Kitabı oku: «Rayan - Zwischen zwei Welten», sayfa 4

Yazı tipi:

Mai 2002 – Große Wüste – Heimreise mit Hindernissen

Dieses Mal befanden sie sich auf dem Rückweg von einem Besuch bei Rayans neuem Freund Harun Said. Er war im Krieg zunächst gegen sie gewesen, doch konnten sie rechtzeitig das Missverständnis um Haruns Nichte Samira klären, sodass er sich am Ende zu einem wichtigen Verbündeten entwickelte. Rayan und Harun hatten sich sofort gegenseitig respektiert, selbst als sie noch auf entgegengesetzten Seiten der Kriegslinie standen. Und der Scheich der Tarmanen hatte das Leben von Haruns kleinem Bruder Sarif gerettet. Es hatte Harun erstaunt und beeindruckt, dass Rayan das Leben eines Kindes höher schätzte als irgendwelche Abneigungen aufgrund seiner Stammeszugehörigkeit.

Nach Beendigung des Krieges hatten sich Rayan und Harun noch zweimal jeweils nur kurz getroffen, nun war es endlich an der Zeit gewesen, dass Rayan endlich auf die Einladung seines Freundes für einen länger andauernden Besuch zurückkam.

Er hatte die beiden Wochen, die er bei Haruns Stamm verbrachte dazu benutzt, sich auszuruhen. Er genoss den Aufenthalt bei Freunden, wo er sich bedingungslos entspannen konnte. Hier würde niemand sie angreifen. Lediglich die offensichtliche Abneigung zwischen Harun und Hanif hatte ihm ab und zu ein wenig Kopfzerbrechen bereitet.

Ganz wie sein Vater es ihm vorausgesagt hatte, hatte Rayan viele Gemeinsamkeiten mit Hanif entdeckt und langsam – ganz langsam - wurde aus dem Zwang durch den Eid und den anfänglichen Hass vonseiten Hanif eine stabile Verbindung.

Harun dagegen weigerte sich, Hanifs Vorzüge zu sehen. Er wusste genau, dass sie sich ohne Rayans Zutun, wenn es nach Hanif gegangen wäre, erbittert bekämpft hätten. Außerdem war er damals so dicht am Geschehen gewesen, dass er den wahren Grund für Scheich Sedats Verwundung während der Kämpfe zumindest ahnte. Damals hatte Hanif aus Eifersucht mitten im Kampfgeschehen hinterrücks auf Rayan geschossen. Im letzten Moment hatte sein Vater sich schützend über seinen Sohn geworfen und war seitdem gelähmt. Statt Hanif zu bestrafen, hatte er ihm den Eid abgerungen, sich in Zukunft voll und ganz dem Schutze Rayans zu verschreiben und sich lebenslang in dessen Dienste zu stellen. Im Gegenzug hatte niemals jemand von dem feigen Attentat erfahren. Doch Harun schien diese Geschichte zu ahnen. Er zeigte jedoch seinen Respekt Rayan gegenüber, indem er niemals weiter nachfragte und Hanif Rayan zuliebe zumindest duldete. Aber er würde ihn wohl nie schätzen.

Rayan riss sich von diesen Gedanken los, denn ihm waren auf einmal diese Spuren wieder aufgefallen. Hier waren am Vortag Reiter gewesen. Durch den immerwährenden Wüstenwind, war es nicht leicht, noch etwas zu erkennen, doch wenn man wusste, wo man suchen musste, war es für einen erfahrenen Mann möglich.

Er konnte nicht genau sagen, warum ihn die Fährte beunruhigte. War es die Anzahl der Reiter, die er auf etwa zwanzig schätzte? Oder die Art, wie sie sich bewegt hatten?

Rayan beruhigte sich damit, dass sie in weniger als einer Stunde in der nächsten Oase ankommen würden, da war es nicht ungewöhnlich, dass mehrere Spuren dorthin führten. So war die Wüste: Das Leben bewegte sich anhand des Wassers fort – die üblichen Handelsrouten führten von einer Wasserstelle zur anderen.

