenrechts, die nicht vom Rechtsbegriff her erklärt werden konnten, sondern aus der Aufgabe von Servituten im Recht folgten:
Der eigenthümliche Charakter der Servituten besteht in der Gewährung des usus d. h. der Benutzung für ein bestimmtes Individuum, welchem unmittelbar durch die nutzbaren Eigenschaften der dienenden Sache ein Vortheil gewährt werden soll. Daraus folgt 1) die Unübertragbarkeit des Rechts auf ein anderes Subjekt, bei Personalservituten auf eine andere Person, bei Realservituten auf ein anderes Grundstück; 2) Die Unübertragberkeit sogar der Ausübung; 3) die Untheilbarkeit der Servituten, vermöge deren sie auch theilweise erworben oder verloren werden können.70
Puchta organisierte das Servitutenrecht also unter sechs Prinzipien. Drei folgten aus der Eigenschaft als jura in re, drei aus der „eigentümlichen Natur der Servituten“.
Ausgangspunkt seiner Darstellungen waren dabei nicht abstrakte Überlegungen, sondern das positive Recht. Alle sechs Prinzipien wurden in den Fußnoten mit römischen Quellen begründet. Sie folgten nicht einfach aus dem Rechtsbegriff oder aus einer Bestimmung der „Natur der Servituten“. Die Prinzipien und ihre Haltepunkte Rechtsbegriff und Rechtsnatur der Servituten sollten etwas erklären und damit verstehbar machen, was durch das heutige römische Recht, also durch die antiken Quellen und ihre heutige Anwendung vorgegeben war. Zugleich gelang es nicht, alle Rechtssätze der Servituten auf solche Prinzipien zurückzuführen. Es gab neben diesen aus Prinzipien erklärten Rechtssätzen demnach auch freie Rechtssätze, die Puchta als Ausnahme von der prinzipiengeleiteten Regel einfach nannte. Puchtas Servitutenlehre zeigte also eine dreifache Struktur:
Alle subjektiven Rechte waren eine Beziehung zwischen einem menschlichen Willen und den Gegenständen, die er sich unterwarf. Durch diese „logische Einheit, auf die wir die große Mannigfaltigkeit der Rechte zurückzuführen haben“, erhielt Puchta die „obersten Rechtsbegriffe, von denen aus der ganze Rechtskörper zu fassen, zu handhaben und zu regieren ist. Jedes Recht erhält seinen Begriff durch seinen Gegenstand; die erste Frage bei jedem Recht muß auf den Gegenstand gerichtet sein, seine Feststellung giebt die ersten Principien, nach denen das einzelne Recht zu beurtheilen ist“.71 Jenseits der Prämisse, dass jedes Recht auf einen dieser fünf Gegenstände – vgl. oben: 1) Sachen, 2) Handlungen, 3) Personen, und zwar a) Personen außer uns, b) Personen, welche außer uns existiert haben, aber in uns übergegangen sind, c) unsere eigene Person – bezogen sein müsse, folgte aus dieser Einteilung nichts.
Daneben ergaben sich für jedes Rechtsinstitut aus den vorhandenen Rechtssätzen eigene Prinzipien, also Aufgaben, denen diese Rechtssätze dienten. Sie strukturierten diese Teilbereiche, konnten aber nicht aus der Gesamtstruktur und dem Rechtsbegriff abgeleitet werden.
Zuletzt: Nicht alle Rechtssätze passten in dieses Schema. Es gab auch Ausnahmen, die trotzdem galten.
Literatur: Hans-Peter Haferkamp, Georg Friedrich Puchta und die „Begriffsjurisprudenz“, Frankfurt a. M. 2004, S. 257 ff.
2.2.1.1.8 Die Pandektenvorlesungen als Symbol der nationalen Einheit
Inwiefern bewirkten diese rechtstheoretischen Überlegungen Savignys und seiner Schüler nun eine Vereinheitlichung des Rechts durch Rechtswissenschaft? Ein erster Punkt liegt auf der Hand: Wenn alle Juristen an der Universität das gleiche methodische Denken lernten und mit dieser Methode sich dem jeweils in ihrem Berufsfeld geltenden positiven Recht näherten, dann bewirkte bereits dies eine Vereinheitlichung des Rechts. Das Phänomen ist aus dem europäischen Privatrecht der Gegenwart gegenteilig bekannt, indem immer wieder bemerkt wird, dass die in allen Mitgliedstaaten geltende gleiche Norm nicht einheitliches Recht nach sich zieht, weil verschiedene juristische Methodentraditionen auch verschiedene Anwendungsergebnisse bewirken. Was die Idee einer europäischen Methodenlehre daher anstrebt, versuchte Savigny durch die Anpassung der Juristenausbildung an ein einheitliches Methodenprogramm.
Doch die universitäre Leistung bei der Rechtsvereinheitlichung ging gerade mit Blick auf das spätere BGB weiter. Nach Savignys Ausgangsüberlegungen hätte es auf den ersten Blick nahegelegen, an einem System des deutschen Privatrechts zu arbeiten, indem alle im Deutschen Bund geltenden positiven Rechte zu einem Gesamtsystem verknüpft wären. Denkbar wäre ein solches Unternehmen gewesen, indem man etwa all das, was in verschiedenen Formulierungen in allen Territorien galt, als gemeinsames Recht heraushob. Das wurde durchaus von Zeitgenossen versucht. Kennzeichnend für das 19. Jahrhundert ist aber, dass diese Versuche nie größeren Einfluss bekamen und es an den Universitäten nie gelang, eine Vorlesung zum gesamten in Deutschland geltenden Privatrecht als zentrale Veranstaltung zu etablieren. Dazu trug auch bei, dass Savigny selbst und seine Schüler sich an solchen Versuchen nicht beteiligten. Savigny hatte, wie gezeigt, behauptet, man könne das heute geltende positive Recht nur von den Ursprungsrechten her verstehen, also dem Germanischen und dem Römischen. Man arbeitete also nicht an einem gemeinsamen System des deutschen Rechts. Die „Romanisten“ arbeiteten an einem System des „heutigen römischen Rechts“, was die Teile des antiken Rechts betraf, die seinerzeit noch, wenn auch oft verändert, angewendet wurden. Die „Germanisten“ arbeiteten an einem „System des deutschen Privatrechts“, womit hier gemeint war, ein System des damals in Deutschland geltenden nichtrömischen Privatrechts. Dies umfasste etwa frühmittelalterliche Stammesrechte, mittelalterliche Stadtrechte oder Beschlüsse der Reichstage im Alten Reich (sog. Reichsabschiede), aber auch moderne Materien, die nicht römischem Einfluss unterliegen konnten, wie etwa das Telegrafenrecht. Den Germanisten, die an diesen letzteren Versuchen arbeiteten, allen voran Karl Joseph Anton Mittermaier, Georg Beseler und dann Karl Friedrich Wilhelm Gerber, gelang es jedoch nicht, ein eigenständiges und überzeugendes System des deutschen Privatrechts als Zentralvorlesung an den Universitäten durchzusetzen. Mittermaier klagte 1846:
Wann wird die Zeit kommen, in welcher unsere jungen Männer nicht mehr den größten Theil ihrer Studienzeit auf rö[misches] Recht verwenden, um am Schwanze noch ein Kollegium über deutsches Recht zu hören, welches sie mit Vorliebe für rö[misches] Recht eigentlich ungern besuchen; wann wird man in einer Vorlesung das gesamte Civilrecht wie aus römischem (eigentlich deutsch gewordenem) und wie deutschem Recht besteht, vortragen?72
Mit Savignys gefeierten Vorlesungen in Berlin begann der Siegeszug der Pandektenvorlesung als Kernstück der Juristenausbildung im 19. Jahrhundert. Ihm folgten mit Karl Adolph von Vangerow in Heidelberg, Bernhard Windscheid in Leipzig und Rudolf von Jhering in Göttingen die berühmtesten Rechtslehrer des 19. Jahrhunderts nach, allesamt Spezialisten des Römischen Rechts, sog. Pandektenwissenschaftler. Über Vangerow, der seine Vorlesungen in einem meist völlig überfüllten, baulich erweiterten speziellen Pandektenhörsaal an fünf, manchmal sechs Tagen die Woche hielt, berichtete der sichtlich neidische Kollege Robert von Mohl: „Heidelberg war nicht nur wesentlich eine Juristenfakultät, sondern insbesondere eine Pandektenuniversität. Vangerow zu hören, war für sehr viele der Zweck ihres Aufenthalts“. Vangerow sei „Haupt und […] Fürst der Universität“73 gewesen. In diesen Vorlesungen wurde – unter starker Einbeziehung der Antike – das in Deutschland entweder subsidiär oder in Teilgebieten unmittelbar geltende „Heutige Römische Recht“ gelehrt, also das, was zeitgenössische Gerichte und die Rechtswissenschaft als vom Römischen Recht noch anwendbar erachteten. Die Pandektenvorlesung war damit der Ort, den alle Studierenden zu durchlaufen hatten. Hier wurde ihr Kopf gemeinsam geprägt. Die Pandektenlehrbücher, die die zuvor schwunghaft gehandelten Vorlesungsnachschriften seit den 1830er Jahren zu ersetzen begannen, waren die zentralen Lehrbücher der Jurisprudenz.
Die Pandektenvorlesung war der Ort, wo sich Privatrecht als juristische Dogmatik präsentierte. In den Pandektenvorlesungen wurde das Ius Commune auf eine zeitgemäße Anwendung hin modernisiert und dieses „heutige Römische Recht“ nahmen die Studierenden mit in die Praxis. Es war üblich, seine Vorlesungsnachschriften zu binden und als Buch in der praktischen Tätigkeit weiter zu benutzen. So „beherrschten“ die verehrten universitären Lehrer ihre ehemaligen Hörer selbst dann noch lange, wenn sie kein eigenes Lehrbuch veröffentlichten. Die Verfasser des BGB waren daher auch in den Einzelfragen tief geprägt von dem zuvor ungekannten Niveau des innerjuristisch-dogmatischen Fachgesprächs, das die Pandektenwissenschaft ihnen vorgeführt hatte. In vielen Einzelfragen schlug das auf das Gesetz durch. Beispiele sind Abstraktionsprinzip, Besitzschutz, Willenserklärung, Irrtumslehre, Stellvertretung, Verschuldensgrade, Unmöglichkeitslehre, Gesamtschuld, Vertrag zugunsten Dritter, Pfandrecht, Nießbrauch – alles Konzepte, die in dieser Zeit ihre moderne Ausbildung erlangten. Damit vermittelte die Pandektenvorlesung eigentlich gegen die ganz andere Rechtswirklichkeit den Eindruck, Deutschland besitze bereits ein gemeinsames Privatrecht.
Literatur: Hans-Peter Haferkamp, Die Historische Rechtsschule, Frankfurt a. M. 2018, S. 92 ff.
2.2.1.1.9 Einfluss der Pandektenvorlesungen auf das BGB
Zur Bedeutung der Pandektenwissenschaft trug maßgeblich bei, dass es ihr gelang, ein weitgehend konsentiertes System des Privatrechts zu entwickeln. Systeme waren didaktisch betrachtet ein ganz entscheidendes Hilfsmittel für Studenten, um einen großen und komplexen Stoff zu verstehen. Gerade das Römische Recht hatte schon lange mit den Problemen der Unübersichtlichkeit und Stofffülle gekämpft.
