Kitabı oku: «Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten», sayfa 3

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Draußen knisterte eine Winternacht. Fuhr ein Taxi zurück. Schlief eine Stadt. Glänzte, schimmerte wohl noch ein Licht. Zuckten Sterne am Winterhimmel. Trugen Fernzüge die Nacht in den Morgen. Weit, weit über zwei Fernbahnhöfe hinaus auf langen stählernen, eisigen Schienen entlang, lebt ein Mädchen - sein Mädchen.

Kapitel 3

Monsieur Vignaud war beliebt oder besser gesagt, er wurde beliebt, oder noch besser gesagt, er machte sich beliebt. Denn … Monsieur Vignaud trug in das kleine Dorf Walkenrode seine ihm angeborene französische Liebenswürdigkeit. Außerdem konnte Monsieur Vignaud sich benehmen, was man von den Bauern und Tagelöhnern des Dorfes beileibe nicht behaupten kann. Jawohl, Monsieur Vignaud konnte sich benehmen und konnte auch mit den Bauern und manchmal auch mit den Tagelöhnern saufen. Saufen konnte er... und sein Junge war dunkelhäutig, dunkelhaarig und dunkeläugig. Im Dorf nur das Franzosenkind genannt. Der Bauer Josef Würdemann, der seiner Tochter Grete den Schritt, den Fehlschritt nicht verzieh, bis zu seinem Tode nicht, liebte aber den Franzosenbankert, nur, dass er es in der Öffentlichkeit nicht zeigte. Und auf seinem Totenbette (Monsieur Vignaud war längst zu seines Königs Fahnen geeilt), setzte der alte Würdemann den Franzosenbankert Ferdinand Vignaud als Erben ein. So kamen die Vignauds zu einem Hof, zu Acker, zu Wiesen und Wald. Die LPG, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, hatte später ihre helle Freude daran. Aber soweit ist das noch nicht. Im Fuchsloch stand der Hochwald, tannig und hoch, und vor ihm wellte sich ein Kirschgarten, alles Besitz des Bauern Josef Würdemann. Unter den blühenden Kirschbäumen wurde das zweite Kind gezeugt, das aber bei der Geburt starb. Mit Leidenschaft ergriff Monsieur von Grete Würdemann Besitz, und Monsieur Vignaud war leidenschaftlich und riss das Weib mit. Nie mehr hat Madame Vignaud, geborene Würdemann, nachdem Monsieur Vignaud wieder zu seines Königs Fahnen geeilt war, einen Mann ins Bett genommen. Nie mehr! Denn die Liebe und Leidenschaft des Monsieurs Vignaud konnte im Dorf keiner aufbringen. Madame Vignaud, geborene Grete Würdemann, hat nie darüber gesprochen, wie Monsieur Vignaud liebte, aber das hat sie gesagt, dass Monsieur Vignaud sie vor jedem Beischlaf erst mit Worten betörte, sie mit heißen Liebesworten bereitmachte, ihr Komplimente ins Ohr flüsterte. Auch hat sie erzählt, und das durfte sie ja auch, dass er roten Mohn und Feldblumen ins Schlafzimmer stellte, oder Apfelzweige, Kastanien oder zur Winterzeit Tannengrün. Und das hat sie auch noch gesagt, dass im Schlafzimmer stets eine Kerze brannte, wenn sie sich liebten… und Monsieur Vignaud liebte oft und liebte gut. Monsieur Vignaud liebte auch nie im Bett, sondern auf dem Bett. Und Grete Vignaud lächelte, wenn sie so erzählte, aber wie er geliebt hat, das hat sie nie verraten. Später, viel später, gut einhundertfünfzig Jahre später; die Ururenkelin Mira Vignaud war freier, offener und nicht nur in den Gesprächen.

Der Ostwind pfiff über die Hänge und Hügel des Südharzes, trieb den Schnee über die Wipfel und Tannen und drückte ihn auch gegen und in die braune Rinde der Bäume. Verhedderte ihn im knorrigen Unterholz. Waldwege, von Menschen ausgetreten, von Waldarbeitern und Bauern, Holzfällern und Kirchgängern, waren jetzt verschneit und eingeebnet. Der Ost heulte und krakeelte in den Lüften und den Baumkronen. Die kahlästigen Kirschbäume, die jeder Frühling zu jungen Mädchen macht und dem Fuchsloch den jungfräulichen Duft gibt, spreizten ihre kahlen Zweige wie die Arme und Beine alter Weiber. Das Dorf Walkenrode schlief im kalten Schneebett. In den Stuben und Ställen und Scheunen brütete die Wärme. In den Stuben brannten die Öfen. In den Ställen heizte das Vieh. Und in den Scheunen tat es die gespeicherte Wärme des Sommers in Heu und Stroh. Es war zur Futterzeit. Der Abend glitzerte im Sternen- wie auch im Schneegefunkel. Eine zerlumpte und zerfledderte Gestalt schleppte und schlurfte sich mühsam und keuchend durch Wald, Schnee und Kälte dem Dorfe Walkenrode zu. Lichter im Dorf flackerten, und in den Ställen huschten, haschten und zuckten Lichter. Es war zur Futterzeit. Auch von den Ställen zu den Scheunen und auch von den Scheunen zu den Ställen huschten Lichter. Das Vieh brüllte. Ein Hund heulte, und ein paar Krähen zogen krächzend und mit hartem Flügelschlag über das verschneite Land. Näher kam der Mann dem Dorfe. Im Mondlicht sah man große schwarze Augen und die kümmerlichen Reste einer Montur. Im Pulverschnee hinterließen die mit Lumpen bewickelten Füße Schleifspuren, die aber der Ost sofort wieder verwischte. Jetzt erreichte der Mann die kleine Brücke, die sich über den starren eingefrorenen Bach spannte, und er stützte sich, Luft holend, aufs Brückengeländer. Alte verhutzelte Weiden standen veteranenhaft am Bach, wie Wachsoldaten, junge Apfelbäume bildeten den Vortrupp. An der Brücke, direkt am ersten Holzpfeiler, stand alt und knorrig, allein und einsam ein Weidenbaum. Das ist wohl der älteste Dorfsoldat, dachte Monsieur Vignaud. Monsieur Vignaud, ein Offizier der geschlagenen napoleonischen Armee, dachte nur in soldatischen und militärischen Begriffen. Wie konnte er auch anders denken? Er war dem Korsen auf all seinen Feldzügen gefolgt, in die Gluthitze der Wüste, stand mit ihm am Ebro, am Tejo, an der Maas und Elbe und erlebte an der Beresina in arktischer Kälte den Zusammenbruch der Großen Armee. Sah und erlebte Aufstieg, Siege, Triumphe des großen Kaisers sowie auch seinen Fall und seine Niederlage in der Eiswüste Russlands. Das waren Jahre des blutigen Handwerks. Nun aber war Napoleon geschlagen und auf der Flucht. So war auch Monsieur Vignaud geschlagen und auf der Flucht, passierte jetzt, zerlumpt, verhungert, verdreckt und fast verloren die Brücke über den Bach, passierte den alten Weidewachsoldaten, der vor diesem Strolch und Vagabunden keine Ehrenbezeigung machte, und schlurfte auf das Licht des Stalles zu. Grete Würdemann erschrak fast bis zu Tode, als in der Tür ein Mann stand, der sich mühsam aufrecht hielt. Grete Würdemann sah, dass der Mann am Ende seiner Kräfte war und Hilfe brauchte. Sie zog ihn herein und gab ihm kuhwarme Milch, bettete ihn ins Heu und deckte ihn zu, deckte ihn zu mit Heu und Stroh. Hielt ihn versteckt, und das war gut. Später deckte er sie zu, und das war auch gut und ergab ein Kind. Und der Korse saß auf der Insel Elba. Die Dorfbewohner mochten den drahtigen und liebenswürdigen und arbeitsamen Franzosen und rieten ihm, doch die Grete Würdemann zu ehelichen, da dieses wohl auch dazu beitragen würde, um den alten Würdemann zu versöhnen und um dem kleinen Ferdinand einen ehrlichen Namen zu geben. Monsieur Vignaud tat das. Und der Kaiser saß immer noch auf der Insel Elba. Der Kaiser saß bis zum zweiten Kind, der Totgeburt, auf der Insel Elba. Die Kunde kam: Napoleon entflohen. Napoleon gelandet! Napoleon sammelt seine Armee! Napoleon kämpft! Monsieur Vignaud entfloh bei Nacht aus Walkenrode, gesund, kräftig und eingekleidet. Monsieur Vignaud kämpft wieder unter den Fahnen seines Kaisers. Monsieur Vignaud ist wieder Offizier der glorreichen französischen Armee. Madame Vignaud, geborene Würdemann und den Sohn Ferdinand ließ er zurück, und niemals mehr haben beide wieder von ihm gehört.

Kapitel 4

Alle Straßen führen zum Westen, alle Straßen, die aus dem Osten kommen. Aber alle Straßen, die aus dem Osten kommen, enden im Osten, enden am Schlagbaum der Demarkationslinie in der DDR. Vom Schlagbaum westlich führend sind die Straßen grün, solange sie durchs Niemandsland führen und bis sie wieder auf einen Schlagbaum treffen. Unkrautig verwuchert. Grün wie ein Rasen, ein ungepflegter. Wem dieser „Rasen“ wohl gehört? Alle Straßen, die vom zweiten Schlagbaum aus weiterführen, enden im Westen, irgendwo im Westen, oder an der Atlantikküste. Der Blutstrom der Straße ist aber unterbrochen durch den Rasen, durch das Niemandsland, und darum sind die Straßen krank, die im Osten und auch die im Westen. Die Straßen im Osten sind holperig und verdrückt und gedrückt. Die Straßen im Westen aber sind glatt, aalig, sauber, flüssig und gängig... und trotzdem sind die Straßen krank. Sie hockten zusammen im Schwesternzimmer eines Krankenhauses in der DDR. Lauthämmern eines Radios. Kein Westsender. DDR-Sender und laut, sollte ja auch gehört werden, dass man eben nebenan nichts hört, nebenan in der nächsten „Zelle“. Sie hocken zusammen, Mira Vignaud, ein netter junger Mann und zwei Jungärzte. F 6 rauchten sie, eine DDR-Filterzigarette, die einzige überhaupt, na ja, immerhin, es war doch eine Filterzigarette. Rauchten und steckten die Köpfe zusammen und sprachen miteinander und gingen dann auseinander. Gaben sich die Hand und versprachen sich, nächstens wieder so einen netten Abend zu verleben. Denn der Abend war nett, man hatte sich doch gut und angeregt unterhalten, F 6 geraucht und auch ein Gläschen Wein getrunken.

Durch die Nacht rollte und ratterte auf volkseigenem Pflaster ein Lkw, ein schwerer Lkw mit einem zweiachsigen Hänger. Rollte über die holperige Straße und rollte und rollte. „Verflucht!“ sagte der Fahrer, ein netter junger Mann, „wir haben uns verfahren!“ Der Beifahrer sagte nichts. „Wir müssen irgendwo wenden, verdammte Scheiße!“ Nun wende mal, kein Platz, nur lange, leere, dunkle Straße. Also weiter, müssen weiter, bis sich eine Gelegenheit und Platz findet. Und weiter, an blühenden Obstbäumen vorüber, über holperige Straßen und unter einem sternenlosen Himmel rollte der Lkw mit einem zweiachsigen Hänger, einem fluchenden Fahrer und einem schweigsamen Beifahrer. Und die Straße rollte ihnen entgegen. Die gelben Fächer der Lichtwerfer rissen die Nacht nur kurz auf, dann war es wieder die Dunkelheit, die ihre Herrschaft behauptete. Der Beifahrer sagte nichts. „Verdammt noch mal, wir müssen irgendwo wenden!“ Vorne sahen sie Licht! „Da!“ sagte der Fahrer, „da vorne, siehst du das?“ Der Beifahrer nickte nur.

An der Straße rechts stand eine kleine Holzbaracke, und der Vorhof lag im hellen Licht. Wichtig und stiefelig näherte sich ein Vopo der Straße und dem anrollenden und ausrollenden Lkw. Auch die Straße lag im hellen Licht und auch der Schlagbaum. Aus dem Fenster der Baracke quäkte Tanzmusik. Man sah den Unteroffizier am Schreibtisch sitzen. Der Schlagbaum, rotweiß geringelt, vergewaltigte die Straße. Schlagbäume haben es in sich und an sich, sie sind unsichtbare Mauern. Schlagbäume halten wohl keine Streitmacht auf, aber Schlagbäume halten einzelne auf und auch Leute ohne einwandfreie Papiere, ohne Pässe oder Ausweise. Das können Schlagbäume gut, solche Leute aufhalten. Schlagbäume haben die gleichen Gewohnheiten wie Schranken. Schlagbäume kann man zerschlagen, zersägen, verbrennen, wegfegen oder mit einem Lkw durchbrechen. Aber das können eben nur eine Masse Menschen, ein einzelner kann das nicht, er spielt mit seinem Leben. Und ein einzelner Lkw kann das auch nicht, Fahrer und Beifahrer spielen auch mit ihrem Leben. Und mit dem Leben soll man nicht spielen. So ist das nun mal mit Schlagbäumen! Aus dem Fenster des Lkws lehnte sich der Fahrer und ruft dem Vopo, dem Grenzsoldaten zu, dass er sich verfahren hätte und ob er hier wohl wenden könne. Verflucht noch mal, er wolle doch und müsse doch auch weiter, er habe verderbliche Ware auf dem Wagen und müsse morgen früh in Leipzig sein, bei der HO müsse er sein. Und ob er ihm nicht helfen könne, er und der Unteroffizier, den Hänger abzukoppeln, und dann könne er ja selbst mit dem Motorfahrzeug wenden. Der Unteroffizier lehnte aus dem Barackenfenster und lachte. Unteroffiziere lachen immer, wenn sie keine Untergebenen vor sich haben, das ist in allen Armeen der Welt so, nicht nur in der DDR... und Unteroffiziere sind auch Menschen. Aber arbeiten tun Unteroffiziere nicht gern, sonst wären sie keine Unteroffiziere geworden, das ist auch in allen Armeen der Welt so. Arbeiten tun sie nicht, auch in der DDR nicht, das war bei den alten Preußen schon so. Unteroffiziere aber wissen sich zu helfen, und dieser Vopounteroffizier wusste es auch und rief dem Posten zu: „Mach doch mal eben den Schlagbaum auf, da vorne ist doch Platz genug, da kommt gleich eine Wiese und da hat die Straße auch keine Bäume. Da kannste gut wenden. Kostet aber ‘ne Kleinigkeit. Was haste denn geladen, Genosse?“ „Frischgemüse und auch Schnaps. Kannst nachher ‘ne Flasche kriegen!“ „Na, denn fahr man los!“ Der Schlagbaum wies in den Nachthimmel. Schlagbäume sind gefügig, wenn ein Unteroffizier Order gibt. Schlagbäume sind keine Widerständler, wenn ein Unteroffizier Order gibt. Schlagbäume sind gute, treue Untergebene, aber ein Unteroffizier muss die Order geben. Nur verwunderte es den Posten, dass die Schlusslichter des Lkws nicht brannten. Muss ich ihm nachher sagen. Die Nacht war blütenduftig und still und dunkel. Zwei Lichtaugen näherten sich dem Wachhaus, zwei Lichtaugen, aus dem Osten brennend, in den Westen starrend. Ein Wartburg. Zwei Männer. Gestapogesichter. Staatssicherheitsdienst. „Ist hier eben ein Lkw durchgefahren?“ so fragte eine schneidende Stimme. „Ja, eben, der kommt gleich zurück, der wendet nur!“ „Quatsch, der wendet nicht... der wendet der DDR den Rücken... so, meine Herren, sieht das aus. Aber darüber sprechen wir gleich!“ Der Lkw ist noch einzuholen, der Schlagbaum stand noch auf, und der Wartburg preschte davon. Komisch, und auch dessen Schlusslichter brannten nicht. Es brannten überhaupt keine Schlusslichter mehr. Schluss mit Schlusslichtern. In der Sommernacht verwehte und verstäubte Motorengeräusch und Räderrollen. Für den Lkw mit zweiachsigem Hänger und für einen Wartburg mit Männern, die Gestapogesichter haben, führte die Straße aus dem Osten in den Westen. Und der Beifahrer konnte wieder sprechen, und unter seiner Mütze quollen lange, nachtschwarze Haare hervor, und ein Lachen warf sich in die Nacht, ein freies Lachen. Frei! Frei! So kam Mira Vignaud in den Westen.

Kapitel 5

Und Meilers Gedanken gingen zurück, liefen zu Mira, in ihren „Käfig“. Ihren freiwilligen „Käfig“. Als sie damals ins Zimmer trat, schön und schlank und selbstsicher, wurde er schon erregt. Meiler wurde stets erregt, wenn er sie sah und auch, so er an sie dachte. Aber ist das etwas Verwerfliches? Sie legte es doch wirklich nicht darauf an, ihn zu reizen, jedenfalls körperlich nicht. Sie trat auf, wie jede Frau heute auftritt, sich bewegt, sich gibt. Ihre Bewegungen unterschieden sich nicht von den Bewegungen anderer Frauen. Sie stand und ging und setzte sich wie andere Frauen auch. Aber warum war Meiler bei anderen Frauen nicht so erregt? Und als sie lachend und im Gespräch mit ihm in ihre langen schwarzen Haare griff, sie mit der Innenfläche ihrer Hand ordnete, oder ob es eine Verlegenheitsgeste oder eine Reflexbewegung war, stieg seine Erregung. Sie stieg vielleicht auch dadurch, dass er für Augenblicke die dunkle Haarfülle unter ihrem Arm sah. Meiler musste sich Zwang anlegen, um ihr nicht die Kleider vom Leibe zu reißen. Miras große dunkle Augen funkelten ihn an, so sie in einem Streitgespräch nicht gleicher Meinung waren, ihm aber kam es auf die Meinung, ob seiner oder Miras, gar nicht so drauf an, er wollte sie besitzen, ganz besitzen. Er wollte sie nackt sehen, er wollte sie weich sehen, er wollte ihre Hingebung sehen, er wollte sie schwach sehen. Verdammt noch mal, dann ist doch das Weib erst Weib, wenn es schwach ist, wenn es sich gibt und ergibt. Trottel sind doch die Männer, die nur ihre Lust befriedigen wollen, ihre Lust. Sie sind zu vergleichen mit Männern, die einen Handwagen ziehen, bergan, und genießen die Lust, dass sie es mit dem Handwagen geschafft haben. Die anderen aber, die fahren in einem Himmelswagen, der dahingleitet und ausgleitet wie ein Schlitten. Das ist der Unterschied. Wie oft war er bei ihr und sie bei ihm, nie ist es soweit gekommen, wie er es wollte oder sie. Ob sie in ihrem Zimmer des Schwesternhauses zu ihrem Schutz die Schwesterntracht trug, weißer Kittel und weißes Häubchen, das war schlecht zu sagen. Jedenfalls aber war es für Melchior Meiler ein Hindernis. Hielt ihn zurück, sie einfach hinzulegen oder umzulegen. Auch wohl eine verrückte und überholte und anerzogene Hemmung. Denn auch in einer Krankenschwesterntracht steckt das Weib, und auch im grauen oder schwarzen Umhang der Nonne steckt das Weib. Unter der weißen, grauen oder schwarzen Tracht oder Kutte lebt das Weib, schaukelt ein Busen, sitzt zwischen den Beinen die Scham mit ihren Haaren. Nein, Meiler kam Mira Vignaud einfach nicht näher, die Küsse, die sie wechselten, waren mehr freundschaftlich (so meinte er), obwohl sie es von seiner Seite eigentlich nicht waren. Gut, richtige Bruder-und-Schwester-Küsse. Heute aber, heute, am Tage oder in der Nacht, sollte es sein, das hatte er sich geschworen. Mira saß auf einem Cocktailsessel vor ihm, ihr enger Rock spannte sich fest um ihre Schenkel. Meiler sah ihre schönen ebenmäßigen Knie und auch viel von den SchenkeIn. Nur gut, dass er eine straff sitzende Unterhose trug, sonst könnte sie sehen, wie erregt er war, und das sollte sie nicht. Sich vorzustellen, dass ihre langen, weißen Hände sein Wollen umfassen und es streicheln, könnte es bald mit seiner Fassung vorbei sein. Und wenn er sich weiter vorstellt, dass er in sie eindringt, und sie ihre nackten Beine um seine Lenden schlägt… nein… nein, nicht mehr weiter denken. Meiler stand auf, trat an ihren Sessel und küsste sie, verlangend, fordernd. Kein Bruder-oder-Schwester-Kuss! Und Meiler fühlte eine Erwiderung. Eine Erwiderung, wie er sie in den Wochen ihrer Bekanntschaft noch nicht erlebt hatte. Ihre Zunge suchte auch die seine und wanderte auf seinen Lippen hin und her und zirkelte auch in seinem Mund. Sein Wollen presste sich gegen ihren Arm, hart und fest, sie musste ihn fühlen, und jetzt sollte sie ihn fühlen. Jetzt sollte sie wissen, wie es um ihn stand. Mira griff in Meilers Nackenhaare und drückte seinen Kopf fest zu sich und biss sich an seinen Lippen fest. Meiler hatte seine Hände frei, griff in ihren Blusenausschnitt und streichelte die linke Brust. Ihre starke, harte Brustwarze konnte er zwischen seinen Fingerkuppen fühlen Plötzlich ließ sie ihn los, ihre Arme hingen schlaff herab, die Augen waren geschlossen, und sie atmete schwer und tief. „Mel... ach, geliebter Mann.., du!“ Das konnte er verstehen. Nun war die Frucht reif. Vollreif. Die Frucht war jetzt bis zur Süße gereift. Die Frucht, die er von der Knospe und Blüte an sah und erlebte, blühen, und reifen sah. Von der Knospe zur Blüte, und von der Blüte zur Frucht, zur jungen und jetzt reifen Frucht. Und diese Frucht war für ihn, er brauchte sie nur zu pflücken, zögerte er noch, würde die Frucht überreif werden und abfallen, und das wollte er nicht. So trug er sie auf die Couch. Langgestreckt lag sie da, die Augen geschlossen. Das Tageslicht des Winters fiel durch die Blattgewächse des Zimmers. Wie Meeresrauschen der Straßenverkehr, gedämpft, dunkel. Mira bewegte sich nicht, als er ihr die Bluse auszog, den Büstenhalter abnahm. Sie bewegte sich nicht, nur ihre Augenlider flatterten ein wenig. Früchte, reife, vollreife. Nun beugte Meiler sich über ihre Brust und streichelte sie, fuhr mit sachten und leisen Händen darüber hin. Küsste den fieberheißen Mund, der nicht mehr küsste, sondern nur noch sog und seinen Speichel trank. Nie vorher hatte er eine Frau gekannt, und er konnte sich über Mangel an Frauenbekanntschaften nicht beklagen, die so küsste wie Mira Vignaud. Und wie eine Frau, so liebt sie auch, denn der Kuss ist der Vorhof der Leidenschaft. Der Kuss ist der Weg, der in die Parkanlagen führt! Und er warf sich stöhnend auf sie, so wie er war, angezogen. Er warf sich stöhnend auf sie, so wie er war, halb angezogen oder halb ausgezogen. Und Meiler drückte sein Geschlecht auf ihr Geschlecht, sein Wollen auf ihr Wollen. Dazwischen waren Unterhose und Hose, dazwischen waren Rock und Seidenhöschen. Weit ab von einem Gewaltakt, weit ab! Es ist doch seltsam, wie weit haben uns doch die Zivilisation und die Religion und das Elternhaus und die Erziehung von der Natur entfernt, wie weit. Was muss man doch alles überbrücken und niederreißen, aufknöpfen, ausziehen, aushaken, aufziehen, bis man so ist, wie man natürlich sein muss oder will - nämlich nackt. Scham? Ist die Scham eigentlich natürlich? Tiere kennen doch auch keine Scham. Ist die Scham anerzogen? Sie müsste doch wohl natürlich sein, denn Meiler dachte an Baströckchen und Lendenschurz und Feigenblatt. Ja, ans Feigenblatt dachte er auch, besonders ans Feigenblatt. Natürlich dachte er ans Feigenblatt, denn wo das saß, darunter, dahin, dahinein wollte er, das war jetzt das Bestreben seines Wollen, seiner Begierde und seiner Sehnsucht. Getan werden musste etwas, aber es war doch schwer für ihn. Schattete noch die Krankenschwester über ihn, sah er doch ihre reine, weiße Tracht und ihre weiße Haube. Hemmte ihn die Erinnerung an ihre Hände, die ihn pflegten, ihn verbanden, ihm die Ente anlegten oder das Sitzbecken unterschoben? Sah er wieder die liebende pflegende Mutter? Deubel noch mal! jetzt hatte sie doch keine weiße Tracht an und trug auch kein weißes Häubchen. Jetzt pflegte sie doch auch nicht, verband ihn nicht, legte ihm keine Ente an und schob kein Sitzbecken unter. Jetzt lag sie doch halbnackt vor ihm, und nur noch der Rock und nur noch das Höschen, dann war der Weg doch frei, frei, um einzudringen in ihr Geschlecht. Dann war es doch soweit! War es dann soweit? Nein, das war auch noch nicht alles, und das war es auch nicht, denn er musste sich auch noch entkleiden. Und das war schlimm und schwer, das war überhaupt das schwerste. Aber sie hat doch die Augen geschlossen und blinzelt auch nicht. Widerstandslos ließ Mira sich den Rock ausziehen, und, das schwarze Seidenhöschen war die letzte Hülle. Er aber zog sich nicht aus, er tat es doch nicht und noch nicht, entledigte sich nur seiner Jacke, knöpfle seine Hose auf, und sein Geschlecht, bis zum äußersten gespannt, suchte sich mühelos seinen Weg und wurde aufgehalten. Melchior Meiler kannte die Krankenschwester Mira Vignaud nicht wieder, sie verleugnete ihr französisches Blut nicht. Mit fast wilder Gier griff sie nach seinem Geschlecht, drückte es schmerzhaft und führte es ein. Warm und nass drang es ein! Miras Augen waren weit geöffnet, und sie stieß kurze abgehackte Schreie aus. Meiler erschien es, als seien ihre Augen noch dunkler, dunkler noch als ein Bergsee, auf den die Schatten des Abends und der großen Tannen lagen. Und als die Erfüllung kam, und sie kam zuerst bei ihr und kurz darauf bei Meiler, stand ein Schrei im Zimmer, ein Schrei, als ob ein Mensch in Todesangst schrie. Mira schlang ihre Beine um die Lenden Meilers, und ihr Körper zuckte wie eine Katze, die man erschlagen hatte. Ihre Nägel gruben sich in sein Rückenfleisch. Diese Nacht blieb sie bei ihm. Sie badeten und liebten sich und badeten und liebten sich wieder. Lagen dann ermattet nebeneinander, und ihre Körper berührten sich, so eng lagen sie nebeneinander.

Sind die Menschen leer und körperlich ausgebrannt, dann huscht die Seele hervor und die Sprache und die schonungslose Offenheit. Sie sagte, dass sie ohne das nicht leben könne, dass sie krank sei, wenn sie das nicht hätte und dass ihr Körper das verlange. Sie müsste einen Mann haben, täglich, nächtlich. Aber warum sie denn bei ihm so lange gewartet hätte, das, alles könnte doch schon vorher gewesen sein. Ja, sein Verlangen wäre wohl nicht so stark gewesen, und es sollte auch nicht ohne Sympathie sein. So wäre es ja nun auch nicht, dass sie mit jedem x-beliebigen Mann ins Bett gehen würde, so nun auch nicht. Sympathie und Zuneigung müssten schon da sein, und so lange könne sie auch warten. Außerdem wolle sie den Mann nicht gleich erschrecken, erschrecken und schockieren mit ihrem Trieb. Das sagte sie auch noch, dass, so er wieder auf See sei, sie auch mit einem anderen Mann schlafen ginge. Er könne aber auch getrost irgendwo in einem ausländischen Hafen mit einer Frau schlafen gehen, das würde sie ihm nicht verübeln. Gleiches Recht für alle, für Mann und Frau. Sollte sein Schiff wieder im Heimathafen liegen, wolle sie für ihn da sein, nur für ihn, und er müsse für sie da sein, nur für sie. „Liebst du mich, Mira?“ „Du, ich weiß wirklich nicht, was Liebe ist, und ob es sie überhaupt gibt, das weiß ich auch nicht. Du bist mir sympathisch, und du erfülltest mich, und das beim ersten Male. Du bist, glaube ich, kein Egoist!“

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