Trotzdem befahl er seinen Männern, ihre Gewehre bereitzuhalten. Der ein oder andere tauschte zwar einen fragenden Blick mit seinem Nebenmann aus, aber alle folgten sofort der Anweisung.

September 2014 – Flughafen von Alessia – Wiedersehen mit Leila

Rayan freute sich, Leila wiederzusehen. Er sah sie ohnehin viel zu selten. Doch ihnen blieb nicht viel Zeit und so erzählten sie Leila nur kurz, was sich ereignet hatte.

Sie befanden sich zu dritt in dem Zimmer, das Leila gemietet hatte. Sie hatte diverse Hygieneartikel mitgebracht, damit sich die beiden Männer waschen und rasieren und europäische Kleidung anziehen konnten. Auch diese hatte Leila für sie gekauft. Die Größe Rayans kannte sie ohnehin, Hanifs Größe hatte sie kurzerhand geschätzt. Da er mit 1,82 m nur wenige Zentimeter kleiner war als Rayan, ansonsten aber eine sehr ähnliche Statur hatte, fiel ihr dies nicht schwer.

Da das Zimmer nur ein Bad hatte, ging zunächst Rayan unter die Dusche und rasierte sich. Als er etwa eine halbe Stunde später wieder herauskam, war er überrascht, Hanif und Leila in ein angeregtes Gespräch vertieft vorzufinden.

Beide hielten sofort inne, als er den Raum betrat, als fühlten sie sich ertappt. Rayan beschloss, so zu tun als hätte er dies nicht bemerkt und Hanif beeilte sich, ins Badezimmer zu kommen.

Der Scheich überlegte für sich, warum ihm das Bild von Hanif und Leila gemeinsam im Gespräch so ungewohnt vorkam. Dann dachte er nach, wann Hanif und Leila sich zum letzten Mal gesehen haben mochten und er konnte kein Ereignis in den letzten Jahren festmachen. Hanif war 2002 dabei gewesen, als sie Leila gerettet hatten, aber seitdem hatte er, immer wenn sie gemeinsam in Alessia waren, vorher um Erlaubnis gebeten, sich für die Zeit ihres Aufenthaltes entfernen zu dürfen, da er seine Verwandten in Alessia besuchen und dort schlafen wollte.

Was für Verwandte hatte Hanif eigentlich in Alessia? Rayan hatte sich nie viel dafür interessiert, wie er nun zugeben musste. Alessia hieß für ihn bei Leila sein, was ihn meistens von anderen Themen ablenkte. Dunkel erinnerte er sich daran, dass Hanif eine Tante erwähnt hatte. Die Schwester seines verstorbenen Vaters und ihre beiden Töchter. Aber die mussten inzwischen auch längst erwachsen sein. Eigenartig - er verschob den Gedanken auf später und nutzte die Zeit, die ihm noch mit Leila verblieb, um sich über die neuesten Ereignisse auszutauschen.

Hanif benötigte nur etwa 20 Minuten, dann kam er geduscht, rasiert und neu eingekleidet aus dem Badezimmer.

Rayan musterte ihn verblüfft. Ihm fiel auf, dass er Hanif noch nie zuvor in europäischer Kleidung gesehen hatte. Und er musste zugeben, dass Hanif unverschämt gut aussah. Noch dazu, weil er etwas verlegen lächelte, was ihm ein jugendhaftes Aussehen verlieh, das in starkem Kontrast stand zu seinem sonst oft so verbissenem Gesichtsausdruck.

Seine einwandfreien, auffallend weißen Zähne blitzen. Sie bildeten einen schönen Kontrast zu seinem dunklem, ebenmäßigem Teint und den dunkelbraunen Haaren, die etwas heller als die von Rayan waren. Seine Augen hatten fast die gleiche Farbe wie seine Haare, ein warmes braun, das erst jetzt, durch sein offenes Lächeln richtig zu Geltung kam.

Leila hatte wieder einmal ihren hervorragenden Geschmack bewiesen und für ihn einen schwarzen Anzug und ein dezent rotes Hemd gekauft. Beides stand ihm hervorragend.

Gerade wollte Rayan diesbezüglich eine Bemerkung machen, da fiel sein Blick auf Leila, und schon wartete die nächste Überraschung auf ihn: Leilas Wangen waren leicht gerötet und sie musterte Hanif mit einem Blick, der mehr sagte als tausend Worte – offenbar hatte sich Leila gerade bis über beide Ohren verliebt.

Einen Moment lang verspürte Rayan einen kalten Stich – eine Welle der Eifersucht durchfuhr ihn. Er sah nun Hanif an und registrierte, dass dieser Leila ebenfalls nicht aus den Augen lassen konnte. Und die beiden bemerkten noch nicht einmal, wie auffällig sie sich anstarrten. Sie hatten seine Anwesenheit total vergessen. Eine neue Erfahrung für Rayan, die er erst einmal verdauen musste. Dann musste er ein wenig gegen seinen Willen grinsen. Eigentlich konnte er sich für die beiden doch freuen. Wenn Leila endlich einmal einen ebenbürtigen Partner finden würde, wollte er ihr nicht im Wege stehen.

Doch das musste bis später warten, jetzt hatten sie andere, dringendere Probleme.

Und so stand er demonstrativ auf, packte die Tasche zusammen, die Leila für ihn mitgebracht hatte, und riss die beiden so aus ihrer Trance.

Rayan hatte kurz nach ihrer Ankunft schon mit den beiden Piloten seines Jets telefoniert und wusste, dass sie sofort abfliegen konnten.

Er verabschiedete sich von Leila mit einem Kuss auf die Stirn und lächelte in sich hinein, als Hanif Leila etwas ungeschickt die Hand gab, was wiederum bewirkte, dass beide rote Wangen bekamen. „Die stellen sich an wie die Teenager“, dachte er für sich und lächelte.

Dann wurde er wieder ernst. Es war etwa zwei Uhr am Nachmittag, als sie eilig an Bord des Learjet gingen, der sie in Richtung England bringen würde.

Mai 2002 – Große Wüste – Unbarmherzige Verbrecher

Als sie sich endlich der Oase näherten, ordneten sie sich in einer breiten Formation an – so würden sie nicht so leicht zu überrumpeln sein.

Doch als sie den Rand der Düne erreicht hatten, die das Tal um die Oase begrenzte, sahen sie bald, dass ihren hier keine Gefahr mehr drohte. Aber auch, dass Rayan wieder einmal recht gehabt hatte, als er sie in Alarmbereitschaft versetzte.

Einer der Männer sagte halblaut: „Wie macht er das nur immer? Woher weiß er diese Dinge?“ Doch auch die anderen Reiter hatten dafür keine Erklärung, ihnen war es nur recht, dass ihr Scheich ihnen ein Schicksal ersparte, wie es dem armen Händler in der Oase ergangen war:

Der Reitertrupp hatte offenbar bereits gestern angegriffen und fast alle Männer, die sich in der Oase befunden hatten, niedergestreckt. Erst beim Näherkommen konnten sie erkennen, dass unter den Leichen auch Frauen waren.

„Schnell – schwärmt aus und schaut, ob es Überlebende gibt!“, rief Rayan aus und galoppierte den Hang hinunter.

Bereits eine Viertelstunde später kamen die Männer zusammen, um Rayan Bericht zu erstatten.

Sie hatten lediglich zwei Überlebende gefunden: einen Diener und den Händler, dem die kleine Karawane gehört hatte.

Ansonsten hatten die unbarmherzigen Verbrecher ganze Arbeit geleistet. Sie hatten alles von Wert mitgenommen, alles andere verbrannt und jeden Einzelnen getötet.

Rayan knirschte mit den Zähnen. Er konnte seine Wut nur mühsam beherrschen. Was für Tiere taten so etwas? Ein Raubüberfall war schon schlimm genug, aber warum dieses sinnlose Blutvergießen harmloser Menschen?

Auch Hanif konnte sich kaum im Zaum halten. Sein Vater war auch Händler gewesen. Seine Familie war ebenfalls überfallen worden, als er 18 Jahre alt gewesen war. Außer seiner Mutter und Hanif selbst hatte keiner überlebt. Sowohl sein Vater und alle seine Geschwister waren ermordet worden. Sedat, Rayans Vater, hatte Schlimmeres verhindert und die Täter gestellt.

Langsam, um ihn nicht zu erschrecken, ging Rayan in das Zelt, in das der Diener seinen schwer verwundeten Herrn gebracht hatte.

„Wer, wer seid ihr?“, röchelte der verwundete Mann von seinem Lager.

„Ganz ruhig. Wir sind in friedlicher Absicht hier. Was ist hier passiert?“, fragte Rayan mit beruhigendem Tonfall. „Wie können wir Euch helfen?“

Der Händler erzählte kurz, was sich ereignet hatte: Sein Name sei Aiman Abdullah. Sie hätten hier in der Oase gelagert, als die Reiter aus dem Hinterhalt gekommen waren und ohne jede Vorwarnung alle getötet hatten, selbst diejenigen, die sich ergeben wollten, wurden abgeschlachtet. Seine Karawane hatte aus immerhin sechzehn Personen bestanden.

„Sie haben alles mitgenommen. Alle Teppiche, Kamele und sonstige Wertgegenstände … .“ Er schluchzte auf. „Mich haben sie nur aus einem Grund leben lassen: um mich zu peinigen! Sie haben meine Tochter mitgenommen! Meine Leila - mein einziges Kind! Er …der Anführer …er hat gesagt, er wird für sie einen guten Preis erzielen. Auf den SKLAVENMARKT!“, seine Stimme brach und er begann, heftig zu schluchzen. Offenbar hatten sie den Diener auch nur aus dem Grund leben lassen, dass er seinem Herrn so lange wie möglich beistand und damit, ironischerweise, dessen Leiden verlängerte. „Was für kranke Menschen sind das?“, fragte sich Rayan, doch er sagte es nicht laut. Er wollte weder den Händler noch den Diener weiter beunruhigen.

Rayan legte dem Mann die Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. „Ganz ruhig. Ich verspreche Dir, ich werde tun, was in meiner Macht steht, um sie zu finden.“

Noch immer rannen dem Mann die Tränen über das Gesicht, doch er wurde etwas ruhiger. „Warum solltet ihr das tun?“, fragte er mit zitternder Stimme. Rayan schätzte ihn auf Mitte dreißig. Er antwortete zunächst nichts, sondern untersuchte die Wunden. Schnell sah er, dass hier niemand mehr etwas tun konnte. Vielleicht in einem Krankenhaus, durch eine Notoperation, aber hier? Mitten im nirgendwo? Keine Chance.

„Ich weiß, dass ich sterben werde“, sagte der Händler. „Bitte – wenn Sie meiner Tochter wirklich helfen wollen, dann müssen Sie schnell sein.“

„Haben Sie ein Foto von Leila?“, fragte Rayan.

„Yusuf“, sprach der Händler den Diener an, der wie versteinert in einer Ecke stand. „Gib ihm das Foto.“

Rayan sah ein etwa sechzehnjähriges Mädchen und wusste sofort, wieso die Räuber sie nicht getötet hatten. Sie war ausgesprochen schön. Mit langen tiefschwarzen Haaren, die ihr bis zur Hüfte zu reichen schienen. Ihre ebenfalls fast schwarzen Augen waren faszinierend, mit einem Blick, der wohl so manchen Mann zum Träumen bringen konnte.

„Eine wirkliche Schönheit – kein Wunder“, sagte Rayan mehr zu sich selbst. „Wo ist ihre Mutter?“, fragte er an den Händler gerichtet.

„Sie ist vor zwei Jahren gestorben. Bitte – wenn Sie helfen wollen, müssen Sie sich beeilen! Sie haben hier vor mir alles ausführlich besprochen – sie wollen sie bereits in drei Tagen auf dem Sklavenmarkt verkaufen. Sie wissen sicher, wie es da zugeht: Wenn einer sie kauft, bringt der sie wer weiß wohin, die Spur finden Sie nie wieder!“

„Also gut. Jassim! Du bleibst mit fünf Mann hier. Kümmert Euch um ihn und begrabt die Toten. Yusuf wird Euch helfen.“

Jassim nickte kurz und wandte sich dann an die ihm zugewiesenen Reiter. Er war einer von Rayans Gruppenführern und auf diesem Ritt zuständig für zehn Mann. Fünf davon wählte er nun aus, die mit ihm hier bleiben sollten.

Die anderen unterstellte er Hanif, der selbst zehn weitere Männer unter seinem Kommando hatte.

Sie würden also zu achtzehnt die Verfolgung aufnehmen: Hanif und seine Zehn, die Fünf von Jassim, Rayan und sein Freund und Leibwächter Ibrahim.

Rayan hatte sich sehr gefreut, als er Ibrahim wiedergetroffen hatte. Nach seiner Flucht aus Zarifa im Oktober 1989 hatte er vermutet, dass sein Vater alle seine Freunde getötet hatte. Erst vor wenigen Monaten hatte er erfahren, dass Ibrahim noch lebte und sie hatten sich auf Anhieb wieder genauso gut verstanden wie früher. Und genau wie damals war sein Freund jederzeit bereit, sein Leben für seinen Freund und Scheich zu geben. Er hatte ihm bereits einmal das Leben gerettet, als er ihn schwerverletzt zu seiner Großmutter brachte, der es gelang ihn gesund zu pflegen. Auch Ibrahim hatte, genau wie alle anderen, gedacht Rayan wäre an den schweren Wunden, die ihm die Häscher seines Vaters zugefügt hatten, gestorben.

Sie versorgten sich mit dem nötigsten, vor allem mit frischem Wasser, und bereiteten alles dafür vor, gleich loszureiten.

September 2014 – Alessia – Déjà-vu

Nihat hatte Carina am Sammelplatz für Karawanen vor Alessia abgesetzt, der gleichen Stelle an der sie vor einigen Wochen aufgebrochen waren. Damals hatte ihr Lehrer Mehmed sie zu Fuß hierher begleitet, und nachdem sie sehr aufgeregt gewesen war, hatte sie nicht auf den Weg aus der Stadt heraus geachtet. Doch ihre Sorge, dass sie sich nicht zu Recht finden würde, war völlig unbegründet.

Denn schon am Vorabend hatte Nihat ihr mitgeteilt, er hätte gerade telefoniert und die Information erhalten, Jamal würde sie am nächsten Tag gegen Mittag in Alessia erwarten. Mit wem er telefoniert hatte, hatte er nicht gesagt. Carina, die sich an die spärlichen Informationen inzwischen längst gewöhnt hatte, fragte nicht weiter nach. Sie hätte ohnehin keine Antwort erhalten. Aber sie vermutete, dass es Hanif gewesen war, der Nihat diese Anweisungen gegeben hatte.

Bei der Ankunft am Sammelplatz schaute sie sich zunächst um: Der Platz lag völlig leer da; offenbar war gerade weder eine Karawane eingetroffen, noch bereitete sich eine auf den Aufbruch vor. Wie anders alles so verlassen aussah. Es waren kaum Menschen auf dem Platz.

Daher war es leicht, bereits aus einigen Metern Entfernung den Haushälter zu erkennen, der an der Tränke für Kamele am Platz saß und ausdruckslos vor sich hin schaute, als wäre er tief in Gedanken versunken.

Erst als sie ihn schon fast erreicht hatten, erhob er sich.

Nihat grüßte ihn nur mit einem kurzen Nicken. Auch das war keine Überraschung für Carina, die stolzen Reiter der Tarmanen, waren Fremden gegenüber noch wortkarger und zurückhaltender als bei ihr.

Der Abschied von Nihat und ihren beiden Begleitern fiel kurz aus. Gegen seinen Willen hatte sie Nihat kurz umarmt und ihm einen Kuss auf die Wange gedrückt, was diesem einen roten Kopf und seinen beiden Begleitern ein breites Grinsen beschert hatte.

Traurig hatte sie sich auch von „ihrem“ Pferd verabschiedet, das sie so viele Stunden treu getragen hatte.

Dann wandte sie sich Jamal zu, der sie mit einer leichten Verbeugung, aber sonst mit ausdruckslosem Gesicht begrüßte.

Er war es gewesen, der sie damals aus dem Krankenhaus abgeholt und zum Haus ihres Freundes Hummer geleitet hatte. Und somit hatte sich auch ihre Sorge, ob sie wohl ein Hotelzimmer finden konnte, erledigt. Denn Jamal brachte sie in das Zimmer, welches sie damals bewohnt hatte.

Es war eigenartig, die Stationen ihrer Reise noch einmal rückwärts zu durchlaufen. Fast wie in einem Déjà-vu. Ein wenig hatte sie Angst, dass die Erlebnisse dadurch geschmälert würden, so als würde sie sie ungeschehen machen. Schnell versicherte sie sich, dass sie ihren Block mit Notizen noch hatte. Hier hatte sie alles genau beschrieben und auch die Fotos, die sie gemacht hatte, würden nachher wertvolle Erinnerungen sein.

Als sie am Abend müde auf ihr Zimmer ging, fand sie auf der Kommode Flugtickets, ausgestellt auf ihren Namen. Ihr Flug von Alessia ging morgen Abend, ein Samstag. Zunächst bis Dubai, was lediglich eine Stunde dauerte. Dann hatte sie einen Tag Aufenthalt in Dubai, um am Montagmorgen nach München zu fliegen – erster Klasse! Sie erinnerte sich, dass es die gleiche Flugverbindung war, die Rayan ihr vor all den Wochen auch schon ans Herz gelegt hatte, um nach Hause zu fliegen. Sie überlegte kurz, was gewesen wäre, wenn sie damals auf ihn gehört hätte. Zumindest wäre ihr die peinliche Abreise erspart geblieben!

Einen kleinen Moment lang war sie versucht, die Flugtickets einfach zu zerreißen. Sie wollte nicht, aber auch gar nichts mehr von ihm geschenkt! Er hatte sie behandelt, wie nie zuvor ein Mann. Sie hatte sich wie sein kleiner Zeitvertreib gefühlt, den man dann, als er unbequem zu werden drohte, einfach wegwischen konnte.

Sie stellte sich kurz vor, wie er zusammen mit Leila in Zarifa saß und sie sich gemeinsam über die kleine, dumme Deutsche totlachten.

Dass Rayan zur gleichen Zeit keineswegs amüsiert war, sondern sich nach gefährlichen Ereignissen in London nun auf der Flucht befand, und außerdem in der vergangenen Nacht fast zu Tode geprügelt worden war, konnte sie nicht ahnen. Diese Ereignisse erfuhr sie erst viel später.

Ärgerlich stellte sie fest, dass ihr wieder die Tränen übers Gesicht liefen. Sie hatte sich vorgenommen, nicht mehr wegen ihm zu weinen. Schnell wischte sie sie ab, putzte sich die Nase und atmete tief durch. Zur Hölle mit ihm!

Aber die Flugtickets würde sie trotzdem nutzen, denn ihr war klar, dass sie finanziell nicht besonders gut da stand und so schluckte sie ihren Stolz hinunter. Und dann erster Klasse. Es war für die über sechs Stunden von Dubai nach München eine zu große Verlockung, nicht in der „Holzklasse“ sitzen zu müssen.

September 2014 – London - Check-in

Rayan genoss es, das sportliche Auto durch die nächtlichen Straßen von London zu steuern. Der Verkehr war bereits abgeflaut und die Straßen weitgehend frei. Er hatte Glück, dass ihn niemand kontrollierte, denn mit den Geschwindigkeitsvorschriften nahm er es nicht sehr genau.

Die Route zum Hotel kannte er auswendig, er war in der Vergangenheit schon häufiger hier gewesen. Auf dem Weg dorthin machte er noch einen Stopp. Er stellte das Auto direkt vor dem Bahnhof ins Halteverbot, orderte Hanif im Auto zu bleiben und im Zweifelsfalle irgendwelchen Polizisten den verzweifelten Touristen vorzuspielen. Hanif verdrehte die Augen und hoffte, dass Rayan schnell wiederkam. Und tatsächlich kam er bereits nach wenigen Minuten mit einem Koffer in der Hand wieder aus dem Gebäude. Es handelte sich um einen größeren Aktenkoffer.

Auf Hanifs fragenden Blick grinste Rayan und sagte: „Equipment!“ Er gab keine Erklärungen ab, wo er den Koffer her hatte, aber Hanif konnte sich denken, dass er ihn aus einem Schließfach entnommen hatte. Wer ihn dort allerdings platziert hatte, blieb Rayans Geheimnis, zumindest für den Moment.

Etwa zwanzig Minuten später erreichten sie ihr Hotel. Vor dem Gebäude gab Rayan dem Pagen den Autoschlüssel zusammen mit einem entsprechenden Geldschein, und die beiden Männer traten in die Lobby.

Ein weiteres Thema, bei dem Hanif Nachholbedarf hatte, wurde ihm bei dieser Gelegenheit unangenehm bewusst: Er hatte keine Ahnung, was die Banknoten bedeuteten. Er kannte sowohl Dirham aus Dubai als auch Saudi Riyal, aber noch nie hatte er Pfund Sterling gesehen, geschweige denn in in der Hand gehabt. Wie peinlich! Er nahm sich vor, Rayan gleich oben im Zimmer zu befragen.

Wie üblich hatte Rayan eine der Suiten genommen, die sie zu zweit bewohnten. Es gab genügend Zimmer, das auch noch mehr Menschen dort hätten wohnen können.

Hanif war beeindruckt über die dicken Teppiche, die antiken Möbel und die alten Gemälde, die fast an jeder Wand hingen. In den Toiletten und Badezimmer gab es vergoldete Wasserhähne, aber alles in allem machten die Zimmer trotzdem den Eindruck, als hätten sie ihre besten Zeiten vor vielen Jahren gesehen.

Rayan gab Hanif einen Crashkurs über die englische Währung, dann murmelte er etwas vor sich hin, dass er telefonieren müsse und verschwand, um in die Rezeption hinunter zu gehen. Ihr Satellitentelefon ließ er im Zimmer, was Hanif stutzig machte. Er überlegte, ob er die Gelegenheit nutzen sollte, Nihat zu fragen, ob alles in Ordnung sei. Doch dann fiel ihm ein, dass es durch die Zeitverschiebung dort mitten in der Nacht sein musste.

Hanif stellte sich darauf ein, Schlafen zu gehen, hatte sich aber zum Glück noch nicht entkleidet als Rayan ihm fröhlich mitteilte, dass sie nun ausgehen würden. Entsetzt sah Hanif seinen Herren an: War das sein Ernst? Es war fast Mitternacht! In der Wüste wären sie schon seit Stunden am Schlafen.

Doch hier gingen die Uhren offenbar anders.

Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
451 s. 2 illüstrasyon
ISBN:
9783738020984
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip