Kitabı oku: «UTOP», sayfa 4

Yazı tipi:

Wollen wir unsre Kultur auf ein höheres Niveau bringen, so sind wir wohl oder übel gezwungen, unsre Architektur umzuwandeln. Und dieses wird uns nur dann möglich sein, wenn wir den Räumen, in denen wir leben, das Geschlossene nehmen. Das aber können wir nur durch Einführung der Glasarchitektur, die das Sonnenlicht und das Licht des Mondes und der Sterne nicht nur durch ein paar Fenster in die Räume läßt – sondern gleich durch möglichst viele Wände, die ganz aus Glas sind – aus farbigen Gläsern. Die Glasarchitektur wird erst kommen, wenn die Großstadt in unsrem Sinne aufgelöst ist. Auf der Venus und auf dem Mars wird man große Augen machen und die Erdoberfläche gar nicht mehr wiedererkennen.

Die ganze Nacht hindurch

hatte der Donner grollend vor sich hingemurmelt, doch die Dämmerung fand die Wetterspannung nicht entladen. Die Siedler hatten sich vor Morgengrauen aufgemacht, ohne Sabine, die erst ihre Kühe melkte, und ohne Vera Petroff. Für die andern Frauen hatte man ein Zeltdach mitgenommen, und die Pferde trugen Hüte auf den Köpfen und genetzte Decken auf dem Leib, zum Schutz gegen die Fliegenplage. Kreatur und Menschen litten an der Hitze, wie an einer Krankheit. Mähne, Schweif und Haut der Pferde, trotz der Hülle von Insektenstichen gereizt, waren in beständiger gepeinigter Bewegung, und ihre Hufe schlugen abwehrend nach allen Seiten aus; die Hunde lagen regungslos, die Zungen hingen ihnen lechzend aus dem Maul. Schwefelgelb ruhte die Halbkugel des Himmels auf den Fluren. Die Wiese war gesäubert und die letzten Bündel aufgestakt. Mit einem nochmaligen Aufgebot von Kräften stießen Menschenarme das hochbeladene Gefährt vom Rain hinunter auf die Straße, auf der sich die Pferde, von einer instinktiven Angst befallen, kräftig in die Sielen legten. Schon fielen ein paar schwere warme Tropfen; der erste Blitz schien den Himmel in zwei Hälften zu zerspalten.

Sybille ging noch einmal zu Orff

er fuhr sie nach einer Straße, die sie nicht erkannte, in ein Haus, das sie später nie wiederfand. Diesmal war er abwechselnd leidenschaftlich und zärtlich, aber er erzielte nur die gleiche Wirkung, – ein gespanntes Aufmerken ihrerseits, ob eine Veränderung in ihr folgte, ob irgendeine Teilnahme der Nerven oder Sinne geweckt wurde. Sie verspürte gar nichts. Sie kamen sich erst etwas näher, als sie angezogen war. Er war nervös, ihm war schlecht und bitter zu Mut, sie war nur blaß und körperlich erschöpft, aber ganz klar, fast spöttisch; ja, sie empfand etwas wie Mitleid mit ihm und seiner Unbefriedigtheit!

»Sind Sie mir böse?« fragte er. »Wahrscheinlich habe ich es verkehrt angestellt.«

»Nein,« sagte sie ganz sanft und ohne jegliche Scham. »Genau so habe ich’s mir gedacht.«

»Sapristi!« Der Weltmann und Raisonneur in ihm schlug den Wüstling und Genußmenschen tot, er fing an, sich ganz ausnehmend gut zu unterhalten. »Sie haben mich von der Unangreifbarkeit und Staatsgefährlichkeit Ihres Geschlechts, die ich bis jetzt bezweifelte, überzeugt. Ich möchte Sie trotzdem um eine Sache bitten,« sagte er prüfend, während sie da grau und korrekt saß – vor dem Bett mit den übereinandergeworfenen Seidendecken, einem lang herabhängenden, weißen Laken, in einer ihr ganz fremden und zweideutigen Umgebung. »Schweigen Sie von diesem Abenteuer!«

Sie sah ihn frostig an. »Das ist meine Sache.«

Unter den Bäumen draußen sagte er: »Ich würde für mein Leben gern um Sie werben, Sybille! Es geht nicht und ich würde kein Glück haben. Erlauben Sie mir, daß ich Ihnen etwas schenke, ein Andenken.« Das Andenken war eine Madonna im Strahlenkranz auf einer Goldplakette, nach dem Entwurf eines französischen Künstlers. Er riß das Plättchen vom Armband, das er trug, los. Sybille steckte es achtlos in die kleine Seitentasche ihres grauen Sackpaletots. Sie sah fast wie ein Knabe aus, als sie von ihm ging, auf ihren festen, englischen Stiefeln, das blonde Haar unter der kleinen Sportmütze dicht zusammengeknotet.

die Verwüstung, durch den Orkan verursacht

hatte Bäume ausgewurzelt, Fensterglas zerklirrt, Blumen und Gemüseanlagen zerknickt. Mitten in einer geschäftlichen Beratung mit Urbschad, Karl Sodählen, seinem älteren Sohn und Caspar Hucke kam Sabine, erhitzt und mit entfärbten Lippen: ob es wahr sei, man wolle das Kälbchen schlachten, das Kind von Beß, das sie aufgezogen hatte, das ihr folgte wie ein Hündchen …

»Was meinst du, das wir mit dem Kälbchen machen sollen?«

»Aufziehen, selbstverständlich.«

»Aber woher das Grünfutter beschaffen?«

Sabine preßte ratlos die Finger ineinander, »aber Bessys Kälbchen braten, das ist doch, als ob man sein eigenes Schwesterchen verzehrt.«

Die Männer wendeten sich ab, um ihr Lächeln zu verbergen. Urbschad aber nahm Sabines Hand, die eisig war, und sagte: »Liebe, wir nehmen dir dein Kälbchen nicht.«

Als sich hinter ihr die Tür geschlossen hatte, kam er den anderen zuvor. Er habe sich gestern mit der Schriftleitung einer Zeitschrift in Amerika geeinigt, eine Folge von Artikeln über Siedelungsfragen abzufassen. Das Honorar sei bereits unterwegs, es gehöre selbstverständlich der Gemeinsamkeit.

am Steuer

saß Mathias, Sodählen ruderte; doch am jenseitigen Ufer, unterhalb des Berges, angekommen, sonderten sich die Eheleute Urbschad ein wenig ab. Mathias erleichterte der Frau den Aufstieg, er stützte sie, wenn ihr Fuß auf den glatten Tannennadeln auszugleiten drohte, oder sich in vorstehenden Baumwurzeln verfing. Jetzt traten sie aus dem Gestrüpp heraus in die Lichtung, die über den Hügelrücken lief. Die Felder, Brachen, Wiesen, die kleinen Herden braun- und schwarz-weiß gefleckter Kühe, die mit den Schafen und den Ziegen langsam und schwerfällig ihr Futter suchten; nur selten, daß sich Hütten zu einem Dorf vereinten. Von oben her betrachtet, verflachte sich das Auf und Nieder des Bodens, man konnte das Land in seiner Besonderheit verfolgen.

Der Boden ist nicht Produkt oder Ware, sondern eine Voraussetzung des Lebens, ein Stück Natur, wie Luft, Licht und Meer, und muß, wenn er schon für die ideellen und doch wirklichen Beziehungen geschmeidig und tauschbar wird, gemäß einer andern Realität oder Möglichkeit diesen Grundzug, Natur zu sein, ewig behalten. Luft, Licht und Meer können nie Eigentum sein, weder Privateigentum noch Gemeineigentum, sondern sind frei. In Luft, Licht und Meer tummeln sich nach den religiösen Vorstellungen der Völker Götter und Geister; aber nie hat diese religiöse Verehrung eine Beziehung zu Untertänigkeit eingehen können. Unausrottbar ist in der Vorstellung der Völker auch die Freiheit des Bodens.

Halle

war eigentlich ein zu anspruchsvolles Wort für den Holzbau, der sich am Hügelrand erhob. Pfosten, Dach und Boden waren aus beschältem und behauenem Fichtenstamm gefügt, aus demselben Holz bestanden auch der Tisch, die Sessel und die Wand, die auf der Wetterseite den Raum gegen einbrechende Winde schützte. Abendröte strömte über den Tisch und die Blumen, Speisen und Getränke, sie legten jeden Riß und jede Falte bloß und milderte doch alle Härte, verschmolz das Vielerlei zur Einheit.

