Kitabı oku: «Einführung in die Praxis der Strafverteidigung», sayfa 4

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7. Mandatsbedingungen

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Um die Rechte und Pflichten aus dem Anwaltsvertrag möglichst klar zu regeln, ist es ratsam, Gegenstand und Umfang des angenommenen Mandates sowie die Modalitäten der Durchführung des Vertragsverhältnisses schriftlich zu fixieren und dies von beiden Vertragspartnern zu unterzeichnen. Da eine individuelle Aushandlung und Niederschrift der vertraglichen Vereinbarungen bei jedem Mandat zu umständlich und zeitaufwändig wäre, bietet es sich an, dem Mandanten vorformulierte allgemeine Mandatsbedingungen zu offerieren. Solche Mandatsbedingungen dürfen nicht Bestandteil der Vollmacht sein, denn sie betreffen die interne Beziehung zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten und sind damit für Dritte tabu.

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Durch vorformulierte Mandatsbedingungen kann auch die zivilrechtliche Haftung des Verteidigers für Fehler bei der Mandatsbearbeitung beschränkt werden. Eine solche Haftungsbeschränkung ist allerdings durch individuelle Vereinbarung im größerem Umfang möglich.

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Nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 BRAO kann die Haftung durch vorformulierte Vertragsbedingungen für Fälle einfacher Fahrlässigkeit auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme beschränkt werden. Da die Mindestversicherungssumme derzeit gem. § 51 Abs. 4 BRAO 250.000 € beträgt, kann die Haftung auf eine Million Euro begrenzt werden.[11] Weitere Voraussetzung für die Wirksamkeit einer solchen Haftungsbeschränkung ist nach § 52 Abs. 1 Nr. 2 Hs. 2 BRAO jedoch, dass insoweit Versicherungsschutz besteht.

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Durch schriftliche Vereinbarung im Einzelfall kann die Haftung gem. § 52 Abs. 1 Nr. 1 BRAO der Höhe nach darüber hinausgehend auf die Mindestversicherungssumme, also auf 250.000 €, beschränkt werden. Durch eine solche individuelle Vereinbarung lässt sich die Haftungsbeschränkung zudem auf alle Fälle fahrlässiger Schadensverursachung, also einschließlich der Fälle grob fahrlässiger Pflichtverletzungen, erstrecken.

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Auch die Handelndenhaftung kann gem. § 52 Abs. 2 S. 2 BRAO durch vorformulierte Vertragsbedingungen auf einzelne Mitglieder der Sozietät, die das Mandat bearbeiten, beschränkt werden. Voraussetzung für diese Haftungsbeschränkung ist allerdings, dass die Mitglieder der Sozietät, auf welche die Haftung beschränkt werden soll, namentlich bezeichnet sind. Die Zustimmungserklärung des Mandanten muss weiterhin von diesem unterzeichnet sein und darf keine anderen Erklärungen enthalten, § 52 Abs. 2 S. 3 BRAO. Das letzte Erfordernis wird von der h.M. dahin ausgelegt, dass die Zustimmungserklärung bspw. nicht in der Vollmachturkunde enthalten sein darf.[12] Die Haftung darf allerdings nur auf „echte“ Sozien, also nicht auf einen angestellten Anwalt oder einen freien Mitarbeiter beschränkt werden.[13]

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Nicht möglich ist eine Haftungsbeschränkung dahin, die Verjährungsfrist durch vorformulierte Mandatsbedingungen abzukürzen, wenn auch einige Handbücher derartige Formulierungsvorschläge für Mandatsbedingungen enthalten.[14] Die Verjährungsfrist für Ersatzansprüche beträgt gem. § 195 BGB regelmäßig und gem. § 199 Abs. 1 BGB kenntnisabhängig 3 Jahre. Schadensersatzansprüche, die u.a. auf der Verletzung der persönlichen Freiheit beruhen, verjähren nach § 199 Abs. 2 BGB nach 30 Jahren ab Begehung der Pflichtverletzung. Eine Verkürzung durch vorformulierte Mandatsbedingungen scheitert an § 305c BGB, da der Mandant nicht mit einer solchen Klausel rechnet.[15] Dem steht auch § 52 BRAO entgegen, der lediglich eine formularmäßige Beschränkung der Höhe der Haftungsansprüche und eine solche auf die Person des handelnden Sozius zulässt, zur Frage der Erleichterung der Verjährung jedoch keine Regelung enthält. Möglich ist jedoch eine individualvertragliche Verkürzung der Verjährungsfrist für fahrlässig verursachte Schäden.[16]

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Muster 4: Mandatsbedingungen

Herr/Frau A (Auftraggeber/Auftraggeberin)

und

Rechtsanwalt B (Verteidiger)

vereinbaren für die Verteidigung in der Strafsache/dem Ermittlungsverfahren gegen den Auftraggeber, Az.: …, folgende Mandatsbedingungen:


Die Haftung für einfache Fahrlässigkeit ist auf 1 Million Euro beschränkt.
Zur Einlegung von Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen ist der Verteidiger nur verpflichtet, wenn der Auftraggeber ihn hierzu ausdrücklich beauftragt und der Verteidiger den Auftrag angenommen hat.
Der Auftraggeber tritt hiermit etwaige Kostenerstattungsansprüche sowie Ansprüche auf Auszahlung freigewordener Sicherheitsleistungen gegenüber der Justizkasse oder sonstige Erstattungspflichtige an den Verteidiger ab. Der Verteidiger ist ermächtigt, die Abtretung dem Schuldner mitzuteilen.
Der Auftraggeber ist damit einverstanden, dass personen- und sachbezogene Daten beim Auftraggeber auf EDV-Anlagen und sonstigen elektronischen Datenträgern und in Papierform gespeichert werden.

(Für Sozietäten zusätzlich:


Für etwaige Schadensersatzansprüche aus dem Mandatsverhältnis haftet dem Auftraggeber ausschließlich Rechtsanwalt A)

Ort, Datum

Auftraggeber

Teil 1 Das Mandat des Strafverteidigers › I. Der Wahlverteidiger › 8. Die Vergütung

8. Die Vergütung

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Eine Einigung über die Vergütung ist nicht Voraussetzung für das Zustandekommen eines Mandatsverhältnisses. Dem Verteidiger ist jedoch zu raten, mit dem Mandanten eine Vergütungsvereinbarung zu schließen. Regeln die Parteien des Vertrages die Vergütungsfrage nicht, hat der Verteidiger lediglich Anspruch auf die gesetzliche Vergütung. Diese, obwohl durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) gegenüber den vormals geltenden Bestimmungen der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) nicht unerheblich erhöht, sichert in den meisten Fällen noch immer keine angemessene Vergütung des Verteidigers.

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Bereits in dem ersten Gespräch mit dem Mandanten muss der Verteidiger daher die Frage der Vergütung ansprechen und möglichst einer zumindest vorläufigen Lösung zuführen. Zwar sind der Arbeitsaufwand, die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie die Bedeutung der Angelegenheit für den Mandanten erst nach Akteneinsicht hinreichend abzuschätzen. Gerade diese Kriterien geben indes den Ausschlag für die Frage der Gestaltung und der Höhe der Vergütung. Nach Gewährung der Akteneinsicht kann der Verteidiger i.d.R. diese Umstände realistisch einschätzen und muss spätestens jetzt mit dem Mandanten eine schriftliche Vergütungsvereinbarung treffen, wenn er nicht mit der gesetzlichen Vergütung vorliebnehmen will.

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Die Vereinbarung über die Vergütung bedarf der Textform i.S.d. § 126b BGB, § 3a Abs. 1 S. 1 RVG.[17] Ausreichend ist bspw. die Übermittlung per Fax oder E-Mail. Die Vergütungsvereinbarung darf nicht in der Vollmacht enthalten sein. Sonst ist sie unwirksam, § 3a Abs. 1 S. 2 RVG. Auch von anderen Vereinbarungen, so z.B. von den Mandatsbedingungen, muss sie deutlich abgesetzt sein. Eine Ausnahme gilt für die Auftragserteilung. Diese darf mit der Vergütungsvereinbarung verbunden werden. Zudem muss die Vereinbarung als Vergütungsvereinbarung oder in vergleichbarer Weise bezeichnet sein, § 3a Abs. 1 S. 2 RVG. Vorzuziehen ist es, die Vergütungsvereinbarung auch von den sonstigen Mandatsvereinbarungen getrennt in einem gesonderten Schriftstück aufzusetzen. Dies kann auch auf vorgefertigten Formularen erfolgen. Gem. § 3a Abs. 1 Satz 3 RVG hat die Vergütungsvereinbarung einen Hinweis darauf zu enthalten, dass die Staatskasse im Falle der Kostenerstattung regelmäßig nicht mehr als die gesetzliche Vergütung erstatten muss.

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Der Verteidiger muss es sich zur Regel machen, erst nach Zahlung eines angemessenen Vorschusses tätig zu werden. Nur so kann er seine Vergütungsansprüche sichern. Ausnahmen sind in Fällen zu machen, in denen ein sofortiges Eingreifen zwingend erforderlich ist, um nicht heilbare Rechtsnachteile für den Mandanten zu verhindern.

Aber auch in diesen Fallkonstellationen muss der Verteidiger alsbald nach seinen ersten, unaufschiebbaren Verteidigungshandlungen einen Vorschuss verlangen. Die Verpflichtung des Mandanten, einen Vorschuss zu leisten, sollte in die Vergütungsvereinbarung aufgenommen werden. Eine solche Klausel trägt zwar rein deklaratorischen Charakter, da § 9 RVG dem Anwalt das Recht einräumt, einen angemessenen Vorschuss zu verlangen. Sie schafft jedoch von Anfang an klare Verhältnisse.

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Außerdem empfiehlt es sich, dass der Verteidiger etwaige Kostenerstattungsansprüche gegen die Staatskasse und auf Rückzahlung von Sicherheitsleistungen zur Sicherung seiner Vergütungsansprüche an sich abtreten lässt. Der Verteidiger sollte die Abtretungserklärung höchstvorsorglich in einem gesonderten Schriftstück und nicht in die Vergütungsvereinbarung aufnehmen. Die Erklärung der Abtretung in der Verteidigervollmacht ist wegen Verstoßes gegen § 305c BGB unwirksam.[18] Die Abtretungserklärung ist wegen § 43 Satz 2 RVG spätestens mit dem Kostenerstattungsantrag bei Gericht einzureichen.

Teil 1 Das Mandat des Strafverteidigers › I. Der Wahlverteidiger › 9. Die Ablehnung des Mandates

9. Die Ablehnung des Mandates

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Der Verteidiger ist nicht verpflichtet, ein ihm angetragenes Mandat anzunehmen. Will er die Übernahme des Mandates ablehnen, muss er dies dem Antragenden ausdrücklich und vor allem unverzüglich mitteilen. Sonst kann er sich schadensersatzpflichtig machen, § 44 BRAO. Im Übrigen setzt er sich der Gefahr berufsgerichtlicher Ahndung aus. Der Verstoß gegen § 44 BRAO ist eine Berufspflichtverletzung. Gründe, ein angetragenes Mandat abzulehnen, können im Gegenstand des Mandates oder in der Person des Mandanten liegen.

a) Mandatsablehnung wegen des Gegenstandes des Mandates?

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So mancher Kollege lehnt Mandate aus gewissen Deliktsbereichen ab. Dies betrifft insbesondere Sexualstraftaten an Kindern und politische Strafsachen. Die Natur des erhobenen Tatvorwurfes allein rechtfertigt die Ablehnung eines Mandates jedoch nicht. Eine derartige Einstellung würde der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK widersprechen, deren Garant auch der Strafverteidiger sein sollte. Im Übrigen hat selbst ein Mitmensch, der die allerschlimmsten Verbrechen glaubhaft eingestanden hat, einen Anspruch auf ein faires, rechtsstaatliches Strafverfahren. Hierzu gehört auch und gerade die Gewährleistung einer sachgerechten und effektiven Verteidigung. Es ist zu bedenken, dass gerade in einem solchen Fall nicht nur die Gesellschaft geschlossen den Täter ächtet. Zusätzlich hat dieser Mensch auch noch den Staat mit seiner unermesslichen Machtfülle in Gestalt der Strafjustiz gegen sich. Der Beistand durch den Verteidiger stellt bei dieser Sachlage nur ein winziges Stück „sozialer Gegenmacht“ dar, welches man dem Beschuldigten nicht vorenthalten darf. Der von Laien gelegentlich ohne jedes Verständnis für eine rechtsstaatliche Strafrechtspflege erhobene Vorwurf, wie man denn nur einen solchen Menschen verteidigen könne, sollte den Verteidiger an der Übernahme auch „heikler“ Mandate nicht hindern.

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Eine ganz andere Frage ist, wie ein solches „heikle“ Mandat zu führen ist. Zu einer sachgemäßen, effektiven Verteidigung, insbesondere zur Wahrung der Verfahrensrechte des Beschuldigten/Angeklagten ist der Verteidiger berufsrechtlich und auch allgemein aus ethischen Gründen verpflichtet. Auch in solchen Verfahren gilt, dass Verteidigung „Kampf um das Recht“ ist.[19] Das bedeutet, dass sich der Verteidiger in diesen Fällen ebenfalls nicht davor scheuen darf, zur Durchsetzung der Rechte des Mandanten unvermeidbare Konflikte konsequent auszutragen.

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Der Verteidiger sollte jedoch darauf achten, dass er sich – insbesondere in „politischen“ Verfahren – seine Unabhängigkeit vom Mandanten bewahrt. Er sollte sich keinesfalls zum „Sprachrohr“ der politischen Überzeugung seines Mandanten machen, vielmehr das Mandat betont sachlich führen. Politische Propaganda des Verteidigers für den Mandanten schadet letztendlich dem Mandanten. Der Verteidiger wird nämlich, wenn er zum politischen Agitator seines Mandanten avanciert, seine Integrität und damit seine Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem Gericht und den übrigen Verfahrensbeteiligten einbüßen.

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Eine damit verbundene Frage ist diejenige, ob sich ein politischer „Überzeugungstäter“ von einem Verteidiger vertreten lassen sollte, der den politischen oder weltanschaulichen Ansichten seines Mandanten nahesteht. Ratsamer ist es, wenn die Verteidigung ein politisch „neutraler“ oder „gegnerischer“ Anwalt führt. Dann liegt die Gefahr ferner, dass der Verteidiger als „Gesinnungsgenosse“ des Angeklagten diffamiert und so in seiner Integrität beeinträchtigt wird. Im Übrigen ist ein solcher dem Angeklagten politisch nicht nahestehender Verteidiger nicht nur optisch glaubwürdiger, sondern vor allem im Hinblick auf seine professionelle Distanz zum Mandanten auch der „objektivere“ und damit effektivere Verteidiger.

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Keineswegs sollte indes eine von der des Mandanten abweichende politische oder weltanschauliche Einstellung des Verteidigers dazu führen, dass sich der Verteidiger in öffentlicher Hauptverhandlung auch nur den Anschein gibt, er „distanziere“ sich von seinem Mandanten oder von dessen Ansichten oder dessen Haltung. Der Verteidiger sollte in diesem Fall dieses Thema am besten nicht ansprechen. Er sollte diesen Dissens auch nicht nonverbal signalisieren. Der Mandant könnte sich anderenfalls zu Recht von seinem Verteidiger verraten fühlen.

b) Mandatsablehnung wegen der dem Verteidiger intern offenbarten Schuld des potentiellen Mandanten?

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Einige wenige Kollegen wollen nur „unschuldige“ Mandanten verteidigen. Abgesehen davon, dass diese Einstellung mit der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK kollidiert, zu deren Durchsetzung gegenüber staatlichen Strafverfolgungsinteressen auch und gerade der Verteidiger aufgerufen ist, erscheint sie realitätsfremd. Sie erinnert an einen Arzt, der nur Gesunde behandeln will.[20] Es ist nun einmal Tatsache, dass sich die überwiegende Zahl der Mandanten eines Strafverteidigers im strafrechtlichen Sinne schuldig gemacht hat. Der vollkommen unschuldige Mandant ist eher die Ausnahme. Es wäre in der Tat auch mehr als befremdlich, wenn man davon ausgehen müsste, dass die Mehrzahl der Beschuldigten bzw. Angeklagten nicht schuldig sei. Dann wäre entweder unser Strafverfahren tatsächlich noch erheblich schlechter, als dies wegen seiner strukturellen Mängel ohnehin schon auf der Hand liegt. Oder aber es würden von der Polizei, der Staatsanwaltschaft und dem Strafgericht massenhaft vorsätzlich Unschuldige verfolgt. Dies wird wohl niemand ernsthaft in Betracht ziehen.

c) Exkurs: Aufgaben der Strafverteidigung im Gefüge des Strafverfahrens

aa) Verteidiger als Garant für ein faires, rechtsstaatliches Verfahren

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Es kommt auch gar nicht darauf an, ob der einzelne Mandant schuldig ist oder nicht. Die verfahrensrechtliche Aufgabe besteht zwar auch, aber nicht in erster Linie darin, Unschuldige vor ungerechtfertigter Verurteilung und Bestrafung zu bewahren. Der Verteidiger ist als einseitiger, streng parteilicher Beistand des Beschuldigten eine verfahrensrechtliche Gegenmacht zu dem das Strafverfahren betreibenden Staat. Seine vordringlichste Aufgabe ist zunächst, dafür Sorge zu tragen, dass sowohl die Verfahrensrechte des Mandanten gewahrt als auch die sonstigen verfahrensrechtlichen Normen peinlichst genau beachtet werden. Denn nur die Einhaltung der formellen Sicherungen ist der Garant für ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und damit für die Schaffung einer zutreffenden Urteilsgrundlage. Die verfahrensrechtlichen Regelungen sind nicht Selbstzweck. Vielmehr dienen sie dazu, die Verurteilung eines Unschuldigen zu verhindern und ein gerechtes Urteil zu fällen. Nur ein Urteil, welches auf Grund eines fairen, rechtsstaatlichen Verfahrens ergangen ist, kann daher ein richtiges, ein gerechtes Urteil sein.

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Dies gerät jedoch zusehends mehr und mehr in Vergessenheit. Die Formerfordernisse der Strafprozessordnung werden von vielen, vielleicht sogar von den meisten, Strafrichtern geringschätzig als bloße „Förmeleien“ betrachtet. Verteidiger, die zum Schutze der Rechte ihrer Mandanten auf der Einhaltung der Verfahrensvorschriften bestehen, werden von diesen Richtern als Querulanten angesehen; oder man wirft ihnen vor, mit angeblicher „Konfliktverteidigung“ die Strafrechtspflege zu sabotieren.

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Dies findet nicht zuletzt seinen Ausdruck in der Rspr. der Revisionsgerichte. Sie ebnet seit jeher tendenziell die Formerfordernisse ein, indem sie bspw. prozessuale Normen zu bloßen „Ordnungsvorschriften“ herunter definiert, um von ihr im Ergebnis für richtig gehaltene Urteile trotz des Vorliegens von Verfahrensfehlern aufrechterhalten zu können.[21] Oder sie lässt Verfahrensrügen kurzerhand an dem sog. „Beruhenszusammenhang“ scheitern, obgleich mit guten Gründen auch eine gegenteilige, jedoch nicht gewollte, Entscheidung möglich wäre. Weiter zu erwähnen ist die von den Revisionsgerichten kreierte Kunst, die formelle Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls wegen angeblicher Lücken und Widersprüche auszuhebeln, um dann der Verfahrensrüge im Freibeweisverfahren mittels des angeblich für Verfahrensfehler nicht geltenden Zweifelssatzes den Garaus zu machen.[22] Die Rspr. lässt nunmehr sogar die Berichtigung des Protokolls der Hauptverhandlung auch in solchen Fällen zu, in denen diese einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge des Angeklagten nachträglich die Tatsachengrundlage entzieht („Rügeverkümmerung“).[23] Da verwundert es nicht, dass die Zahl der aufgrund einer Verfahrensrüge erfolgreichen Revisionen ständig abnimmt. Gelegentlich wird davon gesprochen, die Rechtsprechung etabliere eine „Diktatur des materiellen Rechts“. Es ist zu hoffen, dass sich die Rechtsprechung wieder dem Sinn und der Bedeutung der verfahrensrechtlichen Formerfordernisse öffnet, eingedenk des folgenden Zitats Rudolf von Jherings:

„Die Blütezeit der Freiheit ist zugleich die Periode der peinlichsten Strenge in der Form. Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit. Feste Formen – sie lassen sich nur brechen, nicht biegen – und wo ein Volk sich wahrhaft auf den Dienst der Freiheit verstand, da hat es instinktiv auch den Wert der Form herausgefühlt und geahnt, dass es in seinen Formen nicht etwas rein Äußerliches besitze und festhalte, sondern das Palladium seiner Freiheit.“[24]

Der Verteidiger kann im Interesse seines Mandanten nicht zuwarten, bis die Rechtsprechung den Wert der Formenstrenge hoffentlich wiedererkennt. Er hat vielmehr gegen jede Verletzung von Verfahrensvorschriften mit den ihm von der Strafprozessordnung zur Verfügung gestellten Mitteln einzuschreiten und so in jeder Hauptverhandlung aufs Neue für ein faires, rechtsstaatliches Verfahren zu kämpfen.

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Sollte das Eintreten des Verteidigers für die Einhaltung der den Angeklagten schützenden Formen dazu führen, dass der Schuldnachweis nicht geführt werden kann und der schuldige Angeklagte freizusprechen ist, sollte dies das Selbstverständnis des Verteidigers nicht erschüttern. Das Gesetz selbst geht davon aus, dass auch der schuldige Angeklagte nur in der von ihm vorgegebenen Verfahrensweise abgeurteilt werden darf.