Das Corpus Iuris Civilis, mit dem die Studenten im Römischen Recht bis 1900 arbeiteten, war für seine längst unverständlich gewordene Ordnung berüchtigt. Die Studenten hatten große Probleme, sich darin zurechtzufinden. Im 17. Jahrhundert verbreiteten sich Bücher, große Kupferstiche und sogar Wandkacheln wurden entwickelt, auf denen die Ordnung des Corpus Iuris durch Bilder dargestellt wurde, die man sich besser merken konnte.74 Die Bilder erläuterten teilweise die Reihenfolge der 50 Bücher der Digesten, indem nach dem Alphabet geordnete Gegenstände bildlich an deren Stelle gesetzt wurden: Arca (Kiste), Ballena (Walfisch), Cadus (Krug) etc. Daneben wurde versucht, die in den Büchern abgehandelten Themen durch Schlagwörter und Bilder anzudeuten, um auch insoweit Merkhilfe zu sein.
Seit dem 17. Jahrhundert erlaubte es der immer günstiger werdende Buchdruck, jedem Studenten Lehrbücher zukommen zu lassen. Zuvor war es nicht zuletzt die Aufgabe der Vorlesung gewesen, dem Studenten eine eigenhändige Abschrift des sukzessiv jedenfalls in weiten Teilen vorgelesenen Corpus Iuris Civilis zu verschaffen. Mit dem Verkauf von Lehrbüchern entstand für die Professoren, die ganz weitgehend von Hörergeldern, also Zahlungen ihrer Studenten für die Vorlesungen lebten, eine lukrative Einnahmequelle. Es entwickelte sich ein Markt für Lehrbücher, der noch dadurch besonders interessant wurde, dass es üblich wurde, nach berühmten Lehrbüchern zu lesen, um Studenten zusätzlich zu locken. Man las die Pandekten etwa „nach Heineccius“. Als erste erfolgreiche Alternativanordnung wählte man die Institutionenanordnung. Dabei handelte sich um den Abschnitt des Corpus Iuris Civilis, in dem Iustinian ein umgearbeitetes Anfängerlehrbuch aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. übernommen hatte. Es gab also bereits eine römische Lehranordnung. Es bildete sich folgende Gliederung heraus:
I. Buch
1. Recht überhaupt
2. Personenrecht (personae)
3. Familienrecht
II. Buch
4. Sachenrecht (res)
5. Testamentsrecht
III. Buch
6. Erbrecht
7. Schuldrecht
IV. Buch
8. Strafrecht
9. Prozessrecht (actiones).
Die Institutionen waren in Rom dazu gedacht gewesen, die Studenten im ersten Jahr einzuführen. Im Abschnitt „Recht überhaupt“, aber auch in den weiteren Abschnitten fanden sich zumeist allgemeine Überblicke vorangestellt, etwa über die Arten von Recht (1.1 und 1.2), über die Einteilung der Menschen im Recht (1.3–1.5), über die Einteilung der Sachen im Recht (2.1) etc. Schon die Idee eines Allgemeinen Teils, der die Grundbegriffe klärt, war hier angedacht. Vor allem aber fügte sich eine Einteilung, die noch im BGB Spuren hinterließ. Erst im 19. Jahrhundert wurde zwischen der prozessualen Klage (actio) und dem materiell-rechtlichen Anspruch getrennt. Damit zeigt sich bis heute die Grundstruktur personae – res – actiones als Ordnungssystem des Allgemeinen Teils des BGB: Personen (§§ 1–89), Sachen (§§ 90–103) und Ansprüche und deren Ausübung mit dem Anspruchsbegriff in § 194 (§§ 104–240).
Als Gesamtsystem setzte sich jedoch bald ein anderes System durch, das Pandektensystem. Die Benennung irritiert. Das System war gerade nicht die unübersichtliche Ordnung der Pandekten, griechisch für Digesten, sondern das System, das im 19. Jahrhundert den meisten Pandektenlehrbüchern zugrunde gelegt wurde. Es geht, nach Vorläufern, auf den Göttinger Rechtslehrer Gustav Hugo zurück, der es 1789 in seinem Institutionenlehrbuch anwendete:
1. Einleitung
2. Realrechte (Sachenrecht)
3. Persönliche Obligationen
4. Familienrechte
5. Verlassenschaften (Erbrecht)
6. Prozess.
Diese Anordnung übernahm 1807 Georg Arnold Heise in seinen berühmten „Grundriß eines Systems des gemeinen Zivilrechts zum behuf von Pandektenvorlesungen“, von dem es Savigny in seine Vorlesungen leicht abgewandelt übertrug. Trennt man den Prozess ab, landet man beim Fünf-Bücher-System des BGB. Auffallend ist lediglich, dass Sachenrecht und Schuldrecht heute vertauscht sind. Dies geschah erst im Laufe der BGB-Debatten, nachdem die Erste Kommission zunächst noch Sachenrecht vorgezogen hatte. Eine Begründung gab sie nicht. Hintergrund war wohl eine Umorientierung der privatrechtlichen Prioritäten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war Eigentum der Schlüsselbegriff des Privatrechts. Weite Teile insbesondere des Grundeigentums waren dem freien Markt weiterhin entzogen. Einerseits durften nicht alle Menschen frei Eigentum erwerben. Noch immer existierte auf dem Land die Leibeigenschaft. Andererseits durften viele Grundstücke nicht veräußert werden, sei es als Teil des noch immer existierenden Lehenswesens, sei es, weil man es zuließ, dass die Veräußerung von Grundstücken etwa durch bestimmte Erbverträge (sog. Fideikommis) dauerhaft ausgeschlossen wurden. Wenn § 137 S. 1 BGB festlegt, dass die „Befugnis zur Verfügung über ein veräußerliches Recht […] nicht durch Rechtsgeschäft ausgeschlossen werden kann“, ist das wie ein Nachklang dieser Problematik aus dem Beginn des 19. Jahrhunderts, die um 1900 weitgehend überwunden war. Als das BGB verfasst wurde, war die Eigentumsfreiheit fast selbstverständlich geworden, und daher rückte die Vertragsfreiheit ins Zentrum des Blicks. Seitdem und bis heute ist die Vertragsfreiheit der Mittelpunkt des privatrechtlichen Denkens, und daran lag es wohl, dass die BGB-Verfasser das Schuldrecht als Zentralmaterie vor das Sachenrecht stellten.
Freilich ist ein Unterschied zum Pandektensystem der Vorlesungen des 19. Jahrhunderts im BGB nicht zu übersehen. Diese Systeme für den Hörsaal waren didaktische Systeme, nicht wissenschaftliche Systeme. Dies bestimmte ihren Aufbau. Wie wichtig die Entscheidung war, für wen man ein System konzipierte, machte 1845 der Göttinger Professor und Lehrer des Deutschen Privatrechts Wilhelm Theodor Kraut (1800–1873) deutlich:
Den Ausdruck System gebrauche ich hier übrigens in dem Sinne, in welchem man bei einem Buche, das zu akademischen Vorlesungen bestimmt ist, überhaupt von einem solchen reden sollte, nämlich für eine solche Anordnung der Materien, wobei diese mit einander dergestalt in Zusammenhang gesetzt werden, daß, wo möglich, jede, die man kennen muß, um eine andere gehörig zu verstehen, vor dieser abgehandelt wird. Bei einem eigentlich wissenschaftlichen System muß der Stoff schon in der Hauptsache als bekannt vorausgesetzt werden, und ein solches paßt nicht für Anfänger.75
Ein didaktisches System ordnet das Privatrecht so an, dass es sukzessiv verstanden werden kann. Ein wissenschaftliches System ordnet das Privatrecht so an, dass es auf seine Prinzipien zurückgeführt und durch diese gesteuert wird. Ein vieldiskutiertes Beispiel aus dem 19. Jahrhundert verdeutlicht den Unterschied: Wenn man in einen Allgemeinen Teil die Schenkung aufnimmt, dann hätte dies in einem didaktischen System die Aufgabe, den Begriff der Schenkung zu erklären, damit man im Besonderen Teil das Schenkungsrecht leichter versteht. In einem wissenschaftlichen System würde aus der Schenkung im Allgemeinen Teil folgen, dass alle Vertragstypen als Schenkung oder entgeltlich gedacht werden können. Die Schenkung wäre ein leitendes Prinzip des Privatrechts.
Blickt man in das BGB, so wird sofort deutlich, dass es sich zwar äußerlich an das Pandektensystem anlehnte, konkret aber dessen didaktische Funktion nicht übernahm. Besonders deutlich wird dies beim Allgemeinen Teil. Dieser begann im Pandektensystem mit einem Abschnitt über die Rechtsquellen (Gesetz, Gewohnheitsrecht, Gerichtsgebrauch), dann ging es allgemein um Erwerb, Ausübung, prozessuale Geltendmachung und Verlust von Ansprüchen. Wenn er nun Personen, Sachen und Handlungen (personae, res und den materiell-rechtlichen Ersatz für die actiones) behandelte, dann deshalb, weil dies die Grundbegriffe des Rechts waren, mit denen man die weiteren Bücher leichter verstehen konnte.
Blickt man in den Allgemeinen Teil des BGB, so wird sofort deutlich, dass das BGB keinen didaktischen Aufbau hat. Das Pandektensystem wird nur äußerlich befolgt, die konkrete Anordnung innerhalb der Bücher hat andere Gründe. Es fehlen Ausführungen zu den Rechtsquellen, es fehlen weitgehend allgemeine Definitionen der Grundbegriffe. Der Allgemeine Teil erklärt nicht, sondern dient der Entlastung der Besonderen Teile. Die hier geregelten Materien finden sich überwiegend als Problem auch in den Besonderen Teilen, etwa die Geschäftsfähigkeit (§§ 104 ff. BGB). Indem das BGB den Minderjährigenschutz im Allgemeinen Teil regelt, vermeidet es Wiederholungen durch das Prinzip des „Vor-die-Klammer-Ziehens“. Dies ist kein didaktisches, sondern ein gesetzgebungstechnisches und, durch die damit erreichte Betonung gemeinsamer Probleme, auch wissenschaftliches Ziel.
Das BGB versteht sich nicht als Lehrbuch, sondern als Gesetzbuch für Juristen, welche die Grundstrukturen des Rechts bereits beherrschen. Gleichwohl kann man den Gedanken einer didaktischen Herkunft des Pandektensystems als Merkhilfe nutzen, indem man das BGB als Ablauf des menschlichen Lebens „von der Wiege bis zur Bahre“ deutet:
Mit der Geburt (§ 1) ist der Mensch rechtsfähig und damit Subjekt des Privatrechts. Er wird volljährig (§ 2) und damit geschäftsfähig (§ 107). Nun beginnt für ihn die Welt der Rechtsgeschäfte (§§ 104 ff.) und vor allem Verträge (§§ 311 ff.). Er erwirbt Güter und wird zum Eigentümer (§§ 903 ff.). Nun – ökonomisch stabilisiert – darf er sich, dem Denken des Kaiserreichs nach, verloben (§§ 1297 ff.), er heiratet (§§ 1303 ff.) und bekommt Kinder (1616 ff.). Er stirbt, und nun beginnt sein erbrechtliches Nachleben (§§1922 ff.). Das BGB verlässt ihn, wenn sein Vermögen an andere Menschen übergegangen ist.
Als 1888 der Erste Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches erschien, fand der bekannte Richter Otto Bähr daher auch in Inhalt und Stil überall das Erbe dieser – wie er es nannte – gemeinrechtlichen Wissenschaft. Sein Bezug auf Bernhard Windscheid wurde schnell fast sprichwörtlich:
Hier nun ist der Entwurf bemüht gewesen, die Lehren dem heutigen Stande der Wissenschaft entsprechend zu gestalten. Und da seit Anfang dieses Jahrhunderts die wissenschaftlichen Fortschritte fast ausschließlich auf gemeinrechtlichem Gebiete gelegen haben, so hat auf diesen Theil des Entwurfs die gemeinrechtliche Wissenschaft den größten Einfluß geübt. In diesen seinen Bestandtheilen nimmt sich daher der Entwurf gewissermaßen wie ein „kleiner Windscheid“ aus.76
Der „große“ Windscheid, von dem er als Vorbild des BGB sprach, war zu diesem Zeitpunkt das bekannteste Lehrbuch zum „heutigen Römischen Recht“ – drei Bände, zuletzt in der 9. Auflage von 1906 911 Seiten mit tausenden von Fußnoten. Gerade Windscheid zeigte in seinem Lehrbuch freilich auch die Grenzen dieses Verfahrens der Rechtsvereinheitlichung durch Rechtswissenschaft auf. Auch wenn sich mit dem Pandektensystem eine gemeinsame Grundstruktur durchsetzte, lag es in der Natur der hier konkurrierenden Rechtswissenschaft, dass ansonsten bis in zentrale Fragen kaum Einigkeit erreicht wurde. Die teilweise seitenlangen Fußnoten in seinem Lehrbuch machten deutlich, dass zwar eine extrem hohe Diskussionskultur erreicht worden war, aber wenig Einigkeit. Als sich der bekannte Pandektenwissenschaftler Julius Baron (1834–1898) 1874 einer 700-seitigen Abhandlung gegenübersah, die nochmals das Bürgschaftsrecht ganz anders konstruieren wollte, nannte er die Forderung nach einem Bürgerlichen Gesetzbuch, die diese ganzen Meinungsstreitigkeiten endlich klären sollte, den „Angstschrei des bedrängten juristischen Gewissens“.77 Barons Hoffnung auf „das kräftige Wort des Gesetzgebers“ musste jedoch noch bis zum 1. Januar 1900 warten. Bereits früher war jedoch ein anderer Akteur beim Streben nach Rechtsvereinheitlichung auf den Plan getreten, der – anders als die Rechtswissenschaft – Entscheidungen herbeiführen konnte: die Justiz.
Literatur: Lars Björne, Deutsche Rechtssysteme im 18. und 19. Jahrhundert, Ebelsbach 1984; Jan Schröder, Zum Einfluß Savignys auf den Allgemeinen Teil des Bürgerlichen Rechts, in: Quaderni Forentini 14, 1985, S. 619 ff.; Ulrich Falk, Ein Gelehrter wie Windscheid, 2. Aufl. Frankfurt a. M. 1996; Hans-Peter Haferkamp, Georg Friedrich Puchta und die „Begriffsjurisprudenz“, Frankfurt a. M. 2004, S. 257 ff.; HKK/Ralf Michaels, Vor § 241, Bd. 2, Tübingen 2007, Rn. 19; Michael Stolleis, Corpus Iuris Civilis par coeur, in: Hans-Peter Haferkamp u. Tilman Repgen (Hgg.), Usus modernus pandectarum, Köln 2007, S. 245 ff.; Hans-Peter Haferkamp, The Science of Private Law and the State, in: Nils Jansen u. Ralf Michaels (Hgg.), Beyond the State. Rethinking Private Law, Tübingen 2008, S. 245 ff.; Joachim Rückert, Savignys Dogmatik im System, 2007, Wiederabdruck in ders., Savigny Studien, Frankfurt a. M. 2011, S. 153 ff.; Joachim Rückert, Savignys Einfluß auf die Jurisprudenz in Deutschland nach 1900, 1991, Wiederabdruck in ders., Savigny Studien, Frankfurt a. M. 2011, S. 523 ff.; Christian Bumke, Rechtsdogmatik. Eine Disziplin und ihre Arbeitsweise. Zugleich eine Studie über das rechtsdogmatische Arbeiten Friedrich Carl von Savignys, Tübingen 2017, S. 161 ff.; Ralf Seinecke, Die deutschsprachige Rechtswissenschaft seit 1800 und der Rechtspluralismus, in: ZRG GA 137, 2020, S. 272 ff.