Mathias Urbschad glich einem Propheten, wie er hochaufgerichtet, das ergraute Haupthaar gegen den Goldgrund des Abendhimmels abgehoben, sagte, der Gedanke an einen Bund der Liebe, diese Sehnsucht müsse wohl mit ihm geboren worden sein. Er erinnerte an jenen Abend des vergangenen Sommers, ein Hagel hatte sie überrascht und den Wunsch wachgerufen, sich eine Herberge im Walde zu schaffen. Nun sei die Laube ein Sinnbild der Siedelungsidee. In ihr verwirkliche sich die Auflehnung gegen die mörderischen Grundsätze der Arbeitsteilung. Mathias verließ seinen Platz, um an die Einzelnen eine kurze Anrede zu richten. Zunächst an Karl Sodählen, den er die Stütze des jungen Wirtschaftswesens nannte, und den er scherzhaft bat, sich auch ferner an seine allzuleicht beschwingte Phantasie als Bleigewicht zu hängen, das zur Wirklichkeit herunterzieht. So schritt er die Tafel in der Runde ab, und stellte durch warmen Dank einen jeden gleichberechtigt neben sich.

Es war inzwischen finsterer geworden, er konnte in den Mienen der Angeredeten nicht lesen; aber ein verzücktes Stammeln Vera Petroffs ließ ihn einen Ausbruch der Frauenüberschwänglichkeit befürchten. Da schnitt Karl Sodählens polnisch-deutsche Mundart in die weibliche Erregung. Sein schwerfälliges Hirn hatte, was als Lob gemeint war, als Vorwurf aufgefaßt. »Der Herr tut mir Unrecht, wie werd ich mich denn unterstehen und vom Herrn so eine schlechte Meinung haben. Aber mit Reschpekt zu sagen, so prächtig wie Herr da reden, schaut sich auf Siedelung nicht aus.«

»Mit unser Gerätzeug ist von A bis Z kein Staat nich mehr zu machen.«

»’ne Mähmaschine haben sie sich schon bald auf jeder Klitsche.«

»Gehört sich ein Untergrundpacker her, drückt er harten Boden tief hinunter.«

Urbschad zögerte, und sprach es dann doch aus. »Ihr wißt, daß ich die Möglichkeit, dieses Stück Erde für uns zu erwerben, der Hochherzigkeit meines ostpreußischen Jugendfreundes Wilhelm Penschuk danke, dem ich in Amerika wieder begegnet bin. Was wir bebauen, ist nur das kleine Vorwerk seines Gutes, und meine Hoffnung ist, auch diesen Boden von dem Joch des Geldes zu befreien. Um einen Schritt bin ich meiner Hoffnung näher. Herr Penschuk ist mit seiner Tochter in Hamburg, ich erwarte täglich die Ankündigung ihres Besuchs.«

Frage auf Frage wurde aufgeworfen. Die Sodählen kannten das Herrengut, die Ausdehnung der Äcker, den Waldumfang, den Viehbestand und die Zahl der Pferde, sie ließen sich zu Übertreibungen verleiten, die zurückzudämmen Mathias sich verpflichtet fand. Dabei verdeutlichte sich ihm selbst, zwischen Behauptungen und Widerlegung, das Bild der Möglichkeit; auch die irdischste Selbsthilfe des Pragmatismus hat ihren fernen utopischen Stern im Blut. Mehr Raum für neue Zuzügler, durch die schöne Wechselwirkung von Arbeit und Ertrag bessere Bedingungen sie zu ernähren, mit allen Mitteln der modernen Technik der Boden bis aufs letzte ausgenutzt, durch Bereicherung der Hilfsquellen die Aussicht, Muße zu Kunst und Geistigkeit zu finden. So würde die Siedelung sich entwickeln und aus der Wüstenei des ungerechten Lebens ragen. Und so Tat auf Tat, aus diesem unscheinbaren Anfangen hervorgegangen, aus dem Willen einer Handvoll Leute, die den Mut hatten, sich loszusagen von Unvernunft und Tyrannei.

Kulturbeherrschung

Europa Fuld war des bekannten Amsterdamer Kunsthändlers Tochter. Als sie nach dem Krieg von 1870 geboren wurde, gab ihr der Vater in pazifistischer Wallung den weitausholenden Namen. Was sollte aus ihr werden?

In Sekunden war sie komplett geworden. Sie spürte, wie auf dem Weg zur Ermittlung historischer und augenblicklicher Wahrhaftigkeit erhaltene Schulbildung nicht nur überflüssig, sondern lästig war, weil sie aus allem gelernten Ereignis immer erst bürgerliche Absicht entfernen mußte, bis sein unkompromittierter Sinn klar wurde. Auch nach endlicher Klarheit blieb die Behauptung stehen: germanischer Geist in Darwin, mächtiger in Karl Marx hatte die Führung der Welt in dem Sinn an sich gerissen, daß er erkannte: Unter Menschen geschieht Leben nicht nach ewigen und absoluten Gesetzen, sondern zu allen Zeiten aus naturwissenschaftlichen, ökonomischen Entwicklungen, denen Veränderungen, Klassenkämpfe, in der Gesellschaft entsprechen.

Es kann, stand für Eura fest, aber nicht etwas zugleich notwendig und von Vernunft anders gewollt sein. Aber Gefühl, Behauptung eines Metaphysischen, war seit der Reformation gerade von den Deutschen erledigt worden. Und zwar mit gleicher Kraft in beiden allmächtigen Systemen, die nacheinander das Volk geführt, um Alleinherrschaft gekämpft und sich schließlich auf ein Programm zu seiner Leitung geeinigt hatten: preußisches Junkertum und Sozialismus.

Als nämlich lange vor der durch Philosophen entdeckten Notwendigkeit, in die der Mensch geschlossen ist, auf ostelbischem Sand besonders der Junker gemerkt hatte, es gälte, diesen Boden zum Früchtetragen zu bringen oder zu verrecken, hatte er das Schicksal nicht nur hingenommen, sondern gleich begonnen, sich zum Verwalter und Herrn zu machen. Der Untertan wurde mit der Fuchtel zu gehorchen gezwungen, für fremden Befehl, überpersönlichen Willen, in dem er eigenes Heil miterblicken sollte, wachgetrommelt und angetrieben; mit Spießruten, Militärmusik und Parademarsch in preußischen Gleichtritt zur Kulturbeherrschung hineingepaukt. Als aber der Sozialismus aufsprang, dem Junker die Herrschaft zu entreißen, stand er zwar mit aller anderen Regung ihm todfeindlich gegenüber, die gleiche harte äußere Notwendigkeit aber, die durch Jahrhunderte der preußische Führer aus Behauptungsinstinkt und dem Drill der Massen hatte beherrschen wollen, wurde auch immer ausschließlicher die Sphinx, auf die geblendet der Sozialismus starrte, und die er nicht mit bewußtem Adel des Bluts, doch mit Wissen und Vernünftigkeit zu seinem wirtschaftlichen Vorteil leiten wollte.

Da erkannte Eura zum erstenmal Gefahr, die darin lag, daß über Trennendes hinaus, dunkelste Reaktion und wütender Fortschritt in Deutschland mit anderen Mitteln immer hartnäckiger zum gleichen Ziel marschierten: zur Kulturbeherrschung. Und daß aus dieser Berührung beim Zusammenprall mit einem äußeren Feind, mit anderer Weltauffassung fremder Völker, die rein menschliche Bedeutung deutscher Sozialdemokratie, die ihr als dem praktisch fortgeschrittensten System des europäischen Sozialismus anhing, im Taumel eines Kriegsausbruchs verwischt und zu nationalen Zwecken mißbraucht werden mochte. Da flammte mit schöner Flamme ihr heftigstes Bedürfnis auf: das Element in Marx’s Lehre zu finden, das als radikales Fanal den von ihr über alles Irdische gehaßten preußischen Untertanengeist vor begünstigten Führern ein für allemal scheide von jenem im kommunistischen Manifest enthüllten natürlichen Zwang, dem mit aller Kreatur Menschheit aus höherer Notwendigkeit unterläge, und in dem es sich mit Revolten orientiere und behaupte. Aber wie sie auch Material bis in ungekannte Einzelheiten durchforschte, wie tief sie zu Quellen deutscher Arbeiterbewegung stieg, sie fand in ihr keinen Gedanken und kein Kommando mehr, aus dem nicht mit Geschicklichkeit und Schmiß jeder General im gewollten Moment Kadavergehorsam für ein gewolltes Ziel der Nation fordern konnte.

Frauen aus allen Ländern

waren zusammengekommen, sie hielten Vorträge, statistisches Material wurde beigebracht, und immer waren die Säle gedrängt voll, selbst elegante Weltdamen fanden sich ein. Sybille traf Molly, sie hatte ein entzückendes, goldkäfergrünes Ledertäschchen und ein gleichfarbiges Notizbuch, worin sie ihre Anmerkungen eintrug. Mollys pikantes Gesicht mit dem Stumpfnäschen, unter der sorgfältigen Bepuderung und Emaillierung, stach freundlich ab gegen die hakennasigen und energischen Köpfe der frauenrechtlerischen Garde, die in Reformkleidern und Schlapphüten die Reihen füllten. Sie war ein Kolibri zwischen der Krähenschar, wandte sich unterhaltungssüchtig hier- und dorthin. »Sybille, ich finde, daß die Luft hier erdrückend ist. Es sind zuviel Menschen und alles Frauen! Warum gibt es soviele Frauen? Das ist doch entsetzlich, daß es soviel Frauen gibt!«

Eine energische Dame mit kühngebogener Nase und kurzgeschorenem Haupthaar forderte für die Frau unbeschränkte Liebesbetätigung wie für den Mann. Ja, mit allen Konsequenzen! Die Kinder erzog der Staat, der jede Mutterschaft als gesetzmäßige und staatserhaltende Tat anerkennen müßte.

Man müßte Verführer und Verführte bestrafen: die Gelegenheit und den Dieb. Wenn es verboten ist, sich Liebesstunden bezahlen zu lassen, muß es verboten werden, Liebesstunden zu kaufen. Aber die Erfahrung lehrt, daß der Mensch ohne Liebesstunden nicht leben kann. Also müßte die Liebe anders organisiert werden. Aber organisierte Liebe klingt so peinlich. Der Gerichtshof besteht aus Männern, und es erfordert weniger Kraftaufwand, das schwache Geschlecht zu bestrafen, als Männer zur Rechenschaft zu ziehen, die ihre stärksten Neigungen geheim zu halten wünschen.

Diese kräftige und radikale Jungfrau wurde von einer wohltuend milden und gescheitelten Matrone abgelöst; sie verlangte kein Sichausleben weder für den Mann noch die Frau, beide Geschlechter sollten in Enthaltsamkeit wetteifern, den Verführer traf die gleiche gesetzliche Strafe wie die Verführte. Die alten Germanen waren keusch, die neuen müssen es wieder werden! Sybille fand, daß lauter Phrasen gesagt wurden oder man erörterte langatmig gänzlich Unwichtiges. Die Kernfragen waren doch die: Steht die Frau in einer körperlichen Abhängigkeit vom Mann? Ist sie ihm durch das Blut unterworfen oder herrscht sie? Und besaß sie ihren freien, vom Geschlecht unabhängigen Willen, den die Erfahrung der Jahrtausende ihr abstritt und beschnitt?

Nun kam ein Besucher und es war Orff. Molly freute sich und wurde ein ganz klein wenig verlegen, weil man über ihre Beziehungen zu Orff viel geredet hatte, denn Orff war sehr reich und Molly hatte sehr viele Wünsche. Er fragte Sybille, wie es ihr ginge und ihr kam vor, als ob er sie prüfend ansah. Sie sagte: »Sehr gut.« Durch eine Ideenverkettung, weil sie sich einbildete, er meinte, daß sie erröten müßte, stieg eine Röte in ihr Gesicht. Orff neckte Mela mit ihren Emanzipationsgelüsten. Früher stickten die Jungfrauen und lasen Verse, heut marschierten sie und veranstalteten Konferenzen. Träumerisch sagte Molly: »Ich möchte auch mal sprechen! Ich möchte über das Wunderbare und die Frauen sprechen.«

Er rührte spielerisch an ihre zweimal verschlungene Perlenschnur. »Das ist das Wunderbare. Für die Frau vom Meer und die Frau vom Land. Für alle Frauen. Nein, für Fräulein von Chavanais nicht!«

Sybille sagte: »Ich habe kein Geld und brauche keins. Nein, in dem Punkte bin ich unangreifbar!«

»Princesse lointaine –« murmelte er.

Das schwarze Kleid warf das Bild einer Fremden

aus dem Spiegel zurück. Das Feierliche der Prüfungszeremonien erregte. Alles war voll Gegensatz und Verwirrung. Die Öffentlichkeit, in die man gestellt wurde. Die fremd gewordenen Gesichter der Professoren. Es war selbstverständlich, daß Mara Auszeichnung erhielt. Und es war gleichgültig.

Der Film eilender Landschaften entrollt sich vor den Kupeefenstern. Hundertmal blickt Mara zu ihren Koffern empor. Erstes Spielzeug. Dinge, die unbedenklich in den Mund gesteckt werden dürfen. Aber im nächsten Jahr! Wenn Nino bei Mara in der Stadt sein wird, dann wird sie für ihn die merkwürdigsten Tiere aus Plastilin kneten. Lange hatte Stane nicht mehr geschrieben und noch länger war es her, daß die kleine Photographie von Nino gemacht worden war. Seine ersten Haare waren schwarz gewesen. Mara, die so viel Wissen in ihr Denken gestopft hatte, daß man ihr dafür den Doktorhut verliehen hatte, kannte die Geheimnisse der Spektralanalyse und wußte nicht, ob ihr Kind schon alle Farben erkennen konnte.

Stane wartete am Bahnhof. Warum hatten sie den Kleinen nicht mitgebracht? Mara streckte der Alten beide Hände entgegen.

»Es ist schön, daß du trotzdem gekommen bist!« sagte Stane und betrachtete Maras Kleidung.

»Trotzdem? – Aber wo ist Nino?« Stane war wohl nicht mehr richtig in ihrem Kopf?

Die Augen der Alten wurden ganz groß. »Nino? Aber er ist doch mit dem Engländer fort!«

Mara faßte Stane an den Schultern. »Fort? Was heißt das?«

Stane begann zu weinen: »Ich verstehe gar nichts mehr. Nino wurde doch schon vor vier Wochen von dem Engländer geholt. Er kam in deinem Auftrag. Der Bürgermeister …«

»Was redest du für Unsinn?« schrie Mara erblassend.

Der Bürgermeister sah ein wenig angstvoll auf die junge Dame, die blaß inmitten der Hausleute stand. Aber natürlich, wenn eine aus Gruda sich nicht mit dem Leben im Dorf bescheiden wollte und in die fremden Städte fuhr! »Es ist alles vollkommen in Ordnung«, begann er in überlegenem Ton. »Uns trifft jedenfalls keine Schuld. Ein Mister Atkins kam vor ungefähr vier Wochen zu Stane Radonic – er wies dein Schreiben vor …«

»Einen Brief von mir? Aber ich habe doch nicht geschrieben!«

Ja, wissen Sie, Gabriele

fuhr Paul Seebeck lebhafter fort, »schon am ersten Tage in Sydney, wo ich in der Bibliothek der Geographischen Gesellschaft saß, sank mir der Mut. Dann sah ich vom Dampfer aus meine Insel, deren Entstehung natürlich die große Flutwelle verursacht hat. Und da beschloß ich, auf ihr meinen Staat zu gründen. Und unser Plan eines wirklich modernen Staates auf demokratischer Grundlage, mit dem Prinzip der größten persönlichen Freiheit war ja schon lange fertig.«

»Wer ist wir?«

»Silberland, ein Journalist und radikaler Politiker, und ich. In meiner Münchener Zeit sind wir oft nächtelang im Café Stephanie gesessen und haben immer nur unseren Staat besprochen.«

Frau von Zeuthen nickte und Seebeck fuhr fort: »Wie ich also wußte, daß die Insel herrenloses Land darstellte, schrieb ich Silberland, er solle mir eine Vollmacht als Reichskommissar verschaffen. Aber das Kolonialamt verlangte mich selbst zu sehen. So mußte ich nach Berlin. Ich hatte schon Wochen allein auf meiner Felseninsel zugebracht, es wurde mir schwer, sie wieder zu verlassen.«

die Lebensführung Robinson Crusoes

Mathias Urbschad, William Penschuk und sein Vertrauensmann Edward Hartley saßen einander gegenüber, vor sich einen Stapel Geschäftsbücher. Der Gutsherr wollte Einsicht in die Ergebnisse der gemeinschaftlichen Wirtschaftsführung nehmen und auf die Möglichkeiten schließen, die ein vergrößerter Besitz den Siedlern versprach. Mathias hatte damit angefangen, die Verhältnisse der Siedelung klarzulegen. Es klang beinahe wie Entschuldigung, wenn er vorausschickte, daß ihre Formen noch nicht gefestigt seien, noch vielfach mit der Geldwirtschaft verbunden. Er vertrat die Siedelung als Bevollmächtigter. Wie von einem Selbstvorwurf berührt, gab er zu: das erstrebte Ziel der Tauschwirtschaft sei noch unerreicht. Man müsse kaufen, aber sei schon in der Lage, manche Einkunftsquelle auszuschöpfen. Stolz rühmte er die Leistungen der Gemeinschaft. Die Frauen flöchten Körbe, Hubert und einer seiner Freunde zimmerten allerlei Geräte, und diese Waren würden in der Kreisstadt gern gekauft. Von den Feldfrüchten und vom Getreide erziele man schon einen Überschuß; auch sei die Milch verpachtet, und in diesem Sommer habe man den Markt mit Gemüse, Eiern und Obst beschicken können. An dieser Stelle warf Penschuk die Bemerkung ein, die Lebensführung Robinson Crusoes habe die der Siedler an Üppigkeit sicherlich übertroffen. Mathias dachte, es würde für ihn leichter sein, gegen eine vollständige Ablehnung zu kämpfen, als gegen diese Art, Schöpferisches in die Form des Bestehenden zu schnüren und buchstabenmäßig abzuschätzen, was nur jenseits der hergebrachten Logik zu bewerten war.

Auf die Utopie folgt eine Topie

Die Revolution bezieht sich auf das gesamte Mitleben der Menschen. Also nicht bloß auf den Staat, die Ständeordnung, die Religionsinstitutionen, das Wirtschaftsleben, die geistigen Strömungen und Gebilde, die Kunst, die Bildung und Ausbildung, sondern auf ein Gemenge aus all diesen Erscheinungsformen des Mitlebens zusammengenommen, das sich in einem bestimmten Zeitraum relativ im Zustand einer gewissen autoritativen Stabilität befindet. Dies allgemeine und umfassende Gemenge des Mitlebens im Zustand relativer Stabilität nennen wir: die Topie.

Die Topie schafft allen Wohlstand, alle Sättigung und allen Hunger, alle Behausung und alle Obdachlosigkeit; die Topie ordnet alle Angelegenheiten des Miteinanderlebens der Menschen, führt Kriege nach außen, exportiert und importiert, verschließt oder öffnet die Grenzen; die Topie bildet den Geist und die Dummheit aus, gewöhnt an Anstand und Lasterhaftigkeit, schafft Glück und Unglück, Zufriedenheit und Unzufriedenheit; die Topie greift auch mit starker Hand in die Gebiete ein, die ihr nicht angehören: das Privatleben des Individuums und die Familie. Die Grenzen zwischen Individualleben und Familiendasein einerseits, der Topie andrerseits sind schwankend. Die relative Stabilität der Topie ändert sich graduell, bis der Punkt des labilen Gleichgewichts erreicht ist. Diese Änderungen in der Bestandssicherheit der Topie werden erzeugt durch die Utopie. Die Utopie gehört von Haus aus nicht dem Bereiche des Mitlebens, sondern des Individuallebens an. Unter Utopie verstehen wir ein Gemenge individueller Bestrebungen und Willenstendenzen, die immer he- terogen und einzeln vorhanden sind, aber in einem Moment der Krise sich durch die Form des begeisterten Rausches zu einer Gesamtheit und zu einer Mitlebensform vereinigen und organisieren: zu der Tendenz nämlich, eine tadellos funktionierende Topie zu gestalten, die keinerlei Schädlichkeiten und Ungerechtigkeiten mehr in sich schließt.


Auf die Utopie folgt dann eine Topie, die sich von der früheren Topie in wesentlichen Punkten unterscheidet, aber eben eine Topie ist. Auf jede Topie folgt eine Utopie, auf diese wieder eine Topie, und so immer weiter. Revolution nennen wir die Zeitspanne, während deren die alte Topie nicht mehr, die neue noch nicht feststeht. Revolution ist also der Weg von der einen Topie zur andern, von einer relativen Stabilität über Chaos und Aufruhr, Individualismus (Heroismus und Bestialität, Einsamkeit des Großen und armselige Verlassenheit des Massenatoms) zu einer andern relativen Stabilität.

auch war Penschuk nicht zum Streit gekommen

Trotzdem schmälerte er jedes Zugeständnis durch einen Unterton des Zweifels an der Zweckmäßigkeit des Geplanten, und Mathias Urbschad verlor niemals das bedrückende Gefühl: sein Gönner handle gegen seine Überzeugung und aus der Laune eines Millionenmannes heraus. Am meisten schmerzte es ihn, daß er übte, was ihm von jeher als verachtenswert erschienen war: Klugheit, scheinbare Unterordnung unter eine fremde Überlegenheit, Teile der ihm verhaßten Lehre von dem Geheiligtsein der Mittel, die zu gutem Zweck führen. Er machte den Vorschlag, die Sitzung aufzuheben, und er bestimmte Penschuk, der die Absicht hatte, mit Hartley zum erstenmal die Siedelung zu besehen, den Weg zu Fuß zurückzulegen.

Großstädter auf dem Lande, eine schlichte Gutsfamilie besuchend

Mathias war den beiden anderen um einen Schritt voraus. Von Frau und Kindern sprach er nicht, sie waren Penschuk aus Amerika bekannt; auch von Kornelie wußte er, von ihrem Schicksal, die Eltern an einer Seuche zu verlieren, und von der langen Reise nach Brasilien, die Mathias damals unternommen hatte, um die verwaiste Nichte in seine Familie zu holen. Eine kleine Pause mußte er doch machen, ehe er von Vera Petroff sprach, die, nach der Ausdrucksweise der Scheinheiligen, eine Sünderin gewesen sei und das Maß noch nicht beherrsche zwischen Übereifer und der Trägheit ihrer früheren Lebensweise. Nun hielt Penschuk sich nicht mehr zurück. »Ich sage – eine Mischung von sonderbaren Elementen hast du da in einen Topf geworfen. Beschränkte Bauern, Judenjungen, Landstreicher, Verbrecher, unzureichende Talente, eine Frau, die man zu viel geliebt hat, eine, die dabei zu kurz gekommen ist. Merkwürdige Grundlagen zu einem Weltverbesserungsgebäude.«

Urbschad sah ihm ruhig ins Gesicht. »Ich sehe in ihnen nur die Menschen; sie sind an der Gesellschaft krank geworden und versuchen wieder zu genesen.«

Das Vorwerk war erreicht; durch die Luft liefen helle Stimmen auf die drei Männer zu. Die Amerikaner waren weiß gekleidet, nur mit der Unterscheidung, daß die Männer getönte Krawatten trugen, Marys Anzug aber ohne Farbe blieb. Spinnewebenfein war der Batist an Rock und Bluse, und mit seinen Hohlsäumen und mit der Hand gearbeiteten Spitzen von einer Kostbarkeit, die sich einem ungeübten Auge nicht verriet. Alle drei konnten aus einem erlesenen Modekupfer stammen, etwa mit der Inschrift: Großstädter auf dem Lande, eine schlichte Gutsfamilie besuchend.

Urbschad hatte solchen Zwang des Weltlichen immer abgewiesen, und Marys Tracht, der dünne Stoff, den Gliedern eng angepreßt, hatte er bei anderen stets verworfen. Was zwang ihn, sein eigenes liebes Mädchen der Tochter Penschuks zu vergleichen? Marys von ein paar großen Wellen durchlaufenes, rötlich blondes Haar umglänzte leicht und seidig die matte Haut, an den gepflegten, reich beringten Fingern leuchteten die Nägel wie geschliffener Stein. Sabine, dem Gesichtsschnitt nach vielleicht die Schönere von beiden, aber sonnverbrannt, sah dagegen fast verwildert aus.

Es blieb Hubert und Sabine überlassen, die Lücken im Gespräch zu überbrücken, und aus einem scherzhaften Wortgefecht entwickelte sich eine ernsthafte Unterhaltung, als der junge Urbschad die Überseeischen nach ihrer Reise fragte. Sie ließen hauptsächlich zu ihrem eigenen Vergnügen die Eindrücke der letzten Wochen an sich vorüberziehen, die Feste, Theater und Konzerte, und da Penschuk die Spannung wahrnahm, packte ihn der Einfall, seinen Hörern die Frage hinzuwerfen: »Auf so viel Kunstgenuß verzichten – was Sie besitzen, wiegt Ihnen das Ihre Entbehrung auf?«

»Bei uns lösen wir die Kunst nicht vom Leben, bei uns ist Fest und Alltag nicht getrennt.«

Spöttisch kräuselte sich Marys Mund: »Das Glück, Futterrüben umzuhacken.«

Man hatte sich getrennt; die Staubwolke, die um den Wagen schwirrte, der gekommen war, die Fremden abzuholen, war auf der Landstraße nicht mehr zu sehen, als der Einfall Hubert packte, sich auf sein Rad zu schwingen und den Davongefahrenen nachzujagen; es entspann sich ein Wettlauf zwischen Rad und Hufen, den zu beobachten Mary den Platz mit Hartley tauschte. Hubert meinte, daß ihm Flügel wüchsen, den Blick immer auf des Mädchens schimmerndes Gesicht gerichtet. Penschuk sagte ruhig: »Gute Menschen, aber schlechte Musikanten.«

Auf einmal blickte Sybille hoch

und sah Thomas Buber. Er beobachtete sie scharf, wie es Sybille vorkam, drohend. Einen Moment, wie zwei blanke Schwerter, klirrten ihre Blicke gegeneinander. Er rührte sich nicht und Sybille sah keine Veranlassung zu grüßen. Ganz allein saß er an seinem Tisch und trank Bier.

₺729,16

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
474 s. 25 illüstrasyon
ISBN:
9783956144721
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre